Albrecht von Haller
Alfred - König der Angel-Sachsen
Albrecht von Haller

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Das dritte Buch.

Das verfallene Reich war nunmehr wieder zur Ordnung gebracht. Das Kriegswesen, die Wissenschaften, die Künste, die Staatsverfassung waren verbessert, und Alfred konnte hoffen an der Zierde des Reiches zu arbeiten, wozu er nunmehr die Werkzeuge bereitet hatte. Die erste, die aber zugleich zur Beschüzung des Reichs gehörte, war die Wiederherstellung der verbranten und in ihrem Schutte liegenden Stätte! London ist ihm seine zweyte Erbauung schuldig. Aus einem verschanzten Hafen der Normänner wurde sie zur Statt, und aus diesen Anfängen ist sie nach und nach zum unermeßlichen Size der Regierung, der Handlung und des Reiches geworden.

Winchester war unter dem Könige Edelred aus dem Grunde zerstört worden. Alfred führte die Statt mit mehrerer Pracht und Festigkeit auf. Der Sachsen Stätte waren Hütten gewesen, und die Fakeln der streifenden Scandinavier legten sie in einem Tage in Asche. Alfred führte den Siz seines Reiches, denn der war Winchester, aus gehauenen und gevierten Steinen auf.

Die Mündungen der großen Ströme, die Küsten des Meers, versicherte der König mit neuen Schlößern und Schanzen, wo beständig Besazungen lagen, und die den ersten Anfall der landenen Räuber so lang aufhalten konnten, bis die Sachsen sich gewafnet und gesamlet hatten, und mit einer zureichenden Macht auf die Freybeuter losgehn konten. Dieses leichte Mittel, die Seeräuber abzuhalten, hatten die Sachsen verabsäumt, und ihre Nachlässigkeit mit ihrem edelsten Blute bezahlt.

Alfred lebte in Zeiten, da Religion, und Wissenschaft, einzig bey Mönchen anzutreffen waren. Sie waren weise, und man hielt sie für heilig. Der König konte sich den Vorurtheilen seines Jahrhunderts nicht gänzlich entziehn: sein zur wahren Gottesfurcht geneigtes Herz vermischte die Achtung, die Gottes Wort verdienet, mit der Verehrung, die die Diener des Wortes ansprachen; er war den Priestern zugethan, die seine geheimsten und vertrautesten Rähte waren. Er bauete also Klöster, und stiftete Zufluchtsörter für diejenigen, die vom Geräusche der Welt sich absondern, und in der Stille einer Zelle sich einzig der Betrachtung der Ewigkeit weyhen wolten. Das erste Kloster, das er baute, war Atheling. Er verewigte damit das Angedenken der Erniedrigung, die er zu Athelney ausgestanden hatte, und eben in die Sümpfe, die ihn vor den siegenden Normännern verborgen hatten, gründete er auf Pfäle ein Kloster. Den Töchtern der Edeln stiftete er zu Shaftsbury ein Gotteshaus, und einen Begräbnißplaz für sich und für seine Nachfolger ließ er zu Winchester in einem neuen Kloster aufbauen.

Er vergabte dem Bißthum Durham, und verschiedenen Klöstern liegende Gründe. Der freygebige Herr sah nicht genug ein, daß er in der besten Absicht den Priestern ein wahres Gift mit dem Reichthum zubereitete. Ein Getränke, das sie berauschte, und wodurch mit der Macht der Stolz und die Herrschsucht in ihrem Herzen überhand nahm.

Er vergaß doch nicht, so ergeben er der Religion war, daß den Fürsten eine äußerliche Pracht unentbehrlich wird; weil das Volk nicht nach dem innern Werthe ihrer Herzen, sondern nach den Zeichen der Macht und der Größe, seine Beherrscher ehret. Alfred führte die zerstörten Paläste der Könige wieder mit gehauenen Steinen auf; und zierte die Landhäuser aus, in welchen die Könige eine Zuflucht wieder den Druk der Geschäfte zuweilen suchten.

Als ein algemeiner Vater der Ordnung richtete er auch sein Haus nach den weisesten Grundsätzen ein. Seine Bedienten waren in drey Reyhen eingetheilt, davon jede vier Monate im Jahr diente, und acht Monate frey hatte.

Seine Tugend hatte nichts Strenges, noch Zurükhaltendes. Er liebte die Werkzeuge der klingenden Künste. Er hatte zu Rom den Geschmak zu diesem angenehmen Vergnügen eingesogen, und berief die geschiktesten Künstler, und die anmuhtigsten Stimmen an seinen Hof. Er wußte daß die irdischen Werkzeuge des thätigen Geistes im Menschen ermüden, und eine unaufhörliche Arbeit zuletzt unfruchtbar wird, und unvolkommene Thaten gebiert.

Als ein Sachse war er der Jagd und dem Vogelbeizen in seiner Jugend ergeben gewesen. Die frühe Kühlung, die freye Luft, die Bewegung des Leibes machten diese Uebungen heilsam, aber Alfred wußte auch dieses Vergnügen zum gemeinen Besten zu veredeln: er richtete seine Waffen auch bey der Jagd wieder die schädlichen Thiere, die er ausrottete, und seine Unterthanen wieder die Räuber ihrer Staaten vertheidigte. Es war selbst in diesen Uebungen der geschikteste unter den Sachsen.

Selbst die eigentlich zur Herrlichkeit des Hofes dienenden Zierrathen verabsäumte er nicht. Zuerst unter den sächsischen Königen erhielt er Künstler in seinen Diensten, die Gold und Edelgesteine zu verarbeiten wußten. Es ließ auch zur Pracht der großen Feyer eine königliche Krone zubereiten. Dieser Künste war er selbst kundig, und fähig auch andere zu unterrichten.

Zuerst auch unter den Königen der Sachsen fiel er auf den nüzlichen Gedanken, Ritter zu machen. Diese Belohnung kriegerischer Verdienste steht im Vermögen des Fürsten; sie schwächt seine Schäze nicht, und wird nicht, wie andre Geschenke, zu einer Auflage die der Arme bezahlen muß; und dennoch trägt sie eben so viel zur Glükseligkeit der Belohnten bey, als Gold und Silber thun würde: sie ist, wenn sie nach ihrer Absicht ertheilt wird, ein öffentliches Zeugnüß der Hochachtung des Fürsten, auf das sich die Hochachtung des Volks gründet; eines der empfindlichsten Vergnügen, das ein fühlendes Herz sich wünschen kan. Alfred ertheilte seinem Enkel Adelstan die Ritterwürde, indem er ihm ein purpurnes Kleid gab, und einen Gürtel umschnürte, woran ein sächsisches kurzes Schwerdt in einer goldenen Scheide hieng. Adelstan entsprach völlig der Erwartung des kennenden Ahnherrn, und wurde ein mächtiger und geehrter König.

In so viele Künste, in so viele Kenntnisse wußte Alfred sich zu theilen, und dennoch blieb er in einer jeden groß. Schwerlich ist unter so vielen Tausenden ein Fürst gebohren worden, der mit einer solchen Fertigkeit seine Gemühtskräfte auf so viele und auf so verschiedene Geschäfte zu wenden, und alle zu übersehen vermocht hat. Und unter diesen Beschäftigungen des Königes war keine, die nicht zum lezten Zweke das Beste seines Volkes hatte.

Dennoch war die vornehmste Bemühung seines Herzens, Gott zu gefallen. Niemand wird auch zu unsern so sehr veränderten Zeiten Alfreds Ruhm um deswegen verringern, weil sein Gottesdienst nach dem Schwunge seines Jahrhunderts etwas Mönchisches an sich hatte. Aber der die Herzen kennt, wird von dem Menschen nur fodern, was derselbe nach den Umständen gewähren kan, in welche er von der höchsten Weisheit gesezt worden ist, und der eingemischte Spreu wird in den Augen des Alwissenden dem vorzuziehenden Weizen nicht den Wehrt benehmen.

Auch in des weisen Fürsten Frömmigkeit blieb freylich der Geschmack des Jahrhunderts merklich, aber Alfred war doch viel zu weise, wie damahls gerührte Fürsten öfters thaten, den seinem Volke nüzlichen Regierungsstab zu verlassen, und in einem Kloster für sich allein zu sorgen. Alfred blieb ein arbeitsamer und für das Beste seines Volkes unausbemüheter Fürst.

Er theilte mit der Religion seine Güter, und auch seine Zeit. Er machte aus seinen Einkünften zwey gleiche Theile, der eine war zu milden Gaben bestimmt, und wurde wiederum unter die Armen, die Klöster und die Schulen vertheilt. Die Hälfte, die der König für sich behielt, war wiederum zu gleichen Theilen seinen Hofleuten, den Künstlern und arbeitenden Handwerkern, und den Fremden zugedacht, die sich im Reiche niederließen. Den eigenen Unterhalt des Königes trugen die Kammergüter, die man den Landleuten gegen gewisse Lieferungen überließ: sie brachten dem Hofe die Früchte der Erde, und den Raub der Thiere.

Seine Zeit, die freylich unser eigenes Daseyn ist, theilte Alfred zur Hälfte mit dem Gottesdienste; er rechnete billig zu demselben die Sprüche, die er aus den geoffenbahrten Büchern oder auch seinem eigenen Nachdenken in eigene Handbücher aufzeichnete, woraus Samlungen entstunden, mit denen sich Alfred am liebsten beschäftigte. Er war so sorgfältig, der Religion nichts von ihrer Zeit zu entziehn, daß in einem Jahrhunderte, wo keine Art von Uhren bekannt war, er eigne Wachsstäbe abwog, und darnach die Stunden abmaß. Man schreibt ihm die Erfindung zu, die freylich den Alten nicht unbekannt, die aber vielleicht in den Zeiten der Unwissenheit verlohren gegangen war, mit durchsichtigem Horn die Wachsstäbe zu versichern; denn die gläsernen Fenster waren noch nicht erfunden. Die Bestimmung der Zeit hatte Alfred nach seinem Siege bey Athelney als ein Gelübd versprochen.

Zu weit gieng wohl dieses Herrn ernstlich gesinter Wunsch, daß eine Krankheit, oder ein beständiger Schmerz ihn abhalten möchte, sich den sinlichen Lüsten zu ergeben. In seiner Jugend wurde dieser Wunsch die Frucht seiner Furcht Gott zu beleidigen nur alzu volkommen erfüllt; ganze fünf und zwanzig Jahre lang peinigte ihn ein inwendiges und unerkantes Uebel, das auch in der Hälfte seiner Tage sein unschäzbares Leben abkürzte. Solte Alfred an der Weisheit desjenigen gezweifelt haben, von dem er die Enthaltsamkeit erbat? und war der Geber aller guten Gaben nicht reich an andern Mitteln, die Alfreds Tage nicht verkürzt, und sein Leben nicht zu dem Theil unbrauchbar gemacht hätten, in welchem die Schmerzen alle Gedult überstiegen?

Eine Frucht der lebhaften Empfindung der Pflichten der Religion war die unerschüttbare Sanftmuht, die mitten in so vielen Kriegen bey dem oft gereizten Könige sich erhielt, wenn schon Meineid und Treulosigkeit so oft die Belohnung seiner Güte war. Nichts konte den Schluß überwinden, zu vergeben, wie er wünschte, daß ihm vergeben werden möchte. Er ertheilte den zehnmahl wieder sich Auflehnenden nach dem mühsamsten Siege allemahl die unbedingteste Vergebung, und erlaubte sich niemahls ein Werk der Rache.

In seinem innern Leben war er ein getreuer und liebreicher Ehemann, ein gütiger Vater, ein gnädiger Herr. So viele Zeit er hatte auf die Rettung seines Volkes und auf unvermeidliche Kriege wenden müssen, so groß seine Vorzüge in ritterlichen Uebungen waren, so zog dennoch bey ihm von seiner ersten Jugend an die Begierde zu den Wissenschaften vor. Schon im zwölften Jahre, da er noch im Unglüke der Zeiten nicht lesen gelernt hatte, gewann ihn ein Buch so kräftig, daß er nicht eher ruhete, bis er dasselbe fertig lesen konte, und seinen Innhalt sich eigen gemacht hatte.

So rauh noch die Sprache der Sachsen war, so wurde sie dennoch in Alfreds Mund und Feder beredsam; er übersezte in das Sächsische die Werke der alten Weisheit, mit einer Treu, und mit einem Nachdruke, den kein Gelehrter ihnen zu geben vermochte. Diese Bemühung wendete er auf die Geseze der weisen Völker, auf die Geschichte, die Spruchreden und Gleichnüße, auf ganz geistliche Werke an; die ganze Samlung der geoffenbarten Schriften trug er in seine Sprache über. Er schrieb auch seine eigene Geschichte, und die Begebenheiten seines mühsamen, und in so vielen Widerwärtigkeiten geübten Lebens. Auch in diesen minder offenbar nöhtigen Arbeiten behielt er die standhafte Gewohnheit, nichts anzufangen, das er nicht hätte zu Ende bringen sollen.

Bey den Schmerzen, bey der bemühten Lebensart, bey den vielen empfindlichen Unglüken, die er zu tragen hatte, blieb Alfred allemahl frölich und leutselig; eine Tugend die nur die auserwähltesten Gemühter besizen, die keine Wallung des Ueberdrusses aus ihrer Stille bringen kan. Denn nur allzuoft geben gemeine Seelen dem lezten Eindruke nach, werden durch kleine Ursachen empört, und fühlen bey dem Uebergewichte des herrschenden Verdrusses das Wichtige anderer Vorwürfe nicht. So wenig ihn das Unangenehme erschütterte, so wenig blähte Alfreden das Glük, und das Gefühl seiner eigenen Würdigkeit auf: er focht, er arbeitete mit unerschroknem Muhte, und schwieg von seinen Thaten, als wenn sie nicht die seinigen wären. Oft hatte er seine wankenden Völker einzig von der Flucht abgehalten, indem er die standhafte Stirne dem eindringenden Feinde entgegen sezte; und dennoch sah er seine Tapferkeit als etwas Zufälliges und Fremdes an, weil seine ganze Seele an Gott anhieng, und einzig auf Ihn hoffte.

Sein Ruhm flog in den wenigen Jahren seines alzukurzen Lebens jenseits der Gränzen von Europa. Die freywillige Stimme des Volkes gab ihm den Names des großen Alfreds, den andre Fürsten von der Schmeicheley ihrer Höflinge geborgt haben. Rom verehrte seine Tugenden, und der Patriarch von Jerusalem bezeigte jenseits so vieler Meere die Verehrung, die so viele Tugenden, in den entferntesten Gegenden dem Könige in Sachsen zuzogen. Aus allen Gegenden eilten Krieger, Künstler und Gelehrte zu dem Throne, worauf zugleich ein Christ, ein Weiser, ein Held, und ein Beschüzer aller nüzlichen Künste saß.

Von der schönen Alswithe hatte der König zwey Söhne: Edward den ältern, einen weisen König und Gesezgeber, und Edelward, einen gelehrten Fürsten, der in noch frühen Jahren zu Oxford starb: dann die herzhafte Adelfrede, die Gemahlin des Grafen von Mercia, die nach dem Tode desselben sein weit ausgedehntes Land regierte, die aufrührischen Normänner unterdrükte, und die Stifterin verschiedener Stätte war, worunter auch Chester, Stafford, und Warwik sind. Sie bezwang auch einen Theil des wieder von Engelland getrennten Wallis, und verdiente den Nahmen eines Königes, dessen Tugenden sie besaß.

Athelswithe wurde an Baldwin, den mächtigen Grafen von Flandern vermählt: eine ihrer Urenkelinnen Mathilde wurde die Gemahlin Wilhelms des Eroberers. Von ihr stamten die Plantageneten durch eine zweyte Mathilde ab; und aus diesen, nachdem sie dreyhundert Jahre lang Engelland beherrscht hatten, entsproßten die Tudor und die Stuarte, deren Rechte auf das durchlauchtigste Haus der Welfen gefallen ist. Auch eine dritte Mathilde, des ersten Plantagenets Tochter, wurde die Gemahlin Heinrichs des Löwen, und die Stammutter der Welfen, in deren einem sich das Blut der Stuarte mit dem Blute der Plantageneten vereinigt, und durch beyde Stamfolgen das königliche Blut des Alfreds und des Bodans endlich die mächtigen Beherrscher des großen Britanniens belebte. Ihrem Zepter hatte die Vorsehung unermeßliche Landschaften in einem Welttheile zugedacht, der zu Alfreds Zeiten der alten Welt noch unbekannt war. Der Niger und der Ganges fließen unter ihrer Herrschaft, und das gröste Reich von Indostan verehrt den Abkömling Alfreds. Aber weit glorwürdiger noch, als die Erbschaft der Länder, war das Erbe der Tugenden, die Liebe zu den Künsten und Wissenschaften, der dem heilsamen Frieden gegönnete Vorzug vor Siegen und Triumphen, und die ehliche Glükseligkeit; alle diese erhabenen Eigenschaften vereinigten sich in Georg III, dem Abkömlinge der Welfen und des Alfreds.

Sichtbarlich hat die Vorsehung das algemeine Versprechen erfült, daß der Saamen der Gottgefallenden blühen, und nach funfzig Geschlechtern der Segen verdienter Ahnen auf den würdigen Erben reichen würde.

Alfred starb von den Folgen eines Uebels, das er selbst erbeten hatte, und sein nüzliches Leben hatte nur zwey und funfzig Jahre gedaurt. Sein Tod fiel gerade auf das Ende des zehnten Jahrhunderts, dieweil die Karlowingen sich zu ihrem Untergange neigten, und die Enkel Roberts des Starken sich täglich dem Throne von Westfranken näherten. Die Frömmigkeit, die die Richtschnur seines Lebens gewesen war, verließ Alfreden im Tode nicht, er stieg von seinem Thron, so wie er von einem Königssize zum andern reisete, gewiß, daß er auch dort glüklich seyn würde! Er hoffte von dem obersten Richter ein besseres Leben, wohin ihn keine irdische Vorzüge begleiten konten, das die Belohnung eines dem Wohlseyn seines anvertrauten Volkes geweyheten Lebens seyn würde; und niemand hat gezweifelt, daß bey so vielem Guten die kleinen unvermeidlichen Fehler, durch die Güte des gerechten Richters der Welt bedekt worden seyn werden.


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