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6. Kapitel

Ich war in der Befolgung von Indaba-Zimbis Rat nicht langsam. Ungefähr hundertundfünfzig Schritte links vom Lager war eine kleine Einsenkung, und dort hatte ich mein Pferd mit einem den Buren gehörigen sowie Sattel und Zaumzeug verborgen. Dorthin gingen wir, und ich trug die ohnmächtige Tota im Arme. Zu unserer Freude fanden wir die Pferde, denn die Sulus hatten sie noch nicht gesehen. Jetzt waren sie natürlich das einzige Mittel für unsere Weiterbeförderung, denn die Ochsen waren weggeschickt, und wären sie selbst dagewesen, so hätten wir doch nicht die Zeit gehabt, sie einzuspannen. Ich legte Tota nieder, fing mein Pferd, machte den Kniehalter los und sattelte es. Während ich es tat, kam mir plötzlich ein Gedanke, und ich sagte Indaba-Zimbi, er möchte in das Lager zurückeilen und sehen, ob er meine doppelläufige Flinte und Pulver und Schrot finden könnte, denn ich hatte nur mein Elefantenrohr und wenige Ladungen Pulver und Blei bei mir.

Er ging, und während er fort war, kam Tota zu sich und fing zu weinen an, bis sie mein Gesicht sah.

»Ach«, sagte sie, »ich habe solch einen bösen Traum gehabt, ich träumte, daß mich die schwarzen Kaffern töten wollten. Wo ist mein Papa?«

Ich zuckte bei der Frage zusammen. »Dein Papa ist auf eine Reise gegangen, mein Liebling«, sagte ich, »und ließ mich hier, damit ich mich um dich kümmere. Wir werden ihn eines Tages finden. Du fürchtest dich doch nicht, mit Herrn Allan zu gehen, nicht wahr?«

»Nein«, sagte sie, ein bißchen zweifelhaft, und fing wieder zu weinen an. Dann fiel ihr ein, daß sie durstig wäre, und sie bat um Wasser. Ich führte sie zum Flusse, und sie trank. »Warum ist meine Hand rot, Herr Allan?« fragte sie und zeigte auf einen Streifen, den Bombyanes blutige Finger zurückgelassen hatten.

In dem Augenblick freute ich mich, daß ich Bombyane getötet hatte.

»'s ist nur Farbe, Kindchen«, sagte ich, »sieh, wir wollen sie abwaschen und dein Gesicht auch.«

Während ich es tat, kehrte Indaba-Zimbi zurück. Die Flinten waren alle verschwunden; er sagte, die Sulus hätten sie und das Pulver mitgenommen, aber er hatte einige Sachen gefunden und mitgebracht. Da war eine dicke Decke, ungefähr zwanzig Pfund Biltong oder von der Sonne gedörrtes Fleisch, einige Hände voll Schiffszwieback, zwei Wasserflaschen, eine kleine Blechpfanne, einige Streichhölzer und verschiedenes.

»Und nun, Macumazahn«, sagte er, »nun täten wir am besten, aufzubrechen, denn diese Umtetwas kommen zurück. Ich sah einen von ihnen über den Hügel kommen.«

Das genügte für mich. Ich hob Tota in den Sattel, stieg auf und ritt davon, während ich sie festhielt. Indaba-Zimbi zog einen Zügel durch das Maul des besten Burenpferdes, warf den Sack mit den verschiedenen Sachen auf dessen Rücken und stieg ebenfalls auf, während er die Elefantenflinte in der Hand hielt. Wir ritten acht- bis neunhundert Schritte in tiefstem Schweigen, bis wir aus der Sehweite der Wagen waren, die in einer Versenkung standen. Dann ritt ich scharf los, mit einem solchen Gefühl der Dankbarkeit im Herzen, wie ich es gar nicht in Worte kleiden kann; denn nun wußte ich, daß diese schwarzen Teufel uns, da wir zu Pferde saßen, niemals fassen konnten. Aber wohin sollten wir steuern? Ich legte Indaba-Zimbi die Frage vor, ob er es nicht für ratsam hielte, wenn wir der Spur der Ochsen, die wir in der vorigen Nacht mit den Kaffern und den Frauen fortgeschickt hatten, zu folgen versuchten. Er schüttelte den Kopf.

»Die Umtetwas werden gleich den Ochsen folgen«, antwortete er, »und wir haben genug von ihnen gesehen.«

»Völlig genug«, antwortete ich mit Begeisterung; »ich habe nicht den Wunsch, je wieder einen zu sehen; aber wohin wollen wir gehen? Nun sind wir mit einer Flinte und einem kleinen Mädchen in der weiten einsamen Wildnis. Nach welcher Seite sollen wir uns wenden?«

»Unsere Gesichter waren gen Norden gewandt, ehe wir den Sulus begegneten«, antwortete Indaba-Zimbi, »laß sie uns noch weiter nach Norden wenden. Reite zu, Macumazahn; heute abend, wenn wir absatteln, will ich mir die Sache betrachten.«

So ritten wir den ganzen langen Nachmittag und folgten dem Flußlaufe. Wegen der Bodenbeschaffenheit kamen wir nur langsam vorwärts, aber vor Sonnenuntergang hatte ich die Befriedigung, zu wissen, daß zum mindesten fünfundzwanzig Meilen zwischen uns und den verfluchten Sulus lagen. Die kleine Tota schlief fast den ganzen Weg, das Pferd hatte eine leichte Gangart, und sie war ganz erschöpft.

Endlich sank die Sonne nieder, und wir sattelten in einer kleinen Vertiefung in der Nähe des Flusses ab. Es gab nicht viel zu essen, aber ich weichte für Tota etwas Schiffszwieback in Wasser ein, und Indaba-Zimbi und ich hielten ein kärgliches Mahl von Biltong. Als wir fertig waren, zog ich Tota das Kleid aus und hüllte sie dicht beim Feuer, das wir angezündet hatten, in die Decke; dann steckte ich mir eine Pfeife an. Da saß ich an der Seite des verwaisten Kindes und dankte von Herzen der Vorsehung, die ihr und mein Leben von dem Gemetzel dieses Tages gerettet hatte. Was für ein schreckliches Erlebnis war es gewesen! Es kam einem, nun man darauf zurückblickte, wie ein grauenvoller Traum vor. Und dennoch war es die nüchterne Wirklichkeit, eines von den vielen traurigen Ereignissen, die den Pfad der auswandernden Buren mit den Knochen ihrer Männer, Frauen und Kinder bestreuen. Diese Schrecken sind jetzt fast vergessen; die Leute, die z. B. in Natal leben, können sich kaum vorstellen, daß vor einigen vierzig Jahren sechshundert Weiße, darunter viele Frauen und Kinder, in gleicher Weise von den Impis Dingaans massakriert wurden. Aber es war doch so, und dar Name des Distriktes, Weenen oder der Ort des Weinens, wird das Gedächtnis daran für immer aufrechterhalten.

Dann dachte ich über die außerordentliche Verschlagenheit nach, die Indaba-Zimbi bei meiner Lebensrettung bewiesen hatte. Es schien, daß er in seinem frühesten Mannesalter selbst unter den Umtetwa gelebt und als Regendoktor und Zauberer geschätzt worden war. Aber als T'Chaka, Dingaans Bruder, die Ermordung aller Zauberer anordnete, war er gen Süden geflohen und hatte sein Leben gerettet. Als er darum hörte, daß das Regiment ein Umtetwa-Regiment war, das aus Sululand weggezogen war und Frauen und Kinder zurückgelassen hatte, um den Grausamkeiten Dingaans zu entfliehen, so ging er unter dem Vorwande, zu spionieren, geraden Wegs zu dem Häuptling Sususa, den er als Bruder anredete, was er auch wirklich war.

Der Häuptling erkannte ihn sofort und auch die Soldaten, denn sein Ruhm unter ihnen war noch groß. Dann erzählte er ihm sein Wundermärchen, daß ich ein weißer Geist wäre, dessen Anwesenheit im Lager es unbezwingbar mache, und in der Absicht, mein Leben bei dem Gemetzel, das, wie er wußte, erfolgen würde, zu retten, willigte er ein, mich aus dem Lager zu locken und mich in ihre Gewalt zu geben. Wie der Plan ausgeführt wurde, habe ich schon erzählt, es war ein sehr gewagter, und ohne ihn hätten meine Sorgen schon seit vielen Jahren ihr Ende erreicht.

So lag ich da und dachte über all das nach, das Herz von Dankbarkeit geschwellt, und währenddem bemerkte ich, wie der alte Indaba-Zimbi einige geheimnisvolle Experimente machte, mit Knochen, die er aus seinem Sacke holte, und Asche, die er mit Wasser mischte. Ich sprach mit ihm und fragte ihn, was er vorhätte. Er antwortete, daß er den Weg ausfindig mache, den wir einschlagen müßten. Ich war geneigt, »Bosh!« zu sagen, aber da ich mich der bemerkenswerten Beweise erinnerte, die er von seiner Macht in geheimnisvollen Angelegenheiten gegeben hatte, hielt ich den Mund, und indem ich die kleine Tota in den Arm nahm, versank ich, erschöpft von Mühseligkeiten, Gefahr und Aufregung, in festen Schlaf.

Ich erwachte gerade, als die Morgenröte in gelblichen und goldigen Streifen über den Himmel flammte, oder vielmehr weckte mich die kleine Tota, indem sie mich noch im Halbschlaf küßte und mich »Papa« nannte. Dies zu hören, tat mir im tiefsten Herzen weh. Ich stand auf, wusch das Kind und kleidete es an, so gut ich konnte, und dann frühstückten wir, wie wir zu Abend gegessen hatten, Biltong und Zwieback. Tota fragte nach Milch, aber ich hatte keine, die ich ihr geben konnte. Dann fingen wir die Pferde ein, und ich sattelte meines.

»Nun, Indaba-Zimbi«, sagte ich, »welchen Weg weisen uns nun deine Knochen?«

»Geradezu nach Norden«, sagte er. »Die Reise wird beschwerlich sein, aber in vier Tagen kommen wir an den Kral eines weißen Mannes, eines Engländers, keines Buren. Sein Kral liegt an einem schönen Ort, und dahinter liegt ein hoher Berg, auf dem viele Paviane sind.«

Ich sah ihn an. »Das ist alles Unsinn, Indaba-Zimbi«, sagte ich. »Wer hat denn jemals davon gehört, daß ein Engländer in dieser Wildnis ein Haus gebaut hätte, und woher weißt du denn irgend etwas darüber? Ich denke, wir täten besser, uns östlich zu halten, nach Port Natal zu.«

»Wie du willst, Macumazahn«, antwortete er, »aber es wird eine Reise von drei Monaten, ehe wir Port Natal erreichen, wenn wir überhaupt jemals hinkommen, und das Kind wird auf dem Wege sterben. Sag, Macumazahn, sind meine Worte bis hierher wahr geworden oder nicht? Habe ich dir nicht gesagt, du solltest die Elefanten nicht zu Pferde jagen? Sagte ich dir nicht, du möchtest einen Wagen nehmen, statt deren zwei, weil es besser ist, einen Wagen zu verlieren als zwei?«

»Das hast du mir alles gesagt«, antwortete ich.

»Und so rate ich dir jetzt nordwärts zu reiten, Macumazahn, denn dort wirst du großes Glück finden – ja, und großen Kummer. Aber kein Mann sollte dem Glück davonlaufen aus Angst vor Kummer. Aber wie du willst, wie du willst!«

Wieder blickte ich ihn an. An seine göttlichen Eingebungen glaubte ich nicht, aber ich kam zu dem Schlüsse, daß er sagte, was er für wahr hielt. Es schien mir nicht unwahrscheinlich, daß er von einem weißen Mann, der in der Wildnis lebte, gehört hätte, und daß er, weil er vorzog, als Prophet zu gelten, es nicht sagen wollte.

»Nun gut«, sagte ich zu Indaba-Zimbi, »so laß uns gen Norden reiten.«

Kurz nachher brachen wir auf, der Fluß, dem wir bis dahin gefolgt waren, wandte sich nach Westen, so verließen wir ihn. Den ganzen Tag ritten wir durch hügeliges Hochland, und eine Stunde vor Sonnenuntergang machten wir an einem kleinen Flusse Halt, der von einer Bergkette vor uns herunterkam. Mittlerweile war ich des Biltongs herzlich überdrüssig, so nahm ich also meine Elefantenflinte – denn was anderes hatte ich nicht –, ließ Tota bei Indaba-Zimbi und ging fort, um zu sehen, ob ich irgend etwas schießen könnte. Merkwürdigerweise hatten wir den ganzen Tag über kein Wild gesehen und sahen auch in all den folgenden Tagen keins. Ich überschritt das kleine Flüßchen, um in das Dornengebüsch, das drüben auf der Hügelseite wuchs, einzudringen, denn dort hoffte ich Böcke zu finden. Dabei beunruhigte es mich sehr, an dem weichen sandigen Rande eines Teiches die Spur zweier Löwen zu gewahren. Ich hoffte von Herzen, daß sie nicht mehr in der Nähe wären, und ging in das Wäldchen zerstreut liegender Dornbüsche. Eine ganze Weile irrte ich umher, ohne etwas zu gewahren, mit Ausnahme eines Klippspringers, der mit einem Satz von einem entfernt liegenden Steine aufsprang, ohne mir Gelegenheit zum Schuß zu geben. Endlich, grade als es dämmerig wurde, erspähte ich einen Ducker, ein zierliches kleines Ding, kaum größer als ein großer Hase; er stand ungefähr vierzig Schritte von mir entfernt auf einem Steine. Unter gewöhnlichen Verhältnissen wäre es mir nicht im Traume eingefallen, auf solch ein Tier zu schießen, besonders mit einer Elefantenflinte, aber wir waren hungrig. So setzte ich mich hin, lehnte den Rücken gegen einen Felsen und zielte auf seinen Kopf. Ich tat das, weil, wenn die drei Unzen schwere Kugel in seinen Körper geschlagen hätte, er vollständig zerschmettert worden wäre. Endlich zog ich den Drücker, die Flinte ging mit dem Knall einer kleinen Kanone los, und der Bock verschwand. Ich lief zur Stelle in größerer Unruhe, als ich im gewöhnlichen Leben über einen Kudu oder eine Elenantilope empfunden haben würde. Zu meinem Entzücken lag das kleine Geschöpf da – die riesige Kugel hatte es enthauptet. Wenn ich alle Verhältnisse in Betracht ziehe, so glaube ich, daß ich nie im Leben einen besseren Schuß, als diesen hier, gemacht habe, wenn aber jemand daran zweifelt, so kann er seine Hand bei einem Kaninchenkopfe mit einer Elefantenflinte und einer drei Unzen schweren Kugel auf fünfzig Schritte Entfernung versuchen.

Ich nahm den kleinen Petie im Triumph in die Höhe und kehrte in unser Lager zurück. Da zogen wir ihm das Fell ab und rösteten ihn über dem Feuer. Er reichte gerade für eine gute Mahlzeit für uns, nachdem wir die Hinterläufe zum Frühstück aufgehoben hatten.

In dieser Nacht stand kein Mond am Himmel, und als mir dann plötzlich die Löwenspur einfiel und ich vorschlug, wir wollten die Pferde ganz in nächster Nähe anbinden, konnten wir sie nicht finden, obgleich wir wüßten, daß sie keine fünfzig Meter weit grasten. Da das nun einmal nicht zu ändern war, so hielten wir das Feuer im Gange und hofften das Beste. Plötzlich erwachte ich, weil ich den besonderen kläglichen Ton, den Schrei eines Pferdes ganz in der Nähe des Feuers, das noch hell brannte, hörte. Im nächsten Augenblick hörte ich den Lärm galoppierender Hufe, und noch ehe ich mich erheben konnte, erschien mein armes Pferd im Lichtkreise des Feuers. Wie bei einem hellen Blitze sah ich seine starren Augen und weitgeöffneten Nüstern und den zerrissenen Zügel, mit dem es am Knie festgebunden gewesen war, in der Luft fliegen. Und ich sah noch etwas, denn auf seinem Rücken war eine große dunkle Gestalt mit glühenden Augen, und von dieser kam ein brüllender Ton. Es war ein Löwe.

Das Pferd stürmte weiter. Es galoppierte grade durch das Feuer, zu dem es in seiner Angst geflüchtet war, und verschwand, glücklicherweise ohne auf uns zu treten, in der Nacht. Noch hundert Schritte weit oder länger hörten wir den Ton seiner Hufe, dann herrschte Stille, die nur ab und zu durch fernes Brüllen unterbrochen wurde. Wie man sich wohl denken kann, schliefen wir in dieser Nacht nicht mehr, sondern warteten angstvoll, bis zwei Stunden später der Morgen dämmerte.

Sobald es hell genug war, standen wir auf, und, Tota noch schlafen lassend, krochen wir vorsichtig in der Richtung hin, wo das Roß verschwunden war. Als wir ungefähr fünfzig Meter weit vorgedrungen waren, fanden wir seine Überreste und gewahrten die beiden großen katzenartigen Gestalten, die im grauen Licht fortschlichen.

Noch weiter zu gehen war nutzlos; wir wußten nun alles und wandten uns, um nach dem andern Pferde Umschau zu halten. Aber der Becher unseres Unglücks war noch nicht voll; wir konnten es nirgends finden. Bald kamen wir an seine Spur, und dann sahen wir, was sich zugetragen hatte. Vom Anblick und Geruch der Löwen entsetzt, hatte es ebenfalls den Zügel, mit dem es festgemacht war, losgerissen und war weit weggaloppiert. Und nun waren wir in dieser unendlichen Einsamkeit zurückgelassen, ohne ein Pferd, das uns tragen konnte, und mit einem Kinde, das noch nicht alt genug war, um größere Strecken hintereinander zu gehen.

Aber es half uns nichts, wenn wir den Mut verloren; so wechselten wir ein paar Worte und gingen zurück in das Lager, wo wir Tota weinend fanden, weil sie beim Erwachen allein gewesen war, und aßen etwas. Dann rüsteten wir uns zum Aufbruch. Erst teilten wir die Gegenstände, die wir mitnehmen mußten, in zwei gleiche Teile, und ließen alles, was uns irgendwie entbehrlich schien, zurück. Dann füllten wir zu guter Letzt noch unsere Wasserflaschen, obgleich ich eigentlich wegen der Gewichtsvermehrung dagegen war. Aber Indaba-Zimbi bestand darauf, zum Glück für uns alle drei. Ich bestimmte, daß ich beim ersten Marsche mich um Tota kümmern würde, und gab die Elefantenflinte an Indaba-Zimbi. Endlich war alles bereit, und wir marschierten los. Tota war imstande, den Abhang der Bergkette, wo ich den Ducker geschossen hatte, zu ersteigen, und ich trug sie nur zuweilen über rauhe Stellen. Endlich waren wir oben, und als ich auf das jenseits liegende Land blickte, stieß ich einen Ruf des Unbehagens aus. Man konnte nicht gerade sagen, daß es eine Wüste war; es glich mehr dem Karroo im Kaplande – eine weite sandige Strecke, die hier und dort von niedrigem Strauchwerk und verstreuten Felsblöcken unterbrochen wurde. Aber eine endlose Fläche erbärmlichen Landes erstreckte sich, so weit das Auge reichte, am fernen Horizonte von einer Kette rotschimmernder Hügel begrenzt, aus deren Mitte ein hoher, einsamer Berg hoch hinauf in die Luft ragte.

»Indaba-Zimbi«, sagte ich, »wir können niemals da hinüber und wenn wir sechs Tage gebrauchen.«

»Wie du willst, Macumazahn«, antwortete er; »aber ich sage dir, daß dort« – und er zeigte auf die Felskuppe – »der weiße Mann lebt. Wende dich, wohin du willst, aber wenn du dich von dort abwendest, so wirst du umkommen.«

Ich überlegte einen Augenblick. Unsere Sache war nach menschlichem Ermessen fast hoffnungslos. Es kam wenig darauf an, welchen Weg wir gingen. Wir waren allein, fast ohne Nahrung, ohne Transportmittel, und hatten ein Kind zu tragen. Es war einerlei, ob wir in der sandigen Ebene, dem welligen Lande oder unter den Bäumen der Hügelseite umkamen. Die Vorsehung allein konnte uns retten, und ihr mußten wir vertrauen.

»Komm«, sagte ich, indem ich Tota auf den Rücken nahm, denn sie war sehr müde, »alle Wege führen zur Ruhe.«

Wie soll ich das Elend der nächsten vier Tage beschreiben? Wie soll ich erzählen, daß wir uns durch diese entsetzliche Wüste schleppten, fast ohne Nahrung und gänzlich ohne Wasser, denn Flüsse gab es nicht, und Quellen fanden wir nicht. Wir sahen bald, wie die Sache lag, und sparten fast das ganze Wasser aus unseren Flaschen für das Kind. Die Erinnerung an all das Schreckliche ist ein banger Traum. Ich kann kaum ertragen, dabei zu verweilen. Tag für Tag trugen wir abwechselnd das Kind durch den tiefen Sand. Nacht für Nacht lagerten wir. in dem Strauchwerk, kauten die Blätter und leckten den Tau von dem spärlichen Gras. Keine Quelle, keine Wasserlache, kein Stück Wild.

Es war die dritte Nacht; wir waren vor Durst fast toll. Tota war vollständig bewußtlos. Indaba-Zimbi hatte noch ein wenig Wasser in seiner Flasche – vielleicht ein Weinglas voll. Wir feuchteten ihre Lippen und unsere schwarz gewordenen Zungen damit an. Dann gaben wir den Rest dem Kinde. Es belebte sie. Sie erwachte aus ihrer Ohnmacht, um in Schlaf zu sinken.

Endlich brach die Dämmerung an. Die Hügel waren nun nicht mehr weiter als acht Meilen entfernt, und sie waren grün.

Dort mußte Wasser sein.

»Komm«, sagte ich.

Indaba-Zimbi hob Tota in eine Art Tragriemen, die wir aus der Decke gemacht hatten und worin wir sie auf dem Rücken trugen, und wir taumelten eine Stunde weiter durch den Sand. Sie erwachte und schrie nach Wasser, aber ach, wir konnten ihr keins geben; unsere Zungen hingen uns aus dem Munde, und wir konnten kaum sprechen.

Wir rasteten ein Weilchen, und Tota fiel wieder in Ohnmacht. Dann nahm Indaba-Zimbi sie. Obgleich er so dünn war, hatte der alte Mann eine ganz wunderbare Kraft.

Wieder eine Stunde; der Abhang des großen Bergkegels konnte nun kaum mehr als zwei Meilen entfernt sein. Ungefähr hundert Schritte von uns entfernt wuchs ein großer Baobab. Konnten wir seinen Schatten erreichen? Die halbe Entfernung hatten wir durchschritten, als Indaba-Zimbi vor Erschöpfung hinfiel. Wir waren nun so schwach, daß keiner von uns das Kind auf den Rücken heben konnte. Wir faßten sie jeder bei einer Hand und zogen sie durch den Sand. Fünfzig Schritte – uns schienen es fünfzig Meilen. Ah, endlich hatten wir den Baum erreicht; mit der Hitze außerhalb verglichen war der Schatten unter seinem dichten Blätterwerk wie die Dämmerung und Kühle eines Gewölbes. Ich entsinne mich, daß ich dachte, es wäre ein guter Ort zum Sterben. Dann weiß ich von nichts mehr.

Ich erwachte mit dem Gefühl, als ob der gesegnete Regen auf mein Gesicht, meinen Kopf fiele. Langsam und mit unendlicher Mühe öffnete ich die Augen, dann schloß ich sie wieder, da ich eine Vision gesehen hatte. Eine ganze Zeitlang lag ich so, während der Regen anhielt; nun merkte ich, daß ich entweder schlief oder von Sinnen sein müßte. Denn wie kam ich sonst dazu, mir einzubilden, daß ein liebliches, dunkeläugiges Mädchen sich über mich beugte und mir Wasser in das Gesicht sprengte? Ein weißes Mädchen noch dazu, keine Kaffernfrau. Jedoch der Traum dauerte fort.

»Hendrika«, sagte eine Stimme auf englisch, die süßeste Stimme, die ich je gehört habe; sie erinnerte mich an den Wind, der nachts in den Teesträuchern flüstert. »Hendrika, ich fürchte, er stirbt; in meiner Satteltasche ist eine Flasche Kognak; hole sie.«

»Ah, ah!« grunzte eine harte Stimme als Erwiderung; »lassen Sie ihn sterben, Fräulein Stella. Er wird Ihnen Unglück bringen – lassen Sie ihn sterben, sage ich.« Ich fühlte über mir einen Luftzug, als ob sich das Mädchen meiner Vision rasch umgewandt hätte, und öffnete wiederum die Augen. Sie hatte sich erhoben, diese Traumgestalt. Nun sah ich, daß sie groß und anmutig war wie Schilf. Sie war auch ärgerlich; ihre dunklen Augen blitzten, und sie zeigte mit der Hand auf ein weibliches Wesen, das vor ihr stand und in ganz unbeschreibliche Kleider, die sowohl Männer als Frauen tragen konnten, gehüllt war. Dies Mädchen war jung, ebenfalls weiß, sehr klein, mit gebogenen Beinen und riesigen Schultern. Im Gesicht sah sie nicht übel aus, aber die Stirn wich zurück, Kinn und Ohren waren hervortretend – kurz, sie erinnerte mich an nichts so sehr als an einen sehr schönen Affen.

Die Dame zeigte mit der Hand auf sie. »Wie kannst du das wagen?« sagte sie. »Willst du mir schon wieder ungehorsam sein? Hast du vergessen, was ich dir gesagt habe, Babyan?« (Pavian.)

»Ah, ah!« grunzte die Person, die sich buchstäblich unter ihrem Zorn zu krümmen und niederzuducken schien. »Seien Sie mir nicht böse, Miß Stella, weil ich es nicht ertragen kann. Ich sagte es nur, weil es wahr ist. Ich will den Kognak holen.«

Dann, mochte es ein Traum sein oder nicht, beschloß ich zu sprechen.

»Keinen Kognak«, stammelte ich auf englisch, so gut es meine geschwollene Zunge zuließ; »geben Sie mir Wasser.«

»Ah, er lebt!« rief das schöne Mädchen, »und er spricht englisch. Sehen Sie, Herr, hier in Ihrer Flasche ist Wasser; Sie waren ganz dicht bei einer Quelle auf der andern Seite des Baumes.«

Ich mühte mich, mich hinzusetzen, hielt die Flasche an die Lippen und sog gierig daran. Oh, dieser Trunk kühlen, klaren Wassers, niemals hatte ich so Köstliches genossen. Beim ersten Schluck fühlte ich das Leben zu mir zurückkehren. Aber vorsichtigerweise ließ sie mich nicht viel trinken.

»Mehr nicht! Mehr nicht!« sagte sie und nahm mir die Flasche fast mit Gewalt weg.

»Das Kind«, sagte ich – »ist das Kind tot?«

»Ich weiß noch nicht«, sagte sie. »Wir haben Sie eben erst gefunden, und ich versuchte, Sie zuerst wieder zu beleben.«

Ich wandte mich um und kroch zu der Stelle, wo Tota neben Indaba-Zimbi lag. Es war unmöglich zu sagen, ob sie tot oder ohnmächtig waren. Die Dame besprengte Totas Gesicht mit dem Wasser, das ich gierig betrachtete, denn mein Durst war noch qualvoll, während Hendrika ein Gleiches mit Indaba-Zimbi tat. Sofort öffnete Tota, zu meinem großen Entzücken, die Augen und versuchte zu schreien, das arme kleine Ding konnte aber nicht, weil ihre Zunge und Lippen so geschwollen waren. Aber die Dame brachte etwas Wasser in ihren Mund, und wie bei mir war das Ergebnis ein wunderbares. Wir erlaubten ihr ungefähr eine Tasse voll zu trinken, und nicht mehr, obgleich sie bitterlich danach weinte. Grade da kam der alte Indaba-Zimbi mit Stöhnen zu sich. Er öffnete die Augen, blickte sich um und begriff die Situation. »Was habe ich dir gesagt, Macumazahn?« Und er ergriff die Flasche und tat einen kräftigen Schluck.

Mittlerweile saß ich mit dem Rücken gegen den Stamm des dicken Baumes gelehnt und versuchte alles zu überblicken. Zu meiner Linken sah ich zwei gute Pferde – eines mit einem roh gearbeiteten Damensattel, das andere ohne alles. Zur Seite der Pferde lagen zwei Hunde von gedrungener Windspielart und beobachteten uns, und neben den Hunden lag ein toter Oryxbock, den sie augenscheinlich gejagt hatten. »Hendrika«, sagte die Dame gleich darauf, »sie dürfen jetzt gleich kein Fleisch essen. Geh und sieh an dem Baume hinauf, ob reife Früchte darauf sind.«

Das Mädchen lief flink ein wenig fort und gehorchte. Alsbald kehrte sie zurück. »Ich sehe einige reife Früchte«, sagte sie, »aber sie hängen hoch, ganz oben an der Spitze.«

»Hole sie«, sagte die Dame.

»Das ist leichter gesagt als getan«, dachte ich bei mir selbst; aber ich war sehr im Irrtum.

Plötzlich sprang das Mädchen wenigstens drei Fuß hoch in die Luft und griff einen der ausgebreiteten Zweige mit ihren großen, flachen Händen – ein Schwung, der einen Akrobaten mit Neid erfüllt hätte – und oben war sie. »Nun geht's nicht weiter«, dachte ich wieder, denn der nächste Ast war außerhalb ihres Bereiches. Aber wieder irrte ich mich. Sie stellte sich auf den Zweig, hielt ihn mit den nackten Füßen fest und sprang wieder nach dem oberen, den sie faßte und auf den sie sich schwang.

Ich vermute, daß die Dame den Ausdruck des Erstaunens auf meinem Gesichte gewahrte.

»Wundern Sie sich nicht, Herr«, sagte sie, »Hendrika ist nicht wie andere Leute. Sie fällt nicht.«

Ich antwortete nicht, beobachtete aber das Vordringen dieser seltsamen Person mit dem atemlosesten Interesse. Weiter ging sie, schwang sich von Ast zu Ast und lief darauf entlang wie ein Affe. Endlich gelangte sie zur Spitze und kletterte auf einem dünnen Zweige nach den reifen Früchten. Als sie dicht daran war, schüttelte sie den Zweig tüchtig. Dann gab es einen Krach, noch einen – er brach. Ich schloß die Augen und erwartete, sie zerschmettert auf der Erde vor mir zu sehen.

»Ängstigen Sie sich nicht«, sagte die Dame, leise lachend. »Sehen Sie, sie ist ganz wohlbehalten.«

Ich blickte auf, und so war es. Sie hatte beim Fallen einen Zweig ergriffen, daran hing sie und ließ sich nun sachte auf den nächsten nieder. Der alte Indaba-Zimbi hatte diese Vorstellung auch mit Interesse beobachtet, aber sie schien ihn nicht gar zu sehr in Erstaunen zu setzen. »Pavianfrau«, sagte er, als ob solche Leute häufig wären, und dann versuchte er Tota zu trösten, die nach mehr Wasser jammerte. Mittlerweile kam Hendrika mit großer Geschwindigkeit vom Baume herunter und schwang sich, indem sie sich mit einer Hand an einem Zweige festhielt, von etwa zehn Fuß Höhe auf die Erde.

In zwei weiteren Minuten saugten wir alle an der fleischigen Frucht. Im gewöhnlichen Leben würden wir sie recht wenig schmackhaft gefunden haben; aber so schien sie mir das delikateste Ding, das ich je gegessen hatte. Nachdem man drei Tage ohne Nahrung und Wasser in der Wüste zugebracht hat, ist man nicht anspruchsvoll. Während wir noch die Frucht aßen, trug die Dame ihrer Begleiterin auf, dem Oryxbock, den ihre Hunde getötet hatten, teilweise das Fell abzuziehen, und beschäftigte sich selbst damit, von abgebrochenen Zweigen ein Feuer zu machen. Sobald es hell brannte, nahm sie Streifen des Oryxfleisches, röstete sie und reichte sie uns auf Blättern. Wir aßen und durften dann wieder ein wenig Wasser trinken. Dann führte sie Tota zu der kleinen Quelle und wusch sie, was sie sehr nötig hatte, das arme Kind! Dann kamen wir mit Waschen an die Reihe, welch ein Genuß!

Ich kehrte zum Baume zurück, zwar nur mühsam gehend, aber doch ein anderer Mann. Da saß das schöne Mädchen mit Tota auf den Knien. Sie lullte sie in Schlaf und hielt den Finger in die Höhe, damit ich nicht spräche. Endlich schlief das Kind in festem, gesundem Schlafe – ein Beispiel, dem ich gern gefolgt wäre, wenn mich nicht brennende Neugierde gequält hätte. Dann sprach ich:

»Darf ich fragen, wie Ihr Name ist?« fragte ich.

»Stella«, antwortete sie.

»Stella, was?« fragte ich.

»Stella nichts«, antwortete sie ein wenig pikiert. »Stella ist mein Name; er ist kurz und auf jeden Fall leicht zu behalten. Meines Vaters Name ist Thomas, und wir leben dort drüben«, und sie zeigte nach dem Fuße des großen Berges. Ich blickte sie erstaunt an. »Haben Sie dort schon lange gelebt?« fragte ich.

»Seit ich sieben Jahre alt war. Wir kamen dort mit einem Wagen an. Vorher kamen wir aus England – aus Oxfordshire; ich kann Ihnen den Platz auf der großen Landkarte zeigen. Er heißt Garsingham.«

Wieder glaubte ich, es müßte ein Traum sein.

»Wissen Sie, Fräulein Stella«, sagte ich, »das ist sehr seltsam – so seltsam, daß man es kaum für möglich halten kann – auch ich kam vor vielen Jahren aus Garsingham in Oxfordshire.«

Sie war ganz erstaunt. »So sind Sie ein englischer Herr?« sagte sie. »Ach, ich habe mich immer gesehnt, einen englischen Herrn zu sehen. Ich habe, seit wir hier leben, nie einen Engländer gesehen – überhaupt keine weißen Leute, mit Ausnahme einiger wandernder Buren. Wir leben zwischen Schwarzen und Pavianen – ich habe nur über sie gelesen – eine Menge Bücher – Poesie und Novellen. Aber sagen Sie mir, wie Ihr Name ist! Macumazahn nannte Sie der schwarze Mann, aber Sie müssen doch auch einen weißen Namen haben.«

»Mein Name ist Allan Quatermain«, sagte ich. Ihr Gesicht wurde ganz blaß, ihre rosigen Lippen öffneten sich, und sie blickte mich wild mit ihren schönen Augen an.

»Wissen Sie, das ist sehr seltsam«, sagte sie, »aber ich habe den Namen oft gehört. Mein Vater hat mir oft erzählt, wie ein kleiner Junge mit Namen Allan Quatermain einstmals mein Leben rettete, weil er, als mein Kleid Feuer gefangen hatte, es ausdrückte – sehen Siel« – und sie zeigte auf einen schwachen roten Fleck an ihrem Halse – »hier ist die Narbe der Brandwunde.«

»Ich entsinne mich dessen«, sagte ich. »Sie waren als Weihnachtsengel angekleidet. Ich war es, der das Feuer ausdrückte; meine Knöchel hatte ich dabei verbrannt.«

Dann saßen wir eine Zeitlang schweigend und blickten uns an, während Stella sich mit ihrem großen Filzhute, an dem einige weiße Straußenfedern befestigt waren, fächelte.

»Das ist Gottes Werk«, sagte sie endlich. »Sie retteten mein Leben, als ich ein kleines Kind war; nun habe ich Ihres und das des kleinen Mädchens gerettet. Ist sie Ihre kleine Tochter?« fügte sie schnell hinzu.

»Nein«, sagte ich, »ich will Ihnen gleich die Geschichte erzählen.«

»Ja«, sagte sie, »Sie sollen es auf dem Heimwege tun. Es ist Zeit, nach Hause aufzubrechen, wir gebrauchen drei Stunden, um dorthin zu gelangen. Hendrika, bringe die Pferde her!«


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