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Des Kaisers Liebkosende

Legende

Der neuerstandene Kaiser war ein junger, vornehmer Herr. Die verwöhnten Herrschaftsmenschen in Paris fühlten wieder eine goldene Sonne, um die sie in ihren Würden und ihrem Geschmeide sich drehen konnten.

Die Straßengänger schrien sich jetzt die Lungen aus, wenn der neue Herr im goldenen Glaskasten mit dem steigenden Sechserzuge in Braun und Golde aus dem riesigen Eisengitter unter die Menge fuhr.

Blendendschön schien allen die junge Kaiserin. Von gravitätischer Schöne. Eine Spanierin. Immer geschmeideblitzend. Eine Haartour, die den Hinterkopf hochdehnte wie eine Zwiebel. Pechschwarz. Mit Perlen belegt in zwanzig Runden. Augen große Karfunkel. Sicher wie die eines Engels, der trotz Tiefdunkel nichts zu verbergen hat. Obwohl die heimlichen Feuer ihres südlichen Blutes hitzig waren. Und in den Augen die Ungnade aufbrennen konnte. Sengen konnte, wenn die Kaiserin unter den hohen Würdenmenschen Cercle hielt. Ein einziges Wort töten konnte, wie die Hand einer Bäuerin jäh eine Staubfliege eindrückt. Plötzlich kalt und fern im flammendurchglitzerten Raume ragen konnte, wie nur von Gotte zum Anstaunen und Anbeten hingestellt.

 

Hoffest heute.

Der junge Kaiser mit dem stechenden Zwickelbart und dem stechenden Schnurrbartswulste unter der echten Napoleonsnase erschien im dunklen Frack mit hellen Hosen und dem geschmeidigsten Schuhwerk, eng wie das eines Jünglings.

War wie ein Courmacher um die junge, spanische, kaiserliche Frau herum. Überbot sich nicht weniger an kühnen Blicken unter die der Hulden harrenden, blendenden Frauenscharen in den weiten Sälen. War galant, als wenn er ein Amorknabe selber wäre. Täppisch stolpernd aus Übermut. Gar nicht wie auf Spiegelparkett. Als wenn er wie der Seiltänzer über einen ganzen Jahrmarkt voll Maulaffen über alle die demütig beglückten, aufschauenden Köpfe hin balancierte.

War in einer allzeit bestaunten, lichtüberladenen Jahrmarktsstimmung.

War das Genie des Glanzes.

Schwebte, Herr über alle Herren.

Heimlich auch Herr über alle Damen.

Wußte und kannte alle Wege.

War ein Bewahrer geheimster Schlüssel.

Konnte alle Augen in süßeste Jugend legen.

Konnte mit einem Blick die unerfahrenste Unschuld lieblich zur schämigen Blüte erster Begehrung wecken.

Und spielte heute wie einer, der über alle Dinge launig hinwegsieht.

Mußte heute in allem Glanze und aller Tändelsucht über die tausend Busen und Nacken und Wangen und Purpurmünder und Blicke und Diademe hin nur immer wie arglos suchend erscheinen.

Weil eine Tigerin zum Sprunge bereit im Raume saß. Eine Tigerin, beständig lauernd, plötzlich hervorbrechen könnte. Ihm an den Hals springen. Ihn und nur ihn anspringen könnte. Den jungen Kaiser. Rücklings oder gleich mit speiendem Hasse in die Augen hinein. Ihn, in seinem ganzen Kaiserglanze, als Herrn mit Seidenhut und Atlasgamaschen, mit dem großen Silberstern an der Brust, hineinstoßen könnte, ganz demoliert, unter ein flüchtendes Menschenwirrsal.

So in dieser Stunde spielend und tändelnd, und heimlich doch wie gehetzt, war der junge Kaiser an diesem Abend beständig. Denn Fräulein Marguerite Bellanger, eine Schwester der Huldinnen, war zum ersten Male heute aus den Gefilden der Seligen persönlich in den kaiserlichen Festsälen zum Vortanze erschienen.

Der jungen Kaiserin tobte an diesem Abend richtig das Herz. Die Blutwellen schossen wieder und wieder in die Perlenfarben des schönsten Halses. Ihre Blicke in Jett hatten Gluten, die die Augen noch größer machten. Ihre Gestalt schien an diesem Abend noch kaiserlicher und steiler. Unbarmherziger noch die Schläge des Pulses an der marmornen Stirn. Die Haartour erhob sich und drohte mit ihren Perlenbehängen wie ein strenges, heiliges Sinnbild.

Und die junge Kaiserin ersann zum Schein ihrer Hingebung äußerste Prunkworte, um das göttliche Tanzspiel dieser Marguerite Bellanger zu überglänzen.

Sie beeiferte sich, als begriffe sie nicht, daß der junge Kaiser so kalt blieb.

 

Und Marguerite Bellanger tanzte.

Sie tanzte in Licht und Diamantengefunkel.

In der Fülle von Seiden und Diamanten und staunenden Augen wie aus der Höhe.

Ihre keuschen Blicke waren wie eingekapselt. Behangen. Von silbernen Dächlein behütet.

Die Wangen Milchtau mit Tropfen Blut.

Und dieser bogig zögernde Mund ein zärtliches Beten um die Gnade des jungen Kaisers. Nur um dieses Eine.

Und auch wie ein flüchtiger Renner, den nur der Kaiser allein und ein paar sichere Spione fortspringen sahen in alle Himmel, floh ihr Siegblick. Übereilte die junge, noch in Verwirrung und Seligkeit und schon in heimlichem Hasse aufkochende Kaiserfrau.

O diese Jugend in himmlischen Tanzgebärden! Diese unangetastete, perlenfarbige Frucht des Menschenleibes! O diese selige Atemhast, die wie Honig duftet! Solch überschäumende Seele spielend noch in die Winde gestreut! Wie mit goldenen Schlangen den Raum durchwirkend! Alle Augen durchwirkend! Aller strömendes Blut durchsehnend!

 

Marguerite Bellanger war schöner noch als die Kaiserin.

Goldbraun das Haar. Mit blauen Spangen gehalten.

Augen aus Meerglanz, wie am azurendsten Tage das südlichste Meer ist.

Nichts sonst im Spiele, als wäre Daphne fliehend.

Ängstlich vom Gotte gejagt.

Plötzlich in Lorbeerbaum und Blattgeflitter kaum verwandelt. Doch längst schon wieder das lieblichste Freiakind, das neckisch entspränge. Seliger wie die schwebendste Göttin …

 

Nach dieser Nacht schon hatte die dunkle, junge Kaiserfrau ächzende Träume.

 

Der junge Kaiser kannte die dunkelsten Nächte von Paris.

Die geschlossene Kalesche, die mit Stummheit die Straßen entlang schwebte, bog um die Ecke in die Jagdstraße ein.

Marquis de Rambouillet hat den Weg bestimmt.

Man wußte zuerst nicht, wo Marguerite Bellanger wohnte.

Wie man eintrat in kleine, feine, aber bescheidene Räume, die nicht ohne echtes Gefühl ineinandergeschoben und ausgeziert waren. Ganz wie es sich ein köstlicher Mensch von großer Jugend ersehnt. Da wußte auch diese zarte, gar nicht erstaunte Mademoiselle durchaus nicht, daß dieser Herr der Kaiser war.

Sie sah es mit Staunen. Ganz ohne Schreck.

Sie deuchte himmlisch, wie sie es hinnahm.

Auch diese Nachtzeit dünkte ihr nichts.

Sie lachte darüber, als der Kaiser sie bat, sie möchte vergeben.

Sie stand hochgereckt wie jemand im Panzer.

Die argloseste Linie floß mit ihrem geschlossenen, bunten Seidenspitzengewande von ihren Schultern.

Die vollen, goldbraunen Haare hingen in offenen Zöpfen zu Kränzen gewunden wie fallende Ringe in ihrem Nacken.

Ihre keuscheste Mädchenspröde kicherte lieblich in der Luft.

Der junge Kaiser wagte gar nicht, um Gnade zu bitten.

Er sperrte alle Dränge des tyrannischen Blutes wie ungezähmte Tiere in seine verborgenste Seele hinein.

Besah behutsam die junge Tänzerin.

Horchte andächtig auf ihre flüchtige, kindliche Rede.

Machte nur dann und wann Andeutungen, daß auch ein Kaiser ein Mensch sei.

Daß sie wohl von Gottes Palaste gekommen sein müßte. Noch höher geboren als er.

Daß sie sicher dem Göttervater die Sinne berückt. Und der sie wegen der eigenen Ängste unter die irdischen Menschen verstoßen.

Umblümte sie, daß sie jetzt ewig lachte.

Daß sie dem Kaiser scheu zum Kusse die unbeschreiblichste, sich lang verspitzende, welligste Gnadenhand hinhielt. Und dann scheu nickte, als der Kaiser im Überschwang von Herrlichkeiten erzählte, die er um ihre nie gesehenen Grazien spenden wollte. »Um ihr tiefster, ergebenster Sklave zu sein.«

So sprach er.

Diese Worte spannen in Marguerite Bellanger wie ein atembenehmender Rausch.

So daß sie es gar nicht mehr hatte merken können, wie der Kaiser ihr Stirn und Lippen plötzlich geküßt, als er endlich hinaus war.

Nur Stirn und Lippen. Nur dieses Eine.

Der Kaiser selber wie junge Erlösung im Blute.

Als wenn er die Freuden erster, duftigster Erdenliebe in himmlischer Fremde ohne Sinn und Namen genösse.

So seltsam können die Süchte des Menschen die irdischen Dinge im Kreise drehn.

 

Marguerite Bellanger erwachte. Und war eine andere. Sie wußte ganz neue Dinge.

Am Kaiserhofe war immer noch Frieden.

Der Kaiser hielt heute morgen Parade.

Ein gold- und sterngeschmückter Kriegsmann ritt er an der Spitze von Regimentern.

Die Kaiserin lag im Seidenwagen wie in einer goldenen Schale. Purpursamt in großer Linie überm Haupte gebogen, ragte sie hart und triumphierend über der Menge.

Bürgerströme umheulten jubelnd das von acht Prunkschimmeln gezogene, freie Gefährt.

Als der Kaiser sich mit seinem triumphalen Pferde tänzelnd vor die Garde bewegte, den Säbel kühn der Scheide entzückend, stieg das Geschrei im weitesten Umkreis.

Die junge Kaiserin sah heute streng und höhnisch aus.

Kein Pariser hatte sie heute lachen gesehen.

Einzelne in der Menge begannen die jungen, spanischen Züge zu bereden.

Ein alter, verbissener Republikaner schrie ganz laut: »Na, na … die Hohe sät heute Giftblumen unter die Menge!«

Aber der Kaiser war der galanteste aller Kaiser.

Ein wahrer Bonvivant.

Sein blinkender Säbel senkte sich in herrlichem Schwunge vor dem Achterzuge und der thronenden Kaiserfrau. Mit der tiefsten Feier sprengte er näher. Küßte von seinem hohen Pferde herab die kühl gebotene, rosig behandschuhte Hand der Kaiserin.

Bald ritt er im Zuge von dröhnenden, tirilierenden, perlenden, alle Lüfte ausfüllenden, die Menge zwingenden Rhÿthmen, von beständig erbrausendem und gellendem Volksgeheul umbrandet.

Ein Gott, prunkend und schimmernd in die Lüfte gebaut.

Wußte nur heimlich, daß Marguerite Bellanger in einem kostbaren, geschlossenen Phaeton, im innern Wagen halb verborgen, dem Kaiserspiele zugesehen.

War umbuhlt von einem Meer von Menschengeschrei: »Es lebe der Kaiser!«

Wußte nur heimlich, daß er eines kaum zwanzigjährigen, scheuen Mädchens demütigster, ergebenster Sklave sei.

Über sein Gesicht ging lange nur starre Strenge.

Dann begann eine Fröhlichkeit doch zu spielen.

Huschte ein Übermut heller Besinnung.

Ging ein mehr als Sich-hinweg-heben aus diesem sinngewaltigen, furchtbaren Lärm aus Menschenkehlen. Naher und ferner Pauken. Von weither schwirrendem Fanfarengebläse.

Alles Volk dachte, der junge Kaiser sei stolz und frei und sieggewiß …

 

Von dieser Parade an hatte die Pariser Gesellschaft die große Sensation zu besprechen.

Sie war in eines jungen Gardeleutnants Auge geflogen. Gerade als der Kaiser den köstlichen Wagen der Marguerite Bellanger plötzlich erkannt und eine Weile mit drolligem Blick von unten angesehen. Worauf er dann eine Gebärde ritterlichster Demut wie zufällig in die Lüfte geschrieben. Und Marguerite, überrumpelt von dieser Ergebung des kaiserlichen Herrn, das Zeichen mit plötzlicher, rückstauender Scham erwidert hatte.

 

Jetzt lebte der Kaiser ein rührendes Leben junger zärtlicher Liebe an Marguerites weichem Busen. Draußen in einem fürstlichen Anwesen, das er ihr geschenkt hatte.

Karossen, so schön wie von einem englischen Krösus.

Marguerite war ein Pferdenarr. Ein Tiernarr.

Auch Hunde liefen hinter den hohen, vergoldeten Gittern, die verwegensten Wesen.

Weiße Windhunde waren ihr Schwarm.

Sie erzählte, daß sie einstmals als armes Dorfkind verlaufen in einem blauen Leinfelde gestanden hätte. Und ein weißer Windhund ihr einen gebleichten Knochen mit einem großen Diamanten zwischen den Knubben herzugetragen.

Die Geschichte war keine Wahrheit.

Marguerite war weder ein armes Dorfkind gewesen. Noch hatte sie sich jemals verlaufen. Sie fabulierte das nur so in den Wind.

Sie war immer kindlich.

Kindlich mit Hunden. Kindlich auch mit ihren vielen Zofen und Dienern.

Auch immer ganz geradezu.

Die Lakaien mußten oft über sie lachen.

Natürlich heimlich, solange der Kaiser im Schlosse war.

An einem Tage herrschte überall helles Gelächter, das zuerst aus Marguerites klingenden, duftigen Zügen herausgebrochen.

Marguerite hatte sich tief im Parke einen Tempel besehen, den der Kaiser ihr heimlich bauen lassen. Eine kostbare Kapelle mit goldener Kuppel. Mit vier kleineren, kupfergrünen Kuppeln in den Ecken geschlossen. Überreiche Goldmosaiken zwischen kostbaren Pfeilern. Mitten im Schatten uralter Ulmen.

Es war kein Zweifel.

Marguerite hatte den Sieg.

Offenbar kannte der Kaiser vor Gnade keine Grenzen.

Marguerite hatte einmal so in die Luft, gewissermaßen ein wenig zu tasten, sich zu vergewissern, von solch einem Tanzheiligtum ein Lob gemacht.

Es hatte wahrhaftig so im tändelnden Liebesspiele Marguerite herrlich geschienen, reizende Tanzgebärden unter malachitner Kuppel zu schlingen, wie Melusine im Heiligtums der Götter, so in tiefster Einsamkeit nur vor den Blicken des Kaisers.

Dieser unbegreiflich verliebte Kaiser.

Als wenn er nicht schon im offenen Türrahmen auf den Marmorterrassen vor den Gemächern der Kaiserin selber gestanden, als die Gesichtszüge der höhnischen Frau sich plötzlich verfärbten. Sie von einem jähen Haßdruck aufs Herz zerpreßt, etwas Böses herausgeschrien, das ihn verjagte. Auf die Stufen der Freitreppe forttrieb. Und ihn fürchten gemacht hatte wie einen törichten Jungen.

 

Eines Tages war jetzt sogar die junge Kaiserin selber erschienen.

Sie fuhr in Marguerite Bellangers Fürstenbehausung feierlich ein.

Sie stieg gnädig hernieder in den Blumengarten.

Sie war so demütig gütig, als käme sie zu einer Freundin.

Sie sagte, sie käme um ein Vertrauen zu bitten.

Marguerite war kindsjung.

Die Kaiserin eine Frau von siebenundzwanzig Jahren.

Marguerite sah die Kaiserin anbetend an. Als käme ein hoher Engel ihr zu Häupten.

Sie bat die Kaiserin in ihren prunkendsten Raum.

Aber die Kaiserin, die von Anmut in ihrem fließenden Sommermantel mit weichen Bogenfalten und Diamantagraffe tropfte, wollte jetzt ganz nur vertraulich sein.

Wollte Marguerite gar nicht schrecken.

Nahm die kindlich verwöhnte, luftige Grazie nur am Arme. Hing sich ein. Bat sie in einen Schattenplatz im Garten gemeinsam zu wandeln.

Und dort flehte die junge Kaiserin plötzlich in die himmlischen Blicke der überrumpelten Tänzerin, daß deren Augen sich auch sogleich mit heißen Tränen füllten wie die der jungen Kaiserin.

Und die beiden Frauen weinten zusammen wider einander.

Die eine, hohe, Hochgebietende, mächtige Kaiserin redete immer nur das eine, daß die kindliche Marguerite doch um des Kaisers willen das Opfer bringen müßte.

Fort in die Welt.

Dem Kaiser aus dem Gesicht.

Dem Kaiser nicht weiter zum Verderben.

Dem Kaiser nicht weiter zur Schande.

So daß Marguerite wie geschlagen, wie erniedrigt, aber auch voller Mitleid war.

Tränen weinte. Beständig.

Doch keine Bejahung. Keine Entschließung fand.

 

An diesem Morgen weinte Marguerite weiter, bis der Kaiser dann kam.

Es machte den Kaiser ganz verworren.

Er dünkte sich plötzlich umschnürt in der jähsten Entsagung.

Er begann nur Marguerite sinnlos zu streicheln.

Er bäumte allmählich sich auf.

Er wuchs ganz zur Herrschsucht und Grausamkeit auf.

Wer wäre hier Kaiser?

So stolzierte er in Marguerites Boudoir auf und ab, weil er die Junge eigentlich dort überfallen hatte.

Und Marguerite saß und weinte noch immer.

Bis er sie demütig quälte. Bis er die Tränen von ihrer Wange wischte.

Nichtig kindlich und zärtlich tröstete.

Ihr Schwüre ins Ohr blies.

Ihre Haartour tändelnd emporstrich, als spielte er jetzt die helfende Zofe.

Ehe er zuletzt in wütender Handballung gegen die junge Kaiserin höhnisch lachte. Und sich verschwor, den Tag zu rächen.

 

Aber die Pariser sahen auch die junge Kaiserin mit Stolz.

In der ganzen Stadt war längst die Geschichte bekannt geworden. Widerhallte jetzt aus dem Kaiserschlosse in alle Gassen.

Man wußte die Auftritte.

Und wenn man es auch gern mit ansah, daß der Kaiser liebte. Und jede Kaiserliebe beneidete. Man belachte sich auch, daß die Kaiserin eine rachsüchtige, brennende Frau war. Und der Kaiserin Rechte lagen im Gefühle des Volkes in jähem Schutze.

Und das war der Punkt, wo die Schale der Kaiserliebe für Marguerite Bellanger zerbrach.

 

Eines Tages war Marguerite Bellanger wie von Silberpuder umflogen im köstlichsten Schwebewagen, den ihr der Kaiser soeben geschenkt hatte, in den Stadtwald am Morgen hinausgefahren.

Alle Spaziergänger hatten gedacht, es wäre die Kaiserin selber, die mit den sechs silbermähnigen Füchsen melodisch summend an ihnen vorbeifuhr.

Hatten fröhlich demütig am Wegrand gestanden und tief sich verbeugt.

Nur in den wenigsten war ein Zweifel entstanden, um was es sich eigentlich handelte.

Da war nun ein weiterer Tag gekommen, wo plötzlich zwei gleiche herrliche Kaiserwagen, jeder mit den sechs silbermähnigen Füchsen voran, im seligsten Prunke einander entgegenschwebten.

Marguerite Bellanger wußte das nicht, daß sich die Kaiserin selber den Aufzug für ihre diesjährigen Morgenfahrten im Frühling ausgesonnen.

Beide Wagen trugen auch dasselbe Kaiserwappen.

Jetzt wußten die tausend Neugierigen plötzlich wirklich nicht.

Oder besser, jetzt wußte man es.

Jetzt sah man es ja.

Und man fühlte auch gleich für die Kaiserin die tiefste Beschämung.

Alle drängenden Menschenscharen stach die Beschämung im eigensten Blute.

Man erkannte ja auch in dem zweiten Wagen Marguerite Bellanger.

Und man lief dem Wagen der Bellanger auch sogleich hinterdrein.

Mit geballten Fäusten. Mit höhnischen Schreien.

Nur ein Janhagel jungen Weibsvolkes und junger Bengels.

Aber die Stimmung kam aus allen.

Hinter Marguerite Bellanger her sammelte und wälzte sich immer mehr durch allen Glanz der Lüfte hindurch ein Höhnen und Schreien, Zetern und Johlen.

Unterdessen die junge Kaiserin blutrot längst nach der andern Seite, im Schwebewagen thronend, mit ihren silbermähnigen, sechs Füchsen von dannen war.

 

Jetzt war die junge Kaiserin schwer erkrankt.

Man behauptete, sie hätte einen bedenklichen Anfall von Schwermut.

Einige sagten, sie hätte sich selber ein Leides angetan. Und wäre nur durch einen Zufall und durch ärztliche Kunst gerettet worden.

Andere sagten, sie wäre nach Schottland geflohen, wohin ihr der junge Kaiser sofort hinterdrein gereist.

 

Und die Marguerite Bellanger!

Die hatte einen panischen Schrecken gefühlt, als der Janhagel ihren Wagen verfolgte.

Sie hatte es ewig in den Ohren gellen wie eine Meute der Revolution.

Schon im Wagen hatten ihr plötzlich alle Glieder nur so geschlottert.

Sie hatte den Wagen auch sogleich wieder abgeschafft.

Und wie sie merkte, wie der gehässige Ton in der Menge jetzt auf sie spannte, wurde sie furchtsam.

Alles das griff mit Krallen in ihren zärtlichen, köstlichen Unmut.

Veranlaßte, daß sie aus Paris fort war.

Sie war in diesem Herbste irgendwo am Meer in Ägypten. Kavaliere um sie. Die sie freilich zunächst nicht mehr kindlich ansah.

Übertrieben eingezogen und bedächtig in sich.

Oft erschreckt.

Vor Abenteuern ganz eingeschüchtert.

Nur unsäglich verwöhnt.

Auch der Paradiesvogel meidet das Erdige. Er fürchtet, er könnte sich die Fülle Köstlichkeiten und Zierden seines Gefieders am Boden beflecken.

So hockte auch Marguerite auf einsamem Aste. Beständig jetzt mit Augen und Sinnen heimlich am eigenen Glanze hängend und herumäugend.

Unsäglich kostbar alles um sie.

Wie in Juwelen und Perlen und kostbaren Seiden und Düften und hochmütigen Träumen völlig eingekapselt.


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