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Zweiter Akt

Halle auf Burg Eldringen in gotischem Charakter mit Renaissance-Elementen. Ein Erker mit drei Fenstern bildet die Rückwand. Zwei Türen sind mitten und hinten links, eine Tür rechts mitten. Vorn rechts Ruhebank, Tisch und Stühle. Links vorn Kruzifix und Betschemel. Altertümlicher Hausrat, hier und da verteilt. Gewehre, Pistolen, Hirschfänger, Jagdgeräte an den Wänden, dazwischen Ahnenbilder. Eine hölzerne Wendeltreppe führt links hinten aus dem Turm herunter. Wenn die Fenster geöffnet sind, fällt der Blick auf Wälder und immer ferner übereinander aufsteigende Höhen. Es ist gegen Abend des gleichen Tages wie vorher. Offene Fenster. Abendsonne. Ein großer Strauß blühenden Flieders in einer Vase auf dem Tisch.

Susanne und Hülff, beide wie vorher gekleidet, stehen inmitten der Halle.

Susanne Seid Ihr dem General nirgendwo im Schloß begegnet, Herr Magister?

Hülff Nicht daß ich wüßte, Euer Gnaden. Wofern ihm nicht irgendein höllischer Zaubermantel zur Verfügung, der ihn unsichtbar zu machen verstünde.

Susanne bekreuzigt sich Gott bewahre mich! Was schwatzt Ihr da schon wieder von Hölle und Zauberei?

Hülff bekreuzigt sich ebenfalls Ja, Gott der Herr behüte uns vor jederlei Schwarzkunst und Teufelswerk. Laufen genug solche Schweinepriester umher und suchen mit ihrem Zauberstecken dem Meister Satan die Seelen zuzutreiben. Aber wartet nur euren kommenden Tag der Vergeltung und des Gerichtes ab! Da wird Heulen und Zähneklappern unter euch sein!

Susanne Warum wütet Ihr doch so gegen die Armen, die sich haben verblenden lassen, Herr Magister? Glaubt Ihr nicht, daß Reue und Vergebung für sie möglich sei?

Hülff macht eine abwehrende Geste.

Susanne Ja, wart Ihr denn nicht ehedem selbst einer von den Kennern und Betreibern so mancher geheimen und gefährlichen Schwarzkunst?

Hülff Da sei Gott vor!

Susanne Wie's mir mein verstorbener Gatte, der selige General, einmal in einem offenherzigen Stündlein anvertraut, daß er Euch sozusagen direktament von einem schwedischen Galgen heruntergeschnitten ...

Hülff fährt sich unwillkürlich an den Hals Verdammt noch eins!

Susanne Als einen, der wegen Hexerei hochnotpeinlich justifiziert gewesen ...

Hülff wie vorher, mit Grimasse Hol' ihn der Satan! Hat er das Maul nicht halten können!

Susanne Ihr sprecht von meinem Gemahl, Herr Magister! Von Eurem entschlafenen Wohltäter und Freund!

Hülff Verzeiht den Lapsus, vieledle Frau! Es entglitt mir so. üble Gewohnheit noch von früher her, da Ihr's nun einmal wißt. Da Seine hochselige Gnaden sich nicht hat entbrechen können, Euch von gewissen Verfehlungen eines armen Sünders Kunde zu geben. Freilich nur von seinen Verfehlungen, wie es scheint. Nicht auch von seiner Reue, seiner Zerknirschung, seiner Bußfertigkeit!

Susanne Also doch Reue, Buße, Vergebung möglich, die Ihr noch soeben bei andern geleugnet!

Hülff mit Grimasse Auf dem Wege über den Galgen, Euer Gnaden! Auf dem Wege über einen hübschen hohen Galgen oder auch einen soliden dürren Ast am Waldrand! Wer schon den hänfenen Strick an der Gurgel gespürt hat, hinterher aber den Kopf doch noch aus der Schlinge zog, dem kann vergeben werden. Denn hat sich nicht Gottes Gnade sichtbarlich an ihm erwiesen? Seinen alten Adam hat er da oben in der luftigen Höhe ausgezogen und die arme Seele ist gleichsam splitternackt wieder heruntergestiegen, um in den neuen Balg zu fahren, wie die Schlangen im Frühjahr. Und selbst wo ein solcher später noch einmal ins Straucheln käme, wird ihn nicht das verdammte ... Verzeihung! das verdächtige Jucken am Halse immer wieder an seinen Herrgott erinnern?

Susanne Ein recht bequemer Katechismus, das! Mit zweierlei Lesarten, je nachdem es sich um Euch handelt oder um andere!

Hülff Wollt Ihr alle natürlichen Unterschiede zwischen Mensch und Mensch aus der Welt schaffen, Euer Gnaden? So erlaubt mir zunächst einmal, daß ich mich von jetzt ab als Burgherrn und Reichsritter von Eldringen betrachte, Euch aber als meine untertänige und leibeigene Magd, die ich gnädigst mit meinem Wohlwollen beehre, wenn auch nicht gerade das jus primae noctis in Frage kommt. Er macht eine Gebärde, als wolle er sie umfassen.

Susanne stößt ihn zurück Keine übeln Späße, Herr Magister! Was erlaubt Ihr Euch?

Hülff Seht Ihr wohl den Unterschied, Euer Gnaden? Nur ein Exempel das! Aber wie Euch gleich das Feuer in den Wangen brennt! Warum schlagt Ihr ihn nicht, Euren untertänigsten Schuhputzer und Hofnarren, der sich nur einen Augenblick vermaß, sich Euch in Gedanken gleichzustellen?

Susanne läßt ihn stehen, macht ein paar Schritte, kommt wieder zurück Wo nur der General stecken mag? ... Geht und sucht ihn, Herr Magister! Warum seid Ihr nicht längst von dannen? Meine Wünsche sollten Euch Befehl sein!

Hülff Wollet mir nur eine Wunderbrille verehren, Eure Wünsche Euch vom Gesicht abzulesen!

Susanne Fragte ich Euch nicht bereits nach dem General? So schwerfällig an Geist, der einstige Geisterbanner? So langwierig der frühere Hexenmeister?

Hülff verzieht das Gesicht Zuviel der Ehrentitel, Euer Gnaden! Tempora peracta! Seht einen simpeln Gottesknecht vor Euch! Er schlägt das Kreuz Was aber Eure Fragen und Eure Wünsche angeht ... Fragtet Ihr nicht auch nach dem Herrn Ritter von Seidenfuß? Hätt' ich geahnt, daß Ihr ihn mit der Frage herbeiwünscht ...! Ich eile, ich fliege, ihn zu holen. Er macht eine Gebärde, als wolle er eilends fort.

Susanne faßt seinen Arm Ich Euch nach dem Ritter gefragt? Seid Ihr von Sinnen?

Hülff Man erblickte den geschniegelten Herrn vorher in der Fliederlaube, drunten im Schloßgärtchen. Ein blühender Busch, sowie der da, hing ihm gerade auf die adlige Nase herunter. Er achtete sein nicht, stand, die linke Hand auf der Brust, die rechte mit dem Papierblatt zu den Sternen erhoben, und deklamierte Eurer schönen Nichte ein Gedicht.

Susanne Natalien? Sieh da! Hat's schon gezündet? Nun um so besser! Wahrlich! Um so besser für mich!

Hülff Ein Carmen, auf eigenem Mist gewachsen, wie es schien. Es versprach lang zu werden. Die Augen Eurer schönen Nichte glänzten in edlem Feuer. Allein was tut's! Ihr wünscht, daß ich ihn ihr entreiße, ihn zu Euch hole ... Ich fliege! Ich eile! ... Er will wieder fort.

Susanne Bleibt! Pocht nicht zu sehr auf Euer Narrenrecht! Ich habe eine ernste Frage an Euch.

Hülff An den Hofnarren?

Susanne An den Gelehrten! An den Alleswisser! Meinethalben an den Hexenmeister! Auf eine Geste Hülffs Was macht Ihr da?

Hülff Verzeiht! Das verwünschte Halsjucken!

Susanne nach kurzem Besinnen Nehmet an ... Nun ja! Was denn? ... Also gut! Nehmt an ... jemand habe sich dem Teufel verschrieben.

Hülff Sich dem Teufel verschrieben? ... Ei verflucht! Will sagen: Gott behüte uns ...! Denn da ist Hopfen und Malz verloren.

Susanne Nein! Nicht so! Nicht dem Teufel verschrieben! Nicht so ganz eigentlich! Wartet doch nur! ... Ja, so! So hab' ich's! Nehmt an, jemand ... jemand, den Ihr nicht kennt ...

Hülff Zum Exempel Ihro Gnaden so urplötzlich wiedergefundener Freund und Gast, der sogenannte Herr General in kaiserlichen Diensten ...?

Susanne Schweigt von ihm und hört zu! Es habe also dieser gewisse Jemand ... Ganz gleich, ob Ihr ihn kennt oder nicht, ob er mein Freund oder nicht! ... habe einmal vor Jahren in finster blutiger Kriegszeit ...

Hülff unwillkürlich einfallend Des Nachts am Lagerfeuer ...

Susanne Des Nachts am Lagerfeuer! Ganz recht! Woher kommt Euch das?

Hülff Nur so von ungefähr! Wie's nun einmal bei so Teufelsbeschwörungen ... der Herr schütze uns davor! ... zugehen mag.

Susanne Ihr kennt Euch aus, Herr Magister! ... Nehmt also an, zu diesem gewissen Jemand wäre einmal um Mitternacht am einsamen Lagerfeuer ein höllischer Dämon in Gestalt eines fahrenden Schülers getreten ...

Hülff Der Teufel als Scholar! Ei! Ei! Wo nicht gar umgekehrt der Scholar als Teufel! Nur weiter!

Susanne Habe mit ihm gezecht, ihn betäubt, betrunken gemacht und ihm in diesem willenlosen Stande einen Ring aufgeschwatzt ...

Hülff zurückprallend Einen Ring? Mit einem Stein?

Susanne sieht ihn an Mit einem Stein! ... Seid Ihr allwissend?

Hülff hat sich wieder gefaßt, lächelt Noch nicht so ganz! Nur so mindern Grades! Immerhin etwas mehr als das übrige Lausepack von Menschheit! In diesem Falle ... Welcher Ring trüge nicht einen Stein, Euer Gnaden? War's vielleicht ein Opal? Oder ein Karneol? Oder gar ein Hämatit?

Susanne Ein Hämatit! In der Tat! Ein düsterrot glimmender Hämatit. Der Reif selbst aus einem Sargnagel geschmiedet, der hundert Jahre in der Totengruft unter morschendem Gebein gerostet, wie es hieß. Wißt Ihr am Ende auch das?

Hülff Ihro Gnaden traut mir auch gar zu viel zu. Ich bin nur ein bescheidener Arbeiter im Weinberge des Herrn.

Susanne Meint Ihr, ich trage eine Binde vor den Augen? Wer einmal wie Ihr geheimer Kunst gepflogen ... ob er's auch zehnmal hinterher abgeschworen! Einerlei! Wer vermöchte sich selbst so ganz hinter sich zu werfen, wie ein Scheit in den Fluß? Bleibt man nicht immer, was man war? Haftet nicht an uns, um uns, in uns, was wir gelernt, gelebt, erfahren, gleich einer unzerstörbaren Farbe? Gleich einem Ockergelb oder Zinnoberrot, in das wir über und über getaucht und das uns nie mehr so ganz vollständig verblassen kann? Sind nicht Eure Tiegel und Töpfe droben im Turm, Euer Sieden und Schmelzen, Eure ganze Goldmacherei Beweise genug, daß Ihr nach wie vor mit den dunkeln Mächten im Bunde steht?

Hülff Nur gewisse tiefere Kenntnisse von der Natur, Euer Gnaden. Verborgene Wissenschaft in Eurem Dienst und ganz zu Eurem Nutzen verwandt. Aber so wahr mir Gott gnädig, nichts von Teufelei und Satanswerk!

Susanne Ah! Ihr wollt Euch im Preise steigern? Wollt Euch unbezahlbar machen? Nur zu! Und wenn Ihr doppelt so viel fordert, als Eure Goldtiegel verschlungen haben ... Ihr sollt, Ihr müßt mir helfen!

Hülff Helfen wofür? Helfen wogegen, Euer Gnaden?

Susanne Helfen, daß der Ärmste gerettet wird! Begreift Ihr noch immer nicht?

Hülff Meint Ihr den, welcher sich dem Teufel verschrieben?

Susanne Ja, den! Den! Nennt es, wie Ihr wollt! Der von dem Dämon den Ring erstanden und dafür seine Seele hingegeben ...

Hülff Ihro Gnaden wiedergefundener Freund, der Herr Kaiserliche General ...?

Susanne Fragt nicht so viel! Ratet! Helft!

Hülff Was braucht er Rat, solange der Ring an seinem Finger blitzt und glimmt? Hat der Ring nicht die Kraft, ihn vor aller Welt zu erhöhen? Ihn groß und berühmt und obendrein fest zu machen?

Susanne Wißt Ihr auch das?

Hülff Was braucht er da mich und meine Hilfe? Erst wenn der Ring von seinem Finger verloren ginge ...!

Susanne Aber er ging verloren!

Hülff Ei verflucht! Will sagen: Gott beschütze uns! Er bekreuzigt sich.

Susanne Wißt Ihr jetzt endlich? Begreift Ihr, wie es steht?

Hülff Ein sehr übler Fall! Eine äußerst greuliche und mordsverdächtige Geschichte! ... Hat man denn von dem Scholaren, der als Teufel gekommen ... vielmehr, von dein Teufel, der als Scholar gekommen, gar keine nachmalige Kunde mehr erhalten?

Susanne Nichts! Verschollen, verschwunden der Dämon! Wie in den höllischen Abgrund versunken, aus» dem er zum Unheil aufgestiegen.

Hülff mit gefalteten Händen Verschwunden der Dämon? Verschollen der höllische Stinkbock? Keine Spur mehr von ihm? ... Nun, Gott sei gedankt!

Susanne Den sieht wohl kein Menschenauge mehr wieder! ... Aber jetzt Euer Spruch! Euer Rat!

Hülff Ein desperater Kasus! Eine vermaledeite Obligation!

Susanne Ja! Ja! Ja! Ja! Ja! Ja! ... Gebt Euren Spruch! Nichts weiter!

Hülff mit verhaltener Grimasse Man sagt ... Das heißt, dem Gerücht zufolge ... Doch nein! Es könnte mir von Ihro Gnaden schief ausgelegt werden. Laßt mich lieber schweigen!

Susanne Man sagt ...? Nicht so viel Worte! Was sagt man?

Hülff Daß einer, der sich dem Teufel verschrieben ... Aber es ist nur vom Hörensagen, Euer Gnaden, nicht eigene Wissenschaft oder Erfahrung!

Susanne Der sich dem Teufel verschrieben ...?

Hülff Daß der gerettet werden könne, wenn ...

Susanne Nun? Wenn ...?

Hülff Wenn sich eine unbescholtene Jungfrau für ihn opfere! Er prustet diskret in die vorgehaltene Hand, beobachtet Susanne erwartungsvoll von der Seite.

Susanne sieht ihn verdutzt an Eine unbescholtene Jungfrau? ... Wollt Ihr mich foppen?

Hülff So geht die Fama unter den Teufelsbeschwörern und verwandtem Gelichter. Ein vielfacher Galgenschwengel, der nachher auch so geendet, hat's mir einmal über dem zwanzigsten Becher zugeraunt. Ich geb's Euch weiter, wie ich's vernommen. Aber wußt' ich nicht, daß Ihr mich darum schelten würdet? Ist es meine Schuld, daß das Rezept für Euer Gnaden unbrauchbar, da Ihr ja Witwe seid?

Susanne Schert Euch und kommt mir nicht wieder unter die Augen! ... Oder nein! Wartet! Etwas anderes!

Hülff Ich harre in Demut, was Euer Gnaden über mich verhängen.

Susanne Ich gebe Euch eine Stunde Bedenkzeit. Wenn Ihr mir bis dahin keinen besseren Rat wißt – und Ihr könnt es, wo Ihr nur wollt! – so habt Ihr noch vor Nacht Schloß und Herrschaft Eldringen zu verlassen, überlegt's Euch gut! Sie geht rasch nach links vorne ab.

Hülff bleibt allein zurück, sieht sich vorsichtig um Kriechst du mir auf den Leim? Hab' ich dich, wo ich dich haben will? Warte, Püppchen! Ich will dir ein Rezept verschreiben, daß dir die Sinne in meinen Armen vergehen sollen! ... Er macht ein paar Schritte gegen die Tür rechts, bleibt wieder stehen Also der war's! Der mit dem Ring! Einer von ihnen allen! Aus ihrer einem guten Dutzend dieser eine! Die andern alle fraß wohl der Krieg, die Hyäne? Warum nicht diesen einen? Und warum gerade hierher ihn gespieen, der Höllenbauch, diesen einen? .. Das Gesicht? Ja! Ja! Ich entsinne mich wohl, 's ist lange her. Ein Milchgesicht dazumal! Heute verwettert! Hartgehämmert! Dennoch stieß mir's beim ersten Blick wieder auf wie ein holziger Rettich! ... Alter Lügenbeutel! Dein Gedächtnis und dein Witz verläßt dich noch nicht. Ob's nun dein guter oder dein böser Dämon, der ihn dir jetzt über den Weg laufen läßt ... einerlei! Baue auf deinen Witz und auf dein Glück!

Die Tür rechts öffnet sich.

Schwartz tritt ein, sieht sich um Ihr seid's, Herr Magister!

Hülff schlägt ein Kreuz Benedicatur dominus! ... Zu dienen, Euer Gestrengen! Nur meine äußerst bescheidene Wenigkeit!

Schwartz sieht ihn an, lächelt, setzt sich an den Tisch rechts Schlagt Ihren Euren Wert auch nicht gar zu gering an, Herr Magister?

Hülff Besser wir tun es selbst, als daß andere es für uns tun! Man muß als König wie als Bettler wissen, was man seiner Position schuldig ist. Es heißt nicht umsonst: Mit großen Herren ist nicht gut Kirschen essen, sie werfen einen mit den Stielen, und wer Beelzebub den kleinen Finger reicht, darf sich nicht wundern, wenn Satan nachher das ganze Subjekt nimmt

Schwartz stutzt Was wollt Ihr damit sagen?

Hülff Nichts Besonderes, Euer Gestrengen! Nur so ganz marginaliter bemerkt! Was hätte denn auch ein Herr wie Euer Gestrengen – von meiner Wenigkeit ganz zu geschweigen! – mit Beelzebub oder dem Satan zu tun?

Schwartz Meint Ihr, wer durch achtzehn Jahre des Kriegs gegangen, sein Geschick immer auf seiner Degenspitze balanciert, der habe seine Hände und seine Seele rein erhalten können? Und auf welcher Insel im Ozean oder in welcher Wüstenei habt denn Ihr Eure Tage verbracht, daß Ihr gar so ein unbeflecktes Kindlein geblieben seid?

Hülff Est modus in rebus, Euer Gestrengen! Es gibt ein Maß und einen Unterschied, sozusagen, in der Sündhaftigkeit. Es kann einer höher oder niedriger gestiegen sein auf der Leiter zum Galgen. Will sagen, in den höllischen Ofen hinab. Es kann auch einer mehr oder minder angesengt sein auf dem satanischen Rost, mehr ein angehender oder mehr ein ausgetragener Teufelsbraten. Könnte sonach der eine, der noch rechtzeitig bereut hätte, nicht noch gerade so durchwischen um Christi Barmherzigkeit willen? Der andere dagegen, der seine Seele dem Teufel verpfändet und bei der Verstocktheit geblieben, verfiele mit Haut und Haar der ewigen Qual. Und das von Rechts wegen, Euer Gestrengen! Durchaus von Rechts wegen!

Schwartz Ach, geht mir doch mit Euren Haarspaltereien! Manchmal will mich's vielmehr bedünken, wer sich ehrlich mit Gott und dem Teufel herumgeschlagen, ob er auch seine Seele dabei zu Markte getragen, der habe mehr Hoffnung und Anspruch auf die göttliche Gnade, als wer sich feige und duckmäuserisch vor jeder Versuchung gedrückt. Es mag vermessen klingen. Aber Gott strafe mich! Ich kann nicht anders!

Hülff schlägt die Hände zusammen O misericordia domini! O himmlische Barmherzigkeit! Was für lästerliche Reden! Wer so denkt, der täte freilich besser, er nähme einen gut geseiften Strick und hängte sich an den nächsten Ast. Aber gewiß treibt Euer Gestrengen nur Ihren Spott mit einem arglosen Diener Gottes?

Schwartz Laßt es gut sein, Herr Magister. Wir beide finden da keine Brücke zueinander. Aber sagt mir doch, aus welchem Kloster seid Ihr wohl ausgebrochen, ehe Ihr hierher kamt? Welcher Büßerorden nannte den heiligen Mann sein Eigen?

Hülff Der Orden vom heiligen Sankt Isidor, Euer Gestrengen, wenn es durchaus gesagt sein soll! Das Kloster befindet sich in den Felsenschluchten der Sierra Nevada, dort, wo sie am tiefsten und felsigsten sind, fern im Hispanierland. Neun Jahre lebt' ich dort als Laienbruder, nur dem Dienst des Herrn und – mit Respekt zu melden – der Ferkelzucht obliegend. Dann trieb mich das Heimweh fort. O hätt' ich nie den Weg hierher zurückgefunden, in diesen germanischen Kriegs- und Sündenpfuhl!

Schwartz Seid Ihr schon lange wieder im Lande?

Hülff Nun doch wohl schon immerhin so an die einigen Jahre!

Schwartz Und seit wann im Schloß hier?

Hülff Seit Seine hochselige Gnaden, der General von Eldringen, seinen Einzug hier gehalten.

Schwartz Ihr seid Alchimist?

Hülff Nicht der Rede wert, Euer Gestrengen! Nur so ganz nebenbei! Nur auf ausdrücklichen Befehl Ihrer Gnaden, der Freifrau! ... Aber Euer Gestrengen erweist mir allzuviel Ehre durch Ihr Interesse ...

Schwartz Seltsam! Soeben war mir, als hätt' ich Euch schon einmal, schon irgendwo gesehen. Wüßt' ich nur, wo!

Hülff Schon möglich, Euer Gestrengen! Sehr wohl möglich! Auch mir dämmert manchmal dergleichen auf. Und doch vermutlich nur eine Art von optischer Täuschung, illusio quaedam, wobei uns zumute, als hätten wir schon einmal etwas erlebt oder jemanden erblickt. Vielleicht gar, wenn der Gedanke nicht zu frevelhaft, eine gewisse Fähigkeit der Rückerinnerung aus einem früheren Leben her, der Seelenwanderung oder Metempsychosis der Alten, wovon schon Pythagoras fabuliert ...

Schwartz Seelenwanderung? Hm! Ein erhaben düsterer Gedanke! Zuweilen durchzuckt's einen wohl so. Aber daß sogar ein heiliger Mann wie Ihr ...

Hülff Seifenblasen, Euer Gestrengen! Wo nicht gar Vorspiegelungen des bösen Geistes! Der Herr beschütze uns davor!

Schwartz Wart Ihr nie im Krieg? Ich meine, vor Eurer Klosterzeit?

Hülff Nicht einem jeden ist es verliehen, sein Geschick auf der Degenspitze zu balancieren, wie Euer Gestrengen. Ich habe mein Lebtag eine unüberwindliche Abneigung gegen Blutvergießen gehabt. Aber für einen Mann mit Grütze im Hirn gibt es ja, Gott sei gelobt! auch noch andere Wege, um sich durchs Leben zu schlängeln. Nur Dummköpfe wollen mit dem Kopfe oder mit dem Degen durch die Wand.

Schwartz Wer den Degen führt, braucht darum noch kein Dummkopf zu sein, Herr Magister, und mancher, der sich heute vom Pferderücken die Welt beschaut, hat sie vielleicht einst bei der Lampe über seinen Folianten zu ergründen versucht. Haltet uns das auf Eurer Höhe zugute! Die Tür rechts wird geöffnet.

Natalie tritt ein. Sie ist eine schlanke graziöse Erscheinung mit dunklem Haar und schmachtenden braunen Augen. Sie ist hell und duftig gekleidet. Da sie Schwartz und Hülff erblickt, bleibt sie an der Türe stehen, errötet leicht Verzeiht! Ich suchte die Muhme ...

Hülff scheinbar überhörend, indem er die Zähne fletscht Der Herr Ritter von Seidenfuß befindet sich nicht hier, sondern im Gärtchen drunten, Fräulein. Wollt Euch also wieder hinunter bemühen!

Natalie schweigt etwas verwirrt, errötet tiefer.

Schwartz Es war, wie mich dünkt, von des Fräuleins Muhme, von der Freifrau, und nicht von dem Ritter die Rede, Herr Magister.

Hülff Nicht von dem Ritter? Nicht von dem Herrn von Seidenfuß! Oh! Dann entschuldigt vielmals, Fräulein! Mein Gehör hat leider bei den strengen Fasten und der verdammten Zugluft im Kloster Einbuße erlitten. Ihre Gnaden, Eure Muhme, werdet Ihr da drüben finden. Er deutet nach links vorn, verbeugt sich mit der rechten Hand auf dem Herzen.

Natalie ihn übersehend, neigt den Kopf gegen Schwartz Habt Dank! Sie geht quer durch die Halle nach links vorn, ab.

Hülff sieht ihr nach, bis sie verschwunden ist, schnalzt mit der Zunge Verflucht noch eins! Gott verzeih' mir die Sünde! Aber das wäre ein Fressen! Wie sie den Kopf zurückwarf, das Naschen in der Luft schnuppern ließ und an einem vorbeisah, als sei man der Knopf oben auf der Turmspitze! ... Euer Gestrengen ging es da besser. Ein Blitz war es da unter den schwarzen Wimpern zu Euer Gestrengen hinüber! Euer Gestrengen sollte die Hand darauf legen, ehe der faslige Ritter Euch zuvorkommt!

Schwartz Spart Euch die Sorge um mich, Herr Magister! Und bleibt mir, so es gefällig ist, ein wenig vom Leibe! Der Bocksgeruch Eurer Heiligkeit beizt mir die Nase.

Hülff verzieht das Gesicht, zwingt sich zu einer Grimasse des Lächelns Gebt wohl Obacht, Euer Gestrengen, was Euch der Bock zu meckern weiß: Es gehört zehnmal mehr Gripps dazu, von seinem Kopf als von seiner Faust zu leben, und besser, denen Schafsköpfen mit seinem blanken Witz, als mit seiner blanken Plempe die Taler aus dem Sack holen ... Wo Ihr aber einmal mit dem schwarzen Kasper ein altes Konto zu begleichen hättet, etwa wegen eines gewissen Ringes oder dergleichen, da gedenkt des Bocks, ob Euch sein Witz vielleicht aus der Patsche ziehe! Er geht, ohne sich umzusehen, mit eingezogenen Schultern schnell nach rechts ab.

Susanne ist schon bei den letzten Sätzen Hülffs hinten auf der vom Turm herabführenden Wendeltreppe erschienen, ohne jedoch von Hülff oder Schwartz bemerkt zu werden, bleibt auf der untersten Stufe stehen, bis er fort ist, lehnt sich an das Geländer.

Schwartz hat eine Bewegung gemacht, als wolle er Hülff zurückhalten, scheint sich zu besinnen, steht in Gedanken verloren da, fährt dann auf ein Geräusch Susannes auf.

Susanne Henning Schwartz?

Schwartz dreht sich um Susanne du? ... Hast du gehört, was der Magister sprach?

Susanne Ich suchte dich im ganzen Schloß, Henning Schwartz. Bis auf den Turm war ich hinaufgeklettert. Meister Hufnagel droben zog ein böses Gesicht ob der Störung. Er schreibt gerade an dem Kapitel von dem grauen Männlein in der Chronika derer von Eldringen. Es soll sich zeigen, wenn dem Hause Böses droht. Eine recht schauerliche Geschichte! Ich machte, daß ich wieder herunterkam. Sie steigt die letzte Treppenstufe herunter, bleibt wieder stehen.

Schwartz Susanne! ... Was hast du getan?

Susanne Aber wo stecktest du, Lieber? Man war in Sorge um dich! Man ängstigte sich um den Herrn!

Schwartz Hast du gehört, womit der Magister sich empfahl?

Susanne nickt mehrmals, schweigt.

Schwartz Also dem Abenteurer meine geheimste Not verraten? Meine tiefste Scham? So handelt Freundschaft!

Susanne geht auf ihn zu Henning Schwartz! Hör' mich an!

Schwartz Was ich durch viele Jahre in meine innerste Seele verschlossen, wie in ein unterirdisches Verlies, zu dem ich selbst den Schlüssel von mir geworfen, das reißest du aus seiner Nacht, aus seinem Grauen, zerrst es ans Tageslicht, wirfst es den gierigen Fingern des Vaganten hin. So handelt Freundschaft!

Susanne Retten wollt' ich dich, Henning Schwartz! Dir selbst zum Trotz! Soll ich mit ansehen, wie du offenen Auges ins Verderben gehst? Deine Tage sind gezählt. Wer weiß, wie bald sich die Teufelsfaust nach dir ausstreckt! Soll ich dabei stehen mit gelähmten Gliedern, versteinert wie Loths Weib, da Sodom in Schwefel unterging ... Der Magister ist klug und wissend wie kein anderer. Ich hab' ihn um Rat, um Hilfe befragt. Zürnst du mir?

Schwartz macht ein paar Schritte, kommt wieder zurück Seltsamer Widerstreit! Ich hatte abgeschlossen, war mit mir selbst im reinen. Alles erschien so klar, so einfach, so durchsichtig. Mein Leben war nicht mehr mein eigen, gehörte mir nur noch wie dem Wandersmann die Zeche, so er vor sich hingelegt hat, noch einmal die Rechnung übersieht, im Geiste das Genossene mit dem geforderten Preis vergleicht, dies billig erkauft, jenes allzu teuer bezahlt findet, dennoch im ganzen den Wirt und die Herberge loben muß, und nun ruhig die Hand von dem Häuflein Dukaten abzieht und zur Tür hinausschreitet. Es war das letzte, was er besaß ... Und jetzt doch wieder zurückgerufen? Abermals hineingezogen in den gastlichen Reigentanz, den ich für immer hinter mir glaubte? ... Gerechter Gott! Soll die Qual des Abschiednehmens kein Ende finden? Susel! Susel! Warum mußtest du mir wieder erscheinen?

Susanne Um dich zu retten! Dir zu helfen! Sieh's als ein Zeichen an! Der Himmel selbst erbarmt sich um dich. Gott ist gnädig! Gott ist barmherzig! Er lenkt deine Schritte hierher. Er läßt mich dich wiederfinden, läßt den Magister zur Stelle sein, den Alleswisser, den Tausendkünstler! Ich zwinge ihn! Zwinge ihn, halb im guten, halb mit Gewalt! Er bequemt sich, widerwillig genug! Aber er muß! Ich bestehe darauf! Das Arsenal seiner, Zauberkünste ist unerschöpflich. Er hat nicht umsonst schon am Galgen gehangen, weil er zuviel gewußt hat. Bei Gott und allen Heiligen! Ich laß ihn ein zweitesmal hängen, wenn er jetzt, gerade jetzt zu wenig weiß!

Schwartz erschrocken Susanne! Welch ein Wahnsinn! Um meinetwillen den Magister ...?

Susanne Er wird sich hüten! Sein Hals juckt ihn noch vom vorigen Mal. Auch meine Fleischtöpfe und meine Goldtiegel sind nicht zu verachten. Er findet, was wir brauchen. Alles wendet sich. Gott selbst ist mit uns gegen die Geister der Hölle!

Schwartz geht hin und her, bricht aus Hölle! ... Himmel! ... Gott! ... Teufel! ... Verdammnis! ... Seligkeit! ... Worte! Worte alles! Spreu! Staub! Wind! Luft! Ich wäge es in der Hand. Es verfliegt, verflattert, ist nichts! Ich greife darnach. Es zerrinnt mir zwischen den Fingern! Der Boden unter mir wankt! ... Unnennbar, unsagbar die Flucht der Gesichte, Susel! Susel! Was wühlst du alles in mir auf?

Er läßt sich auf einen Stuhl fallen, bricht erschüttert in sich zusammen.

Susanne eilt zu ihm, sinkt halb vor ihm nieder, umfaßt ihn Nicht so, nicht so! Nicht verzweifeln, Henning! Herz! Liebster! Glauben! Hoffen! Beten zu Gott! Vertrauen, daß er's gut mit uns meint! Daß uns kein Haar ohne seinen Willen gekrümmt wird! ... Sieh! Was war unser Leben, deins und meins? Ist's nicht wie ein Wunder, daß wir noch sind? Noch atmen, leben, die Sonne sehen, uns freuen können? Daß er mich hierhergeführt hat, aus dem Schmutz, aus der Niedrigkeit da unten im Dorf? Was für ein Wunder das! Manchmal steh' ich im Erker dort, die Sonne geht unter den Spessartbergen schlafen. Ich seh' hinunter ins Tal. Die rußigen Hütten da, wie sie sich um den Schloßberg kauern, gleich einer Herde von schwarzen Schafen um den Schäfer zusammengedrängt. Da unten bin ich hergekommen! In solch einer hab' ich gehaust! Barfuß bin ich gelaufen! Die Gänse und die Schweine hab' ich gehütet! Gehungert hab' ich, gefroren, Prügel bekommen! Und dann die Nacht! Die grauenvolle Winternacht! Schießen, Schreien, Mord, Brand! Eltern, Geschwister, Nachbarn, alles abgeschlachtet! Nur uns paar Mädel am Leben gelassen, fortgerissen, verführt, beschmutzt, geschändet, verwürfelt, verkauft, zertreten ... Und doch steh' ich hier oben, im Erker, zu dem einst die Blicke des Bauernkinds nur schwindelnd emporflogen, bin Herrin von Eldringen und Sulzbach und Auf der Fluhe, und wie die Titel alle heißen, und schau' hinab ins Tal, von wo ich kam. Ist das nicht göttliche Allmacht?

Schwartz Göttliche Allmacht oder des Zufalls blindes Ungefähr. Nenn' es so oder so! Vielleicht kommt es auf eins heraus.

Susanne verhält ihm den Mund mit der Hand Und du selbst, Henning Schwartz? ... Zeugt nicht dein eignes Leben wider dich selbst? Was warst du, da du mit achtzehn Jahren hier dein Ränzel packtest, und auf Nimmerwiederkehr vielleicht den Eldringer Burgweg hinabstiegst? Einfacher Torwächtersleute Sohn. Schmalwangig. Ein armer Student. Auf was wolltest du hoffen? Was konntest du werden? Ein windiges Dorfschulmeisterlein, so den Bakel führt. Wenn's hoch ging, vielleicht ein Theologus, droben in der Spessartödung, wo Fuchs und Wolf sich gute Nacht zubellen. Sieh, Lieber! Und was hat Gottes Gnade aus dir gemacht? Wie hat er seine Hand über dich gehalten mitten im Singen der Kugeln, beim Blasen der Trompeten? Und zu guter Letzt führt er den Kaiserlichen General, der ein Fibelfuchser hätt' werden sollen, gar wohlbehalten zurück ins Vaterhaus und läßt ihn das Grab seiner Eltern wiedersehen und noch dies und das obendrein, wofür er seinem Herrgott danken sollte, statt ihn zu schelten! Sie sieht ihn schalkhaft an, erhebt sich aus ihrer kauernden Stellung.

Schwartz Wahr! Wahr! Wahr das alles! Wahr! ... Und dennoch ... eins hast du vergessen.

Susanne sieht ihn an.

Schwartz Den Ring hast du vergessen, Susanne. Daß dies nicht alles Gottes, sondern des Teufels Kraft an mir gewirkt, wenn anders es mit dem Ringe seine Richtigkeit hatte ...

Susanne bedeckt das Gesicht mit den Händen Der Ring! ... Heilige Jungfrau! ... Der unglückselige Ring! Wär' er nie gewesen! Oder, da er war ... wär' er wieder zurück an deiner Hand!

Schwartz Wünschtest du ihn mir wieder zurück, Susel? Denk einmal: Den Ring! Das Geschenk der Hölle! Den Fluch des Satans, der daran hängt! Und doch wieder ... Seltsam eigentlich! Aber hast du's mir nicht soeben vorgerechnet? Der gleiche Ring auch wieder mit dem Segen des Himmels behaftet? Denn war er es nicht, der all das Wunder an mir verrichtet? Seltsam das!

Susanne Seltsam und nicht. Vielmehr klar und einfach, wenn man's nur richtig sieht. Warum sollte denn Segen nicht stärker sein als Fluch? Zeigt sich nicht auch der Himmel stärker als die Hölle? Weshalb sollte also aus Fluch nicht Segen werden können, wenn Gott es will? Ja, das ist's! ... Der Ring muß an deinen Finger zurück. Der Magister muß ihn dir schaffen.

Schwartz Laß ihn die Altmark absuchen gehen! Zwischen Stendal und Magdeburg. Dort verlor ich ihn.

Susanne Das ist seine Sache. Kann er glitzerndes Gold machen aus plumpem Blei, kann er die Nativität stellen und unsere Sterbestunde darnach berechnen, weshalb sollte er nicht auch einen verloren gegangenen Ring wieder herbeizaubern können? Der hat schwierigere Stücklein auf dem Kerbholz. Ei nun! Jetzt zeige er seinen vielgepriesenen Witz. Er soll es können. Er muß es können. Und bei Gott und allen Heiligen! Er wird es können.

Schwartz bewegt hin und her Mädel! Mädel! Welch ein Wahnsinn! Der Ring zurück ...! Aber gesetzt, der Wahnsinn würde zur Wirklichkeit, das Unmögliche träfe ein, hier wäre mein Finger und hier der Ring ...! Der Höllenring, Susel! ... Sag'! Wär' es denn nicht die Hölle selbst, die wir damit herbeigerufen? Hätt' ich mich nicht zum zweitenmal dem Satan damit verschrieben? Und nicht wie damals im Taumel, im Rausch, von trunkenem Ehrgeiz übermannt. Nein! Freiwillig diesmal. Mit nüchternen Sinnen. Kalten Bluts. Kein Knabe mehr. Ein gereifter, wohlüberlegter Mann. Wie stünd' ich da einst vor deinem und meinem Richter da?

Susanne Wohl wahr! ... Und dennoch ... Käme Zeit, käme Rat. Du wärest gerettet. Für heute. Für lange. Deine Frist wäre erstreckt. Der Ring schützte dich, solange du ihn am Finger trügest, wie er dich früher geschützt mit seiner Zauberkraft ...

Schwartz Susel! Hör' mich einmal an!

Susanne fortfahrend Dann ... Später ... Vielleicht wenn du alt oder älter zum wenigsten ... Wenn du dein Leben gelebt, die Farben verblichen, der Abend da ... Dann ... Dann wäre die Zeit der Reue, der Buße, der Einkehr! ... Nein! Gott verzeih' mir die Sünde! Schon früher. Sogleich, wenn es sein muß. Nur Zeit haben! Laß es mich für dich tun. Ich will auf den Knien für dich beten. Tag und Nacht! Wallfahrten will ich für dich gehen. Barfuß wie ehedem. Nur Zeit haben! Zeit! Zeit! Der Magister muß sie uns schaffen. Der Ring muß herbei. So oder so! Sie sinkt erschöpft auf die Ruhebank rechts.

Schwartz tritt zu ihr hin Susanne! Ein Wort klingt mir seit heute morgen im Ohr. Ich kann es nicht vergessen.

Susanne schweigt, starrt vor sich hin.

Schwartz Erst war es wie ein ganz, ganz fernes Lichtpünktchen, das sich durch die Nacht bewegt. Es blitzt auf, verschwindet, erscheint von neuem. Du weißt nicht, kommt es näher, entfernt es sich, ist es da, dort? Aber es ist. Du starrst wie behext in das Dunkel. Deine Augen saugen sich voll damit. Es deucht dich größer zu werden. Der Lichtschein wächst, die Helligkeit überflutet Weg und Steg. Geblendet hältst du die Hand vor die Lider. Da merkst du erst, daß das Licht viel mehr inwendig in dir ist, denn draußen. Und du ergibst dich drein und fängst an zu unterscheiden, was so lange nächtig in dir war. So erging es mir, Susanne, zwischen heute früh und dem Abend jetzo, mit einem einzigen Wort oder Satz.

Susanne sieht zu ihm auf Welch ein Wort, Lieber? Sag' es! Ob es gleich nichts helfen wird.

Schwartz Ein Zauberer oder Gaukler oder Arzt oder Nekromant sprach es mir heute um die zehnte Stunde, kurz ehe du mir reif und schön wie ein Sommermorgen wieder erschienen.

Susanne Wohl der baumslange Marktschreier, den wir auf dem Dorfplatz agieren hörten, mit dem blonden Mädel zur Seite?

Schwartz Der gleiche, Susel!... Kein Wunder in dieser Welt, so orakelte er, das sich nicht natürlich erklären ließe.

Susanne zerstreut Ach, Lieber! Eines Landfahrers Rede!

Schwartz Nein, nein, Susel! Nicht gar so von oben herunter! Ein tiefes Wort. Wohl wert, ihm nachzusinnen. Kein Wunder ...

Susanne ebenfalls grübelnd So sich nicht natürlich erklären ließe?

Schwartz Kein Wunder ohne natürlichen Grund, Susel. Beacht' es wohl.

Susanne Somit im Grunde wohl überhaupt keine Wunder? Ist es das?

Schwartz Sondern alles natürlich zu erklären auf dieser Welt. Getroffen, Susel! Das ist das Lichtlein, was er mir aufgesteckt.

Susanne Überhaupt keine Wunder mehr in der Welt? Welch eine Ketzerei! ... Sag' deinem Freund, dem Ruffianer, er möge seine vorlaute Zunge vor Hochwürdens scharfen Ohren und auch vor meinen Bauern hüten. Trocknes Reisig ist bald zusammengeschleppt. Wer weiß, ob ich ihn zu retten vermöchte.

Schwartz Susanne! ... Auch du?

Susanne Nicht ich, Lieber. Ich laß ihn leben. Mag er hundert Jahr alt werden und beweisen, daß der Mann im Mond auf dem Kopf spazieren geht! ... Aber sag' selbst! Keine Wunder mehr? Alles natürlich? Was ist dann noch? Was bleibt dann noch? Welch eine Ketzerei!

Schwartz Und doch Erleuchtung, Befreiung, vielleicht gar Rettung für mich, Susel. Denn sieh, Herz, wenn es keine Wunder gäbe, wenn das wahr wäre, daß alles auf einen natürlichen Grund zurückzuführen ... Wär' es nicht der Wunder größtes, daß der Teufel zu mir gekommen und mir einen Ring verkauft ...?

Susanne Aber er kam zu dir! Der Ring war wirklich und leibhaftig. Du trugst ihn viele Jahre. Ich kannt' ihn selbst an deinem Finger, den Eisenreif mit dem Blutstein dran. Wie manches Mal, wenn du im Lagerzelt schliefst, hab' ich mich in sein düsteres Glimmen versenkt! Das Öllämpchen flimmerte nur. Aber aus der Tiefe des Steins kam ein seltsam rötlich bläulich Leuchten gleich fernem Schwefelschein der Hölle. Die Augen gingen mir über. Die armen Glieder zitterten. Ich warf mich zu dir und umfing dich... Das war der Ring. Oder war er am Ende nicht? Henning Schwartz! Wie kannst du sagen, er war nicht? Sie starrt ihn erschrocken an:

Schwartz streicht ihr mit der Hand übers Haar Armes, erschrecktes Vögelchen! Fürchtest du gar für meinen Verstand? ... Fürchte nichts. Noch gehört er mir. Der Ring war. Und der ihn mir. gab, nicht minder.

Susanne Nun also? Also?

Schwartz Wer aber sagt mir, daß es der Teufel war, der ihn mir gab? Wäre das nicht ein Wunder sondergleichen gewesen? Und Wunder sollen ja nicht sein, wie mein Freund der Gaukler orakelt, sollen sich natürlich erklären lassen, wie alles auf dieser Welt. Wer also sagt mir, daß es der Teufel gewesen?

Susanne Der Teufel oder des Teufels Gesellen! Einerlei! Du bist ihm verfallen, wenn nicht Rettung kommt.

Schwartz Ihm verfallen, wenn es gar nicht der Teufel war? Und der Ring ein Pfand der Hölle, wenn er vielleicht gar nicht aus der Hölle kam? ...

Susanne Aber der Schutz, den dir der Ring verliehen? Hat er dich nicht fest gemacht? Dich zu Ehr' und Würden gebracht?

Schwartz Ach, Susel, trüg' ich wohl den Säbelhieb hier über Stirn und Schläfe, den Denkzettel an den Tag, da wir uns verloren, trüg' ich ihn, wenn der Ring mich in Wahrheit fest gemacht hätte?

Susanne Vielleicht nicht hiebfest, Henning. Nur stich- und kugelfest. Hat man nicht oft dergleichen gehört. Hast du mir nicht selbst einmal erzählt, daß der Holk, der Tilly, der große Friedländer gar, den Ketzerkönig Gustavus nicht zu vergessen, daß die alle auf solche Weise gefroren gewesen? ...

Schwartz steht in Sinnen da, sieht nach einem Weilchen auf Schau, Susel! Soviele Jahre, ihrer zehn und mehr, stand ich im Bann des Rings, all mein Sein und Wesen kreiste um den roten Stein an der Hand. Nicht umsonst hatte ich meine Seele darum verschrieben. Ich stieg und stieg, ward groß, wenn auch mir selbst noch längst nicht groß genug, und meine Seele hing an dem Stein und an dem Ring. Zehn Jahre so. Da, eines Tages, knapp vor dem Gipfel, an den ich schon meinen Fuß gesetzt, dicht vor dem goldnen Ziel, der Sehnsucht schon auf Atemsnähe erreichbar, der Ring verloren. Unwiederbringlich dahin. Und doppelt heißer, dreifach brünstiger als vordem um den besessenen, kreiste von da ab meine Seele um den verlorenen Ring, kreiste und wirbelte und verlor am Ende sich selbst, verlor Ehrgeiz, Mut, Hoffnung, Freude, Kraft, Leben ... Der Fluch des Rings war nahe daran, sich zu erfüllen, getreu nach dem Pakt von einst. Aber siehe da! Welch ein Wunder ... Wenn Wunder wären, Susel, wohlgemerkt. Ein Gaukler kommt und spricht ein Wort und spricht mich frei. Susel! Ein Gaukler hätte mich freigesprochen. Wie wunderlich das!

Susanne Also Wunder doch, Henning Schwartz? Warum dann nicht Wunder gegen Wunder? Siehst du wohl, wie ich dich gefangen habe? Du selbst vom Wunder ganz umstrickt und mir willst du's wehren. Ha, Freundchen! Nun diktier' ich das Lösegeld.

Schwartz lächelnd Nenn' es mir.

Susanne Versprichst du, mir zu gehorchen, wie ich's für gut befinde?

Schwartz Soweit es sich mit meiner Mannesehre verträgt.

Susanne Du hast deine Ehre eingesetzt! ... Der Ring muß an deinen Finger zurück. Der Magister muß ihn dir schaffen.

Schwartz Susel! Schon wieder der Ring! Soll er jetzt dich verblenden, wie er so lange mich verblendete?

Susanne Ein Mittel gibt es, um zu ergründen, ob er ein Blendwerk ist oder nicht.

Schwartz sieht sie fragend an.

Susanne Entweder der Ring ist Zauberei oder nicht, ist das, wofür du ihn so lange gehalten, du, ich, ein jeder, ein Pfand der Unterirdischen, oder er ist es nicht! ... Nun wohl! Wenn es ein Zauberring ist, so muß es auch möglich sein, ihn durch Zauberei wieder herbeizuschaffen, sobald er verloren gegangen. Und dafür ist der Magister da.

Schwartz Susanne! Welch eine Narretei!

Susanne Es kommt auf die Probe an! Du hast geschworen, dich zu fügen. Besteht er die Probe, ich meine der Ring ... Wird er von dem Magister bis morgen zur Stelle gebracht, so ist seine Wunderkraft erwiesen und ich habe recht. Du fügst dich und steckst ihn an seinen alten Platz. Was später kommt, sei Gott befohlen.

Schwartz Und wenn er sich bis morgen nicht wiederfindet?

Susanne Das überlaß dem Magister!

Schwartz Wundergläubige Seele! Soll ich an dir schelten, was ich soeben noch in mir selbst gehegt und gepflegt? ... Es sei! Er streckt ihr die Hand hin.

Susanne mit beiden Händen einschlagend Du bist gerettet, Henning Schwartz! Du bist gerettet!

Schwartz ungläubig lächelnd Möge dein Traum sich erfüllen! ... Oder sollt' ich nicht lieber wünschen, er erfüllte sich nicht? ... Ich weiß es selbst nicht. Ich weiß nur, wenn er sich erfüllt, so hätt' ich einen doppelten Fund gemacht.

Susanne sieht ihn fragend an.

Schwartz Nicht nur einen wunderhaften Ring hätt' ich wiedergefunden. Nein! Mehr als das! Auch ein zaubervolles Herz ...

Susanne senkt errötend den Kopf Oh! Geh!

Schwartz zieht sie an sich Das ich mir nicht minder längst verloren geglaubt.

Susanne in seinen Armen Nie, nie, Henning Schwartz! Niemals! Sie stehen ein Weilchen, halten sich umfangen.

Natalie erscheint auf der Wendeltreppe links hinten, steigt schnell herunter, zögert dann, als sie das Paar erblickt.

Schwartz wird sie gewahr, löst sich von Susanne Dein Bäschen, Susanne! ... Was wird sie denken?

Susanne Ei, Bester! Was die jungen Mädchen so denken, wenn sie zwei, die sich lieb haben, beisammen sehen. Wie schön es wohl wäre, wenn sie auch so einen im Arm hielten! Zu Natalie Nur näher, näher, Kind!

Natalie sich nähernd, etwas befangen Komm' ich zur Unzeit, Muhme? Ich suchte dich im ganzen Haus. Nun stör' ich wohl?

Susanne Im geringsten nicht, Kind! Der Oberst und ich sind alte Freunde, wie du weißt. Da gibt es nichts zu verbergen.

Schwartz Habt Ihr meinen Leutnant irgendwo erblickt, Fräulein? Ich hätte ein Wort mit ihm zu sprechen. Aber der sitzt wohl wieder beim Tauberwein fest.

Natalie Ich hab' ihn nirgend gesehen, hab' wohl auch nicht viel achtgegeben ...

Schwartz Nun, so pürsch' ich mich selbst auf seine Fährte. Es wird kein großes Jagdstück sein. Er winkt den Frauen zu, geht nach rechts ab.

Susanne ruft ihm nach Komm' bald wieder, Henning

Schwartz! Ich warte mit dem Nachtessen auf dich.

Natalie steht einen Augenblick, wirft sich dann Susanne an die Brust Du auch, Muhme? Du auch?

Susanne Was ficht dich an, Kind? Wieder verliebt? Zum wievieltenmal wohl? Nun in den Ritter?

Natalie Ach, der Ritter! ... Er! Er! ... Eigentlich sollt' ich dich hassen! Sie läßt von Susanne ab, stampft ein wenig mit dem Fuß auf.

Susanne Also der General? ... Ei sieh? ... Und eben war es noch der Ritter? Aber warum mich hassen?

Natalie Alle fallen sie dir zu. Nach mir fragt keiner. Gewiß! Du bist schön. Klug. Reich. Ich nur ein armes Findelkind.

Susanne Geh! Die alte Litanei! Du bist eine Eldringen. Nicht weniger denn ich. Vielleicht sogar mehr. Wer weiß, warum der General, mein verstorbener Mann, dich zu sich genommen und dir seinen Namen gegeben! Irgendein Geheimnis mag wohl dahinterstecken. Er hat mir's nie verraten wollen.

Natalie Ein Geheimnis! Ah! Vielleicht wär' ich aus großem Haus?

Susanne Genügt dir das unsere nicht?

Natalie Wohl gar ein Fürstenkind?

Susanne Mein Mann, dein verstorbener Ohm, pflegte zu sagen, eine Eldringen brauche sich vor keiner Prinzessin zu verstecken. Nur des Kaisers Majestät stünde über uns. Ich hab's mir in goldenen Buchstaben eingeschrieben.

Natalie Ja, du!

Susanne Ja, ich! Und warum nicht du? Ich bin eine Bauerntochter, du ein Findelkind. Und doch sind wir beide, was wir sind, und tragen unsern Namen mit Fug und Recht. Die blutige Zeit und der eiserne Krieg haben uns dazu gemacht, und der Herr über Leben und Tod hat seinen Segen gegeben. So ist es gut. Und ich steh' meinen Mann gegen jeden, so mir's anfechten will, ob Ritter, ob Knecht. Du aber? Hast du nicht Anteil an allem Meinen? Bist du nicht Kind im Hause? Worüber beklagst du dich?

Natalie wirft sich von neuem an ihre Brust Es ist dumm! Ich weiß, du bist gut. Aber wenn ich sehe, wie alle nur nach dir schauen, nur um dich sich reißen, und ich steh' dabei und gelte als Luft ...

Susanne sie streichelnd Schäfchen! Du bist achtzehn Jahre. Dich kränzt noch jeder Tag mit Veilchen und Tausendschön. Laß sie noch ein Weilchen warten, die Myrte.

Natalie Nicht das ist es, Muhme! ... Nur so im Vergleich mit dir ...!

Susanne Für mich, Kind, sind Reseden und Heliotrop nicht mehr so fern. Drum eilen sie sich wohl auch so bei mir, die Männer. Wenn man sechsundzwanzig ist ...!

Natalie Aber der Ritter zählt zweiundzwanzig und wirbt um dich.

Susanne Wohl mehr um meine Güter, Natalie. Mich nimmt er so drein, wohl oder übel. Und wenn ich nein sage, verklagt er mich beim Reichskammergericht. Ein hitziger Freier!

Natalie Pfui, Muhme! Ihn so zu kränken! Was vermag er gegen seine Familie! Sie sind es, die so denken.

Susanne Nun gut! So mag er seiner Familie den Korb heimbringen, den ich ihm gebe.

Natalie Er selbst ist groß und edel gesinnt, Mühmchen. Und er liebt dich von ganzer Seele. Hättest du sein Poem auf dich gehört ...! Er wirbt um dich, weil er dich liebt.

Susanne lächelnd Um mich wirbt er und dir liest er seine Gedichte vor. Wen liebt er nun mehr?

Natalie Hättest du sie nur gehört! Du würdest höher von ihm denken. Er hat nicht umsonst das Dichterpatent vom Schleizer Grafenhof bekommen.

Susanne Ah! Ich neige mich. Hat er's dir vorgezeigt?

Natalie Ein großmächtig Dokument mit Krone und Wappen und dem gräflich Schleizischen Insiegel. Er führt es in einer blechernen Kapsel mit sich, die ihm Tag und Nacht nicht vom Leibe kommt. Es steht darin, daß er sich einen Dichter von Gottes und gräflich Schleizischen Gnaden nennen darf.

Susanne Und ein solcher wirbt um mich! Soviel ich erlebt hab' ... Von einem Dichter gefreit zu werden, hätt' ich mir niemals träumen lassen.

Natalie Ach, wie er dich besingt! Einen Schwan nennt er dich einmal, der buntgefiedert auf den purpurnen Wassern der Liebe schwimmt.

Susanne Nennt er mich einen Schwan? Nun Gott sei Dank, keine Gans!

Natalie Dann wieder eine gold- und silberglänzende Muschel, aus den Tiefen des Okeanos entstiegen, die in ihrem Innern eine Perle birgt ...

Susanne Damit meint er wohl meine Güter?

Natalie ohne auf sie zu hören Und die er mit seinen liebeglühenden Fingern öffnen möchte ...!

Susanne Das sind die Prozeßakten beim Reichskammergericht.

Natalie Ach, du hast keine Poesie, Muhme! Wer sechzehn Strophen so dichten kann, eine immer schöner als die andere und mit den seltensten Reimen, alles ganz künstlich durcheinander geflochten, gleich einem Teppich aus dem Morgenland ... Wer so etwas kann, der darf sich fürwahr einen Dichter von Gottes Gnaden nennen.

Susanne Von gräflich Schleizischen nicht zu vergessen! ... Aber wann hat er das alles gemacht? Er kennt mich doch erst seit heute mittag?

Natalie Er hat es im vorhinein gemacht. Rein aus der Phantasie! Begreifst du jetzt, was er für eine große Seele im Busen tragen muß?

Susanne Nun also! Ich geb' euch zusammen, euch zwei große Seelen. Habt euch!

Natalie Damit du den General für dich behalten kannst! ... Falsche!

Susanne Nun wieder der General und nicht der Ritter mit seiner Dichterseele?

Natalie Aber seine Seele gehört ja dir. Was soll ich mit einem Mann anfangen, der eine andere bedichtet? Eigentlich recht unverfroren von dem Seigneur, mir seine Liebesschmerzen für dich vorzuflöten!

Susanne Ei nun, Kind! So sind die Dichter. Mich liebte er aus der Entfernung. Dich liebt er jetzt in der Nähe. Mir scheint, du könntest zufrieden sein.

Natalie Nein, nein, geh' mir mit dem Ritter! ... Was ist er gegen den General! Das ist ein Mann! Ein Held!

Susanne Das ist er, Natalie! Er hat's bewiesen. Beweist es noch stündlich,

Natalie Er hat in hundert Bataillen die Kugeln über sich pfeifen hören. Man liest ihm am Gesicht ab, daß er sich weder vor Hölle noch Teufel fürchtet. Er könnte kalten Blutes ein Weib sich zu Willen zwingen, ob sie noch so wimmerte! ... Und er hat's getan. Ich weiß es bestimmt. Er hat's getan.

Susanne Nun ja, der Krieg! ... Was entschuldigte nicht die Not und der Einsatz des eigenen Lebens? Wer zwanzig Jahre tagtäglich seine Haut zu Markte trägt, darf sich wohl Gold und Weiber als Vorschuß darauf nehmen ... Aber du machst ja einen Werwolf aus ihm.

Natalie Besser ein Werwolf als ein Waschlappen! Was entschuldigst du ihn! Rühmen solltest du ihn deshalb. Das wäre Liebe. Wer ihn erst entschuldigen muß, liebt ihn nicht.

Susanne halb lachend Belehrst du mich über Liebe, Kücken? Liebe ist nicht wie Hirsebrei, den man nur nach einem Rezepte kocht. Liebe ist hunderttausendfach. Soviel es verschiedene Menschen gibt, so verschieden ist Liebe. Du, ich, Kunz Stoffel und der Kaiser von China, ein jedes von uns liebt nach einem anderen Rezept.

Natalie Ich lieb' ihn, wie er ist. Als einen Mann von Stein mit einem Herzen von Eisen.

Susanne wie vorher Warum nicht auch umgekehrt? Als einen Mann von Eisen mit einem Herzen von Stein? So würd' ich ihn lieben, falls ich ihn liebte ... Aber ich lieb' ihn ja gar nicht, Kind.

Natalie wirft sich von neuem an ihre Brust Du liebst ihn nicht? Oh, dann ist es gut! Auch ich lieb' ihn nicht. Ich hass' ihn vielmehr. Leiden möcht' ich ihn sehen! Es müßte eine Wonne sondergleichen sein, es leiden zu sehen, dieses steinharte Herz! Leiden sollt' es, bis es verzweifelte!

Susanne Das wäre noch Liebe!

Natalie Und dann die Arme öffnen ...

Susanne Und ihm an die Brust fliegen ...

Natalie O wie banal, Muhme! ... Nein! Die Arme öffnen und kopfüber zum Fenster hinaus in den Abgrund springen!

Susanne Und sich das Genick brechen! Wozu?

Natalie Um ihm zu zeigen, wie sehr man ihn geliebt hätte. Vielleicht schmölze dann sein eisernes Herz. Und der Ritter müßte nachher ein kunstvolles Poem darüber dichten, im Geschmack des Herrn von Hofmannswaldau. Es wäre ein wunderschöner Stoff für ihn und sehr rührend zu lesen für alle Liebenden der Nachwelt. Der Opfertod der Phyllis könnte es heißen, und mit Dämon wäre natürlich der General gemeint.

Susanne Der Opfertod der Phyllis? ... Hm! Also opfern muß man sich, wenn man liebt? So meinst du?

Natalie Ich würde mich auf der Stelle opfern, Mühmchen, wo ich liebte. Es müßte ein seliges Sterben sein.

Susanne Könnte man nicht auch leben und sich opfern?

Natalie Aber das wäre dann keine Seligkeit. Das wäre nur wieder banal! ... Jede Gänseliesel könnte das.

Susanne sich aufrichtend Schilt mir nicht auf die Gänselieseln! Es sind starke Herzen darunter. Die Türe rechts wird geöffnet.

Hülff erscheint auf der Schwelle, bleibt beobachtend stehen.

Susanne erschrickt unwillkürlich, da sie ihn erblickt Mein Gott! Ihr erscheint ja, als ob Ihr der Spukgeist von Eldringen wäret, wovon der Meister Hufnagel grade in seiner Chronika schreibt.

Hülff schlägt ein Kreuz Benedicatur Dominus! Friede sei mit Ihro Gnaden und Ihro Gnaden ganzem Hause!

Susanne Das sprecht Ihr, wie wenn es heißen sollte: Hol' Euch der Teufel alle mitsammen!

Hülff Gott und der Teufel halten gute Nachbarschaft, Euer Gnaden. Das Sprichwort sagt: Wo Gott eine Kirche baut, da will auch der Teufel eine Kapelle haben. Wäre es somit so sehr zu verwundern, wenn einmal der Teufel etwas in Gottesnamen täte oder womöglich der Herrgott etwas in Teufelsnamen?

Susanne Spielt nicht so Fangball mit heiligen Dingen!

Hülff Dafür werde ich ja von Euer Gnaden bezahlt, daß ich Gott und den Teufel durcheinander werfe. Wozu wäre ich sonst Ihro Gnaden alleruntertänigster Possenreißer und Wundertäter!

Susanne schrickt zusammen, mit rascher Bewegung zu Natalie Geh' hinunter, Kind! ... Leiste unserm Gaste, dem Ritter von Seidenfuß, noch etwas Gesellschaft. Und morgen vormittag, wenn die Frist abgelaufen, erwart' ich ihn.

Natalie Ich will's ausrichten, Muhme.

Hülff mit Gebärde gegen sie Der Himmel segne Euch und schenke Euch in Bälde einen Mann, schönes Fräulein.

Natalie Was erlaubt Ihr Euch? Der Ton! Wer seid Ihr?

Hülff Fürs erste nur ein niedriges Werkzeug des göttlichen Willens. Aber wer weiß! Dermaleinst vielleicht mehr.

Natalie geht mit erhobenem Kopf nach rechts ab.

Hülff schnalzt mit der Zunge Der Wuchs! ... Ei verflucht! Will sagen ... Herr, führe uns nicht in Versuchung!

Susanne Ihr nehmt Euch viel heraus, Herr Magister!

Hülff Wer manches zu bieten hat, darf sich auch einiges herausnehmen, Euer Gnaden.

Susanne Laßt mir wenigstens das Kind aus dem Spiel!

Hülff Immerhin ein Kind von tausend Wochen, Euer Gnaden. Das appetitlichste Alter zum Spielen mit Kindern!

Susanne fährt auf Ihr seid ein ... Sie beherrscht sich, wendet sich ab.

Hülff faßt sich an den Hals Ein Galgenstrick, wollt Ihr sagen? Denn wer schon am Galgen gehangen, dem bleibt der Strick um den Hals, auch wenn er längst abgeschnitten. Aber sollte das nicht auch für andere Fälle gelten? Zum Exempel, wenn eine Edelfrau einmal Soldatenliebste gewesen?

Susanne Mir aus den Augen! Und laßt Euch nie wieder blicken!

Hülff Euer Gnaden Wunsch sei mir Befehl. So brauch' ich wenigstens keine teuflischen Zauberkünste mehr zu treiben, und meine Seele hält sich blank, wie sie vom Galgen herunterkam. Er will gehen.

Susanne Bleibt! ...

Hülff wieder nähertretend Was erbost sich Euer Gnaden so um ein unschuldig Wort? Wissen wir nicht alle, daß unser Leben kein Kinderspiel gewesen ist? Wo gäbe es seit dreißig Jahren Mann oder Weib, so nicht mit zerbrochenen Gliedmaßen aus dem Getümmel gekommen?

Susanne mit Blick hinauf Mit zerbrochenen Gliedmaßen! Mag sein! Aber, so Gott will! mit einem reingebliebenen Herzen, ob auch der Leib befleckt und zertreten ward!

Hülff mit heruntergezogenen Mundwinkeln Ich gratuliere Euer Gnaden dazu. Nicht einem jeden war es so gut zuteil. Ich habe ein paar hartgesottene Sündenbraten gekannt, die von Herzen gern in sich gegangen wären und dem Teufel abgesagt hätten. Aber glaubt Ihr, sie hätten es gekonnt? Immer wieder hat sie der Kasper in seine Krallen bekommen, und das Ende war Heulen und Zähneklappern. Es entgeht eben niemand seiner Bestimmung, Euer Gnaden, und nicht umsonst heißt es, wer am Galgen sterben soll, stirbt nicht im Bett.

Kurzes Schweigen.

Susanne Habt Ihr Euch mein Ansinnen überlegt?

Hülff Zu dienen, Euer Gnaden.

Susanne Könnt oder vielmehr wollt Ihr den Ring herbeischaffen? Denn wenn Ihr wollt, so könnt Ihr.

Hülff Ihr zwingt mich dazu. Gut! So will ich denn. Und also kann ich's.

Susanne Ihr könnt? Und Ihr wollt? Ah! Seht Ihr wohl, wie recht ich hatte, Euch zu zwingen! Euch darf man nicht mit Handschuhen anfassen, wo es etwas gilt. Seht Ihr wohl wie Ihr auf einmal könnt, wenn Ihr wollt, da Ihr müßt? ... Närrin ich! Mich auch nur zu besinnen! Ein teures Leben auf dem Spiel! Und ich schwankte noch? Natalie hat recht! War das Liebe? Mit Wendung zu Hülff Bis wann getraut Ihr Euch, die Beschwörung ins Werk zu setzen? Nennt Eure kürzeste Frist! Und weh' Euch, wenn's nicht auf den ersten Hieb gelingt!

Hülff Bis morgen früh, Euer Gnaden! Seid ohne Sorge! Es gelingt. Aber zuvor eine Kleinigkeit!

Susanne Was denn noch? Wozu fackelt Ihr? Geht ans Werk! Die Maiennacht ist kurz. Beim ersten Drosseltriller erwart' ich Euch mit dem Ring.

Hülff Nur eine Kleinigkeit, Euer Gnaden! Ich verlange meinen Preis.

Susanne Nennt ihn! So hoch er sei, er ist gewährt.

Hülff Der Preis seid Ihr selbst. Dafür schaff' ich Euch mit Gottes oder des Teufels Hilfe den Ring.

Susanne sieht ihn starr an Mich selbst ... wollt Ihr? ... Wie meint Ihr das?

Hülff Wie wäre das wohl zu meinen zwischen Mann und Weib? Nun eben Euch selbst! Nicht mehr und nicht weniger.

Susanne Ungetüm Ihr! Soll ich Euch ans Burgtor hängen lassen, als Fledermausscheuche des Nachts?

Hülff Es wäre schade um den Kopf, der da faulen müßte. Auch verhülfe es Euch nicht zu dem Ring. Der Herr Kaiserliche General würde Euch wenig Dank wissen für so prompte Justiz.

Susanne Nehmt den Namen nicht in Euer verruchtes Lästermaul! Ihr begeifert, was Euch über die Lippen kommt. Gott, Liebe, Barmherzigkeit! Alles begeifert Ihr! Sie bricht auf einem Stuhl rechts am Tisch zusammen.

Hülff Ich ziehe vor, mich in Stille zu entfernen, um Euer Gnaden nicht noch mehr zu reizen. Lebt wohl! Ich gehe, mich wieder in die Einsamkeit meines Klosters in den Felsenschluchten der Sierra Nevada begraben. Er macht ein paar Schritte zur Tür.

Susanne springt auf, mit ausgebreiteten Armen, als wolle sie ihn halten Mich ... selbst ... wollt ... Ihr?

Hülff bleibt stehen Also gedenkt Euer Gnaden doch noch der Frage näher zu treten?

Susanne mit weit aufgerissenen Augen Wie ... wollt ... Ihr ... mich? ... Nur für heute? ... Oder für immer? ... Sagt: Für heute! ... Dann ist es gut.

Hülff Ei verflucht! Will sagen, da sei Gott vor! Wiewohl auch ein solcher Gedanke grundsätzlich nicht zu verachten. Aber Euer Gnaden mißkennt mich wie gewöhnlich. Meine Absichten sind durchaus ehrbarer Natur. Ich bewerbe mich um Eure Hand.

Susanne Heiraten ... wollt Ihr mich?

Hülff Bekomme ich Eure Hand, so bekommt Euer Gnaden dafür den Ring, und der Herr Kaiserliche General ist bis auf weiteres in Sicherheit. Ich dächte, das wäre ein glattes Geschäft und klar wie die liebe Sonne. Eine jede Partei fände Ihren Vorteil dabei. Verweigert mir aber Euer Gnaden Ihre Hand ... Nun gut! So möge der Satan behalten, was sein ist.

Susanne immer wie geistesabwesend Heiraten wollt Ihr mich? ... Also meine Güter wollt Ihr! ... Sagt es doch offen heraus!

Hülff Ich leugne nicht, daß mir Ihro Gnaden Schlösser und Ländereien als keine unerwünschte Zugabe zu Eurer anbetungswürdigen Person erscheinen. Umsonst ist der Tod. Ich stamme aus den Tiefen der Menschheit, wie Euer Gnaden ja auch. Weshalb sollte ich nicht ebensogut in die Höhe dürfen, wie Euer Gnaden? Ist irgend etwas an mir, was mich von den irdischen Gütern dieser zwar verruchten, aber sehr appetitlichen Sündenwelt ausschließen müßte? Besitze ich weniger Geist, Witz, Ingenium denn andere, die sich jetzt hier bei Euch einzunisten suchen? Soll ich meine wohlverdiente Position hier im Hause von landstreichenden Maulwürfen unterminieren lassen? Umsonst ist der Tod. Aber wenn ich in die eine Waagschale meine unsterbliche Seele werfe, die ich für Euren Wunsch aufs Spiel setze, so könnten alle Güter der Welt in der anderen jene nicht emporschnellen machen, wenn sich zu dieser nicht Eure bezaubernde Person gesellte, schöne Frau!

Susanne drückt den Kopf in die Hände Haltet ein! Mir schwindelt von Eurem Wortschwall.

Hülff mit feuriger Geste So nehmt statt der vielen nur das eine Wort, das ich solange in der Tiefe meines Busens verschlossen: Ich lieb' Euch, schönste der Frauen! Ich lieb' Euch mit aller Brunst des Herzens und der Sinne! Warum sollte ich mir die gute Gelegenheit nicht nutzbar machen, Euch zu besitzen, da ich Euch so liebe?

Susanne mit abwehrend ausgestreckten Händen Sprecht nicht von Liebe! Sprecht von Geschäften! Von Nutzen! Von guter Gelegenheit! Nur nicht von Liebe!

Hülff Ich spreche von Liebe, Euer Gnaden. So wahr mir der himmlische Vater helfe! Denn ist es nicht Liebe, sich für den geliebten Gegenstand zu opfern? Und welches Opfer wäre größer, als seine unsterbliche Seele, die man schon gerettet wähnte, von neuem in die Klauen des Satans zu geben, nur damit ein anderer, ein Nebenbuhler, daraus befreit werde? Wenn das nicht Liebe wäre, was wäre sonst noch Liebe, Euer Gnaden?

Susanne hat mit aufgerissenen Augen zugehört Auch Ihr redet von Opfern um der Liebe willen? Wer redet denn nicht davon? Gerechter Gott! Sie alle reden von Opfern um der Liebe willen. Sogar der Teufel selbst wäre imstande, davon zu reden! Nur ich allein nicht? Mein Herz weiß nichts davon? Fühlt nichts davon? Ich allein in der Welt so kalt und unfruchtbar, daß mir kein winzigster Keim von dem aufgeht, was alle Herzen befruchtet? Gott! Gott! Hilf mir! Sie steht entrückt, mit erhobenen Händen da.

Hülff schlägt das Kreuz über sie So ist es recht, Euer Gnaden. Der Herr stärke und erleuchte Euch zu dem Opfer, so Ihr zu bringen habt. Und das bald. Es könnte sonst ein verdammt schleuniges und greuliches Ende mit Eurem Herrn Freund nehmen. Der Meister Valand fackelt nicht lange.

Susanne Versprecht Ihr mir den Ring bis morgen früh? So wahr Gott lebt!

Hülff Gott oder der Teufel! Denn des einen Leben bedingt auch das Leben des anderen und, wie es im Volksmund heißt, der Teufel hilft manchmal eine Kirche bauen. Ich versprech' es Euch.

Susanne So versprech' ich Euch in Erwiderung dessen meine Hand! ... Seid Ihr's zufrieden?

Hülff So zufrieden, als ich wünsche, daß mit Gottes Hilfe Euer Gnaden zufrieden ist.

Susanne entgeistert Ja, Gott wird helfen, wenn kein anderer mir hilft. Auf ihn bau' ich.

Hülff nähertretend Wollt Ihr mir nicht ein Zeichen Eurer Widerliebe geben, geliebteste aller Frauen?

Susanne tritt zurück Wartet bis morgen!

Hülff Aber Euer Gnaden hoffe nicht, mich zu täuschen und mich etwa, nachdem der Ring in Eurem Besitz, um den Lohn meines Opfers zu bringen. Der Urian selber käme aus der untersten Hölle heraufgestunken, um den Treubruch an Euch und zumal an ihm zu rächen. Sein Leben wäre keine Bohne mehr wert.

Susanne Opfer um Opfer! Was ich versprochen hab', werd' ich halten. Was danach kommt, geht nur mich allein an. Mehr kann auch der Teufel nicht von mir verlangen.

Hülff Daß niemand sich erdreiste, mich im Turm droben zu stören! Hekates Fluch über den Eindringling! Er verbeugt sich, geht nach hinten links zur Wendeltreppe, steigt langsam zum Turm hinauf, verschwindet.

Susanne steht regungslos da, bis er fort ist, wirft sich vor dem Kruzifix links vorn nieder Barmherziger Gott im Himmel! In welche Hände hab' ich mich gegeben! Aber du siehst mein Herz, Ewiger. Und du weißt auch das Opfer. Nimm es gnädig an! Sie sinkt mit dem Kopf auf das Betpult.

Schwartz ist während der letzten Worte von rechts hereingetreten, stutzt, da er Susanne vor dem Kruzifix erblickt, kämpft mit sich, tritt näher Susel!

Susanne fährt auf Ah! Du bist's, Lieber? ... Ich überhörte dich.

Schwartz Aber ich nicht dich, Susel.

Susanne verwirrt Ein kurzes Stoßgebet! Wie's einem manchmal so einkommt! ... Was hörtest du denn?

Schwartz Nicht deine Worte, Susel. Aber wohl deine Stimme. Sie klang wie aus tiefster Not.

Susanne Ich betete um Regen für meine Wiesen, Lieber. Aber wo nicht ... Nun gut! So werden die Kühe eben weniger Milch geben. Man wird darum nicht verdursten oder verhungern.

Schwartz Susanne! Es geschah um meinetwillen. Irgend etwas geht vor. Der unglückselige Ring! Hätt' ich's mir nie herauslocken lassen! Wie ein Irrwisch umtanzt er dich. Sein trügerisches Glimmen! Ich kenn' es. Es hat mich lange genug in die Irre gelockt. Jetzt auch du ihm verfallen? Ich duld' es nicht. Du hattest ein Gespräch mit dem Magister.

Susanne Hat sie's dir auf der Stelle klatschen müssen? Weiber bleiben doch Weiber!

Schwartz Ich traf deine Base bei den Nägelein im Gärtchen drunten. Auf mein Drängen gestand sie's mir. Schilt sie nicht! ... Du hast mit dem Magister gesprochen. Um was anderes wohl denn um mich und um den Ring! Den letzten Strahl von Besinnung, den dir der Ring noch übriggelassen, wird der Vagant mit seinen Faxen umnebelt haben. Ich duld' es nicht. Und mein Entschluß ist gefaßt. Ich verlasse das Schloß. Noch heute Nacht! In dieser Stunde noch!

Susanne Das tust du nicht, Henning Schwartz! Wenn du mich einst liebt gehabt hast wie ich dich ... Wenn noch ein Fünkchen von ehedem in dir lebt, nur ein Fünkchen von Liebe ... Nein! Nicht von Liebe! Von Freundschaft nur! Von Zuneigung höchstens! Von lächelndem Gewährenlassen, so wie's dem Herrn mit seinem Mädel, seinem Spielzeug, seinem Lagerschatz natürlich ...

Schwartz Susel! Was für Worte! Nun wieder mich beschämen!

Susanne Nein! Nicht von Liebe! Du liebtest mich nie, wie ich dich einst ... und jetzt ... und immerdar! Nicht um der Liebe willen! Nur um der Freundschaft willen! Um des bißchens von Zuneigung willen, die du mir einst geschenkt, der große Herr dem armen gefangenen Ding, so als Abspeisung, als Brocken von der Tafel hingeworfen ... Um des armen Fünkchens willen, das die Zeit von mir zu dir vielleicht noch hinübertrug, um deswillen, Henning Schwartz, bleib'!

Schwartz Leidenschaftliches Herz! So alles durcheinander gewirrt! ... Nicht Kälte ... Liebe ist's, die mich gehen heißt. Um der Liebe willen, die einmal zwischen uns war ... ja zwischen uns war, Susel ... Auch von mir zu dir, von dem rauhen, herrischen, umgetriebenen Soldaten zu dem jungen, sinnenfrischen, blutwarmen Dorfmädel ... um der Liebe willen laß mich das Opfer bringen: Zu scheiden in dem Augenblick, wo Bleiben höchstes, letztes, nie mehr erhofftes Glück des Lebens wäre!

Susanne Mir willst du Opfer bringen, aber mein Opfer schlägst du aus, wenn es eins zu bringen gälte? Ist das gerechte Teilung, Henning Schwartz? Hast du verlernt, was du einst so gut konntest: Gerecht zu verteilen, wenn Not am Mann war? Der Bissen mir, jener dir, der wieder mir. Und so alles auf mein und dein haarscharf geteilt. Und jetzt auf einmal alles Opfer für dich? Und mir nichts, Henning Schwartz? ... Du hast geschworen, Henning Schwartz, dich mir in allem zu fügen, was den Ring betrifft. Mit dem einen Wort ruf ich dich zu dir selbst zurück.

Schwartz Geschworen nur, soweit es meiner Mannesehre nicht zuwider! ... Aber kann Ehre dulden, daß Liebe für sie leide, sich die Hände wund ringe, sich die Brust zerfleische, wohl gar ... sich selbst ... das eigene Leben zum Opfer bringe?

Susanne Und kann Liebe dulden, daß Ehre vor lauter Hochmut eher Tod und Teufel verfalle, als Hilfe von einem liebenden und geliebten ... nein, von einem liebenden aber nicht geliebten oder nur mit dem Munde, nicht mit dem Herzen geliebten Weibe anzunehmen?

Schwartz Susel! Ohne Spitzfindigkeit! Ohne Haarspalterei! Rund und einfach heraus! Was es auch sei, was du für mich tun willst ... ich weiß es nicht. Ich ahne nur, daß es etwas Großes ... etwas Furchtbares ist ... daß du vielleicht dein eigenes Leben für meines darbringen willst ... Aber was auch geschehe ... Glaube mir, mein Leben ist es nicht wert, daß ein andres sich zum Unheil damit verkette. Mein bestes Teil ist verspielt, zerbrochen.

Susanne Ist meines vielleicht ganz? Ein Wrack wie das andere. Sieh um dich! Nur Trümmer überall!

Schwartz Ein Leben aus Trümmern! Was lohnt sich da noch zusammenzuleimen? ... Laß mich gehen! Leb' wohl! Er reicht ihr mit einer schnellen Gebärde die Hand.

Susanne So geh'! ... Aber erst morgen früh, wenn die Drossel trillert! Dann geh'! ... Und so lang bleib'!

Schwartz Susel! ... Was will mir das sagen?

Susanne Frag' mich nicht! Frage nach nichts! Trümmer ringsum! Aber wir halten uns fest umschlungen. Die Mainacht ist kurz. Der Flieder duftet wie vor Zeiten. Hörst du die Amseln schlagen? Das ist die Nacht, die uns ruft. Die eine kurze Nacht noch bleib'! Dann geh'! Sie sinkt ihm an die Brust.

Vorhang.


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