Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

XII.

Die blaugekleidete Mutter befand sich in der schrecklichsten Spannung, sie erwartete jeden Augenblick ein Signal vom Hafen her, und der Weg von dort war nicht frei, niemand konnte ihn passieren, solange ihr Mann das Haus nicht verlassen wollte. Ach, dieser Mann, dieser Mann mit seinen vierzig Jahren und dem Mondschein! Was für ein unheimlicher Gedanke war es nur, der ihn heute abend so bleich machte, und der ihn dort im Stuhl verharren ließ, unerschütterlich, unerbittlich, während er unverwandt in seine Zeitung starrte?

Sie hatte keine Minute Ruhe; jetzt war die Uhr elf. Die Kinder hatte sie längst zur Ruhe gebracht; aber der Mann ging nicht. Wie, wenn das Signal ertönte, die Thüre mit dem kleinen, lieben Schlüssel geöffnet wurde, – und zwei Männer einander begegneten, sich von Angesicht zu Angesicht gegenüberstanden und sich in die Augen sahen! Sie wagte nicht, diesen Gedanken zu Ende zu denken.

Sie ging in die dunkelste Ecke des Zimmers, rang ihre Hände und sagte endlich geradezu:

»Jetzt ist die Uhr elf. Wenn du noch in den Klub gehen willst, mußt du jetzt gehen.«

Er erhob sich Plötzlich, noch bleicher als zuvor, und ging aus dem Zimmer hinaus, aus dem Hause hinaus.

Draußen vor dem Garten bleibt er stehen und lauscht einer Pfeife, einem kleinen Signal. Schritte ertönen auf dem Kieswege, ein Schlüssel wird in das Hausthürschloß gesteckt und herumgedreht; – dann werden, nach einer Weile, zwei Schatten auf dem Vorhang des Zimmers sichtbar.

Und er kannte von früher das Signal, die Schritte und die beiden Schatten auf dem Vorhang; alles war ihm bekannt.

Er geht nach dem Klub. Der ist geöffnet, es ist Licht in den Fenstern, aber er geht nicht hinein, Zwei Viertelstunden treibt er sich dann auf den Straßen und vor seinem Garten umher, zwei endlose Viertelstunden. Laßt mich noch eine Viertelstunde warten! denkt er, und er verlängert diese eine zu dreien. Dann geht er in den Garten hinein, steigt die Treppe hinauf und schellt an seiner eigenen Thür.

Das Mädchen kommt und öffnet, steckt den Kopf ein wenig zur Thür hinaus und sagt:

»Die gnädige Frau ist schon lange – –«

»Ja wohl, schlafen gegangen,« entgegnet er. »Wollen Sie der gnädigen Frau sagen, daß ihr Mann zurückgekommen sei.«

Und das Mädchen geht. Sie klopft bei ihrer Herrin an und richtet ihren Auftrag durch die geschlossene Thür aus:

»Ich sollte sagen, daß der Herr zurückgekommen wäre.«

Die Hausfrau fragt von innen:

»Was sagst du, ist der Herr zurückgekommen? Von wem solltest du das sagen?«

»Von dem Herrn selber. Er steht da draußen.«

Da erschallt ein verzweifelter Jammerschrei aus dem Zimmer der Hausfrau, es wird eifrig geflüstert, eine Thür wird geöffnet und wieder geschlossen. Dann wird alles still.

Und der Herr tritt ein. Seine Gattin tritt ihm entgegen, den Tod im Herzen.

»Der Klub war verschlossen,« sagt er sofort aus Barmherzigkeit und Gnade. »Ich sandte dir Bescheid hinein, um dich nicht zu erschrecken.«

Sie sinkt auf einen Stuhl nieder, getröstet, befreit, gerettet. In dieser glückseligen Stimmung strömt ihr gutes Herz über, und sie fragt nach dem Befinden des Mannes.

»Du bist so bleich. Fehlt dir etwas, Liebster?«

»Mich friert nicht,« erwidert er.

»Ist dir denn etwas zugestoßen? Dein Gesicht ist so wunderlich verzerrt.«

Der Mann erwidert:

»Nein, ich lächle. Dies soll meine Art und Weise zu lächeln sein. Ich will, daß fortan diese Grimasse mir eigen sein soll.«

Sie lauscht diesen kurzen, heiseren Worten und begreift sie nicht, faßt sie nicht. Was kann er nur meinen?

Plötzlich aber schlingt er seine Arme um sie, eisenhart mit schreckeinjagenden Kräften, und flüstert ihr ins Gesicht hinein:

»Was meinst du, wenn wir ihm Hörner aufsetzten, – – ihm, der eben wegging, – – wenn wir ihm Hörner aufsetzten?«

Sie stößt einen Schrei aus und ruft das Mädchen herbei. Er giebt sie mit einem ganz leisen, trocknen Lachen frei, wobei er den Mund wie zum Gähnen aufsperrt und sich auf beide Schenkel schlägt.

Am Morgen gewinnt das gute Herz der Gattin wieder die Oberhand und sie sagt zu ihrem Mann:

»Du hattest gestern abend einen wunderbaren Anfall; er ist ja jetzt überstanden; aber du bist auch heute noch bleich.«

»Ja,« erwidert er, »es ist anstrengend, in meinem Alter geistreich zu sein. Das bin ich nie mehr.«

— — — — — — — —

Aber, nachdem er von allerlei Liebe erzählt hat, berichtet der Mönch Vendt von noch einer Art und sagt:

»Denn so berauschend ist eine eigene Art Liebe!

Die jungen Herrschaften sind eben heimgekehrt, ihre lange Hochzeitsreise ist beendet, und sie begeben sich zur Ruhe.

Eine Sternschnuppe fiel über ihrem Dach herunter.

Im Sommer lustwandelten die jungen Herrschaften zusammen und wichen nicht von einander. Sie pflückten gelbe und rote und blaue Blumen, die sie einander reichten, sie sahen das Gras sich im Winde bewegen und hörten die Vögel im Walde singen, und jedes Wort, das sie sprachen, war wie eine Liebkosung. Im Winter fuhren sie mit Schellen an den Pferden, und der Himmel war blau, und hoch oben sausten Sterne an den ewigen Ebenen dahin.

So vergingen viele, viele Jahre. Die jungen Herrschaften bekamen drei Kinder, und ihre Herzen liebten einander, wie am ersten Tage während des ersten Kusses.

Da bekommt der stolze Herr seine Krankheit, die ihn so lange ans Bett fesselte und die Geduld seiner Gattin auf eine so harte Probe stellt. An dem Tage, als er genesen war und das Bett verließ, erkannte er sich selbst nicht wieder. Die Krankheit hatte ihn verunstaltet und ihn seines Haares beraubt.

Er litt und grübelte. Eines Morgens sagte er:

»Jetzt liebst du mich wohl nicht mehr?«

Seine Gattin aber schlang errötend die Arme um ihn und küßte ihn so leidenschaftlich, wie im Lenz seiner Jugend und antwortete:

»Ich liebe, liebe dich beständig. Ich vergesse niemals, daß du mich und keine andere erwählt und so glücklich gemacht hast.«

Und sie ging in ihre Kammer und schnitt all ihr goldenes Haar von ihrem Haupte, um ihrem Gatten gleich zu sein, den sie liebte.

Und es vergingen wieder viele, viele Jahre, die jungen Herrschaften wurden alt, und ihre Kinder waren erwachsen. Jedes Glück teilten sie wie früher; im Sommer gingen sie noch auf die Felder hinaus und sahen das Gras wogen, und im Winter hüllten sie sich in ihre Pelze und fuhren unter dem Sternenhimmel. Und ihre Herzen blieben immer warm und froh wie von wunderlichem Wein.

Da ward die Frau lahm. Die alte Frau konnte nicht auf ihren Füßen gehen, sie mußte in einem Stuhl mit Rädern gefahren werden, und der Mann fuhr sie selber. Die Frau aber litt unsäglich unter ihrem Unglück, und ihr Gesicht bekam tiefe Furchen vor Kummer.

Da sagte sie eines Tages:

»Jetzt möchte ich gern sterben. Ich bin so lahm und so häßlich, und dein Gesicht ist so schön, du kannst mich nicht mehr küssen, und du kannst mich nicht mehr so lieben wie früher.«

Der Herr aber umarmt sie, rot vor Bewegung, und antwortet:

»Ich liebe dich mehr als mein Leben, du Liebe, ich liebe dich wie am ersten Tage, wie in der ersten Stunde, als du mir die Rose gabst. Weißt du das noch? Du reichtest mir die Rose und sahest mich mit deinen schönen Augen an; die Rose duftete, wie du, du errötetest wie sie, und ich ward in allen meinen Sinnen berauscht. Aber noch mehr liebe ich dich jetzt, du bist schöner, als in deiner Jugend, und mein Herze dankt dir und segnet dich für jeden Tag, den du mein gewesen bist.«

Der Herr geht in seine Kammer, gießt Säure über sein Gesicht, um sich zu entstellen und sagt zu seiner Gattin:

»Ich hatte das Unglück, Säure in mein Gesicht zu bekommen, meine Wangen sind voller Brandwunden, und du liebst mich wohl nicht mehr?«

»O, du mein Bräutigam, mein Geliebter!« stammelt die alte Frau und küßt seine Hände.

»Du bist schöner als irgend ein Mann auf Erden, deine Stimme macht mein Herz noch heutigen Tages heiß, und ich liebe dich bis in den Tod.«

.


 << zurück weiter >>