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9.

Ein Meer von Blut und Tränen liegt über Europa. Grauenhaft wälzt sich die Flut des Todes, der Leiden und der Schmerzen über Millionen und Millionen unschuldiger Menschen. Ungeheure Verwüstungen an Hab und Gut vollziehen sich zu Wasser und zu Land. Ruinen von Städten und Dörfern, von Wohnungen friedlicher, nun flüchtiger Menschen bedecken manche Länderstrecken. Und wo der Krieg nicht tobt, herrscht Weinen und Wehklagen um die vielen Toten, und Millionen kämpfen mit harter Lebensnot. Immer größer wird der Haß und die Erbitterung unter den kriegführenden Völkern, immer wilder wird die Wut der Unterliegenden, und es ist noch kein Ende des Mordens und des Verstümmelns, des Verwüstens und des Zerstörens abzusehen.

Wie lange noch sollen die Macht des Bösen und seine schrecklichen Werke fortgehen? Warum läßt der Himmel so viele Unschuldige leiden und bluten und sterben?

Der Widersacher Gottes und der Feind des Menschengeschlechts ist, wie Goethe in seinem »Faust« so schön sagt, eine Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft, weil, wie jedes Kind im Katechismus lernt, Gott das Böse zum Guten zu lenken weiß.

So hat Gott wohl mit diesem schrecklichen, teuflischen Weltkrieg, den er zugelassen, auch ein Gutes verbunden, eine ernste Lehre, eine scharfe Mahnung für die heutige Welt, welche die Predigten des Christentums gar nicht mehr hört oder überhört.

Gott hat einst durch seinen Sohn Christus Jesus die frohe Botschaft in die Welt gesandt, die beseligende Lehre, daß, wer an ihn glaube, den allein wahren Gott, und an den, den er gesandt hat, Verzeihung jeglicher Sünde und das ewige Leben habe.

Die Hölle tobte gegen diese Freudenbotschaft und machte, vom Weltkaiser Roms angefangen, die ganze Staatsgewalt, alle Priester und Gelehrten mobil gegen die Lehre der armen Fischer vom See Genesareth. Drei Jahrhunderte hindurch wurden die Christen, die besten Untertanen des Kaisers und seine tapfersten Soldaten, blutig verfolgt. Millionen Unschuldiger starben den Märtyrertod. Aber je mehr starben, um so mehr gab es Christen, und als die Verfolgung aufhörte, war die Welt samt dem Weltkaiser christlich geworden.

Christus, der Herr, hat die wunderbare, im Leben der Menschheit ewig wahre Lehre hinterlassen: »Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.« Diese Lehre war die Bestätigung dessen, was die ganze Menschengeschichte gelehrt und alle denkenden Geister bekannt haben, daß für den Menschen leben leiden heißt.

Die heutige Welt, der das Christentum als alt und kraftlos gilt, hat diese Wahrheit umgestoßen und lehrt: »Leben heißt genießen.« Sie hat den Grundsatz aufgestellt, der Mensch sei auf der Welt, um sich ein möglichst gutes Dasein zu erkämpfen. Dazu muß er vorab Bildung (Kultur) haben, damit er seinen Mitmenschen in diesem Kampf ebenbürtig oder über ist. Daher das Schlagwort Bildung, Bildung so viel als möglich bis in die entlegenste Hütte auf dem Schwarzwald.

Dann verlangt die Kultur als Lebensverfeinerung, daß die Bauern auf dem Land und in den Bergen auch an dieser Verfeinerung teilnehmen und daß ihnen, wo immer möglich, alle Bequemlichkeiten zukommen. Drum das Schlagwort Verkehr. Eisenbahnen in die entlegensten Täler, damit die Leute leicht in die Stadt fahren können, um das Leben zu genießen, und leichter die Erfordernisse bessern Lebens ihnen zugeführt werden können. Millionenbahnhöfe sollen zeigen, daß der Verkehr zu den Götzen der Zeit gehöre, die herrliche Tempel haben müssen. Und die Folge davon? Das Landvolk flüchtet mehr und mehr in die Städte, und man spricht mit Bedauern von der Landflucht.

Elektrisches Licht und elektrische Kraft gehören auch zur Kultur, deren die Bauern teilhaftig werden sollen. Damit sie nicht mehr morgens früh um 4 Uhr aufstehen und beim Laternenlicht dreschen müssen, besorgt die elektrische Kraft die Arbeit in wenig Stunden, und Buren und Knechte können feiern. Trotzdem sind sie unzufriedener als in jenen Tagen, da sie um das Holzspanlicht saßen und frohen Sinnes den Dreschflegel schwangen.

Aber wie die einzelnen, so führten seit Jahren auch die Völker einen Kampf ums bessere Dasein, und damit keines dem andern, wenn es zum Kampf kommt, über ist, rüstete sich jedes mehr und mehr zum Krieg und machte Mordinstrumente und Todeserfindungen zurecht, welche die früheren Kriege nicht kannten und die eines Tages zur Anwendung kommen mußten und nun in schauerlicher Weise ihrer Bestimmung gerecht werden.

So ging die Menschheit vorwärts, immer vorwärts, ohne rückwärts zu schauen auf das gute Alte und ohne mehr aufwärts zu schauen, außer wenn es ein Luftschiff zu sehen gab, Seit dem Krieg fliehen die Menschen voll Entsetzen, wenn sie ein Luftschiff nur hören. Auch eine Strafe! vorwärts bis dieser schreckliche Weltkrieg losbrach, weil England sich im Kampf ums bessere Dasein von Deutschland bedroht glaubte – und Europa vor einen Abgrund stellte, in welchem Kultur, Bildung, Humanität und Fortschritt verschwanden, während an ihre Stelle Barbarei, Bestialität und teuflische Grausamkeit auf der Bildfläche erschienen.

Kultur und Bildung schützen nicht gegen Barbarei und Grausamkeit. Rom und Griechenland waren im heidnischen Altertum auch sehr kultiviert. Aber zwei Dritteile der Menschen waren rechtlos und wurden mit Härte und Grausamkeit behandelt. Es kam vor, daß gebildete Herren, die in Kultur schwammen, ihre Sklaven töten ließen, um mit ihrem Fleisch die Fische in den Fischteichen zu füttern.

Es hat sich keines der vergangenen Jahrhunderte durch Bildung, Lebensverfeinerung, Kunst und Wissenschaften und durch Lebensgenuß so ausgezeichnet, wie das 18. Jahrhundert. Und wie endigte es? Durch eine furchtbare Revolution und durch jahrzehntelange blutige Kriege.

Frankreich hatte vor jener großen Revolution sehr große und weltberühmte Dichter und Gelehrte, und in der revolutionären Nationalversammlung (Konvent) saßen viele Gebildete aller Stände. Aber alle hielten das Christentum für schädlich oder wenigstens für veraltet. Sie kamen trotz ihrer Bildung dazu, Tausende von Unschuldigen unter das Henkerbeil zu schicken und ganz Frankreich mit Blut zu überdecken. Ja, den Glauben an Gott und Unsterblichkeit dekretierten sie förmlich ab, und wer noch den Namen Gottes aussprach, riskierte den Kopf. Die Menschen waren zu Teufeln geworden. Die Vernunft wurde als einzige Gottheit proklamiert und in Gestalt einer öffentlichen Dirne auf einen Altar gestellt. Bald wüteten die Blutmenschen der Nationalversammlung gegen sich selbst, und Frankreich schwamm in Blut und Verfolgung. Nun wurde der Glaube an Gott und Unsterblichkeit wieder amtlich hergestellt! –

Und die Grausamkeiten im heutigen Weltkrieg gehen meistens von den Gebildeten aus. Wer befiehlt den Kosaken, die Bevölkerung aus den Häusern ins Elend zu jagen und diese samt der Habe anzuzünden und wehrlose deutsche Gefangene niederzuhauen? Die Gebildeten unter ihnen, die Offiziere und deren Vorgesetzte. Wer versagt an der Westfront einen Waffenstillstand für Bergung der Verwundeten und wer heißt die gemeinen Soldaten, Feinden, die sich ergeben wollen und um ihr Leben bitten, keinen Pardon zu geben? –

Und nun, was will uns Gott lehren durch diesen blutigen Krieg? Er will uns lehren, daß die Erde kein Paradies ist und daß es verkehrt ist, wenn die Menschen glauben, auf Erden zu sein, um ein möglichst gutes Dasein zu erkämpfen, möglichst viel Bildung zu haben, das Leben zu genießen und Kreuz und Leiden zu verschmähen. Er will uns zeigen, daß ein Kampf ums bessere Dasein als Lebenszweck im Einzelleben zu rücksichtsloser Selbstsucht, zu Unrecht, zu Lug und Betrug und im Völkerleben als Gewinnung immer neuer »Lebensstoffe und Lebensgebiete« zu Gewalt und Krieg führt und daß eine Kultur und ein Fortschritt, die der Menschheit immer neue und immer wieder veränderte Bildungsstoffe und Lebensrichtungen vorschlagen, Christentum, Kirche und Bibel für veraltet erklären und die Heilstaten Gottes nicht bloß vergessen, sondern verwerfen – daß eine solche Kultur und solcher Fortschritt zur Entzweiung des einzelnen mit sich selbst und mit seiner von Gott gewollten Bestimmung führen und in Zügellosigkeit, Roheit und Barbarei endigen.

Die Geschichte der Menschheit zeigt, daß der Weg der Kultur stets über Schlachtfelder, Leichen und Ruinen zur Barbarei führt. Das lehrt uns die Geschichte der hochkultivierten Reiche Assyrien, Babylonien, Ägypten, Rom und Griechenland. Und der höchste Gipfel der Kultur ist stets der Anfang des Niedergangs. Höher kann es z. B. die Kultur nicht mehr bringen als daß die Menschen in der Luft fliegen und Luftflotten bauen. Und doch, welches Unheil richten die Luftschiffe als Kriegswaffe an! –

Leben heißt für die Menschheit leiden und sterben. Das Leben ist ein Kriegsdienst, sagt die Heilige Schrift, und ein bekannter deutscher Weltweiser bekennt, wie der Volksmund, daß das Leben nicht genossen, sondern überstanden werden muß. Diese Wahrheit der Geschichte aller Zeiten, welche unsere Zeit vergessen hat, stellt in schauerlicher Weise der heutige Weltkrieg in den Vordergrund. Wie der Mähder zur Sommerszeit das blühende Gras, so mäht der Tod Millionen blühender Menschenleben aus allen kriegführenden Nationen auf den Schlachtfeldern nieder und bringt millionenfaches Leid denen, die daheim auf deren Heimkehr hofften. Der Fürst des Lebens aber, der vom Kreuz herab uns zuruft: »Wer mir nachfolgen will, der nehme sein Kreuz auf, denn wer mit mir leidet, wird mit mir verherrlicht werden« – er lasse aus böser Saat Gutes wachsen und in den Herzen der Kämpfenden, der Leidenden, der Sterbenden, der Weinenden, der Verstümmelten, der Erblindeten, der Verlassenen, der Gefangenen, der Flüchtigen, der Heimatlosen und der Verarmten den Glauben aufblühen – an das Land des ewigen Lebens und des ewigen Friedens und des ewigen Lichts in einer besseren Welt, ein Land, das ihnen kein Weltkrieg und keine Kultur und keine Barbarei rauben kann, denn es ist das Land des ewig Wahrhaftigen, der von sich sagen konnte: »Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen.«


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