Ida Gräfin Hahn-Hahn
Maria Regina. Erster Band
Ida Gräfin Hahn-Hahn

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Ida Gräfin Hahn-Hahn.

Eine Skizze von Otto von Schaching

Betrachten wir in der Geschichte der Literatur Deutschlands jene Frauen, welche mit dem Weihekuß der Poesie auf der Stirne durch das Leben gewallt sind, so tritt uns in der vordersten Reihe derselben eine aristokratische Erscheinung entgegen, die den Ruhm genießt, »die berühmteste deutsche Schriftstellerin ihrer Zeit« gewesen zu sein: es ist dies die mecklenburgische Gräfin Ida Hahn-Hahn. Einst von Tausenden gelesen, bewundert und verehrt, mußte sie doch, wie kaum eine zweite den Musen dienende Frau, die Unbeständigkeit der öffentlichen Gunst erfahren im Einklange mit dem Dichterwort: »Es liebt die Welt das Strahlende zu schwärzen.« Ihre unzähligen Verehrer verwandelten sich in leidenschaftliche Gegner, und sie sind es gewesen, die das Charakterbild der genialen Gräfin, mit verzerrten Linien gezeichnet, ihm häßliche Lichter aufgesetzt und sich in widerlicher Eile überboten haben, ihr den Ruhmeskranz zu zerpflücken, welchen sie selbst einst der großen Dichterin zuerkannt hatten. Und was führte diesen Umschwung der Gesinnung herbei? Der Übertritt der Gräfin vom Protestantismus zur katholischen Kirche, ein Schritt, welchen ihr die akatholische Kritik, die sich sonst so gerne ihrer Objektivität rühmt, niemals verziehen hat.

Ungewöhnlich wie das Leben dieser Frau war auch ihr Denken und Dichten. Kühn hob sie sich über manche Forderung göttlichen und menschlichen Gesetzes hinweg, Goethe Recht gebend, wenn er sagt: Die größten Menschen hängen immer mit ihrem Jahrhundert mit einer Schwachheit zusammen, – aber doch auch wieder an ein anderes Wort desselben Dichterfürsten erinnernd, das da lautet:

Irrtum verläßt uns nie; doch ziehet ein höher Bedürfnis
Immer den strebenden Geist leise zur Wahrheit hinan.

Und nach langem Suchen, Irren, Ringen und Kämpfen fand auch Gräfin Hahn-Hahn die Wahrheit, jene Wahrheit, die uns nach dem Zeugnis des Apostels frei macht.

Gräfin Ida wurde am 22. Juni 1805 zu Tressow in Mecklenburg geboren, in welchem Lande ihre Vorfahren, ein altfränkisches Geschlecht, seit dem Jahre 1231 seßhaft waren. Ihr Vater, Graf Karl von Hahn, war Landmarschall von Mecklenburg, ein exzentrischer Mann, den eine fast lächerliche Leidenschaft für das Theater bis zu einem solchen Grade beherrschte, daß er auf seinem Gute Remplin nicht bloß ein großartiges Liebhabertheater einrichtete, die ersten Bühnenkünstler dafür anwarb und fürstlich entlohnte, sondern sogar, als er wegen seines maßlosen Geldverbrauches unter Kuratel gestellt worden war, mit einer Schauspielertruppe umherwanderte. Ganz anders geartet war Idas Mutter, eine geborne Sophie von Behr, die ein echt weibliches Gemüt und alle Tugenden einer deutschen Hausfrau befaß. Während die übrigen Kinder, ein Sohn und zwei Töchter, mehr dem Wesen der stillen Mutter nachlebten, schloß sich Ida mit ihrem lebhaften, erregbaren Temperament der Natur des Vaters an.

Die Erziehung Idas gedieh über eine gewisse, durch Standesrücksichten geleitete Vermittlung von Formen nicht hinaus. Eine tiefgehende Bildung des Geistes griff nicht Platz, selbst der Religionsunterricht erhob sich niemals zu jener Wärme, welche für ein religiös empfindendes Gemüt, wie Ida es besaß, so unerläßlich ist, wenn der Same sich zur Frucht vervielfältigen soll. »Nie und zu keiner Zeit habe ich mich darauf besinnen können, was ich in dem Religionsunterricht gelernt,« gesteht Gräfin Hahn einmal in einem ihrer Bücher. Alles, was von demselben haften blieb, war nach ihrer eigenen Angabe die Erinnerung an das grün angestrichene Zimmer des Pastors und an die tabaksdumpfe Luft, in welcher der silberhaarige Geistliche mit seinem Samtkäppchen saß. Durch umfassende und eifrige Lektüre suchte sie später den Mangel einer regelrechten Schulbildung auszugleichen, und in der Tat erwarb sie sich auf diesem Wege vermittelst ihrer glänzenden Veranlagung einen staunenswerten Reichtum von Wissen.

Im Alter von 21 Jahren vermählte sich die durch äußerliche Vorzüge wie durch hohe Geistesgaben gleich ausgezeichnete Gräfin mit ihrem nur ein Jahr älteren Vetter, dem Grafen Friedrich von Hahn auf Basedow. Wenn sie die Ehe auch nicht aus besonderer Zuneigung eingegangen hatte, so hegte sie doch auch keinen Widerwillen gegen ihren jugendlichen Gemahl. Diesem aber mangelten alle Eigenschaften zu einem glücklichen Eheleben. Er hatte nur für Sport, Pferde und Hunde Interesse, vernachlässigte seine Gattin vollständig und widmete sich dafür anderen Vertreterinnen des weiblichen Geschlechtes. Schließlich trennte er sich ganz von ihr und im dritten Jahre leitete er den Ehescheidungsprozeß ein.

Ehe derselbe noch entschieden war, genas die Gräfin einer Tochter. Diese blieb zum größten Schmerze der Mutter geistig und körperlich unentwickelt und starb 24 Jahre alt im Jahre 1853 in Berlin als Pflegling einer, der unglücklichen Mutter befreundeten Dame.

Durch Anwendung von geradezu erbärmlichen Mitteln gelang es dem Grafen Hahn, den Ausgang des Ehescheidungsprozesses in seinem Sinne zu gestalten. Er heiratete hierauf eine Gräfin Schlippenbach, seine »gesetzlich« von ihm getrennte Gattin aber kehrte zu ihrer Mutter zurück, welche mit der schwer geprüften Tochter ein ähnliches Schicksal teilte, indem auch sie von ihrem Mann getrennt lebte.

In der Ehe also hatte Gräfin Hahn das Glück nicht gefunden; nichts war ihr geblieben, als bittere Enttäuschung und ein vergrämtes Herz. Auf Grund ihrer traurigen Erfahrungen bildete sich nun bei ihr die Anschauung, daß die Ehe nichts sei, als eine für die Frau schmachvolle Fessel; diesem Gedanken lieh sie später in ihren Romanen deutlichen Ausdruck.

Um den Schmerz ihrer Seele zu betäuben, um Linderung und Zerstreuung zu suchen, begab sie sich jetzt auf Reisen, die sie von Jahr zu Jahr mehr ausdehnte. So durchkreuzte sie im Jahre 1835 die Schweiz nach allen Richtungen der Windrose, im folgenden Jahre bereiste sie Oesterreich und verblieb längere Zeit in Wien, von 1838 bis 1842 besuchte sie Italien, Frankreich und Spanien, Dänemark und Schweden, und im Jahre 1843 bis 1844 unternahm sie ihre bedeutendste Reise, auf der sie über Konstantinopel nach Kleinasien, Syrien, Palästina und Ägypten gelangte. Auch nach England und Irland kam sie. Erst im Jahre 1848 wählte sie Dresden zu ihrem bleibenden Aufenthaltsorte.

Die Frucht ihrer Kreuz- und Querzüge waren Reisebeschreibungen, welche vom gebildeten Lesepublikum mit großem Beifall aufgenommen wurden und bedeutendes Aufsehen hervorriefen. So erschien 1840 die italienische unter dem Titel: »Jenseits der Berge«; im nächsten Jahre folgten die spanischen »Reisebriefe«, 1844 »Ein Reiseversuch im Norden« und in drei Bänden »Orientalische Briefe«. Was sie gesehen und erlebt, welche Eindrücke sie von Land und Leuten empfangen hatte, das schilderte sie in frischer, anschaulicher Weise, und nicht selten entwickelt sich ihre Darstellung zu wirklich klassischer Schönheit, besonders in den »Orientalischen Reisebriefen«.

Zwanzig Jahre lang, von 1829 bis 1849, vollzog sich das Leben der Gräfin zwischen zwei Tätigkeiten, zwischen Reisen und Schriftstellerei. »Zuweilen war es ein Heroismus,« so schreibt sie, »daß ich mich hinsetzte und einen Roman schrieb. War er fertig, so machte ich eine Reise. Kam ich heim, so beschrieb ich sie.«

Den Reisebeschreibungen hatte die Gräfin bereits einen Roman, ihren ersten, vorausgehen lassen, der im Jahre 1838 erschien und den Titel führte: »Aus der Gesellschaft.« Außerdem hatte sie von 1835 bis 1837 vier Bändchen Gedichte veröffentlicht.

Auf ihren Reisen wurde sie zwei Jahrzehnte hindurch von einem Mann begleitet, der in ihrem Leben eine eigentümliche Rolle durchführte: es ist dies der kurländische Baron Adolf von Bystram, ein feingebildeter, edler Aristokrat, dessen Gesamtbild in vielen Zügen an manche prächtige Gestalt der mittelalterlichen, vom Schimmer der Romantik verklärten Ritterzeit erinnert. Als ihn die Gräfin bald nach ihrer Ehescheidung in Dresden kennen lernte, hatte er seine Jugend schon längst hinter sich; er war Witwer, hatte seine Frau frühzeitig durch den Tod verloren und sich selbst durch ein derselben gegebenes Versprechen, nach ihrem Ableben nicht mehr zu heiraten, zur Ehelosigkeit verpflichtet. Diesen Mann liebte die Gräfin Hahn mit der vollen Glut ihres Herzens, ohne daß deswegen das Verhältnis zu ihm etwas an seiner Reinheit eingebüßt hätte. Freilich, die Welt, die sich auf den Schein versteift, urteilte anders und der Schein sprach allerdings gegen sie, zumal wenn man als Maßstab zur Beurteilung ihrer Lebensführung die lockeren Grundsätze und Aussprüche heranzog, welche die Gräfin über Ehe und Moral in ihren Romanen niederlegte.

Warum sie dem treuen Genossen, der nach ihrem eigenen Geständnis für sie ein Fels war, an welchem sie sich wie ein Epheu emporranken konnte, nicht die Hand zum ehelichen Bunde reichte, das mochte seinen Grund wohl in ihrer bekannten Anschauung über die Ehe haben; sie wollte sich eben in jene für sie schwere Fessel nicht ein zweites Mal schlagen lassen. Das Verhältnis zu Bystram dauerte bis zum Jahre 1849, dann löste es zu ihrem größten Schmerz der Tod, Sie selbst aber ergoß ihre Klage in den Worten: »Da verlor ich ein solches Herz! Er sank ins Grab! Und so war ich denn allein in meiner Höhle! Die Kerzen erloschen, die Blumen verwelkten! Mir war alles gleichgiltig.«

Man hat in dem Verlust ihres geliebten Freundes den ersten, ja einzigen Anstoß zu ihrem bald darauf erfolgten Glaubenswechsel sehen wollen. Aber diese Annahme beruht auf reiner Willkür, und die gewichtigsten inneren Gründe stemmen sich gegen sie. Vor allem wird eine Persönlichkeit von solch' eigenartigem Geistesleben und besonders von einer so ausgeprägten Verstandesschärfe, wie beides der Gräfin Hahn eignete, nicht durch äußerliche Tatsachen zu wichtigem innerem Handeln bestimmt. Und gerade der Sinn für Innerlichkeit erfreute sich bei der Gräfin einer ungemein kräftigen Entwicklung. »Auf die Innerlichkeit ging ich immer aus,« schreibt sie einmal, »die Seelen wollte ich wissen; was sie gehört und gesehen, war mir vollkommen einerlei, was sie dabei gedacht und empfunden, sehr wichtig.«

Nur langsam rang sich Gräfin Hahn zur Erkenntnis durch, daß nicht alle positiven Religionen, wie sie anzunehmen pflegte, die volle und ächte Wahrheit für sich hatten, sondern daß nur eine von ihnen die Hüterin und Besitzerin derselben sein könne. Sie fand, daß der Protestantismus mit seiner subjektiven Bibelauslegung und seinem Mangel an Autorität einer nach dem Heil lechzenden Seele keine Befriedigung und Erquickung zu bieten vermöge.

Ihre Reisen in katholische Länder, ihr Studium der Schriften eines heiligen Augustin, Thomas von Kempen, Fenelon und anderer erleuchteter Geistesmänner brachten sie der Einsicht immer näher, daß nur der Katholizismus ihr Sehnen stillen könne. Auf ihrer Orientreise (1843 bis 1844) erwachte zum ersten Male ein schmerzliches Empfinden, nicht katholisch zu sein. Das geräuschlose und doch so segensreiche Wirken der demütigen Mönche, die ihr Vaterland verlassen hatten, um im Orient kleinen Kindern Unterricht zu geben und Pilger zu verpflegen, die charitative Arbeit der Klöster hinterließ einen tiefen Eindruck in ihrer empfänglichen Seele. Um jene Zeit schrieb sie über die katholische Kirche: »Bis dahin hatte ich wohl schon öfter gefunden, es müsse gar schön sein, in ihr geboren zu sein – doch weiter nichts..... Nun, da ich die katholische Kirche in ihrer Glorie, d. h. in Liebe und Armut sah, da fing ich an, sie zu lieben.« Im Gegensatze hiezu ließ sie sich über ihre eigene Kirche folgendermaßen aus: »Vor der jetzt modischen evangelischen Kirche ekelt mich! Nein! Kirche! Wenn Kirche sein soll, gibt es für mich nur eine, die katholische!«

Wertvolle Anregungen erhielt ihr Geist auf einer Reife nach England und Irland im Jahre 1847. Dort erwachte, wie sie selbst gesteht, ihre Seele aus dem Murmeltierschlafe. Besonders das religiöse Leben des katholischen Irlands überwältigte sie und belebte ihr Verständnis für das Wesen der katholischen Kirche.

Nach ihrer Rückkehr von dem Inselreiche warf sie sich mit aller Energie auf solche Studien, von denen sie religiöse Erleuchtung erwarten durfte; sie vertiefte sich in die Bücher der heiligen Schrift, zog die scharfsinnigen Lehren St. Augustins, der auf sie wie ein Magnet wirkte, zu Rat, las die Geschichte und Satzungen des Tridentinums, daneben vergleichsweise aber auch die Schriften Luthers.

Endlich brach sich die Gnade in ihr Bahn und verscheuchte die letzten Nebelstreifen des Zweifels, die noch ihre Seele umflatterten. Mit dem festen Entschluße, Katholikin zu werden, wandte sie sich Ende des Jahres 1849 an den Kardinal und Fürstbischof Diepenbrock von Breslau. Von diesem wurde die Heilsbegierige an den damaligen Propst in Berlin, Emanuel von Ketteler, gewiesen, der sie für den Übertritt vorbereitete, soweit dies noch erforderlich war. Am 26. März 1880 vollzog sich ihre Rückkehr in den Schoß der Mutterkirche; der inzwischen zum Bischof von Mainz ernannte Freiherr von Ketteler selbst nahm sie in denselben auf.

Obwohl Gräfin Hahn schon seit der Veröffentlichung ihrer »Orientalischen Briefe« in den Verdacht des Kryptokatholizisnms geraten war, erregte doch jetzt ihr Glaubenswechsel das größte Aufsehen, das sich noch steigerte, als sie in den beiden Büchern: »Von Babylon nach Jerusalem« (1851), und: »Aus Jerusalem« ihren Austritt aus der protestantischen Kirche rechtfertigte und geistvoll begründete. Die Katholiken lasen mit Freude, die Protestanten voll Erbitterung die Darlegung der Gräfin. Von mehr als einer Seite wurde sie heftig in der Presse angegriffen. Die bisherigen Verehrer ihrer Muse und namentlich die Protestantischen Kritiker wurden ihre Feinde, und über die nach ihrer Bekehrung erschienenen Romane brach man, wenn man sie nicht überhaupt totschwieg, einfach den Stab. Bezeichnend ist was Rudolf von Gottschall, der bekannte Literaturhistoriker, schreibt: »Mußte es der Einsiedlerin nicht von allen Entsagungen, die sie sich auferlegen mußte, als die schlimmste erschienen, daß diese Werke kein Echo mehr fanden in der deutschen Literatur, die ihr doch einst den schönen Kranz gewunden?«

Die »Einsiedlerin« aber ließ sich weder durch offene noch durch versteckte Angriffe beirren. Bald nach ihrem Übertritt verlegte sie ihren Wohnsitz nach Mainz, wo sie in der Nähe des Domes sich in einem Privathause einmietete. Im Jahre 1854 bezog sie im Kloster vom guten Hirten, welches sie aus eigenen und fremden Mitteln in's Leben gerufen, ein bescheidenes Zimmerchen, »groß genug, um einen Tisch und Stuhl und Bett zu fassen«, hier lebte sie bis zu ihrem Tode, noch dreißig Jahre lang, hier schuf sie ihre herrlichen Werke voll katholischen Geistes und Empfindens, von hier aus wirkte sie, eine begeisterte Tochter der christlichen Charitas, im Stillen nach allen Seiten hin, wo man ihrer Hilfe bedurfte, besonders wenn es sich um wohltätige Vereine oder um ein kirchliches Werk handelte.

Im Jahre 1853 wurde ihr die Freude zu teil, auch ihren Bruder, den Grafen Ferdinand Hahn-Neuhaus und dessen Gemahlin zur katholischen Kirche übertreten zu sehen. Gemeinschaftlich mit diesen beiden reiste sie im Winter 1869 nach der ewigen Stadt, um dort Zeuge zu sein von dem an das Konzilium sich anschließenden katholischen Leben.

Eine schwere Heimsuchung kam in den letzten Jahren ihres Daseins über sie. Nachdem sie bereits im Jahre 1848 infolge einer Operation und wohl auch infolge eigener Sorglosigkeit ein Auge eingebüßt hatte, trübte sich auch das Licht des anderen Auges fast bis zur Blindheit, so daß die Gräfin diktieren und sich vorlesen lassen mußte. Ein Jahr vor ihrem Tode schwanden auch ihre körperlichen Kräfte bedeutend und die Füße versagten ihr den Dienst. Schließlich erkrankte sie im Dezember 1879 an Herzerweiterung, der sie am 12. Januar 1880 erlag.

Mit ihr verlor die katholische Literatur Deutschlands ihre größte Romanschriftstellerin. Dieser Verlust ist bis heute noch nicht wettgemacht, noch wird er sobald ersetzt werden, denn von den lebenden Schriftstellerinnen auf katholischer Seite kann sich keine mit der Genialität der Gräfin Hahn messen, mögen ihre literarischen Verdienste im übrigen noch so unbestritten und rühmenswert sein!

Gräfin Hahn war nicht nur eine geniale, sondern auch eine fruchtbare Schriftstellerin. Vom Jahre 1835 an, in welchem sie ihren ersten literarischen Versuch der Öffentlichkeit bot, bis zum Jahre 1878, in welchem sie ihr letztes Erzeugnis erscheinen ließ, also innerhalb 43 Jahren, gab sie nicht weniger als 48 Werke heraus, meistens Romane von je zwei Bänden Umfang. Zu sagen, daß alle diese Gaben ihrer Feder gleichwertig seien, hieße die Augen gegen die Tatsache verschließen, daß auch dem besten Schriftsteller nicht jeder Wurf gelingt. Aber wenn man die schwächeren Schöpfungen der Gräfin Hahn ausscheidet, bleibt noch immer ein solcher Reichtum übrig, daß man um den dauernden Ruhm der Dichterin nicht zu bangen braucht.

Ihre Fruchtbarkeit findet ihre Erklärung nur in der erstaunlichen Leichtigkeit ihres Schaffens. Diese befähigte sie, unter Umständen einen druckfertigen Roman innerhalb drei Wochen herzustellen, ohne daß an dem Manuskripte auch nur das geringste geändert zu werden brauchte, was namentlich in Hinsicht auf die nach ihrer Konversion entstandenen Romane, welche als ihre vorzüglichsten gelten, nicht wenig besagen will.

In mehr als einer Beziehung erreicht ihre dichterische Kraft diejenige der George Sand, ihrer berühmtesten französischen Zeitgenossin auf dem Gebiete des Romans. Sogar Rudolf von Gottschall gesteht, daß keine deutsche Schriftstellerin der George Sand im Ausdruck der Herzensempfindungen und der poetischen Sprache so nahe gekommen sei wie die Gräfin Hahn. Und dabei hat dieser Kritiker nicht einmal ihre Meisterwerke, die katholischen Romane, im Auge, sondern nur ihre früheren; jene scheint er offenbar nicht gekannt zu haben, denn wie er selbst sagt, war das Buch: »Von Babylon nach Jerusalem« das letzte große Werk, von dem man in literarischen Kreisen Notiz nahm; sie hatte ja ihr letztes Wort gesprochen.«R. v. Gottschall, Deutsche Nationalliteratur, 9. Auflage. S. 926.

Ringt die deutsche Dichterin in Bezug auf naturgetreue Darstellung der Leidenschaften und Sprachgewalt sieghaft mit der Französin um die Palme, so tritt sie doch gegen diese bei einem Vergleich des beiderseitigen Talents zurück; die Französin umfaßt alle Lebensverhältnisse, sie kennt die vornehme Welt so gut wie das Leben und Treiben des Bauernvolkes, ja dieses letztere noch besser, wie ihre Dorfgeschichten beweisen. Die deutsche Gräfin dagegen bewegt sich meistens in der gleichen Sphäre, es ist fast immer der Aristokratismus in seinen wechselnden Erscheinungsformen, der ihren poetischen Bauten zum Untergrunde dient. Über die Grenzen des Salons schreitet sie kaum hinaus, und insofern waren ihrer Begabung allerdings Schranken gezogen. »Wenn sie einmal herniedersteigt in eine ärmliche Hütte,« schreibt einer ihrer besten Kenner, »so entsetzt sie sich vor der Verlassenheit, der beklemmenden Öde, vor dem Mangel an Luft und Licht und flieht zurück in ihren wohldurchwärmten, von den feinsten Parfüms duftenden Salon.«Heinrich Keiter, Kathol. Erzähler der neuesten Zeit. 2. Aufl. S. 34.

Eine reichgegliederte Handlung zu erfinden, war ebenfalls nicht die starke Seite ihres Talents, das sich mehr am Lyrischen Genüge sein ließ; auch breitet sich über die in ihren Romanen auftretenden Personen eine gewisse Einförmigkeit, und immer muß der Leser die Wahrnehmung machen, daß ihm die Dichterin diese vornehmen Herren und Damen schon so und so oft vorgestellt hat. »Aber zu bewundern ist es, wie trefflich es ihr gelingt, die nämlichen Charaktere, die nämlichen Empfindungen immer neu und geistreich vorzuführen.«Heinr. Kurz, Gesch. der neuesten deutschen Literatur. Bd. 4. S. 755. Und hierin liegt das Geheimnis ihrer großen dichterischen Gewalt, die sie über die Gemüter der Leser gewann. Wenn man in Betracht zieht, daß gerade die Zeichnung von Charakteren an die plastische Kunst eines Dichters die höchsten Anforderungen stellt, so ergibt sich für die Gräfin Hahn, daß sie ohne allen Zweifel zu den größten schriftstellernden Geistern des 19. Jahrhunderts zu rechnen ist. Man braucht nur »Maria Regina« zu lesen, um sich gestehen zu müssen, daß die Weltliteraturen, soweit es sich um die Romangattung handelt, wenige Werke auszuweisen haben, in denen die Kunst der Charakterschilderung einen solchen Grad bewundernswerter Vollkommenheit erklommen hat, wie in dieser herrlichen Dichtung.

Welch' prächtig gezeichnete, lebenswahre Gestalten treten uns auch in den übrigen Romanen entgegen. Gestalten, die immer ächt sind, mögen sie nun in ihrer Lebensrichtung dem Lichte oder dem Schatten, dem Guten oder dem Laster folgen. Es sei hier nur erinnert an die ideale Dulderin Doralice im Roman gleichen Namens, an Euphrosyne, Grazia, Pater Smaragd (»Die beiden Schwestern«), Heliande(»Peregrin«), Florestine(»Die Erbin von Cronenstein«), Wendeline (»Die Glöcknerstochter«). Im Ganzen gelingen der Dichterin die weiblichen Charaktere besser als die männlichen, obschon man auch bei diesen kaum etwas von jener Schärfe und Feinheit vermißt, mit welcher Gräfin Hahn die psychologischen Regungen ihrer Helden und Heldinnen zu erfassen und darzustellen versteht. Und gerade diese Eigenschaft ist es, die ihre Romane so anziehend macht.

So groß aber auch der Genuß ist, welchen man beim Lesen der meisten Romane der Gräfin Hahn empfindet, wird er doch beeinträchtigt von zwei Umständen: einmal in formeller Hinsicht durch den gehäuften Gebrauch von fremdländischen, besonders französischen Ausdrücken, welche allerdings den bon ton, der aristokratischen Kreise kennzeichnen sollen, in denen sich die Romane abspielen, und sodann in technischer Beziehung durch das zu üppige Überwuchern von Gesprächen und Reden über Dinge, welche zur Handlung in gar keinem organischen Gefüge stehen und die Entwicklung hintanhalten. Freilich muß anderseits wieder geltend gemacht werden, daß diese Schwäche der Verfasserin dem Leser reichlich Gelegenheit verschafft, ihr ausgedehntes Wissen, ihren Gedankenreichtum, ihre leuchtende Denkkraft und bezwingende logische Schärfe kennen und bewundern zu lernen. Und von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet, dient jener technische Mangel der Dichterin sogar zu ihrer Verherrlichung: wir stehen bewundernd vor dieser Frauengestalt, die mit dem erhabenen Flug ihrer Seele hoch über der gewöhnlichen Menschheit schwebt und mit ihrem Blick, der seine Schärfe aus überirdischen Regionen zu holen scheint, nicht bloß das Gegenwärtige erfaßt, sondern selbst – denn der Dichter ist ein Seher – den Schleier der Zukunft durchdringt!

Die Gräfin Hahn ist recht eigentlich die Schöpferin des katholischen, besonders des sozialen Romanes geworden. Schätzt man ihren merkwürdigen Lebensgang richtig ein, so kann man nicht umhin, in ihr gewissermassen ein providentielles Werkzeug zu sehen, dazu bestimmt, den Menschen des 19. und 20. Jahrhunderts Wahrheiten in einer Form zu verkündigen, in welcher sie am leichtesten Zugang in die Herzen gewinnen. War die Dichterin vor ihrer Bekehrung eine bewunderte und gefeierte Modeschriftstellerin, so wurde sie nachher zu einer furchtlosen, unermüdlichen und geistvollen Ruferin im Streite, zu einer beredten Verteidigerin der katholischen Kirche, ihrer Wahrheiten und Rechte.

Der verderbliche Zeitgeist, wider den die große Dichterin und geniale Frau beharrlich kämpfte, hat sich vererbt auf das 20. Jahrhundert. Die Gesellschaft krankt auch heute noch an denselben Schäden und Gebresten, wie sie in den Romanen der Gräfin Hahn vor zwanzig und mehr Jahren geschildert wurden. Zug um Zug ähnelt die Gegenwart mit ihren ernsten, inhaltsvollen Fragen der Vergangenheit. Indem also die Gräfin Hahn ihre Werke aus den Bedürfnissen ihrer Zeit heraus schuf, hat sie ein geistiges Arsenal für die Zukunft aufgebaut, dessen sich auch die lebenden Geschlechter mit Vorteil im Kampf für die ewigen Prinzipien der Wahrheit bedienen können. In diesem Sinne werden die Schöpfungen der Gräfin Hahn niemals altern, sondern stets auch dann noch von Wert bleiben, wenn das Rad der Zeit längst über manchen literarischen Modegötzen der Gegenwart hinweggerollt ist und ihn für immer in den Staub gedrückt hat.

Otto von Schaching.



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