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14
Das Ende Heu-Heus

Das Kanu hielt gegenüber dem Opferungsfelsen in der Nähe des Felsabsturzes. Ich erkundigte mich, warum sie nicht weiterruderten. Der alte Walloo entgegnete schwach:

»Weil es unser Gesetz ist, Herr. Unser Gesetz befiehlt uns zu warten, bis die Sonne aufgeht und Heu-Heu in seiner Herrlichkeit erscheint, um die heilige Braut mit sich zu nehmen.«

»Gut«, entgegnete ich, »aber die heilige Braut sitzt ja hier im Boot und legt ihren Kopf auf mein Knie!« (Dies entsprach der Wahrheit; Sabeela hatte darauf bestanden, sich an mich, als dem Einzigen, dem sie vertrauen konnte, zu klammern und dasselbe hatte auch Dramana getan, denn ihr Kopf lag an meinem anderen Knie.) »Und ich möchte der Herrlichkeit Heu-Heus, was immer sie sein möge, nicht anraten, hierherzukommen, um sie abzuholen. Es sei denn, er wünscht ein Loch durch seine Herrlichkeit geblasen zu bekommen, so groß wie meine Faust«, fügte ich leidenschaftlich hinzu und schlug an meine doppelläufige Expreß-Büchse, die in ihrem wasserdichten Überzug an meiner Seite lag.

»Dennoch müssen wir warten, Herr«, entgegnete der Walloo demütig, »ich sehe, daß dort noch eine heilige Braut an den Pfeiler gebunden ist, und unser Gesetz verbietet, daß wir uns entfernen, bevor sie ihrer Fesseln entledigt ist.«

»Gewiß«, rief ich, »die heiligste aller Bräute, denn sie ist mausetot, und alle Toten sind heilig. Aber gut, warte, wenn du willst, denn ich wünsche zu sehen, was geschieht, und ich denke, daß sie uns hier nichts anhaben können.«

So zogen wir unsere Ruder ein und warteten, bis plötzlich der Rand der roten Sonne erschien und eine abenteuerliche Szene beleuchtete. Die Gewässer des Sees, die durch wochenlangen, ununterbrochenen Regen und das kürzliche Unwetter angeschwollen waren, ergossen sich in unaufhörlichem Schwall über die Insel und hatten jetzt den größten Teil des bebauten Gebiets in einer Höhe von mehreren Fuß überflutet. Ich mußte denken, daß es wohl kaum etwas ebenso Mächtiges auf der Erde gibt wie Wasser!

Bis jetzt hatte es allerdings noch nicht die an den Berg gebauten Häuser erreicht, in deren einem wir untergebracht gewesen waren. Noch hatte es den großen Opferungsfelsen nicht überflutet, der sich etwa in Manneshöhe über die Ebene erhob und anscheinend eine breite Fläche versteinerter Lava war, die sich einst aus dem Krater in den See ergossen hatte. Zwar schien der Umstand, daß dieser Felsen gegen den Eingang der Höhle zu abfiel, dieser Annahme zu widersprechen, aber ich schreibe diesen Umstand irgendeinem späteren vulkanischen Ereignis an der Grundfläche des Berges zu, wie sich solche öfters in vulkanischen Gebieten ereignen, wo verborgene Kräfte unter der Erdoberfläche tätig sind.

Nun gut, ich wiederhole, daß der Felsen noch nicht überflutet war und so kam es, daß an diesem Tag zur gleichen Stunde wie seit Hunderten von Jahren, Heu-Heu aus der Höhle hervortrat, um die heilige Braut für sich in Anspruch zu nehmen.

 

»Wie konnte das sein?« fragte Good triumphierend, in der Annahme, Allan eine Falle gestellt zu haben. »Sie haben gesagt, daß Heu-Heu eine Statue war, wie konnte er also die Höhle verlassen?«

»Haben Sie noch nie gehört, Good«, fragte Allan, »daß eine Statue manchmal getragen werden kann? Immerhin, diesmal war dies nicht der Fall, denn Heu-Heu selbst trat aus der Höhle hervor, gefolgt von einer Anzahl Frauen und einigen der haarigen Leute, und als ich ihn erblickte, wie er widerlich und riesig dahinschwankte, verstand ich zwei Dinge: Erstens, woher es kam, daß Sabeela mir geschworen hatte, daß schon viele Leute Heu-Heu mit eigenen Augen gesehen hätten, was auch Issicore von sich behauptete, wie er ›steif einherschritt‹. Zweitens, weshalb das Gesetz vorschrieb, daß das Kanu, welches die heilige Braut gebracht hatte, bis zum Morgengrauen warten mußte: nämlich, damit seine Bemannung Heu-Heu bemerken und bei ihrer Rückkehr in ihr Land seine körperliche Existenz bezeugen konnte, wenn es ihnen auch verboten war, Einzelheiten über seine Erscheinung zu berichten, denn jedes Wort darüber, glaubte man, würde einen Fluch auf ihre Häupter laden.«

»Aber es gab ja doch keinen Heu-Heu«, wandte Good ein.

»Good«, sagte Allan, »Sie sind tatsächlich das, was Hans mich nannte – nämlich ein ganz Gescheiter! Mit außerordentlichem Scharfsinn haben Sie die Wahrheit herausgefunden. Es gab keinen Heu-Heu, aber, Good, wenn Sie lange genug leben sollten«, fuhr er mit sanftem Sarkasmus fort, der aber zeigte, daß er ungehalten war, »jawohl, wenn Sie lange genug leben sollten, werden Sie erfahren, daß diese Welt voller Enttäuschungen ist und daß der Baum der Träume nicht allein in Heu-Heus Garten wächst, oder besser gesagt, wuchs. Wie Sie sagen, gab es keinen Heu-Heu. Aber es gab ein überaus getreues Ebenbild von ihm, das mit einer Geschicklichkeit hergestellt worden war, die eines erstklassigen Mimikers würdig gewesen wäre. So ausgezeichnet war dieses Phantom, daß es aus einer Entfernung von fünfzig Yards unmöglich war, es von dem riesigen Original zu unterscheiden, das in der Höhle abgebildet war.

Dort kam Heu-Heu in seiner ganzen zottigen grimmigen Scheußlichkeit, ›steif einherschreitend‹, und elf oder zwölf Fuß hoch! Oder, um die Tatsachen sprechen zu lassen – dort stolzierte Dacha auf Stelzen. Er war in gefärbte Felle gehüllt und trug auf dem Kopf eine Maske aus Flechtwerk, Leinwand oder sonstigem Stoff, die herrlich bemalt war, so daß sie den Zügen seines liebenswürdigen Gottes glich.

Die fromme Bemannung unseres Bootes erblickte ihn und neigte tief das Haupt, um seine Göttlichkeit anzubeten. Selbst Issicore verneigte sich, eine Handlung, die ihm, wie ich zu sehen glaubte, einen entrüsteten, nicht ganz von Verachtung freien Blick von Dramana und sogar von der liebenden Sabeela eintrug. Wenigstens war dies sicherlich der Fall bei Dramana, die hinter die Kulissen gesehen hatte, während Sabeela von anderen Überlegungen geleitet werden mochte. Vielleicht glaubte sie noch, daß es einen Heu-Heu gäbe, und war der Ansicht, daß Issicore besser getan hätte, sich der religiösen Vorschriften weniger ergeben und weniger bereit zu zeigen, um sie den göttlichen Zärtlichkeiten dieses Götzen auszuliefern. Ihr werdet jedenfalls alle bemerkt haben, daß es bei den Frauen, und mögen sie noch so fromm veranlagt sein, einen gewissen Punkt gibt, an dem die meisten von ihnen überaus weltlich zu denken beginnen.

Indessen stapfte Heu-Heu in seiner gespreizten, stelzenartigen Haltung vorwärts, und die Schar der weißgekleideten Frauen folgte ihm, indem sie den Brautgesang anstimmten, und hinter ihnen kamen mit verdrießlichen, schiefen Gesichtern ihre zottigen Gehilfen. Dennoch konnte ich durch mein Glas entnehmen, daß diese ›Damen‹ keinesfalls über das Fest erfreut waren, was sich auch wohl Dacha innerhalb seiner Vermummung dachte. Sie starrten auf das steigende Wasser und eine von ihnen wandte sich, um davonzulaufen, wurde aber von ihren Gefährtinnen an ihren Platz zurückgezogen, denn wahrscheinlich war bei dieser feierlichen Gelegenheit Flucht gleichbedeutend mit Gotteslästerung. So kamen sie heran, bis sie den Pfeiler erreichten, an den ich den Leichnam des Weibes gebunden hatte, worauf nach altem Brauch die Brautjungfern herbeieilten, um die Braut zu befreien, während das haarige Volk sich hinter ihnen ordnete.

Im nächsten Augenblick sah ich die erste dieser Brautjungfern plötzlich stehen bleiben und entsetzt auf den Körper starren. Dann stieß sie einen so fürchterlichen Schrei aus, daß er wie das Geheul einer Sirene über den See hallte. Auch die anderen starrten hin und begannen gleichfalls zu schreien. Jetzt stolzierte Heu-Heu höchstselbst herbei und warf einen Blick hin, einen kurzen Blick nur, denn jemand hatte bereits den Schleier weggerissen, den ich über den Kopf der Leiche gebreitet hatte! Er sah also nur kurz hin, und im nächsten Augenblick stapfte oder besser gesagt, stelzte er, so schnell er konnte, zur Höhle zurück.

Dies war zu viel für mich. An meiner Seite lag meine doppelläufige Expreß-Büchse mit Explosionsgeschossen geladen. Ich zog sie aus ihrem Überzeug, legte an und sandte eine Kugel zu Heu-Heu hinüber, gerade oberhalb der Stelle, wo ich den Kopf des darin befindlichen Mannes vermutete, denn ich wollte das Scheusal nicht töten, sondern nur erschrecken. Jetzt war das Licht bereits gut, und ich schien gut gezielt zu haben, denn einen Augenblick später schlug das Explosionsgeschoß in die Spitze seiner Kopfbedeckung und riß das ganze Zeug aus Flechtwerk und Pavianfellen, oder was es sonst noch war, herab. Niemals noch war bisher ein kirchlicher Würdenträger so plötzlich all seines Ornates entkleidet worden! Alles schien sich auf einmal in seine Bestandteile aufzulösen und Dacha stürzte von seinen Stelzen herunter, denn er machte einen königlichen Purzelbaum, der seine gekrümmte Nase auf dem Lavaboden plattgewalzt haben mußte. Dort lag er einen Augenblick lang, dann erhob er sich unter Zurücklassung seiner Stelzen und floh hinter den kreischenden Weibern und ihren affenartigen Gehilfen in die Höhle zurück.

»Nun«, bemerkte ich orakelhaft zum alten Walloo und den anderen, die infolge der Entladung meiner Flinte ganz entsetzt waren, »nun, meine Freunde, da seht ihr, woraus euer Gott besteht!«

Der Walloo versuchte keine Entgegnung, anscheinend war er zu sehr erstaunt – Enttäuschungen sind oft schmerzlich, wie ihr wißt. – Einer seiner Gefährten, der eine Art amtlicher Stundenansager zu sein schien, bemerkte jedoch, daß jetzt die Sonne aufgegangen und die heilige Hochzeit vollzogen sei, wenn auch auf ungewöhnliche Weise, und daß es nun für sie gesetzmäßig wäre, heimzufahren.

»Nein, das werdet ihr nicht«, entgegnete ich. »Ich habe hier lange Zeit auf euch gewartet, und jetzt werdet ihr ein wenig auf mich warten, denn ich möchte sehen, was sich ereignet.«

Nichtsdestoweniger tauchte der Stundenansager, anscheinend ein Mann von Erfahrung, wenn auch ohne alle Neugierde, sein Ruder ins Wasser, als ein Signal für die übrigen, dasselbe zu tun. Da klopfte ihm Hans kräftig mit dem Knauf seines Revolvers auf die Finger und setzte ihm hierauf den Lauf an den Kopf.

Dieses Argument überzeugte ihn davon, daß Gehorsam das beste war, was er wählen konnte, und er zog sein Ruder ein; die anderen taten desgleichen, indem sie sich höflich bei Hans entschuldigten.

So blieben wir, wo wir waren und hielten wartend Ausschau.

Es gab eine Menge zu sehen, denn jetzt begann das Wasser den Felsen zu überfluten. Es erreichte die ›Ewigen Feuer‹, was den Erfolg hatte, daß sie aufhörten, ›ewig‹ zu sein, denn sie gingen unter Dampf und Rauchwolken aus. Drei Minuten später stürzte es in einem Katarakt den Abhang hinab und ergoß sich in den Eingang der Höhle. Bevor ich bis hundert zählen konnte, begannen Leute in fürchterlicher Eile aus ihr herauszustürzen, wie es Wespen tun, wenn man mit einem Stock ihr Nest zerstört. Unter ihnen erkannte ich Dacha, der die gute Idee gehabt hatte, zuerst an sich zu denken.

Er und die ersten von denen, die ihm folgten, wateten durch das Wasser und kamen an Land. Sie begannen sofort den Bergabhang zu erklettern. Die übrigen waren nicht so glücklich, denn jetzt war der Strom bereits mehrere Fuß tief, und sie konnten gegen ihn nicht ankämpfen. Einen Augenblick sah man sie mitten unter Schaum und Gischt um ihr Leben kämpfen. Dann wurden alle zurück in die Höhle geschwemmt und das letztemal im Schoß Heu-Heus versammelt. Hierauf fielen sämtliche Häuser wie auf ein Signal in sich zusammen und verschwanden in den Fluten.

Alles schien zu Ende, und ich überlegte, ob ich Dacha eine Kugel nachsenden sollte, der jetzt auf einem Felsgrat stand und die Hände rang, als er die Zerstörung seines Gottes, seiner Stadt, seiner Weiber und Diener sah. Ich beschloß, es nicht zu tun, denn etwas in mir schien mir zuzuflüstern, diesen verruchten Schurken seinem Schicksal zu überlassen, und eben wollte ich Befehl geben, fortzurudern, als Hans meine Aufmerksamkeit auf den Gipfel des Berges lenkte.

Ich blickte hinauf und bemerkte, daß aus dem Krater eine riesige Dampfwolke aufstieg, wie sie aus dem Ventil einer Lokomotive zu kommen pflegt, wenn diese unter zu viel Dampf stehen muß – nur ins Millionenfache vergrößert. Außerdem stieß der Berg, wie eine solche Maschine, ein Gepfeife oder besser gesagt, ein Gebrüll aus, ein Getöse, das furchtbar anzuhören war.

»Was geht da vor, Hans?« schrie ich.

»Weiß nicht, Baas. Denke, daß Wasser und Feuer im Innern des Berges eine Unterredung haben. Es ist geradeso wie ein schlecht verheirateter Mann und sein Weib, die in einer kleinen Hütte zanken, Baas, und nicht hinaus können. Zisch und spuck; los, Weib! Schlag drein, Alter!«

Hier hielt er inne mit seinem Unsinn und blickte erregt auf den Berg. Dann wiederholte er mit leiser Stimme: »Ja, schlag zu, los, Alter! Schau ihn nur an, Baas!« sagte er.

In diesem Augenblick schien der Vulkan mit einem betäubenden Krachen gleich einem um das Vielfache verstärkten Donnerschlag entzwei zu brechen und sein Gipfel in die Luft zu fliegen.

»Baas«, sagte Hans, »man nennt mich den Herrn des Feuers, nicht wahr? Aber ich bin nicht Herr dieses Feuers, und ich glaube, je weiter wir fortkommen, umso sicherer werden wir sein! Allemagter! Schau hin!«, und er deutete auf eine gewaltige Masse flammender Lava, die aus den Wolken herabzustürzen schien und sich ein paar hundert Yards von uns in den See ergoß, wobei eine Kaskade von Dampf und Schaum aufstieg, wie bei einem explodierenden Torpedo.

»Rudert um euer Leben!« schrie ich die Walloos an, und in rasender Eile begannen sie das Kanu herumzuschwenken.

Als sie dies vollbracht hatten – es schien Jahre zu dauern –, sah ich einen außergewöhnlichen, furchtbaren Anblick. Dacha hatte seinen Felsgrat verlassen und rannte in den See hinein, verfolgt von einem Strom geschmolzener Lava. Er tanzte, während er lief, wahrscheinlich, weil ihn der Dampf verbrannt hatte. Er tauchte in das Wasser und eben jetzt bildete sich eine große Woge, die zweifellos durch irgendeine unterirdische Explosion hervorgetrieben wurde. Sie rollte auf uns zu, und auf ihrem Kamm befand sich Dacha.

»Ich denke, dieser Priester wünscht, daß wir ihn heimschaffen, Baas«, sagte Hans. »Er hat genug von seinem glücklichen Inselheim und wünscht sein Leben am Festland fortzusetzen.«

»Wünscht er dies?« entgegnete ich. »Nun es ist kein Platz für ihn im Kanu«, und ich zog meine Pistole.

Die Welle brachte Dacha ganz in unsere Nähe. Er richtete sich im Wasser auf oder war wahrscheinlich durch den Druck unter ihm emporgehoben worden, so daß er fast auf dem Kamm der Woge zu stehen schien. Da bemerkte er uns, und, die geballte Faust erhebend, stieß er Flüche über uns und anscheinend besonders über Sabeela und Issicore aus. Es war ein furchtbarer Anblick! Hans allerdings wurde davon nicht ergriffen, denn als Antwort deutete er zuerst auf mich, dann auf Sabeela und schließlich auf sich selbst und dann – so groß war seine unbesiegbare Gemeinheit – drehte er dem um sein Leben kämpfenden Hohepriester eine Nase.

Die Welle überschlug sich und Dacha verschwand, um »Heu-Heu zu suchen«, wie Hans bemerkte. Das war das Ende dieses grausamen, aber fähigen Menschen.

»Ich bin froh«, sagte Hans nach einiger Überlegung, »daß dieser Prediger Dacha erfahren hat, wer ihn zu Heu-Heu hinabgeschickt hat, bevor er hinging; aber, ich glaube, daß er dies auch ohnehin gut genug gewußt hat, sonst wäre er nicht so grimmig gewesen, Baas. Ist es dem Baas nicht aufgefallen, was für kluge Leute wir sind, deren Pläne alle so hübsch in Erfüllung gegangen sind? Nur einmal habe ich gedacht, daß alles schlecht ausgehen würde, das war, nachdem ich in dieses Kanu geklettert war, und diese Narren hier nicht hinrudern wollten, um dich und die Frauen zu holen, denn sie sagten, es wäre gegen ihr Gesetz! Während ich meine Kleider anlegte, die ich trocken herüberbekommen hatte, weil sie so sorglich eingepackt waren, Baas, überlegte ich, ob ich sie zum Gehorsam zwingen sollte, indem ich einen von ihnen erschoß. Doch ich hielt es für besser, eine Zeitlang zu warten, Baas, und zuzusehen, was geschähe. Wenn ich einen erschossen hätte, wären die anderen vielleicht noch stumpfsinniger und trotziger geworden und wären vielleicht davongerudert, nachdem sie mich getötet hätten. So wartete ich, was, wie der Baas zugeben wird, das beste war, und alles ist gut ausgegangen. Denn wahrscheinlich hat es dein verehrter Vater so angeordnet, der uns vom Himmel herab beobachtet hat.«

»Gut, Hans, aber wenn du dich anders entschlossen hättest, wen hättest du erschossen?« fragte ich. »Den Walloo?«

»Nein, Baas, denn er ist alt und dumm, wie eine alte Eule. Ich hätte Issicore erschossen, denn er geht mir so auf die Nerven, und ich würde gerne Sabeela davor bewahren, lange Jahre hindurch sich an seiner Seite zu langweilen. Wozu ist ein Mann nütze, Baas, der bei dem Gedanken, daß seine Braut einem Teufel überantwortet wird, in einem Boot sitzt und stöhnt und sagt, daß das uralte Gesetz nicht gebrochen werden dürfe, da sonst ein Fluch auf sie fallen würde? Das hat er getan, Baas, als ich ihn bat, den Männern zu befehlen, uns zur Treppe hinzurudern!«

»Ich weiß nicht, Hans. Das ist eine Angelegenheit, die beide miteinander austragen müssen, nicht wahr?«

»Gewiß, Baas, und wenn Sabeela ihre Besinnung zurückerlangt hat und schließlich, wie gewöhnlich, die Stunde der Erfüllung kommt, Baas, wird es mir um Issicore leid tun. Ich denke, wenn er dann sagt: ›Küß mich‹, dann werden zwei Ohrfeigen ihre Antwort sein, Baas. Schau hin, sie hat ihm schon den Rücken gekehrt. Gut, Baas, mir kann es gleich sein, und auch dir, denn wir haben mit Dramana fertig zu werden. Sie wendet dir nicht den Rücken, Baas, sie verschlingt dich mit den Augen und sagt in ihrem Herzen, daß sie endlich doch einen ›Heu-Heu‹ gefunden hat, der etwas wert ist, mag er auch klein, verknittert und grauslich sein und borstige Haare auf dem Kopf haben! Das, was in eines Mannes Innern ist, gibt den Ausschlag, Baas, nicht, wie er äußerlich aussieht, dies haben mir viele Frauen gesagt, als ich noch jung war, Baas.«

Hier erhob ich mit einem Ausruf, den ich nicht zu wiederholen brauche, den Kolben meiner Büchse mit der Absicht, ihn zart auf seine Zehen niederfallen zu lassen, denn niemand von uns liebt es wirklich, seine äußere Erscheinung durch einen aufrichtigen, wenn auch treuen Freund, vorgehalten zu bekommen. In diesem Augenblick aber wurde meine Aufmerksamkeit von diesem Geschwätz, das in Hansens Art seiner Freude über unsere gelungene Flucht Ausdruck geben sollte, durch einen zweiten glühenden Block abgelenkt, der ganz in der Nähe des Kanus niederfiel. Und im nächsten Augenblick bot sich unseren Augen der entsetzliche Anblick der völligen Auflösung des Vulkans.

Ich weiß nicht genau, was geschehen war, aber riesige Flächen lodernder Flammen und Wolken von Dampf stiegen zum Himmel empor. Diese Eruption wurde von donnerartigen Erdstößen und schauerlichen Explosionen begleitet. Weithin grollte es wie Donner, die Schauer von ausgeworfenen glühenden Blöcken und strömende Ausbrüche geschmolzener Lava, die sich in den See ergoß und ihn zum Wallen und Brodeln brachte, begleiteten. Nun kamen gewaltige Flutwellen, die unser Kanu in gefährliche Schwankungen brachten, dichte Aschenwolken und eine Art heißer Regen, der die Luft so verfinsterte, daß wir eine Zeitlang kaum ein Yard weit sehen konnten. Kurz, es war dies die entsetzlichste Offenbarung der Naturkräfte, die man sich denken kann, und sie ließ mich durch irgendeine Gedankenverbindung an den Tag des Gerichts denken.

»Heu-Heu rächt sich an uns!« heulte der alte Walloo, »weil wir ihn seiner heiligen Braut beraubt haben.«

Hier endete seine Rede, und zwar infolge eines gewichtigen Grundes, denn ein großer heißer Stein fiel ihm auf den Kopf und »traf ihn zermalmend wie eine Keule«, wie Hans, der ihm am nächsten saß, uns durch den Nebel erklärte.

Als Sabeela aus dem Aufschrei seines Gefolges entnahm, daß ihr Vater gestorben war, denn er bewegte sich nicht mehr, schien sie endlich vollkommen zu erwachen, gleichsam, als hätte sie gefühlt, daß der Mantel der Autorität auf sie herabgefallen sei.

»Werft diese heiße Kohle aus dem Boot«, befahl sie, »denn sie könnte den Boden des Bootes durchbrennen und wir würden sinken!«

Mit Hilfe des Ruders vollzog Issicore ihren Befehl und, nachdem der Leichnam des Walloos mit einem Mantel zugedeckt worden war, ruderten wir aus Leibeskräften weiter. Zu unserem Glück begann in diesem Augenblick ein kräftiger Wind von der Küste gegen die Insel zu wehen, der den heißen Regen und den Bimssteinstaub zurückhielt oder forttrieb, so daß wir wieder um uns blicken konnten. Nun bestand für uns nur noch die Gefahr, wie der Walloo durch die Felsblöcke getötet zu werden, die ringsumher ins Wasser stürzten, und Kaskaden und Gischt emporwirbelten. Es war, als wären wir unter einer heftigen Beschießung, aber glücklicherweise traf kein Stein das Boot, und je weiter wir von der Insel fortkamen, um so geringer wurde die Gefahr. Immerhin waren, wie wir später fanden, einige der Blöcke bis auf das Festland geschleudert worden.

Dennoch gab es eine weitere Gefahr zu bestehen, denn plötzlich befanden wir uns mitten in einer ganzen Flotte roher Kanus oder, besser gesagt, Bündeln von Treibholz und Schilf, und von Holzklötzen, die an beiden Enden durch Feuer zugespitzt waren, auf denen je ein Wilder vom Stamme des haarigen Volkes mit gespreizten Beinen saß und es mit einem zweiblättrigen Ruder vorwärtstrieb.

Wahrscheinlich war dies eine Abteilung der Eingeborenen, die auf Befehl ihres Gottes sich auf den Weg nach der Insel gemacht hatte, wo eine größere Menge von ihnen, wie bereits erwähnt, zum Kampf gegen die Walloos versammelt war. Oder waren es auch Flüchtlinge von der Insel; ich weiß es nicht. Eines war jedoch klar: Wie tief sie auch auf der Stufe der menschlichen Entwicklung stehen mochten, so waren sie doch scharfsinnig genug, uns mit der entsetzlichen, sich eben abspielenden Naturkatastrophe in Verbindung zu bringen. Kreischend und schnatternd, wie so manche große Affen, zeigten sie auf das höllische Schauspiel, den eben versinkenden, flammenden Vulkan und dann auf uns.

Dann begannen sie uns unter ihrem unheimlichen Geschrei: Heuheu! Heuheu! anzugreifen.

Da gab es nur ein Mittel – das Feuer auf sie zu eröffnen, und Hans und ich taten dies mit Erfolg. Unsere Ruderer versuchten indessen, ihnen mit aller Kraft rudernd zu entkommen. Ich muß zugeben, daß diese widerwärtigen, elenden Geschöpfe unglaublichen Mut bewiesen, denn der Anblick ihrer von unseren Geschossen zu Tode getroffenen Gefährtin schreckten sie nicht ab, sondern sie versuchten, uns auf den Fersen zu bleiben, in der Absicht, unser Kanu umzukippen und uns alle zu ertränken.

Hans und ich feuerten so schnell wie nur möglich, doch konnten wir kaum mit einem Zehntel von ihnen fertig werden, so daß unsere hauptsächliche Hoffnung auf der Geschwindigkeit und Geschicklichkeit unserer Ruderer beruhte. Sabeela erhob sich im Boot und rief ihnen Befehle zu, während Hans und ich zuerst mit unseren Gewehren und dann mit den Revolvern schossen.

Dennoch bekam ein Bursche, riesig wie ein Gorilla, dessen Haar bis auf seine buschigen Augenbrauen herabhing, unseren Dollbord zu fassen, und begann das Kanu umzukippen. Wir konnten ihn nicht erschießen, denn sowohl unsere Gewehre als auch die Revolver waren leer. Das Kanu schlingerte immer stärker von einer Seite auf die andere und begann Wasser zu schöpfen.

Eben als ich fürchtete, daß unser Ende gekommen sei, denn mehrere dieser haarigen Leute näherten sich uns bereits, rettete Sabeela in kühner, verzweifelter Weise die Situation. An ihrer Seite lag der gewaltige Speer des Priesters, den Hans im Schleusenschuppen getötet hatte, indem er ihn rücklings in den Schacht warf. Diesen ergriff sie, und mit verblüffender Kraft durchbohrte sie das riesige tierische Geschöpf, das sich an unser Boot geklammert hatte und mit seinem ganzen Gewicht den Bord unter Wasser zu drücken versuchte. Da ließ es los und versank. Durch geschicktes Manövrieren wichen wir den anderen aus und drei Minuten später waren wir sie los, denn sie konnten mit ihren rohen Hilfsmitteln mit uns nicht Schritt halten.

»Hübsch viel zu tun seit heute nacht, Baas«, sagte Hans, sich die Stirn abtrocknend. »Vielleicht kommen wir doch zur Stadt zurück, wenn uns nicht vorher ein Krokodil an der Küste auffrißt oder uns diese Narren dem Geist Heu-Heus opfern, oder falls wir nicht durch Blitze getötet werden. Dann wird der Baas mir wohl erlauben, ein wenig von diesem Eingeborenenbier zu trinken. Dieses Feuer ringsum hat mich sehr durstig gemacht.«

 

Nun gut, endlich kamen wir an – ein Zeitalter schien vergangen, seit ich diesen Damm verlassen hatte, auf den wir jetzt die ganze, zu Tode erschrockene Bevölkerung des Ortes versammelt fanden. Sie empfingen den Leichnam des Walloos mit respektvollem Schweigen, aber, wie es mir schien, ohne besonderen Schmerz. In der Tat schienen diese Leute alle Fähigkeiten zu größeren menschlichen Regungen verloren zu haben. Alle derartigen Äußerungen schienen aus ihren Seelen durch die Zeit und durch die erniedrigende Einwirkung der elenden Götzenanbetung, unter der sie lebten, fortgewischt worden zu sein. Sie waren tatsächlich bloß hübsche, menschliche Automaten geworden, die herumgingen und ihre Ohren spitzten, um die Stimme ihres Götzen aus jedem natürlichen Laut herauszuhören. Um die Wahrheit zu sagen, so interessant auch ihr Ursprung gewesen sein mochte, so erfüllte mich doch ihr gegenwärtiger Zustand des Verfalles mit Verachtung.

Das Wiedererscheinen Sabeelas verwunderte sie überaus, schien jedoch keine Freude hervorzurufen.

»Sie ist die Gattin des Gottes«, hörte ich einen von ihnen sagen.

»All dieses Unglück ist nur entstanden, weil sie ihm davongelaufen ist.«

Sabeela hatte es auch gehört und wandte sich lebhaft nach ihnen um. Wie es schien, hatte sie jetzt vollkommen ihre Beherrschung wieder gewonnen, was man jedoch von Issicore nicht behaupten konnte, der, obwohl er vor Freude ganz wild hätte sein sollen, niedergeschlagen und schweigsam war.

»Was für Unheil?« fragte sie. »Es ist wahr, mein Vater ist tot, getötet durch einen heißen Stein, der auf ihn herabfiel, und ich weine um ihn. Dennoch, er war ein Greis, der bald dahingehen hätte müssen. Ist es im übrigen ein Unheil, daß durch den Mut und die Kraft dieser Fremden ich, seine Tochter und Erbin, aus den Krallen Dachas befreit worden bin? Ich sage euch, daß Dacha der Gott war; Heu-Heu, den ihr anbetet, war nichts als ein gemaltes Götzenbild. Wenn ihr dies nicht glaubt, so fragt den weißen Häuptling hier und fragt meine Schwester Dramana, die ihr vergessen zu haben scheint und die ihm in vergangenen Jahren als heilige Braut übergeben wurde! Ist es ein Unheil, daß Dacha und seine Priester vernichtet worden sind und mit ihnen die Mehrzahl der wilden Waldmenschen, unsere Feinde? Ist es ein Unheil, daß der verhaßte, rauchende Berg im Begriff steht, sich in Feuer aufzulösen und mit ihm die Höhle der Mysterien verschwindet, aus der so manches Schreckensorakel kam? Geht nicht so die Weissagung in Erfüllung, daß wir durch einen weißen Häuptling aus dem Süden von unserer Bedrückung befreit werden würden?«

Bei diesen kraftsprühenden Worten schwieg die Menge und ließ den Kopf hängen. Sabeela blickte um sich und fuhr nach einer kleinen Weile fort:

»Issicore, mein Verlobter, tritt hierher und sag dem Volk, daß du dich freust, daß es so gekommen ist. Um mich von Heu-Heu zu erretten, bist du auf meine Bitten weit gereist, um vom großen Zauberer im Süden Hilfe zu erflehen. Er hat diese Hilfe gesandt, und ich bin gerettet worden. Und doch hast du geholfen, das Boot zu rudern, das mich zur Opferung brachte! Ich tadle dich nicht hierfür, denn du mußtest es infolge deines Ranges tun, oder wärest vom alten Gesetz getroffen worden. Nun bin ich gerettet worden, wenn auch nicht durch dich, der einverstanden war, mich dem Gott auszuliefern. Du dachtest ja, daß der weiße Häuptling auf der heiligen Insel sein Leben gelassen habe. Nun ist das Gesetz zu Ende mit der Zerstörung ›Heu-Heus‹ und seiner Priester, die durch die Weisheit und Macht jenes weißen Häuptlings und seines Gefährten vernichtet wurden. Sag ihnen also, wie sehr du dich freust, daß du deine Reise nicht umsonst gemacht hast, und sie dich nicht vergebens um Hilfe bitten ließen. Sag ihnen, wie du dich darüber freust, daß ich befreit und unbefleckt vor ihnen stehe, und daß von nun an das Land vom Fluche Heu-Heus befreit ist. Ja, sag dem Volk dies alles und bedanke dich bei den edelmütigen Fremden, die sie herbeigeführt und mich und meine Schwester Dramana gerettet haben.«

Nun, so müde ich war, beobachtete ich Issicore nicht ohne Spannung, denn ich war neugierig zu hören, was er zu sagen habe. Nach einer Pause trat er herbei und entgegnete mit zögernder Stimme:

»Ich freue mich, Geliebte, daß du gerettet zu uns zurückgekehrt bist, obgleich ich hoffte, daß der weiße Häuptling, den ich aus dem Süden gebracht habe, dich auf andere Weise retten würde, als indem er Gotteslästerungen vollbrachte und die Priester unseres Gottes, die von Anbeginn als göttlich gegolten haben, durch Feuer und Wasser vernichtete. Du, Sabeela, erklärst, daß Heu-Heu tot ist, aber wie wissen wir, daß dies der Fall ist? Er ist ein Geist, und kann ein Geist sterben? War es ein toter Gott, der den Stein schleuderte, um den Walloo zu töten, und wird er nicht vielleicht noch weitere Steine fallen lassen, um uns alle und besonders dich, Herrin, zu töten, die auf dem Opferungsfelsen gestanden hat, in die Gewänder der heiligen Braut gehüllt?«

»Baas«, fragte Hans nachdenklich während des Schweigens, das auf diese furchtsamen Fragen folgte, »glaubst du, daß Issicore wirklich ein Mann ist, oder ist er nicht in der Tat nur aus Holz geschnitzt und angestrichen, um wie ein solcher auszusehen, so wie Dacha angestrichen war, um Heu-Heu ähnlich zu sehen?«

»Drüben in Black Kloof dachte ich, daß er einer sei, Hans«, entgegnete ich, »aber dort war er weit von Heu-Heu entfernt. Jetzt bin ich nicht mehr so überzeugt davon. Aber vielleicht ist er nur sehr erschrocken und wird nach und nach zu sich kommen.«

Indessen musterte Sabeela ihren so überaus hübschen Geliebten von oben bis unten, aber sie sagte nichts – wenigstens nicht zu ihm! Plötzlich jedoch ergriff sie im Befehlston das Wort und sprach die Menge an:

»Nehmt zur Kenntnis, daß jetzt, da mein Vater tot ist, ich den Rang des Walloos eingenommen habe und daß ihr mir gehorchen müßt! Geht eurer Beschäftigung nach und fürchtet nichts, denn es gibt keinen ›Heu-Heu‹ mehr, und die Mehrzahl der Waldleute ist vernichtet! Ich begebe mich jetzt zur Ruhe und nehme meine Gäste und Befreier hier mit mir«, und sie wies auf mich und Hans. »Später will ich mit euch reden und auch mit dir, Fürst Issicore. Tragt den letzten Walloo, meinen Vater, an den Beerdigungsplatz der Walloos!«

Hierauf wandte sie sich um, und gefolgt von uns und den Mitgliedern ihres Haushalts schritt sie ihrem Hause zu.

Hier verabschiedete sie sich für eine kurze Zeit von uns, denn wir waren alle halbtot vor Ermattung und benötigten dringend der Ruhe. Als wir uns trennten, ergriff sie meine Hand und küßte sie und dankte mir mit Tränen in ihren schönen Augen für alles, was ich an ihr getan hätte, und Dramana folgte ihrem Beispiel.

»Wie kommt es, Baas«, sagte Hans, als wir aßen und von dem Eingeborenenbier tranken, bevor wir zu Bett gingen, »daß diese Damen nicht auch mir die Hand küßten, da ich doch auch einiges zu ihrer Rettung beigetragen habe?«

»Sie waren sicher zu erschöpft dazu, Hans«, entgegnete ich, »und dachten, daß ein Kuß für uns beide genügen würde.«

Dann füllte er den Becher, aus dem er getrunken hatte, mit dem letzten Rest des Getränks aus dem Krug und leerte ihn mit einem Zug. »So, Baas«, sagte er, »das ist alles ganz recht; du magst alle Küsse in Empfang nehmen, so lange ich das Bier bekomme!«

So erschöpft ich auch war, konnte ich mich doch nicht enthalten zu lachen, obwohl ich, um die Wahrheit zu sagen, selbst gerne noch ein Glas getrunken hätte. Dann taumelte ich auf das Lager und schlief augenblicklich ein.

 

Tatsächlich schliefen wir den ganzen übrigen Tag und die folgende Nacht und erwachten erst, als die ersten Sonnenstrahlen durch das Fenster in unser Zimmer schienen. Das heißt – ich erwachte erst dann, denn als ich meine Augen öffnete, war Hans bereits auf und beschäftigte sich mit dem Reinigen der Büchsen und Revolver. Nach dem erquickenden Schlaf fühlte ich mich wie neugeboren und dankte dem Himmel für diese Gabe.

Ich blickte auf den garstigen kleinen Hottentotten und dachte, wie wunderbar es sei, daß so viel Mut, Schlauheit und Treue innerhalb dieser gelben Haut und dieses vortretenden Schädels vereinigt waren. Ohne Hans wäre ich jetzt ohne Zweifel tot, und ebenso die beiden Frauen. Er war es, der den Gedanken gehabt hatte, den Schleusenstein durch die Explosion von Pulver unter dem Hebezapfen zu Fall zu bringen. Ich hatte mir den Kopf zermartert, ein Hilfsmittel zu finden, aber dieses, das einzig mögliche, war mir entgangen! Wie furchtbar waren die Folgen dieser Inspiration gewesen, die alle Hans zuzuschreiben waren!

Von Hans wanderten meine Gedanken zu Issicore. Wie kam es, daß dieses Mannes Charakter sich so vollständig geändert hatte, seitdem er in seine Heimat zurückgekehrt war? Die Reise, die er, um Hilfe zu suchen, allein über Hunderte von Meilen unternommen hatte, war ein tatsächlich bemerkenswertes Unternehmen, das von großem Mut und bedeutender Entschlußfähigkeit zeugte. Auch als Führer, obwohl immer schweigsam und verschlossen, hatte er nie Mangel an Energie und Findigkeit gezeigt. Aber vom Tage unserer Ankunft an war er moralisch in Stücke gegangen! Nur mit der größten Schwierigkeit war er zu überreden gewesen, uns auf die Insel hinüberzurudern, wo er uns beim ersten Zeichen der Gefahr unserem Schicksal überlassen hatte und geflohen war.

Dann wieder hatte er demütig geholfen, Sabeela, die er scheinbar noch in Black Kloof bis zur Raserei liebte, ihrem Schicksal entgegenzuführen, ohne einen Finger zu ihrer Rettung zu rühren, und endlich hatte er vor einigen Stunden eine kleinmütige und verächtliche Rede gehalten, die, wie ich deutlich sehen konnte, seine Braut empört und abgestoßen hatte. Diese schien seit ihrer Befreiung und dem Tod ihres Vaters den Mut gewonnen zu haben, den er verloren hatte, vielleicht noch mehr davon.

Dies war unerklärlich, wenigstens für mich, und in meiner Ratlosigkeit brachte ich das Problem vor Hans.

Er lauschte, während ich ihm den Fall, wie er mir erschien, vortrug, und sagte dann:

»Der Baas hält seine Augen nicht offen – wenigstens bei Tage nicht, wenn er denkt, daß alles sicher ist. Wenn er dies täte, würde er verstehen, warum Issicore weich geworden ist, wie eine erhitzte Eisenstange. Was macht die Männer weich, Baas?«

»Liebe«, vermutete ich.

»Gewiß, zu Zeiten macht Liebe die Männer weich ich meine Männer, wie den Baas. Und was sonst, Baas?«

»Trunksucht«, entgegnete ich wütend und versetzte ihm meinerseits einen Stich.

»O ja, manchmal macht die Trunkenheit die Männer nachgiebig. Männer, wie ich, Baas, die wissen, daß es zuweilen klug ist aufzuhören, weise zu sein, da sonst der Himmel über ihre Weisheit eifersüchtig werden und daran teilzunehmen wünschen könnte. Aber was macht alle Männer schwach?«

»Ich weiß es nicht.«

»Dann muß ich wieder einmal den Baas unterrichten, wie es mich sein verehrter Vater, der Missionar, zu tun hieß, wenn ich sähe, daß der Baas mit seiner Weisheit zu Ende sei. Denn er sagte zu mir, bevor er starb: ›Hans‹, sagte er, ›wann immer du bemerkst, daß mein Sohn Allan, der nicht immer schaut, wo er hintritt, ins Wasser gerät, das für ihn zu tief ist, spring hinein und hol ihn heraus, Hans!‹«

»Oh, du kleiner Lügner du!« rief ich aus. Aber Hans schenkte diesem Ausruf keine Beachtung und fuhr fort:

»Es ist die Furcht, Baas, die alle Männer weich macht. Issicore krümmt sich wie ein erhitzter Ladestock. Denn innerlich verzehrt ihn das Feuer der Furcht!«

»Furcht wovor, Hans?«

»Wie ich es bereits gesagt habe, würde der Baas dies wissen, wenn er die Augen offen gehalten hätte. Hat der Baas nicht einen großen, dunkelhäutigen Priester bemerkt, vor dem die Menge sich teilte, als er bei unserer ersten Landung auf diesem Landungssteg auf Issicore zutrat?«

»Ja, ich habe so einen Mann gesehen. Er verneigte sich höflich, und ich dachte, er begrüße Issicore und mache ihm ein Geschenk.«

»Und hat der Baas auch gesehen, was für eine Art von Geschenk er ihm machte und die Worte gehört, mit denen er ihn begrüßte? Der Baas schüttelt den Kopf? Nun gut, ich weiß es! Das Geschenk, das er Issicore überreichte, war ein kleiner Totenschädel, der aus dunklem Elfenbein oder vielleicht auch aus polierter Lava geschnitzt war und seine Begrüßung war die folgende: ›Hier ist die Gabe Heu-Heus an den Fürsten Issicore, die Gabe, welche Heu-Heu allen sendet, die das Gesetz übertreten und es wagen, das Land der Walloo zu verlassen.‹ Dies waren seine Worte, denn ich stand ganz nahe und hörte sie, obwohl ich sie dem Baas verschwieg und wartete, was sich später ereignen würde.

Hierauf trat der Priester zur Seite, und was Issicore mit dem kleinen schwarzen Schädel tat, weiß ich nicht. Vielleicht trägt er ihn um seinen Hals, da er keine Uhrkette besitzt, an der er ihn befestigen könnte, wie der Baas, der daran Damengeschenke, wie zum Beispiel ihre Bilder in kleinen silbernen Brandyflaschen, zu tragen pflegt.«

»Gut, gut, was soll's mit diesem Schädel, Hans? Was bedeutet er?«

»Baas, ich habe mich, um mir die Zeit zu vertreiben, bei einem alten Manne im Boot darüber erkundigt, als Issicore an seinem anderen Ende saß und mich nicht hören konnte. Er bedeutet den Tod, Baas! Erinnert sich der Baas, wie man uns in Black Kloof erzählte, daß jene, die das Land Heu-Heus zu verlassen wagten, immer von einer Krankheit befallen und dahingerafft wurden? Nun, Baas, Issicore ist glücklich aus dem Land herausgekommen und hat die Krankheit hinter sich zurückgelassen, wahrscheinlich weil die Priester nicht wußten, daß er ausziehen werde. Aber er hat einen Fehler begangen, Baas, nämlich den, wiederzukommen, weil er durch seine Liebe zu Sabeela hierhergezogen wurde, gerade wie ein Fisch durch den Köder an der Angel angezogen wird, Baas! Und jetzt steckt ihm die Angel im Mund, denn die Priester erfuhren von seiner Rückkehr und erwarteten ihn natürlich.«

»Was meinst du damit, Hans? Wie können die Priester Issicore etwas antun, besonders da sie nun alle tot sind?«

»Ja, Baas, sie sind alle tot und können niemandem mehr ein Leid zufügen, aber Issicore hat recht, wenn er sagt, daß Heu-Heu nicht tot ist; denn der Teufel stirbt nie, Baas! Seine Priester sind tot, aber noch konnte Heu-Heu den alten Walloo töten, und so kann er auch noch Issicore töten. Es gibt so manche Dinge in dieser Götzenangelegenheit, Baas, die gute Christen wie du und ich nicht verstehen! Auf Christen, Baas, hätte dies alles keine Wirkung, denn Heu-Heu kann uns nichts antun, aber diejenigen, die den Schwarzen anbeten, erwischt der Schwarze doch zuletzt bei der Kehle!«

Ich dachte im geheimen, daß Hans, ohne es zu wissen, eine der tiefsten und grundlegendsten Wahrheiten aussprach, denn jene, die ihr Knie vor Baal beugen, sind Baals Diener und leben unter seinem Gesetz bis zu ihrem Tod; und was ist Baal anderes als ›Heu-Heu‹ oder Satan? Die Frucht ist immer die gleiche, wie man auch den Baum nennen mag. Dessen ungeachtet ließ ich mich mit Hans in keine Diskussion ein, denn er hätte ihr gewiß nicht folgen können, sondern ich fragte ihn nur, was er eigentlich meine und was seiner Ansicht nach Issicore bevorstünde. Er entgegnete:

»Ich meine genau, was ich gesagt habe, Baas; ich meine, daß Issicore sterben wird. Jener alte Mann sagte mir, daß, wer ›den Schwarzen Schädel empfängt‹, immer innerhalb eines Monats und oft noch schneller stirbt. Nach seinem Aussehen möchte ich glauben, daß Issicore nicht mehr als eine Woche leben wird.«

»Unsinn!« rief ich, aber innerlich war ich nicht so vom Gegenteil überzeugt. Ich wußte genug von diesen Fetischdingen und obgleich ich sie für den größten Blödsinn hielt, war ich überzeugt, daß es ein recht gefährlicher Blödsinn sei. Das innere Ich des Menschen, besonders des wilden oder primitiven oder ungebildeten, oder das unbewußte Selbst oder wie immer ihr es nennen wollt, ist ein furchtbares Wesen, wenn es durch erblichen Aberglauben, der ihm in Fleisch und Blut übergegangen ist, in Tätigkeit gesetzt wird. In neun Fällen von zehn wird das Opfer solchen Aberglaubens tatsächlich sterben, wenn man ihm unter den gewohnten Zeremonien durch das Orakel des Gottes, vor dem es sich fürchtet, verkündet, daß es sterben müsse. Nichts tötet es, aber es begeht eine Art seelischen Selbstmord! Wie Hans gesagt hatte – Furcht macht es widerstandslos. Dann überkommt eine Art nervöser Störung sein ganzes Wesen, verzehrt zur bestimmten Stunde seine physische Lebenskraft und verursacht letztlich seinen Tod.

Dies war auch, wie es sich herausstellte, das Schicksal jenes apollogleichen Mannes, des unglücklichen Issicore!


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