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10
Die Opferung

Nach einer feierlichen Pause erhob sich Dacha und sagte mit eisiger Stimme:

»Ich höre den Gott nach uns rufen; lasset uns in die Gegenwart des Gottes eingehen und ihm das jährliche Opfer darbringen!«

Hierauf bildete sich ein Zug, Dacha und Dramana schritten als erste, dann folgten Hans und ich, und nach uns kamen alle, die am Fest teilgenommen hatten, insgesamt etwa fünfzig Leute.

»Baas«, flüsterte Hans, »nachdem ich dieses Zeug getrunken hatte, das so angenehm und wärmend war, daß ich wünschte, du hättest mich mehr trinken lassen, kam dein verehrter Vater zu mir herab und sprach zu mir!«

»Und was hat er zu dir gesagt, Hans?«

»Er sagte, Baas, daß wir uns da in einer sonderbaren Gesellschaft befänden und besser tun würden, unsere Augen offen zu halten. Auch würde es klüger sein, uns nicht um Dinge zu kümmern, die uns nichts angingen.«

Ich überlegte, daß ich vor kaum einer Stunde einen ähnlichen Rat von einer vollkommen irdischen Seite erhalten hatte. Dies war ein seltsames Zusammentreffen, wenn nicht Hans ihn vielleicht vernommen oder unbewußt aufgeschnappt hatte. Ich entgegnete ihm nur, daß derartige Aufträge immerhin durchgeführt werden müßten und daß er, was immer sich ereignete, gut daran tun würde, ruhig zu bleiben. Gleichwohl sollte er seine Pistole bereit halten, jedoch nur bei unbedingter Notwendigkeit davon Gebrauch machen, wenn es gälte, uns vor dem Tod zu bewahren.

Der Zug verließ die Halle durch eine rückwärtige Tür hinter dem Tisch, an dem wir gesessen hatten und betrat eine Art mit Lampen beleuchteten Stollen, doch konnte ich nicht sehen, ob er aus dem Fels herausgehauen oder aus Steinblöcken zusammengesetzt war. Nachdem wir diesen Tunnel etwa fünfzig Schritte entlanggegangen waren, befanden wir uns plötzlich in einer großen Höhle, die ebenfalls schwach mit Lampen erleuchtet war. Das Licht war so schwach, daß man eher von Lichtflecken in der uns umgebenden Dunkelheit sprechen konnte.

Hier verließen uns alle Priester einschließlich Dachas; wenigstens konnte ich keinen von ihnen mehr bemerken, nur die Frauen blieben in der Höhle zurück und knieten dort einzeln und in einer gewissen Entfernung voneinander nieder. Sie sahen aus wie zerstreute Gläubige in einer schwach beleuchteten Kathedrale, wenn kein Hochamt gelesen wird.

Dramana, deren Obhut wir anvertraut zu sein schienen, führte uns an eine Steinbank, auf der wir Platz nahmen. Ich bemerkte, daß sie nicht wie die übrigen niederkniete. Eine Zeitlang saßen wir schweigend und blickten in die Finsternis uns gegenüber, wo keine Lampen brannten. Die Geschichte war etwas unheimlich in dieser Umgebung, und ich gestehe, daß sie mir auf die Nerven zu gehen begann. Schließlich konnte ich es nicht länger aushalten und fragte Dramana flüsternd, ob sich jetzt etwas ereignen würde und was es wäre.

»Jetzt wird die Opferung stattfinden«, flüsterte sie zurück. »Aber ich bitte dich, schweige jetzt, denn hier sind überall die Ohren des Gottes.«

Ich gehorchte, da ich dies für sicherer hielt, und weitere zehn Minuten vergingen in unerträglicher Stille.

»Wann beginnt das Schauspiel, Baas?« flüsterte mir Hans ins Ohr. (Einst hatte ich ihn in das Theater in Durban geführt, um seine Bildung zu erhöhen, und er glaubte jetzt in einem anderen zu sein, obwohl es sicherlich etwas ungewöhnlich war.)

Ich stieß ihn gegen das Schienbein, um ihn zur Ruhe zu bringen. In diesem Augenblick vernahm ich in einiger Entfernung einen Gesang. Es war eine traurige, melancholische Musik, die zwischen zwei Gruppen Sängern hin und zurück zu schwingen schien, immer eine Strophe und Antistrophe, wenn dies die richtigen Bezeichnungen sind, die jedesmal in eine Art verzweiflungsvolles Geheul oder Geschrei ausgingen, das mir das Blut zu Eis erstarren ließ. Als dies eine Weile gedauert hatte, glaubte ich, vor uns in der Finsternis Gestalten zu erblicken. Auch Hans hatte diesen Eindruck, denn er flüsterte:

»Die haarigen Leute sind hier, Baas.«

»Kannst du sie sehen?« fragte ich mit ebenso leiser Stimme.

»Ich glaube, Baas. Auf alle Fälle kann ich sie riechen.«

»Dann halte deine Pistole bereit!« entgegnete ich.

Einen Augenblick später sah ich eine brennende Fackel uns gegenüber sich bewegen, obgleich ich deren Träger nicht unterscheiden konnte. Die Fackel wurde zu Boden gekehrt, und ich hörte das Geräusch sich entzündenden Kienspans. Eine kleine Flamme sprang empor und beleuchtete einen Haufen zum Brennen vorbereiteter Scheiter und dahinter die große Gestalt Dachas, der eine sonderbare Kopfbedeckung trug und in ein weißes, priesterliches Gewand von anderer Beschaffenheit als das, welches er beim Fest getragen hatte, gehüllt war. Zwischen seinen Händen hielt er einen weißen Menschenschädel so in den Händen, daß die Schädeldecke gegen den Boden gekehrt war.

»Brenne Pulver der Trugbilder, brenne!« schrie er, »und zeige uns, wonach wir begehren!« und leerte aus dem Menschenschädel eine Menge Pulver auf den brennenden Holzhaufen.

Ein dichter, durchdringender, alles verhüllender Rauch erhob sich, der die Höhle zu erfüllen schien, obwohl sie riesig war. Er verzog sich, und es folgte ihm das Aufflackern einer leuchtenden Flamme, die die ganze Örtlichkeit hell erleuchtete und einen fürchterlichen Anblick enthüllte.

Hinter dem Feuer in einer Entfernung von etwa zehn Schritten befand sich ein furchtbares Ding, eine entsetzliche schwarze Gestalt in der Höhe von mindestens zwölf Fuß. Es war die Gestalt Heu-Heus, wie wir ihn in der Höhle in den Drakensbergen abgebildet gesehen hatten, doch erschien das Bild dort viel zu geschmeichelt. Denn dies hier war das wirkliche Ebenbild des Teufels, etwa die Ausgeburt der Phantasie eines verrückten Mönchs. Aus seinen Augen blitzte rotes Licht.

Wie ich bereits gesagt habe, glich die Gestalt einem Riesengorilla, und doch war es eher ein Mensch, nein, kein Mensch, sondern ein Teufel! Da war das lange graue Haar, das in Büscheln den Körper bedeckte, da war der große, rote, buschige Bart, da waren die riesigen Glieder, die langen Arme und die Hände mit Klauen an Stelle der Daumen und zusammengewachsenen Fingern. Da war der Stiernacken mit dem kleinen Kopf an der Spitze, der irgendwie dem eines alten Weibes mit gekrümmter Nase glich. Der riesige Mund, aus dem Fangzähne wie von einem Pavian vortraten. Die runde, massive, intelligente Stirn, die tief eingesunkenen, starrenden Augen, die jetzt mit rotem Feuer erleuchtet waren, und da war auch das grausame Lächeln! – Nur war alles noch verstärkt! – Auch hier war die Gestalt eines toten Mannes zu sehen, in dessen Brust die Klauen seiner Füße getrieben waren, und in der linken Hand hielt das Ungeheuer den Kopf, den es vom Körper dieses Mannes gerissen hatte.

Oh, offensichtlich konnte der Maler des Gemäldes in den Drakensbergen kein Buschmann gewesen sein, wie ich angenommen hatte, sondern ein Priester Heu-Heus, den das Schicksal oder der Zufall in längst vergangenen Jahren dorthin verschlagen hatte, und der es als Gegenstand seiner persönlichen Anbetung gemalt hatte. Als ich das Ding erblickte, stöhnte ich laut auf und dachte, jeden Augenblick vor Entsetzen zu Boden zu sinken, so höllisch war es! Aber Hans ergriff mich am Arm und sagte:

»Aber Baas, erschrick nicht! Es lebt ja nicht; es ist nichts als ein angemaltes Steinbild, in dem man Feuer angemacht hat.«

Ich starrte genauer hin; er hatte recht!

Heu-Heu war nichts als ein Fetisch! Heu-Heu lebte nicht, außer in den Herzen seiner Anbeter!

Nur, aus welchem satanischen Geiste war er entsprungen?

Ich atmete erleichtert auf, als mir das klar geworden war, und begann, Einzelheiten zu beobachten. Es gab davon genug zu sehen. Zum Beispiel standen da an jeder Seite der Statue jene widerlichen haarigen Leute in Reihen angeordnet, und zwar die Männer rechts, die Weiber links, alle hatten weiße Tücher um ihre Lenden gewunden. Gegenüber diesen Reihen standen hinter ihrem Oberpriester Dacha die anderen Priester, Heu-Heus Geistlichkeit, und auf einem erhöhten Tisch hinter ihnen, direkt am Fuße des Sockels der Statue (denn ich sah jetzt, daß sie auf einer Art Piedestal errichtet war, um sie größer erscheinen zu lassen) lag ein toter Körper, der Leichnam eines haarigen Weibes, wie das helle Licht der Flamme zeigte.

»Baas«, sagte Hans wieder, »ich glaube, das ist das Gorillaweibchen, das ich auf dem Fluß erschossen habe. Mir scheint, ich erkenne ihr hübsches Gesicht wieder.«

»Wenn das der Fall ist, so hoffe ich, daß wir ihr nicht bald auf diesem Tisch Gesellschaft leisten werden«, entgegnete ich.

Hierauf überkam mich ganz plötzlich ein toller Rausch; alle wurden toll! Ich nehme an, daß der Dampf dieses verdammten Pulvers uns zu Kopf gestiegen war. Hatte es nicht Dacha das Pulver der Trugbilder genannt? Gewiß erzeugte es genügend Illusionen, meistens widerliche, wie jene eines Alpdrucks.

Dennoch hatte ich, bevor mich der Rausch vollständig übermannte, Geistesgegenwart genug, um zu erkennen, was uns geschah, und ich ergriff Hans beim Arm, der offenbar auch benebelt wurde, um ihn zur Ruhe zu veranlassen. Dann überkamen uns die Traumbilder, die ich euch wirklich nicht beschreiben kann. Ihr habt sicherlich schon von dem Einfluß des Opiumrausches gelesen, meine Freunde: nun gut, es war etwas Derartiges, nur viel, viel ärger.

Ich träumte, daß Heu-Heu von seinem Piedestal herabgestiegen sei und tanzend die Halle herabgeschritten käme, daß er sich dann über mich neigte und mich auf die Stirn küßte. In Wirklichkeit, glaube ich, war es Dramana, die mich küßte, denn auch sie hatte der Rausch übermannt. Alle schlechten Taten meines Lebens erlebte ich im Geiste noch einmal, und alle in ihrer Gesamtheit schienen mich tatsächlich zu einem verachtenswerten Sünder zu stempeln, und dies war nur natürlich, denn die guten wurden völlig übergangen. Das haarige Volk begann einen höllischen Tanz vor der Statue. Die Frauen um uns her phantasierten und stießen unter unmöglichen Gesichtsverzerrungen ein Geheul aus; die Priester schwangen ihre Arme und stießen anbetende Schreie aus, wie die Baalspriester im Alten Testament. Kurz gesagt, es war buchstäblich der Teufel los!

Und dennoch, sonderbar genug, war dies alles wild, phantastisch erregend, und ich schien es tatsächlich zu genießen! Dies zeigt, wie schlecht wir im Grunde sein müssen. Ein Blick in die Hölle ist nicht uninteressant, so lange man am festen Land unserer Erde zurückbleibt, selbst wenn man gelegentlich durch ihre höllischen Ausströmungen angesteckt wird.

Plötzlich war der Alp zu Ende, ebenso unmittelbar, wie er gekommen war, und ich erwachte und fand meinen Kopf an Dramanas Schulter oder den ihren an meiner, ich weiß nicht mehr, welches von beiden, während Hans beschäftigt war, meine Stiefel zu küssen, unter dem Eindruck, daß es die keusche Stirn irgendeiner schwarzen Jungfrau sei, die er vor einigen dreißig Jahren gekannt hatte. Ich stieß ihn an seine dicke Nase, worauf er sich erhob und sich in Entschuldigungen erging, indem er bemerkte, daß dies das stärkste ›Docca‹ der Hanf, den die Eingeborenen rauchen, um sich zu betäuben – gewesen sei, das er jemals gekostet habe.

»Ja«, entgegnete ich, »und ich verstehe jetzt, woher Zikali seine Zauberkünste hat. Es ist kein Wunder, daß er mehr von den Blättern dieses Baumes wünscht und es der Mühe wert gefunden hat, uns so weit auszusenden, um ihm welche zu holen.«

Dann schwieg ich, denn irgend etwas in der Atmosphäre des Orts nahm meine Aufmerksamkeit in Anspruch. Ein eisiger Schauer schien sich herabgesenkt zu haben, und die Anwesenden schienen im Gegensatz zu ihrer vorherigen Zügellosigkeit plötzlich keinen anderen Gedanken zu haben, als sich würdig zu benehmen. Da standen sie nun, schwitzten vor Frömmigkeit aus allen Poren und starrten mit hingerissenem Ausdruck auf das widerliche Bildnis ihres Gottes. Nur mir erschienen deren Gesichter immer grausamer zu werden. Es schien, als ob sie die Erfüllung irgendeines entsetzlichen Dramas mit einer Art kalter Freude erwarteten, was natürlich eine Nachwirkung ihrer gottlosen Trunkenheit sein mochte. Es wiederholte sich die Szene beim Fest, nur mit einem Unterschied: Damals waren sie durch ein Getränk und jetzt waren sie durch Dämpfe berauscht worden. Doch ich wußte noch nicht, was ihre Ernüchterung herbeigeführt hatte. Vielleicht ihr Herr und Gebieter, Satan!

Das Feuer brannte noch hell, obwohl es keine solchen Dämpfe mehr entweichen ließ und wahrscheinlich durch natürliches Brennmaterial unterhalten wurde. Bei seinem Schein sah ich, wie Dacha das Götzenbild mit leidenschaftlichen Gebärden ansprach. Was er sagte, konnte ich nicht vernehmen, denn in meinen Ohren summte es noch, und ich konnte nichts hören. Plötzlich wandte er sich zu uns und winkte uns.

»Was will er von uns?« fragte ich Dramana, die jetzt, ein vollkommenes Abbild der Anständigkeit, neben mir saß.

»Er sagt, ihr möget hinaufkommen und dem Gott eure Opfer darbringen!«

»Was für ein Opfer?« fragte ich, im Glauben, daß damit vielleicht eine körperliche Schädigung verbunden wäre.

»Die Opferung des geheiligten Feuers, das der ›Herr des Feuers‹ mit sich trägt«, und sie zeigte auf Hans.

Ich war für einen Augenblick verblüfft, aber dann bemerkte Hans:

»Ich denke, sie meint die Streichhölzer, Baas.«

Da verstand ich und hieß ihn eine neue Schachtel Best Wax Vestas hervorzuholen und sie auf seiner Hand emporzuhalten. So ausgerüstet, traten wir vor und, am Feuer vorbeischreitend, verneigten wir uns vor dem teuflischen Abbild Heu-Heus in der Weise, wie der biblische Potentat, den der Prophet heilte, sich ausbedang, es in dem Hause Rimmons tun zu dürfen. Hierauf legte Hans, auf die gemurmelten Weisungen Dachas hin, feierlich die Zündholzschachtel auf den Steintisch, worauf wir uns zurückziehen durften.

Etwas Lächerlicheres als diese Szene kann man sich überhaupt nicht vorstellen. Ich glaube, daß ihre Absurdität durch den in die Augen springenden, tatsächlich fürchterlichen Kontrast hervorgerufen oder zumindest verschärft wurde. Man denke sich den hoch aufragenden und dämonischen Fetischkoloß; die wilden Priester, deren Gesichter vor leidenschaftlichem Fanatismus leuchteten; die langen Reihen der kaum menschlich aussehenden Gestalten des haarigen Volkes; das lodernde Feuer, dessen Widerschein bis in die äußersten Ecken und Nischen der Höhle drang und die Gestalten verstreuter Anbeter beleuchtete.

Und dann stelle man sich vor, wie ich, ein gebräunter, abgerissener Mann, und der schmutzige, verworfen aussehende Hans mit der lächerlichen Zündholzschachtel auf seiner Hand, vortraten und dieselbe genau in die Mitte des Steintisches, etwa eine Handbreit vom aufgequollenen Leib des von ihm erschossenen Weibes niederlegten! In dieser riesenhaften Umgebung erschien diese Schachtel so einsam und winzig, daß ihr Anblick mich zu innerlichen Heiterkeitsausbrüchen veranlaßte. Ich schüttelte mich vor hysterischem Gelächter und trachtete, so rasch als möglich meinen Sitz zu erreichen, indem ich Hans mit mir schleppte, denn ich sah, daß es ihm ebenso erging, obgleich es glücklicherweise nicht die Gewohnheit der Hottentotten ist, in laute Heiterkeit auszubrechen.

»Was wird wohl Heu-Heu mit den Streichhölzern anfangen, Baas?« fragte Hans. »Es muß doch genug Feuer dort geben, wo er wohnt.«

»Gewiß, Unmassen«, entgegnete ich, mich zusammennehmend, »aber vielleicht Feuer von anderer Art.«

Dann bemerkte ich, daß Dacha nach rechts deutete und daß die Augen aller Anwesenden sich nach dieser Richtung wandten.

»Jetzt kommt das Opfer«, flüsterte Dramana und kaum hatte sie ausgesprochen, erschien ein großes, in ein weißes Kleid oder eine Art Schleier gehülltes Weib, das von zwei der haarigen Leute herbeigeführt wurde. Sie wurde bis vor den Tisch gebracht, auf welchem der Leichnam und die Streichholzschachtel lagen und blieb dort ruhig stehen.

»Wer ist das?« fragte ich.

»Die Braut vom letzten Jahr, von der die Priester nun genug haben und die jetzt in den Besitz des Gottes übergeht«, entgegnete Dramana mit einem steinernen Lächeln.

»Willst du sagen, daß sie im Begriff sind, die arme Frau zu töten?« sagte ich entsetzt.

»Der Gott ist im Begriff, sie in seine Obhut zu nehmen«, entgegnete sie rätselhaft.

In diesem Augenblick riß einer der wilden Begleiter den Schleier fort und enthüllte die Gestalt einer ausnehmend schönen Frau, die in ein eng anliegendes, weißes, oben stark ausgeschnittenes, nur bis zu den Knien reichendes Gewand gehüllt war. Groß und stattlich stand sie vollkommen ruhig vor uns, und ihr schwarzes Haar fiel auf ihre Schultern herab. Dann erhoben sich plötzlich wie auf ein Zeichen alle Frauen unter den Anwesenden und schrien: »Vermählt sie dem Gott! Vermählt sie dem Gott und laßt uns aus dem Becher trinken, der uns durch sie mit dem Gott vereinigt!«

Zwei der haarigen Leute, von denen jeder einen Gegenstand in der Hand hielt, den ich momentan nicht näher erkennen konnte, traten an das Mädchen heran und hielten inne, als ob sie auf ein Zeichen warteten.

Dann folgte eine Pause, während der ich mich umblickte und die Gesichter der Weiber um mich herum betrachtete, die durch die gottlosen Leidenschaften, die sie beseelten, entstellt waren, und mit ausgestreckten Armen auf das Opfer deuteten. Sie boten einen fürchterlichen Anblick, und ich haßte sie alle, ausgenommen Dramana, die, wie ich mit Erleichterung wahrnahm, weder laut aufgeschrien hatte, noch sich sonst wie ihre Gefährtinnen benahm.

Was würde ich jetzt zu sehen bekommen? Irgendeinen entsetzlichen Akt von Vaux-deux-Kultus, wie ihn die Neger in Haiti und an der Westküste ausüben? Vielleicht! In diesem Fall würde ich ihn nicht mitansehen können. Ich würde ihn nicht dulden, was immer ich aufs Spiel setzte! Fast automatisch umklammerte meine Hand den Griff meines Revolvers.

Dacha schien eben im Begriff zu sein, etwas zu sagen, vielleicht ein Urteil auszusprechen. Ich maß mit meinen Augen den Abstand zwischen ihm und mir und überlegte, wohin ich zielen solle, um ihm eine Kugel durch seinen großen Kopf zu jagen und dem Gott ein Opfer zu bringen, das er nicht erwartete. In der Tat, hätte er solch ein Urteil ausgesprochen, so hätte ich zweifellos meine Absicht ausgeführt, denn, wie ihr Burschen wißt, bin ich schnell bei der Hand mit der Pistole! Dann aber hätte ich gewiß nicht lange genug gelebt, um euch diese Geschichte erzählen zu können. In diesem kritischen Moment jedoch erhob das Opfer die Arme und sagte mit lauter, deutlicher Stimme:

»Ich nehme das alte Recht für mich in Anspruch, dem Gott mein Gebet darzubringen, bevor ich ihm übergeben werde.«

»Sprich!« sagte Dacha, »und beeile dich!«

Sie wandte sich um und verbeugte sich vor dem widerlichen Götzen. Hierauf kehrte sie ihr Gesicht der Versammlung zu und sprach ihn an, obgleich sie ihre Worte an die Zuhörer richtete:

»Oh, Teufel Heu-Heu«, sagte sie mit tiefster Verachtung und Bitterkeit, »den mein Volk zu seinem Verderben anbetet, ich, die meinem Volke geraubt wurde, komme zu dir, weil ich nichts mit deinem Hohepriester hier zu tun haben wollte und dies nun mit meinem Blut bezahlen muß. So mag es denn sein, aber, bevor ich komme, habe ich dir etwas zu sagen, o Heu-Heu, und auch deinen Priestern, die fett werden in ihren Lastern. Höre! Ein Geist beseelt mich, der mir Seherkraft verleiht. Ich sehe diesen Ort in ein Meer wilder Fluten eingetaucht! Ich sehe Flammen durch das Wasser brechen, die dein verhaßtes Bild in Rauch aufgehen lassen und deine bösen Diener vernichten, so daß keiner von ihnen übrig bleibt! Die Prophezeiung! Die Prophezeiung! Mögen alle, die mich hören, sich der alten Weissagung entsinnen, denn jetzt endlich ist die Stunde ihrer Erfüllung gekommen!«

Hierauf richtete sie ihren Blick auf Hans und mich und machte eine Bewegung mit den Armen, so daß ich dachte, sie würde uns ansprechen. Vielleicht hatte sie diese Absicht gehabt, jedenfalls aber hatte sie die dann geändert und unterließ es.

Bis dahin hatten die Priester und die Gemeinde ihr in einem verblüfften oder vielleicht auch entsetzten Schweigen zugehört, aber jetzt brach ein Geheul wütender Entrüstung aus und als es nachgelassen hatte, hörte ich Dacha rufen:

»Schlachtet diese den Gott lästernde Hexe! Lasset das Opfer seinen Fortgang nehmen!«

Die zwei Wilden traten auf sie zu, und jetzt sah ich, daß das, was sie in den Händen hielten, Seilrollen waren, mit denen sie zweifellos gefesselt werden sollte. Aber sie war zu schnell für sie. Mit einem riesigen Satz sprang sie auf den Tisch, auf dem der Leichnam des haarigen Weibes und die Zündholzschachtel lagen. Im nächsten Augenblick sah ich ein Messer in ihrer Hand blitzen; ich nehme an, sie hatte es irgendwo unter ihrem Gewand verborgen gehabt. Wild riß sie es empor und stieß es sich ins Herz, und schrie:

»Mein Blut komme über euch, Priester Heu-Heus!«

Hierauf fiel sie auf den Tisch nieder und blieb reglos liegen.

In der Stille, die diesem Ausbruch folgte, hörte ich Hans sagen:

»Das war ein tapferes Weib, Baas, und zweifellos wird sie mit ihren Weissagungen recht haben. Soll ich diesen Priester abknallen, Baas, oder wirst du es tun?«

»Nein«, begann ich, aber bevor ich ein weiteres Wort herausbringen konnte, wurde meine Stimme durch wildes Geschrei übertönt.

»Der Gott ist seines Opfers beraubt worden und hungert! Laßt uns die Fremden ihm opfern!«

So oder ähnlich klangen die Schreie.

Unentschlossen blickte Dacha auf uns, und ich sah, daß es jetzt Zeit war zu handeln. Ich erhob mich also und rief aus:

»Wisse, o Dacha, daß, bevor auch nur einer Hand an uns legt, dir dasselbe geschieht, was mein Gefährte der ›Herr des Feuers‹ mit dem Hund vor eurer Tür gemacht hat!«

Offensichtlich glaubte mir Dacha, denn er wurde ganz demütig.

»Fürchtet euch nicht, ihr Herren«, sagte er, »seid ihr denn nicht hochgeehrte Gäste und Boten eines Großen? Gehet in Frieden und Sicherheit!«

Hierauf wurde auf seinen Befehl oder Wink hin das hell lodernde Feuer zerstreut, so daß die Höhle beinahe dunkel wurde, um so mehr, als viele der Fackeln ausgegangen waren.

»Schnell mir nach – schnell«, sagte Dramana, und meine Hand ergreifend führte sie mich durch die Dunkelheit davon.

Plötzlich befanden wir uns in einem Gang, und, soviel ich bemerkte, war es ein anderer Gang. Auf alle Fälle führte er auch zur Halle, in der das Fest stattgefunden hatte. Sie war jetzt leer, obgleich noch Lichter darin brannten. Wir durchschritten sie, und Dramana führte uns zu unserem Haus zurück, wo uns eine hastige Prüfung zeigte, daß die Gewehre noch in dem Zustand waren, in dem wir sie zurückgelassen hatten; nichts war berührt worden. Hier war alles menschenleer, denn alle waren zum Opferfest gegangen, und so konnte ich mit Dramana sprechen.

»Dramana«, sagte ich, »spricht mein Herz die Wahrheit oder träume ich bloß, daß du den Schatten Heu-Heus zu entfliehen wünschest?«

Vorsichtig blickte sie um sich. Dann entgegnete sie mit leiser Stimme:

»Herr, es gibt nichts, was ich so sehr ersehne – außer vielleicht den Tod«, fügte sie mit einem Seufzer hinzu. »Höre! Vor sieben Jahren wurde ich an den Opferfelsen gebunden, an dem meine Schwester morgen stehen wird, denn ich wurde durch den Gott erwählt und infolge des wahnsinnigen Entsetzens meines Volkes ihm geweiht. Dies bedeutet soviel, Herr, daß ich von Dacha gewählt und Dacha geweiht wurde!«

»Warum bist du aber dann noch am Leben?« fragte ich, »wenn jene, die im Vorjahr gewählt wurde, bereits heuer geopfert werden sollte?«

»Herr, bin ich nicht die Tochter des Walloos, des Herrschers über das Volk am Festland und kann nicht durch mich der Anspruch auf dieses Herrscherrecht erlangt werden, so lange ich atme? Es ist zwar nicht der beste der Ansprüche, denn ich wurde von einer geringeren Frau meines Vaters, des Walloos, geboren, während meine Schwester Sabeela von der Hauptgattin stammt. Dennoch kann er zur Not Dienste leisten und deshalb lebe ich noch.«

»Was ist also Dachas Plan, Dramana?«

»Es steht so, Herr. Es heißt, daß es seit vielen Generationen, seitdem die großen Feuer auf der Insel brannten und die Stadt zerstörten, zwei Herrschermächte gegeben hat: Die Macht der Priester Heu-Heus, die über die Seelen seines Volkes und über das wilde Waldvolk herrschen, und die Herrschaft der Walloos, die über seine Körper herrschen und nach uraltem Recht seine Könige sind. Nun hat Dacha, der ein weitblickender und ehrgeiziger Mann ist, wenn er sich nicht in Trunksucht und anderen Ausschweifungen verliert, den Plan, über beides zu herrschen, über Seelen und Körper. Es kann sein, daß er dann von auswärts frisches Blut in unser Land bringen und wieder ein großes Reich schaffen will, wie das unsere gemäß der Überlieferung ursprünglich eines war, als wir vom Norden oder Westen in dieses Gebiet kamen. Er wartet nur, bis er meine Schwester, die gesetzmäßige Erbin des Walloos, geheiratet hat, der jetzt bereits ein alter, schwacher Mann sein muß, und dann wird er seinen Streich führen und in ihrem Namen die Regierung und die Gewalt an sich reißen.

Die Priester sind, wie du gesehen hast, nur eine kleine Anzahl, und können dies daher aus eigenen Kräften nicht durchsetzen. Aber sie gebieten über jenes wilde Volk, das man die Kinder Heu-Heus nennt. Jetzt ist dieses Volk sehr aufgeregt, denn letzthin wurde auf dem Fluß eines seiner Weiber getötet – jenes, dessen Körper auf dem Altar vor dem Gott lag. Sie glauben, daß dies durch den Walloo getan wurde und wissen nicht, daß es dein Diener, der gelbe Mann hier, war, der sie umgebracht hat. Oder, wenn sie es auch wissen, so glauben sie doch, daß er es im Auftrag Issicores getan hat, der, wie wir hören, der Verlobte meiner Schwester Sabeela ist.

Deshalb wollen sie den Walloo unter der Führung der Priester Heu-Heus mit einem großen Krieg überziehen. Schon jetzt versammelt sich ihr Stamm auf der Insel, indem sie sich auf Flößen oder Rohrbündeln herüberrudern und morgen nacht werden alle hier vereinigt sein. Hierauf, nach der heiligen Hochzeit, wenn meine Schwester Sabeela als Opfer vom Walloo hierhergebracht und an den Felspfeiler zwischen den ewigen Feuern gebunden ist, werden sie, unter der Führung Dachas, die Stadt auf dem Festland angreifen, was sie allein nicht wagen. Sie wird sich ihnen ergeben, und Dacha wird meinen alten Vater und den Fürsten Issicore, der ihm am nächsten steht, töten, sowie alle Angehörigen des alten Fürstenstammes, die ihm anhängen, und dann wird er sich als Walloo ausrufen lassen. Hierauf ist es sein Plan, die Waldleute alle zu vergiften – er weiß schon ganz gut, auf welche Weise –, und wie ich dir bereits sagte, neues Blut in unser Land, das groß und reich ist, zu bringen, um ein neues Königreich zu begründen.«

»Ein großer Plan!« sagte ich nicht ohne Bewunderung, denn ich begann, um die Wahrheit zu sagen, eine gewisse Achtung für diesen niederträchtigen Dacha zu empfinden, der auf alle Fälle weitausgreifende Ideen hatte und einen schlagenden Gegensatz zu den hilflosen und abergläubischen Bewohnern des Festlandes darstellte.

»Aber was soll dann«, fuhr ich fort, »mit mir und meinem Gefährten, dem ›Herrn des Feuers‹ geschehen?«

»Ich weiß es nicht, Herr, denn ich habe nur wenig mit Dacha oder einem seiner Vertrauten sprechen können, seit du hier bist. Immerhin glaube ich, daß er sich vor euch fürchtet, denn er glaubt, daß ihr selbst Zauberer oder mit dem größten Zauberer, dem Propheten Zikali, verbündet seid, der im Süden wohnt und mit dem die Priester Heu-Heus von Zeit zu Zeit in Verbindung treten. Auch ist es wahrscheinlich, daß er der Ansicht ist, ihr könntet ihm behilflich sein, sein Reich aufzubauen und daß er euch deshalb hier in seinen Diensten zu behalten wünscht und euch nur dann töten würde, wenn ihr versuchtet, zu entweichen. Wenn aber andererseits die Waldleute darauf kommen, daß es in Wirklichkeit ihr wart, die das Weib getötet haben, dann werden sie nach eurem Blute lechzen. Dann würdet ihr, wenn er es für klüger hält, ihnen zu Willen sein, bei Gelegenheit des großen Festes, das die ›Beendigung der heiligen Hochzeit‹ genannt wird, als Opfer an den Altar gebunden und euch das Blut abgenommen werden, damit es die Priester trinken. Vielleicht wird diese Angelegenheit bei dem morgen stattfindenden Priesterrat geregelt werden, Herr.«

»Ich danke dir«, sagte ich, »auf weitere Einzelheiten bin ich nicht erpicht!«

»Indessen«, fuhr sie fort, »seid ihr augenblicklich in Sicherheit. Im Gegenteil, ich habe als Leiterin des Haushalts den Auftrag erhalten, euch in jeder Hinsicht Ehre zu erweisen und euch morgen, wenn die Priester mit Vorbereitungen für die heilige Hochzeit beschäftigt sein werden, alles zu zeigen, was ihr zu sehen wünscht und euch auch mit Zweigen von dem Baum der Träume zu versehen, die der Zauberer Zikali wünscht.«

»Ich danke dir«, sagte ich, »es wird uns sehr freuen, mit dir einen Spaziergang zu machen, selbst wenn es regnen sollte, was gegenwärtig auch der Fall ist, wie ich an dem Geräusch auf dem Dach höre. Indessen habe ich verstanden, daß du von diesem Ort zu entkommen und deine Schwester zu retten wünschest. Nun gut, ich kann dir gleich sagen, Dramana, daß mein Genosse, dem es gefällt, die Gestalt eines gelben Zwerges anzunehmen, und ich, der ich meine gegenwärtige Gestalt gewählt habe, in der Tat große Zauberer sind, die über bedeutend mehr Kräfte verfügen, als man uns zutrauen würde. Deshalb ist es gar nicht ausgeschlossen, daß wir in der Lage sein werden, dir auf jede Weise beizustehen und selbst andere bemerkenswerte Dinge zu verrichten. Dennoch könnten wir deine Hilfe brauchen, denn im allgemeinen pflegen jene, die mächtig sind, durch jene, die klein sind, ihre Werke zu verrichten, und ich wünsche zu wissen, ob wir uns auf dich verlassen können.«

»Bis in den Tod, Herr«, entgegnete sie.

»So sei es denn, Dramana, aber wisse, wenn du uns täuschst, ist dein Tod gewiß!«


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