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Die lilienweiße Stute

Legende

Schnee hatte gelegen.

Um windschiefe Hütten.

Flatternd mit Sturme um kahle, hohe Pappeln.

Um ragende Bauernhöfe.

Um Landschlösser.

Um Burgen im Lande.

Schnee lag auf Dächern von Bürgerhäusern und Adelspalästen in den Städten.

Auf Dächern von Gefängnissen.

Auf Dächern von entblätterten Kaiserschlössern.

Von Parlamentshäusern und Bureaus.

Und innen hatte man allenthalben widereinander geredet: ein jeder gegen jeden.

Innerlich ein jeder Bürger und Bauer, Beamter und Soldat, Herr und Knecht und Verbrecher, Mann und Weib und Kind gegen jeden.

Im dumpfen Winterlichte in der Dorfschenke und in den strahlend erleuchteten Stadtkonventikeln hatte man hart, aber lachend widereinander geredet.

Erkannte an nichts sich.

Nur an dem einen Funken im Auge.

Nur an dem Machthungerblicke des Besiegten.

An dem Racheblicke: daß es endlich Krieg geben müßte wider den Erbfeind.

Vor dem Palais Grand'homme standen in Dunkelnacht, von Fackeln brandrot, unter Schattenhüten und eingemummt, Scharen Neugiergesichter zuhauf.

Drinnen hinter den erglühten, schattenhuschenden Fenstern schäumt üppige Laune.

Uniformen.

Mannstum.

Schwarze Fracks.

Eingestreut bunt unter Lüster von Kronen.

Mannswiderpart und schäumende Kelche.

Eingestreut unter ragende Jugend mit schneeigen Busen und Nacken und scharlachnen Mündern, die ewig feucht glänzen.

Eingestreut unter Frauengelächter im Altton. Und die schwülen Arome seidiger Leiber und erfahrener, lüsterner Blicke.

Und man hatte im Reichtumsschimmer von Diamanten und Perlen und kostbaren Spitzen widereinander geredet.

Erkannte an nichts sich.

Nur an dem einen Funken im Auge.

Dem Machthungerblicke des Besiegten.

Dem Racheblicke: daß es Krieg geben müßte wider den Sieger.

Und der Funke sprang zu den Fenstern hinaus.

Die Diener trugen ihn aus den Palästen auf alle Straßen.

Die livrierten Kutscher fingen den Funken beim Einsteigen auf. Wenn der rauhe Mitternachtswind die rauschenden Frauenkleider im Brandrot der Fackeln blähte.

Das Zöfchen der frechen Baroneß plaudert ihn spitzig ihrem Sergeanten.

Der Hausdiener redet ihn aufgeregt zum Portier.

Der Portier sagt ihn brühheiß dem Schankwirt von gegenüber.

Machthunger, Rache fließt durch alle Gossen und alle Kanäle.

Aller Blut purpurrot und zum Rachestrome vereinigt.

Prickelnd erregt.

Heiß zum Jähzorn.

Herrlich zum Gellen in alle Lüfte.

Volle Einigkeit Ungeeinter.

Tiefstes Verstehen Allunverstandener.

Zärtlichkeit selbst in raubsüchtigen Seelen.

Scheint Liebe, wo Haß ist.

Ist Jauchzen, wo Gier nach Gieren lechzte.

Scheinen sie Brüder, die Selbstlinge alle, die ihre Herren mit den Steinen des Machtwahnes und der Rache ummauert.

Auch über der alten, siegentblätterten Kaiserstadt hatte lange der Schnee gelegen.

Jetzt kommt der Frühling.

 

Kamen immer Tage der Träume.

Der junge Offizier war hart und verschlossen. Und schön und arm.

Ursprünglich einer Gemüsefrau Sohn.

Träumte, was nicht zu greifen war.

Eingehüllt in eine seltsame Helligkeit oft.

Schon als Knabe hatte er sich von Lichtern umsteckt gesehen, wie ein heiliger Waller.

Inbrünstig.

Später ritt er auf Abenteuer zum Ruhme hinaus.

Heimlichen Geistes.

Kam in ein Wunderland.

»Berufen!« schallte es manchmal in seiner einsamen Höhle.

Klang wie mit Geigen und Hörnern oft.

Noch später sah er sich einen, der über den Köpfen der Menschen in Lüften ritt. Männerheere unter ihn strömend wie Flut.

Er selber hoch, einsam, hart und verschlossen. Ein Leben im heimlichen Flammenbrand.

Lebte nach außen prunkend mit straffender Jugend und kurzem Entschluß. Kühner Vermessenheit und jacher Abkehr.

Am Ende war er ein goldgeschmückter General der Provinz.

Und die Weiber gingen wie Blüten im Frühling am Wege zurück.

Da war er verächtlich und lachte bequem.

Steckte sie in sein Knopfloch an seiner besternten Brust beim Bacchanal.

Am andern Tage sangen und klangen neu Fanfaren in Lüften.

Aber jetzt war der Tag gekommen, wo ihm der Liebesrausch endlich ein Ruhmlied von außen girrte.

Jetzt war er in der siegentblätterten Kaiserstadt plötzlich mitten.

Der Loderbrand einer jungen, frühverwitweten gräflichen Eva hatte ihm die Tore der Riesenstadt lachend aufgetan.

Jetzt kommt der Frühling.

 

Staub!

Sonne.

Köpfe ganz unabsehbar.

Münder schreien.

Buben schrillen mit Fingern im Munde.

Surren.

Pauken.

Ewiger Wirbelschlag.

Panzer rasseln.

Rollen Kanonen.

Schritte stampfen von je Zehntausend.

Schwanken Regimenter mitten im Staube.

Schwer.

Monoton.

Es ragt zu Pferde.

Neues Gejohl.

Hunderttausende drängen sich ineinander durch staubige Heißluft.

Man zerrinnt in Schweiß.

Man streckt sich auf Zehen.

Man dehnt sich hoch.

Augen sind wehrlos hingegeben.

Offen die Mäuler.

Man gellt und lästert:

»Hurra … Hurra … Hurra …«

Betäubendes Brüllen.

Ordonnanzen jagen vorüber.

Gelände … ganz unermeßliches.

Die Pferde berühren den Boden nicht.

Betäubendes Brüllen:

»Hurra … Hurra … Hurra …«

Kürassiers tänzeln jetzt im flimmernden Staubkreis.

Glitzern und funkeln, wie Sonne zückt.

Nimmt auch der fernste Jubel jetzt Rhÿthmus an.

Oooooh … voran eine hellerlichte, rauchsilberne Stute.

Ein himmlischer Bote in Pferdegestalt.

Ein Lichtpferd aus Eden.

Lilienweiß.

Tänzelt in Lust nach den hellen Fanfaren.

Gewichtig wogt der gewaltige Heerhauf dem Lilienpferde hinterdrein.

Gemessen das tausende Pferdegetrappel.

Tränen kommen mit Schweiße der Stirn in der Hunderttausende gierige Augen.

Jungpferd aus Lichtland!

Das weiß zu schwenken!

Das weiß zu schillern!

Das weiß im Erdenstaube den Erzheld zu tragen!

Dunkelkastanienbraun Auge.

Der Spitzbart.

Kühn und stolz diesen jungen, kühnen, goldstrotzenden provenzalischen Mann.

Singenden.

Heimlich.

Der Held, der singt.

Ja, man fühlt es: der Erzheld singt.

Stechend.

Sicher.

Mit Falkenblicken.

Jetzt gehen um ihn Heere von Helden in Lüften.

Singt in Ebene und Himmel voran.

Zieht den Pallasch.

Herrliches Fest!

Lilienweiße Stute, die ewig lächelt.

Heldischer Reiter, der stählern Triumph singt.

Alle horchen dem Racheliede.

Alle sehen im Staube gezückt den Stahl.

Symbol wächst im Sonnenflimmern über die Heerhaufen riesengroß.

Unermeßlich Gejubel brandet.

Ein einiges Hunderttausende-Jauchzen:

»Hurra … Hurra … Hurra …«

Kindlich hatte der provenzalische Mensch den Kopf in die Lüfte gehoben, als ob auch er horchte.

 

Schatten und Finsternisse und Sterne.

Riesenstadt schwimmt im illusteren Nachtglanz.

Rauschbilder jagen durch aller Blut.

Auf dem Kalvarienhügel der Hauptstadt in Künstlerspelunken Sängermünder singen von lilienweißer Stute und ihrem Reiter.

Ölige, schwarze Strähnen umhängen die bleichen Angesichte.

Weinen und johlen um Sieg und Rache.

In den Theatern tänzelt die lilienweiße Stute und ihr strahlender Reiter dem Mimen von seinen pfiffigen Lippen.

Parketts und Logen alle von hellerlichter Legende durchflüstert.

In der Galaoper prunkt der Bürgerpräsident und die führenden Frackherren.

Die Gesichter ganz steif.

Lang geworden.

Als könnte unversehens auf lilienweißer Stute der schimmernde Reiter und die siegerraffende Rache auf der Bühne wieder erscheinen.

 

Und der Erzheld.

Ehedem von Lichtern umsteckt wie ein heiliger Waller.

Thront er schon jetzt über Männerherden?

Gingen in den Lüften um ihn schon jetzt Heere von Helden, wie Wolken um einen Kondor ziehen?

Zerfressen nach Glanze.

Errötet vor sich.

Immer wieder.

Spricht zu niemand.

So stockt sein Herzschlag.

Winkt es hinauf in das Lichtmeer des Thrones?

Das Volk hatte Träume der Devotion.

Er muß es im Bürgerkleide ergründen.

Durch alles Johlen der Straßen, durch Lachen, Reden, Geflüster flüstert die Legende von der lilienweißen Stute und ihrem Reiter windleicht.

Aufgetürmte Kokotten tragen die Legende vorüber.

Unkenntlich allen noch der Provinzgeneral.

Er nun im Schein von Laternen wie eine Dirne.

Lauert vor Tanzlokalen.

Vor vornehmen Konventikeln, worein Edelleute in hohen Seidenhüten und hellen Gamaschen mit Worten von der lilienweißen Stute und ihrem Reiter verschwinden.

Er ohne Ruh.

Stunde um Stunde.

Endlich flackern Fackeln brandrot voraus.

Der Bürgerpräsident aus der Galaoper fährt bereits heimwärts.

Worte fliegen aus der seidigen Schale des Wagens heraus.

Worte von der lilienweißen Stute und ihrem Reiter.

 

Und im Eßzimmer der jungen, gräflichen Dame, ganz einsam, fällt von der Meißener Krone reiches Kerzenlicht stumm auf den Silberkorb mit blutroten Früchten.

Madame hat dem jungen, kühnen, schimmernden Reiter entgegengefiebert.

Madame hat das Mahl gar nicht angerührt.

Hockt bitterlich weinend im Seidenbette.

Ruft unter Tränen:

»Sendbote … Sendbote … himmlischer Sendbote … du bist berufen!«

Zum ersten Male ruft jetzt ein lebender Menschenmund in sein Ohr: »Du bist berufen!«

Der Überspannte weint und schluchzt auch.

Preßt sein Pechhaar an ihr lockendes, perlhaftes Busenfleisch.

Über dem jettschwarzen Mannskopf beginnt girrendes Kichern, wie Tauben kichern:

»Rache … Rache!«

»Oh, lulle mich ein!«

»Und dein Götterpferd … wie vom Himmel gesandt!«

Seine Herzschläge beben.

»Oh, lulle mich ein!«

Und liegt jetzt der Erzheld an zimtduftenden, kühlen Brüsten der Machtsucht und Rachsucht, die Zukunft bestaunend.

 

Und die Felder werden jetzt sommergrün.

Der Himmel unausmeßbar ins Lichte wesend.

Dasein verrinnt, hell schwebend wie Engel in Wolkenchören.

Vergessenen Wintern ist alles entronnen.

Über dem honigströmenden Sommertreiben liegt der Glast süßer Fruchtbarkeit harter Steine.

Und die Steine singen den Halmen.

Die Halme singen dem triefenden Weidenbaum.

Der Weidenbaum singt dem verstreuten Wonngold.

Zückende Strahlen singen dem Auge des Blindwühlers, das längst verdorrt ist.

Alles verrinnt ineinander im Fest.

Und ihr, o Menschen! seid auch geweckt im Gewaltstreich: Liebe zu Liebe zu bringen. Jeder jedem.

Weite Schwaden stürmen von den Sensen der Schnitter.

Heuduftend.

Blaßblau.

Gelb.

Kleerot.

Silbern.

Bunte Fruchtbarkeit quillt jetzt wieder.

Üppiges Mähderglück.

Bis hin zu dem Waldsaum, wo Lindenkuppeln von Ernteliedern der hunderttausend Bienen umfangen ragen.

Wo Kinder sich jagen.

Lämmer saugend unter den Mutterschafen knien.

Freundwillig alles wie Gottgeschenke.

All Hand in Hand.

 

Aber die lilienweiße Stute und der schimmernde Reiter sind unterdessen in Vision an den Himmel gemalt.

Schier riesengroß in den Lichtkreis über den Ebenen und den Bergen des besiegten Reiches.

Monument über Häupten.

Der Erzheld hoch die lohende Rache in seine Hände geklammert, wie eine von Sonngold brennende Fackel.

Das wimmelnde Volk, wo er im Lande sich zeigt, jedesmal in unerhörter Umwühlung.

Blutig gepeitscht von dem Hunger nach Sieg und Rache.

Auftrotzend fuhr der Bürgerpräsident nach einem Sommermanöver, fuhren die Frackherren der Regierung in die verwelkte Kaiserstadt heimwärts.

Zitterten alle.

Redeten nur vom Verrate am Bürgerreiche.

Hatten sich glücklich noch während der letzten Manöverparade bezähmt.

Hatten ihren persönlichen Haßzorn stumm in sich heruntergewürgt.

Nur gnädig die Seidenzylinder geschwungen.

Sekretäre begleiteten gleich den Bürgerpräsidenten hastig ins Innere des alten Kaiserpalastes.

Heimliche Sitzung.

»Betrug und Blendwerk!« wütete flüsternd der Präsident.

Während die Frackherren ihm die Worte vom Munde saugten.

»Wir laufen im Frack …« schrien die Frackherren hitzig dawider.

»Fort mit dem glänzenden Kaiserspuke!« schleudert der Präsident die Worte speiend aus seinem Munde.

»In die Provinz zurück mit dem Gaukler!« schrien die Frackherren hitzig dawider.

Zischelte giftig jetzt auch der Präsident, indes seine Lippen noch immer und seine Kinnladen ruhelos flattern. Und der Blick des Irrsinns scheu die Wände absuchte und alle Ecken.

»In die Provinz mit dem Scharlatan!« schrillten die Frackherren.

Bis der Entschluß, von der Macht unterzeichnet, verfügt war.

 

Da war es soweit.

Die Gassenrüpel pfiffen mit allen Fingern aus allen Mäulern.

Gellend wie Rachestiche stachen die Pfiffe durchs sinnlos umwirbelnde Volk.

Die tänzelnden Damen mit Hündchen im Arm stiegen empört aus ihren Karossen.

Die Huren stelzten gespannt auf Absätzen lang wie Stöcke. Triefende Seidenflitter frech gehoben. Die Schminke im Zorne doppelt aufgetragen. Die Augen aus Chinatusche unterlaufen und süchtig einen anspringend.

Die Fischweiber der Hallen knarrten und polterten gegen die Bürgerregierung, wie laute Karren mit Kartonnagen.

Die verwelkte, siegentblätterte Kaiserstadt jetzt ein Aufruhr.

Der Bürgerpräsident hockt jähzornig hinter den Mauern des einstigen Kaiserschlosses und ist gefaßt.

Die Regierungsherren sitzen ein jeder an seinem Druckknopf, Regimentern sofort Befehle zu geben.

Auf der Straße gilt heut nur Uniform.

Um Prunk und Soldaten rinnt das Volk, wie hungrige Hunde um einen zerschlagenen Fleischtopf.

Flüche gegen die Bürgerregierung erfüllen die Luft aller Gassen und Winkel.

Im Blute jedes Eckenstehers und jedes Friseurs und seiner vornehmen Kunden tobt der Machthunger und der Schmerz.

Erkannte an nichts sich.

Nur hohles Höhnen fegt im Winde.

Haßzorn durchgellt die Atmosphäre gegen die ledernen Bürgerherren.

Equipagen mit vornehmen Edelleuten fuhren blendend zum Bahnhof mit Mienen des Abschieds.

Alles ging schrillend durcheinander.

Um alle Hausecken harrten rachebegeisterte Augen der lilienweißen Stute und ihres Reiters.

Heimlich am zeitigen Morgen hatte man das lichte Götterpferd mit karierten, englischen Decken völlig vermummt, eingehüllt noch in Friese die feinen Beine und Fessel, längst schon einsam zum Bahnhof geführt.

Auch die gräfliche Dame saß schon tief verschleiert in einem Waggon. Die Fenster verhangen.

Draußen kämpften schon richtig Kämpfe.

Wettete man.

Freute sich diebisch.

Von den äußersten Grenzen des Häusermeeres schwoll und quoll der Haß und die Rache durch alle Straßenschlunde zum Bahnhof.

Für Gott aus der Höhe gab es ein quirlendes Spiel zornmütiger Strömung.

Bis im geschlossenen Phaethon jach und kühn der schimmernde Reiter vor die Rampe fuhr.

Da kam der Moment, wo der Irrsinn plötzlich sein Ziel fand.

Da griff der Irrsinn gleich machtbegeistert den gezeichneten General in Krallen und Arme.

Schwenkte ihn hoch in die Luft.

Johlend die frechen Weiber, die Blumen streuen.

Flattern gleich hunderttausend Tücher, als wollte alles in Tränen schwimmen.

Die Männer gellen beständig: »Hurra!«

Die alten Machtgeschlechter harren in Devotion am Eingang

…………………………

Nein, der General ist dem wirren Getümmel noch einmal entkommen.

Jetzt ist erst Treibjagd.

Kokotten huschen fleddernd wie Vampirleiber an andere Stellen voraus.

Die Zuhälterlümmel, wehend wie Schrecken hinterm Verbrecher.

Es geht durch den Bahnhof.

Man wird auch in einem Güterwagen der lilienweißen Stute plötzlich gewahr.

Großäugiges, seidenglänzendes Edeltier, das sanft herausstaunt.

Schwenkt und schüttelt nur sanftmütig seinen silbernen Kopf und die seidige Mähne.

Kampf mit Stöcken und Schirmen tobt bald um die lilienweiße Stute und ihren Reiter.

Die Maschine zieht an.

Die gräfliche Dame, heimlich durch die Gardine spähend, hofft doch Befreiung.

Aber die Meute hat den Maschinenführer gepackt und heruntergeschleudert.

Andere junge und alte Schreckensgesichter ketten schreiend die Wagen los.

Der reisebereite, dunkle Mann ist längst über die Gleise weiter karjohlt.

Springt in blitzender Uniform in gewandten Sätzen kühn wie ein frecher Schusterjunge über die Weichen.

Stürzt.

Torkelt.

Weiter, nur weiter!

Endlich verschwunden.

Gleich unauffindbar.

Da ist der köstliche Spaß der Rächermeute mit ihrem Spielhans plötzlich aus.

Das Tohuwabohu brüllt vor Lachen.

Die Atmosphäre ist herbstbunt und flüchtig.

Die blöde Lebenslust grenzenlos.

 

Und den General hatte man nach einer Viertelstunde Hetzfahrt, unter den Kohlenkitteln des Maschinisten verkrochen, vom Feuerloche der Lastmaschine heruntergeholt und endlich in einen vornehmen Wagen gesetzt.

Mit Windeseile raste der einsame Wagen jetzt in die Provinz.

Der kaum noch irrsinnsumtobte, provenzalische Mann wacht oder schläft in verworrener Stille.

Sein Kinn hängt herab.

Zerfurcht die Züge wie ein Gefolterter.

Stöhnt und zermartert sich noch.

Machthunger, Rache, Ruhm zerpeitschen einsam sein Blut.

»Kaiser sein!« lallt es.

»Volkesstimme!«

Der Teufel heult höhnisch:

»Gottesstimme!«

Auch Weibervolk kreischt dem Gefolterten noch im Ohre. Aufschrillend jäh nach brünstiger Mannheit.

Er kann nichts wehren.

Schließlich schlief der genarrte Mann.

Feuchtigkeit floß ihm beständig vom Munde.

Zerrüttet und krank nach Kaisersüchten.

 

Nur in der lieblichen, gräflichen Eva innerem Auge, die wie eine Sphinx jetzt verschleiert im Salonwagen dem in die Provinz gehetzten, göttlichen Volksliebling nachfährt, bläst sich einsam ein Luftschloß auf.

Goldene, perlmutterschimmernde Meermuschel, groß wie der Ozean, trägt sie.

Mitten im Wogenprallen auf einsamen Felsen thronend. Wie Kwannon drapiert in weitem Purpur.

Kaiserin oder gar Göttin!

 

Der General jetzt neu eine Stufe erhöht.

Aber ohnmächtig in der Provinz.

Nicht mehr weder Rächer noch Kaiserhoffnung.

Nur die Sehnsuchtsschreie der Presse hallen von der verwelkten Kaiserstadt ferne her.

Der General einstweilen nur in wilder Betäubung.

Liebt die gräfliche Eva zum Zeitvertreibe wie ein nackter Jüngling im ersten Rausche.

Sinnverwirrt liebt er die Furie Rache und Ruhm.

Sie in südlicher Leidenschaft ganz zerpflückend.

Sie immer schöner unter den Gieren provenzalischer Träume.

Liebt dieses machthungrige, glanzhungrige, zimtduftende, lieblichste, weichste Weib, wie das Lichtmeer des Thrones und die jauchzendste Rache selber.

»Gehe heimlich!« flüstert die liebende Dame, wie die Liebe sanft flüstert.

Heimlich fürchtet sie doch noch ein wenig die Bürgerherren.

Aber eines Tages reist dann der General als tollverkleideter, fremdbebärteter, verkniffener Händler zur stillen Beratung.

Niemand kann den Zusammenhang ahnen.

Auch die alten Marquis und Marquisen in der tosenden Riesenstadt sehnen sich nach dem Lichtmeer des Thrones.

Große Bankiers schleichen von rückwärts durch Obstgartentüren und Winkelflure.

Flüstern verstohlen.

Zynische, machthungrige Grimasseure des alten, ewigen Herrscherwahnes flüstern über die Schultern welker Würdenherren, Hände sich reibend in die Verschwörung.

Man kennt das Volk.

»Klingende Spiele!«

»Prunk, nur Prunk!«

»Straßenaufzüge!«

»Haß und Rache!«

Aus allen Truhen mit köstlichen Wappen.

Aus den tiefen Goldkellern geschichteten Reichtums.

Aus allen Bureaus politischzerfressener Rechtsanwälte, die die Hände in allen brodelnden Töpfen haben, fließt Gold.

Heimlich in Strömen fließt Gold.

 

Die Weinhänge in der fernsten Vorstadt waren Blut und verblätterten blutrot.

Johlende Menschen schwelgten im Most.

Kinder und Frauen hatten Trauben am Munde.

Alles sang Rache.

Erkannte an nichts sich.

»Rache! Rache!«

Auf den Exerzierfeldern mitten im Weichbild der siegentblätterten Stadt Herbstströme frischer, neuer Soldaten.

Blitzte alles.

Gellte gleich alles von vornherein.

Mitten in glänzender Herbstparade.

Erschien zum Erstaunen auch die himmlische Stute wieder … der göttliche Reiter!

Frechheit pflanzte sich gleich von Mann zu Mann.

Der Präsident zerspaltete mit seinem Sechserzuge die faustballenden Horden mit Teufelsfluge wie sinnlos.

Die Bürgerherren der Regierung entkamen in flatternder Flucht.

Die Soldaten umringten jauchzend den göttlichen Reiter.

Der Massensturm tobte gleich sinnlos Rache.

Die weiße Stute stieg wie mit Flügeln.

Umkrächzt von Hunderttausenden Racheschreiern.

»Es lebe der Retter!«

»Es lebe der Kaiser!«

Parade gleich ein greuliches, tobendes Chaos.

Junger Janhagel vorstoßend.

Zerstieß und verjagte lustig die Bürgerherde.

Weiber zeterten.

Vorströmend mitten in Unheilsgewitterflut.

Der neue Rächer, der neue Retter, der neue Kaiser, getragen über den Köpfen.

Die lilienweiße, himmlische Stute möchte sich schier dem Boden mit ihrem neuen Kaiser entreißen.

Selber hoch über dem Meere von Menschengesichtern.

Schwankt und tanzt sie.

Schwankt und tanzt er.

Von ehernen Armen und Schultern immer jäher umstürmt und höher gehoben.

 

Aber der Bürgerherr im innersten Lichthof blickt Feuerfunken von einem Altan herab.

Gibt endlich Befehle.

Unbarmherzige.

Letzter Not.

Einige Frackherren sind noch im Schornstein verkrochen.

Endlich dröhnen Kanonenschläge vom siegentblätterten Kaiserschloß her.

Der neue Kaiser ganz eingekeilt.

Seine Befehle schnappen im Jähzorn über.

Der Hochmoment.

Diesen einen Augenblick Kaiser.

Alles brüllt.

Kugeln fliegen.

Verzerrte Gesichter tauchen aus fuchtelnden Gliedmaßen und qualmendem Rauche.

Alles jetzt ist Hölle, Irrenhaus, Brandung.

Soldaten in Reihen marschieren noch an.

Aber Salven zerreißen schon klatschend den Aufruhr.

Janhagel gellt schon wie am Spieße.

Tote in Schwaden.

Gemäht vom Schnitter.

 

Die lilienweiße Stute mit goldpaspelierter Purpurschabracke und steinreichem Zaumzeug ist unterdessen einsam in eine ferne, verlassene Nebengasse geirrt.

Mit dem Haupte schwenkend.

In sich sinnend.

Ein kleines, zärtliches Straßenmädchen hat das sanftlachende Edeltier an der schäumenden Silberkandare ergriffen und weiter hinaus in die Freiheit geführt.

 

Der General war wie eine Tauchente bald in dem Aufruhr untergetaucht.

Die zu Tode erschreckte, todbleiche, gräfliche Sphinx saust in einem gemieteten Wagen unkenntlich seiner Spur hinterdrein.

In Brüssel im Englischen Hofe erscheint dann ein vornehmes, südliches Paar.

Gemachten, vornehmen Namens.

Das Paar sitzt beständig bleich und gelangweilt im Café im alten Rathaus.

Durchhastet Zeitung um Zeitung.

Liest immer neu:

»Der Bürgerstaat ist wieder gerettet.«

So war zu lesen in allen Zeitungen bis in die kleinsten Winkelblätter.

Wochenlang.

Ehe über der alten, siegentblätterten Kaiserstadt allmählich in fernen Wolken die lilienweiße Stute und ihr strahlender Reiter ganz erblaßten.

Die Komödie war aus.

 

Die Blumen der Brüste welkten an der jungen, gräflichen Dame im Gram.

Die Lippen zogen sich hart zusammen.

Der Nachhall Galle und Bitternis und Absinth.

Die flammende Geliebte vergilbte von kranker Leber.

Wurde graugelb wie runzlige Quitten.

Starb nach Monaten hin.

Die Ströme Hilfe aus allen Quellen strömten jetzt Hohn.

Die Komödie war aus.

 

Und der zum Lichtmeer des Thrones hochgeträumte General nur noch ergrauter Dandy.

Schlotternd.

Gespreizt.

Monokel.

Gebeugt wie ein vermagerter Bettelgreis.

Konnte die Rechnung im Englischen Hofe nicht mehr begleichen.

Von Ruhmjagd und Rachespiel ausgeschöpft.

Stierte seherisch in seiner eigenen, dunklen Höhle ewig das Volk an, das alle Räume der Seele mit Haß und Rache und Gifte ausgefüllt.

Irrsinnig vor sich hin.

Legte eines Tages die Mündung des kurzen Revolverlaufs doch noch sicher auf die eigene Stirn.

Sank auf dem Grabe der kichernden Rachefurie in verwelkte Kränze.

Die Komödie war aus.

 

Irgendwo!

Sonngolden flutet und glutet und glimmert von Aufgang her die nachtgraue Erde.

Ein nahes Sumpfauge spiegelt.

Ganz aus flüssigem Golde gemacht.

Einsame Rätselblume, Gauklerblume, riesengroß, bleich, schwenkt beständig über dem Tümpel.

Lilienweiße Mutterstute, ein silberner Seidenglast, jäh erwacht auf die Beine gesprungen, von tauiger Weide, blickt gen Aufgang hin.

Füllen, rahmweiß, seidig, gespenstig erschreckt von der am Rande der Erde rollenden Sonnenkugel.

Stoßweise schnaubend, galoppiert gen Mitternacht hin.

Blendend bunte Schattenrisse von Tieren, aus Finsternis her, aufwachende Seelen, ferne nach Abend, schreien der glühen Freiheit entgegen.

Irgendwo!

Wo Menschen nicht wohnen.

Wo der himmlische Vater selber der Hirt ist.

Das sanfte, lilienweiße Mutterpferd im tosenden Hordengetümmel der Menschen einst festlich gesattelte, triumphale Siegerin.

Unter ruhmhungrigen, machthungrigen, goldhungrigen Reitern einst tänzelnd und steigend.

Nie hat das Edelpferd dem seidigen Füllen von den siegentblätterten Kaiserstädten der Menschen erzählt.

Nie von der Rache unter den Horden.

Wiehernd geht jetzt auch aus den zitternden Nüstern Freiheitsklang in den Morgenwind.

Das Füllen kennt nicht Gurte und Stricke.

Bandenlos frei.

Lacht nur vom Leben.

Trollt hin und steigt und spielt mit den Lüften.

Und lacht den Mutterrufen entgegen.

Wer kann alle den Seelen, in Sonnenauferstehungsfeuer getaucht, von Menschen sprechen.

Alle staunen jetzt groß in die Sonnenkugel.

Umfangen den Glanz.

Umfangen die einsame Morgenerde.

Schmecken und jauchzen das Morgenfeuer.

Dünken sich Wind.

 


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