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Vierter Akt

Gartensaal in Wiegands Landhaus wie im ersten Akt.

Es ist einige Stunden nach dem dritten Akt, spät in der Nacht. Der Saal ist hell erleuchtet. Die Schiebetüren im Hintergrunde sind geöffnet. Der Vollmond liegt über Garten und See. Gegen Schluß des Aktes graut der Morgen. Frühlicht breitet sich über die Welt.

Bei Beginn des Aktes hört man aus weiter Ferne Musik, Gesang und gedämpften Lärm.

Dubsky steht an der Rückseite des Diplomatentisches. Vor ihm nach der Veranda zu an der Spitze einer Deputation Dräger, Marquardt und Rasumoff. Alle noch in ihren Kostümen, übernächtig und zum Teil angeheitert.

Marquardt Wenn es wahr ist, was der Genosse Dubsky erzählt, daß ihm ein lumpiger Ministerposten mehr wert ist als wie seine heilige Überzeugung, dann sag' ich auch pfui!

Dubsky Sehr gut gesprochen, mein lieber Marquardt! Eben deshalb ist es nötig, daß ich Wiegand in eurem Namen das Gewissen schärfe.

Marquardt Ja, wir haben dir das Mandat übertragen. Es ist mancher dagegen gewesen. Ich auch! Damit du's wissen tust! Aber die Mehrheit hat's gewollt! Schön! Also, nu mach' du deine Sache so gut wie du kannst und bedenk' immer, daß es ein alter bewährter Genosse ist!

Dubsky Ich danke dir, mein guter Marquardt! Ihr alle seid ja vorher bei der Vorlesung meines offenen Briefes an Bruno Wiegand zugegen gewesen.

Stimmen Ja, ja! Sehr gut! Sehr gut!

Marquardt Das hat mir auch nicht gefallen, daß da nicht ist gewartet worden, bis Wiegand zurück ist.

Dubsky Es mußte sein. Die Menge wünschte es. Er horcht nach draußen Ist das der Lärm vom Festplatz?

Dräger Natürlich! Sie haben ja wieder angefangen, zu schwofen. Der eigentliche Rummel geht jetzt erst los.

Dubsky Es ist zwischen zwei und drei Uhr morgens.

Rasumoff Die Zeit, wo gemütlich wird, Brüderchen!

Hedwig kommt schnell die Treppe heraufgelaufen.

Dubsky Nun, wie steht es liebe Hedwig? Du bringst gute Nachricht?

Hedwig Ja, sie sind da! Sie sind da!

Dräger Mit oder ohne?

Hedwig Mit! Mit! Sie haben ihn gefunden!

Marquardt Dann ist es man gut! Nu können wir ja gehen!

Dubsky sie hinauskomplimentierend Ja! Die Herrschaften können sich durchaus und durchum auf mich verlassen. Wer mich kennt, weiß, daß ich offizielle Mandate stets sehr ernst zu nehmen pflege.

Dräger, Marquardt und Rasumoff mit der Deputation gehen die Treppe hinunter und links hinten ab.

Hedwig zu Dubsky Na und du? Gehst du nicht?

Dubsky Ich werde dir Gesellschaft leisten, bis Bruno kommt.

Hedwig mustert ihn schweigend.

Dubsky zähnefletschend Der Junge ist also wieder eingefangen! Bedauerst du das nicht auch, liebe Hedwig?

Hedwig Ich? Wieso?

Dubsky Die Erziehung durch das Leben wäre doch tausendmal günstiger für ihn gewesen, als die im Elternhaus. Sieh mich an!

Hedwig Das Beispiel scheint mir nicht gerade überzeugend.

Dubsky Meine Lebensschicksale haben vor allem jede Spur von Sentimentalität bei mir ausgetilgt. Ich betrachte das als einen Vorzug. Da Hedwig ihn noch immer mustert Du musterst mich?

Hedwig Bruno und Dorothee können jeden Augenblick da sein. Willst du sie etwa hier erwarten?

Dubsky Allerdings! Meine Mission verträgt keinen Aufschub. Diesem Herrn Baron muß schleunigst das Handwerk gelegt werden.

Hedwig Laß Bruno wenigstens erst zu sich kommen! Geh so lange in die Bibliothek nebenan!

Dubsky Es steckt doch keine Falle dahinter?

Hedwig Also dann bleib' hier!

Dubsky Schon gut! Es scheint mir auch besser, ich geh' vorläufig.

Hedwig Ich werde Bruno sagen, daß du nebenan wartest.

Dubsky Ich danke dir. Rechts in die Bücherei ab.

Hedwig geht auf die Veranda hinaus, ruft mit halblauter Stimme nach rechts Pst, Dorothee! Pst! Ihr könnt kommen, die Luft ist rein!

Dorothee erscheint rechts an der Treppe Ist Dubsky drinnen?

Hedwig Ich habe ihn in die Bibliothek abgeschoben.

Dorothee kommt die Treppe herauf Ich kann den Menschen nicht mehr sehen! Mir wird übel, wenn ich bloß an ihn denke! Sie tritt in den Saal.

Hedwig Wo ist denn Jürgen?

Dorothee Mit Bruno! Sie machen noch das Boot fest. Wir haben ja gleich hier unten angelegt. Sie horcht nach draußen, wo wieder aus weiter Ferne Musik und Gesang ertönen Einen netten Spektakel scheinen die noch zu machen!

Hedwig Der richtige Hexensabbath, ja! So eine Art von Götterdämmerung! Weltuntergangsstimmung! Die Insel der Seligen wird zu Grabe geläutet!

Wiegand und Jürgen sind schnell durch den Garten gekommen, steigen die Verandatreppe herauf.

Hedwig läuft ihnen entgegen, ruft Jürgen zu Also, du großartiger Weltumsegler! Du Kolumbus, wie Medardus Neumann dich nannte!

Jürgen Dem werd' ich auch noch mal was erzählen! Wenn der mich nicht verraten hätte ...

Dorothee Dann könnten wir jetzt noch auf dem See herumkariolen! Ein reizender Gedanke!

Wiegand geht nachdenklich auf und ab, bleibt vor Dorothee stehen Siehst du, Weib, dein viel verlästerter Medardus Neumann!

Dorothee Ja, dafür könnt' ich ihm einen Kuß geben! Das heißt, wenn er sich ordentlich abgeseift hat!

Hedwig vor Jürgen Also, jetzt laß dich mal betrachten, du Abenteurer!

Jürgen läßt sich zögernd hereinziehen Ihr guckt mich alle so an! Wie so 'n gefangener Seeräuber kommt man sich vor! Oder wie ein Feuerfresser auf dem Jahrmarkt!

Dorothee Fehlt bloß noch der Ring durch die Nase! Den kriegst du nächstens auch angelegt!

Hedwig ihn weiter hereinziehend So komm' doch näher!

Jürgen Ich weiß nicht ... Vater macht so ein Gesicht ... Er hat auch noch kein Wort mit mir gesprochen ...

Hedwig Junge, du wirst doch nicht Angst haben!

Jürgen Also gut! Da bin ich! Er kommt entschlossen in die Mitte des Saales.

Wiegand Jeder muß für seine Taten einstehen.

Dorothee stellt sich vor Jürgen Aber nicht um drei Uhr früh! Der Junge ist fünf Stunden auf dem See gewesen und hat Hunger!

Jürgen Und Durst auch!

Dorothee Trink' Wasser! Hättest du heut' abend nicht so lang' am Faß gelegen, wärest du gar nicht auf solche Tollheiten gekommen!

Wiegand tritt vor Jürgen hin Jürgen, weshalb hast du uns das angetan?

Jürgen stockend Weil ich's nicht mehr hier ausgehalten hab'! Weil's mich mit Gewalt gerissen hat!

Wiegand Ist das der ganze Grund? Prüf dich mal selbst!

Jürgen Hast du nicht neulich auch gesagt, so ins Unbekannte segeln, das ist fein? Na ja, da hab' ich's probiert!

Dorothee droht Wiegand mit dem Finger Hörst du's, Mann?

Wiegand Und das ist der ganze Grund?

Dorothee schnell einfallend Ich weiß besser, was der Grund ist!

Jürgen heftig Ich sprech' doch jetzt mit dem Vater!

Dorothee geärgert Meinetwegen! Sperrt euch doch in die Gummizelle ein, wenn ihr solche Geheimnisse habt! Nächstens bitt ich dich um einen Erlaubnisschein, ob ich dieselbe Luft mit euch atmen darf!

Wiegand zu Jürgen Also romantischer Dusel! Planlose Phantasterei! Und deshalb läufst du fort und machst deinen Eltern Sorge und Ärger! Als ob man nicht schon genug auf seinem Kopf hätte!

Jürgen Eben darum!

Wiegand dreht sich interessiert um Was soll das heißen?

Jürgen Ach nichts!

Dorothee Na, so sag's doch, dummer Junge! Mach' dich doch nicht schlechter, als du bist!

Jürgen herauswürgend Ich hab's nicht mehr mit ansehen können, wie du dich hier aufregst und doch nichts davon hast! Die Mutter hat auch geschimpft, daß das kein Ende nimmt.

Wiegand droht Dorothee mit dem Finger Hörst du, Weib?

Jürgen Da hab' ich mir gedacht ...

Wiegand Na?

Jürgen Aber du mußt mich nicht auslachen!

Wiegand Nein! Nein! Nur heraus mit der Sprache!

Jürgen Ihr sprecht doch immer soviel von der Macht des Beispiels. Da hab' ich mir gedacht, ich will dir auch mal ein Beispiel geben ... Er stockt, sieht unruhig vom einen zum andern.

Wiegand Du hast dir gedacht, du willst mir ein Beispiel geben ... Also doch! Er macht ein paar Schritte.

Dorothee triumphierend Hörst du's, Mann?

Hedwig Gottvoll bist du, Junge!

Wiegand Also wirklich und wahrhaftig mir ein Beispiel geben?

Jürgen Ja, weil du dann vielleicht leichter von hier fortkommst! Jetzt ist es ja zu Wasser geworden! Der verdammte Medardus Neumann! Ich glaub' sicher, ich hätte dich hinausgebracht!

Wiegand Junge! Junge! Auf was für einem Mistbeet mag der Gedanke wohl gewachsen sein!

Jürgen mutiger Na, das Beste wär's doch für uns alle, Vater! Frage nur Mutter!

Wiegand lachend Ja, ja, was das wohl für ein Mistbeet sein mag!

Dorothee I, wer will all die Mistbeete mitten in der Nacht so unterscheiden! Zu Jürgen Vorwärts, marsch ins Bett mit dir! Volksreden kannst du morgen halten! Sie schiebt ihn zur Türe links.

Jürgen Das ist doch gnädig abgegangen!

Dorothee Laß dir von Bärbeli was zu essen geben! Ich komm' gleich nach! Sie schiebt ihn hinaus, schließt die Tür hinter ihm O Sohn seines Vaters!

Wiegand nachdenklich lächelnd Ich denke, man kann die Mistbeete mitten in der Nacht nicht so unterscheiden?

Dorothee tragikomisch Das Beet kenn' ich ganz genau! Wie hieß es doch, was der Junge an den Kopf bekam? Romantischer Dusel! Phantasterei! Ich hab' im stillen wirklich lachen müssen. Was haben denn Herr Bruno Wiegand eigentlich Ihr ganzes Leben lang betrieben? Sie tritt dicht an ihm heran, tippt ihn auf die Stirn O Phantast! O Don Quichotte!

Wiegand ohne viel auf Dorothee zu hören, wie mit zunehmender Befreiung Ein Beispiel hat er mir geben wollen! ... Also hab' ich's doch richtig ausgelegt!

Dorothee Ja, Kinder und Narren sprechen die Wahrheit. Daran denk'! Die Närrin nehm' ich schlimmstenfalls auf mich.

Wiegand macht langsam ein paar Schritte, bleibt vor Dorothee und Hedwig stehen Keiner von uns allen hat es noch gewagt! Der vierzehnjährige Junge hat den Anfang machen müssen!

Jürgen steckt seinen Kopf durch die Türe links Mutter, ich habe einen Mordshunger, und Bärbeli und Afra sind beide zum Tanzen ausgeflitzt! Er zieht sich zurück.

Dorothee Na warte! Die flitzen mir nicht mehr lange! Sie läuft zur Türe links.

Wiegand Die Jugend kehrt sich von der Insel der Seligen ab! Die Jugend sucht den Weg zur Tat zurück! Sollte das der Sinn sein?

Dorothee Also dann geh' hin und mach's der Jugend nach! Schnell ab.

Wiegand Und wenn er's nun wirklich wäre, der neue Weg? Der langgesuchte? Wenn der Junge in seherischer Blindheit ihn vorangegangen wäre? Wenn das Schicksal mir durch den Unmündigen hätte zurufen wollen: Dort, dort, liegt deine Zukunft! Dort winkt das Land, wo deine Kinder Hütten bauen sollen! Er geht mit großen Schritten auf und ab.

Hedwig im Begriff, Dorothee zu folgen, bleibt vorn links stehen Weißt du, daß ich dir sehr böse gewesen bin, Bruno?

Wiegand Du mir? Wieso?

Hedwig mit gesenktem Kopf Weil du den ... neuen Weg einschlagen willst. Es schien mir wie ein Treuebruch!

Wiegand Ich kenne nur den Treuebruch gegen mich selbst, und den würde ich nie begehen.

Hedwig Also andern braucht man die Treue nicht zu halten?

Wiegand Die Treue, die andere von uns verlangen, ist gewöhnlich nur der Widerschein ihrer eigenen Wünsche und Ideen. Man macht sich ein Idol und wundert sich dann, wenn es an der Wirklichkeit zu Scherben geht.

Hedwig Man macht sich ein Idol ... Sie seufzt tief auf Ja, ja!

Wiegand Entschieden ist übrigens noch nichts!

Hedwig Es ist entschieden! Ich kenne dich besser als du dich selbst. Trotz des zertrümmerten Idols!

Wiegand Und du zürnst mir nicht mehr?

Hedwig Nein! Ich habe einen guten Lehrer gefunden. Der hat mir die Augen geöffnet. Er stottert zwar ein bißchen ...

Wiegand Ah, ich weiß!

Hedwig Ja, seine Zunge ist schwer. Aber sein Geist ist leicht und frei.

Wiegand reicht ihr die Hand Ich freue mich, daß du den Lehrer gefunden hast, den du brauchst, Hedwig.

Hedwig einschlagend Und ich danke dir, Bruno, für den Traum, den du mich hast träumen lassen.

Wiegand Den Traum?

Hedwig Ja, er ist zu Ende, aber ich hab' ihn doch geträumt ... Und das ist die Hauptsache, sagt mein Lehrer. Sie geht zur Tür links.

Marenholdt und Kasper sind von rechts her aus dem Garten die Treppe heraufgekommen und über die Veranda in den Saal eingetreten.

Wiegand geht freudig auf sie zu Also, liebe Freunde! Wir haben uns vorher nur von ferne, sozusagen auf Seeweite zurufen und verständigen können.

Marenholdt lächelnd Das geht doch meistens im Leben so. Die Verständigung auf Sehweite oder Rufweite. Näher kommt man sich wohl selten.

Wiegand Nein, jetzt ganz nahe! Er reicht beiden die Hände Dank, Dank, ihr Lieben! Ihr habt mir einen Dienst erwiesen ...!

Marenholdt Was willst du? Es war die schönste Mondscheinfahrt meines Lebens! Wie wir das Wild so im Mondlicht angingen und langsam einkreisten ... Ganz nach guter Weidmannsart! Da wurde das alte Jägerblut wieder wach.

Kasper Hätte es wenigstens einen ordentlichen Sturm abgesetzt! So muß man sich ja um jedes Wort des Dankes schämen.

Hedwig noch an der Tür zu Wiegand Ich wollte dir noch sagen, Dubskys offener Brief an dich ist vorgelesen worden ...

Wiegand einen Schritt zurück Ist vorgelesen worden? Ist wirklich und wahrhaftig vorgelesen worden, während ich auf dem See war und nach meinem Jungen suchte? ... Also all mein Bitten und Beschwören in den Wind geschlagen? Wieder einmal das papierne Wort über die lebendige Tat gesetzt? ... Dazu bin ich mit ihnen in die Einsamkeit gezogen? Dazu hab' ich meine stärksten Jahre, meine reifste Kraft geopfert? Immer und immer wieder Gehirne? Gehirne? Nichts als Gehirne! Von Menschentum noch immer keine Spur! Er wendet sich zu Marenholdt Du hast recht gehabt, du großer Lebenskenner! Die Natur selbst ist ohnmächtig gegen dies Geschlecht von Schreiberseelen! Was will da ich? Ich armseliges Kind des Todes? Er macht ein paar Schritte, bleibt vor Hedwig stehen Die Natur selbst ist ohnmächtig, Hedwig! Darum hat sie ihren Fluch auf uns alle geworfen! Darum hat sie uns mit Unfruchtbarkeit geschlagen! Er preßt den Kopf in die Hände.

Hedwig Fassung, Bruno! Fassung! Dubsky wartet nebenan in der Bibliothek!

Wiegand Dubsky wartet nebenan? Worauf wartet Dubsky denn? Was hab' ich noch mit den Dubskys zu schaffen?

Hedwig Er will mit dir im Auftrage der Gemeinde verhandeln.

Wiegand Und dazu haben sie sich Dubsky ausgesucht? Immer wieder Dubsky? Er richtet sich auf Selbst Dubsky ist ein Mensch. Sei's drum! Er spricht leise mit Kasper.

Marenholdt zu Hedwig Wollen Sie mich vielleicht mitnehmen, Fräulein Hedwig? Mir scheint, hier sind wir jetzt durchaus überflüssig.

Hedwig zu Marenholdt Ihnen hab' ich auch noch was abzubitten, Herr Ministermacher! Sie geht hinaus.

Kasper hat leise mit Wiegand gesprochen, ruft jetzt laut Ja, das bringt die Lösung! So oder so! Er geht eilends die Treppe hinunter, nach links hinten ab.

Wiegand ruft ihm nach Sie sollen alle kommen! Zu Marenholdt Ich will einen allerletzen Versuch machen. Es soll die Probe aufs Exempel sein.

Marenholdt Ich könnte dir das Resultat voraussagen.

Wiegand Laß es mich auf meine Art finden, alter Freund!

Marenholdt ebenfalls links ab.

Wiegand nähert sich der Tür der Bibliothek. In dem Augenblick wird die Portiere zurückgeschlagen.

Dubsky streckt seinen Kopf hervor Du bist allein?

Wiegand Ah, guten Abend, Dubsky!

Dubsky löst sich von der Portiere los, kommt näher Du hast mich warten lassen ...

Wiegand Entschuldige! Ich erfuhr in dem Moment, daß du hier bist. Er deutet auf einen Sessel vorn links Willst du nicht Platz nehmen?

Dubsky Ich danke dir. Er setzt sich, sieht auf seine Finger Ich bemerke zunächst, daß ich kraft Vollmacht unserer Genossenschaft hier sitze. Er verbeugt sich formell.

Wiegand Also ganz offiziell?

Dubsky verbeugt sich wieder Durchaus offiziell!

Wiegand Und nur offiziell? Nichts weiter, Dubsky?

Dubsky Du hast jetzt Gelegenheit zu der versprochenen Abrechnung mit mir.

Wiegand Abrechnungen brauchen ja nicht die Auflösung der Verbindung zu bedeuten.

Dubsky Warum hast du dann nicht längst eine Aussprache mit mir gesucht?

Wiegand Wir hatten ja erst heute nachmittag eine. Du wolltest sogar eine große Kundgebung für mich veranstalten.

Dubsky feixend Hat die Kundgebung nicht stattgefunden?

Wiegand Aber wohl nicht ganz so, wie es ursprünglich gedacht war?

Dubsky Die Umstände hatten sich eben geändert.

Wiegand sieht ihn an, nimmt von jetzt ab den Ton ironischer Man hört ja Wunderdinge über die kolossale Wirkung, die dein offener Brief an mich bei unserer Gesellschaft gehabt hat.

Dubsky So? Hört man das? Ja, er scheint einigen Effekt gemacht zu haben.

Wiegand Dann willst du den Artikel wohl auch drucken lassen? Du meintest zwar heute nachmittag, du würdest so etwas nie gegen mich unternehmen?

Dubsky Auch darin haben die Umstände sich leider geändert. Wenn wir uns nicht auf dem Fleck hier einigen sollten, so geht der Artikel morgen früh an die Druckerei ab. Der Pfeil ist dann nicht mehr aufzuhalten. Die Folgen wirst du dir selber zuzuschreiben haben.

Wiegand mit ironischer Färbung Ja, ich habe inzwischen viel darüber nachgedacht und muß gestehen, ich habe die Sache wohl zu leicht genommen, ich habe die Konsequenzen nicht genügend übersehen.

Dubsky mit starkem Pathos Du bist ein ruinierter Mann, Bruno, wenn die Geschichte ruchbar wird! Kein Hund nimmt mehr einen Bissen Brot von dir an!

Wiegand lächelnd Bewahr' mich Gott, das ist ja fürchterlich!

Dubsky Bestenfalls wirst du nur Minister, um auf Grund des gegen dich vorliegenden Materials sofort wieder gestürzt zu werden. Wenn du den Fall in meiner Beleuchtung und Darstellung gehört hättest, würdest du nicht einen Moment daran zweifeln. Ich bin gern bereit, dir den Artikel vorzulesen, damit du dich selber überzeugen kannst. Er zieht eine Rolle aus der Tasche.

Wiegand Danke! Danke! Ich kenne ja die Schärfe deines Witzes.

Dubsky Du wirst dich also zu entschließen haben. Meine Leute warten.

Wiegand Man kann sie ja herkommen lassen.

Dubsky Bitte, ich bin ihr Bevollmächtigter! Du hast nur mit mir zu verhandeln!

Wiegand Was stellst du denn also für Bedingungen, damit der Artikel nicht erscheint?

Dubsky Ich würde statt Bedingungen Voraussetzungen sagen. Es würde sich nur darum handeln, eins durch das andere zu kompensieren.

Wiegand Und wie kompensieren wir?

Dubsky sieht ihn an Bist du auch mit dem nötigen Ernst bei der Sache, mein lieber Bruno?

Wiegand sich beherrschend Aber lieber Dubsky, wo es sich um die ganze Zukunft handelt ...

Dubsky Du entläßt also zuerst und vor allem diesen Baron von Marenholdt!

Wiegand Ja, das ist leicht gesagt! Er ist ein alter Freund. Meinst du denn, daß er überhaupt gehen wird?

Dubsky Ich dächte, du bist doch Herr in deinem Hause?

Wiegand lächelnd So? Bin ich das wirklich?

Dubsky Wenn du Scherz mit mir treiben willst ... Er steht auf.

Wiegand Nein, nein, bleib'! Es war ja nur ein dummer Witz!

Dubsky Lieber Bruno, wer so in der Falle sitzt, wie du ...

Wiegand Durch deinen Artikel!

Dubsky Mein Artikel wäre machtlos, wenn du dir mit deiner versteckten und unwahren Handlungsweise nicht selbst die Grube gegraben hättest.

Wiegand Was verlangst du also weiter?

Dubsky Ich verlange zunächst ein angemessenes Benehmen mir gegenüber!

Wiegand Und weiter?

Dubsky hat sich wieder gesetzt und fletscht die Zähne Vergiß nicht, mein lieber Bruno, daß ich bei der Sache in keinem Fall etwas zu verlieren habe!

Wiegand Du gewiß nicht! Aber vielleicht deine Auftraggeber?

Dubsky Die Interessen meiner Auftraggeber sind mir heilig. Deshalb verlange ich von dir, daß du diesem sogenannten Baron sofort den Laufpaß gibst und überhaupt deinen skurrilen Karriereplänen gründlich abschwörst!

Wiegand Die würden sich ja von selbst erledigen, wenn ich Marenholdt wegschicke.

Dubsky förmlich Du wirst ferner unter irgendeinem Vorwande, sagen wir Überarbeitung, Ruhebedürfnis, Nervenzerrüttung, den Vorsitz der Genossenschaft niederlegen ...

Wiegand Ich denke, es gibt in unserer Vereinigung keinen regulären Vorsitzenden?

Dubsky Das sind Worte! De facto bist du's doch! Dein Nachfolger müßte natürlich von der Gesellschaft ausdrücklich gewählt werden ...

Wiegand Auf wen die Wahl zu fallen hätte ...

Dubsky korrekt Darüber bin ich nicht informiert! Jedenfalls hätte niemand das Recht, sich einem solchen Ehrenposten zu entziehen?

Wiegand Es wäre ja auch keine Sinekure. Ich nehme an, daß du eine Neuordnung der Verhältnisse ...

Dubsky Die wäre allerdings unvermeidlich. Man hört von draußen Lärm und Stimmengewirr sich nähern.

Wiegand erhebt sich Ja, wir brauchen eine radikale Kur!

Dubsky erhebt sich ebenfalls Was darf ich also meinen Auftraggebern mitteilen?

Wiegand Sind denn das alles Forderungen deiner Auftraggeber?

Dubsky Punkt für Punkt! Was ich verlange, verlange ich im Namen meiner Leute ... Er horcht wieder nach draußen Was ist denn das für ein Geschrei da draußen?

Wiegand lächelnd Das sind deine Auftraggeber, mein lieber Dubsky! Ich habe sie ein bißchen herrufen lassen!

Von links her strömt jetzt lärmend, schreiend, singend, die Menge in den Garten, der sich schnell füllt. Der Vortrab hat bereits die Verandatreppe erreicht.

Dubsky hat den Kopf zwischen die Schultern gezogen, steht mit vorgestreckten Fäusten wie in Abwehrstellung da Was sind das für Späße?

Wiegand tritt hart an ihn heran, mit verändertem, schwerem Ton Dubsky! Zum letzten Male hab' ich bei deiner unsterblichen Seele anklopfen wollen! Es war umsonst! Du trägst ein Tintenfaß in der Brust! Er wirft den Sessel, neben dem er spricht, um, springt mit einem Satz auf das nahe Katheder Herein! Herein! Wer hören will, herein! Er winkt der im Garten und auf der Veranda flutenden Menge, die sofort in den Saal drängt.

Stimmen in der Menge Wiegand will sprechen! Hört! Hört! Ruhe! Ruhe!

Kasper in der Menge Kommt alle in den Saal!

Viele Stimmen In den Saal! In den Saal!

Dubsky einige Schritte vorwärts gegen die Menge, doch so, daß er durch den langen Tisch vor ihr gedeckt ist Was habt ihr hier zu suchen? Ich habe mit Wiegand zu verhandeln! Keiner sonst! In Satans Namen, schert euch!

Stimmen aus dem vordem Teil der Menge Wir wollen Wiegand selbst hören!

Kasper Ja, man hat euch angelogen! Ihr sollt die Wahrheit hören!

Viele Stimmen Die Wahrheit! Wir wollen die Wahrheit!

Dräger aus der Menge heraus zu Dubsky, halblaut und eilig Nimm dich in acht, die Stimmung hat sich gedreht! Sie fürchten, Wiegand läßt die Insel auffliegen und setzt sie alle an die Luft! Kasper hat ihnen das eingetrichtert! Wenn du nicht klug bist, können wir dich nicht halten! Er zieht sich eilends in die Menge zurück.

Dubsky fauchend gegen die Menge Schweinepack! Ihr verdient euren Schweinetreiber!

Wilde Rufe Was hat er gesagt? Pack? Pack? Oho!

Viele Stimmen Wiegand soll reden! Wiegand soll reden!

Dorothee und Marenholdt sind von links her in den Saal geeilt.

Dorothee zu Wiegand Was gibt's denn hier wieder für eine Volksbelustigung? Wollen Sie uns das Haus überm Kopf anzünden? Immerzu! Dann sind wir den Krempel los!

Wiegand zu Dorothee Keine Sorge, Weib! Jetzt wird fürs ganze Leben abgerechnet! Er ruft in die Menge Freunde und Genossen! Euer Vertreter Dubsky hat mich in eurem Namen zwingen wollen, meinen alten Freund und Gast Marenholdt vor die Tür zu setzen! Euer Vertreter Dubsky hat mich ebenfalls in eurem Namen zwingen wollen, die Leitung dieser Insel der Seligen niederzulegen und einem andern, jedenfalls ihm selbst, den Vorsitz und eine Neuordnung der Dinge zu übertragen! Euer Wunsch sei erfüllt, Genossen! Ich trete von der Leitung zurück und erkläre damit die Insel der Seligen für aufgehoben. Einen Augenblick herrscht tiefe Stille.

Dräger Das darf er nicht! Wir haben das gleiche Recht wie er hier! Das dulden wir nicht!

Wiegand Das darf ich wohl, mein lieber Dräger, und das werde ich dir beweisen!

Dubsky der geduckt auf seinen Augenblick gewartet hat Der Geldsackstandpunkt! Glaubt ihr's jetzt? Der Geldsackstandpunkt!

Wiegand Jawohl, der Geldsackstandpunkt! Wißt ihr denn nicht, ich habe mir durch euch die Taschen vollgestopft! Die Insel der Seligen ist nichts als ein Ausbeutungsobjekt für mich gewesen! Jetzt zieh' ich mich als gemachter Mann vom Geschäft zurück! Das ist nun mal der Lauf der Welt! Wundert euch das vielleicht?

Erregtes Murmeln und Köpfezusammenstecken in der Menge.

Marquardt einen Schritt vortretend, zu Wiegand Ist das wahr, daß der Genosse Dubsky das alles in unserem Namen von dir verlangt hat? In unserm Namen! Da drauf kommt es an!

Wiegand In eurem Namen! Kraft Vollmacht der Genossenschaft!

Dubsky kreischend Er lügt! Er lügt!

Marquardt zu Wiegand Ich hab' dich auf Ehre und Gewissen gefragt!

Wiegand Und ich hab' dir ebenso geantwortet!

Dubsky Gelogen! Gelogen! Gelogen!

Wiegand zur Menge Wem glaubt ihr, mir oder ihm?

Viele Stimmen Dir! Dir! Dubsky ab! Nieder mit Dubsky!

Marquardt Dann sag' ich, daß der Genosse Dubsky seine Vollmacht überschritten hat!

Rehbein ebenfalls hervortretend Das ... wollt' ich auch sagen!

Marquardt Und daß der Genosse Dubsky uns alle zusammen angelogen hat! Und wenn ich auch in keinem Punkt mehr mit Wiegand zusammenstimmen tu', und wenn's auch vielleicht am besten so ist, daß die Insel der Seligen zum Deubel geht, ganz egal! Der Genosse Dubsky hat wie ein ganz ordinärer ... Mitteleuropäer an uns gehandelt! Das wollt' ich bloß gesagt haben!

Brausende Rufe Bravo Marquardt! Bravo! Bravo! Wütendes Händeklatschen. Fäuste werden gegen Dubsky ausgestreckt.

Dräger ruft Dubsky über den Tisch zu Mach', daß du fortkommst! Mach', daß du fortkommst!

Dubsky springt auf den zunächst stehenden Stuhl, zeigt auf Dräger Der Schwachkopf da bildet sich ein, er kann sich ein Alibi schaffen, wenn er mich hier rausgrault! Das soll ihm versalzen sein! Er ruft Wiegand zu Der da hat die Geschichte angezettelt! Der hat die Fäden in der Hand gehalten! Den nimm bei den Ohren! Ich bin ein Opfer so gut wie du!

Dräger außer sich, auf Dubsky zu Ah, du! Kommst du so! Er wendet sich gegen die Menge Gesindel hat er euch genannt! Dummköpfe hat er euch genannt!

Wilde Rufe Alle beide rauswerfen!

Dubsky von seinem Stuhl herunterschreiend Und Dummköpfe nenn' ich euch noch jetzt! Dummköpfe nenn' ich euch in Ewigkeit! Habt ihr euch etwa eingebildet, euretwegen sei ich auf die Welt gekommen? Euretwegen hätt' ich mich in die Unkosten meines Daseins gestürzt? Euretwegen hätt' ich die Abrechnung mit dem Gesinnungsprotzen da auf dem Präsidentensitz vorgenommen? Herdenvieh, das ihr seid! Zwischen mir und dem da geht der Kampf, solange die Welt steht! So wie jetzt haben wir uns schon vor Jahrtausenden gegenüber gestanden! So wie jetzt werden wir uns nach Jahrtausenden gegenüber stehen! Ihr aber, ihr seid weiter nichts als die kleinen, lächerlichen Statisten bei dem Schauspiel! Dem Flausenmacher da oben lauft ihr nach, und einen Mann wie mich, der in Zeitaltern nicht seinesgleichen haben wird, schmeißt ihr zum Tempel raus! Ihr könnt mir alle den Buckel herunterrutschen! Er spuckt aus, springt vom Stuhl herunter, läuft geduckt zur Bibliothek rechts.

Es herrscht einen Augenblick Schweigen. Dann bricht ein tosender Lärm aus.

Die Menge stürzt wütend auf Dubsky zu.

Wilde Stimmen Haut ihn! Haut ihn!

Dubsky streckt die Zunge lang gegen die Menge heraus, verschwindet rechts in dem Bibliothekzimmer. Beim Anblick der Zunge ist ein allgemeines Gelächter losgebrochen.

Wiegand nach einem Augenblick, da sich das Lachen gelegt hat Da reißt er aus, der Säkulargeist mit dem Tintenfaß in der Brust und der Rechenmaschine im Kopf! Drapiert sich mit den armseligen Flicken seines Übermenschentums und reißt aus!... Inselgenossen! Mitbrüder! Wir sind alle mitsammen Kinder des Staubes und brauchen Liebe und Verzeihung notwendiger als Rache und Gericht. Wohlan! Nehmt diese Insel mit allem was drauf und dran ist, für eure Gemeinschaft hin! Es soll nicht heißen, daß ich mit gefüllten Taschen von euch gegangen sei. Es soll auch nicht heißen, daß der Mann, der die Insel der Seligen ins Leben gerufen hat, ihr Totengräber gewesen sei. Liebt euch! Haßt euch! Tut wie ihr wollt! Euer Schicksal liegt bei euch selbst!... Mir aber gebt Urlaub für diese Lebensfrist! Er geht zu Marenholdt, reicht ihm die Hand Hier hast du mich! Ich bin bereit!

Marenholdt lächelnd Schlimmstenfalls führen ja ebensoviel Wege aus Teklenburg hinaus wie hinein. Aber eins bedenk': Nach den seligen Inseln gibt es kein Zurück für dich! Der Verräter bist du und bleibst du! Ich, höre schon den Zeitungswald widerhallen, wie man Minister in Teklenburg wird!

Wiegand Sei's drum! Im Innersten bleib' ich was ich war!

Dorothee Der unverbesserliche Weltverbesserer!

Wiegand deutet hinaus Da! Seht! Die Insel der Seligen glänzt im Frühlicht. Wer einen Schein davon mitnehmen könnte!

Marenholdt Oh, in Teklenburg wirst du früh genug aufzustehen haben.

Dorothee Nimm lieber deine komische Alte mit! Oder willst du mich als Pfand hier lassen?

Wiegand Komm her! Wir sind beide keine Engel! Er will sie an sich ziehen.

Dorothee mit Sträuben Pfui! Schäm' dich! Zwei so alte Leute! Sie hält ihm den Mund hin Da!

Medardus Neumann drängt sich durch die Menge, tritt mit feierlich erhobenen Händen vor Wiegand Was klingt von Mund zu Munde, großmächtiger Staatsbegründer? Du willst den Schnabel deines Schiffes seewärts lenken und das Werk deines Lebens in fremde Hände legen?

Wiegand Soll ich's in deine Hände legen, du König der Zigeuner?

Medardus Neumann Das sprach ein Gott aus dir, sturmverschlagener Erdenpilger! Er richtet sich in Denkmalspose auf Medardus der Erste besteigt den Thron der Medizäer und als erste Spende seiner Herrschergnade führt er auf dieser meerentstiegenen Atlantis den ewigen Sonntag ein!

Vorhang.


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