Albrecht von Haller
Alfred - König der Angel-Sachsen
Albrecht von Haller

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Das vierte Buch.

Die Rähte Amunds des Erfahrnen.

Amund war am Fuße des Sevengebürges, am Ufer des Dalflusses, von einem Helden, dem Arwid erzeugt. Seine Jugend brachte er wie die Nordischen Krieger, in Leibesübungen zu. Er ward ein starker Ringer, ein geschikter Schüze, ein herzhafter Jäger: er grif in seiner Höhle den erzürnten Bären an, und drang ihm, gerade vor seinen fürchterlichen Tazen, stehend, sein Messer ins Herz. Er konnte die Kämpferlieder singen, sein Herz brante bey den Namen alter Helden. Er wallete vor Begierde, seines väterlichen Sizes Namen durch seine Thaten bekant zu machen, und dann vor sein versprüztes Blut in Odins-Halle die Belohnung zu empfangen.

Hasting, ein Nordischer Fürst, gieng nach Byzanz, und war der Anführer einer Schaar von Waregern, den einzigen echten Kriegern, die das ausgeartete Griechenland besaß, und denen es die Beschüzung seines Fürsten anvertrauen konte. Aufrichtig, in den Verrähtereyen der neuen Römer unerfahren, ihrem Eyde getreu, tapfer und standhaft, waren die wenigen Kämpfer die Stüze des sinkenden Reiches. Der junge Amund begleitete den kühnen Hasting, und ließ sich mit ihm unter die Wareger aufnehmen. Manche Thaten von redlichem Muhte, von kühner Entschlossenheit, begieng der Rechtschaffene. Er war auch gegen die Vorzüge nicht blind, die bey den Griechen noch übrig waren, er machte sich die Geschichte bekannt, er ließ sich in der Verfassung des Hofes und des Staates unterrichten, die Europa lange nachahmte, aber dennoch mit Verachtung auf die Feigheit der Byzanzier herunter sah. Er lernte die Geseze kennen, und bereicherte seinen Verstand mit Schäzen der alten Weisheit.

Freudig und jung, verliebte er sich in die schöne Theophane, die Freundin der Fürstin Eudoria, die Hasting liebte und ehlichte. Die edle Bildung der Griechin, ihre Sitten, selbst die scheue Schamhaftigkeit, mit welcher sie seine Liebes-Bezeugungen ablehnte, vermehrten Amunds Neigung, und er erwarb endlich die Schöne durch edle Thaten, und durch die Errettung ihres Vaters, den bey einem Auflaufe der blauen und grünen die ihm entgegene Parthey zu ermorden gedachte. Sein Schwerdt öffnete dem Amund bald den Zugang zu dem Unglüklichen, die muhtlosen Byzanzier flohen vor den starken Streichen des Kämpfers. Sieghaft brachte er seiner Schönen den befreyten Vater zurük. Theophane war gegen so viele Verdienste nicht undankbar, sie wurde die seine, und der Redliche, der die Braut geliebt hatte, betete die Gemahlin an.

Ein kaiserliches Haus wurde gestürzt. Hasting hatte es vergebens vertheidigt, so lang er sein Schwerdt zu führen vermochte. Er wurde überwältigt, und ihm blieb zu seiner Rettung nichts übrig, als ein Schif, das im Hafen lag. Dahin brachte er seine Fürstin, und dahin führte sein Gefährte Amund die schöne Theophane. Glüklich kamen sie in die Mündung des Niesters, und durch Wege, die damahls von den Scandinaviern täglich betreten wurden, nach dem verbündeten Novogorod, und nach Schweden zurük.

Der edeln Griechin kam der Anblik der rauhen, und unfruchtbaren Gebürge unerträglich vor. Hier fand sie nichts mehr von den Annehmlichkeiten, die der milde Süd auf das herrliche Byzanz streute. Hütten von ungeheuern Steinen übel wieder die Kälte verwahrt, mußten die prächtigen Paläste ersezen, in denen Eudoria ihre Jugend zugebracht hatte. Der späte Frühling war mit scharfen Winden vermischt, der lange Winter vernichtete den Schmuk der Erde; der Herbst brachte keine Trauben, die edlen Früchte Griechenlands glänzten an den Bäumen nicht, und die Erde gieng in den Augen der zärtlichen Fürstin niemahls aus der Trauer.

Hasting liebte die schöne Eudoria, und versprach ihr, durch sein Schwerdt mildere Gegenden zu gewinnen, wo sie herrschen solte. Sie war zu Beamfleat, und mit ihr die reizende Theophane, als die Sachsen das befestigte Lager der Scandinavier überfielen, dieweil ihre meisten Krieger abwesend waren. Hasting rasete vor Zorn, wie er den großen Unfall vernahm; Amund der streitbare vergoß Thränen von Verzweiflung, wie er von dem Verlust seiner Theophane hörte. Aber Alfred, der edle, troknete diese Thränen ab; »Geht, sagte er den schönen Gemahlinnen seiner Feinde, sagt den Normännern, ich führe mit keinen Weibern Krieg: ich führe ihn auch bloß gezwungen mit den Unterdrükern meines Volkes, und mein gröster Wunsch wäre ihre Freundschaft zu gewinnen.« Alfred hatte die griechischen Schönheiten bewundert, aber sein enthaltsames Herz war gegen alle fremde Reize verschlossen.

Hasting erwiederte die Güte Alfreds durch eine doppelte Feindschaft. Aber Amund war edler gesinnet. Volkommen glüklich in den Armen seiner geliebten Theophane, wurde er bald der Freund des Helden, dem er ihre Umarmungen zu danken hatte. Sie rühmte ihm selbst die sorgfältige Großmuht, mit welcher Alfred auch allen Anschein einer Unbescheidenheit von dem Frauenzimmer der Normänner abgewandt, und die holde Begegnung, mit welcher er ihre Gefangennehmung erleichtert hatte. Als die Normänner Engelland verlassen, und sich verbunden hatten, die Sachsen nicht mehr zu beunruhigen, so kam Amund unerschroken an Alfreds Hof.

»Deiner Tugend hast du einen Kämpfer zu verdanken. Ich bin Amund, der Freund Hastings, aber der deine, wenn du ihn annimst.« Amunds Nahmen war nicht unbekant, er hatte die Sitten mit der Tapferkeit verbunden, und mit beyden die Weisheit. Alfred reichte ihm die königliche Hand; »Ich nehme deine Freundschaft an, sagte er zu dem Scandinavier, du solst mein Glük mit mir theilen.« Die Königin umarmte die schöne Theophane. Alfreds Hof wurde für beyde Vermählte ein Siz des beständigsten Vergnügens. Amund folgte dem Könige in seinen Kriegen, er bemühte sich am eyfrigsten, die feindlichen Waffen von seinem Fürsten abzuwenden, und bot seine Brust ihm zum Schilde an.

Nachdem endlich Alfred die äußern Feinde für immer vertrieben hatte, und nunmehr sich emsig beschäftigte, die Ordnung und die algemeine Glükseligkeit unter seinen Sachsen in Aufnahme zu bringen, so verfolgte Amund mit aufmerksamen Augen jeden Schritt des Gesezgebers; er verglich seine Anschläge, und die Verfassung des sächsischen Reiches mit der Monarchie von Byzanz, und mit demjenigen was er von den Römern und von den bessern Griechen gelesen hatte.

Ihm entgiengen die Fehler der sächsischen Staatsverfassung nicht, in welcher von der alten Freyheit der deutschen Völker fast nichts mehr übrig geblieben war, als ein mächtiger Adel, neben dem die Nation in der äußersten Verachtung schmachtete.

Lange hatte Amund seine Betrachtungen durch Nachfragen verbessert, lange hatte ihm das Herz gewallt, und ihn aufgefordert, einem Könige die Wahrheit zu sagen, der sie liebte und anhörte. Endlich brachte ihn die Untreue einiger Großen auf, die Alfred überwunden, aber wie er allemahl that, unbestaft gelassen hatte. Einsam hatte der nachdenkende König mit Amund sich auf ein königliches Landgut begeben, das unweit seines Königssizes lag. Sein gütiges Gemüth empfand mit einem tiefen Gefühl die Nothwendigkeit, worin er sich nun so oft versezt gesehen hatte, wider unruhige Große die Waffen zu ergreifen. »Ich liebe mein Volk, sagte der rechtschaffene Fürst, ich thue alles was meine Einsichten nur ausdenken können, Engelland glüklich zu machen. Wie kan es doch möglich seyn, daß seine Söhne mich nicht lieben, mich der sie über alles liebet?«

Amund beugte sich gegen seinen königlichen Freund; »Wil Alfred seinen Diener anhören der ihn liebet? will er ihm erlauben frey zu seyn, und seine Gedanken so vorzutragen, wie sie in seinem treuen Herzen entstanden sind? Die Sachsen sind nicht böser, als alle andere Völker: wenn sie undankbar sind, so ist die Quelle des Ubels in der unabgewogenen Verfassung des Staats. Wo kein Gleichgewicht ist, da sind diejenigen allemahl unzufrieden, deren Schale die leichteste ist. Deine Edlen sind zu groß, und nicht tief genug unter die Geseze geordnet: die Gemeinen sind zu klein; von den Edeln zu ihnen ist der Abstand zu groß. Die Grösten haben nur noch einen Schritt zu thun, Könige zu werden; sie werden niemahls ruhig seyn, biß dieser Schritt gethan ist. Wären deine gemeinen Sachsen bey ihrer natürlichen Größe geblieben, so hätten die Edeln an ihnen ein Gleichgewicht, das sie hindern würde, ihre Schwingen zu kühn in die Höhe zu richten.«

»Lange hat Amund die Welt gesehen, er hat entfernte Völker gekant, er weiß die Verfassung seines freyen Norden. Auch die Sachsen lebten in der Freyheit; aber deine Ahnen, die Eroberer Britanniens, haben die Leitseile der Regierung dem Adel hingegeben, und ihm die Gemeinen zum Opfer überlassen.«

Alfred, der den Rath treuer Freunde gern anhörte, erwiederte gegen Amund. »Mein Freund hat die Morgenländer gesehen, was hat er in denselben gefunden, woraus die Reichsverfassung der Sachsen gebessert werden könte?«

»Fern von uns, sagte der Kämpfer, im äussersten Morgen liegt ein mächtiges Reich, das gröste auf dem Erdboden, das Reich der Seren.Nord-China Aus demselben komt die Seide; sie wird bey der Quelle des Ganges vorbey durch die beschneyten Gebürge in Indien, und durch Persien nach Byzanz gebracht; und auf den Inseln des Aegäischen Meeres, im milden Cos, fängt man an dieses Gespinst zu erzielen, das gewisser Raupen Arbeit ist. Theophane selbst hat mit Seide gestikt, sie arbeitet an einem Schleyer, den sie ihrer gütigen Besizerin, der schönen Alswithe, zugedacht hat. Das Reich der Seren ist der Siz der Künste, der Triumph des Akerbaues, und die Pflegemutter unzählbarer Einwohner: denn die übrige Erde ist eine sparsam mit einigen Hütten bestreute Einöde, wenn man sie gegen das glükselige Kathay hält. So habe ich von den Kaufleuten gehört, die in Indien serische Handelsleute gekant hatten, und dann mit den Waaren dieses fleißvollen Volkes durch Byzanz gekommen waren.«

»Die Seren sind ohne alle Gleichheit das älteste der gesitteten Völker, sie hatten weise Gesezgeber, und erfindsame Künste, dieweil die Griechen vom Raube der Thiere, und von den freywilligen Eicheln lebten, die die Natur für die unthätigen Wilden wachsen ließ. Kathay ist der Siz der Ordnung, der Kaiser ist der Vater des ganzen Volkes, er beherrscht die vielen Millionen mit eben dem Ansehen, mit welchem ein Hausvater seine Kinder regiert, er genießt von ihnen eben die Liebe und eben den Gehorsam, den sie ihren Eltern leisten. Er ist die einzige Quelle aller Ehre, und unter ihm sind alle Unterthanen gleich schwere Münzen, deren Wehrt erst der kaiserliche Stempel erhöhet, und verschieden macht. Sie kennen keinen Adel: von dem Kaiser gehn die Befehle durch Stuffen von immer niedrigern Staatsbedienten biß zum gemeinen Landmann; und niemand ist, der den geringsten Aufhalt in ihrer Vollstrekung unternehmen dürfte. Niemand bringt in die Wiege erhabene Rechte mit, die ihn über die Gemeinen des Volkes erhöhen. Der einzige Adel besteht in den Enkeln eines Weisen, der vor sechszehn Jahrhunderten im Reiche der Seren die Tugend lehrte, eben zu der Zeit, in welcher Pythagoras die rohen Griechen in der Feldmeßkunst, und in der Kenntniß der Gottheit unterwies.«

Alfred, der niemahls ein Volk gesehen hatte, wovon der Adel nicht den angesehensten Theil solte ausgemacht haben, fiel hier dem erzählenden Freunde in die Rede. »Ein solches Volk, sagte er eilfertig, muß feig seyn. Nur das zarte Gefühl der Ehre kan die Liebe zum Leben überwinden, und ein solches Gefühl kan nirgends so lebhaft herrschen als bey den Edlen, denen die geringste Schmach unerträglich, und das Leben zur Last wird, wenn sie es ohne Ehre zubringen sollen. Zudem ist der Edle von niedrigen Sorgen frey, seine Hände sind zum Schwerdt, sein Leib zum Reiten abgehärtet, die Jagd hat ihn zum Kriege zubereitet, der Sieg ist sein einziger Beruf, und der Zwek seines Lebens. Der dürftige Landmann vergißt die Ehre über der unentbehrlichen Bemühung für seinen Unterhalt; gewöhnet zu den Erniedrigungen fühlt er die erhabenen Triebe nicht, die ein Held fühlen muß: zu demühtigenden Arbeiten erzogen, kent er die Geschiklichkeit nicht, ein muhtiges Pferd gegen den Feind zu spornen, den gesenkten Speer in den diksten Haufen der Feinde zu dringen, die Wunden zu geben und zu vermeiden. Zu oft habe ich es erfahren, daß die Stärke meines Heeres in meinen Edeln ist.«

Amund erwiederte. »Der belesene Alfred kent die Geschichte der Griechen; sie hatten keinen Adel: aber wer war herzhafter als ein Spartaner, der kaum seinen Vater zu nennen wußte, der ein Sohn des Vaterlandes, und kein Sohn eines Edeln war? Zu eng ist das Gefühl der Ehre in einen Stand eingesperrt, der niemahls zahlreich seyn kan, weil er müßig lebt, und vom Schweiße der Niedrigen seine Nahrung erwarten muß. Diejenige Staatsverfassung ist die weiseste, das Volk muß das siegreichste seyn, wo eben dieses Gefühl sich über das ganze Volk ausbreitet, wo jeder Bürger mit der Begierde nach dem Siege glühet, die einen Feldherrn beseelet. Nicht der Mangel des Adels macht die Seren furchtsam; es sind andere Ursachen dazu. Der fürchterliche Saracen ist ein Kamelhirt, aber wer ficht verzweifelter? wer hat mehr Siege erhalten? wer hat mehr Länder bezwungen, als der freye Durchstreiffer des sandichten Arabiens? Unter den Seren sind zu viele Handwerker und Krämer, und die Menge der Nation besteht mehrentheils aus Menschen, die in stillen Arbeiten den Gebrauch ihrer Glieder verlieren, die ihre Arme nicht durch mühsame Bestrebungen stärken, und keine Unbequemlichkeiten, keine rauhen Lüfte, keine angestrengte Nachtwachen ertragen gelernt haben. Eine andere Ursache zur Feigheit der Seren ist die knechtische Begegnung, die sie von ihren Vorgesezten erdulden. Das unermeßliche Reich wird durch die Peitsche regiert, der gröste Sere ist niederträchtigen Straffen unterworffen; so verliert der Muht des Volkes seine Schnellkraft, es beuget sich ohne Wiederstand unter das Joch, und fühlt an statt des Triebes nach Ehre, nur die Triebe die zum Unterhalt des Lebens treiben, oder die gröbsten der Sinne vergnügen. Freylich ist also das Reich der Seren zum Kiege minder geschikt; auch sehnt sich sein Fürst nach keinen Eroberungen, er begnügt sich mit dem unermeßlichen Umfange seines angestammten Gebietes, und lehnt wohl eher die freywillige Unterwerfung benachbarter Völker ab, die durch den unter den Seren herrschenden Wohlstand angezogen, den Schuz des Beherrschers suchen, der seines Volkes Vater ist.«

»Aber dennoch genießt dieses große Reich den unendlichen Vorzug, daß kein Großer sich wider den Kaiser aufzulehnen sich waget; da er einzeln ist, keine Wurzeln in einem verwandten und mächtigen Adel hat, so reißt ihn der erste Sturm der monarchischen Ungnade ohne Wiederstand aus.«

»Ein König der Sachsen kan keinen Großen bestraffen, daß er nicht desselben Verwandte, sein Geschlecht, und auch wohl alle Große beleidige, die in der Erniedrigung eines jeden von ihnen die Möglichkeit ihrer eigenen Erniedrigung mit Verdruß ansehen. Der kriegerische Muht ist aber bey den Seren minder nöhtig, da sie zerstreute und vertheilte Nachbarn haben, die ihre Gränzen wohl beunruhigen, aber dem Reiche keine alzugefährliche Wunde beybringen können. Vom Anfange der Geschichte her ist das Reich der Seren immer unbezwungen geblieben, die Königsstämme sind ausgelöscht, andre Seren haben sich auf den Thron geschwungen, aber keine fremde Macht hat das Reich überwältigt.«Die Einfälle der östlichen Tartaren vom Stamme Kin, der westlichen unter dem Stamme Ywen, und wiederum der östlichen unter dem Stamme Tsing, sind alle neuer als Alfreds neuntes Jahrhundert.

»Es ist ein großer Vorzug beym Reiche der Seren, wenn man zum Aeußersten des Alterthums hinaufsteigt, dahin wo noch kein anderes Reich der Welt sich erhoben hatte, wenn man biß zu den Gränzen der Fabel zurüke geht, wo die Geschichte ihren Anfang nimt; so findet man allemal ein gesittetes, ein fleißiges und unzählbares Volk, immer Künste, Geseze, weise Männer, und große Fürsten, einen Yu, einen Schung, einen Wenwang, einen Wuwang.«

»Doch, fuhr Amund fort, und neigte sich ehrerbietig gegen den König, ich bin kein blinder Verehrer einer unumschränkten Herrschaft, ich bin ein freygebohrner Gothe, dessen Herz sich nicht unter einen Fürsten würde beugen können, wenn die Ehrfurcht nicht es leitete, demjenigen zu dienen, den ich für tüchtiger zu befehlen halte. Ich werde dem Könige die Folgen der grenzenlosen Gewalt aus meiner eigenen Erfahrung zeigen können.«

Nach einigen Tagen begleitete Amund die schöne Theophane an den Hof, sie brachte der edeln Alswithe einen weissen von glänzender Seide gewobenen Schleyer; in welchen sie von den höchsten Farben Blumen und Thiere gestikt hatte, so wie sie in den milderen Gegenden des Süden von der Natur mit schimmernden Farben bemahlt werden, als es Nodens schwächere Sonne vermag. Die Königin bewunderte die Kunst und das Zeug, und erwiederte das Geschenk der reizenden Griechinn mit dem feinsten Leinwande, der aus Flandern kam, und dessen zarte Fäden fast dünner schienen, als daß sie von Menschenhänden hätten verarbeitet werden können. »In unsern frostigen Gegenden, sagte Alfred, verspricht die Natur weniger, und überläßt dem Fleisse der Menschen mehr. Die Emsigkeit kan aber auch hier Schäze finden, die zum Glüke des Volks eben so viel beytragen können, als die Freygebigkeit der Natur.« Theophane gestund, daß sie im künstlichen Byzanz nichts gesehen hätte, das diese Arbeit überträfe, und am Nuzen wich freylich der Flachs der Seide nicht.

Alfred foderte selbst den Amund auf, seine Unterredung fortzusezen. »Die unumschränkte Macht des Fürsten ist ein Joch, sagte der Kämpfer, unter welchem niemand glüklich seyn kan. Umsonst lacht uns die Gunst des Hofes an, wer kan ein wandelbares Glük ruhig genießen, wenn bloße Runzeln an der Stirne des Fürsten uns ohne unsre Verschuldung in den Abgrund stürzen können?«

»Ein guter Herrscher wendet allerdings seine große Macht zum Besten seines Volkes an, und thut um desto mehr Gutes, je weniger er umschränkt ist. Er wacht über seinen Dienern, wählet sie mit Bedacht, und läßt nicht zu, daß auch die Untersten seines Volkes unter ungerechtem Druke leben. So waren die ersten Häupter der kaiserlichen Stämme der Seren. Aber die von ihnen auf dem Purpur erzeuget, im Genusse der obersten Macht erzogen waren, ohne daß es sie einige tugendhafte Thaten gekostet hätte, den Thron zu verdienen; sie sahen bald in der Gewalt nur das Vermögen ihren eigenen Begierden genug zu thun. Sie füllten ihre Paläste mit dem schönsten Frauenzimmer, sie verlohren bey Schauspielen die Tage die sie ihrem Volke schuldig waren: die Belustigungen wurden ihr einiges Geschäft. Ihre durch die elenden Rähte der Verschnittenen, und der geliebten Buhlschaften gewählte Bediente suchten auch kein anderes Bestes, als ihre eigene Größe, ihr Ansehen, ihren Reichthum, ihr Vergnügen: stuffenweise brauchte ein jeder den ihm Untergebenen zum Werkzeuge seiner Begierden, und der unterste, der nüzlichste Bürger darbte in übermässiger Arbeit, auf daß die Höflinge, die Richter, die Bedienten der Krone in Uebermuht und in übermäßiger Pracht leben könten. Das Volk seufzte, und bat den Himmel um Erleichterung; bald murrete es, und endlich war ihm der Tod angenehmer, als sein Zustand, es überließ sich seiner Verzweiflung; der Ehrgeiz fand ihm Anführer; muhtige und thätige Aufrührer trieben den abgearteten Wollüstling vom Throne, und rotteten den Stamm aus, der dem Volke zur unerträglichen Last gereichet hatte.«

»Nichts ist gefährlicher, als alles vermögen. Wer mit einem finstern Blike seine Bedienten morden, und ungeahndet vieljährige Dienste mit Gift belohnen darf, der wekt selbst die Dolche auf, denjenigen aufzureiben, vor dem niemand eine Sicherheit hat. Wer ohne die Hülfe der Geseze straffen, willkührlich verbannen, eigengewältig seine vornehmsten Bedienten entsezen kan, überläßt seine Gewalt gewiß der Ausübung seiner Begierden. Wie ihn seine verdorbenen Lüste antreiben, so greift er die Zucht der edelsten Frauen an, das Vermögen der Armen an, die Schäze der Kirche an, die Ehre der Richter an, das Eigenthum eines jeden Unterthans, das seinen Lüsten Befriedigung erkaufen kan. Er strebt mit unnöhtigen Kriegen nach Triumphen, die seine Unterthanen mit ihrem Blute erkaufen müssen. Er verbaut mit prächtigen Schlössern den Lebensunterhalt der Bürger; er verschwendet in nichtsbedeutenden Feyerlichkeiten, in Schauspielen, in Gastmählern, das Brodt und die Haabe seines Volks. Alfred weiß, was in dem grossen Rom der Zaubertrank der unumschränkten Macht für Ungeheuer, auch aus besseres versprechenden Jünglingen umschaffen hat. Gott ist allweise, Ihm gehört die Allmacht, dem fehlhaften Menschen aber Schranken, die seine Begierden einzielen.«

»So wie den unumschränkten Herrscher niemand von der Erfüllung seines Willens zurüke hält, so wird sein erster Staatsbedienter, sein Feldherr, sein Richter, sein Kammerschreiber ein Despot. Die ganze Nation schmachtet unter dem Joche, das der Stärkere allemahl dem Schwächeren auflegt, und dessen Gewicht den gemeinen Mann erdrükt, der niemand wieder drüken kan.«

»Der Monarch liebet niemand. Jeder Bürger ist für ihn ein von dem Schiksal zur Erfüllung seines Willens bestimtes Werkzeug, dessen Dienste er geniessen kan, ohne gegen ihn in einiger Verbindlichkeit zu stehn. Der Bürger sieht mit Schreken, und mit Haß, das Schloß, wo der Verschwender seines Blutes und seines Eigenthums schwelget; er nimt an der Erhaltung seines Fürsten keinen Antheil, und kent kein grösseres Unglük, als dasjenige, das er wirklich fühlt. Ein verwegener Aufrührer bestürmt mit einer Handvoll Räuber den verlassenen Palast, und kein Bürger begehrt, den Herrscher zu beschüzen, der ihn unglüklich macht.«

»Ich habe selbst dem Trauerspiel beygewohnt, das in Byzanz den unglüklichen Michael vom Throne stürzte. Er hatte das Beste des Reiches vernachläßigt, er war ein Schwelger, der über dem Wein vergaß, was die Pflicht eines Vaters des Volkes ist. Ein Mann, von den Geringsten seiner Unterthanen, war durch seine gute Bildung zu obern Bedienungen gestiegen, er fand eine Rotte Würger, die ihm zu Gebote stehen. Ehe die Wareger ihre Waffen brauchen konnten, war Michael ermordet, unsre Treu hatte keinen Gegenstand mehr, und so fiel unter dem Schwerdte weniger Räuber, der Nachfolger des Constantins und der Cäsarn. So wenig Antheil nahm man an seinem unglükseligen Schiksal, daß nicht eine Thräne vergossen, nicht ein Seufzer gehört, keine Bude verschlossen, kein Geschäft gestört wurde; und nach wenigen Stunden rief ganz Byzanz langes Leben dem Kaiser Basilius mit eben dem freudigen Eifer zu, als wenn er der echte Erbe des Throns gewesen wäre.«

»Hätte Michael seine Krone an das Beste seines Volkes verknüpft, wären die Geseze seine Schranken gewesen, hätte sein Fall das Wohlseyn des Landes erschüttert: so wäre beym Basil niemahls der vermessene Gedanken aufgestiegen, über die Leiche Michaels den Thron zu besteigen. Aber ein Despot ist eine umgekehrte Pyramide, ein ungeheures Gewicht ruhet auf der Spize, auf einem Punkte; der Hauch eines Westwindes kan den wiedersinnigen Bau umstürzen.«

»Nicht allemahl greift der gedrükte Unterthan zum Dolch, oft beugt er sich zum Joch mit unthätigem Murren, ihn kan die Religion in Ketten trösten, oder der Schreken einer besoldeten Kriegsmacht zur Gedult zwingen. Aber dennoch ist der unumschränkte Herrscher unglüklich, weit unglüklicher, als der durch die Geseze gebundene Fürst. Dieser hat eigene Staatskörper um sich, die ihm die Wahrheit sagen; er hat Große, die ungerechten Befehlen sie nicht unterziehen, er hat Geseze, die er ohne Gefahr, und ohne Wiederstand nicht übertreten kan. Alle diese Machten, die ihn einschränken, wachen zugleich für seine Sicherheit. Er wird nicht ungerecht, er greift das Eigenthum seiner Bürger, das Leben seiner Diener nicht an, weil er den Zwek nicht ohne sich zu verunehren, nicht ohne unübersteiglichen Wiederstand erreichen würde. Er lernt von der Erfahrung, daß nur diejenigen Bürger gehorchen, die ihren Herrn lieben, daß diese Liebe zu gewinnen, er Glükselige machen muß, und daß er sein Volk nicht glüklich machen kan, wenn er selbst nicht arbeitsam, gütig und gerecht ist. Manche That, die dem morgenländischen Despoten Spiel und Zeitvertreib ist, würde durch den bloßen Gedanken die ganze Seele eines Fürsten erschüttern, der sich erinnert, daß seine Größe auf die allgemeine Verehrung und diese auf seine Tugend sich gründet. Was ein Tyrann zu Byzanz ruhig entwirft, und mit kaltem Blute bewerkstelligen läßt, das Blenden eines Staatsbedienten, das Verstümlen eines verdächtigen Großen, hat zu eines scaninavischen Königs Gedanken niemahls einen Zugang gefunden.«

Alfred erwiederte. »Ich bemerke, daß Amund weder der Macht der Großen, noch der unumschränkten Gewalt der Könige günstig ist. Kent er aber eine Staatsverfassung, wo alle Machten einander im Gleichgewichte halten, wo der König vor dem Ungehorsam und dem Aufruhr, und das Volk vor der Unterdrükung gesichert ist? Ich habe die Geschichte gelesen, und meyne gefunden zu haben, daß diejenige Regierung die beste ist, in welcher ein Tugendhafter herrschet; es mag denn der König herrschen, oder wie zu Sparta die Großen, oder wie zu Rom das Volk. Wo hingegen der Herrscher ungerecht und verdorben ist, so ist auch der Staat unglüklich. So war es unter den bösen Cäsarn zu Rom, unter dem ungerechten Volke zu Athen, unter den drükenden Großen des spätern Sparta; und die Staatsverfassung kan die schlimmen Folgen einer auf lasterhaften Trieben ruhenden Regierung nicht verhindern.«

Amund verbeugte sich gegen den König: »Alfred liebt die Wahrheit, und wird sie hören, auch wann sie seinen Gedanken entgegen wäre. Sie kan es nicht seyn; denn wer die Wahrheit sucht, hat sie noch allemal gefunden. Es ist allerdings alles unvollkommen, was von Menschen verwaltet wird; aber groß ist dennoch der Einfluß der Regierungsform auf die Sitten des Volks, und selbst auf die Regierung der Fürsten.«

»Ich habe den Misbrauch der unumschränkten Macht bewiesen und erfahren. In Alfreds Händen wird sie eine segnende Gabe des Himmels seyn; aber wie einzeln schenkt das Verhängniß einen Alfred? Die Weisheit des Gesezgebers muß verhüten, daß der unwürdige Sohn eines Salomons nicht alles zerstöre, was die bemühte Weisheit des Vaters gebaut hat. Sie muß das Schiksal des Volkes nicht den oft geringen Ursachen überlassen, die einen Königssohn unfähig oder unwillig machen, das Beste der Seinigen zu besorgen. Der frühe Tod des weisesten und tugendhaftesten Herrschers kan einen Unmündigen in den Händen solcher Weiber, solcher Kämmerlinge lassen, in welchen das zarte Gewächse zu keiner Tugend umgebogen, nach der Leitung des Lasters erstarket. Dem Unwürdigen muß es nicht frey stehen, nicht leicht seyn, die Geisel Gottes zu werden, er der sein Statthalter seyn solte.«

»Ich habe ein Volk gekant, ein großmühtiges, ein zu allem Edeln gebildetes Volk. Es verfiel nach und nach durch unvermerkte Schritte in den Zustand einer unordentlichen Aristokratie, die zugleich das Reich der Verwirrung war. Es hatte sich selbst die Gewalt genommen, über das gemeine Beste von Allen etwas zu beschliessen; ein eigensinniger Trozkopf, ein erkaufter Miehtling, konte das Rad der Regierung im Laufe aufhalten, an welchem hundert tausend Edle vergebens arbeiteten. Es kam dahin, daß die Geseze ärger, als die Laster, und der Aufruhr eine Folge der Geseze war. Alle Tugenden des Königs und der Edlen giengen für das Volk verlohren, weil die Unordnung ein genugsamer Vorwand zum Aufstand worden war. Die benachbarten Fürsten sahen die unverbesserliche Schwäche des Reichs ein; sie theilten es ruhig unter sich, wie Brüder die Felder ihres Vaters theilen, und die undankbaren Edlen, denen der Zaum der Geseze unerträglich gewesen war, geriehten unter das Joch der unumschränkten Macht. Nicht die Verderbniß der Sitten, nicht böse Fürsten, hatten am Unglüke des mächtigen Volkes Theil, sie lag allein in ihrer unsinnigen Staatsverfassung.«

»Allerdings ist es also eine würdige Sorge des Weisen, die Theile des Staats so richtig gegen einander abzuwägen, daß sie einander ein Gleichgewichte halten, daß nicht die Macht des einen Theils, einzeln den Ausschlag geben, sondern das gemeine Beste allein alle Machten in eine gemeinschaftliche Richtung vereinigen könne. Eine solche Staatsverfassung würde die Nation wider die heftigen Umstürze versichern, die andere Staaten oft zum Schutte machen: sie würde die Ehre und das Eigenthum eines jeden Bürgers von der Gefahr befeyen, durch einen Mächtigern, oder durch die Vorurtheile einer irrenden Menge verloren zu gehn: sie würde die Kraft des Staates vermehren, indem sie seinen Gliedern nicht zuliesse in entgegengesezten Richtungen zu arbeiten, sondern sie in einem Mittelpunkte zusammenzöge, der der vereinigte Willen aller Theile wäre.«

»Amund, sagte Alfred, dünkt mich wie ein Arzt zu sprechen, der gründlich zeigt, wie erwünscht ein Heylsmittel wäre, das das Erhizte kühlte, das Erkaltete hizte, das Schlappe anstrengte, das Verhärtete erweichte, das allen entgegengesezten Uebeln hälfe. Leicht würde er mich überzeugen, ein solches Mittel wäre die würdigste Gabe des Himmels: aber schwer würde es ihm werden, diese Arzney auszufinden.«

»Die Natur, sagte Amund und lächelte bescheiden, hat die Mittel unsre Kankheiten zu heilen in der Nähe wachsen lassen; der Menschen Pflicht ist es sie zu kennen und anzuwenden. Die Staatsverfassung, die die meisten algemeinen Uebel vermeidet, ist den Deutschen und Nordischen Völkern angebohren; sie steigt in das verborgene Alterthum hinauf, die Cherusker kanten sie, die den Römern überlegen waren, und noch ist sie in Scandinavien erhalten worden: die Sachsen sind davon abgegangen. Es wäre ein Werk, würdig eines Alfreds, eine Einrichtung wieder aufzuweken, bey welcher die Ahnen der Sachsen frey, steitbar, und allen ihren Feinden zu mächtig gewesen sind.«

»Ich kenne drey Theile, die ein Volk, ein großes Volk, wesentlich ausmachen müssen. Denn bey einem kleinen Staate wird ein Fürst minder erfodert; ein großes Reich aber hat zu viele Geschäfte, als daß sie durch eine Menge von Beherrschern befördert werden, als daß sie durch die Berahtschlagungen von Vielen ohne eine schädliche Verlängerung entschieden werden könten. Ein großes Reich muß auch viel zu große Aemter, und zu große Gewalt einem Bürger vergeben, als daß die Geseze ihnen zum genugsamen Zaum dienen könten; es muß Heere halten, und auch diese würden den Feldherrn bald zum überwegenden Bürger machen. Rom verlohr das Gleichgewicht, da es alzu ausgebreitete Länder, alzu zahlreiche Legionen hatte; ein Sylla, ein Pompejus, ein Cäsar waren den ohnmächtigen Gesezen zu groß.«

»Ein König muß also über ein großes Volk gebieten; die ausübende Gewalt, die Lenkung der Heere, die Unterhandlungen mit andern Völkern, alles was nur einen eilfertigen Entschluß fodert, selbst die Wahl des Krieges und des Friedens muß ihm überlassen seyn. Die Geseze herrschen unter seinem Nahmen, er nent die Richter, er ist der Quell des Adels, und der Ehre, er wählt zu den Aemtern, sein Beyfal muß zur Errichtung der Geseze, und zu allen großen Entschlüssen der Nation, eingeholt werden; das Volk muß ihn mit genugsamen Reichthümern unterstüzen, den Glanz eines Hofes zu unterhalten, des Reiches Würde gegen seine Mitbürger zu behaupten, die nüzlichen Künste und der Darbenden Verdienst zu belohnen. – Er muß ruhig sein Reich den Erben überlassen, eine jede Wahl schwächt die Leitseile des Fürsten bey einem Wahlreiche, bis ihm nichts als der äussere Pomp des Thrones übrig bleibt. Des Königes Person muß geheiligt, muß vor aller Beschimpfung, vor aller Gewalt durch die Geseze gesichert werden. Da an seiner Erhaltung, die Ruhe des Staates liegt; so beleidigt derjenige die Majestät des ganzen Volkes, wer seinen König angreift, dem das Volk aufgetragen hat, die Würde der ganzen Gesellschaft vorzustellen.«

»Aber die Geseze müssen den König beschüzen, selbst muß er sich nicht Recht schaffen. Seine Macht wäre einem jeden Bürger zu sehr überlegen, er würde bald zum Despoten, und zum Tyrannen werden, wenn er selbst straffen, selbst die Güter und die Person desjenigen angreiffen könte, von dem er sich beleidigt glaubte. Er soll allerdings in seiner Würde von den Gesezen wider die Anfälle der Lästerer beschirmt werden, die tiefer als man glaubt, die Grundfeste der Regierung erschüttern, indem sie das Vertrauen des Volks demjenigen entziehn, dem das algemeine Beste zu besorgen übergeben ist. Langsam schüren die Verläumder ein Feuer auf, das endlich, wann es algemein geworden ist, wann die Gemühter des grösten Theils der Nation eingenommen sind, zur alles verzehrenden Lohe ausbricht; und niemahl wird ein Fürst gestürzt, daß nicht der Staat geschwächt, und viele Tausende elend werden.«

»Es ist ein trauriges Bekentniß, aber die Geschichte der Welt ist ein überzeugender Beweis, daß ein böser Fürst mehr Macht hat, und sich besser beschüzt, als ein guter Herrscher. Der tugendhafte Fürst wird ohne Gefahr verschwärzt, und bey seinem Volke verdächtigt, er leidet, was nur immer gelitten werden kan; auch worinn er nicht mehr sich gedulden kan, so ruft er die langsame Hülfe der Geseze späte an, und findet bey denselben keine Hülfe, wenn einmahl eine große Anzahl der Bürger mit Vorurtheilen eingenommen, seine Verkleinerung wünschet. Ein böser Fürst weiß, und in allen Staatsverfassungen, Mittel genug, die Geseze durch die Richter zu gewinnen, den Furchtsamen durch das Beyspiel seiner Rache, den Gierigen durch die verschwendeten Schäze, den Ehrgeizigen durch Erhöhungen in der Ehre zu erkaufen; er braucht Mittel, die der Tugendhafte verschmäht, die aber auf das Verderben der Menschen mit unfehlbarer Kraft würken. Den guten König zu beschüzen, ihn in Augen der Nation ehrwürdig zu machen, müssen also die Geseze eifrig sorgen, und die Stimme der zaumlosen Verläumdung mit Straffen unterdrüken. Je freyer ein Volk ist, je grösser ist die Nohtwenigkeit dieses Schuzes, ohne den ein König nicht die Stärke behalten kan, die zur Lenkung der Leitseile des Staates erfodert ist.«

Alfred lächelte: Amund will doch für meinen Nachruhm sorgen; aber will er dann die Stimme der straffenden Wahrheit zum Verstummen zwingen, die wider böse Fürsten sich erhebt, und den Bürger warnt, den Eingriffen in die algemeine Sicherheit, und dem Wachsthum einer schädlichen Macht sich zeitlich zu wiedersezen.

»Des bösen Fürsten Thaten, sagte Amund, werden lauter wider ihn sprechen als der Mund des Hasses. Wann die Grundgeseze fest stehen, wann die Bedinge wohl versichert sind, an welche der König gebunden ist, wann die übrigen Machten des Reiches ihre Gewalt richtig ausgezeichnet haben: so kan ein Fürst sich nicht vergrößern, nicht über die Geseze erheben, daß er nicht die übrigen Machten des Staates beleidige, daß nicht der Einbruch in die Schranken der Geseze dem gemeinsten Bürger sichtbar werde. Die bösesten Fürsten werden weniger verläumdet, die unfehlbare Rache unterdrükt die Klagen, selbst der Unterdrükten. Aber das Volk fühlt um desto mehr, je tiefer es stillschweigt, und eine Gränze ists, über die der Fürst nicht schreiten kan, ohne alle Kräfte des Reiches wider sich zu wafnen, und ohne unwiederstehbar gestürzt zu werden. Es wäre mir leicht, Fürsten zu nennen, die ein entfalnes Wort mit zweytausend Pfunden Goldes, und die freyern Klagen mit der Verstümmelung bestraften, und in deren Reiche keine andre Stimme gehört wurde, als die Stimme der Schmeicheley. Sie griffen dem Staate an die Grundgeseze, und plözlich fiel der Tyrann durch die vereinigten Kräfte aller Partheyen gestürzt, die einander verfolget hatten, die sich aber wider den algemeinen Unterdrüker schleunig vereinigten.«

Amund, sagte der weise Alfred, rügt hier eine schwere Frage. Wo fängt der König an, sein Recht zum Throne zu verwürken? wo ist die Gränze die er überschreiten muß, wann sein Volk das Recht erwerben sol ihn zu stürzen? Amund vergißt, daß eines Fürsten Fehler unendlich verschieden an Größe sind, daß auch das Volk kein erleuchteter Richter ist, der diese Fehler richtig abzuwägen weiß: will das Volk den geringsten Fehler der Fürsten ahnden, so wird keine Regierung fest seyn: denn ein jeder Fürst begeht Fehler, und das Vorurtheil, oder der Eigennuz, kan dem Volke Fehler an dem Fürsten zeigen, wo nichts als Tugenden sind. Wann ein Vergleich zwischen dem Fürsten und dem Volke angenommen wird, der dem Fürsten das Recht zur Herrschaft giebt, so lang er die Bedinge erfült; und dem Volke das Recht ertheilt, den Gehorsam aufzusagen, so bald die Bedinge vom Herrscher nicht aufs genaueste erfült werden: wann dieser Vergleich das Grundgesez aller Regierungen ausmacht, so bedaure ich den Fürsten, der einen so wankelbaren Thron besteigt: ich bedaure das Volk, das unaufhörlich mit Gewaltthätigkeiten und Blut den Umsturz eines Fürsten und die Wahl eines andern erkaufen muß, den es eben so viele Ursache finden wird zu stürzen, als es beym erstern fand.

Wann hingegen der Fürst sein Volk sicher unterdrüken kan, wann unterm Vorwande der algemeinen Ruh, niemand sich seinen Gewaltthaten wiedersezen soll; wann er mit unbarmherzigen Auflagen den nöhtigsten Unterhalt der Armen an sich reißt, und nakte Bürger verhungern läßt, seine Begierden zu sättigen; wann er eigenmächtig nach der Freyheit, nach dem Leben der Unterthanen greift, unverhört in die Kerker wirft, und unüberwiesen durch erkaufte Richter, hinrichtet; wann er die Ehre, die Würde der besten Bürger, die uralten Gerichtshöfe der Nation wilkührlich stürzt, wann er die Stimme des Elends, die Vorstellungen der warnenden Wahrheit mit Unwillen, mit Straffen brandmarket: sollen dann Millionen elend seyn, weil ein einziger Sterblicher ungerecht ist? hat der oberste Herrscher diese Millionen für einen Einzigen geschaffen? sol die Glükseligkeit so vieler Tausenden in keinem Gleichgewicht gegen den thörichten Willen eines Einzigen stehn? sollen sich die freyen Bürger wie Schaafe würgen lassen, und noch die Hand des Mörders küssen? Es muß also eine March gefunden werden, bey welcher der Widerstand rechtmäßig wird, bey welcher der Fürst das Recht verlieret, im Genuße seiner Vorzüge zu bleiben; aber kennt Amund diese March?

»Schwer ists, weiser Alfred, sagte der Redliche, schwer ists diese March zu ziehen, und dennoch muß sie gezogen seyn. Selbst unter den mildesten Völkern, selbst unter den feigen Seren ist eine March, die Tscheu überschrit, und vom tugendhaften Wuwang gestürzt wurde. Wuwang berief sich auf die Stimme des Himmels: Er, sagte er, Er, der Tien heißt mich, die Erde wieder des Tyrannen Gewaltthaten zu schüzen.«

»Das einzige Mittel diese Gränze zu bestimmen, ist die genaueste Ausmarchung der Grundgeseze, und der Schranken der königlichen Macht. Wann der König keine Steuern auflegen soll, und dennoch auflegt, wann er sich selbst nicht Recht schaffen sol, und dennoch aus eigener Macht verhaftet und hinrichtet, wann er Geseze macht, die weder von den Edlen, noch von den Ausgeschossenen des Volks gutgeheissen worden sind, wann er die Geseze, die von allen gesezgebenden Machten ihre Kraft erhalten haben, durch eigenmächtige Erlassung der Straffen, entkräftet, wann er die Freyheit der Meynungen und der Schlüsse der übrigen Machten des Reichs hindert, wann er folglich die Grundgeseze des Reichs umstößt: so verwürkt er allerdings sein Recht zum algemeinen Gehorsam, er ist ein Feind seines Volkes geworden, und das Volk kan seine Feindschaft erwiedern; die übrigen Machten sind berechtigt, ihn in die Schranken der Geseze zurük zu sezen.«

»So lang er bloß fehlt, ohne die Grundgeseze anzutasten, so lang er nur durch übel gewählte Rähte schadet, nur die weisesten Auswege in den Staatsgeschäften miskennet, nur schwach und nicht ein Wüterich ist: so lang verdient er die ernsthaften Vorstellungen seiner Edeln, und des Volkes, er verscherzt die algemeine Hochachtung, er kan an seinen Bedienten bestraft, und an der Ausführung seiner unweisen Entschlüsse durch die übrigen Machten des Reichs gehindert werden. Aber die Entsezung des Fürsten ist ein so großes Uebel, daß man die harte Arzney nicht eher zu versuchen hat, bis kein anderes Mittel zur Rettung des Staates übrig ist.«

»Glüklich ist es für die Menschen, daß sie nicht plözlich den äussersten Staffel der Bosheit erreichen, daß die Macht der Sitten, und die Furcht der Folge ihnen nicht zuläßt, von der Tugend tief in die Abgründe des Lasters sich plözlich zu stürzen, und daß sie stuffenweise zu großen Vergehungen sich entblöden. Ein Fürst kan folglich in einer gemäßigten Staatsverfassung mehrentheils durch Vorstellungen, durch den gesezmäßigen Widerstand der ihm beygeordneten Machten, durch die Zeichen des algemeinen Widerwillens, durch Ahndungen an seinen bösen Bedienten, in dem unglüklichen Lauffe seiner Abartung aufgehalten werden. Selten wird in einer wohlabgewogenen Staatsverfassung die traurige Nothwendigkeit entstehen, daß das Volk wider denjenigen sich wafnen müßte, für den es sonst sein Leben aufzuopfern schuldig wäre. Nur in den übel bestimten, ohne Gleichgewicht wankenden, durch keine Grundgeseze, befestigten Staaten hat es die Wüteriche gegeben, in deren Blut das Volk seine Sicherheit hat suchen müssen. So war die Römische Herrschaft eine Brut der kriegerischen Gewalt, und der heuchelnden Staatsklugheit, wo das Ansehen einer Republik blieb, und dennoch alle Gewalt bey dem Schwerdte der Prätorianer und der Legionen war. So ist es zu Byzanz, wo keine Schranken den Fürsten umzielen, wo sein Willen ohne die Hülfe der Geseze in die Erfüllung geht, wo ihn nichts hindert, alles zu wagen, und auch nichts ihn wider die Verzweiflung der Unterdrükten beschüzt. Der mit der Ungnade bedrohte Kämmerling, der seiner Würde entsezte Feldherr, weiß daß er nicht mehr Gefahr bey dem Aufruhr, als beym Gehorsam läuft, daß er nicht die Geseze, nicht das Volk, sondern nur den Fürsten zum Feinde und zu fürchten hat; daß ihm noch eine Hofnung bleibt, den Dolchen dem Fürsten ins Herz zu drüken, eh ihn das Beil erreicht: er wagt die nicht hofnungslose Unternehmung, und oft erliegt der Fürst, eben weil er alles vermocht hat, weil keiner Geseze Aufsehen ihn eingeschränkt und aufgehalten haben, sich in den Abgrund zu stürzen; weil die Geseze ihn so wenig beschüzt haben, als sie seine Unterthanen beschüzt hatten.«

»Selten, und in einzelnen Jahrhunderten, wird also ein umschränkter Fürst sich selber Feind genug, durch alle Hindernisse, durch alle Geseze zu brechen, und solche Gewaltthaten zu unternehmen, die seine Unterthanen zu der Verzweiflung bringen, ohne die sie niemahls die gefährliche Umstürzung eines rechtmäßigen auf seinem Throne sizenden Fürsten unternehmen würden; häufig sind hingegen, und durch die kleinsten Ursachen entstehn, die Veränderungen despotischer Staaten. Selbst in dem gesitteten Byzanz, wo das Christenthum Gedult und Gehorsam lehrt, wo vielvermögende Priester meistentheils dem Fürsten zugethan, des Volkes Wallungen zurükhalten, auch da sizt vielleicht der funfzigste Kaiserstam auf dem Throne, seitdem der erste Cäsar die Freyheit unterdrükte; und bey den wilden Morgenländern vertreibt ein Wüterich den andern, wie die vom Sturme getriebenen Wolken einander vom Reiche der Luft verdrängen.«

»Die zweyte Macht in einer gemäßigten Staatsverfassung ist der Adel. Alfred hat vielleicht den Amund im Verdacht, er sey dem Adel ungewogen; aber Amund würde wider sich selber sprechen: er hat selbst seiner Geburt die Vorzüge und die Ehrenbezeugungen zu danken, die der Gemeine dem Edelgebohrnen nicht ungerne erweiset. Der Adel ist keine Erfindung der Griechen, der gesitteten Aegyptier, noch der ämsigen Seren, er haftete auch zu Rom nur zur Hälfte an der Abstammung von alten Helden. Die Vorzüge des Adels sind in Norden zu suchen, und der erste Edelmann war ein streitbarer Kämpfer; seine Söhne folgten seinen Fußstapfen, und die einzige Bemühung vieler auf einander folgenden Geschlechter war der Krieg. Durch die fortgesezte Wichtigkeit, die der kriegerische Muht und die Auferziehung in den Waffen, den Enkeln der ersten Helden gaben, gewöhnte sich das Volk die Vertheidiger der Nation von demjenigen Pöbel zu unterscheiden, der das Vieh hütete, den Aker baute, und im Gebrauche der Waffen minder geübt, minder fürchterlich, und den in beständigen Streitigkeiten lebenden Horden zu ihrer Beschüzung minder nohtwendig war.«

»Enger noch und beharrlicher wurde der Vorzug des Adels befestigt, da zuerst die späteren Kaiser der Römer und Byzantiner den an den Gränzen wilder Völker sich niederlassenden Kriegsleuten eigene Stüke Länder mit dem Bedinge überliessen, bey dem Gebrauche der Waffen zu bleiben, und diese Gränzen des Reichs zu vertheidigen; hierdurch wurde es ganzen Geschlechtern zur Pflicht sich beständig in den Waffen zu üben, und ein unwiederbringliches Eigenthum gab ihnen gegen andere Bürger einen Vorzug, als deren Söhne gar oft die Besizungen verlohren, die durch die Arbeit ihrer Vätter waren erworben worden.«

»Noch tieffer gieng der Unterschied des Adels von den Unedlen, da streitbare Völker die minder streitbaren bezwangen, da das ganze siegende Heer die eroberten Länder unter sich theilte, und den Ueberwundenen das Leben unter dem harten Bedinge ließ, die Erde zu bearbeiten, auf daß die Sieger ohne Müh und in müssigen Uebungen der Jagd und des Kriegs leben könten. So wurden die Sarmater zu Edeln, deren Knechte die alten und schwächern Einwohner der großen Länder sind, die ich durchgereist habe, und die an den nordlichen Gränzen von Asien und Europa liegen.«

»Der Adel hat allerdings in einem Staate seinen Nuzen; die Enthaltung von allen niedrigen Geschäften, das zarte Gefühl der Ehre, die Ermunterung, die aus der Hofnung der Würde entsteht, selbst der angebohrne Stolz, der auf der Ahnen Verdienste sich gründet, erhebt den Geist der Edlen, und ihre Glüksumstände geben ihnen eine Unabhänglichkeit, und einen Nachdruk, zu dem ein Handwerksmann oder ein Handelnder schwerlich gelangen kan. Diese Vorzüge muß ein weiser Gesezgeber so anzuwenden wissen, daß der Adel den Staat überhaupt vertheidigen, den König unterstüzen, und von den Gemeinen alle Unterdrükung abwenden könne.«

»Alfred erlaubt seinem Diener die Freyheit wahr zu seyn. Unter seinen Angelsachsen hat der Adel zu viel Vorzüge, er wird dem Staate schädlich: die Gemeinen machen dennoch das Volk am eigentlichsten aus, und wann jeder Bürger das Recht hat, von der Staatsverfassung so viele Glükseligkeit zu erwarten, als es möglich ist, so genießt der gemeine Sachse diese Rechte nicht. Er kan zu den hohen Ehrenstellen nicht gelangen, er kan sogar sein Eigenthum zur Nohtdurft des Staats nicht freywillig aufopfern, der König schreibt dem Adel die Steuern vor, und der Adel legt auf die Gemeinen die Last, die er von sich ablehnt, und nach seiner Wilkühr abmißt. Das Land ist dem Adel eigen, der Landmann ist nur sein Pachter; der Unterhalt des Arbeiters, das Leben seiner Kinder, auch ihre Heyraht, hängt von dem Eigensinne des Edelmanns ab.«Es waren wohl unter den Sachsen halbfreye Leute. Die einen waren freye Pflugmänner (Socmen), deren eine wiewohl geringe Anzahl zu einem Rittergute erfordert wurde, weil ohne sie die Untergerichte nicht hätten können besezt werden: Aber auch diese Männer waren dem Adel in so weit ergeben, weil sie ohne dessen Beyfall ihre Güter nicht verkauffen durften, und auch von demselben nach seinem Gutdünken von dem Gute verstoßen werden konten. Und auch die freygelassenen wenigen ganz freyen Männer, die über ihre Güter ohne Zwang schalten konten, ergaben sich mehrentheils freywillig dem Schuze der Edlen, und wurden zu Lehen-Leuten (Littleton Henry II. Tom. III. pag. 186. 367. 368), und so frey sie waren, so pflügten sie dennoch ihrer Herren Güter.

»Dem Könige ist der Adel eben so gefährlich. Er hat die Waffen einzig in seinen Händen,Man meint Spuren zu finden, daß in jeder Grafschaft ein Heretoch gewesen sey, den die Freymänner jährlich erwählt hätten. Aber diese Sage ist bey der wenigen Freyheit des Volkes höchst unwahrscheinlich und beruht auf einer unzuverlässigen Urkunde (Littleton, III, p. 86. 319). jeder Graf ist der Feldherr des ihm untergebenen Volkes: der Gemeine hängt zuerst am Großen, und nur durch ihn an dem König. Des Edlen Unwillen kan die Samlung der Kriegsleute erschweren, ihre Dienste unnüz machen, dem Könige die Mittel abschneiden, die Heere zu erhalten. Noch ein Schritt, noch eine zweydeutige Unternehmung des Königs, durch welche der Edle sich beleidiget glaubt, so werden die Grafen die Waffen wider den König selber wenden, und die Gemeinen, die unter der Gewalt des Adels sind, die von ihm ihre Felder haben und ihr Brod erwarten, die werden dem Adel wider den König dienen, den sie nicht anders kennen als durch die Befehle des Adels.«

Wiederum hat der Adel die Gerechtigkeit zu verwalten, er der kein Geschäft kent, als die Jagd und die Waffen, der die Bücher verachtet, und der seine Wilkühr zu Gesezen macht, da die Geseze seinen Willen lenken solten. Dieses Vorrecht liefert den Gemeinen noch mehr in seine Hände, der Grafen Ungunst ist ein verdammendes Urtheil für seine Angehörigen, seine Gunst giebt in der That selber den Ausspruch für den der sie erworben hat. Endlich sind die Rittergüter zu unermeßlich groß, und geben dem Adel eine alzu große, und zu wenig vertheilte Macht.«Littleton, III. 325.

»Allerdings muß also der Adel von einem weisen Gesezgeber in die Stellung versezt werden, in welcher er dem Staate, dem Könige, und dem Volke nüzlich, und keinem Gliede des Staates beschwerlich sey. Die Gerichte können ihm nicht anvertraut werden, er hat zu viel Angelegenheiten mit seinen Leibeigenen und Pachtern und mit dem Könige abzuthun, die alle auf seine Gerechtigkeit einfliessen können; er hat auch in Angel-Sachsen zu wenig Eifer auf die Erleuchtung seines Verstandes gewandt, als daß man ihm die oft alzu schwere Arbeit auflegen könte, das verborgene Recht aus der Dunkelheit zu ziehn, worinn es manchmahl verborgen liegt. Zu Richtern müssen Männer gewählt werden, deren Auferziehung sie zum Lesen, zur Kenntniß der Geseze, zur Nachforschung der Gründe einer jeden Sache gebildet hat. Der Richter muß in der Grafschaft nicht angesessen seyn, nichts eigenes, keinen Eigennuz haben, der die Waag-Schale der Gerechtigkeit an die eine Seite lenkte; dieses Gesez haben die Seren schon längst gekant.«

»Noch weniger soll die Macht der Waffen, und der Befehl im Kriege den Grafen eigen seyn; die Kriegsleute sind des Vaterlandes, und seines Vaters des Königs, nicht eines Grafen, nicht einer Grafschaft Eigenthum. Allerdings kan der Adel mit dem grösten Vortheil gebraucht werden, einzelne Schaaren Hunderte und Tausende von Kriegsleuten anzuführen; seine Erfahrenheit in den Waffen, seine Ehrfurcht, selbst die den Geringen für den Adel angebohrne Verehrung, machen ihn zum Befehlen tüchtig: Aber der Feldherr, der Oberste, der Hauptmann müsten von dem König gewählt, und kein Recht zu den Würden des Kriegs angebohren werden. Der König wählt die tüchtigsten, und die eifrigsten Bürger des Staates; die Geburt zeugt blöde, und kränklichte, der Eigensin ungerechte und übelwollende. Der gemeine Kriegsmann, der Hauptmann, der Oberste, müssen des Königes und keines Unterthanen Leute seyn. Wie Angel-Sachsen jezt verwaltet wird, so ist jede Grafschaft der Siz eines kleinen Königes, der seine eigene Sorgen, und seine eigene Vortheile hat, und erst vom gemeinen Besten denkt, wenn es mit dem seinigen übereinstimt. Auch der König muß die Kriegsübungen einrichten, muß die Befehle geben, wohin jede Schaar vorrüken, wozu sie dienen soll, er muß sie ernähren, sie wafnen, ein eiziger Geist muß alle Kräfte des Königreichs beleben, und zu einem einzigen Zweke alles vereinigen.«

Alfred hörte aufmerksam zu; er fühlte die Wahrheit der Anmerkung wohl, die Amund gemacht hatte, der Weise sah aber zugleich, daß eine so große Veränderung der Macht der Großen einen algemeinen Aufstand erweken würde, der für ihn zu stark wäre. Er versprach sich selber die alzu weit ausgedehnten Vorzüge der Großen zu schmälern, nur daß die Klugheit viele Zeit und ein almähliges Fortschreiten erfoderte. Die Gerichte entzog er dem Adel wirklich, aber der frühe Todt des Weisen nahm ihn weg, eh er die Gewalt mindern konte, die sie im Kriegswesen hatten.

Der König machte unterdessen seinem Freunde einen Einwurf. Amund nimt dem Adel die Anführung im Kriege, und den Siz in den Gerichten: was hat er denn den Edlen für Pflichten vorbehalten, durch welche der Adel dem Lande dienen könte?

»Alfred, verbeugte sich Amund, ruft alle Jahre die Großen zusammen und beherzigt mit denselben die Wohlfahrt des Landes. Diese Versamlung ist wilkührlich, sie solte beständig seyn, und ihren Grund in der Staatsverfassung selber haben. Alle Jahre versamlen sich die drey Machten des Reichs, der König, die Edlen, und die Ausgeschoßenen des Volkes. Den Tag der Eröfnung der großen Versamlung sezt der König an, und er entläßt die Stände. Von jedem edlen Stamme hat das Haupt am Reichstage eine erbliche und wesentliche Stimme; den Adel selbst ertheilt der König auf alle Folge der Zeiten, so lang der Mansstam dauret. Dieses Erbrecht giebt dem Adel eine Unabhängigkeit, die er verlöhre, wann die verliehenen Vorrechte mit dem geadelten verdienten Mann ausstürben.«

»Am Reichstage werden alle große Geschäffte des Reichs, die Steuren, die Geseze, vor den Rittersaal getragen, und kein Entschluß der Reichsstände wird rechtskräftig, wann ihn der Adel nicht billigt. Ihm werden die Bischöffe zugegeben, weil sie fast einzig einige Wissenschaft besizen. Die Ueberlegung der Geschäfte wird bey dem Adel eine Nacheiferung werden, die die Gemühter veredelt, indem sie dieselben reizet, alle ihre Kräfte anzustrengen, vor ihren Mitherrschern gründlich und mit Eindruk über jede Frage zu sprechen. Dieses ist das einzige Mittel, die Edlen von der Jagd, und von den Waffen zurük – und zu Auszierung ihres Verstandes, zu Kenntniß der Geseze, und der Geschichte des Vaterlandes zu rufen. Die Gegenwart gelehrter und kundiger Bischöffe wird diese Nacheiferung vermehren; der Adel wird sich schämen, sich von denjenigen leiten zu lassen, die weit unter ihm gebohren sind, und die bloß die Gemühtsgaben ihm an die Seite sezen. In einer Versamlung, wo man einzig durch die Ueberzeugung durchdringen kan, können die Vorzüge der Geburt kein Uebergewicht über die gleich Edlen verschaffen; und wer fremden Meinungen sich nicht unterwerfen will, muß lernen, die seinen durch die Kenntniß der Sache und durch die Stärke des Vortrags zu unterstüzen. Diese Nacheiferung erwekte in dem kriegerischen Rom Redner und Staatsleute, sie bildete eines Cäsars genaue Richtigkeit, eines Tullius blühende Wohlredenheit, und eines Kato mänliche Ernsthaftigkeit aus.«

»Ich würde weiter gehen, fuhr Amund fort, ich würde die lezten Aussprüche der Gerechtigkeit weder den Bischöffen noch den Richtern überlassen, ich würde den Rittersaal zum obersten Gerichtshofe machen, wo alle steitige Sachen endlich beurtheilt werden solten. Die Gelehrten würden beywohnen, die Edlen aber mit richten. Auch von diesem Rechte des Adels hofte ich, daß die ohnedem nach der Ehre dürstenden Gemühter der Großen ihre angebornen Vorzüge durch die Kentniß der Geseze, und der natürlichen Billigkeit, und durch den Nachdruk und die Ordnung ihres Vortrages zu behaupten trachten würden. Ich trage keinen Zweifel, die unwissenden Edlen, die jezt mit geschnittenen Steinen ihre Aussage bescheinigen müssen, würden in wenigen Jahren tüchtig werden, die großen Geschäfte des Reichs zu verwalten.«

»Alsdann würde aus ihrem Mittel der König die Kanzler, die Gesandten, die Rähte, und die obersten Staatsbedienten wählen können, die er jezt unter Priestern und Mönchen suchen muß. Die Großen, die jezt in ihren Schlössern wie abgesonderte Fürsten leben, würden an den Hof gezogen, mit dem Könige näher bekant, und durch ihre Würden selbst ihm verbunden. Das Volk würde mit Vergnügen den König seine Macht mit solchen Männern theilen sehen, mit denen es nicht in der gleichen Reyhe geboren ist; und die minder als Unedelgebohrne das Ziel des Neides ihrer Mitbürger sind.«

»Diese Veränderung im Staate ist leicht; sie läßt den obern Orden der Bürger eines Staates an seiner Stelle. Was ich aber jezt vorzutragen gedenke, wird der König fremder finden: dennoch ist die Staatsverfassung, die ich entwerfe, die uralte VerfassungWeitläufig trachtet freylich Lord Littleton zu beweisen, daß schon zu der Sachsen Zeiten, das Volk zu den Parlementen gerufen worden, und wenigstens die Vorgesezten der Städte und Fleken dabey ihren Plaz gehabt haben. Seine Beweise sind von den Ansprüchen hergenommen, die zwar in weit spätern Jahren einige Fleken (Seite 226) auf dieses Recht gemacht, und dabey die Weise der alten Zeiten zum Beweise angeführt haben. Er führt auch Stellen an, in welchen die Versamlung des Parlements ein Volk genent wird. Barnstarte berief sich sogar auf einen Freybrief Adelstans. Die Antiquiores, die der Versamlung zu Clarendon beygewohnt haben, werden für Ealder-Männer vom Lord angesehen, oder für alte obrigkeitliche Personen aus jeder Grafschaft. Alles dieses scheint aber nicht zureichend, einen beständigen, und gesezmäßigen Antheil des Volkes an der Regierung zu beweisen, so wie derselbe zu Heinrichs III Zeiten, und nachher festgesezt gewesen ist. Niemahls wird in den Gesezen oder in der Geschichte gerade herausgesagt, es seyen von jeder Grafschaft, von jedem Fleken eine Zahl Ausgeschossener berufen worden; keiner wird jemahls genent, und unter den wenigen freyen Unadelichen wäre es schwer gewesen, eine tüchtige Wahl von Männern auszuwähren, die nicht vom Adel durch ihre Güter, und durch ihre Schuzbriefe wären abhängend gewesen. Der Lord gesteht selbst, die Geschäffte des Reichs seyen mehrentheils ohne die Gegewart des Volkes im Parlamente der Edlen abgethan worden, und des Volkes Macht sey viel zu gering gewesen, (Seite 234) zwischen der königlichen Macht und der aristokratischen ein bedeutendes Gleichgewicht zu halten. aller nördlichen Völker, der Germanier, der Scandinavier, der mächtigen Franken, und selbst der Sachsen; obwohl das Uebergewicht des Adels almählig das Volk unter sich gedrükt, und fast bis zur Knechtschaft erniedrigt hat.«

»Unsere Ahnen waren alle gleich. Wer Waffen trug, hatte einen gleichen Antheil an der Herrschaft eines Volkes, dessen Sicherheit er mit seinem Blute zu erkaufen bereit war. Wann große Entschlüsse genommen wurden, wann der Krieg erklärt, wann Frieden geschlossen werden solte, so versammelte sich das ganze Volk, das Heer freyer Kelten. Ihr Ruf, der Schall ihrer an einander gestoßenen Schilde, erklärten den Willen des Volkes, und wurde zum Geseze. Sie wählten ihre Heerführer, ihre Könige. Der König war ein Krieger, der seines Volkes Vertrauen durch seine Tapferkeit erworben hatte, er war ein Feldherr, aber nicht ein Meister seiner Mitbürger; selbst bey den Früchten seiner Siege erwuchs für ihn kein Anspruch zur Beute, der eines gemeinen Bürgers Rechte hätte verdringen können.«

»Die Menschen haben alle ein gleiches Recht zur Glükseligkeit. Ein Staat muß auf eine Weise eingerichtet seyn, daß so viele Bürger, als möglich ist, glüklich seyen, und in dem höchsten Grade glüklich seyen, der nur erreicht werden kan. Hier fehlt die despotische Regierung, die nur für die Macht und die Glükseligkeit des Beherrschers sorget, und derselben das Wohlseyn der Unterthanen aufopfert, die nur Werkzeuge bleiben, wodurch der Monarch seinen Willen ausführen kan. Aber ein weiser Gesezgeber will nicht, daß unter vielen Millionen nur ein Glüklicher sey.«

»Eben so wenig solte die Macht von der Fähigkeit getrent werden, die Macht zu gebrauchen. Einem Weisen ist es ein Widerspruch, einen Ritter in der Wiege zu sehen, dessen zarte Hände vielleicht niemals stark genug seyn werden, das Schwerdt zu führen. Widersinnig scheint es, nicht in den erwiesenen Vorzügen des Verstandes und des Muhtes eines Mannes, sondern in den Vorzügen seiner Voreltern, das Recht zu gründen, denjenigen zu befehlen, ohne deren Raht er sich oft nicht zu leiten wußte.«

Alfred warf ein. »Meine Ahnen haben weislich gehandelt, daß sie diesen Theil ihrer Staatsverfassung verändert haben. Die Menschen sind nicht gleich. Diese Gleichheit ist ein Gedicht stolzer Sophisten. Die Tapferkeit hebt einen Bürger über den andern, auf eine verdiente Höhe empor, die Weisheit kan ihn über alle erheben: wer Rähte zu geben weiß, die ein ganzes Volk zu seinem Glüke leiten, der ist dem Volke mehr wehrt, als einer der Tausende, die auf dem Wege folgen, den er ihnen zeigt, und den sie selbst niemahls gefunden hätten. Der Wehrt eines jeden Bürgers ist der Antheil, den er zum algemeinen Besten beyträgt.«

»Sind die Menschen nicht gleich, so müssen ihre Stimmen nicht gleich viel gültig seyn. Tausend unwissender Menschen nachgeahmte Meynungen sind nicht mehr wehrt, als des Einzelnen Weisheit, dem sie alle folgen. Die Menge läßt sich alzu leicht durch feurige Reden misleiten, die ein Ehrgeiziger nach dem Geschmake und den Vorurtheilen seines Volkes zu entwerfen, und mit einer schmeichelnden Beredsamkeit auszuschmüken weiß. Ich habe die grausamen Wirkungen mir bekant gemacht, die die Reden eines misvergnügten Tribuns, eines ehrgeizigen Kleons's, eines verführenden Demosthenes gehabt haben; und ihnen widerstund weder die ernsthafte Gründlichkeit des Phocion, noch die ungeschminkte Tugend des jüngern Kato. Wie die Wellen des Meers durch einen heftigen Wind sich empören, so wallen die Gemühter der gedankenlosen Menge nach der Richtung, die ihnen ein gefälliger Redner giebt. Von allen Gestalten der Regierung würde ich die Obermacht in den Händen des gesamten Volks am wenigsten billigen. Sie, die weder die Auferziehung zu den Geschäfften zubereitet, noch die Erfahrung unterwiesen hat, sie solten von niedrigen Arbeiten sich empor schwingen, und mit unausgebildeten Sinnen, über die obersten Angelegenheiten des Reiches absprechen? das wil die Weisheit, das wil auch mein Freund nicht, der so viele Völker gesehen hat, der aus der Geschichte die Verwaltung des jezigen zu rahten weiß.«

»Ich bin weit entfernt, sagte Amund, das Volk zu den Berahtschlagungen zu ziehn, und ihm die oberste Gewalt anzuvertrauen. Zu wohl ist es mir bekant worden, wie ein versamletes Heer urtheilt. Ich war vom Byzanzischen Hofe zu den Patzinaken abgeordnet, die an den Wasserfällen des Borysthenes wohnen, und deren Hauptsiz die Setscha heißt. Die Krieger der gesamten Nation wohnen daselbst, ohne einige Weiber zu dulden; und aus dieser Insel thun sie verderbliche Ausfälle in das benachbarte Sarmatien, in das fruchtbare Dacien, und in das reiche Bulgarien. Alle Jahre versamlen sich alle diese Krieger, und wählen ihre Hauptleute, und ihre Richter; ein jeder Bürger ist dem anderen gleich, und die Stimme des unerfahrnen Knaben wird angerechnet, wie die Stimme des Greises, der funfzig Jahre die Kriege seines Volkes geführt, und als Feldherr es zum Siege geleitet hat. Zugleich wird über die Häupter des verflossenen Jahres das Urtheil gefällt. Ich habe beygewohnet, da ein Feldherr, unverhört, und unüberwiesen, wegen einer bloß auf den Argwohn gegründeten Vermuhtung seiner Zuneigung für Byzanz, mishandelt, aller seiner Güter beraubt, und seines Vaterlandes verlustig erkant worden ist. Weder die Ehre, noch das Eigenthum, noch das Leben eines Bürgers hat die geringste Sicherheit bey dieser Staatsverfassung, wo der Willen der Menge das einzige Gesez ist. Nach einigen Jahren traten andere Redner auf, und der Greis wurde in seine vorigen Ehrenstellen wieder eingesezt, er der als ein Verrähter des Volkes die härteste Strafe erlitten hatte. Die Patzinaken sind Scythen und ungelehrt; aber war das Volk zu Rom gerechter gegen den sieghaften Coriolan, gegen seinen Erretter den Camillus, gegen den Tullius Cicero? hat Athen nicht den Aristides verbant, den Phocion hingerichtet, dem Sokrates den Giftbecher zugesprochen, dem ersten Mann, der die Weltweisheit zur Beförderung der Tugend angewandt hatte. Wann Macht in den Händen der Unwissenheit ist, wann die Verfassung des Staates dem Schwalle eines Vorurtheils der Menge keinen Dam entgegengesezt, so wird das Volk selbst zum Tyrann; denn der ist ein Tyrann, der seinen Willen zum Geseze macht.«

»Aber es ist leicht, dem Volke einen wesentlichen Antheil an der Herrschaft zu geben, ohne ihm zu ungerechten Thaten den Zügel zu verhängen. Ihm dem Volke gehört gleichwohl ein Antheil an der Herrschaft. Es macht den grösten Theil der Nation aus, seine Arbeit ernährt den König und die Großen, sein Blut erkauft dem Vaterlande die Sicherheit und den Frieden. Die Glükseligkeit vieler Tausende macht allerdings einen wesentlichen Theil der Glükseligkeit des Staates aus; und diese zu besorgen, kan niemand eifriger, niemand getreuer sich bestreben, als das Volk selbst, das glüklich seyn will. Alzuleicht können die Großen auf den Pöbel mit Verachtung hinunter sehen, alzugeneigt sind sie, die Lasten des Staates auf ihn zu legen, und sich selbst loszusprechen. Alzu oft hat ein Fürst gehoft, durch die Vermehrung seiner Macht glüklicher zu werden, und diese Vermehrung hat er in der Erniedrigung des Volkes gefunden. Seine Begierde zu Triumphen, sein Hang zu Wollüsten, seine mit der Pracht sich nährende Eitelkeit, sezen ihn nur alzu oft in eine Nohtdürftigkeit, woraus er nur durch das Blut, und durch das Darben der Unterthanen, sich zu retten weiß.«

»Doch eh das Volk an der Regierung einen Antheil haben kan, so muß es frey seyn. Das sind die Angelsachsen noch nicht: sie sind Pachter des Adels, der sie wilkührlich aus der Pacht stoßen, und ihnen also die Mittel benehmen kan, von den Früchten der Erde und ihrer Arbeit sich zu nähren. Das Volk muß ein Eigenthum haben, und das Land besizen, welches es bauen sol. So lang es für eines Großen Vortheil arbeiten muß, so lang die Veredlung des Feldes den Grafen größer macht, ohne den Landmann zu bereichern: so lang wird auch der Landmann verdrossen bleiben, die Mängel der Erde zu verbessern, und ihre Fruchtbarkeit durch seine Bemühung zu vermehren; Er wird keine Gräben ziehn, das schädliche Wasser abzuleiten, er wird keine befruchtende Erdarten auf den Aker führen, der nicht der seinige ist, er wird geizig und sparsam der Erde wiedergeben, was er von ihr gezogen hat, er wird sich begnügen, zu geniessen, ohne zu sorgen, ob nach seiner Pacht sein Aker zur Wüste werde. Ein Eigenthümer sorgt für die künftige Fruchtbarkeit der Erde, er wil daß sie seinem Alter den nöhtigen Unterhalt verschaffe, daß sie seine Kinder und seine Enkel nähre; er arbeitet an einer Verbesserung, die seinen eigenen Zustand verbessern sol, mit Eifer und Vergnügen, und wagt einen gegenwärtigen Aufwand, und heutige Arbeiten, auf daß nach Jahren, nach Jahrhunderten, der Aker mehr Garben, der gepflanzte Wald seinen Enkeln mehr Schatten gebe.«

»Das Eigenthum der Güter an das Volk zu bringen, gelangt der König durch die ewigen Pachten der Kammergüter, und durch die Aufhebung der unvermeidlichen Mansfolge bey den Edlen. Wann der Edle sein Rittergut verkaufen darf, wann es unter seinen Kindern vertheilt wird, so werden bald die unermeßlichen Ländereyen der Grafen zerschnitten, und auf tausenderley Weise in die arbeitenden Hände kommen, die allemahl einen größern Preiß für ein Land bezahlen können, das einen kleinern Aufwand von ihnen fodert, und ihnen mehr Einkünfte bringen wird, als dem Edlen, der die Früchte des Akers mit dem Pachter theilen muß.«

»Auch kan ein weislich abgewogener Staat nicht zugeben, daß ein Bürger bey einem andern Bürger Schuz suche; nur der Staat selbst, sein Vormund der König, und sein Willen, das Gesez, sollen das Leben, das Eigenthum und die Ehre eines jeden Gliedes der Nation versichern. Unter den Angelsachsen sind viele Tausende, die unter den Großen wider die Gewahltthaten Schuz gesucht haben. Dieser Eingrif in die Rechte des Staats ist unerträglich; der Bürger wird nicht mehr dem Vaterlande, nicht mehr dem Könige, er wird seinem Beschüzer anhängen, von ihm seine Erhaltung erwarten, und mit seinem Gehorsam verdienen, und mit ihm zum Aufrührer werden, nicht weil der König ihn unterdrükt, sondern weil er sich von demjenigen Großen nicht trennen darf, von dessen Schuze er seine Sicherheit hoft.«

»Die Gerechtigkeit soll auch nicht der Edle verwalten; nicht er soll die Verbrechen strafen, nicht er im Nahmen der Geseze das Blut der Uebelthäter vergiessen. Auch durch das Schwerdt der Gerechtigkeit sezt der Große den Bürger in Furcht, dessen Eigenthum von dem Urtheil des Edlen, dessen Leben selbst von seinem Gutbefinden abhangen kan. Alle Kräfte des Reichs müssen sich einzig beym Staate vereinigen, keine Macht muß sich zwischen das Vaterland und das Volk sezen.«

»Noch weniger kan die Klugheit billigen, daß Bürger, daß Dörfer unter einander Bünde aufrichten, und daß der ganze Bund die Rechte eines jeden der Glieder zu vertheidigen übernehme.Das geschah zu Alfreds Zeiten. Wann ein angesehenes Mitglied einer solchen Zusammenschwerung sich beleidiget glaubt, vielleicht ohne Ursache glaubt, und sein gelittenes Unrecht höher schäzt, als die Ruhe des Staates: wie leicht kan der ganze Bund sich empören, den Beleidiger ungesezlich unterdrüken, und einen bürgerlichen Krieg anzünden? Ein Bund kan mit andern zerfallen, ganze Provinzen können die Waffen ergreifen, und Engelland das Opfer ihrer Rache werden. Alles Unrecht sol das Gesez ahnden, und der König allein den Gebrauch des Schwerdts erlauben.«

Alfred horchte aufmerksam: der weise König fühlte wohl, daß die Verfassung seines Reichs nicht richtig abgewogen, daß der Adel zu viel Kräfte, er zu wenige hätte, und das Volk gänzlich ohnmächtig war. Aber die Erfahrung des nachdenkenden Königs überzeugte ihn, daß diese Krankheiten nicht durch ein heftiges Arzneymittel könten gehoben werden, und daß eine lange Folge gelinderer Mittel erfordert würde, den Staat zu verbessern, ohne ihn in eine unvermeidliche Gefahr zu sezen. Er that was ihm die Umstände erlaubten, und nach vielen Jahrhunderten giengen endlich alle Wünsche Amunds in ihre Erfüllung. Er that doch etwas, er machte ein Gesez, das einen jeden Herrn verpflichtete, einen Knecht, der ein Christ wäre, in Jahres Zeit frey zu lassen.

»Das Volk, fuhr der Kämpfer fort, ist nunmehr frey, seine Fesseln sind gebrochen, nun ist es möglich ihm den Theil an der Regierung zu geben, den ihm die Natur anweiset. Aber nicht die zügellose Menge muß diese Macht verwalten, das Volk muß aus seinem Mittel einen großen Rath wählen, der mit dem Könige, und mit den Edlen, die dritte Macht des Staates, und einen der Stände ausmachen, in deren vereinigten Händen das Steuer seyn sol. Die Anahl dieser Ausgeschossenen muß so zahlreich seyn, daß nicht unter den wenigen ein einziger Mächtiger zu vielen Einfluß erhalten, daß nicht ein böser Fürst durch Geschenke und einträgliche Bedienungen einen alzugroßen Theil der Ausgeschossenen des Volks gewinnen, und den Ausschuß zum Werkzeuge der Unterdrükung machen könne, der das Mittel zu seiner Befreyung seyn solte.«

»Die Männer, die man wählt, die das Volk vorstellen sollen, müssen bemittelte Männer seyn, die nicht so leicht durch den Mangel verleitet werden, Geschenke zu nehmen; deren Zeit zum Dienste des Vaterlandes frey von niedrigern Arbeiten bleibe, die eine Auferziehung genossen haben mögen, die sie fähig mache über die hohen Rechte des Volkes und das Wohlseyn des Reichs kundig zu berathschlagen, und Mittel zu finden, wie das algemeine Wohl befördert, wie die drohenden Uebel abgewendet werden mögen. Diesen angestamten Reichthum kan man am richtigsten durch das Land ausmessen, das ein Ausgeschossener des Volkes eigenthümlich besizen sol: ich halte das Land für den einzigen gewissen Reichthum, für das sicherste Band, das den Mann an das Vaterland verknüpft: die Metalle und das Gerähte kan ein Bürger in ein anderes Reich mitnehmen, sein Land kan er nirgends besizen, es nirgends geniessen, als in Engelland. Seine Güter werden einträglich für ihn seyn, so wie es dem Reiche wohlgeht. Frieden, Ordnung, Gerechtigkeit und weise Einrichtungen werden seine Aeker fruchbar, und ihn selbst groß machen; in der Zerrüttung, in der Abnahme der Ordnung, und der Handlung, im Unglüke des Reiches werden seine Fluren öde Wüsten werden.«

»Nach dem Buche, worin Alfreds Weisheit die Aeker des Reiches hat verzeichnen lassen, sind in demselben 243 Tausende an Hufen.Zu hundert Morgen Spelman. Bey Littleton werden sie anders berechnet. Bey dem einem ist eine Hide so viel als ein Pflug in einem Jahre pflügen kan; bey andern, so viel als erfodert wird, ein adeliches Geschlecht zu unterhalten. Von diesen Hufen solten fünfhundert Männer zum großen Rahte des Reiches erwählt werden. Denjenigen also der in Vorschlag kommen sol, müssen die Besizer von 500 Hufen wählen, und dieser Vorgeschlagene sol wenigstens fünf Hufen besizen, um der Wahl fähig zu seyn.«

»Da sechs tausend Tausende Seelen im Reiche leben, so treten allemal drey tausend Männer zusammen, einen Ausgeschossenen zu wählen. Aber auch diese Wählenden müssen im Lande angesessen seyn; nur der Besizer des Akers hat einen wahren Nuzen von dem Wohlseyn desselben: derjenige, der nichts besizt, kan in der Unruh und an der Unordnung nichts verlieren, er kan auch alzuleicht gewonnen werden, für geringe Geschenke, für eine bloße Erfüllung seiner sinlichen Begierden, sich misbrauchen zu lassen, sein Vaterland durch denjenigen vorzustellen, der weder den Willen noch die Fähigkeit hat, seinen hohen Pflichten genug zu thun. Ich finde, sechzehn Morgen machen den Landmann aus, dessen Stimme zur Wahl eines Ausgeschossenen des Volkes gelten kan.«

»Alle Jahre versammelte der König, nachdem die Früchte der Erde eingesammelt sind, die Edlen, und die Ausgeschossenen der Gemeinden. Diesen Ausgeschossenen, durch die das Volk vorgestelt wird, werden die Bedürfnisse der Krone vorgelegt. Denn ein schwerer und langdaurender Krieg, eine unterhaltene Seemacht, können nicht aus den Kammergütern des Königes bestritten werden; es wäre auch dem Staate nachtheilig, wenn diese Güter alzusehr erweitert würden. Sie haben den Fehler, daß sie nicht das Eigenthum desjenigen sind, der sie bauet, daß sie also niemahls die volkommene Wartung zu hoffen haben, die die Eigenliebe eines Besizers seinem eigenen Gute gewährt. Eigenmächtig den König Steuern ausschreiben zu lassen, wäre so viel als das Eigenthum des Volkes den Begierden eines Fürsten aufzuopfern. Von den Edlen freywillige Gaben zu erwarten, wäre allemahl eine unbestimte und unsichere Hülfe, durch welche die Macht der Großen vermehrt, und der König erniedrigt würde. Die meiste Sorgfalt für die genaue Austheilung der Last, und für den nüzlichen Gebrauch des auferlegten Geldes, kan man von niemand besser erwarten, als von denjenigen, die die Steuern tragen sollen. Die Ausgeschossenen des Volkes werden also die Foderungen des Königs beherzigen, und die der Nohtdurft entsprechenden Gelder auf alle Eigenthümer des Reiches so verlegen, daß wiederum das Maaß des fruchtbringenden Bodens den Maaßstab zum Beytrag abgebe. Amund konte nicht vorsehen, daß die Bedürfnisse des Staats sich unendlich vermehren, daß Tausende von reichen Bürgern entstehen würden, die ihre Schäze nicht in Landgütern, sondern in Schiffen, in Waaren, in verarbeiteter Wolle, in der Handlung besizen würden. Es war den folgenden Zeiten aufgehoben, neben der Landsteuer auf die Werkzeuge der Pracht und des Ueberflusses Steuern zu legen; die Einfuhr der Waaren mit Zöllen zu beschweren: und zu der Einnahme der Steuern ein eigenes Heer von Bedienten zu unterhalten.«

»Der Edlen Einwilligung zu diesen Steuern muß freylich erhalten werden, dann auch sie sind Bürger, auch sie sind Besizer des Landes, und auch sie müssen die Lasten tragen helfen, die die Nohtdurft des Staates erfodert. Aber nur ihr Beyfal oder ihr Abschlag wird gefordert, die Einrichtung muß ganz vom Volke abhangen, dem die Last doch am schwersten wird, weil sie bey den Großen nur den Ueberfluß, bey den Gemeinen aber die Bequemlichkeit und selbst das Nothwendige angreift. Alzuleicht würde es dem Adel beyfallen, die Last von sich weg, und auf die Gemeinen zu welzen, wenn er bey der Verlegung der Steuern einige Macht hätte.

Keine Ländereyen können von dieser algemeinen und beständigen Steuer frey bleiben. Die Güter der Kirche müssen allerdings die zur Erhaltung des Staates dienende Last tragen helfen. Denn auch ihre Erhaltung hängt von dem Wohlseyn des Staats ab. Wann der Priester Güter frey blieben, so würden die übrigen Bürger unter dem Gewichte erliegen. Dann die Kirche ist ein Schlund, der beständig verschlingt und nichts zurükgiebt. Alfred, der die Religion, und ihr zu Liebe die Kirche liebt, wird die rauhe Aufrichtigkeit eines Nordländers gnädig entschuldigen. Selbst seine Güter, die Güter der Krone, müssen ihr Verhältniß an den Steuren abtragen, denn auch der König hebt aus den Steuern die Mittel seine Nohtwendigkeiten zu bestreiten.«

Alfred war allerdings der Kirche ergeben; er hatte zu Rom eine Ehrerbietung für die Hierarchie angenommen, die er Leo's Tugenden schuldig war. Seine Liebe zu den Wissenschaften führte ihn zur Freundschaft mit den Priestern, und den Mönchen, bey denen damals einzig noch einige Ueberbleibsel der alten Gelehrtheit sich erhalten hatten. Die Völker waren auch nicht durch den Mißbrauch belehrt, wie gefährlich ihre Unterwürfigkeit gegen die Kirche für ihre Freyheit wäre. Sie war freywillig, und die Wohlmeinenden meinten, sie ehrten Gott, wann sie Gottes Diener ehrten. Amunds Rede befremdete den frommen Alfred, und machte keinen Eindruk auf ihn: Er schrieb den alzufreyen Gedanken den vielen ungläubigen Völkern zu, unter welchen Amund gelebt hatte.

Amund fuhr fort. »Das Maaß der Auflage müssen die Nohtwendigkeiten des Staates bestimmen. Ich würde es in Friedenszeiten auf den zehnten Theil der jährlichen Einkünfte, und im Kriege auf den fünften sezen. Die algemeine Beschreibung des Landes, die Alfreds Weisheit besorget hat, macht die Hebung und die Berechnung leicht.«

»Ein anderes Geschäfft der Ausgeschossenen des Volkes sind die Geseze. Sie sind allemahl Fesseln, wodurch die natürliche Freyheit gehemt wird. Der Bürger trägt diese Fesseln, weil die Geseze ihn beschüzen, weil ein geringer Theil seiner freywillig dem Staate abgetretenen Freyheit, seine Sicherheit wider die Eingriffe böser Bürger ausmacht; weil die Geseze in eine Ordnung zusammen stimmen, die das Glük eines jeden Bürgers befestigt und vermehrt. Aber durch andre läßt der freye Deutsche sich nicht gern binden, nur sich selber traut er zu, er werde nicht mehr von seiner Freyheit vergeben, als das algemeine Beste erfordert. Die Geseze können von den Edlen, sie können auch vom Volke entworfen werden. Sie müssen aber allemahl den Beyfall beyder Stände, und auch des Königes Bekräftigung erhalten. Nichts ist schwerer als Geseze zu machen, weil sie für unendlich verschiedene Fälle eine gleich richtige Richtschnur geben sollen, die Menschen aber nur wenige Fälle vorsehen. Die Geseze müssen also oft überlegt, nicht in der Eile angenommen, sie müssen, wenigstens in vielen Beyspielen, nur auf eine Zeit der Prüfung gegeben werden. Alfred hat seinen Sachsen weise Geseze vorgeschrieben, aber die Zukunft gebiert neue Erfodernüsse, und zwingt zu neuen Einschränkungen. Wie die Geseze langsam gemacht, so müssen sie nicht voreilig abgeschaft werden; und Amund würde rahten, daß sie mit der Mehrheit der Stimme gemacht, aber mit zwey Dritteln abgeschaft werden müßten. Nichts bricht der Geseze Gewalt kräftiger, als wenn sie veränderlich sind. Der Gesezgeber, der ein Gesez abschaft, gesteht in den Augen des Volkes, es sey nicht nüzlich gewesen; aber der Verdacht des Irrthums fällt mit gleicher Stärke auf das neue Gesez: warum sollte der Mensch nicht auch heute irren können, da er gestern geirret hat? Aber nicht sowohl die Straffen geben den Gesezen ihre Kraft, als die innere Ueberzeugung, sie seyen auch demjenigen heilsam, den sie binden.«

»Dennoch müssen Straffen seyn. Des Menschen Eigenliebe treibt ihn an, seine Begierden durch Thaten zu erfüllen, die dem gemeinen Besten zuwider sind. Wider diese Eigenliebe muß man des Menschen Eigennuzen selbst bewafnen; der Bürger muß versichert seyn, daß die Erfüllung seiner Lust ihn unglüklich machen werde. Die Straffen müssen gelinde, aber unvermeidlich seyn, und hierinnen besteht die Weisheit des Gesezgebers, daß der Schuldige der Gerechtigkeit nicht entgehen könne; wenn der weise Gesezgeber dieses erhalten kan, so wird mit wenigerm Leiden der Schuldigen, doppelt so viel Schuld vermieden werden.«

»Vor dem Ausschuß des Volkes gehören alle Freyheiten, Vorrechte und Erlaubnüsse. Der König kan zu leicht durch eine künstliche Vorstellung, durch den Vortrag eines beliebten Vermitlers sich verleiten lassen, Vorrechte zu ertheilen, die andern Bürgern zum Schaden gereichen können. Da jede Gegend des Reiches bey der großen Versamlung ihren Fürsprecher hat, so wird es nicht leicht geschehen, daß ein Bürger, daß ein Dorf, daß eine Statt zum Nachtheile von andern begünstigt werden.«

»Auch alle algemeine Geschäffte des Reiches sind der Beherzigung der Gemeinen unterworfen. Der König schließt den Frieden, und erklärt den Krieg: da aber der leztere Entschluß eine unendliche Last auf das Volk ziehen, da beym Frieden das Beste des Reichs auch aus reinen Absichten übersehen werden kan; so wird ein weiser König nach dem Rahte seiner eigenen Klugheit dergleichen große Entschlüsse mit dem großen Rahte seines Volkes überlegen. Aber auch wann die Staatsbedienten diese Mässigung verabsäumen solten, so hat der Ausschuß des Volkes ein natürliches Recht, nicht zwar dem Könige die Entschliessungen vorzuschreiben; aber die Gründe derselben abzuwägen, dem Könige sein Bedenken zu eröfnen, und die Folgen anzuzeigen, die die Entschlüsse des Hofes haben könten. Durch dieses Einsehen wird das Volk über die Rähte des Königs wachen können: nimmermehr werden dieselben offenbar ungerechte Thaten anrahten, nimmermehr zu Entschlüssen helfen, die dem Reiche augenscheinlich schädlich seyen. Der Haß der ganzen Nation ist für den Mächtigsten der Großen zu stark. Es ist auch in der Natur gegründet, daß wider alle nachtheilige Maaßregeln des Hofes, und insbesondere wider unweise oder ungerechte Rähte das Volk Vorstellungen thun könne, als von denen das gesamte Volk zu leiden haben würde; und wie unweise müßte nicht der König seyn, der die Stimme seines gesamten Volkes nicht anhören solte!«

»Ueber alles kan also die große Versamlung rahtschlagen, und keine Macht kan dem Geringsten der Ausgeschossenen wehren, freymühtig vorzuschlagen, was er zum gemeinen Besten abzwekend glaubt. Die Stimme der Wahrheit sol ohne Hinderniß sich erheben können, und selbst der falschen Ueberzeugung unrichtige Schlüsse müssen ohne Scheu vorgetragen werden können; denn wann der Ungrund einer Meinung dieselbe hindern solte, eröfnet zu werden, so würden sehr bald die Mächtigen einen jeden Vortrag der Schwächern zum Stilschweigen zwingen, weil sie ihn für ungegründet erkennen würden. Die übeln Rähte der dreisten Unwissenheit werden ohnedem nicht leicht in einer Versamlung durchdringen, die ein mächtiges Volk aus seinen angesehensten Männern gewählt hat. Und wenn ja unweise Rähte der Menge Beyfall erhielten, so ist ja bey den Edlen ein Gegengewicht, als ohne die kein Willen der Gemeinen zur Thätigkeit gelangen kan. Und wenn auch die Edlen den Gemeinen auf ihrem Abwege folgen solten, so hat der König die oberste Macht, zu verwerfen, was er dem algemeinen Wohlseyn zuwider glaubt.«

Alfred hatte niemahl eine Versamlung des Volkes gesehen. Seine Erfahrung hatte ihn bloß mit den Großen bekant gemacht; ihn befremdete der mächtige Antheil an der Regierung, den sein nordischer Freund den Gemeinen gab. Er warf ein: Amund ist tugenhaft und weise, ihn hat das Kenntniß vieler Länder und vieler Völker erleuchtet; eine Versamlung solcher Männer, wie mein Freund ist, würde bald ein Volk zum obersten Volke auf der Erdkugel machen. Aber hoft denn Amund, die unwissenden Gemeinen werden solche Männer wählen, auch wenn sie nicht so seltene Gaben der Vorsehung wären? Wie oft wird eine äusserliche Freundlichkeit, ein edles Herkommen, ein freygebiger Gebrauch großer Güter, selbst einzelne große, aber vom Ehrgeize eingegebene Thaten, das Volk verleiten, solche Männer zu wählen, die mehr sich selber, als das Vaterland zu vergrößern suchen werden!

Und wird nicht eben der Ehrgeiz dieser Ausgeschossenen sie verleiten, die bey dem Volke so leicht auszubreitenden Vorurtheile zu Werkzeugen ihrer eigenen Gewalt zu machen? Werden sie nicht den Willen, den unüberlegten Willen der Gemeinen sich zur Richtschnur dienen lassen, um die Herzen ihrer Mitbürger zu gewinnen? Wird nicht auf diese Weise eben eine solche oberste Macht des Volkes entstehn, wie sie Amund selbst misbilligt, und die die unweiseste aller Arten von Tyranney ist? Wie hat Amund verhütet, daß die Einwohner eines Hundertes, daß die Gemeinen einer Grafschaft, dem Ausgeschossenen, der sie vorstelt, nicht die Entschliessungen vorschreiben, die er befördern sol? Und wo wird der Redliche seyn, der dem unweisen Willen seines verleiteten Volkes sich widersezen, und seine Achtung, seine Gunst, gegen das innere Gefühl verscherzen werde, er habe das algemeine Beste dem seinigen vorgezogen?

Werden nicht die unerfahrnen Gemeinen ihre Gewalt unaufhörlich vergrößern wollen, ohne einzusehen, daß sie das Gleichgewicht des Staates vernichten, wenn sie den Antheil vermindern, der den Edlen und dem Könige an der Verwaltung des Reiches gehört? Hat das Römische Volk, nachdem es einmal die Süßigkeit der Freyheit geschmekt, nicht nach Macht gedürstet? Hat es jemahls aufgehört, sich wider den Adel höher zu erheben? Hat es nicht seine Tribunen über das Haupt der Consuln und selbst des Diktatoren gesezt? Thaten die Tribunen nicht alles für ihre eigene Größe, und für des Volkes Gewalt, und hemten selbst den triumphirenden Wagen des Siegers, wann er von einem verhaßten Geschlechte war? Brachte nicht die Stimme eigennüziger Tribunen die Republik an den Rand des Verderbens, von dem bloß die kindliche Ehrfurcht des Coriolanus sie errettete? Hatten nicht damahls Schmeichler der Gemeinen, ohne Fähigkeit den Staat zu lenken, denjenigen vom Steuer verdrängt, der es zum Siege geleitet hatte? Wiederhohlte der Neid des Volkes nicht diesen Haß gegen das algemeine Beste, am Scipio, am Tullius? War das Volk nicht ungerecht, dieweil der Raht noch großmühtig war? Sprach es sich nicht die fruchtbaren Felder bey Ardea ohne alles Recht zu, und beflekte den Ruhm der Gerechtigkeit, den die Edlen behauptet hatten?

»Ein Mann, sagte Amund, der im großen Rahte der Nation sizt, ist nicht mehr der Bdiente eines Flekens, er ist ein Raht des Reiches; nicht den kleinen Eigennuzen einiger Häuser hat er zu beherzigen, sondern die großen Geschäffte eines mächtigen Staates, und das Wohlseyn des Vaterlandes. Er hat Gelegenheit, die Gründe zu weisen Entschlüssen einzusehen; denen sol er gehorchen, wenn sie ihn überzeugt haben, und nicht dem Geschrey einiger Landleute, die von den Geschäfften nur das Algemeine, und nur auf unzuverlässige Sagen hin kennen. Nimmermehr kan derjenige rahten, oder befehlen, der nicht die Gründe gegen die Gegengründe abgewogen, der nicht wider die versprochenen Vortheile die Unbequemlichkeiten der Folgen verglichen hat. Nimmermehr sollen die Vorurtheile einzelner Dörfer den Ausgeschossenen hindern, das Beste des Reiches im Großen zu besorgen.«

»Allerdings werden in einem freyen Volke allemahl Unzufriedene seyn, allemahl werden unruhige Bürger bleiben, die das Gute verschmähen, weil es nicht das Beste ist. Ein algemeines Vorurtheil kan das Volk einnehmen, es kan, wie ein schädlicher Wind, das Schif gerade gegen die Klippen führen, und wenn das ganze Volk verleitet ist, so kan keine Staatsverfassung dem Orcane widerstehn: der fürchterlichste Despot, mitten zwischen den Tausenden der Leibwache, hat zu Rom, hat im Reiche der Saracenen, hat bey den friedsamen Seren, dem algemeinen Misvergnügen nicht widerstehen können; er wird eben darum den fürchterlichsten Unruhen mehr ausgesezt seyn, weil seine unumschränkte Macht ihn verleitet, mehr Eingriffe in das algemeine Beste zu wagen, als der Fürst, dessen Gewalt ihre Gränzen hat. Den werden die Geseze, den werden die Edlen, den werden die Ausgeschossenen des Volks im Laufe verwegener Unternehmungen lange vorher hemmen, eh er so weit sich vergangen hat, daß die ganze Nation wider ihn sich vereinigt.«

»Der Eigennuz einer Grafschaft, der kleine Vortheil eines Flekens, wird durch den widerstrebenden Eigennuzen, mit andern Grafschaften, einer anderen Statt, im Gleichgewicht gehalten. Wann der Fürst nicht die ganze Nation beleydigt, so wird er allemahl Freunde bey Vernünftigen finden, die zu schäzen wissen, was dem gesamten Staate erträglicher sey, ob einige minder volkommene Eigenschaften eines Fürsten mehr Nachtheil nach sich ziehn, als der Umsturz der ersten Glieder des Staates androht. Die Edlen werden nicht leicht dem Volke alzu große Gewalt einräumen, gegen die ihre Vorzüge verschwinden würden; sie werden dem Geruffe des Pöbels den Einfluß entgegensezen, den ihnen ihr Reichthum, ihr Aufwand, und selbst das Vorurtheil giebt. Wann stürmische Redner das Volk zu schädlichen Maaßregeln anfeuren, so wird die Eifersucht selbst andre Glieder des großen Rahts der Nation mit der Beredsamkeit wafnen, die von der Wahrheit ein unüberwindliches Gewicht erhält. In irrigen Begriffen wird schwerlich jemahls ein ganzes Volk einstimmig seyn, da doch die Wahrheit allein überzeugen kan.«

»Ich hoffe auf diese Gründe, die Vorurtheile der Menge werden zwar dem Könige zum Verdrusse gereichen, die besten Maaßregeln zuweilen hindern, und den ersten Bedienten des Staates vom Steuerruder drängen: aber den Thron zu stürzen, wird das Geschrey der Menge zu unmächtig seyn, wann nicht der Fürst durch wirkliche und wichtige Eingriffe in die Freyheit, die algemeine Gunst nicht verwürket hat. Das Murren der unbillig Misvergnügten ist allerdings ein Undank gegen einen guten König; aber es würde noch gefährlicher seyn, die Stimme des Volkes unterdrüken zu wollen. Sie ist ein Weg, den die Wahrheit zum Throne offen behält, sie ist ein warnender Zuruf der Vorsehung, der den Fürsten erinnert, in seinen übel ausgedeuteten Wegen nicht weiter fortzurüken.«

»Also glaubt Amund, nach der alten Staatsverfassung der Kelten, sey die Regierung zwischen dem Könige, den Edlen, und den Gemeinen, auf eine Weise getheilt, die vielleicht nicht alle die Volkommenheit der unumschränkten Gewalt eines guten Fürsten hat, die aber die Fälle überaus selten machen wird, in denen ein Fürst ausnehmend böse zu seyn waget. Diese Regierung hat vielleicht eine mindere Stärke, weil die machthabenden Glieder des Staates dennoch nach verschiedenen Richtungen streben; sie versichert aber die Freyheit des Bürgers, und die Dauer des Staates. Denn keine andre Verfassung bindet das ganze Volk so genau an die Regierung, diejenige vortrefliche Staatsverfassung ausgenommen, in welcher die Menge selbst herrschet.«

»In den Keltischen Staaten hat jeder Bürger, derjenige Bürger der angesessen, und durch ein Eigenthum an die Wohlfahrt der Nation verknüpft ist, einen Antheil an der gesezgebenden Macht: Nichts geschieht ohne den Beyfall derjenigen, die ihn vorstellen; er selbst hat den gewählt, der ihn vorstelt; er ist der Wahlherr des Gesezgebers, und das ganze Volk hat diejenigen selbst gewählt, in deren Macht die Gewalt ist. Dieses Wahlrecht giebt einem jeden Bürger eine Würde, die der Edle selbst erkennen muß, weil die Ungunst der Menge ihn von der Regierung ausschließt. Jedes Haus eines Bürgers ist eine Burg, durch die Geseze bewacht, in welche selbst die königliche Macht nicht dringen kan, wenn ihr die Gerechtigkeit die Thüre nicht öfnet. Ein solches Vaterland, wo das Eigenthum eines jeden Bürgers geheiligt ist, wo jeder Bürger seine Gesezgeber wählt, muß nohtwendig jeder Bürger lieben, vorzüglich gegen alle Sterbliche lieben, deren Staat weder die Freyheit des Bürgers noch sein Eigenthum sicher sezt; wo die Regierung in solchen Händen ist, auf welche das Volk niemahls einen Einfluß haben kan. Schwerlich werden in einem solchen Staate auswärtige Feinde einen Anhang finden: die lauten Klagen der glüklichen Bürger werden sich bald in ein algemeines Kriegsgeschrey verwandeln, wann eine andre Macht den Staat antastet, dessen Unterjochung für jeden Bürger ein unfehlbarer Verlust wäre.«

Alfred lächelte sitsam. Amund hat die Gewalt unter das Volk mit so milden Händen getheilt, daß er weder den Edlen, noch dem Könige, etwas übrig gelassen hat; und demnach kan die Macht, die einzig das Triebrad aller Geschäffte ist, nicht mit Geschwindigkeit, nicht mit Wichtigkeit, nicht mit Zuverlässigkeit würken, wenn eine andre Macht dieses Rad mit einem Finger aufhalten, und den Gang der Geschäffte hemmen kan. Ein Feind fodert zum Kriege auf, er verlezt die Ehre der Krone, er unternimt Eroberungen, durch welche Engelland in Unsicherheit gesezt wird, er unterdrükt meine Verbündeten; kein Mittel ist übrig, den Gewaltthätigen abzuhalten, als ein Krieg. Aber das Volk, das für ein Jahr mir Hülfsgelder zuerkant hat, kan das folgende Jahr sie mir entziehn. Wenn ich in sein Uebelwollen verfalle, wird nicht entweder das Volk die unbilligsten Forderungen mir abdringen können, oder der Staat entwafnet, und eine Beute seiner Feinde werden? Ich schließe einen Bund mit den Pikten, ich verspreche ihnen Hülfsgelder wider unruhige Nachbarn; sie helfen mir getreulich. Ein Redner macht die Pikten und ihre Hülfe lächerlich; das Volk schlägt mir die Gelder ab, wofür ich die nüzlichen Freunde gedungen habe, ihr Blut hinzugeben, um einen Theil des Blutes der Sachsen zu ersparen. Die verlassenen Bundsverwandten werden zu Feinden, und den Schaden kan eine gefallende Rede von einem beliebten Ausgeschossenen thun.

»Der Einwurf, bescheidete sich Amund, ist schwer zu beantworten. Was der weise Alfred befürchtet, das kan widerfahren; ich sage mehr, es wird geschehen, weil es aus der Natur der Menschen fließt. So weigerten die misvergnügten Römer, für die Konsuln zu siegen, so liessen sie sich schlagen, weil sie einem Appius keinen Triumph gönten; Alfreds Besorgniß ist eine der Folgen der Freyheit, wann sie nicht durch die Weisheit geleitet wird.«

»Ein Mittel bleibt übrig. Wann die Ausgeschossenen nicht alle Jahre gewählt würden, wann sie für drey, für sieben Jahre das Volk vorstellten. Nur auf ein Jahr die Ausgeschossenen zu wählen, dünkt mich ohnedem schädlich: sie wären allerdings zu sehr in den Händen der Menge, von deren sie frey seyn solten: eine jede Wahl ist auch eine Gährung, die nicht zu oft wieder kommen muß, wenn das Volk in der Aemsigkeit, in dem Fleiße, und in einiger Ordnung bleiben sol. Bleibt die Macht der Ausgeschossenen für mehrere Jahre gesichert, so werden eben die unveränderten Männer in der Folge des Krieges vermuhtlich nicht die Früchte der Bestrebung der ersten Jahre vernichten, nicht sich der Rache der Nation bloß stellen wollen, die, so blind sie gegen ihres Königs Verdienste gewesen seyn mag, doch diejenigen unversöhnlich verabscheuen wird, durch deren Eigensinn des Staates Würde, und Sicherheit aufgeopfert worden ist. Der Verbündete wird auch ein Zutrauen gegen Engelland fassen, dessen Regierung für mehrere Jahre festgesezt ist. Je öfter neue Wahlen vorgehen, je mehr nähert sich die Verfassung der Regierung, die beym Volke ist; je länger der große Raht unverändert bleibt, je weniger Einfluß behält die Menge.«

»Vielleicht ist bloß diese Dauer eine Feder, durch welche in künftigen Jahrhunderten die Ruder der Regierung gehemt oder angetrieben werden können, so wie sie zu viel Widerstand finden, oder zu eilig fortgerissen werden.«

»In keiner Weisheit der Menschen ist ein Mittel, das alle Uebel heilt, das zugleich alle Aufwüchse der Freyheit zu hindern, und dennoch dem Fürsten nicht eine Macht zu geben wisse, die dem Volke zur Unterdrükung gereiche. Dennoch glaube ich, der Fürst werde eben durch die Gefahr die er läuft, wann er die Liebe seines Volkes verloren hat, in die nüzliche Nohtwendigkeit versezt werden, sich durch die Klugheit zuzubereiten, den Scepter so zu führen, daß er weder den Bürger zu sehr drüke, noch ihm selbst zu schwer werde. Der Fürst wird von den ersten Jahren her sich zu den Schwierigkeiten einer mit eifersüchtigen Unterthanen umringten Regierung auszubilden, und so zu verfahren lernen, daß der weisere und bessere Theil des Volkes ihm zugethan bleibe. Er wird nichts von dem Murmeln der Unterthanen zu befürchten haben, wenn er sich bestrebt ein Alfred zu werden.«

»Der König sann, nicht ohne Sorgen, den Vorschlägen nach, die Amund entworfen hatte. Noch ist, sagte der Weise, mein Volk nicht fähig sich selber zu regieren. In erleuchteteren Jahrhunderten wird es vielleicht würdiger werden, am Steuerruder mit zu sizen. Meine sol die Sorge seyn, ihm das Licht der Wissenschaften anzusteken, und die Schönheit der Weisheit und der Tugend, und zugleich die Wege zu zeigen die zu diesen Töchtern des Himmels führen. So lang ich mit der Macht herrsche die meine Ahnen mir zum Erbe hinterlassen haben, so sol es meine unermüdete Bemühung seyn, daß mein Volk es nicht bereue, so viele Macht in meinen Händen zu sehen.«


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