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Vierter Gesang

Ausgestossen aus dem Paradiese
Durch der neid'schen Schwestern bösen Anschlag
War nun Psyche. Aber froh nicht wurden
Des Gelingens ihres Anschlags diese.
Denn als neugierglühend sie des andern
Tags zum Felsen stürzten, zu erkunden,
Ob gefolgt dem bösen Rath die Schwester,
Wähnend, tragen würde sie der Zephyr,
Wie vordem er immer sie getragen,
Anvertrauten sie, wie sonst, dem Wind sich,
Mit dem Fuss hinaus in's Leere hastend.
Aber Zephyr, keine Schwinge regend,
Lachte tückisch, und in's Bodenlose
Taumelt hin das Paar, das schnöde, kläglich
Haupt und Glieder am Geklipp zerschellend.
Aber Psyche auch will nicht mehr leben.
Fortgeeilt auf unwegsamen Pfaden
Ist sie bis in's öde Waldgebirge,
Und verzweiflungsvoll von eines Abgrunds
Rand springt sie hinab, den Tod zu suchen.
Doch auf eine blumig weiche Stelle
Gleitet sie in dicht begras'ter Thalschlucht,
Wo soeben auf dem grünen Rasen,
Zwischen dessen Gräsern Hyacinthe
Blüht und Krokus, heiter sich gesellen
Holde Nymphen, schlingend einen Reigen
In der Mädchen Mitte tanzte, tollte
Eine Mannsgestalt mit Ziegenfüssen,
Zweien Hörnchen, einem langen Bocksbart,
Einen Fichtenkranz um's Haupt geschlungen,
Und ein zottig Luchsfell um die Schultern;
Tanzt im Bockssprung, spielt mit heller Syrinx
Auf zum Tanz sich selber und den Nymphen.

Doch als plötzlich mitten in den Reigen
Stürzt vom Fels das arme Kind, dass schreiend
Auseinanderstieben die Erschrocknen,
Da erbarmt der gutgelaunte Waldgott
Sich des Mägdleins, trägt in seine Hütte
Die Betäubte, weckt sie neu zum Leben,
Labt mit Milch sie, Brot und süssen Feigen,
Spielt ihr zur Erheit'rung auf der Flöte.
Auch die Nymphen nah'n sich, wissbegierig,
Fragen nach des zarten Mädchens Schicksal,
Hören staunend, mitleidsvoll die Kunde,
Trösten mit Gesang und Tanz die Ärmste.
Doch am freundlichsten der Waldgott redet
Zur Verstoss'nen, räth ihr fortzuwandern,
Muthig den Geliebten aufzusuchen,
Zu versöhnen ihn mit Liebesworten.
«Aber ach,» versetzte Psyche traurig,
«Wo ihn finden? Ist er doch geflügelt,
Und von allen Göttern keiner wechselt
Wohl so rasch den Aufenthalt wie dieser!»
«Freilich wohl!» versetzt darauf der Waldgott;
«Kenn' ihn ja, den leicht beschwingten Liebling
Aller Götter, hab' vor Zeiten selbst auch
Kunstgerecht einmal mit ihm gerungen.
Wo er eben weilt? ich kann's nicht sagen.
Aber willst du Sicheres erkunden,
Nah' hier haus't im tiefsten Eichenforste
Eine greise Seherin, befreundet
Gar dem Lichtgott selbst, dem allbewussten.»

Weiter wandert die betrübte Psyche,
Bis sie stösst im tiefsten Eichenforste
Auf des Lichtgotts hochbetagte Freundin.
Und sie wandte sich zu ihr und fragte
Nach der Spur des Gottes. Drauf die Greisin:
«Überall zu Hause sind die Götter,
Alle Wege führen zu den Göttern.»
Psyche seufzt: «Wohin in dieser Weite
Nehm' ich meine Richtung?» Drauf die Greisin:
«Blick' um dich, und nach dem fernsten Punkte,
Den du siehst, stets lenke deine Schritte!»
Wieder flehte Psyche: «Zeig', ich bitte,
Zeig' den nächsten Weg. der führt zum Gotte!»
Sprach die Greisin: «Was dich führt zum Gotte,
Ist der Weg nicht, Kind, es ist das Wandern!»
Weinend Psyche klagt: «O wie die Sehnsucht
Ungeduldig mir im Busen wüthet!»
Jene drauf: «Je grösser deine Sehnsucht,
Desto näher, Kind, bist du dem Ziele!»
Fortfuhr Psyche: «Ach, und wenn ich nahe,
Nah' gekommen ihm nach langer Wand'rung,
Wird er mir sich zeigen wollen? wird er
Nicht sich spröd' in Nebelschleier hüllen,
Mitleidslos entschwinden?» Drauf die Greisin:
«Eine Glut der Sehnsucht gibt's, der Inbrunst,
Der kein Gott vermag zu widerstehen.» –

Mild getröstet, aber doch voll Unruh'
Ging von hinnen Psyche. Rastlos wandert
Über Berg und Thal sie durch die Länder,
Wund den Fuss, zerrissen die Gewände,
Aus dem Waldborn trinkend und sich nährend
Von der Sträucher Beeren, von der Bäume
Früchten, die auf ihrem Weg sie findet.
Ach, den schönen Gott stets muss sie suchen,
Und auch flieh'n zugleich: der Liebesgöttin
Tempelsitze, wo vielleicht auch Amor
Eben weilet mit der holden Mutter,
Darf sie ja nicht wagen aufzusuchen,
Arg bedräut vom Zorn der Schaumgebornen.
Und so wandert sie denn rathlos, ziellos,
Aber eingedenk des Worts der Greisin.
Wenn im Waldesdickicht sie geschlummert,
Geht erwachend sie am Morgen dahin,
Wohin just die Blumen ihre Kronen
Neigen, oder Palmen ihre Wipfel,
Oder wohin rieselnd geh'n die Wasser,
Oder folgt dem Zug der Wind' und Wolken,
Folgt der stillen Strömung aller Wesen,
Die ihr ja vertraut wie Brüder waren,
Und ihr allgesammt zu wandern schienen
Nach demselben Ziel, dem schönen Gotte.
Und die Wesen alle waren ihr auch
Wohl- und trautgesinnt: des Waldes Thierlein
Gingen gern mit ihr ein Stück des Weges,
Und wenn wo sie rastete, ermüdet,
Blieb das Eidechslein in ihrer Nähe,
Das den Menschen gern bewacht im Schlafe,
Dass kein giftiges Gewürm ihn steche.
Oftmals klagte Psyche: «Ach, was hilft mir's,
Wenn mir traut und hold sind alle Wesen,
Doch erbarmungslos der Vielgeliebte!
Denn wie heiss ich auch nach ihm verlange,
Stets an ihn nur denke, zu ihm flehe,
Nimmer, nimmer will er doch erscheinen!
Werd' ich niemals seine süssen Züge
Wieder schau'n, sein Auge, seine Wangen,
Wie ich sie entdeckt mit freud'gem Schrecken
Bei dem Schein der frevelhaften Lampe?
O dass ich zum mind'sten seine Stimme
Noch einmal vernähme – dass noch einmal,
Wenn auch ungeseh'n, er zu mir spräche,
Wie er unsichtbar zu seiner Psyche
Sprach vor Zeiten, kosend oder scheltend!
Ach, er ist ein schöner Gott; doch wahrlich,
Halb doch hatten Recht die neid'schen Schwestern:
Unheilbringend ist er auch und grausam,
Und geflügelt – ganz ein grimmer Drache!»

Also klagt auf ihrer langen Irrfahrt
Psyche schmerzlich oft, und wenn der Schlummer
Nächtens sinkt auf ihre müden Lider,
Wird sie heimgesucht von bösen Träumen,
Wie der Liebesgott sie quält im Zorne.
Meist als Falter sieht sie sich im Traume,
Um das Licht der Liebesfackel flatternd;
Oder Amor kommt als Vogelsteller,
Hascht den Falter, fasst ihn bei den Flügeln,
Setzt ihn auf die Hand sich, hebt empor ihn,
Triumphirend, bindet wie ein Range
Ihn an einen Faden, lässt ihn fliegen,
Hält ihn sengend über eine Flamme,
Gleich als wollt' er läutern ihn im Feuer.
Manchmal spannt er sie an seinen kleinen
Muschelwagen, spannt sie manchesmal auch
Gar an einen Pflug, in Sonnengluten
Steinig Ackerland mit ihr durchpflügend.
Manchmal bindet er an eine Säule
Sie, wie über eine schuld'ge Sklavin
Eine Geissel schwingend, unerbittlich.
Sinkt sie dann zu seinen Füssen nieder,
Hebt empor zu ihm die Hände, flehend
Um Erbarmen, dann wohl scheint ihn Mitleid
Plötzlich zu beschleichen und er wendet,
Eine Thräne aus dem Aug' sieh trocknend,
Sein Gesicht. Bei'm Anblick solcher Thräne
Schöpft sie Trost in die gekränkte Seele,
Sprechend zu sich selbst: «Es muss wohl gut sein,
Dass ich leide; würd' er sonst mich quälen?»

Über Berg und Thal fort wandert Psyche.
Spricht zu ihr einmal ein harmlos Schlänglein,
Das sich ringelte im Sonnenscheine:
«Komm und suche Rath bei meiner Herrin;
Komm zu ihr in jenen Marmortempel,
Schutz und Hülfe dir von ihr erflehend!»
Schüchtern in den Tempel trat das Mädchen;
Sieh, da sass auf blum'gem Thron die blonde,
Üppig schöne Göttin, auf dem Haupte
Einen Ährenkranz, ein Ährenbündel
In der Hand, und einen Korb voll Ähren
Auch zu Füssen. Flehend bat sie Psyche,
Mittlerin zu sein ihr bei dem schönen
Liebesgott und seiner strengen Mutter.
Aber barsch erklang ihr eine Stimme:
«Fort von hier! an dieser heil'gen Stätte
Ist nicht Raum für solch' ein schweifend Mädchen,
Das verletzt hat ewige Gesetze!
Hast du nicht zerstört die heil'gen Bande,
Die so traut verknüpften Sohn und Mutter?
Gegen eine Mutter, welcher frevelnd
Du den Sohn entrissen, heischest Hülfe
Du von einer Mutter, die das eig'ne,
Frevelhaft entriss'ne Kind betrauert?»
Eilig flüchtet Psyche. Besser rathen
Will der Pfau ihr, will der Frühlingsguckuk.
Komm,» so sprechen sie, «zu uns'rer Herrin,
Zu der Gattin komm des Göttervaters,
Rath und Hilfe dir von ihr erflehend.»
In den stolzen Marmortempel wagte
Schüchtern Psyche sich, wo liljenarmig,
Farrenäugig sass, in Prachtgewanden,
Hoheitsvoll, den Fuss in Goldsandalen,
Um das Haupt den sterngeschmückten Schleier,
Juno, die erhab'ne Himmelsherrin.
Wieder flehte Psyche: «O versöhne,
Götterfürstin, mich dem pfeilbewehrten
Liebesgott und seiner strengen Mutter!»
Aber barsch erklang auch hier die Stimme:
«Hebe dich von hinnen! Heil'ge Satzung,
Fromm geschloss'nen Ehebund nur schirm' ich,
Nicht die Tändelei verliebter Herzen!
Von des Göttervaters Ehgesponsin,
Die des Gatten Liebeslaunen zürnend
Stets verfolgt, und in den Tod, in Wahnsinn
Strafend jagte seine ird'schen Buhlen,
Heischest du, dass sie die flücht'ge Thorheit
Fördere des eitlen Götterknaben?
Fort! sonst trifft das Schicksal der Erzeugten
Inachos' dich, des Ägypterkönigs!»

Wieder flüchtet Psyche. Jetzo drängte
Sich der Wolf des Lichtgotts, sich der Rabe,
Sich der Schwan heran zu ihr, wohlmeinend,
Sprechend: «Unserm Herrn, dem schönen, hohen
Gott Apollo, Kind, dich anvertraue!
Ihm, dem Gott, der bändigt alle Schrecken,
Ihm, dem grossen Heilgott, dem Befreier!»
Und das herrlichste der Götterbilder
Sah sie stehn in stolzer Marmorhalle,
Sieghaft schreitend, glanzumstrahlt die Stirne,
Heldenhaft das stolze Haupt erhoben,
Aber weich umwallt von gold'nen Locken.
«Hehrer Licht- und Heilgott,» sprach sie flehend,
«Wirf den Strahl des Lichts in meine Nacht auch,
Und erlös' auch mich von meinem Übel;
Mache mir geneigt die Liebesgöttin,
Und versöhne mich dem holden Amor!»

Antwort klang ihr aus des Priesters Munde:
«Nicht umsonst des Lichtgott's heil'ger Schwelle
Nahst du, Mädchen! Gerne wird erhellen
Deines Herzens Nacht er, gern befreien
Dich auch von dem Übel! Doch das Übel,
Das dich quält, o Kind, es ist der schöne,
Aber unheilvolle Liebeswahnsinn,
Der die Herzen füllt mit bittrem Leide.
Aus dem Herzen dir die Liebe tilgen,
Und das holde Bild, wofür du glühest,
Muss der Gott mit seiner Strahlen Zauber,
Soll er dich von deinem Leid erlösen!»

«Aus dem Herzen mir die Liebe tilgen?»
Stammelt Psyche bleich, erschrocken; «nimmer!
Nimmer möcht' ich von der Liebe lassen;
Lieber trag' ich Leid durch's ganze Leben!»
Und sie eilt von dannen, raschen Schrittes,
Angstvoll flüchtend vor des Gottes Strahlen.

Während so umher das Mädchen irrte,
Schmachtete der Liebesgott, der holde,
In der Haft der schönen strengen Mutter.
Als er los von Psyche sich gerissen,
Fühlt' er Leid im Herzen, aber Schmerz auch
Fühlt' er von der Wunde, die der Tropfen
Glüh'nden Öhles in die Haut ihm brannte.
Seufzend lag im goldenen Gemach er.
Aber Kypris wiegt' in blauer Meerflut
Badend just die Götterpracht der Glieder.
Sieh, da kam der silberweisse Vogel,
Welcher glättend streift des Meeres Hochflut,
Und sein schwimmend Nest baut in den Wogen,
Gern den silberfüss'gen Meerfrau'n dienend:
Er berichtet der erschrocknen Göttin,
Dass ihr Sohn in Leid darniederliege,
Krank an einer Wunde, die ein Mädchen,
Das er liebt, mit einem schnöden Tropfen
Glüh'nden Öhles in die Haut ihm brannte.

«Wie?» rief Kypris hocherzürnt, «mein Knabe
Hat ein Liebchen? ei, wer ist die Kühne,
Die's gewagt, den bartlos eitlen Knaben
Zu verführen? Ist's der Nymphen eine?
Ist sie von der Horen Zahl? der Musen?
Ist es meiner muntern Grazien eine?»
Scherzhaft drauf der dienstbefliss'ne Vogel:
«Nicht der Grazien eine, noch der Nymphen,
Nicht der Horen, noch der Musen eine
Hat dein Söhnlein dir berückt; ein sterblich
Mädchen – Psyche, dünkt mich, ist ihr Name –
Ist's, die unablässig nach ihm trachtet.»
Ausruft unmuthsvoll die holde Kypris:
«Psyche liebt er? jene eitle Psyche,
Die sich unterfing, zu meiner eig'nen
Nebenbuhlerin sich aufzuwerfen,
Meinen Namen selbst sich anzumassen?
Meint er, schweigend werd' ich Solches dulden?
Etwa gar das Püppchen ihm vermählen?»

Eilig taucht mit diesen Zornesworten
Aus dem Meer die holde Liebesgöttin.
Angelangt im goldenen Gemache,
Ruft entgegen sie dem kranken Sohne:
«Ei, was muss ich hören? Meine Feindin,
Welche zu verderben ich dich sandte,
Hast du gar zum Liebchen dir erkoren?
So vollzogst du meinen strengen Auftrag?
Mir zu geben sie zur Schwiegertochter
Denkst du, tück'scher Knabe? Ja, ein Knabe
Bist du, bist ein Kind – ein thöricht Kind nur,
Und du denkst an Liebschaft und Vermählung?
Traun, der tollste ist's von deinen Streichen!
Liebtest ja sie stets, die tollen Streiche,
Kecken Muthwill treibend allerorten,
Unheil stiftend, heil'ge Bande trennend,
Ungeweihte knüpfend! Triebst dein Spiel ja
Frevelnd selbst mit des Olymps Bewohnern!
Hast du nicht mich selber, deine Mutter,
Spielend auch mit deinem Pfeil verwundet?
Ungerath'ner, dich Verstossen werd' ich,
Einen andern Pflegling mir erlesen,
Dem ich diese Flügel, diesen Bogen,
Diese Pfeile schenke, die ich wahrlich
Nicht zu solchen Thaten dir verliehen!»

Ihr erwidert der beschwingte Knabe:
«Was verbrach ich denn, dass gar so schwer du
Mich verdammst, du sonst so traute Mutter?
Einen Knaben nennst du mich? ein Kind nur?
Weisst du nicht, wie alt ich bin? warum doch
Wär's für mich allein nur ein Verbrechen,
Liebend mir ein holdes Kind zu ködern?
Ich, der so viel Liebesglut entfachte,
Soll mich selbst auf ewig ihr verschliessen?
Bist du nicht auch selbst der Liebe Göttin,
Und du willst verdammen sie, die Liebe,
Sie aus deinem eignen Haus verbannen?
Und mein Thun, mein Wesen rügst du scheltend?
Bin ich mehr gewesen als dein Sendling?
Lebt' ich dienend nicht dir stets zu Willen?
Warum machst du heute mir zum Vorwurf,
Was dir sonst gefiel, und was, das Haar mir
Streichelnd, nur mit einem holden Lächeln
Du zu ahnden pflegtest? ei, und hast du
Nicht seit Monden oftmals mich getadelt,
Dass ich nicht derselbe mehr, dass ernster
Ich geworden, dass in mir den muntern,
Tollen Knaben kaum du mehr erkennest?»

«Traun, so ist's!» versetzt die holde Venus.
«Wohl gewahrt' ich, dass du jüngst verloren
Ganz die schöne Munterkeit des Knaben,
Dass kopfhängerisch, nachdenklich, schweigsam
Du geworden; ja ich hörte seufzen
Dich, und einmal meint' ich gar im Auge
Des Unsterblichen, des Götterlieblings,
Meines Sohnes, etwas wie ein Thränchen,
Ja, ein menschlich Thränchen, zu erblicken.
Pfui der Schande! Und das Alles, Alles
Nur um jener schnöden Psyche willen?
Krank an Thorheit bist du, liebes Söhnlein!
Mutterpflicht mir ist es, dich zu heilen.
Dich in strenger Haft zu halten denk' ich,
Bis an Leib und Seele du genesen.
Und zur Wächterin dir geben will ich
Eine Greisin, die mir sonst verhasst ist.
Dieses Weib – die Nüchternheit geheissen –
Hässlich, hager, aber treu und wachsam,
Wird dich pflegen, dir die Wunde kühlen,
Wird vor neuen Streichen dich bewahren,
Wird, wenn nöthig, deinen Köcher leeren,
Deine Pfeile dir zerbrechen, schlaffer
Spannen deinen Bogen, und, damit nicht
Etwa gar die Lust zu flieh'n dich ankommt,
Deiner Flügel Spitzen dir beschneiden!»

So ereiferte die holde Göttin
Vor dem Sohne sich, und wie gedroht sie,
Hielt sie mitleidslos in strenger Haft ihn,
Gab zur Wächt'rin ihm die strenge Greisin.

In der That, verwandelt war seit Monden
Ganz der schöne, munt're Götterknabe.
Bleicher war geworden ihm die Wange,
Scherz und Muthwill schienen jetzt verhasst ihm,
Und er hatte schier verlernt zu flattern.
Taglang lag er, sass er, sinnend, träumend,
Und, wie Psyche, hatt' auch er gar bange,
Böse Träume Nachts in seinem Schlummer.
Er auch sah im Traum von seiner Liebsten
Sich gepeinigt oft in schnöder Weise,
Er auch sah von ihr vor einen Wagen
Sich gespannt, in's Joch geschirrt, mühselig
Wüstes Feld zu pflügen, sah gefesselt
Sich, an eine Säule festgebunden,
Sah von ihr als Vogel sich gefangen
Und zu Markt gebracht in einem Käfig,
Sah von ihr sein Flügelpaar beschnitten
Oder ausgerissen, sah, die Arme
Auf dem Rücken festgeschnürt, erbärmlich
Unter ihren Händen seinen Bogen,
Seinen Köcher auch mit allen Pfeilen
In den Flammen aufgeh'n und verkohlen.

Immer dacht' er schmerzlich nur an Psyche.
Sehnsuchtsvoll verlangt' er sie zu sehen,
Wieder sich an ihrem Kuss zu laben;
Und je mehr er liebte, desto bitt'rer
Grollt' er ihr, dass schnöd' sie mit dem ihren
Auch sein schönes Liebesglück vernichtet.

Eines Tages flog ein bunter Falter
Zu ihm in's Gemach, das streng verriegelt
War für Götter und für Menschen. Flatternd
Eine Weile, setzt' auf Amors Bogen,
Der zur Seit' ihm lag, bedeckt von Staube,
Sich zuletzt der Falter, kroch entlang dann
Auf und ab des Bogens Strang und Bügel,
Ungescheut, und liess sich nicht verscheuchen.
Ihn betrachtete gespannt der Knabe.
Psyche sah er jetzt in jedem Falter;
Und nun überkam ihn der Gedanke:
Ach, vielleicht hat gar die strenge Mutter
Das geliebte Mädchen mir verwandelt,
Und es muss nunmehr auf zarten Schwingen
Flattern durch die Lüfte, jedes Windes
Spiel und jedes wilden Knaben Beute!
O gewiss, sie ist's, die arme Psyche!
War' sie sonst mir in's Gemach geflogen?
Ganz in meine Nähe drängt sie traut sich,
Kriecht entlang des Bogens Strang und Bügel,
Will nicht weichen! – Also denkend, streckt er
Aus den Daumen und den Zeigefinger,
Und ergreift den Falter bei den Flügeln
Sacht, und spricht zu ihm mit Koseworten:
«Sei gegrüsst mir, mein geliebtes Seelchen;
Habe sehnsuchtsvoll nach dir geschmachtet!»
Und er drückt ein Küsschen auf des Flatt'rers
Bunte Flügelpracht, hinzu noch fügend
Manche traute, süsse Liebesrede.
Und dann plötzlich wieder fasst der Groll ihn,
Und er denkt des schmählichen Verrathes,
Denkt des glüh'nden Tropfens, dessen Brandmal
Seinen blüh'nden Götterleib entstellte.
Und schon ist er d'ran, dem armen Falter
Auszuzupfen seine bunten Flügel,
Zu zerquetschen mit den Rosenfingern
Seinen zarten Leib ihm: und so schwankt er,
Thöricht eifernd, zwischen Zorn und Liebe.

Solches sah und hört', im Winkel kauernd,
Finstern Blicks die Hüterin, die greise.
Und sie hinterbracht' es flugs der Göttin.
Diese, merkend, dass in Liebesthorheit
Unverbesserlich ihr Söhnlein rase,
Und vergebens Späher durch die Lande
Nach der Spur der Schuldigen entsendend,
Rafft sich zürnend auf, in den Olymp sich
Zu begeben und den Götterboten
Anzuwerben als beschwingten Helfer.

Von den Schwärmen sanfter Turteltauben,
Welche um das Haus der Herrin nisten,
Schweben vier heran, schneeweiss befiedert,
Beugen ihre schillernd bunten Hälse
Freudig in das Joch des gold'nen Wagens,
Welcher Kypris trägt zu lichten Höhen.
Durch die Wolken aufwärts mit der Göttin
Hebt das Glanzgefährt in's höchste Blau sich,
Von der Vögel Schaaren dicht umflattert,
Welche schmetternd, jubelnd, freudeschwelgend,
Mit dem süssesten Gesang des Äthers
Weiten Raum erfüllen; scheu zur Seite
Weicht der Habicht, weicht der stolze Aar selbst,
Vor den Tauben und den andern Schwärmen
Munt'rer Vogel im Geleit der Göttin.

Angelangt in den olymp'schen Höhen,
In den gold'nen Saal eintritt die Huldin
Und Mercur, den fussbeschwingten Boten,
Grüsst sie freundlich, spricht zu ihm die Worte
«Niemals, wie du weisst, mein theurer Bruder,
Hat gehandelt ohne deinen Beistand
Deine Schwester Kypris. Wieder heisch' ich
Deine Hilfe nun: ein Mädchen such' ich,
Das an mir, wie nie ein Weib, gefrevelt.
Ihre Spur verlor ich, und nicht weiss ich,
Wer ein heimliches Asyl ihr bietet.
Dir nur ist es möglich, theurer Bruder,
Hinzueilen auf beschwingten Sohlen,
Hin in alle Länder, zu verkünden
Allem Volke, was ich jetzt dir sage:
Götterzorn wird treffen unversöhnlich
Alle, die dem Mädchen Schutz gewähren!
Jenem aber, der in meine Hände
Liefert diese Schuldige, Verhasste,
Soll – beim Styx geschworen sei's – der Preise
Höchster werden: sieben süsse Küsse
Von dem Munde selbst der gold'nen Venus!»

Kypris sprach's, und seine Flügelsohlen
Unterband sich rasch der Götterjüngling.
Zu den Völkern hin in alle Lande
Bracht' er unverweilt die Götterbotschaft:
«Götterzorn dem Frevler, unversöhnlich,
Welcher schützt der hohen Liebesgöttin
Flücht'ge Sklavin Psyche: doch der Preise
Höchster dem, der sie nach Paphos liefert
Als Gefang'ne: sieben süsse Küsse,
Von dem Mund der gold'nen Venus selber!»

Allenthalben regte die Gemüther
Mächtig auf die hohe Götterbotschaft,
Und in Aller Mund war wieder Psyche.
Angespornt von jenem höchsten Preise,
Glühte jedes ird'schen Mannes Seele,
Lechzend nach dem Kuss der Götterlippe.
An ein Spüren ging es, an ein Lauschen,
An ein Jagen nach der armen Pilg'rin,
Dass sie nirgends mehr sich sicher fühlte,
Als im Walde, bei den wilden Thieren,
Die bei sich sie bargen in den Höhlen.
Tiefer Gram erfasst sie und Verzweiflung.
Doch zuletzt so zu sich selber spricht sie:
«Wie, wenn ich der Göttin, gnadeflehend,
Demuthsvoll mich würfe selbst zu Füssen?
Gradehin nach jenem Orte ginge,
Welchen ich am ängstlichsten gemieden?
Weilt zu Paphos nach des Götterboten
Kunde jetzt die Göttin, weilt gewisslich
Auch der Sohn, mein heissgeliebter Amor,
Ebendort jetzt im Gefolg der Mutter,
Und vielleicht ihn wiedersehen werd' ich!
O, ich will die Zürnende versöhnen!
Mich zur Magd, zur Sklavin ihr verdingen!
Mag sie quälen mich, mag sie mich schlagen,
Keines bittern Leides will ich achten;
Alles Schwerste will ich gern vollbringen,
Weiss ich nur mir nahe den Geliebten!»

Also spricht bei sich die Müdgehetzte,
Rafft sich auf und wandert hin gen Paphos.
Angelangt im Heiligthum der Göttin,
Wird die Zitternde von einem Boten,
Den gesandt die hocherfreute Venus,
Hingeleitet nach verborg'nem Orte,
Wo, für Menschen unzugänglich, aufschlug
Ihren ird'schen Sitz die Liebesgöttin,
Wo in Rosenlauben, dornenlosen,
Hof sie hält, und strahlenden Gemächern.

Wie geblendet sank zu Boden Psyche,
Als sie schaute Jovis hohe Tochter,
Die, umgeben von der Grazien Dreizahl,
Ihr entgegentrat, nicht in dem vollen
Glanze des Olymps, nur wie zur Noth es
Noch ertragen mag ein sterblich Auge.
Fremde Düfte, fremde Harmonien
Weben sinnverwirrend durch die Halle,
Und die schwindelnde, die arme Psyche,
Spät erst wagt sie, durch der Grazien trautes
Wort und lächelnd milden Blick ermuntert,
Ihre sanften Augen aufzuschlagen
Zu der stolzen Götterfrau, und knieend,
Flehend mit erhob'nen Händen spricht sie:

«Nimm mich auf zur Sklavin, hohe Göttin!
Zücht'ge mich, denn büssen will ich gerne,
Auch was ich unwissentlich gefrevelt!
Ach, wenn jemals mich, ein sterblich Mädchen,
Menschen, thöricht-blind, mit dir verglichen
Zürne nicht, denn nur mit deinem Bild ja,
Das sie sich gemacht von deiner Schöne,
Konnten sie des Mädchens Reiz vergleichen,
Nimmer mit dir selbst, die sie nicht kannten!
Und wenn, ach, mir unverdient zu Theil ward
Deines Sohnes Huld, o, so bedenke,
Dass es stets der Götter Art gewesen,
Schönstes Recht der Götter, schönste Tugend,
Dass zu Menschen sie herab sich lassen,
In ein sterblich Herz ein Theilchen giessen
Ihres Glanzes, ihrer Götterwonne.
Leidvoll, dürftig ist des Menschen Wesen,
Ohne Götterhuld muss er verderben.
Hast du selbst, der Götterfrauen schönste,
Als Gemahl, ach, hab' ich's nicht gesühnet?
Nicht schon dadurch, dass ich ihn verloren?
Dadurch, dass so kurz mein Glück gewesen?
Nimmer ja verlang' ich seine Gattin
Fernerhin zu heissen; Eins nur will ich:
Dienen dir und ihm – als Magd, als Sklavin!
So das Mädchen, demuthsvoll und schüchtern.
Hehr die Göttin stand, die siegbewusste,
Froh des unverwelklich hohen Reizes;
Gegenüber ihr des Staubes Tochter,
Blass, verwelkt im Leid der langen Irrfahrt.
«Ei, Nachtfalterchen,» versetzt, des Mädchens
Bleiches Antlitz, ärmliche Gewande
Musternd, Kypris, «wie zerzaus't, verblichen
Deine Flügel sind! was ist geworden,
Kind, aus deiner vielgepries'nen Blüte?
Wie verblendet warst du, eitles Mädchen,
Statt der Freier schönsten dir zu wählen,
Als noch rosig leuchtete dein Wänglein,
Einem Gotte schweifend nachzutrachten,
Durch die ganze Welt ihm nachzujagen,
Hungernd, dürstend, siech, in Frost und Hitze,
Wack'rer Erdensöhne Trost verschmähend,
Widerstehend jeglicher Verlockung!
Siehst du nun, was allzuhohes Trachten
Dir gebracht zum Lohn? zur Vogelscheuche
Wardst du schier, und jener blöde Knabe,
Den du krank gemacht mit deinen Reizen,
Wird, dich wiedersehend, rasch genesen –
Herzlich schämen sich des einst'gen Liebchens!»

Sprach's, und ging von dannen, reizvoll lächelnd
Psyche seufzte, schluchzte, doch da nahten
Tröstend hold sich ihr die heitern Grazien.
«Ob die Göttin», sprachen sie voll Mitleids,
«Ärmste, dich auch ganz beraubt der Schönheit,
Zage nicht; wir geben im Geheimen
Etwas dir von jener Zauberschminke,
Welche wir verwahren, welche Kypris
Selbst aus unsern Händen nimmt, und welche
Hässliche sogar mit Huld umkleidet!»

Jetzo kam ein Diener, führte Psyche
Fort in eine enge, dunkle Kammer,
Wies ein Lager ihr auf welken Blättern,
Sperrte dann die Thür mit eh'rnem Riegel.
Aber Psyche ruhte sanft und wohlig
Auf den welken Blättern, denn sie wusste,
Dass, ob auch getrennt durch eh'rne Riegel,
Nah' sie schlumm're dem geliebten Amor.


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