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Zweiter Gesang

Psyche hebt den thränennassen Schleier,
Welcher weiss umwallt ihr bleiches Antlitz,
Und aufs Meer hin wendet sie die Blicke.
Breite Wogen wälzen, flutend, ebbend,
Sich heran, die Sandbank knirrscht und knistert,
Und die gischt-umschäumten Felsen dröhnen.
War' es etwa doch ein Meeresunhold,
Welcher kommen wird, sie heimzuholen?
Sie erschrickt vor jedem weissen Segel,
Welches in der Ferne zieht, vor jeder
Möve, die den Klippenstrand umflattert,
Jede rollende Woge scheint ein Unthier,
Welches nach ihr schnappt; ein Grausen fasst sie,
Schnellt ein Meerfisch aus dem Wasserspiegel.
Doch das wilde Meer hat Mitleid selber
Mit dem Kinde, das auf rauhem Felsen
Einsam schmachtend steht. Aus weissen Schäumen
Lugt manch' Nereidenhaupt voll Neugier,
Und zuweilen aus dem Braus der Wogen
Tönend weckt, ermuth'gend, ein gekrümmtes
Muschelhorn den Widerhall der Felskluft.

«O ihr Götter, Göttinnen der Wogen»,
Flüstert Psyche, «mächtiger Neptunus,
Schöne Meeresfürstin Amphitrite,
Selige Leukothea, du, trauter
Meergreis Nereus, freundlichster den Menschen,
Könnt ihr all' nicht schützen mich, nicht retten?
Ach sie schweigen, bleiben fern! o käme
Doch, wenn alle Götter taub, ein starker
Held des Weg's, ein kühner Lindwurmtödter,
Der sich mein erbarmte, der das Unthier,
Wenn es naht, erlegte, mich erlösend!
Ach, nicht mehr sich selber angehören,
Preisgegeben einer fremden, finster'n,
Grausen Macht, verschmachten, das ist schlimmer
Wohl als Nichtsein selbst! O Jammerschicksal,
Vor dem Bund schon zitternd mit Gemeinem,
Angekettet an ein Scheusal werden,
Träumen sich den holdesten der Gatten,
Wie ihn nimmer trägt die weite Erde,
Und dem Hässlichsten zur Beute werden!» –

Also klagt das Mägdlein. Da zerreissen
Plötzlich über ihr die Wolkenschleier,
Unter'm Anhauch eines leisen Zephyrs,
Welcher lind und warm und blütenschwanger
Über's Meer herüberweht. Was ist das?
Stärker wird des Hauch's Gewalt, und Psyche
Fühlt sich wie von unsichtbaren Armen
Sanft umfasst und leicht emporgehoben.
Über's Meer trägt der beschwingte Windgott
Die Erschrock'ne: aus den Fluten tauchen
Schaarenweis' die Nymphen, sich verwundernd:
Die sie, mitleidsvoll, auf rauhem Felsen
Einsam sah'n und wie gefesselt schmachten,
Seh'n mit Neid sie nun, selbst an ihr feuchtes
Reich gebannt, im blauen Äther schweben.
Wie ein Silberwölklein weht ihr Schleier,
Und die bräutlichen Gewande bauschen
Doppelt schimmernd sich im gold'nen Glänze.
Doch sie selbst, sie schaut nicht Meer noch Himmel,
Wähnt sich todt schon, auf dem Weg zum Hades,
Mit geschloss'nen Augen, bis sie plötzlich,
Abwärts sinkend, sich von Blumendüften
Würzig fühlt umwallt und hingebettet
In das Kräuticht eines Blüteneilands,
Welches einsam grünt im Schooss des Meeres.

Weisse Lämmer ruhten auf den Wiesen,
Silberschwäne segelten auf Weihern,
Schlanke Rehe, liebliche Gazellen
Wandelten im Hain. Das Grün der Fluren,
Und des Himmels Blau war sinnberückend,
Ganz durchwebt von überird'schem Glaste.
Alle Farben hatten, alle Töne,
Einen Schmelz von unnennbarem Zauber.
Jedes Falters Flügel, jedes Käfers
Schuppe blendete das Aug' mit Schimmer.
Jedes Sandkorn war und jeder Felsblock
Edelstein, durchsichtig, farbig funkelnd.
Ein Juwel war jedes kleinste Thierlein,
Jeder Wassertropfen eine Perle,
Jeder Grashalm ein smaragd'nes Wunder.
Alles Kriechende war hier geflügelt,
Tonbegabt geworden alles Stumme.
Vögel sangen, sprangen, hüpften zierlich,
Tanzten wie berauscht von Lieb' und Wonne.
Aus dem Giessbach stäubten ohne Röhren
Himmelhoch empor die Silbertropfen,
Jauchzend in des Lichts gesammten Tönen.
Melodie war selbst der Lüfte Wehen:
In des Westes Hauche klang ein Rauschen,
Wie von Harfentönen, langgezogen,
Machtvoll schwellend, leise dann verhallend.
Alles was des Daseins hier sich freute,
War gepaart: Goldkäferchen und Falter
Schwirrten liebewerbend um einander;
Tief im Laub die Vögelchen, die Fischlein
In der Flut, und drüber die Libellen,
Alles liebte, Alles schwärmte, girrte,
Schnäbelte. Der Sonnenstaub der Blumen
Flog und sank, vom Lenzeshauch getragen,
Taumelnd auf die gold'nen Blütennarben
Nieder, die sich liebend ihm erschlossen.

In des Gartens Mitte stand mit gold'nen
Zinnen ein Palast. Durch offne Pforten
Trat das Mädchen: weite Prunkgemächer
Thaten ihr sich auf, von Gold und Silber,
Elfenbein und Edelsteinen strahlend.
Wonnedüfte wehten ihr entgegen,
Purpurkissen luden sie zur Rast ein.

Eins nur fehlte in den Wunderräumen:
Eine Menschenseele: stumm war Alles.
Allgemach gelüstete nach Labung
Psyche: da enttaucht dem Grund ein Tischchen,
Vollbesetzt mit Speisen, köstlich duftend.
Unverweilt erquickt daran sich Psyche,
Schlürft den Saft von goldnen Hesperiden,
Nippt aus goldnem Becher Purpurwein auch,
Welcher glänzt wie flüssige Granaten.

Als sie so gelabt sich, hört sie plötzlich
Neben sich ein Stimmchen, silbertönig,
Wie des Heimchens, fragend, ob nach And'rem
Noch ihr Herz verlange? ob vielleicht sie
Mit Musik sich wünsche zu ergetzen?

Erst erschrickt vor diesem körperlosen
Laut das Mädchen, doch bald fasst sich's wieder,
Denn gar zart und traut, Zutrau'n erweckend,
Klang das helle Zirpen. Und so ruft sie
Fröhlich gleich: «Ach ja, Musik! wie lieb' ich's,
Holdem Klang zu lauschen!» Horch, da säuselt's
Unverweilt in schmelzend-süssen Tönen
Wundersam. Und Silberstimmen mischen
In der Lauten Klang sich und der Flöten
Und des Cymbals gellendes Gedröhne.
Und als Psyche sich in Harmonieen
Vollgesogen ganz von süsser Unruh',
Und der Töne Schwall ihr wie ein gold'ner
Bienenschwarm durchs Ohr ins Herz geflogen,
Fragt es auch schon wieder: «Was begehrst du?»
Und es mehren sich die Heimchenstimmen,
Und ein ganzer Schwarm von unsichtbaren
Dienern drängt, so scheint's, sich in der Runde.
Und so wünscht sie Dieses denn und Jenes,
Fröhlich lacht sie, wenn, was nur sie heische,
Flugs vollzogen wird von Zauberhänden.
«Bringt mir einen Strauss von jenen Blumen!»
Ruft sie; oder: «Jenen gold'nen Falter
Hascht mir, dass ich besser ihn betrachte!»
Oder: «Fangt mir jenes traute Täubchen,
Dass ich kosend es mit Händen streichle!»

«Ach warum,» so fragte sie die Heimchen,
«Ach warum doch sind hier alle Wesen,
Blumen, Käfer, Falter, Vögel, Alles,
Gar so schön, so wunderbar, so herrlich?»
«Weil sie lieben!» klang es ihr zur Antwort.
«Brautschmuck ist der Glanz, in dem sie prunken,
Liebesglut durchsonnt, verklärt sie alle,
Führt sie auf des Daseins höchsten Gipfel!»

So die Heimchen. Und nun luden freundlich
Psyche sie: «Noch lang nicht, Traute, kennst du
All' die Wunder dieser Zauberinsel!»
Willig folgte sie, umhergeleitet
Von den Holden, die sie zwar nicht schaute,
Deren Stimmchen aber unablässig,
Plaudernd, kosend, scherzend um sie klangen.

Und sie wiesen jenen, diesen Quell ihr,
Der begabt mit selt'nen Zauberkräften;
Wiesen einen Quell ihr des Vergessens,
Wiesen einen Born ihr der Verjüngung,
Wiesen einen Bronnen ihr, in dessen
Nass, wenn man damit sich wusch die Lider,
Lag die Kraft, ein blindes Auge sehend,
Und ein sehend Auge blind zu machen.
Einen Quell auch, welcher reichlich strömte,
Wiesen sie, geheissen Quell der Thränen:
Dieser sprudelte in zwei verschied'nen
Strahlen, deren Flut verschieden schmeckte:
Bitter war des einen Nass wie Wermuth,
Süss wie Honigseim war das des andern.
Liessen auch durch eine dunkle Öffnung
Psyche schau'n in eine Wundergrotte,
Wo es hold von Nebelbildern wogte,
Wo man sah, was nur ein Herz ersinnen,
Wünschen, hoffen mochte und erträumen:
Paradiesesau'n, auf ihnen wandelnd
Traute Huldgestalten, freundlich winkend.
«Willst du etwa hier in dieser Grotte,»
Sprach der Heimchen munt'rer Schwarm zu Psyche,
«Irgend eines Jünglings Bild erblicken?
Wünsche nur, und dir erscheinen wird er
Stracks in dieser Grotte Zauberspiegel!» –
Psyche sann ein Weilchen, doch vergebens:
Wusste sich auf keinen zu besinnen.
«Keines Jünglings Bild zu schau'n begehr' ich,»
Sprach sie, «aber euch zu schau'n verlangt mich:
Lieb gewann ich euch schon wie Geschwister;
Warum bleibt versagt mir euer Anblick?
Seid ihr wirklich Heimchen? das vermuth' ich
Nach dem Klange eurer süssen Stimmchen!»

«Tu der That», versetzten drauf die Genien,
«Zart wie Heimehen sind wir, Bübchen, Mägdlein,
Flügelchen wir tragen an den Schultern;
Wie wir heissen, müssen wir verschweigen!»
«Also Kinderchen?» rief Psyche freudig.
«Gern euch küssen möcht' ich,» sprach sie weiter.
«Hasch' uns!» klang es lachend ihr zur Antwort.
Und nun suchte Psyche sie zu haschen,
Tummelte mit ihnen sich im Garten.
Neckend liessen stets die Heimchenstimmen
Dicht an ihrer Seite sich vernehmen,
Dass es Psyche schien, sie brauche haschend
Nur die Hand nach ihnen auszustrecken,
Aber stets in leere Luft nur griff sie,
Silbern aus der Ferne scholl das Lachen.

Müd und ungeduldig flehte Psyche:
«Wahrlich, grausam seid ihr, mich zu quälen!»
Sprachen drauf die Kleinen: «Streng versagt ja
Ward es uns von unserm Herrn und Meister,
Anders dir, als unsichtbar, zu dienen!»
«Euer Herr und Meister, ei, wer ist der?»
Fragte Psyche; und ihr ward die Antwort:
«Der Beherrscher dieser Zauberinsel,
Eigner, Pfleger dieses Wundergartens,
Unser Aller Meister, Herr, Gebieter,
Ist ein schöner, wunderbarer Jüngling.
Herrlich, schön und wunderbar ist Alles,
Wie du siehst, worüber er gebietet:
Denk', wie reizend sein muss gar er selber!
iUnd nicht schön allein, auch mächtig ist er,
Mächtiger als alle andern Herrscher;
Wunderbar sind seine Zauberkünste!
Eben jetzt in fremden Landen weilt er,
Doch er kehrt zurück nun bald: alltäglich
Sind, allnächtlich, seiner wir gewärtig!»

Andres von des Jünglings Macht und Schönheit
Noch erzählend, führten jetzt die Heimchen
Tiefer in des Haines Schatten Psyche.
Denn die Luft war schwül und müd' getollt auch
Hatte sich im Haschespiel das Mägdlein.
Sieh, da fand sich, unter blüh'nden Sträuchern
Tief versteckt, ein reizend Felsenbecken,
Voll von klarem, lieblichem Gewässer,
Aus dem Felsenborn sich stets erneuernd.
Wie bekränzt erschien der Rand des Beckens:
Aus der hellkristall'nen Welle hoben
Lotosblumen sich und Wasserrosen,
Breitbeblättert, farb'ge Kelche wiegend.
Herzerquickend-klar bis tief zum Grunde
War die Flut gleich einem Demantsteine,
Gar nicht satt an dieser diamant'nen
Klarheit konnte Psyches Aug' sich schauen,
Und mit lindem, wonnigem Gefühle
Hub sie an, zu plätschern sacht, wie kosend,
In der sammt'nen Welle mit den Händen.

«Ach, wer ganz sich, da hinunter tauchend,
Wiegen könnt' in diesen Zauberfluten!»
Ruft's, und eh' sie dessen sich versehen,
Fühlt sie schon von ihrer Dienerinnen
Unsichtbaren Händen sich entkleidet.
«O wie zart, holdselig, o wie lieblich!»
Hört sie rings im dichten Laube flüstern.
Vor der eignen schleierlosen Schönheit
Schlägt sie fast bestürzt die Augen nieder,
Und mit jener Scham, der magdlich spröden,
Die den Zorn gereizt der goldnen Kypris,
Schmiegt sie kauernd sich in sich zusammen.
Dann mit ihren zarten Liljenfüsschen
In die weiche Welle niedergleitend,
Birgt den Reiz sie hinter dem Geblätter,
Welches breit bedeckt den Wasserspiegel.
Selber scheint sie eine Wasserblume,
Rein im reinen Element sich wiegend.

Als erfrischt sie dann entsteigt dem Bade,
Sind bereit auch schon die Dienerinnen,
Trocknen sie mit seideweichen Blättern,
Salben sie mit Säften, wonnig duftend.

Golden flogen unvermerkt die Stunden
Im Gespräch von wunderbaren Dingen;
Und als über all' die Pracht des Eilands
Mälig breitete die Nacht den Schleier,
Spät geleitete zum Schlaf'gemache
Ihrer Treuen Schaar die müde Psyche.
Purpurn auf dem goldenen Gestelle,
Traumumwittert, winkten ihr die Kissen,
Weich gefüllt mit zarten Mohnes Blättern.
Frisch gewebt aus Rosen war der Vorhang,
Der die holde Ruh'statt halb verhüllte.

«Schlumm're süss!» erklang der Heimchen Nachtlied,
«Schlumm're süss, o Psyche, holde Seele,
Längst vermisst, ersehnt in diesem Eden!»

Einsam drinnen auf den Pfühl sank Psyche,
Und nun überkam sie erst das volle
Nachgefühl des wunderbaren Tages,
Der so grausenhaft für sie begonnen,
Und der sich gewendet dann so herrlich.
Doch ihr Herz beschlich nun auch die Sorge;
«Was wird fürder nun mein Schicksal werden?»
Denkt sie still bei sich. «Wer war der Kühne,
Welcher mich entführt dem Ungeheuer,
Mich versetzt in dieses Wundereiland?
War er selbst es, jener Zauberjüngling,
Dieser Insel Eigner und Gebieter,
Dessen Macht die Genien mir geschildert?
Und wenn er es war, der mich entführte,
Wird er nicht auch bald vor mir erscheinen?
War' er noch so schön und noch so herrlich,
Ach, ich zittre, zage vor dem Fremdling,
Und ein Grau'n erfasst mich, denk' ich, dass er
Mit Gewalt vielleicht mich hier zurückhält,
Mit Gewalt mich macht zu seiner Gattin!»

Scheu erhebt sie sich vom Purpurlager,
Flüchtet sich hinaus aus dem Gemache,
Und je mehr zu flieh'n sie scheint die Liebe,
Desto mehr drängt überall die Liebe
Sich auf ihrer Spur. Es sprüht, es glitzert
Zwischen dem Gesträuch – Glühwürmer fliegen,
Meeresleuchten bricht sich am Gestade,
Und es hat sogar das Herz des Äthers
Seine Gluten, seine Liebesfunken.
Eine duft'ge Blume pflückend, findet
In dem Kelche Psyche einen Falter,
Herz an Herzen schlummernd mit der Blume.

«Alles liebt! Ach, wenn so schön, so selig
Alles hier in diesem Zauberhaine,
Weil es liebt, wie jene Kleinen sagten,
Nimmer hoffen darf ich Unglücksel'ge,
Auch so schön, so selig auch zu werden!
Ach, warum flieht dieses Herz die Liebe!
Bin ich würdig denn, in dieser Fülle
All' des Schönen, Herrlichen zu leben?» –
Also klagte Psyche, sinnend, träumend,
Und zurück zum Lager endlich kehrend,
Fühlt gemach von einem leichten Schlummer
Ihre müden Glieder sie bewältigt.
Da sprach traulich, zärtlich eine leise
Stimm' im Traum zu ihr: «Was klagst du, Mädchen?
Grössern Zauber, traun, als du hier findest,
Bringst du, Holde, mit auf dieses Eiland!
Dir beschieden ist zu ruh'n noch süsser,
Trauter, wonniger, als jener Falter
In der Blume Kelch! In deinem Herzen
Schlummert einer Flamme Keim, die heil'ger,
Als die Glut des Würmchens, des beschwingten,
Als das nächt'ge Glanzgeleucht der Welle!
Deine magdlich reine Seele, Liebchen,
Eine Wundergrotte ist sie, reicher,
Noch weit Schön'res bergend, als die Grotte,
Die hier liegt im Bann des Zaubergartens!» –

So zu Psyche sprach im Traum die Stimme,
Und sie kam aus eines Knaben Munde,
Dessen holdes Bild nur wie ein Blitzstrahl
Flüchtig leuchtete vor Psyches Augen,
Aber zündete in ihrem Herzen.

Aus dem Traum erwacht mit einem Seufzer
Psyche, doch ein wunderbares Sehnen
Ist in ihrer Brust zurückgeblieben:
Jenes Knaben, jenes zarten Jünglings
Bild in holder Wirklichkeit zu schauen,
Jenes Knaben, jenes zarten Jünglings
Bild, das sie berührt gleich einem Blitzstrahl,
Allzurasch für ihr geblendet Auge,
Ganz ihn aufzunehmen, festzuhalten,
Doch nicht allzurasch, um nicht im Fluge
Zündend ihr die Seele zu versehren.

Westwärts sank des Bären Sterngebilde,
Vor den Mond zog sich ein Wolkenschleier,
Dunkle Nacht umschattete das Eiland:
Horch, da ging ein Wehen durch die Wipfel,
Ging ein Rauschen durch den Wundergarten,
Alle Bäume neigten ihre Kronen,
Alle Bronnen flüsterten, die Vögel
Schlugen wonneträumend mit den Flügeln,
Silbertönig jubelten die Heimchen ...

Und in diesem selben Augenblicke,
Angeweht von einem Götterhauche,
Träumte Psyche, dass sich an ihr pochend
Herz, gehüllt in Nacht, der Knabe schmiegte,
Der vordem so traut zu ihr gesprochen –
Er, der Herr auch dieses Wundereilands,
Der gewalt'ge Held, der zauberkund'ge,
Welcher sie entführt dem rauhen Felsen,
Welcher sie entrückt in diese Heimat
Aller holden Dinge, dieses blüh'nde
Zauberreich der Schönheit und der Liebe,
Und der jetzo den Vermählungskuss ihr
Drückte auf die magdlich zarten Lippen,
In sein Herz sie schloss und in sein Wesen,
Dass sie fortan eines andern Herzens
Herz war, Seele einer andern Seele.

Aber als der Tag begann zu grauen,
Da erwacht aus wonnereichem Schlummer
Psyche. Sie erschrickt, allein sich findend.
Und in Thränen bricht sie aus, und Seufzer
Ringen los aus der gepressten Brust sich:
«Ach, ein Traum nur war's, ein süsser Traum nur!
Nur ein Traum mein Glück, ein Traum der Gatte!
Spurlos ist dahin, was mich beseligt!
Hundert Helden kamen, mich zu freien:
Keinen könnt' ich lieben; und der Eine,
Den ich liebe, dem ich ward zu eigen,
Ist ein Schatten nur, ein Traumgebilde!»

Leidvoll so erging sie sich in Klagen.
Plötzlich aber klang die traute Stimme
Tröstend ihr ins Ohr: «Kein leerer Traum war,
Süsses Kind, dein Glück, kein Traum der Gatte!
Ich, der Eigner dieses Wundereilands,
Habe dir mich an vermählt für immer!
Aber in dem Schooss der heil'gen Nacht nur
Werden uns'res Glückes Loose ruhen:
Kommen werd' ich, wenn die Sonne scheidet,
Werde scheiden, wenn sie wiederkehret!
Muth, mein Seelchen! wenn du, still begnadet,
Treu gehorchst dem unsichtbaren Gatten,
Siehst in Götterschönheit einst unsterblich
Du erblüh'n den Sprössling uns'rer Liebe;
Sterblich aber, wenn du wagst zu rütteln
An des Schicksals Fügung, welche mächtig,
Mächt'ger ist als meine Zauberkünste!
So ertrag' es denn, du Frommgesinnte,
Nicht zu schau'n den Liebsten, und nicht grolle,
Dass du auf die Liebe musst verzichten,
Wenn das heil'ge, heit're Licht dir leuchtet,
Und das Licht sich hüllt in dichte Schleier,
Wenn sich labend zu dir neigt die Liebe!»

«Dich nicht schau'n?» rief Psyche, «o, mein Liebster,
Kann denn eine Nacht so schwarz, ein Dunkel
Je so tief sein, dass ich dich nicht schaute,
Nicht ein Bild von dir im Herzen trüge,
Wie es aufgeleuchtet mir im Traume,
Hold ergänzt von liebenden Gedanken?
Mir genügt's, und überselig bin ich,
Dass du lebst, dass du kein leeres Wahnbild,
Dass du treu, wär's auch im Traum der Nacht nur,
Wiederkehrst zu deiner trauten Psyche! –
Schwinde nicht hinweg noch! Einen kurzen
Augenblick noch bleib'! – Sieh, mit dem Rand erst
Taucht ja aus der Flut die Sonnenscheibe» ...
So noch weiter flehend, lieblich plaudernd,
Lieblich lächelnd, steht wie festgewurzelt
Sie, hinhorchend nach des unsichtbaren
Liebsten Stimme: doch verstummt war diese,
Und verstummt mit ihr die Nachtigallen:
Laut nur in der klaren Morgenfrische
Scholl der muntern Sperlinge Gezwitscher.


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