Gerhart Hauptmann
Der Biberpelz
Gerhart Hauptmann

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Zweiter Akt

Amtszimmer beim Amtsvorsteher von Wehrhahn: großer, weißgetünchter, kahler Raum mit drei Fenstern in der Hinterwand. In der linken Wand die Eingangstür. An der Wand rechts der lange Amtstisch mit Büchern, Akten usw. belegt; hinter ihm der Stuhl für den Amtsvorsteher. Am Mittelfenster Tisch und Stuhl für den Schreiber. Ein Schrank aus weichem Holz vorn rechts, dem Amtsvorsteher, wenn er auf dem Stuhle sitzt, zur Hand, enthält die Bücher. Aktenregale verkleiden die Linkswand. Sechs Stühle stehen ganz vorn, von der Linkswand an in einer Reihe. Man sieht die eventuell Daraufsitzenden von rückwärts. – Es ist ein heller Wintervormittag. Der Schreiber Glasenapp sitzt kritzelnd auf seinem Platz. Er ist eine dürftige, bebrillte Persönlichkeit. Amtsvorsteher von Wehrhahn, ein Aktenfaszikel unterm Arm, tritt schnell ein. Wehrhahn ist gegen vierzig Jahre alt und trägt ein Monokel. Er macht den Eindruck eines Landjunkers. Seine Amtstracht besteht aus einem schwarzen, zugeknöpften Gehrock und hohen, über die Beinkleider gezogenen Schaftstiefeln. Er spricht nahezu im Fistelton und befleißigt sich militärischer Kürze im Ausdruck.

Wehrhahn, nebenhin, wie ein Überbürdeter. Mojen!

Glasenapp, steht auf. Jehorsamer Diener, Herr Amtsvorsteher.

Wehrhahn. Was vorjefalln, Glasenapp?

Glasenapp, stehend in Papieren blätternd. Habe zu melden, Herr Amtsvorsteher – da war zuerst . . . ja! Der Jastwirt Fiebig. Er bittet um die Erlaubnis, Herr Vorsteher, am nächsten Sonntag Tanzmusik abhalten zu dürfen.

Wehrhahn. Ist das nicht . . . sagen Sie doch mal: Fiebig? hat einer doch neulich den Saal herjejeben . . .?

Glasenapp. Für die Freisinnigen. Zu Befehl, Herr Baron!

Wehrhahn. Derselbe Fiebig?

Glasenapp. Jawohl, Herr Baron!

Wehrhahn. Dem wolln wir mal bißchen Kandare anlegen!

Amtsdiener Mitteldorf tritt ein.

Mitteldorf. Jehorsamer Diener, Herr Baron!

Wehrhahn. Hören Sie mal: ein für allemal – im Dienste bin ich der Amtsvorsteher.

Mitteldorf. Jawohl. Zu Befehl, Herr Bar – Herr Amtsvorsteher, wollt' ich sagen.

Wehrhahn. Nun merken Sie sich das endlich mal: daß ich Baron bin, ist Nebensache. Kommt hier wenigstens gar nicht in Betracht. Zu Glasenapp. Nun bitte, ich möchte weiterhören. War denn der Schriftsteller Motes nicht da?

Glasenapp. Jawohl, Herr Amtsvorsteher.

Wehrhahn. So. War also da? Da bin ich doch außerordentlich neugierig. Er wollte doch hoffentlich wiederkommen?

Glasenapp. So gegen halb zwölwe will er wieder hier sein.

Wehrhahn. Hat er Ihnen vielleicht was gesagt, Glasenapp?

Glasenapp. Er kam in Sachen des Dr. Fleischer.

Wehrhahn. Nun sagen Sie doch mal, Glasenapp, ist Ihnen der Dr. Fleischer bekannt?

Glasenapp. Ich weiß nur: er wohnt in der Villa Krüger.

Wehrhahn. Wie lange ist der Mann schon am Ort?

Glasenapp. Zu Michaeli bin ich gekommen.

Wehrhahn. Na ja, Sie kamen mit mir zugleich, ich bin jetzt zirka vier Monate hier.

Glasenapp, mit einem Blick auf Mitteldorf. Ich denke, der Mann muß zwei Jahre hier sein.

Wehrhahn, zu Mitteldorf. Sie können ja wohl keine Auskunft geben.

Mitteldorf. Zu dienen – Michaeli vorm Jahr.

Wehrhahn. Wie? Ist der Mann da hierhergezogen?

Mitteldorf. Zu dienen – von Berlin, Herr . . . Herr Amtsvorsteher.

Wehrhahn. Ist Ihnen der Mensch vielleicht näher bekannt?

Mitteldorf. Ich weiß bloß, een Bruder is Theaterkassier.

Wehrhahn. Ich habe ja nicht nach dem Bruder gefragt. Was treibt der Mann? – Was tut er? Was ist er?

Mitteldorf. Da kann ich nu ooch nischt Genaues sachen. Bloß det er krank is, det sachen de Leute. Er leidet ja wohl an de Zuckerkrankheit.

Wehrhahn. An was der Mann leidet, is mir egal. Der kann Sirup schwitzen, wenn's ihm Spaß macht. – Was ist er?

Glasenapp zuckt die Achseln. Er nennt sich Provatjelehrter.

Wehrhahn. Pri! Pri! nicht Pro – Privatgelehrter.

Glasenapp. Der Buchbinder Hugk hat Bücher von ihm. Er läßt alle Woche welche einbinden.

Wehrhahn. Ich möchte mal sehn, was der Mann so liest.

Glasenapp. Der Briefträger meint, er hält zwanzig Zeitungen. Auch demokratische sind mit drunter.

Wehrhahn. Sie können mir Hugk mal hierherbestellen.

Glasenapp. Jleich?

Wehrhahn. Bei Jelegenheit. Morjen, übermorjen. Er mag mal so'n paar Bücher mitbringen. Zu Mitteldorf. Sie scheinen den janzen Tach zu schlafen – oder hat der Mann vielleicht gute Zigarren?

Mitteldorf. Herr Vorsteher . . .!

Wehrhahn. Na, das lassen Sie man. Ich sehe mir meine Leute schon an. Das hat mein Herr Vorgänger so einreißen lassen. Allmählich wird das schon anders werden. – Für eine Polizeiperson ist es schmählich, sich von irgendwem regalieren zu lassen. Ihnen selbstverständlich böhmische Berge. Zu Glasenapp. Hat Motes nicht etwas Bestimmtes jesagt?

Glasenapp. Bestimmtes hat er mir nicht gesagt. Er meinte, der Herr Vorsteher wüßte schon . . .

Wehrhahn. Das heißt: ich weiß nur ganz Allgemeines. Ich hatte den Mann ja schon längst im Auge. Ich meine natürlich den Dr. Fleischer. Herr Motes hat es mir nur bestätigt, daß ich den Patron ganz richtig erkannt habe. – Was hat denn Motes so für einen Leumund? Glasenapp und Mitteldorf sehen einander an. Glasenapp zuckt die Achseln. Pumpt sich wohl rum, was?

Glasenapp. Er sagt ja, er hat seine Pension.

Wehrhahn. Pension?

Glasenapp. Er hat doch'n Schuß ins Auge bekommen.

Wehrhahn. Wär' also so 'ne Art Schmerzensjeld.

Glasenapp. Se werden verzeihen, Herr Amtsvorsteher. Ick jloobe, der Mann hat mehr die Schmerzen. Von Geld hat noch keener bei dem was bemerkt.

Wehrhahn, belustigt. Ist sonst eine Sache von Bedeutung?

Glasenapp. Nur Kleinigkeiten, Herr Amtsvorsteher, 'ne Dienstabmeldung –

Wehrhahn. Schon gut, schon gut. Haben Sie vielleicht mal was läuten hören, daß Fleischer die Zunge nicht recht im Zaum hält?

Glasenapp. Nicht daß ich grade im Augenblick wüßte.

Wehrhahn. Man hat mir das nämlich hinterbracht. Er führe ungesetzliche Reden auf alle möglichen hohen Personen. Es wird sich ja übrigens alles zeigen. Nun wollen wir doch an die Arbeit jehn. Ja, Mitteldorf, haben Sie etwa noch was?

Mitteldorf. Es soll heut nacht 'n Diebstahl verübt sein.

Wehrhahn. 'n Diebstahl? Wo?

Mitteldorf. In der Villa Krüger.

Wehrhahn. Was ist denn gestohlen?

Mitteldorf. Knüppelholz.

Wehrhahn. In der letztvergangenen Nacht, oder wann?

Mitteldorf. Vergangene Nacht.

Wehrhahn. Von wem haben Sie's denn?

Mitteldorf. Ich hab' es . . .

Wehrhahn. Na, also, von wem denn?

Mitteldorf. Ich hab' es . . . ich hab' es von Herr Fleischer jehört.

Wehrhahn. So! Mit dem Mann unterhalten Sie sich . . .?

Mitteldorf. Herr Krüjer hat es auch selber erzählt.

Wehrhahn. Der Mann ist der reine Querulant. Der Mann schreibt mir wöchentlich drei Briefe. Bald hat man ihn übers Ohr gehauen, bald hat man ihm seinen Zaun zerbrochen, bald hat man ihm seine Grenze verrückt. Nur Scherereien auf Scherereien.

Motes tritt ein. Er lacht im Reden fast fortwährend nervös. Jehorsamer Diener, Herr Amtsvorsteher.

Wehrhahn. Da sind Sie ja. Freut mich, daß Sie kommen. Da können Sie mir vielleicht gleich mal sagen: bei Krüger soll ja jestohlen sein?

Motes. Ich wohne nicht mehr in der Villa Krüger.

Wehrhahn. Und haben auch sonst nichts jehört, Herr Motes?

Motes. Jehört hab' ich wohl, aber nichts Jenaues. Als ich jetzt bei der Villa vorüberkam, da suchten sie beide die Spuren im Schnee.

Wehrhahn. So? Dr. Fleischer ist ihm behülflich – da sind sie wohl ziemlich dick befreundet?

Motes. Ein Herz und eine Seele, Herr Vorsteher.

Wehrhahn. Ja, was nun den Fleischer anbelangt – das interessiert mich vor allen Dingen. Bitte, setzen Sie sich. – Ich kann Ihnen sagen, ich habe die halbe Nacht nicht jeschlafen. Die Sache hat mich nicht schlafen lassen. Sie haben mir da einen Brief geschrieben, der mich außerordentlich aufgeregt hat. – Das ist nun freilich Sache der Anlage. Meinen Vorgänger würde das nicht gestört haben.– Ich meinesteils habe mich fest entschlossen, was man so sagt, durch- und durchzudrücken. Meine Aufgabe hier ist: mustern und säubern. – Was hat sich im Schutze meines Herrn Vorgängers nicht alles für Kehricht hier angesammelt! Dunkle Existenzen, politisch verfemte, reichs- und königsfeindliche Elemente. Die Leute sollen zu stöhnen bekommen. – Nun also, Herr Motes, Sie sind Schriftsteller?

Motes. Für forst- und jagdliche Sachen, jawohl.

Wehrhahn. Da schreiben Sie so in Forst- und Jagdzeitungen? Apropos: und können Sie denn davon leben?

Motes. Wenn man eingeführt is wie ich, Herr Baron. Ich hab' Jott sei Dank mein schönes Auskommen.

Wehrhahn. Sie sind ein gelernter Forstmann, wie?

Motes. Ich war auf Akademie, Herr Vorsteher. In Eberswalde hab' ich studiert. Kurz vor dem Examen betraf mich das Unglück . . .

Wehrhahn. Ach ja, Sie tragen ja eine Binde.

Motes. Ich verlor ein Auge auf Jachd, Herr Baron. Ich bekam ein Schrotkorn ins rechte Auge, von wem, war leider nicht zu ermitteln. Da mußte ich denn die Karriere aufgeben.

Wehrhahn. Also Pension bekommen Sie nicht?

Motes. Nein. Ich habe mich nun auch so ziemlich durchgefressen. Mein Name ist doch nun schon ziemlich genannt.

Wehrhahn. Hm. – Ist Ihnen vielleicht mein Schwager bekannt?

Motes. Herr Oberförster von Wachsmann, jawohl. Ich korrespondiere viel mit ihm, und außerdem sind wir Vereinsgenossen: Verein zur Züchtung von Vorstehhunden.

Wehrhahn, einigermaßen aufatmend. So! sind Sie also mit ihm bekannt?! Das ist mir ja angenehm zu hören. Das erleichtert die Sache ja wesentlich und begründet das gegenseitige Vertrauen. Da hindert uns ja nun nichts mehr, Herr Motes. – Sie schrieben mir also in Ihrem Briefe, Sie hätten Gelegenheit gehabt, den Dr. Fleischer zu beobachten. Erzählen Sie doch mal, was Sie wissen.

Motes räuspert sich. Als ich . . . als ich vor einem Jahre zirka die Villa Krüger bezog, Herr Baron, da hatte ich keine Ahnung davon, mit wem ich zusammengeraten würde.

Wehrhahn. Sie kannten weder Krüger noch Fleischer?

Motes. Nein, wie das so ist – in einem Hause. Ich konnte mich nicht so recht zurückziehen.

Wehrhahn. Was kamen denn da so für Leute ins Haus?

Motes, mit bezeichnender Handbewegung. Ach!

Wehrhahn. Ich verstehe.

Motes. Krethi und Plethi. Demokraten.

Wehrhahn. Gab es regelmäßig Zusammenkünfte?

Motes. Alldonnerstäglich, soviel ich weiß.

Wehrhahn. Da wollen wir doch mal ein Augenmerk drauf haben. – Verkehren Sie jetzt nicht mehr mit den Leuten?

Motes. Es war mir zuletzt nicht mehr möglich, Herr Vorsteher.

Wehrhahn. Es war Ihnen widerwärtig, was?

Motes. Es war mir gänzlich zuwider geworden.

Wehrhahn. Das ganze ungesetzliche Wesen, das freche Gespött über hohe Personen, das konnten Sie alles zuletzt nicht mehr anhören?

Motes. Ich blieb, weil ich dachte, wer weiß, wozu's gut ist.

Wehrhahn. Aber endlich haben Sie doch jekündigt?

Motes. Ich bin jezogen, jawohl, Herr Baron.

Wehrhahn. Und endlich haben Sie sich entschlossen . . .

Motes. Ich habe es für meine Pflicht gehalten.

Wehrhahn. . . . die Behörde davon zu unterrichten. – Das finde ich sehr ehrenwert von Ihnen. – Er hat also so ein Wort gesagt – wir werden ja später protokollieren –, auf eine Persönlichkeit bezüglich, die uns allen ehrfurchtgebietend hochsteht.

Motes. Jewiß, Herr Baron, das hat er jesagt.

Wehrhahn. Das würden Sie eventuell beeiden?

Motes. Das würde ich eventuell beeiden.

Wehrhahn. Sie würden es auch beeiden müssen.

Motes. Jawohl, Herr Baron.

Wehrhahn. Das beste wäre ja allerdings, wir könnten noch einen Zeugen bekommen.

Motes. Ich müßte mich umsehen, Herr Baron. Nur wirft der Mann so mit Geld herum, daß . . .

Wehrhahn. Ach, warten Sie mal, da kommt schon der Krüger. Ich will doch den Mann lieber vorher abfertigen. Ich bin Ihnen jedenfalls sehr dankbar, daß Sie mich so tatkräftig unterstützen. Man ist darauf geradezu angewiesen, wenn man heutzutage was ausrichten will.

Krüger tritt hastig und erregt ein. Ach Chott! Ach Chott! Chuten Tag, Herr Vorsteher.

Wehrhahn, zu Motes. Entschuldigen Sie einen Augenblick! Hochmütig inquirierend zu Krüger. Was wünschen Sie denn?

Krüger ist ein kleiner, etwas schwerhöriger, fast siebzigjähriger Mann. Er geht schon etwas gebückt, mit der linken Schulter ein wenig geneigt, ist aber im übrigen noch sehr rüstig und unterstützt seine Worte mit heftigen Handbewegungen. Er trägt eine Pelzmütze, die er im Amtslokale in der Hand behält, einen braunen Winterüberzieher, um den Hals einen dicken Wollschal.

Krüger, mit Ärger geladen, platzt heraus. Pestohlen bin ich, Herr Amtsvorsteher. Er wischt sich, verschnaufend, mit dem Taschentuch den Schweiß von der Stirn und sieht dem Vorsteher nach Art der Schwerhörigen starr auf den Mund.

Wehrhahn. Bestohlen? Hm!

Krüger, schon gereizt. Jawohl, bestohlen. Ich bin bestohlen. Man hat mir zwei Meter Holz entwendet.

Wehrhahn, mit halbem Lächeln bei den Anwesenden umblickend, leichthin. Es ist doch sonst in der letzten Zeit hier nicht das jeringste vorjekommen.

Krüger, die Hand am Ohr. Was? Nicht das keringste. Du lieber Chott! Dann steh' ich vielleicht zum Spaße hier?

Wehrhahn. Sie brauchen deswegen nicht ausfällig zu werden. Wie heißen Sie übrigens?

Krüger stutzt. Wie ich heiße?

Wehrhahn. Ja, wie Sie heißen?

Krüger. Ist Ihnen mein Name noch nicht bekannt? Ich denke, wir hatten schon das Vergnügen.

Wehrhahn. Bedaure. Ich wüßte mich kaum zu erinnern. Das wäre schließlich hier auch ganz gleichgültig.

Krüger, resigniert. Ich heiße Krüger.

Wehrhahn. Rentier vielleicht?

Krüger, heftig, ironisch, überstürzt. Jawohl. Rentier und Hausbesitzer.

Wehrhahn. Ich bitte, legitimieren Sie sich.

Krüger. Leg . . . legitimieren? Krüger heiß' ich. Da wollen wir doch nicht erst Umstände machen. Ich wohne seit dreißig Jahren hier. Mich kennt ja ein jedes Kind auf der Straße.

Wehrhahn. Wie lange Sie hier sind, geht mich nichts an. Ihre Identität will ich hier nur feststellen. Ist Ihnen der – Herr bekannt, Herr Motes? Motes erhebt sich halb mit einem bösen Gesicht. Ach so, ich verstehe. Bitte, setzen Sie sich. Nun also, Glasenapp?

Glasenapp. Ja! Zu dienen. Es ist der Herr Rentier Krüger von hier. – –

Wehrhahn. Gut. – Holz ist Ihnen also gestohlen?

Krüger. Ja. Holz. Zwei Meter kieferne Knüppel.

Wehrhahn. Haben Sie das Holz im Schuppen gehabt?

Krüger, wieder heftig werdend. Das ist wieder eine Sache für sich. Das ist eine kanz besondere Klage.

Wehrhahn, ironisch und flüchtig zu den andern hinüberlachend, leichthin. Schon wieder eine?

Krüger. Was meinen Sie?

Wehrhahn. Nichts. Reden Sie nur gefälligst weiter. Das Holz war also wohl nicht im Schuppen?

Krüger. Das Holz war im Karten. Das heißt: vor dem Karten.

Wehrhahn. Mit andern Worten: es lag auf der Straße?

Krüger. Es lag vor dem Karten auf meinem Grundstück.

Wehrhahn. Daß jeder ohne weiteres dazukonnte?

Krüger. Und das ist eben die Schuld des Tienstmädchens. Sie sollte das Holz am Abend hereinräumen.

Wehrhahn. Da hat sie's verschwitzt?

Krüger. Sie hat sich keweigert. Und als ich weiter darauf bestand, da ist sie mir schließlich davongelaufen. Nun werd' ich dafür die Eltern verklagen. Ich peanspruche vollen Schadenersatz.

Wehrhahn. Das halten Sie immerhin, wie Sie wollen. Aber helfen wird es wohl nicht viel. – Ist Ihnen nun irgend jemand verdächtig?

Krüger. Nein. Hier ist ja alles verstohlenes Pack.

Wehrhahn. Vermeiden Sie, bitte, das Verallgemeinern. – Sie müssen mir doch etwas an die Hand geben.

Krüger. Ich werde doch nicht einen Menschen beschuldigen auf jutes Glück.

Wehrhahn. Wer wohnt außer Ihnen in Ihrem Hause?

Krüger. Herr Dr. Fleischer.

Wehrhahn, gleichsam nachsinnend. Dr. Fleischer? Dr. Fleischer? Der Mann ist –? was?

Krüger. Ist krundgelehrt. Ein krundgelehrter Mann, jawohl.

Wehrhahn. Sie beide sind sehr intim miteinander?

Krüger. Mit wem ich intim bin, ist meine Sache. Das kehört auch kar nicht hierher, wie mich dünkt.

Wehrhahn. Wie soll man schließlich da etwas ermitteln? Sie müssen mir doch einen Fingerzeig geben.

Krüger. Ich muß? Du lieber Chott ja! Ich muß? Mir werden zwei Meter Holz kestohlen. Ich komme den Tiebstahl einfach anzeigen . . .

Wehrhahn. Sie müssen doch eine Vermutung haben. Das Holz muß doch jemand gestohlen haben.

Krüger. Wa –? Ja – ich nicht! Ich chanz kewiß nicht.

Wehrhahn. Aber, lieber Mann . . .

Krüger. Wa –? Ich heiße Herr Krüger.

Wehrhahn, einlenkend, scheinbar gelangweilt. Ä! – Na, Glasenapp, protokollieren Sie also. – Was ist denn nun mit dem Mädchen, Herr Krüger? Das Mädchen ist Ihnen fortgelaufen?

Krüger. Ja, chanz kewiß – zu den Eltern zurück!

Wehrhahn. Sind die Eltern am Ort?

Krüger. Was für ein Wort?

Wehrhahn. Ob die Eltern des Mädchens hier am Ort sind?

Glasenapp. Es ist die Tochter der Waschfrau Wolffen.

Wehrhahn. Der Wolffen, die heute bei uns wäscht, Glasenapp?

Glasenapp. Zu befehlen, Herr Vorsteher.

Wehrhahn, kopfschüttelnd. Äußerst merkwürdig! – Diese fleißige, ehrenhafte Person. Zu Krüger. Verhält es sich so? Die Tochter der Wolffen?

Krüger. Es ist die Tochter der Waschfrau Wolff.

Wehrhahn. Und ist das Mädchen zurückgekommen?

Krüger. Bis heute noch nicht zurückgekommen.

Wehrhahn. Dann wollen wir doch mal die Wolffen rufen. He, Mitteldorf! Sie sind wohl sehr müde? Na, gehen Sie mal rüber über den Hof. Die Wolffen soll gleich mal zu mir kommen. Ich bitte, setzen Sie sich, Herr Krüger.

Krüger, Platz nehmend, seufzt. Ach Chott, ach Chott, das ist so ein Leben!

Wehrhahn, halblaut zu Motes und Glasenapp. Ich bin doch neugierig, was da herauskommt. Da muß irgend etwas nicht ganz stimmen. Ich halte nämlich sehr viel von der Wolffen. Das Weibsbild arbeitet wie vier Männer. Meine Frau sagt, wenn die Wolffen nicht kommt, so braucht sie statt ihrer zwei Frauen zum Waschen. – Sie hat auch gar nicht üble Ansichten.

Motes. Ihre Töchter sollen zur Oper gehen . . .

Wehrhahn. Na ja, da mag wohl 'ne Schraube los sein. Ist aber doch kein Charakterfehler. Was haben Sie denn da hängen, Herr Motes?

Motes. Drahtschlingen. Ich bring' sie dem Förster Seidel.

Wehrhahn. Ach, zeigen Sie doch mal her so'n Ding. Er hält eine und betrachtet sie nahe. Da muß so'n Stück Wild nun so langsam erwürgen.

Die Wolffen tritt ein, hinter ihr Mitteldorf. Sie trocknet sich noch die vom Waschen nassen Hände.

Frau Wolff, unbefangen, heiter, mit einem flüchtigen Blick auf die Drahtschlingen. Hier bin ich! Was hat's nu? Was gibbt's mit der Wolffen?

Wehrhahn. Frau Wolff, ist Ihnen der Herr bekannt?

Frau Wolff. Na, welcher Herr d'n? Mit dem Finger auf Krüger weisend. Der hier? Das is Herr Krieger. Den wer ich woll etwa kenn, nich wahr? Guten Morgen, Herr Krieger.

Wehrhahn. Ihre Tochter ist bei Herrn Krüger im Dienst?

Frau Wolff. Wer? Meine Tochter? Jawoll! Leontine. Zu Krüger. Das heeßt: se is Ihn ja fortgeloofen.

Krüger, wütend. Ja, allerdings!

Wehrhahn, unterbrechend. Ach, warten Sie mal.

Frau Wolff. Was habt er'n da eenklich mitnander gehabt?

Wehrhahn. Frau Wolffen, hören Sie mal auf mich. Ihre Tochter muß gleich in den Dienst zurückjehen.

Frau Wolff. I, nee, mer behalten se jetzt zu Hause.

Wehrhahn. Das geht nich so einfach, wie Sie denken. Herr Krüger hat nötigenfalls das Recht, polizeiliche Hilfe anzurufen. Dann müßten wir Ihre Tochter zurückbringen.

Frau Wolff. Mei Mann hat sich's halt in a Kopp gesetzt. Er will se halt eemal durchaus nich mehr fortlassen. Un wenn sich mei Mann amal was in a Kopp setzt . . . Ihr Männer seid halt zu schrecklich jähzornig.

Wehrhahn. Nu lassen Sie das mal gut sein, Frau Wolffen. Ihre Tochter ist seit wie lange zu Hause?

Frau Wolff. Seit gestern abend.

Wehrhahn. Schön. Seit gestern. Sie hat sollen Holz in den Schuppen räumen und hat sich geweigert.

Frau Wolff. Wärsch doch! Geweigert! Das Mädel weigert Ihn keene Arbeit. Das hätt' ich dem Mädel ooch wolln anstreichen!

Wehrhahn. Sie haben jehört, was Frau Wolff jesagt hat.

Frau Wolff. Das Mädel is immer willig gewesen. Wenn die mir hätt' eemal'n Handgriff verweigert . . .

Krüger. Sie hat sich keweigert, das Holz reinzutragen.

Frau Wolff. Ja, Holz reinschleppen, de Nacht um halb elwe, wer das von so an Kinde verlangt – –

Wehrhahn. Das Wesentliche ist nun, Frau Wolffen: das Holz ist draußen liegengeblieben, und diese Nacht ist es gestohlen worden. Nun will . . .

Krüger hält sich nicht mehr. Sie werden tas Holz ersetzen, Frau Wolff.

Wehrhahn. Das wird sich ja finden, warten Sie doch.

Krüger. Sie werden's mir Heller bei Pfennig ersetzen.

Frau Wolff. I, ja doch! Das wär' ane neie Mode! Hab' ich Ihn vielleicht Ihr Holz gestohlen?

Wehrhahn. Na, lassen Sie sich mal den Mann erst beruhigen.

Frau Wolff. I, wenn mir Herr Krieger erst aso kommt, mit Holz bezahlen und solchen Sachen, da hat a bei mir kee Glicke nich. Ich bin zu a Leiten gewiß immer freindlich. Da kann sich kee Mensch ieber mich beklagen. Aber wenn's amal muß sein, warum denn nich? Da red' ich halt ooch amal frisch von der Leber. Ich tu' meine Pflicht, und damit is 's gutt. Da kann mir keener im Dorfe was nachsagen. Uff'm Koppe rumtrampeln lass' ich mir nich!

Wehrhahn. Ereifern Sie sich nur nicht, Frau Wolff. Sie haben durchaus keinen Grund dazu. Bleiben Sie nur immer ruhig, ganz ruhig. Sie sind uns ja nicht mehr unbekannt. Daß Sie fleißig sind und ehrenhaft, das wird Ihnen wohl kein Mensch bestreiten. Was haben Sie also dagegen zu sagen?

Krüger. Die Frau kann kar nichts dagegen sagen!

Frau Wolff. Na nu, ihr Leute, nu schlägt's aber dreiz'n. Is denn das Mädel nich meine Tochter? Da soll ich nischt derzu sagen, hä? Da suchen Se sich ane Tumme aus, da kenn Se de Mutter Wolffen schlecht. Ich halte vor niemand nich hinterm Berge, und wenn's der Herr Vorschteher selber is. Viel weniger vor Ihn, das kenn Se mer glooben.

Wehrhahn. Ich begreife ja Ihre Erregung, Frau Wolffen. Aber wenn Sie der Sache nützen wollen, so rate ich Ihnen, ruhig zu bleiben.

Frau Wolff. Da hat ma nu bei da Leiten gearbeit't. Zehn Jahre hab' ich de Wäsche gewaschen. Mer hab'n uns vertragen de ganze Zeit. Un nu uff eenmal wolln Se aso komm. Zu Ihn komm' ich nie mehr, das kenn Se mer glooben.

Krüger. Das prauchen Sie kar nicht. Es kibt andere Frauen, die waschen könn.

Frau Wolff. Und's Gemiese und's Obst aus Ihrem Garten, das kann Ihn ooch ane andre verkoofen.

Krüger. Das werde ich los, ta ist keine Angst. – Sie hätten bloß prauchen ein Prügel nehmen und Ihre Tochter zu mir zurückjagen.

Frau Wolff. Ich lasse meine Tochter nich schinden.

Krüger. Wer hat Ihre Tochter geschunden, frag' ich?

Frau Wolff, zu Wehrhahn. A halbes Gerippe is Ihn das Mädel.

Krüger. Dann soll sie nicht kanze Nächte durchtanzen.

Frau Wolff. Se schläft wie a Steen a ganzen Tag.

Wehrhahn, über Frau Wolff hinweg zu Krüger. Wo hatten Sie denn das Holz gekauft?

Frau Wolff. Na, dauert die Sache hier noch lange?

Wehrhahn. Weshalb denn, Frau Wolffen?

Frau Wolff. I, wegen der Wäsche. Wenn ich mer hier meine Zeit versteh', da kann ich ooch heite nich fertig wern.

Wehrhahn. Das kommt hier nicht in Betracht, Frau Wolffen.

Frau Wolff. Und Ihre Frau? Was werd'n die sagen? Da machen Se's ock mit der aus, Herr Vorsteher.

Wehrhahn. Es dauert ja nur noch eine Minute. – Da sagen Sie uns mal gleich, Frau Wolffen, Sie sind ja im Dorfe herum bekannt. Wem trauen Sie so einen Diebstahl zu? Wer könnte das Holz wohl gestohlen haben?

Frau Wolff. Da kann ich Ihn gar nischt sagen, Herr Vorschteher.

Wehrhahn. Und haben Sie gar nichts Verdächt'ges bemerkt?

Frau Wolff. Ich war de Nacht erscht gar nich zu Hause. Ich mußte nach Treptow, Gänse einkoofen.

Wehrhahn. Um welche Zeit war das?

Frau Wolff. Gleich nach zehne. Mitteldorf war ja derbei, als mer loszogen.

Wehrhahn. Eine Holzfuhre ist Ihnen da nicht begegnet?

Frau Wolff. Nee, wißt' ich nich.

Wehrhahn. Wie ist's, Mitteldorf, haben Sie nichts bemerkt?

Mitteldorf, nach einigem Nachsinnen. Mir is nichts Verdächtiges uffjestoßen.

Wehrhahn. Na selbstverständlich, das wüßt' ich vorher. Zu Krüger. Wo haben Sie also das Holz jekauft?

Krüger. Zu was müssen Sie denn das wissen? frag' ich.

Wehrhahn. Sie werden das, denk' ich, mir überlassen.

Krüger. Natürlich doch bei der Forstverwaltung.

Wehrhahn. Das ist doch durchaus nicht so natürlich. Es gibt doch zum Beispiel auch Holzjeschäfte. Ich kaufe zum Beispiel mein Holz bei Sandberg. Warum sollten Sie nicht beim Händler kaufen? Man kauft überdies beinahe profitabler.

Krüger, ungeduldig. Ich habe nicht länger Zeit, Herr Vorsteher.

Wehrhahn. Was heißt das, Zeit? Sie haben nicht Zeit? Kommen Sie zu mir oder ich zu Ihnen? Nehme ich Ihre Zeit in Anspruch oder Sie die meine?

Krüger. Das ist Ihr Amt, dafür sind Sie hier.

Wehrhahn. Bin ich vielleicht Ihr Schuhputzer, was?

Krüger. Habe ich vielleicht silberne Löffel gestohlen? Ich verbitte mir diesen Unteroffizierston!

Wehrhahn. Da hört doch aber . . . Schreien Sie nicht so!

Krüger. Sie schreien, Herr!

Wehrhahn. Sie sind halbtaub, da muß ich schreien.

Krüger. Sie schreien immer, Sie schreien jeden an, der hierherkommt.

Wehrhahn. Ich schreie niemand an, schweigen Sie still!

Krüger. Sie spielen sich hier als wer weiß was auf. Sie schikanieren den ganzen Ort.

Wehrhahn. Das kommt noch ganz anders, warten Sie nur. Ich werde Ihnen noch viel unbequemer.

Krüger. Das macht mir nicht den keringsten Eindruck. Ein Kernegroß sind Sie, weiter nichts. Sie wollen sich aufspielen, weiter nichts. Als ob Sie der König selber wären . . .

Wehrhahn. Hier bin ich auch König!

Krüger lacht aus vollem Halse. Ha, ha, ha, ha! Das lassen Sie kut sein, in meinen Augen sind Sie kar nichts. Sie sind'n kanz simpler Amtsvorsteher. Sie müssen erst lernen, einer zu werden.

Wehrhahn. Herr, wenn Sie nicht augenblicklich schweigen . . .

Krüger. Dann lassen Sie mich wohl arretieren? Das möchte ich Ihnen denn doch nicht raten. Das könnte Ihnen kefährlich werden.

Wehrhahn. Gefährlich? Sie? Zu Motes. Haben Sie gehört? Zu Krüger. Und wenn Sie wühlen und intrigieren mit Ihrem ganzen lieblichen Anhang. Sie werden mich von der Stelle nicht fortbringen.

Krüger. Du lieber Chott! Ich gegen Sie wühlen? Dazu ist mir Ihre Person viel zu kleichgiltig. Wenn Sie sich nicht ändern, das glauben Sie mir, da richten Sie so viel Unheil an, daß Sie sich känzlich unmöglich machen.

Wehrhahn, zu Motes. Herr Motes, man muß das Alter berücksichtigen.

Krüger. Ich bitte mich zu Protokoll zu vernehmen.

Wehrhahn wühlt in seinen Sachen. Erstatten Sie bitte schriftlich Anzeige, ich habe im Augenblick keine Zeit.

Krüger sieht ihn verblüfft an, wendet sich energisch und geht ohne Gruß hinaus.

Wehrhahn, nach einer Verlegenheitspause. Da kommen die Leute mit solchen Lappalien! – Äh! Zu Frau Wolff. Machen Sie, daß Sie zum Waschen kommen. – Ich sage Ihnen, mein lieber Motes, so'n Posten wird einem schwer gemacht. Wenn man nicht wüßte, für was man hier steht, da könnte man manchmal die Büchse ins Korn werfen. So aber heißt es: tapfer aushalten. Was ist es denn schließlich, für was man kämpft? Die höchsten Güter der Nation! –

 


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