Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3.

Ihr Fische beneidet, wie wir vorhin gehört, uns Menschen. Ich habe das schon widerlegt und füge noch hinzu, daß ihr in mancher Hinsicht viel besser daran seid als wir. Ihr seid kerngesund, und wenn man einen Menschen loben will ob seines Wohlseins, sagt man: »Ihm ist so wohl wie dem Fisch im Wasser oder er ist so gesund wie ein Fisch.« Über den Menschen aber liegt ein Heer von Übeln und Krankheiten aller Art. Ihr habt ferner keine Sorge um Nahrung, Kleidung und Wohnung, habt immer zu essen, ob es Sommer ist oder Winter, und es friert euch nicht einmal im Eismeer.

Ihr habt, und das ist besonders wertvoll, nur ein einziges großes Vaterland, das Meer, in dem ihr euch vermöge eurer absoluten Freizügigkeit ohne Paß und Heimatschein niederlassen könnt, wo ihr wollt. Die Menschen haben viele Vaterländer, die sie trennen und oft verfeinden, obwohl es der Wille des Schöpfers gewesen wäre, daß alle nur ein Vaterland auf Erden hätten, wie ihr das Meer.

Wie die hl. Geschichte uns erzählt, sollten die Menschen auch nur einen Herrn haben, den Herrgott, der sie geschaffen und ins Paradies gesetzt. Aber sie schüttelten diese gütige Herrschaft ab und kamen dafür unter die Herrschaft von tatkräftigen und herrschsüchtigen Menschen, die sie in Kriegen aneinander hetzten und aus Leben und Tod kämpfen ließen, um ihre Herrschaft zu vergrößern und andere Völker zu unterjochen. Der erste, der es tat, war Nimrod, von dem die hl. Schrift sagt: »Er fing an zu sein ein Gewaltiger auf Erden.« Und seitdem haben die Könige und Fürsten der Völker unendlich viele Kriege geführt und ungezählte Millionen von Menschen geopfert und Länder und Städte verwüstet.

Ich müßte ein Jahr unter Wasser und bei euch bleiben, wenn ich euch die Kriege, welche schon auf Erden geführt wurden, erzählen wollte – von den Eroberungskriegen bis zu den Freiheits-, Revolutions-, Bürger- und Religionskriegen, welche auf dem Festland und gar oft auch auf dem Meere wüteten.

Der Mensch kämpft eben verschiedene Kämpfe: einen in sich selbst, in seinem Herzen zwischen Gut und Bös, und die andern in der Welt draußen, im Kleinen in Streit, Haß und Zank und im Großen in den Kriegen von Volk zu Volk. Aber die letzteren entspringen meistens dem bösen Herzen einzelner oder vieler, entspringen der Habgier, dem Neid, dem Haß, der Herrschsucht, der Lüge, die alle aus dem Herzen kommen.

Bei euch Fischen ist auch der beständige Kampf ums Dasein, in welchem die großen die kleinen und die kleinen die kleinsten auffressen müssen, um leben zu können. So will es die Einrichtung der Natur. Aber das kommt sicher bei euch nicht vor, daß tausend Haifische gegen tausend andere Haifische auf Kommando je eines Riesenhais einander anfallen und auf Leben und Tod bekämpfen.

Darum ist der Krieg unter den Menschen die schrecklichste Frucht des Urteilsspruches Gottes: »Verflucht sei die Erde um deinetwillen.« Deshalb sagte schon der im vorigen Jahrhundert gestorbene englische Rechtslehrer Bentham: »Krieg ist Unheil im größten Maßstab.«

Und in der Volksseele aller Länder ist nichts so tief vererbt als die Furcht vor einem Kriege. Und im »Allgemeinen Gebet« der Christenheit, das allsonntäglich von den Kanzeln herab gelesen wird, heißt es in erster Linie: »Wende ab, gütigster Vater: Krieg, Teuerung, Hungersnot, Krankheiten und betrübte armselige Zeiten.« Der Krieg steht an erster Stelle, weil er die andern Übel in der Regel im Gefolge hat.

Selbst der große Preußenkönig und Feldherr Friedrich II. von Preußen, der mehr als einen nicht einwandfreien Krieg geführt hat, schrieb später: »Ich bin versichert, wenn die Monarchen ein wahres und getreues Bild des Elends sehen würden, in welches eine einzige Kriegserklärung die Völker stürzt, nimmermehr könnten sie dagegen gleichgültig sein.«

Von all dem Kriegselend, das seit Jahrtausenden auf der Menschheit liegt wie ein Fluch, seid ihr Fische verschont. Ihr habt aber auch keine eroberungssüchtigen Könige. Im Meer gibt es nur den »Heringskönig«, und der hat nur ein goldenes königliches Gewand, aber nichts zu befehlen, nicht einmal bei den Heringen, und muß den größeren Fischen ängstlich aus dem Wege gehen, sonst wird er verspeist. –

Der Krieg, der jetzt tobt auf der Erde, ist nicht ein gewöhnlicher Krieg, kein Krieg, wie viele schon gewesen sind. Er ist ein Weltkrieg und ein Weltbrand, wie ihn die alten Sagen der Deutschen vorhersagen, ehe die Welt untergeht:

Kriegszeit und Mordzeit,
Schildespalten,
Windzeit und Wolfszeit,
Ehe die Welt fällt.

Über 30 Millionen streitbare Männer sind in Europa unter den Waffen, und wie furchtbar sind die Waffen dieses Krieges! Mordmaschinen und Mordwerkzeuge, wie sie noch kein Krieg gesehen: Maschinengewehre, welche Kugeln ausstreuen wie eine Gießkanne die Wassertropfen, Minen, welche den Feind in die Luft sprengen oder furchtbare Geschosse werfen, Bomben mit giftigen Gasen, Handgranaten und Riesengeschütze und Riesengeschosse, welche weithin Tod und Verderben tragen. Auch aus der Luft kommen tödliche Geschosse und unter dem Meere wird den Schiffen ähnlich der Garaus gemacht.

Und aus allen Weltteilen kämpfen Völker in Europa: Aus Asien die wilden und halbwilden Völker Englands und Rußlands, aus Afrika Neger in allen Farben der schwarzen Rasse, aus Amerika und aus Australien und Neuseeland englische Hilfstruppen aller Art. Dazu Soldaten aus den meisten Ländern Europas, vom Schottländer bis zum Montenegriner und vom Sizilianer an der Südspitze Italiens bis zu den Bewohnern an den Ufern des Eismeers. Selbst die schlitzäugigen Japaner, denen ein preußischer Offizier (General Meckel) die Kriegskunst gelehrt, probierten sie in Asien an deutschen Besitzungen.

Ihr Fische kennt ja die Meere, an denen hin alle diese Völker wohnen, und einzelne von euch, wie die Lachsforellen, kommen durch die Flüsse hinauf auch in viele der Länder hinein.

Und der Hauptangriff dieser halbwilden und ganz wilden Horden und der Millionen rechtmäßiger Soldaten aus England, Frankreich, Rußland, gilt Deutschland, das den Hauptdruck des schrecklichen Krieges zu tragen hat. Und während Deutschland im Osten und im Westen gegen Riesenheere kämpft, hilft es noch seinem treuen Verbündeten Österreich-Ungarn, in dessen Lande die Russen schon weit eingedrungen waren. Die Russen wollten nach Wien und die Franzosen nach Berlin. Aber längst ist ihnen der Weg zu weit geworden und gesperrt von einer lebendigen Mauer heldenmütiger Krieger.

Doch der Hauptkrieg gilt, wie gesagt, Deutschland und warum? Es hat sich anno 70 durch Blut und Eisen zu einem einigen Reich zusammengetan von der Ostsee bis zu den Alpen, hat eine mächtige Stellung sich errungen im Zentrum Europas, ist auch eine Seemacht geworden und hat seine Schiffe mit den Erzeugnissen seiner Industrie über alle Meere in alle Länder der Erde gesandt.

England hat aber noch nie in seiner Nähe auf die Dauer eine starke Macht geduldet weder zu Wasser noch zu Land. Ich erinnere in erster Hinsicht an Holland, das im 17. Jahrhundert eine bedeutende Seemacht war und in überseeischen Ländern seine Stärke zeigte. England führte nun zuerst allein, dann, weil die Holländer die englischen Flotten besiegten, im Bunde mit Frankreich jahrzehntelang Krieg, um die holländische Seemacht zu brechen, was schließlich auch gelang.

Mit Vorliebe sucht es auch andere Nationen des Festlands ins Feuer zu schicken, um ihm die heißen Kastanien herauszuholen. Als Napoleon I. im Begriff war, in England, das er genau durchschaute, eine Armee zu landen, verstanden es die Engländer, eine Vereinigung von Rußland, Österreich und Preußen gegen ihn loszulassen, die den drei Mächten sehr schlecht bekam und deren Niederlagen nur die Folge der englischen »Hetze« waren, wie Napoleon am Ende seines Lebens auf der Insel Helena noch die Sache taufte.

Im Krimkriege (1853-56) wußten sie den eitlen Napoleon III. zu gewinnen, für sie mit französischem Blut die Hauptarbeit zu tun und die meisten Verluste zu tragen. Mit den Russen hatten sie angebunden, weil sie fürchteten, diese könnten Konstantinopel holen wollen. Konstantinopel und Antwerpen (merkt's euch, ihr Deutschen!) sind empfindliche Orte für die Engländer, wie der englische Politiker und Minister Disraeli es selbst einmal geäußert hat.

Englands erster Minister in der Zeit des Krimkriegs, Palmerston, ein Zeitgenosse und Gegner Disraelis, war schon in den Jahrzehnten vorher bekannt als Lord Feuerbrand, weil er alle Unruhen auf dem Festland schürte oder begünstigte.

So bluten auch in dem jetzigen Krieg die Völker Frankreichs und Rußlands und ihrer Verbündeten lediglich für England, das sie durch seinen Reiseonkel, den edlen König Eduard VII., einseifen ließ, man müßte über Deutschland herfallen wegen seines »Militarismus«. Unsereiner ist auch kein Freund des Militarismus, weil ich die Meinung habe, die Menschen sollten im Zeitalter der Hochkultur und des Fortschritts einander nicht mehr waffenstarrend und voll Haß und Neid gegenüberstehen, sondern in friedlichem Wettbewerb das Wohl aller Völker fördern. Aber für die Engländer ist der deutsche Militarismus nur eine Maske, hinter der sich die Furcht vor dem deutschen »Marinismus«, vor unserer Flottenmacht, verbirgt. Seitdem Deutschland auf allen Meeren seine Flagge zeigt und sein Handel überall hinkommt, wurden die englischen Geldsäcke unruhig, und der Haß und Neid wuchs.

Frankreich wurde geködert zum Kastanienholen durch seine Rachegelüste, die es seit 1871 trägt, wo wir ihm nicht den Gefallen taten, von ihm besiegt zu werden, und wo wir unser altes Eigentum wieder holten, Elsaß-Lothringen, das uns die Welschen zwei Jahrhunderte zuvor mit Gewalt und Verrat genommen hatten.

Rußland, das seit der Einigung Deutschlands verschnupft war, weil es nicht mehr die erste Violine auf dem europäischen Festland spielen konnte, machte gleich nach 1870 ein Bündnis mit den geschlagenen Franzosen und sagte ihnen seine Hilfe zu. Schon damals meinten kluge Leute in Deutschland, man sollte auch alsbald den Russen, die bei dem heutigen Krieg nicht bloß den Franzosen helfen wollten, sondern auch Galizien und Konstantinopel zu gewinnen hofften, den Meister zeigen wie den Franzosen.

Aber wir Deutsche sind die gutmütigsten Leute von der Welt. Wenn uns einer nicht extra, wie man im Schwarzwald sagt, mit der Mistgabel stupft, bleiben wir ruhig, und wenn wir einem seine Tracht wohlverdienter Prügel gegeben haben, sind wir gleich wieder gut mit ihm.

Wir haben seit 1870 mit allen Völkern und Staaten in und außerhalb Europas im Frieden leben wollen, sind allen entgegengekommen, wenn sie einen Wunsch hatten und haben ihnen alle unsere Einrichtungen: wissenschaftliche Institute, Hochschulen, Militäranstalten zum Lernen und Studium geöffnet und besonders den Franzosen, Engländern, Russen und Amerikanern schön getan, oft schöner, als es sich mit der Würde einer starken Nation vertrug.

Zum Dank sind alle über uns hergefallen, und als der Krieg losging, hatten wir nirgends Freunde. Überall glaubte man den Lügen der Engländer und ihrer Verbündeten mehr als uns, trotzdem der Deutsche Kaiser hoch und teuer und in feierlichster Weise versicherte, daß er den Krieg nicht gewollt und alles getan habe, um ihn in letzter Stunde zu verhindern. Aber das Spiel war zwischen unsern Gegnern seit Jahren abgekartet, und sie vollzogen, was sie längst beschlossen. –

Wir Deutsche gleichen, wenn wir ein Bild aus der Fischwelt nehmen wollen, dem Delphin, wie ihn die alten, heidnischen Griechen schilderten. Er war wegen seiner Gutmütigkeit, Liebenswürdigkeit und Dienstgefälligkeit der Liebling des Meergottes Poseidon (Neptun) und aller Seegöttinnen und Seeprinzessinnen, mit denen die griechische Sage so reizvoll das Meer bevölkerte. Der Delphin trug die Meereshoheiten durch die Wellen als Seepferd; er vermittelte ihre Zusammenkünfte als »Liebesbote«. Er galt als Liebhaber von Musik und Gesang, verließ, wenn ein Hirte am Ufer des Meeres seine Flöte blies, das Wasser, legte sich neben seine Herde und hörte zu. Er zeigte überhaupt große Anhänglichkeit an die Menschen.

Als der berühmte griechische Zitherspieler, Sänger und Dichter Arion, auf der in unsern Kriegstagen öfters genannten griechischen Insel Lesbos um 630 vor Christus geboren, von einer Konzertreise nach Italien und Sizilien zu Schiff nach Griechenland heimkehren wollte, hatte er viel durch seinen Gesang verdientes Geld bei sich. Deshalb wollte ihn der Schiffer ermorden und ließ ihm nur die Wahl, entweder von seiner (des Schiffers) Hand zu sterben oder sich ins Meer zu stürzen.

Arion wählte das letztere, sang noch zu seiner Zither ein Lied, das ein Delphin vom Wasser aus hörte – und sprang ins Meer. Aber der Fisch nahm ihn auf seinen Rücken und trug ihn an die griechische Küste. –

Der Delphin hat auch noch die Eigenschaft, daß er im Tode ächzt und stöhnt und Tränen vergießt, wie ein gequälter Mensch.

So liebenswürdig und gemütlich er ist, um so wilder gebärdet er sich aber, wenn er gereizt wird. Dann greift er die größten Fische an und bezwingt sie.

Ob seiner Dienstgefälligkeit und seiner Liebenswürdigkeit wurde er von dem Meeresgott unter die Sterne versetzt, und heute noch trägt ein Sternbild am nördlichen Himmel seinen Namen.

Und nun sage ich: Der Delphin unter den Menschen ist der Deutsche. Er ist gehorsam und dienstgefällig gegen seine Vorgesetzten, er gibt Gott, was Gottes und dem Kaiser, was des Kaisers ist. Er ist gesellig, liebt Gesang und Musik und vergießt Tränen im Überfluß, weil ihn die meisten Leiden heimsuchen von allen Geschöpfen. Wird er aber gereizt, so verfällt er dem » furor teutonicus«, das ist dem »deutschen Ungestüm«, das schon der römische Dichter Lucanus († 65 nach Christus) gekannt und benannt hat, und dann wirft er alles vor sich nieder, das ihm feindlich entgegensteht.

So macht er es in diesem Krieg, in welchem eine ganze Welt von Feinden ihm gegenübersteht und Völker aus allen Teilen der Erde – alle wirft der deutsche Soldat zurück, damit sie nicht in sein Vaterland eindringen und morden, rauben, sengen und brennen können. Und er erwirbt sich durch diesen Riesen- und Heldenkampf Ruhm, der bis zu den Sternen dringt und in der Geschichte fortleben wild durch die Jahrhunderte, solange die Sterne am Firmament wandeln. –

So, ihr lieben Fischleute, jetzt wißt ihr, was Krieg heißt und warum es an den Küsten der Nordsee und im Mittelländischen und Adriatischen Meere so oft aus Kanonen donnert. Ich will euch nun noch sagen, warum so viele Schiffe mit allem Hab und Gut und mit so vielen Menschenleben auf den Meeresgrund kommen.


 << zurück weiter >>