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Der Eroberer

I

Eine Gesellschaft von jungen Leuten ruderte nach der Insel hinaus. Einer der Herren erhob sich stattlich und jung im Boot und deklamierte Gedichte; man konnte es vom Ufer aus hören. Alle Damen lauschten ihm, nur die jüngste von ihnen, ein lebensprühendes Mädchen mit blondem Haar und bebenden Nasenflügeln zog es vor, die Augen zu dem schönen Bootsmann am Ruder hinüberschweifen zu lassen, sie lachte über seine Bemerkungen und ermunterte ihn zu weiteren.

Hierüber ward der Herr mißmutig. Und er las seine Gedichte mit lauterer Stimme, und seine Wangen erhielten Farbe.

Plötzlich hielt er inne. Er wendete sich nach der unaufmerksamen Schönen auf der Ruderbank hinter ihm um und sagte:

»Sie haben recht, meine Gedichte sind nicht gut. Aber ich kann auch etwas erzählen, und das mache ich vielleicht besser. Sobald wir an Land kommen, sollen Sie es hören.«

Und alle Damen klatschten in die Hände und freuten sich auf das, was er von seinen Reisen erzählen wollte, denn seine Abenteuer waren unzählig. Nur sie, die seine Gedichte nicht anhören mochte, war auch jetzt nicht begeistert. Und der Herr ärgerte sich mehr und mehr.

»Was wollen Sie denn?« fragte er in seiner Verzweiflung.

»Was ich will? Ich verstehe Sie nicht!« antwortete sie verwundert. »Ich heiße Andrea, es ist nichts an mir, ich bin nur fröhlich, daß ich diese Fahrt mitmachen durfte.« Und sie sah wirklich so aus, als meine sie, was sie sagte, der Schelm.

Sie landeten, sie packten den Wein aus, schenkten die Gläser voll und tranken. Aber weit fort, hinter dem niedrigen Gesträuch am Strande mußten wohl Andrea und der Bootsmann lustwandeln und Eier von Seevögeln suchen. Denn von Zeit zu Zeit führte der Wind ihr Lachen zu der Gesellschaft herüber.

»Jetzt müssen Sie erzählen!« rief man.

»Schafft alle herbei, laßt auch Andrea kommen,« erwiderte er. Er stieg auf einen Stein und rief Andrea mit warmer, lockender Stimme.

Und Andrea kam. Sie stand da und sah ihn fragend an.

»Mein Fräulein, für Sie allein erzähle ich,« sagte er, so daß alle es hörten. »Sie stehen hier wie ein silbernes Kreuz in der Sonne. Nicht nur, daß Ihre Schönheit so groß ist, sondern auch durch Ihre Jugend haben Sie es mir angethan – durch Ihre herrliche Jugend. Es ist Blut unter der Haut Ihres Armes, Liebste, ich will Ihnen mit den rötesten Worten meines Herzens huldigen.«

Andrea aber sah die Gesellschaft ganz unglücklich an und setzte sich.

Und dann erzählte er.

Er erzählte eine ganze Stunde lang; diese Stimme verstummte nicht, eine wilde, großartige Stimmung schien ihn zu beherrschen, und der Reisegenosse, von dem er erzählte, hatte wunderliche Dinge erlebt.

»Langweile ich Sie?« fragte er.

»Nein, nein,« riefen alle, Herren wie Damen.

Und Andrea antwortete nicht.

Er fragte:

»Weshalb antworten Sie nicht? Für Sie allein erzähle ich. Warten Sie ein wenig, ich habe nur noch das eine zu sagen, daß der Mann, von dem Sie dies alles gehört haben, durchaus nicht glücklich war. Alles ging gut, und er gewann bei allen diesen kleinen Kämpfen, er siegte bei allen galanten Abenteuern; eines Tages aber ward er von der großen, ewigen Liebe ergriffen, und da verlor er.«

»Bravo!« sagte Andrea mit gesenkten Lidern. »Erzählen Sie davon!«

Den Eroberer aber verwirrte diese Ruhe, ja ihre Kälte brachte ihn zur Verzweiflung, und er kämpfte mannhaft, um sich von ihrer Macht zu befreien. Die andern Damen ließen der Sache ihren Lauf, denn mehr als eine von ihnen kannte sein Herz. Fiel das Los heute auf die eine, würde es morgen, wenn die Sonne in andere Teile seiner Seele geleuchtet hatte, auf eine andere fallen.

Andrea fuhr fort:

»Erzählen Sie davon!«

»Weshalb sollte ich das thun?« erwiderte er. »Ihre Kälte macht mich frieren. Meine Damen und meine Herren, der Abend ist hereingebrochen!«

Sie kehrten heim. Auf der Rückfahrt gab er dem Bootsmann eine schallende Ohrfeige und griff selber nach den Rudern. Er sah nicht, hörte nicht, ruderte aber wie ein Bär.

Als sie das Ufer erreicht hatten, schritt plötzlich Andrea an seiner Seite. Er packte sie beim Arm und sagte leichenblaß mit bebenden Lippen:

»Quälen Sie mich nicht länger, ich halte es nicht aus. Treffen Sie jetzt Ihre Entscheidung. Ich habe noch kein Weib geliebt, wie ich Sie liebe; sagen Sie jetzt, was ich thun soll, ob ich leben oder sterben soll!«

»Leben!« antwortete sie jubelnd. »Ich habe dich immer geliebt, von dem ersten Augenblick an, wo ich dich sah. Weshalb, glaubst du, habe ich dich heute gequält? Ach, ich habe mich selber mehr gequält und habe gelitten, wie nie zuvor.« Und sie sah ihn mit großen, verwunderten Augen an und nannte ihn ihren Fürsten und ihren Gott.

Einige Tage lang war sein Glück vollkommen; der Sieg war süß gewesen, und er genoß ihn, wie er es immer gethan hatte. Dann stellte sein altes Unglück sich wieder ein, der Überdruß befiel ihn, die Erschlaffung nach dem Kampf, der Fluch. Er schlich von dannen, verschwand, reiste nach der nächsten Stadt und schrieb nicht, sandte keine Nachricht, kehrte nicht zurück.

 

II

Vor zwei Tagen war er in diesem Touristenhotel angelangt, wo nur wenige Menschen verkehrten. Alles war herzlich langweilig in dem Städtchen, nichts ereignete sich, sein Herz war ruhig und müde.

Da begegnete er eines Nachmittags einer Dame auf der Treppe; sie wollte hinunter, er wollte hinauf; und er nahm seinen Hut ab und grüßte, indem sie vorüber ging. Sie verschwand im Garten. Der Wirt erteilte die Auskunft, daß sie soeben im Hotel angelangt sei; sie reise mit ihrem Vater zusammen.

Ein langes, grünes Tuchkleid, ein großer, schwarzer Hut und eine Reitpeitsche – das hatte seinen Schritt auf der Treppe gehemmt. Sie hatte ihn kaum angesehen, nur eine Sekunde mit einem flüchtigen Blick von der Seite, dann hatte sie ihr Kleid mit der einen Hand in die hohe gehoben und war vorübergegangen.

Er ging ihr nach, in den Garten hinab. Die Uhr war sieben, es hatte angefangen zu tauen.

»Es taut,« sagte er unbefangen und trat auf sie zu. Und zeigte auf ihre Füße und wiederholte, daß es taue.

Sie sah ihn verwundert an und betrachtete dann die Spitzen ihrer Stiefel.

»Verzeihen Sie,« begann er von neuem, »ich ging Ihnen wirklich nicht nach, um mit Ihnen zu sprechen; aber es taut, und es ist bereits naß auf den Wegen und im Grase. Das wollte ich Ihnen sagen, weil Sie hier vielleicht unbekannt find.«

Sie stammelte: »Ich verstehe Sie nicht – –«

»Ich begrüßte Sie auf der Treppe,« fuhr er fort. »Ich war es, der dort stand. Der flüchtige Blick, den Sie mir schenkten, hat es mir angethan.«

Da fragte sie endlich: »Was wollen Sie?«

Sein Herz begann zu pochen, er verlor das Gleichgewicht und rief aus:

»Sehen Sie hier, nehmen Sie, was Sie wünschen, ich gebe Ihnen alles, was ich habe, wenn Sie meinen, daß ich etwas von Ihnen wollte. Nein, deswegen kam ich nicht. Ich wollte nur vor Ihnen stehen und Sie ein wenig anschauen, denn Sie sind so wunderbar.«

»Ich habe nie etwas Ähnliches gehört,« sagte sie kalt und gekränkt.

»Nun ja, dann verzeihen Sie mir!« murmelte er und gab alles auf.

Sie sah von ihm weg und auf ein Blumenbeet herab und wandte ihm den Rücken. Er wollte sein Auftreten wieder gut machen und ergriff die Gelegenheit, um zu sagen:

»Ja, denken Sie nur, es saust in allen Rosen, die Sie ansehen. Ich habe ihnen gelauscht. Ob sie wohl dort stehen und miteinander sprechen, ob wohl dies Sausen ihre Sprache ist? hören Sie, ob sie vielleicht etwas sagen.«

Sie begann sich zu entfernen.

»War denn auch das letzte, was ich sagte, verkehrt?« fragte er beklommen.

»Aber es waren ja keine Rosen, es ist ja Mohn,« erwiderte sie.

»Also Mohn!« sagte er. »Ob dies Sausen unter den Blütenköpfen nicht Stimmen sein können, die sich miteinander unterhalten?«

Sie war gegangen. Ehe er ausgesprochen hatte, fiel die Gartenpforte ins Schloß. Gut.

Er ging in einer wunderlichen, eigenartigen Gemütsverfassung auf eine Bank zu und setzte sich. Die auffallende Schönheit der Fremden hatte es ihm angethan. Als die Speiseglocke erscholl, erhob er sich und begab sich in der größten Spannung in den Speisesaal. Wenn sie jetzt käme und sich dort hinsetzte, wenn er sie begrüßte!

Sie kam. Die Reitpeitsche trug sie auch jetzt in der Hand. Der Vater folgte ihr, ein alter schöner wann mit dem Aussehen eines Offiziers.

Jetzt kam es darauf an, die Sache richtig anzufassen, sich zu verneigen und sich den beiden gerade gegenüber zu setzen. Jetzt thue ich es! dachte er. Und er that es. Die Schöne errötete tief. Vater und Tochter sprachen von ihrer Reise am folgenden Tage. Der Alte fragte direkt über den Tisch nach der Route, nach den Wegen, den Hotels. Und der arme Eroberer, der nie zuvor Routen und Wege gekannt hatte, besann sich in aller Eile und gab vorzüglich Bescheid. Als die Mahlzeit beendet war, ging er hin und stellte sich den beiden vor. Brillant, ganz brillant, sie kannten beide seinen Namen.

Auf dem Gang hielt er plötzlich die Tochter des Offiziers zurück und sagte:

»Nur ein Wort, mein Fräulein, reisen Sie morgen nicht! Bleiben Sie hier! Ich will Ihnen mehrere Aussichten zeigen, den Gießbach, die Schiffswerften. Morgen abend will ich mich Ihnen zu Füßen werfen und Ihnen danken.«

Die Schöne ging nicht weiter, geduldig hörte sie ihn an.

Da fügte er hinzu: »Mein Leben liegt in Ihrer Hand.«

Sie lächelte.

»Um jeglichem Mißverständnis vorzubeugen, will ich Sie darauf aufmerksam machen, daß ich auf dem Wege zu meinem Verlobten bin, und daß ich morgen reise,« sagte sie.

»Nein,« rief er und stampfte auf den Fußboden. Und er ergriff ihre Hand, drückte sie und küßte sie.

Sie riß sich los, erhob die Reitpeitsche und versetzte ihm einen sausenden Schlag ins Gesicht. Er wurde plötzlich ruhig und richtete sich auf; ein blutroter Streif lief über seine linke Wange. Sie betrachtete ihn einen Augenblick, ließ die Peitsche sinken und flüsterte plötzlich mit bebenden Lippen:

»Ich habe Sie geschlagen.«

»Das thut nichts,« entgegnete er. »Wiederholen Sie es, es ist mir eine Freude.«

Aber mit gesenktem Haupt, die Augen zu Boden gerichtet, eilte sie von dannen, eine Treppe hinauf, auf ihr Zimmer, wo niemand sie sehen konnte.

– Sie reiste nicht am folgenden Tage. Sie besuchten die Aussichtspunkte, den Gießbach, die Schiffswerften, wie war die ganze Welt verändert, wie strömte ihr Herz plötzlich über von süßer Thorheit! Nein, sie würde niemals diese trübselige Reise gen Süden zu diesem Manne gemacht haben, den sie nicht mehr liebte, wenn ihr Vater, der Offizier, es ihr nicht befohlen hätte. Aber sie würde wieder kommen, würde gleich wieder da sein. Und sie reichte dem Eroberer die Hand.

»Ich komme mit,« sagte er, »ich folge dir morgen. Auf Wiedersehen, meine einzig Geliebte!«

 

III

Nun folgten, wie das immer so gewesen war, während einer kurzen Zeit, einige Stunden, in denen er in einem unsagbaren Rausch einherging und nichts sah und hörte, als seine Geliebte. Er telegraphierte fast stündlich und schrieb einen Brief und noch einen Brief auf duftendem Papier. Er las diese schönen Worte mit der lebhaftesten Freude und trug einen lebenden Blumenflor in seinem Innern mit sich herum.

Die Stunden entflohen. Weswegen reiste er nicht? In dem entzückten Zustand, in dem er sich befand, versäumte er es, das Hotel zu verlassen und sich auf die Reife zu begeben. Nach zwei Tagen war er noch nicht fort, weil er es nicht übers Herz bringen konnte, sich von diesen entzückenden Briefen zu trennen, die noch immer anlangten. Weshalb wurden ihrer so viele, sogar zu viele! Die ersten waren die liebsten. Sie waren seinem Herzen alle kleine Rosen; aber dann kamen sie allzu häufig.

Eines Abends ließ er den Brief der Schönen uneröffnet bis zum Morgen liegen, wunderbar, daß er ihn nicht mehr sofort mit zitternden Händen öffnete, so wie ehedem!

Als er in den Speisesaal hinabkam, traf er dort eine Dame in Reisekleidern. Sie und ihre Begleitung waren soeben angelangt; sie war Künstlerin, ein zartes Mädchen, auf ihrer Tournée, lachend, warm, aufbrausend in ihren Stimmungen. Sie ward von ihrer eigenen Mutter bewacht.

Er grüßte.

Sie lächelte und grüßte wieder. Ihr Lächeln war rot. Weshalb reiste er nicht? War es das Schicksal? Er ergriff die erste Gelegenheit, um der jungen Künstlerin seine Dienste anzubieten, er wollte ihr behilflich sein. Sie verabredeten einen bestimmten Zeitpunkt, wann er sie nach den Schiffswerften begleiten sollte.

Er kam eine ganze Stunde zu früh. Es regnete, und er wartete wie ein Held. Es thut nichts, sagte er zu sich, ich bin glücklich wie ein Gott, weil ich um ihretwillen naß und müde werde! Er stand zwei Stunden da; er hörte nichts von ihr. Endlich sandte sie ihm ihre Mutter an ihrer Statt, sie wollte diesen Spaziergang nicht mit ihm machen, sie zog es vor, einige Freunde zu besuchen. Und die alte Mutter fragte nicht, ob er lange gewartet habe, bedauerte nicht, daß er naß geworden war. Sie war ganz mitleidslos.

Er ging heim. Er wanderte in dem langweiligen Hotel aus einem Zimmer in das andere, eine Beute der ärgsten Ungeduld. Weshalb kam die Person nicht von ihren Freunden zurück? Es war spät geworden, die Nacht war angebrochen. Er mußte zu Bett gehen, ohne sie gesehen zu haben. Schlafen konnte er nicht, er zündete Licht an, rauchte eine Cigarre nach der andern und fand keine Ruhe. Wie schwer und dunkel ihm der Kopf ward, wie seine Augen qualvoll die gewürfelten Tapeten der Wand anstarrten!

Endlich sprang er aus dem Bett und kleidete sich an. Er wußte, wo das Zimmer der Künstlerin lag, und er sah ihre Schuhe vor der Thür stehen. Er näherte sich der Thür und lauschte.

Nichts, nicht ein Laut. Dann kniete er nieder und küßte die beiden kleinen Schuhe wie ein Narr, wie ein Wahnsinniger. Darauf kehrte er wieder in sein Zimmer zurück. Und er versprach sich selber, der Sache am Morgen ein Ende zu machen, ihr ein Geständnis abzulegen und zu siegen oder zu sterben.

Aber am Morgen war sie dann mitsamt ihrer Begleitung abgereist.

Er erkundigte sich nach dem Wege, den sie eingeschlagen hatte, und brachte in Erfahrung, daß sie nordwärts nach der nächsten Stadt gereist war.

Am selben Morgen hatte die Tochter des Offiziers geschrieben: »Komm gen Süden; jetzt steht hier alles in Blüte!«

Und er reiste spornstreichs gen Norden.

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Druck von Hesse & Becker in Leipzig.

 


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