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Achtes Kapitel

Als Clarence abermals vor dem Bankhaus in der menschengefüllten Straße stand, schien es seiner kindischen Einsicht sonnenklar, daß nun, da er aufs Geratewohl und ohne irgend jemand für sein Thun und Lassen verantwortlich zu sein, in den Strom geschleudert war, durchaus kein Grund vorhanden sei, der ihn abhalten könnte, sich spornstreichs nach dem nächsten Goldlager auf den Weg zu machen! Die Möglichkeit, als ein verlassener und verleugneter Findling zu Herrn Peyton und Susy zurückzukehren, war ja ganz außer Frage. Er wollte sich also eine Art von Handwerkszeug anschaffen, wie er es bei den Goldgräbern gesehen hatte, und sich, sobald er zu Abend gegessen haben würde, auf den Weg machen. Allein so herrlich, als er sich's ausgemalt hatte, selbständig eine Mahlzeit in einem Restaurant zu bestellen, fiel dieser Versuch nicht aus, denn er war im ersten, wo er eintrat, durch seine Größe und seine Kleidung, die, wie er nun endlich selbst merkte, höchst abgeschmackt war, so vielen neugierigen Blicken ausgesetzt, daß er, eine Entschuldigung herstammelnd, gleich wieder hinausging und nicht mehr den Mut hatte, anderswo einzukehren. Ein paar Schritte von dem Wirtshaus entfernt fand er einen Bäckerladen, wo er sich mit Ingwerbrötchen und Limonade erfrischte; in einer daranstoßenden Delikatessenhandlung versah er sich mit etlichen Heringen, geräuchertem Fleisch und Biskuits, womit er seinen künftigen Rucksack zu beschweren gedachte.

Darauf begann die Beschaffung seiner »Ausrüstung« und in einer Stunde hatte er – um nasenweise Fragen zu vermeiden, angeblich für einen Freund – eine Pfanne, eine wollene Decke, Schaufel und Axt erstanden. Er brachte seine Einkäufe in seinem unscheinbaren Hauptquartier bei dem Bäcker unter, während er ein Paar hoher Stiefel, die seine Seemannshosen zur Hälfte verbargen und ihn ganz unkenntlich machen sollten, gleich anzog. So unerfahren er auch war, merkte er doch, daß die Preise dieser Artikel ganz ungeheuerlich waren, und er fand, daß er nach Vollendung seiner Einkäufe von seinem ganzen Kapital kaum noch vier Dollars übrig hatte! Aber seinem jugendlichen Sinn schienen diese Ausrüstungsgegenstände weit mehr wert zu sein, als das Geld, das sie ihn gekostet hatten, und er genoß mit kindlichem Entzücken den ersten Vorschmack von der Zauberkraft des Goldes.

Indessen trug das fieberhafte Treiben auf den gedrängt vollen Straßen seltsamerweise dazu bei, das Gefühl seiner eigenen Einsamkeit zu steigern, während die ausgelassene Roheit der hier vor sich gehenden Vergnügungen ihn mit Unbehagen erfüllte; was er im Vorübergehen in den Tanzsälen sah, wo bunt aufgeputzte Gestalten sich im Wirbel drehten, die nichts von Weiblichkeit an sich hatten, als die äußere Gestalt, das Johlen und Jauchzen, das ihm aus Konzerträumen entgegenscholl, die Gruppen von betrunkenem Gesindel, die vor den Thüren der öffentlichen Lokale herumstanden oder heiter die Straßen entlang schwankten, ihn mit den Ellbogen an die Mauern drückten, manchmal auch ihn humoristisch aufforderten, ihnen Gesellschaft zu leisten, flößten ihm Abscheu und Angst ein. Er hatte ja schon früher mit rohen Gesellen Bekanntschaft gemacht, aber sie waren dabei ernsthafte Arbeiter gewesen, die unter strenger Aufsicht standen, während diese gemeine Entartung von Geist und Körperkraft – zwei Dinge, die Clarence bisher blindlings verehrt hatte – ihn anwiderte und seine Illusionen zerstörte. Als er weitergehend auf einen Menschenknäuel stieß, einen Schuß fallen hörte und leidenschaftlich erregte Menschen an sich vorüberstürmen sah und dann eine hilflose, zusammengebrochene Gestalt gegen die Mauer lehnend gewahrte, bis sich der Kreis wieder dicht um diese schloß, so erweckte dieser Vorfall zwar eine furchtsame Neugierde in ihm, aber er erfüllte ihn nicht mit so hoffnungsloser Traurigkeit, wie die tierische Lustbarkeit und Ausgelassenheit.

Einmal geschah es, daß er von einer dieser Banden gegen eine Thüre gedrängt wurde, die unter dem Druck nachgab, so daß sich vor seinen verwunderten Blicken ein langer, mit vergoldeten Stukkaturen geschmückter und glänzend beleuchteter Saal aufthat. Der festliche Raum war dicht gefüllt von einer schweigsamen gespannt dreinschauenden Menge, die so ganz in Anspruch genommen war von ihrer Beschäftigung, daß nicht einmal die lauten Rufe und das rohe Lachen unmittelbar vor der Thüre sie zu stören vermochten. Männer von verschiedenstem Rang und jeder Lebensstellung, einfach oder sehr elegant gekleidet, standen in Gruppen umher, und alle beherrschte dies verzauberte Schweigen und die nämliche Spannung. Die vor ihnen stehenden Tische waren mit Spielkarten und losen Haufen Goldes und Silbers bedeckt; ein Klirren, das Rollen einer Elfenbeinkugel und die häufige eintönige, lässige Wiederholung einiger dem Knaben unverständlichen Worte waren alles, was er hörte, aber er merkte doch gleich, daß er sich in einem Spielsaal befand!

Ermutigt durch das feierliche Schweigen und den Umstand, daß die Anwesenden alle viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt waren, um auf ihn zu achten, schlich sich der Knabe schüchtern in die Nähe eines Tisches, der mit einer Anzahl Karten bedeckt war, worauf abgezählte Geldsummen lagen. Clarence sah näher hin und bemerkte, daß unmittelbar vor ihm eine Karte lag, auf der kein Geld war. Ein einzelner Spieler neben ihm blickte auf, sah Clarence fragend an und legte dann ein halbes Dutzend Goldstücke auf die noch unbesetzte Karte. Ganz vertieft in den Anblick des Saals und der Spieler bemerkte Clarence gar nicht, daß sein Nachbar ein-, zwei-, ja dreimal mit dieser nämlichen Karte gewann. Da es ihm aber auffiel, daß der Spieler ihm, während er seinen Gewinn einstrich, freundlich zulächelte, trat er in einiger Verlegenheit auf die andere Seite des Tisches, wo sich wieder eine kleine Lücke unter den Umstehenden aufthat. Zufällig lag auch dort eine unbesetzte Karte, und sofort schob der Herr, neben dem Clarence vorhin gestanden hatte, eine Summe Geldes quer über den Tisch, setzte auf die Karte und gewann. Nun begannen auch die übrigen Spieler den Knaben eigentümlich anzusehen, während die Zuschauer lächelten, und schon wollte er sich errötend und verlegen wegschleichen, als der glückliche Spieler ihn sachte am Aermel festhielt und ihm drei Goldstücke in die Hand drückte.

»Das ist dein Anteil, mein Junge,« flüsterte er ihm ins Ohr.

»Anteil – wovon?« stammelte Clarence verblüfft.

»An dem Glück, das du mir gebracht hast,« sagte der Mann.

Clarence erschrak ordentlich. »Soll ich – soll ich – damit spielen?« fragte er, den Sinn dieser Worte mißdeutend, mit einem Blick auf die umherliegenden Geldstücke.

»Nein, nein!« versetzte der Mann hastig. »Laß das nur hübsch bleiben, Söhnchen, denn du würdest unfehlbar verlieren! Siehst du, Glück bringen kannst du nur andern, dir selbst nicht. Behalte also das Geld, Alterchen, und mach, daß du nach Hause kommst.«

»Ich brauche das Geld nicht! Ich mag es nicht haben!« sagte Clarence, dem plötzlich die Erinnerung aufstieg an die eigentümlichen Schicksale, die seine Börse heute früh erlebt hatte, und der ein gewisses Mißtrauen gegen die Menschheit im allgemeinen zu empfinden begann.

»Da!« Er trat wieder an den Tisch und legte die drei Goldstücke auf die nächste beste unbesetzte Karte.

Im nächsten Augenblick hatte der Bankhalter das Geld eingeharkt, worüber Clarence eine gewisse Erleichterung empfand.

»So – was habe ich dir gesagt?« sagte der Herr, der es ihm gegeben hatte, mit erschrockenem Blick und einer merkwürdig kraftlos klingenden Stimme. »Du siehst, es ist immer so. Und nun,« setzte er fast grob hinzu, »mach, daß du fort kommst, eh' du deine Stiefel und das Hemd vom Leibe verspielt hast.«

Das ließ sich Clarence nicht zweimal sagen. Nur noch einen Blick ließ er über den Saal hingleiten, dann suchte er sich einen Weg nach dem Ausgang zu bahnen; aber plötzlich stutzte er, denn in diesem Rundblick hatte er eine Frau zu Gesicht bekommen, die, an einem Glücksrad waltend, in einer Ecke saß und ihm merkwürdig bekannt vorkam. Trotz eines seltsamen Kopfputzes, einer Art von Krone, die sie als Glücksgöttin kennzeichnete, bemerkte er eine ihm wohlbekannte Weinranke, die in das Flitterwerk mit eingeflochten war, und trotz des heiseren Tones, womit sie unaufhörlich den nämlichen Spruch wiederholte, erkannte er auch ihre fremdländische Betonung – es war die Frau aus der Postkutsche! In der Angst, daß auch sie ihn wieder erkennen und gleichfalls seine Dienste als Glücksbringer in Anspruch nehmen könnte, machte er kehrt und lief davon.

Sobald er wieder in der frischen Luft war, überkam ihn eine Art Ekel und ein Grauen vor der rastlosen Tollheit und fieberhaften Vergnügungssucht dieser halbzivilisierten Stadt, und diese Empfindung war um so mächtiger, als sie ihm selbst unklar und nur eine Regung unbewußten Instinkts war. Er merkte, daß ihm reinere Luft, die mitfühlende Einsamkeit der Prairie not that; er begann sich nach der Gesellschaft seiner bescheidenen Genossen, der Fuhrleute, des Kundschafters Gildersleeve und sogar nach Jim Hooker zu sehnen, vor allem aber empfand er ein brennendes Verlangen, diesen überfüllten Straßen mit ihrem beängstigenden Treiben zu entkommen. Eilig begab er sich in seinen Bäckerladen, raffte seine Habseligkeiten zusammen, lud sich das Bündel im Schutz eines stilleren Thorwegs auf die jungen Schultern, schlich sich in eine Seitenstraße und sputete sich, der Stadt den Rücken zu kehren.

Es war erst seine Absicht gewesen, bis zum nächsten Minendistrikt die Post zu benützen, aber angesichts der Verminderung, die sein kleines Kapital schon erfahren hatte, versagte er sich diesen Luxus und beschloß, sein Ziel zu Fuß auf der Landstraße zu erreichen, über deren Richtung er einige Erkundigungen eingezogen hatte. In einer halben Stunde waren die Lichter der eben gelegenen unruhigen Stadt und ihr Wiederschein in dem seichten, trüben Fluß hinter ihm verschwunden; die Luft war weich und kühl; ein gelblicher Mond schwamm in dem leichten Dunst, der aus den Binsen aufstieg, und in der Ferne bezeichneten ein paar Sumpfplatanen und zerstreute Silberpappeln wie Schildwachen den Weg, den er zu gehen hatte. Nachdem er noch eine Weile lang tüchtig marschiert war, setzte er sich unter einen dieser Bäume und hielt mit seinen trockenen Vorräten eine bescheidene Abendmahlzeit; da aber weit und breit keine Quelle war, sah er sich genötigt, seinen Durst in einer am Wege liegenden Kneipe mit einem Glas Wasser zu löschen. Man bot ihm dort gutmütig auch ein stärkeres Getränke an, doch er lehnte es ab und erwiderte auf ein paar neugieriege Fragen, daß er vorausgegangen sei und von den Wagen seiner Gesellschaft in einiger Zeit eingeholt zu werden hoffe. Abermals hatte das Mißtrauen gegen die Menschen den Knaben zu einer unschuldigen Lüge verleitet, die um so leichter täuschte, als sein heiteres, sorgloses Auftreten, entsprungen aus der Erleichterung, die er seit dem Verlassen der Stadt und dem tiefen Behagen, das er in der zärtlichen Umgebung der Natur und Nacht empfand, keinen ahnen ließ, wie heimatlos und arm er war.

Längst war es Mitternacht vorüber, als er sich, körperlich ermüdet, aber hoffnungsfreudig und glücklich im Herzen, von der staubigen Landstraße abwandte und mit dem nämlichen Sicherheitsgefühl, wie andre Reisende ihr Gasthaus betraten, in ein weites, mit hohem gelben Steppengras bestandenes Feld eindrang. Die fast mannshohen Halme verbargen ihn völlig vor fremden Blicken, und er brauchte nur eine kleine Bresche in das dichte stachlige Gras zu hauen, um eine prächtige Lagerstätte zu haben. Dann legte er seinen Teppich auf den Boden, wickelte sich behaglich hinein, nahm das Bündel als Kissen unter den Kopf und schlief sofort ein.

Bei Sonnenaufgang erwachte er erfrischt, gekräftigt und hungrig, allein er mußte sein erstes, selbstbereitetes Frühstück aufschieben, bis er Wasser und eine minder gefährliche Stelle zum Feuermachen, als das Steppengras, gefunden hatte. Eine Meile weiter fand sich beides im Schatten einiger verkrüppelten Weiden an einem halbvertrockneten Bach. Von seinen ersten Kochversuchen fiel das Feuermachen am glänzendsten aus, während der Kaffee ein wenig zu dick und breiartig ward, und Speck und Häring dadurch, daß sie in demselben Gefäß zubereitet wurden, an selbständigem Geschmack einbüßten. Bei dieser Mahlzeit vermißte er Susy recht schmerzlich, und mit einiger Bitterkeit dachte er an ihre Kühle beim Abschied, aber die Neuheit seiner Lage, der helle Sonnenschein, das Gefühl der Freiheit und das erwachende Leben auf der viel befahrenen staubigen Landstraße verdrängten bald alle Gedanken, die nicht Zukunftsträume waren.

Er schnürte sein Bündel wieder zusammen und schritt fröhlich aus. Gegen Mittag überholte ihn ein Fuhrmann, der ihn für ein Streichholz zum Anzünden seiner Pfeife ein paar Stunden aufsitzen ließ. Clarence mußte leider wieder eine erdichtete Geschichte vorgebracht haben, denn der wackere Mann verließ ihn mit dem tiefsten Mitleiden und sprach die Hoffnung aus, daß der Wagen seiner Freunde nicht mehr lange auf sich warten lassen möge.

»Und dann wirst du kein solches Schaf mehr sein, ihnen ihren Krimskrams zu schleppen – hol' der Henker das Zeug!« setzte er harmlos mit einem Blick auf Clarences Goldgräberausrüstung hinzu.

Da dem Knaben durch diese Fahrt der mühseligste Teil seiner heutigen Tagereise – die letzten sechs Meilen war es immer bergauf gegangen – erspart worden war, konnte er noch eine beträchtliche Strecke zurücklegen, ehe er sich zu seinem Abendessen niederließ, wobei er abermals Glück hatte. Ein Holzfuhrmann, der mit leerem Wagen zurückfuhr, tränkte seine Pferde an der nämlichen Quelle und bot Clarence an, ihm sein Handwerkszeug für einen Dollar nach der Buckeye-Mühle zu befördern, wobei er ihm eine Schütte Stroh auf dem Boden des Wagens als Nachtlager und Passagierplatz drein gab. Der Knabe, dem seines vorigen Gönners Rat, sich nicht selbst mit dem »Zeug abzuschleppen«, eingeleuchtet hatte, ging mit Freuden auf das Anerbieten ein.

»Wirst wohl das Geld, das dir deine Leute für die Postkutsche gegeben haben, in Sacramento verplempert haben? Ach was, nur nicht lügen, Bürschchen!« setzte der Mann rasch hinzu, als der neuerdings so abgefeimte Clarence diplomatisch lächelte. »Kenne den Rummel!«

Glücklicherweise gelang es dem Knaben, durch die Versicherung, daß er müde und schläfrig sei, weitere verfängliche Fragen abzuschneiden, und bald darauf lag er auch wirklich in festem Schlaf auf dem Boden des Wagens.

Er erwachte rechtzeitig, um zu entdecken, daß er schon in den Bergen war. Die Buckeye-Mühle war eine eben aufkeimende Niederlassung, und Clarence entzog sich vorsichtigerweise der unangenehmen Fragelust seines Freundes, indem er, ehe sie dort einfuhren, mitsamt seiner Habe hinten vom Wagen sprang und ihm von einem Kreuzweg aus, der in den Wald führte, ein Lebewohl zurief. Er hatte in Erfahrung gebracht, daß er zum nächsten Goldgräberlager noch fünf Meilen zu gehen hatte, und die Richtung war nicht zu verfehlen, da sie durch lange hölzerne Wasserrinnen, eine primitive Wasserleitung, die am Abhang des gegenüberliegenden Berges abwechselnd verschwand und wieder zum Vorschein kam, angezeigt war. Die kühlere, trocknere Luft, der wohlthätige Schatten von Fichten und Lorbeeren und die würzigen Düfte, die ihn hier umfingen, stimmten ihn heiter, ja sogar übermütig. Dann und wann führte ihn die Fußspur, der er folgte, in tiefes Waldesdickicht, wo sein Tritt die Vögel aufscheuchte, daß sie wie Pfeile in ihre Schlupfwinkel schwirrten, ein andres Mal beugte er sich fast atemlos über eine jener unermeßlich tiefen Schluchten, wie diese Gebirge sie zeigen, wo viele tausend Fuß unter ihm die nämlichen Wälder sich zu wiederholen schienen. Gegen Mittag gelangte er auf eine rauhe kleine Straße, die offenbar der richtige Zugang zu dieser Oertlichkeit war, und hier sah er zu seiner Ueberraschung, daß die Erde sowohl auf dem Wege, als an den Rainen, wo sie aufgewühlt war, eine dunkelrote Färbung zeigte. Ueberall, wo sie an den Wegseiten die Wurzeln und Höhlungen der Bäume mit ihrem groben Staub bedeckte, an den kleinen Pyramiden von aufgeschichtetem Schmutz auf der Straße oder in den klaren, wie gemalt aussehenden kleinen Wassertümpeln, die ein zur Regenzeit quer über die Straße rieselnder Strom zurückgelassen hatte und die wie kleine Farbnäpfchen aussahen, überall leuchtete die nämliche tiefe Blutfarbe. Da und dort trat sie noch leuchtender hervor, weil sie im Gegensatz stand zu den weißen Quarzzähnchen, die am Straßenrain zu Tag traten oder in zerbröckelten Schichten am Weg lagen. Clarence hob einen dieser Brocken auf, und das Herz pochte ihm wild, als er seinen Fund untersuchte – das Gestein war mit Adern von leuchtendem Glimmer durchzogen, und dazwischen glitzerten winzige Metallflitter, die wie Gold aussahen!

Die Straße senkte sich nun zu einem vielfach gewundenen Fluß hinab, der durch Gräben und Wasserabzüge eingeschrumpft, zwischen seinen weißen Sandbänken hell im Sonnenschein schimmerte und sich in glitzernde Kanälchen und kleine Wasserflächen verzweigte. Seinen beiden Ufern entlang und sogar an trockenen Stellen des Flußbetts selbst waren etliche zerstreute Lehmhütten errichtet, seltsames hölzernes Schleusen- und Rinnenwerk war vielfach zu erblicken, und dann und wann sah man durch das Blätterdickicht weiße leinene Zelte schimmern. Baumstümpfe und rauchgeschwärzte, offenbar kürzlich benützte Feuerstellen bezeichneten zu beiden Seiten den Lauf des Flusses. Bei diesem Anblick überkam Clarence eine große Ernüchterung – das sah nicht nur roh und häßlich aus, nein, was viel schlimmer war, es war ein Bild, das er schon hundertmal gesehen hatte! Das Goldgräberlager unterschied sich in nichts von den wenig anmutenden Umgebungen eines Dutzend Ansiedlungen, wie er sie an minder romantischer Oertlichkeit gesehen hatte, und die drei oder vier halbnackten, schlotterigen, bärtigen Männer, die wie Lumpensammler in dem schmutzigroten Wasser herumwühlten, das aus einer hölzernen Rinne herabfiel, erweckte keineswegs die Vorstellung, daß sie sich mit dem König der Metalle beschäftigten. Clarence war so versunken in den ihm sich darbietenden Anblick und war in den letzten Minuten so rasch gegangen, daß er ganz verblüfft war, bei einer scharfen Biegung des Wegs plötzlich vor einer etwas abseits gelegenen Wohnstätte zu stehen.

Es war dies ein schwer zu beschreibendes Bauwerk, halb aus Zelttuch, halb aus Brettern. Die offen stehende Thüre gewährte freien Einblick ins Innere, dessen Wände mit Gestellen versehen waren; in der Mitte stand ein Ladentisch, worauf allerlei Waren, Lebensmittel, Spezereien, Kleidungsstücke, Nägel und Handwerkszeug ohne jeden Versuch einer Schaustellung oder Anordnung nach Gattungen aufgehäuft lagen, und auf einem kleineren Tisch standen eine Korbflasche und drei oder vier schmierige Gläser. Zwei zerlumpt gekleidete Männer, in deren Gesichtern nur Augen und Lippen zu unterscheiden waren, während alles andre unter den wilden Bärten und Haaren verschwand, lehnten, mit großen Schlapphüten auf dem Kopf, rauchend an den Thürpfosten. Clarence, der in seinem raschen Lauf bergab beinahe mit ihnen zusammengeprallt wäre, hielt hastig inne.

»Nun, nun, Söhnchen, umzurennen brauchst du die Bude just nicht,« bemerkte der eine, ohne die Pfeife aus dem Munde zu nehmen.

»Wenn du deine Mama suchst, die ist mit Tante Hanna gerade zu Pfarrer Doolittle zum Thee gegangen,« sagte der andre träge. »Hat sich gedacht, du werdest warten können.«

»Ich – ich – will in die Goldminen,« erklärte Clarence mit einiger Befangenheit. »Dies ist wohl der rechte Weg?«

Die beiden Männer setzten ihre Pfeifen ab, sahen einander an, wischten jede Spur von Ausdruck von ihren Gesichtern, indem sie sich mit dem Rücken der Hand über ihre Augen fuhren, wandten dann gleichzeitig die Köpfe nach dem Innenraum und sagten: »Wollt ihr jetzt wohl hergehen?«

Diese Beschwörungsformel lockte ein halbes Dutzend ebenso bärtige und ebenso die Pfeifen im Munde haltender Männer aus dem Hintergrund der Hütte. Sie stolperten vorwärts, traten heraus und kauerten sich, den Rücken an das Haus gelehnt, nebeneinander auf einige Bretter nieder und sahen sich den Jungen bedächtig und unbefangen an, was ihm nicht sehr angenehm vorkam.

»Hundert Dollars,« erklärte einer, seine Pfeife aus dem Mund nehmend und Clarence grimmig anschielend, »hundert Dollars gebe ich für den Burschen, wie er geht und steht.«

»Und weil er so ein funkelnagelneues Handwerkszeug hat,« erklärte ein andrer, »so zahle ich hundertundfünfzig Dollars für ihn – und das Getränk. So etwas derart hätte ich schon lange haben sollen,« setzte er, seine Großmut beschönigend, hinzu.

»Nun, meine Herren,« begann jetzt derjenige, der zuerst mit dem Knaben gesprochen hatte, »wenn wir das Bürschchen bei Licht besehen, sozusagen, den Kerl in Bausch und Bogen nehmen und dabei bedenken, wie frisch er aussieht, wie keck und unverfroren er ist – wie viel Verschmitztheit und Umsicht er gezeigt hat, indem er geradeswegs hierher kam, und daß er damit bewiesen hat, daß er sich den Henker um der Leute Urteil schert, so meine ich, er wäre unter Brüdern wohl seine zweihundert Dollars wert – der Handel gilt.«

Clarences frühere Erfahrungen über die Natur der rohen, trockenen kalifornischen Spässe waren nicht dazu angethan, sein Vertrauen wieder herzustellen; er zog sich also möglichst weit von der Hütte zurück und wiederholte nur trotzig: »Ich habe Sie einfach gefragt, ob dies der Weg, nach den Minen sei.«

»Das sind die Minen, und diese Herren sind Goldgräber,« versetzte der erste Sprecher ernsthaft. »Gestatten Sie mir, daß ich sie Ihnen vorstelle: Dieser da ist Shasta Jim, der dort Shortcard Billy, dieser Nasty Bob und der Slumgullion Dick; jener Herr ist der Herzog von Chatham Street, dieser das lebende Skelett und dazu noch meine Wenigkeit!«

»Dürfen wir nun auch fragen, mein schöner junger Herr,« sagte das »Lebende Skelett«, das sich aber einer blühenden Gesundheit zu erfreuen schien, »von wannen Sie auf Flügeln der Morgenröte hergeschwebt sind und wessen Marmorhallen Ihr Verschwinden in Jammer versetzt?«

»Ich bin über die Prairie gekommen, und Herr Peyton hat mich vor zwei Tagen mit seinem Zug nach Stockton gebracht,« erwiderte Clarence entrüstet, aber wahrheitsgemäß, denn er sah keinen Grund, hier irgend etwas zu verhehlen. »In Sacramento sollte ich meinen Vetter aufsuchen, der wohnt aber gar nicht mehr dort. Was dabei Komisches sein soll, weiß ich nicht! Ich bin in die Minen gekommen, um Gold zu graben, – weil – weil Herr Silsbee, der mich hätte nach Kalifornien bringen sollen und vielleicht auch meinen Vetter gesucht haben würde, von den Indianern umgebracht worden ist.«

»Halt einmal, Söhnchen, mit dem weiteren kann ich dir aushelfen,« rief der erste Sprecher und stand dabei auf. »Du bist nicht von den Indianern umgebracht worden, weil du ein paar Stunden vorher mit Silsbees kleinem Mädel aus dem Zug verloren gegangen bist. Peyton hat euch aufgelesen, wie du auf den Balg acht gabst, und zwei Tage darauf seid ihr auf Silsbees zertrümmerte Wagen gestoßen und habt seine ganze Bande geschlachtet gefunden.«

»Ja wohl, mein Herr,« stammelte Clarence, dem die Ueberraschung ordentlich den Atem benommen hatte.

»Und,« fuhr der Mann fort, indem er ernsthaft seine Hand an die Stirne drückte, als ob er damit seinem Gedächtnis nachhelfen konnte, »als du mit dem kleinen Kind mutterseelenallein in der Prairie warst, sahst du eine von den Rothäuten – sie kam dir so nahe, wie ich jetzt bin – die nach dem Zug ausspähte, und du hast dich nicht gerührt und kein Lebenszeichen von dir gegeben.«

»Ja, ja, so war es,« versicherte Clarence eifrig.

»Und Peyton hat auf dich geschossen, weil er dich in dem Heidekraut für einen Indianer hielt? Und einmal hast du ganz allein einen Büffel erlegt, der mit dir in eine Wasserrinne eingeklemmt war?«

»Ja wohl,« sagte Clarence dunkelrot vor Ueberraschung und Vergnügen. »Sie kennen mich also?«

»Allerdings,« erwiderte der Mann, ernsthaft seinen Bart mit den Fingern zerteilend. »Denn siehst du, du bist schon einmal hier gewesen.« »Ich! Schon einmal hier?« wiederholte Clarence bestürzt.

»Freilich, gestern abend. Du warst damals allerdings größer und trugst dein Haar lang und nicht kurz geschnitten, hast auch ein gut Teil mehr geflucht als heute. Beim Schnaps hast du deinen Mann gestellt und hast fünfzig Dollars entlehnt, um bis nach Sacramento zu kommen – das Geld wirst du vermutlich jetzt nicht gerade bei dir haben, oder?«

Clarence wirbelte der Kopf vor Verwirrung und hoffnungslosem Entsetzen – war er wahnsinnig geworden, oder hatten diese grausamen Menschen von seinem treulosen Freund erfahren und war das auch ein Teil der gegen ihn geschmiedeten Verschwörung? Mit zitternden Knieen that er einen Schritt vorwärts, aber die Männer waren aufgestanden und bildeten rasch einen Kreis um ihn her, wie um ihn am Entkommen zu hindern. Hilflos und in wilder Verzweiflung stieß er die Frage heraus: »Wie heißt denn dieser Ort?«

»Die Leute nennen's den Toten Schlund.«

Den Toten Schlund! Nun ging dem armen verwirrten Knaben ein Licht auf! Den Toten Schlund! War es möglich, daß Jim Hooker seinen Fluchtplan schon ausgeführt und seinen, Clarences, Namen angenommen hatte? Mit flehendem, fragendem Blick wandte er sich wieder an den ersten Sprecher.

»War er denn nicht älter als ich und größer? Hat er nicht ein glattes, rundes Gesicht gehabt und kleine Augen? War seine Stimme nicht heiser? Hat er nicht –« das Wort blieb ihm im Halse stecken.

»O ja freilich, er war nicht die Spur wie du,« versetzte der Mann überlegend. »Das ist ja eben das Verfluchte an der Geschichte! Ihr seid uns zu viele und gar zu verschiedenartig für dieses Lager.«

»Ich weiß nicht, wer vor mir hier gewesen ist, und weiß nicht, was sie gesagt haben,« erwiderte Clarence außer sich, aber trotz seiner verzweifelten Lage mit jener eigensinnigen Treue an der Rücksicht gegen seinen einstigen Spielgefährten festhaltend, die nun einmal in seiner Natur lag. »Ich weiß es nicht, und es ist mir auch ganz einerlei! Ich bin Clarence Brant aus Kentucky; mit Silsbees Zug bin ich von St. Jo abgereist und jetzt gehe ich in die Minen, und ihr sollt mich nicht daran hindern!«

Der Mann, der zuerst gesprochen hatte, war sichtlich überrascht, faßte Clarence scharf ins Auge und wandte sich dann zu den übrigen. Das sogenannte lebende Skelett pflanzte seine stattliche Leibesmasse breitspurig unmittelbar vor dem Knaben auf und bemerkte, ihn fest anstarrend, nachdenklich: »Der Teufel soll mich holen, wenn er dem Aussehen nach nicht Brants Balg sein könnte.«

»Bist du mit dem Oberst Hamilton Brant in Louisville verwandt?« fragte der erste Sprecher.

Wieder jene alte Frage! Der arme Clarence zögerte verzagenden Herzens mit der Antwort – sollte er denn abermals ein Verhör zu bestehen haben wie bei Herrn Peyton?

»Ja,« sagte er trotzig, »aber er ist tot. Das wissen Sie.«

»Tot – natürlich.« – »Sicherlich.« – »Er ist tot.« – »Der Oberst hat sich verkrochen,« so lautete es im Chor.

»Nun wohl – ja,« sagte das »lebende Skelett« überlegend, wie einer der aus Erfahrung spricht. »Ham Brant ist jetzt wohl geradeso ein Knochenmann wie sie's haben wollen.«

»Meiner Seel'! Er ist der moderigste, toteste Leichnam, den man herausscharren kann,« pflichtete ihm Slumgullion Dick kopfnickend bei. »Thatsächlich mausetot und der letzte Leichnam, dem ich die Ruhe stören möchte.«

»Des Obersten Händedruck würde kalt und feucht sein,« schloß der Herzog von Chatham Street, der bisher den Mund nicht aufgethan hatte, »zweifle nicht daran, aber was hat deine Frau Mama dazu gesagt? Will sie wieder heiraten? Hat die dich hierhergeschickt?«

Es kam Clarence vor, als ob der Herzog von Chatham Street bei diesen Worten einen Rippenstoß von seinen Gefährten erhalten hätte, aber der Knabe wiederholte nur trotzig: »Ich bin nach Sacramento geschickt worden, um meinen Vetter Jackson Brant aufzusuchen, aber er war nicht dort.«

»Jackson Brant!« wiederholte der erste Sprecher und warf seinen Genossen einen raschen Blick zu. »Hat dir deine Mutter gesagt, er sei ein Vetter von dir?«

»Ja,« versetzte Clarence verdrossen. »Adieu.«

»Hallo, Söhnchen, wohin?«

»Zum Goldgraben,« sagte der Junge. »Und ihr wißt wohl, daß ihr mich nicht daran hindern könnt, solange ich nicht auf euer Gebiet komme – ich weiß, wie das Gesetz lautet.«

Er hatte allerdings diese Frage von Herrn Peyton in Stockton erörtern gehört und hatte nun den Eindruck, daß die Männer, die untereinander flüsterten, ihn jetzt freundlicher ansähen und ihn nicht länger foppen wollten. Der erste Sprecher legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte: »Schon gut, mein Sohn, ich will dir zeigen, wo du Gold graben kannst.«

»Wer sind Sie?« fragte Clarence. »Sie haben nur gesagt ›und das ist meine Wenigkeit‹.«

»Nun, du kannst mich Flynn nennen – Tom Flynn.«

»Und Sie werden mir zeigen, wo ich graben kann – ich selbst?«

»Ja, das will ich.«

»Wissen Sie auch,« fuhr Clarence schüchtern, aber doch mit einem etwas selbstbewußten Lächeln fort, »daß ich – daß ich auf eine Art Glück bringe?«

Der Mann sah ihn an und versetzte ernsthaft, aber wie Clarence bemerkte, mit ganz anderm Ernst als bisher: »Ja, das glaube ich dir.«

»Ja wohl,« fuhr Clarence im Weitergehen eifrig fort. »Ich habe neulich einem Herrn in Sacramento Glück gebracht.« Nun erzählte er des langen und des breiten seine Erfahrungen am Spieltisch, und da die Schleusen seiner kindischen Seele einmal durch einen geheimnisvollen Zug des Herzens erschlossen waren, genügte ihm das nicht, sondern er schilderte auch seine gastfreundliche Heldenthat in der Schenke an der Poststraße, erzählte von der Entdeckung seiner Fortunatusborse und von seinem Depot auf der Bank. Ob die eigenartige altväterische Verschlossenheit, die sowohl im schlimmen als im guten Sinn einen so bedeutenden Einfluß auf seine Zukunft ausüben sollte, plötzlich von ihm gewichen war, oder ob eine absonderliche Vorliebe für seinen Gefährten ihn so mitteilsam stimmte, wußte er selbst nicht, aber ehe das ungleiche Paar den Hügel erreicht hatte, wußte Flynn des Knaben ganze Geschichte bis aufs kleinste. Nur in einem Punkt war er auch jetzt noch zurückhaltend – so klar er sich innerlich über Jim Hookers Verräterei war, gab er sich doch das Ansehen, das Ganze für den schlechten Witz eines Kameraden zu halten.

In der Mitte eines anscheinend fruchtbaren Hügelabhangs machten sie schließlich Halt. Clarence nahm seine Schaufel vom Rücken, löste die Pfanne aus dem Bündel und sah Flynn erwartungsvoll an.

»Grabe hier an irgend einem Fleck, wo du gerade Lust hast,« belehrte ihn dieser ohne alle Wichtigthuerei, »und du kannst dich darauf verlassen, daß du die ›Farbe‹ findest. Fülle deine Pfanne mit Erde, geh an die Rinne dort und laß das Wasser von oben her darüber laufen – dabei schüttelst du sie so,« setzte er hinzu, indem er zu weiterer Verdeutlichung die Pfanne im Kreis schwenkte. »So machst du fort, bis all der Schmutz weggewaschen ist und nur der schwarze Sand am Boden sitzt. Nachher schüttelst und spülst du den geradeso, bis du die ›Farbe‹ siehst. Hab' keine Angst, du könntest das Gold mit hinausspülen, das brächtest du gar nicht fertig und wenn du es darauf abgesehen hattest. So, jetzt laß' ich dich da, und du wartest, bis ich wiederkomme.«

Mit einem ernsthaften Kopfnicken und einer Art von Lächeln, das freilich nur in dem einzig unbehaarten Teil seines Gesichts, den Augen, zu erkennen war, schritt der Goldgräber rasch davon.

Clarence verlor keine Zeit. An einer Stelle, wo das Gras weniger dicht stand, hob er ein paar Stücke Rasen aus und lockerte einige Schaufeln voll roter Erde. Als er die Pfanne damit gefüllt hatte, hob er sie auf seine Schulter und verwunderte sich höchlich über ihr Gewicht, das, wie er freilich nicht wissen konnte, von dem Eisengehalt herrührte, der auch den Farbstoff dieser Erdart bildete. Etwas mühsam erreichte er mit seiner Last die ihm bezeichnete Wasserrinne, die aus einem hölzernen Rohr am Fuße des Hügels hervorzukommen schien, und begann Flynns Vorschriften gewissenhaft auszuführen. Beim ersten Eintauchen der Pfanne in das laufende Wasser wurde die Hälfte ihres Inhalts weggeschwemmt und floß als heller, farbeartiger Schlamm davon. Einen Augenblick überließ er sich einer kindlichen Genugthuung im Anblick dieser schmierigen Flüssigkeit, in die er seine Finger mit Wohlgefallen tauchte; nach einigen Minuten weiterer Ueberrieselung gelangte er dann zu dem Satz von darunterliegendem schwarzen Sand. Noch einmal tauchte er die Pfanne ein und schwang sie kräftig, und siehe da! – kaum konnte er seinen Augen trauen – ein paar winzige gelbe Metallflitter, kaum größer als Stecknadelköpfe, glitzerten aus dem Sand hervor. Er goß diesen aus, und jetzt erwies sich die Beschreibung seines Begleiters als richtig, der leichtere Sand ließ sich mit dem Wasser von einer Seite zur anderen schwenken, aber die blinkenden Pünktchen blieben vermöge ihres spezifischen Gewichts an den glatten Boden des Gefäßes angeheftet. Es war die »Farbe« – es war Gold!

Es war Clarence, als ob mit seinem Herzen eine körperliche Veränderung vor sich ginge. Ein Traumbild von Reichtum, Unabhängigkeit, Macht tauchte vor seinen geblendeten Blicken auf und – da legte sich sachte eine Hand auf seine Schultern, und er schreckte zusammen.

In seinem Feuereifer und seiner Aufregung hatte er den Hufschlag überhört und sah nun zu seinem Erstaunen, daß Flynn hoch zu Roß neben ihm hielt und ein zweites Pferd am Zügel führte.

»Du kannst reiten?« sagte er ohne Umschweife.

»Ja,« stotterte Clarence, »aber –«

»Aber – in zwei Stunden müssen wir in der Buckeye-Mühle sein, sonst verfehlen wir den Postwagen nach unten. Laß das Zeug liegen, sitz auf und komm mit mir!«

»Aber – ich habe ja gerade Gold gefunden,« entgegnete der Junge aufgeregt.

»Und ich – deinen Vetter. Komm!«

Er gab seinem Gaul die Sporen, daß er über Clarences Geräte setzte, streckte den Arm nach dem Jungen aus, hob ihn fast ohne sein Zuthun in den Sattel und versetzte den Tieren mit dem Lasso einen kräftigen Hieb in die Flanken. Im nächsten Augenblick jagten die beiden Reiter in rasendem Galopp davon.


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