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Vierzehntes Buch.

Bertha und Edmund auf ihrem Heimwege. Ajax unter den Tumultuanten. In des Geheimraths Wohnung. Versteck für zwei alte Herren. Der ehrenhafte Gardeoffizier. Katharine. Die Liebenden. Erlösung der alten Herren. Versöhnung, aber keine Genehmigung des Bundes ihrer Herzen.

»Wie manche Feige, die Gefahren stehn,
Wie Spreu dem Winde, tragen doch am Kinn
Den Bart des Herkules und finstern Mars,
Fließt gleich in ihren Herzen Blut wie Milch.«

Shakespeare.

1.

Bertha und Edmund waren, wie wir wissen, auf dem Schulhofe des Cölner Rathhauses glücklich aus der Höhe zur Erde gekommen.

Wohin nun weiter?

Die ganze Stadt war im Aufruhr, wie es hieß.

Bertha äußerte Besorgniß wegen ihres Vaters und Edmund war sogleich bereit, sie dorthin zu führen, wenn es möglich sein würde durchzukommen. Ein Vorschlag Edmund's, daß Bertha bei seinen Eltern, die doch in der Nähe wohnten, ein Asyl annehmen möge, während er hoffen dürfe, allein weit leichter und mit geringerer Gefahr sich nach der Jägerstraße durchzuschleichen, ergab sich als unausführbar; denn mehrere Bürger versicherten, daß die ganze Brüderstraße von oben bis unten durch das Militair besetzt und gesperrt sei.

Und so blieb denn nichts weiter übrig, als zu versuchen auf großen Umwegen die Wohnung des Geheimraths auf der Jägerstraße zu erreichen.

Durch die Scharrnstraße kamen sie zuerst in einen jener Stadtheile, in welchen noch keine Soldaten eingedrungen waren.

Ueberall waren Barricaden errichtet, hinter welchen einzelne Kämpfer standen. Diese improvisirten Bollwerke waren oft auf das Zierlichste mit Fahnen geschmückt. Man sah darunter die rothe Fahne der Republik; doch hingen noch alte biedere Preußenherzen zu fest an dem edlen Stamm der Hohenzollern, um eine andere Verfassung wünschen zu können, als eine aufrichtige constitutionelle Monarchie.

Die Menge dachte übrigens noch an gar keine Verfassung, sie wollte vorerst nur Freiheit haben, ein Wort, das Jeder sich nach seinen beschränkten Begriffen verschieden auslegte. Die schwarz-roth-goldene Fahne galt ihr als das Symbol der Freiheit.

Dem Bummler galt Freiheit als die Erlaubniß, auf den Straßen zu rauchen; den bestraften Dieben war die Abschaffung aller Polizei und Gensdarmen das höchste Ziel der Freiheit; Taschendiebe wollten die Freiheit haben, seidene Schnupftücher aus fremden Taschen ungestraft einsammeln zu können, so viel ihnen beliebte, und Arbeiter forderten die Freiheit, für erhöhten Lohn weniger als früher arbeiten zu dürfen; Andere wollten gar Theilung aller Erdengüter und hielten Plünderung der Reichen für gerechte Nothwehr gegen eigene Noth. Wenn auch durch den gesunden Sinn der Besitzenden von solchen Thaten zurückgehalten, so war doch eine solche Gedankenverirrung ganz das Feld, worauf Demagogen den Einfluß communistischer Ideen üben konnten, um die große Masse der Erwerblosen, deren es in Berlin so viele Tausende giebt, für ihre revolutionairen Zwecke zu verführen und zu verwenden.

Wir haben schon gesehen, wie eifrig und thätig nach dieser Richtung hin Graf Banco und Dr. Ajax waren.

Dieser Letztere begegnete jetzt Edmund und seiner geliebten Bertha. Er grüßte ihn mit der brüderlichen Herzlichkeit, die, wo er sich angenehm machen wollte, in seinem Ton und Wesen lag, und als er vernahm, daß sie nach der Jacobsstraße in das Haus, worin das Local der Lesehalle sich befinde, gehen wollten, sagte er: »Nun, da ist erst recht der Teufel los! Um aber dorthin zu kommen, werden Sie weite Umwege durch die tobenden Pöbelquartiere machen müssen; allein können Sie dort gar nicht durchkommen. Alle Wohlgekleidete betrachtet der Proletarier als seine Feinde; ich denke, die Geschichte wird noch mit einem allgemeinen Krieg der Besitzlosen gegen die Besitzenden enden.«

»Uebrigens,« fügte er lachend hinzu, »ist es meine Mission, überall da zu sein, wo es Scandal giebt; wenn Sie mir erlauben, führe ich Sie mitten durch die tobende Menge. Mein Ansehen wird schon genügen, Sie zu schützen.«

Gern wurde dieser Vorschlag angenommen, und wunderbar war der beruhigende Eindruck des Demagogen, womit er durch ein Paar hingeworfene Worte veranlaßte, daß ihm und seinem Schützlinge eine Gasse geöffnet wurde.

Oft wurden sie durch vordringende Soldatenhaufen genöthigt, mit einer Menge Fliehender den Bajonnetten der Soldaten auszuweichen; dann in ein Haus oder einen Victualienkeller sich zurückzuziehen, um einem Steinhagel von den Dächern und aus den Fenstern auf das vordringende und sich wieder zurückziehende Militair zu entgehen.

Bei dieser Gelegenheit erzählte ihnen Ajax in kurzen abgerissenen Sätzen noch einzelne Scenen des Kampfes.

So ergreifend und interessant auch diese von einem Augenzeugen mitgetheilten Scenen in ihren Details waren, so würden wir doch alle Grenzen dieses Romanes überschreiten müssen, wollten wir seinen Erzählungen Schritt vor Schritt folgen.

Er hatte den muthigen Knaben, Ernst Zinna, fallen gesehen, wie dieser, nachdem die Barricadenvertheidiger ihre Munition von kleinen Thonkugeln (sogen. Murmeln) verschossen, sich zurückgezogen, mit einem alten rostigen Säbel ganz allein über die Barricade gesprungen war und auf den Offizier vor einem ganzen Bataillon eingehauen hatte.

Er war vor dem Oranienburger Thore gewesen, als dort in den großen Maschinenbauwerkstätten von Eggels, Borsig u. A. auf den Ruf von zu Pferde heransprengenden Studenten sich fast die ganze Masse von 3 bis 4000 Arbeitern in verschiedenen Trupps in Bewegung gesetzt hatte. Er hatte gesehen, wie sie in Ermangelung anderer Waffen Hämmer, Feilen und Eisenstangen ergriffen hatten und nach den Barricaden geeilt waren, um sie zu vertheidigen; wie sie auf der Oranienburger Straße und vor dem Thore aus Eisengeräth, Gitterwerk und Maschinenstücken unzerstörbare Barricaden neu gebauet, um zu verhindern, daß aus der Artilleriekaserne noch vier Kanonen, welche durch einen Adjutanten verlangt waren, nach dem Schlosse abgeführt wurden, was indeß doch durch die Friedrichstraße geschah.

Er hatte sich in dem dichtgedrängten Haufen befunden, der das Thor gleichsam verstopfte, als die Artilleristen aus der Kaserne eine Haubitze in das enge Gäßchen zwischen der Kaserne und der Stadtmauer hineingefahren hatten, und ohne sich Zeit zu lassen, durch ein Signal zum Auseinandergehen aufzufordern, auf die dicht gedrängte Menge aus einer Entfernung von 25 Schritt den mörderischen Schuß einer Kartätsche von 40 bis 60 zweilöthigen eisernen Kugeln thaten, der fünf Menschen todt hinstreckte und eine Menge Leute schwer verwundete.

Er hatte den Schrei des Unwillens gehört, der jetzt das Volk durchdrang. Er hatte gesehen, wie heranrückendes Militair zurückgeschlagen wurde.

Dann war er Augenzeuge gewesen, wie sich die Volkswuth, die sich verhindert sah, an der Kaserne Rache zu nehmen, gegen die in der Chausseestraße Nr. 48 bis 61 befindlichen Artillerie-Wagenhäuser wendete, in welchen unermeßliche Vorräthe an Laffeten, Rädern, Pulverkasten und Lederzeug nebst verarbeitetem und rohem Material sich befanden, und Kanonen, bis zum Anspannen fertig, auf offenen Plätzen standen. Alle diese reichen und in unsern bedrohten Zeiten dem Staate so unentbehrlichen Vorräthe, deren Werth auf zwei Millionen geschätzt wird, wurden ein Raub der Flammen.

Auch die königliche Eisengießerei nebst anliegenden Wohngebäuden war von wüthenden Pöbelhaufen in Brand gesteckt. Kaum hatten die Bewohner die nothwendigste Habe gerettet, so ging ein Fabrikgebäude nach dem andern in Flammen auf. Die Fabrikarbeiter führten zwei Spritzen vor, aber die Brandstifter warfen sie ins Feuer. Ajax berühmte sich mit höhnischem Lachen, daß er zu dieser Brandstiftung selbst aufgefordert habe, um die Truppen aus den bewohnten Gegenden, wo sie gegen das Volk kämpften, hinweg und hierher zu locken.

Jetzt noch tief in der Nacht röthete der Schein dieser Flammen den nächtlichen Himmel. Noch mehrere kleinere Feuersbrünste waren angelegt und loderten hier und dort empor. Berlin, von ferne gesehen, würde in dieser Nacht ein noch viel schrecklicheres Ansehen gehabt haben, wenn nicht über das Getümmel, unbeirrt durch das Heulen der Sturmglocken von den hohen Thürmen, durch den Donner der Kanonen in den Straßen, durch das Knattern der Gewehrsalven, das Wogen einer aufgewühlten Bevölkerung von 400,000 Menschen und das Wuth- und Nothgeschrei von tausenden entbrannten Kämpfern, der stille hehre Mond in voller bleicher Scheibe am klaren Sternenhimmel über Berlin und die weite öde Umgegend geschwebt hätte, als sei es eine Mahnung an den Schrei der Verzweiflung gewesen: Noch lebt der alte Gott!

———————

Gleich nach drei Uhr Nachmittags war schon der Kampf an der Ecke der Oberwall- und Jägerstraße begonnen. Eine Barricade, welche das Eckhaus, worin sich die Zeitungshalle befindet, mit dem gegenüberliegenden Eckhause verband, wurde in der Eile mit überraschender Geschwindigkeit aufgeführt, indem man zwei Droschken und eine Kutsche anhielt und niederwarf, das Schilderhaus vom Packgebäude, die Brücken von den Rinnsteinen darüber thürmte, Fässer und Steine in die Lücken stopfte und das Straßenpflaster aufriß. Eine zweite Barricade entstand ebenso schnell an der Werderstraße, dem Gouvernementshause gegenüber. Die Posten in der Nachbarschaft wurden im Augenblick entwaffnet. Ein Soldat wurde getödtet während des Ringens um sein Gewehr. Auch hier wurden auf die Dächer der Häuser Steine getragen. Kaum waren die Barricaden nothdürftig fertig, so sprengte eine Abtheilung Dragoner heran, die aber durch einen hageldichten Steinregen von den Dächern herab wieder vertrieben wurden.

Gleich darauf erschien ein Bataillon Infanterie und richtete ein heftiges Feuer zuerst gegen das Eckhaus der Werderstraße, wo sich eine Restauration befindet; dann gegen die folgenden Häuser.

Der Kampf wurde mit wechselndem Glück fortgeführt bis nach Mitternacht. Da, in einem Augenblick, wo die Waffen ruhten, war es endlich der geschickten Führung des Rothbarts gelungen, Edmund und Bertha bis an die Barricade der Ecke der Jäger- und Oberwallstraße zu bringen, die jetzt schon, nachdem die Soldaten dieselbe zehnmal erstürmt und überstiegen hatten, geöffnet und der Passage zugänglich gemacht waren.

Ajax zog sich hier zurück. Er wollte noch auf die Universität, dann vor das Stadtgericht und darauf nach Monbijou. Ueberall gab es Kampf und wo dieser anfing zu erlahmen, hatte ein demokratischer Wühler seiner Art genug zu thun, um den schläfrig werdenden Pöbel aufs Neue anzuregen.

 

2.

Während des Kampfes auf der Straße war oben im dritten Stock des Hauses, worin sich die Zeitungshalle befand, große Angst und Noth bei den Bewohnern desselben gewesen.

Dieser war bekanntlich der Geheimrath a. D. Leblos. Bei ihm befand sich auch der uns schon bekannte Major a. D. Pruski. Beide waren, wie wir aus einer frühern Scene erkannt haben, eben keine Helden, jetzt um so weniger, da sie sich Beide mit einem Dienstmädchen allein in der Wohnung des Ersteren befanden. Der Major hatte sich zu seinem alten Special, dem Geheimrath retirirt, da er sich in seinem eigenen Hause, wo der Pöbel schon einmal nach Waffen gesucht hatte, nicht sicher fühlte. Den Bedienten hatte der Geheimrath fortgeschickt, um vom Commandanten um jeden Preis eine Schutzwache an Militair zu erbitten, da der Boden von Rebellen besetzt sei, welche mit Steinen vom Dache herabwürfen und es daher leicht kommen könne, daß man sie, die unschuldigen und loyalen Bewohner dieser Etage für die Schuldigen büßen lasse.

Der Major schrieb in seinem Eifer einen offenen Brief an jeden Befehlshaber der bewaffneten Macht, welcher dasselbe Ersuchen enthielt und hinzufügte, das Commando könne zugleich verwendet werden, den Boden von den Steinschützen zu reinigen, die von dort herab Ziegelsteine auf die Soldaten würfen. Diese offene Requisition unterschrieb er mit seinem Namen, Charakter und Wohnung.

Daß der Bediente nicht wiederkam, auch kein Militaircommando als Sauvegarde sich einstellte, beunruhigte die beiden würdigen Männer sehr. Sie wußten nicht, daß der Neffe des Geheimraths, der Student Leblos, mit dem linken Arm im Bande, nachdem ihn das leichte Wundfieber verlassen hatte, ebenfalls auf den Boden gestiegen war und mit der rechten Hand ebenso eifrig, als die Uebrigen sein Wurfgeschoß von Pflastersteinen auf die dichtesten Haufen der Soldaten niederschleuderte.

Als der Tumult und das Schießen immer ärger wurde, sah man die beiden alten Herren, die in der Verzweiflung eine Partie Picket angefangen hatten, immer blässer werden. Das Spiel stockte indeß jeden Augenblick. Ihre Aufmerksamkeit war auf das Geräusch auf der Straße gerichtet. Von Zeit zu Zeit mußte die einzige Magd, die zu ihrer Bedienung noch in der Wohnung des Geheimraths sich befand, ihnen Nachricht bringen über den Stand der Angelegenheiten unten auf der Straße und im Hause selbst.

Katharine war ein entschlossenes Mädchen, lebhaft und regsam, dabei auf ihre Weise etwas sentimental.

Die letzte Nachricht war die, daß unten in der Conditorei der Lesehalle eine Kugel durchs Fenster geflogen sei und den hinter dem Ladentisch stehenden Conditor Riprecht, einen guten braven Mann, getödtet habe.

»Herr Bruder Geheimrath,« sprach der Major, indem er seine Karten niederlegte, mit bedenklicher Miene, »ein guter Feldherr denkt in Zeiten an die Retirade. Fabius Cunctator war ebenso berühmt wegen seiner Rückzüge, wie wegen seiner Siege.«

»Du hast Recht, Herr Bruder Major. Hier in den nach vorn hinaus liegenden Zimmern könnte eine Kugel die Brust des treuesten Unterthanen Sr. Maj. des Königs treffen. Begeben wir uns in eines der nach dem Hofe hinaus liegenden Schlafzimmer. Katharine, leuchte sie voran.«

Das geschah und das Mädchen lamentirte über das viele Schießen, dessen Ton so schrecklich sei, weil so leicht jede Kugel ein menschliches Herz treffen könne.

»Die Jungfer hat Recht,« sprach der Major; »ziehen wir Nachtmützen über die Ohren, um das entsetzliche Knallen nicht mehr zu hören.«

Katharine holte aus der Wäschspinde ein paar sauber gewaschene spitze baumwollene Nachtmützen, sogenannte Spillen, und setzte sie den beiden alten Herren auf die greisen Köpfe. Diese zogen sie über die Ohren und sahen einander komisch genug an, indem sie noch immer zusammenfuhren, so oft sie eine Gewehrsalve oder gar einen Kanonenschuß vernahmen.

»Aber wenn nun die Herren Soldaten selbst heraufkommen sollten und sähen die Herren in diesem Negligé!«

»Die Soldaten? Wäre es möglich?«

»Nun entweder die Soldaten oder der Pöbel. Jene sind schon in die Nachbarhäuser eingedrungen, und sengen und brennen und morden nach Herzenslust.«

»Herr Gott, das wäre schrecklich!«

»Da könnten wohl gar Unschuldige.....«

»Mit gefangen, mit gehangen. Schuldig oder nicht schuldig, das gilt im Kriege gleichviel.«

»Liebe Katharine,« sprach der Major, indem er das blühende Mädchen mit den eiskalten Knochenfingern in die rothen vollen Wangen kniff. »Gäbe es hier im Hause kein Versteck, und wenn es noch so klein wäre.«

»Ja, verstecken, verstecken spielen, gute Katharine!« sagte der Geheimrath in einem Tone, der scherzhaft sein sollte, im Grunde aber sich höchst kläglich ausnahm, und versilberte seine Bitte mit einem harten Thaler, den er ihr in die Hand drückte; jedenfalls eine Galanterie, die ihr angenehmer war, als die des alten Majors; und Katharine führte die Herren in das Garderobencabinet des Fräuleins neben dem Schlafzimmer, öffnete eine Kleiderspinde und ließ die beiden Helden hineintreten.

Das geschah nach einigen Complimenten um den Vortritt, und der Geheimrath, indem er seinen benachtmützten Kopf noch einmal zwischen den Kleidern und Röcken seiner Tochter heraussteckte, empfahl der Katharine 1) auf Feuer und Licht zu achten, damit kein Unglück geschehe und sie nicht dort im Schrank Gefahr liefen zu verbrennen, 2) sie zu erlösen, sobald die Gefahr vorüber sein würde und 3) für morgen früh einen kräftigen Kaffee mit frischen Milchbrödchen bereit zu halten, damit sie sich nach den Strapazen dieser Nacht erholen könnten.

Auch der Major steckte sein steifes weinrothes Antlitz zwischen den Damenkleidern noch einmal hervor und sagte: »Ihnen aber, liebe Jungfer, empfehle ich Verschwiegenheit. Lassen Sie sich lieber todt stechen, als sich durch Furcht verleiten uns zu verrathen. Das ist Pflicht eines getreuen Dienstboten. Wenn Sie treu sind, sollen Sie das nächste Mal bei dem Verein zur Belohnung getreuer Dienstboten zu einer Prämie von zehn Thalern empfohlen werden.«

»Machen Sie sich keine Sorge, Herr Major, Sie geben mir ja selbst ein so schönes Beispiel von Muth!«

Damit verschloß das Mädchen den Schrank und steckte den Schlüssel zu sich.

Die Neugier veranlaßte sie einigemal aus dem Fenster zu sehen. Die Waffen ruhten; und die Soldaten hatten sich etwas zurückgezogen. Da glaubte Katharine zu bemerken, daß eine Dame an der Hand eines jungen Mannes die bereits halb zerstörte Barricade überstieg und versuchte in das Haus zu dringen. Bei der Lichtflamme einer an der Ecke brennenden Gaslaterne erkannte sie ihr junges Fräulein und deren Geliebten; denn sie wußte um das Verhältniß und eilte nun hinunter, die Hausthür zu öffnen.

Kaum hatte Katharine mit freudiger Bewegung ihre junge Herrschaft und deren Begleiter eingelassen, so fühlte sie sich gehindert, die Hausthür wieder hinter sich zu verschließen. Ein Gewehrlauf mit Bajonnet war eingeklemmt. Augenscheinlich hatte sich ein Soldat von dem weiter zurückstehenden Detaschement an der Seite der Häuser herangeschlichen, und auf diese Weise das Verschließen der Thür zu hindern gesucht.

Vergebens bemühte sich Edmund, dieses Hinderniß zu beseitigen. Es währte kaum noch eine Minute, so wurde mit überlegener Gewalt die Thür aufgedrängt, und ein Detaschement Soldaten, geführt von einem Offizier, trat herein auf den Hausflur.

Bertha, Edmund und das Mädchen hatten noch nicht Zeit gehabt zu entfliehen. Katharine schrie auf vor Schreck, und ihre Herrin schmiegte sich an Edmund mit den Worten: »Wir sterben zusammen!«

»Man hat hier aus dem Hause mit Steinen auf meine Soldaten geworfen,« sprach der Offizier, »der Frevel muß bestraft, das Haus von Rebellen gereinigt werden.«

»Mein Herr Lieutenant,« redete ihn Edmund an indem er vortrat, nachdem er seine halbohnmächtige Geliebte der Fürsorge ihres-Mädchens übergeben hatte, »begnügen Sie sich mit einem Opfer, tödten Sie mich; aber geben Sie mir zuvor Ihr Ehrenwort, daß diesem jungen Mädchen, dessen Vater, ein königlicher Beamter, im dritten Stock wohnt, kein Leid geschehe.«

Zum Glück war dieser Gardeoffizier ein braver junger Mann, ein Edelmann wie sie jetzt alle sein sollten, um ihrem Stande wieder die Auszeichnung und Hochachtung zu gewinnen, die man den Prätensionen, die nur auf 16 Ahnen beruhen, längst schon nicht mehr gewährt.

Dieser junge Mann, ein schlanker liebenswürdiger Blondin, entgegnete: »Seien Sie außer Sorgen: wir üben nur die traurige Pflicht einer gebieterischen Nothwendigkeit, wir tödten keine Unschuldigen. Ich habe selbst gesehen, daß Sie die Dame über die Barricade führten und soeben erst mit ihr das Haus betraten. Sie können also nicht verantwortlich sein für das, was eben vom Dache herab geschah.«

Edmund dankte für diese Ehrenhaftigkeit der Gesinnung und sagte, daß er eigentlich nicht ins Haus gehöre, sondern nur seine Geliebte und Braut, die Tochter des Geheimraths Leblos, nach Hause begleitet habe.

»Sie wohnen, Fräulein...?«

»Im dritten Stock.«

»Gut! Folgen Sie mir bis dahin und zeigen Sie mir dann den Weg auf den Boden.«

»Mein Herr Lieutenant, wir sind keine Verräther!« entgegnete Edmund.

»Dann möge diese Dienerin uns den Weg zeigen.«

»Ich conditionire hier im Hause bei dem Fräulein, und bin ebenfalls kein Judas Ischariot.«

»So werden wir den Weg uns selbst suchen müssen. Vier Mann besetzen den Hof und recognosciren, ob kein Ausgang vom Boden dorthin geht. In jeder Etage bleiben zwei Mann und verhindern, daß irgend Jemand seine Wohnung verlasse. Wir Andern aber steigen im Sturmschritt zum Hausboden hinauf. Was sich dort nicht ergeben will, wird niedergestoßen.«

Auf diese Weise kamen Edmund, Bertha und Katharine ungefährdet in die Wohnung des Geheimraths zurück. Zwei Mann waren vor den Haupteingang der Zeitungshalle postirt, zwei Mann wurden auch auf ihren Vorflur gestellt.

Das Commando auf dem Boden war nicht glücklich in den Erfolgen seiner Bemühungen, denn zeitig waren die Steinschützen, meistens junge Leute, über die Dächer entwichen.

Bertha eilte durch alle Zimmer, ohne freilich ihr Schlafzimmer zu berühren, und suchte ihren Vater, auch ihren Neffen; dann rief sie nach dem Bedienten und da sie keinen fand, kehrte sie in das Wohnzimmer zurück. Hier war Edmund zurückgeblieben, nicht in geringer Verlegenheit über den unangenehmen Empfang, den er vom alten Leblos zu erwarten haben werde.

Auch Katharine war dort geblieben und eben mit Aufräumen beschäftigt, als sie auf der Straße wieder schießen hörte.

»Es geht wieder los!« rief sie, »mein Himmel, wenn sie nur nicht nach meinem Willem schießen, der oben auf dem Dache steht und einer der besten Steinschützen ist. Er hat schon zwei Soldaten todt geworfen, wie er mir versicherte!«

Dieser Willem aber war der flinkste Kellner aus der Restauration der Zeitungshalle, der jemals das grüne Schürzchen, das kurze Jäckchen mit eingeschnürter Taille und das glatt geschniegelte Haar getragen hat.

Mit jenen Worten eilte Katharine ans Fenster, öffnete es und sah hinaus, um wo möglich zu sehen, ob die Schüsse wirklich gegen das Dach hinauf gerichtet waren.

In diesem Augenblick trat Bertha ein.

»Katharine, bist Du toll?« rief sie, – »zurück vom Fenster!«

Das Wort war kaum gesprochen, so sank das Mädchen mit einem Aufschrei zurück und lispelte sterbend noch die Worte: »Ach, Fräulein, ich sterbe, der Mensch entgeht seinem Schicksal nicht!«

Bertha und Edmund sprangen sogleich zu und fingen die Sinkende in ihren Armen auf und legten sie auf das Sopha. Aber sie war todt.

Ein schrecklicher Moment für die beiden so gefühlvollen jungen Gemüther.

Sie sanken einander in die Arme und weinten.

»Und wenn ich nun meinen Vater auch verloren habe?« sprach Bertha, »ich finde ihn nirgends in der ganzen Wohnung.«

»Dann gehörst Du mir doppelt an, mit allen Banden des Lebens, Du gehörst dann zu meiner Familie, und mir wird der Himmel ja schon helfen, daß ich Euch Alle ernähren kann.«

»Denk nicht daran, lieber Edmund, das ist ein schöner, aber auch schrecklicher Gedanke! Hilf mir den Vater suchen, vielleicht hat er sich irgendwo versteckt.«

Eben wollten sie das Zimmer verlassen, in welchem sie den entsetzlichen Anblick der Leiche eines blühenden Mädchens nicht länger ertragen konnten; da erschreckte sie doppelt das ungestüme Klopfen an der äußern Thür, mit gleichzeitigem heftigen Klingeln.

Es war der Lieutenant mit vier Mann Soldaten, der, indem er Edmund und Bertha, die öffneten, erkannte, mit Artigkeit erklärte, daß er bedauere stören zu müssen; aber die eigentlichen Frevler wären über die Dächer entflohen, was das Erneuern des Schießens zur Folge gehabt habe. Einer davon sei, wie ihm eben gemeldet worden, vom Dache herabgeschossen. – Das war, wie sich später ergab, Willem, Katharinens Liebster, dessen Wagniß sie ans Fenster gelockt und ihr die tödtliche Kugel zugeführt hatte. Nun müsse er aber, erklärte der Lieutenant, das Haus von oben nach unten durchsuchen, ob vielleicht noch irgendwo Waffen oder Frevler versteckt wären.

Mit diesen Worten trat er in das Familienzimmer. Dort erblickte er die Leiche des jungen Mädchens. Aus dem herabgeflossenen Blut, das zugleich seine Spuren von dem noch offen stehenden Fenster bis zum Sopha zeigte, erkannte er bald, was hier vorgefallen war. Auf den jungen Mann blieb dieses Ereigniß nicht ohne Erschütterung. Den Tod von zehn Feinden, die mit den Waffen in der Hand fielen, hätte er ohne Regung gesehen; aber hier trat ihm das schreckliche des Bürgerkriegs im schneidenden Contraste vor Augen. Es stimmte ihn noch milder, und wie es schien, mehr um der Form zu genügen als aus Verdacht, durchsuchte er ziemlich oberflächlich die verschiedenen Gemächer. Die Soldaten stießen freilich mit den Bajonnetten unter die Betten und Sophas, und das Detaschement kam auch in Bertha's Garderobe. Der große Schrank fiel ihnen auf. Sie forderten den Schlüssel, sonst würden sie die Thüren mit Gewehrkolben einschlagen.

Bertha suchte den Schlüssel, den sie sonst nicht abzuziehen pflegte, konnte ihn aber nicht finden und Edmund sagte zum Lieutenant: »Es ist der Kleiderschrank meiner Braut.«

»Dann wollen wir es respectiren,« entgegnete der Offizier, und zog sich mit seinen Leuten aus diesem Cabinet, so wie aus Bertha's Schlafzimmer zurück.

Nach einiger Zeit verließ das Commando das Haus. Der Tag brach völlig an und auf den Straßen wurde es stiller. Die Soldaten zogen sich zurück. Eine allgemeine Waffenruhe schien eingetreten zu sein. »Mein Vater,« sagte Bertha, »ist sicher zu dem alten Major von Pruski geflüchtet. Wir wollen hier seine Rückkehr erwarten.«

Bertha und Edmund setzten sich in ein anderes Zimmer auf das Sopha. Sie waren endlich Arm in Arm und Brust an Brust, ermattet von den Schrecknissen einer entsetzlichen Nacht eingeschlummert und wiegten sich in den süßesten Träumen, aus welchen nur hier und dort einmal ein Schreckbild erregter Phantasie Einen oder den Andern aufscheuchte.

———————

Als sie spät am Morgen erwachten, hörten sie ein seltsames Klopfen und halb ersticktes Hülferufen. Bertha fuhr zusammen. In der Nähe die Leiche ihrer treuen Dienstmagd; sollte sie vielleicht aus dem Todesschlaf erwacht sein? Edmund ging hinein; aber das nun völlig blaß gewordene Mädchen schlief den Schlaf der Todten.

Das Klopfen dauerte fort. Bertha erfaßte ein namenloses Grauen. Sie fühlte die Nothwendigkeit nachzusehen, aber allein ihre Gemächer zu durchwandeln fehlte ihr der Muth. Edmund erbot sich zu ihrer Begleitung. So gingen sie beide Arm in Arm der Gegend nach, woher der räthselhafte Schall kam, zunächst in Bertha's Zimmer, dann in das Schlafgemach und da hörten sie deutlich, daß das Klopfen aus dem Garderobencabinet kam. Edmund öffnete die Thür und fragte mit lauter Stimme: »Wer klopft hier?«

»Ach du lieber Gott, Herr Redlich,« antwortete die gedämpfte Stimme des Geheimraths in den kläglichsten Tönen, »der Himmel sendet Sie zu unserer Erlösung. Schon seit drei Stunden sehnen wir uns in der unbequemsten Stellung, unter steter Todesangst nach dem Kaffee; aber die dumme Gans ......«

Eine tiefere heisere Baßstimme setzte mit militairischen Flüchen aus der alten Zopfzeit hinzu: »Himmeltausendschockschwerenoth, neunundneunzig Kreuzdonnerwetter sollen der kleinen Wetterhexe in den Magen fahren.«

»Mein Gott, der Vater und der Major, im Kleiderschrank!« rief Bertha. »Aber wo finden wir den Schlüssel zum Schranke?«

»Die leichtfertige Dirne,« rief die Bierbaßstimme des Majors, »wird ihn in der Tasche und vergessen haben.«

»Ja vergessen gewiß!« antwortete Edmund mit Ernst, und fügte hinzu, »ich eile ihn zu holen.«

Nicht ohne eine tiefe schauerliche Empfindung nahm er den Schlüssel aus der Tasche der Todten, und öffnete den Kleiderschrank.

Beide so muthvolle Herren steckten erst ihre benachtmützten Köpfe zwischen den Damenkleidern und Röcken heraus und fragten, ob die Schwerenoths-Soldaten, wie sich der Major im Aerger ausdrückte, auch ganz gewiß aus dem Hause wären.

»Auch die Pöbelrotten, die uns das Unheil zugezogen?«

»Alles fort!«

»Und auf der Straße?« fragte der Major.

»Alles ruhig.«

»Nun, dann mit Gott für König und Vaterland!« rief der alte Zopfmajor pathetisch, indem er herauskroch.

Der Geheimrath folgte ihm.

»Wo ist die Katharine, sie soll den Kaffee bringen.«

»Herr Bruder Geheimrath,« sprach der Major, indem er seinen Rohrstock schwang, den er außerhalb des Schrankes hatte stehen lassen, »ich werde mir von der Jungfer eine Privataudienz ausbitten, wobei sie die Engel im Himmel pfeifen hören soll.«

»Sagen Sie ihr das selbst, wenn Sie den Muth dazu haben.«

»O, Muth, Muth! bah! ich habe höllische Courage, ein alter Major a. D., der Anno 1806 als Adjutant bei der Uebergabe einer der Hauptfestungen Preußens das Wort geführt hat, und keinen Muth? Na, wenn alle die Himmeltausendsacramenter von Rekruten, die ich in meiner Jugend schon als Junker gefuchtelt habe, reden könnten ...... alle Kreuzdonnerwetter!«

Mit diesen Worten traten die beiden Männer in das Wohnzimmer und fielen fast um vor Schreck, als sie das todte Mädchen auf dem Sopha liegen sahen.

»Bomben und Karthaunen!« rief der Major, »also auch hier im Hause ist eine Schlacht gewesen?«

»Wie Sie sehen,« entgegnete Edmund trocken.

»Und wer hat uns gerettet?« fragte der Geheimrath.

»Hier, unser Freund Edmund!« rief das junge Mädchen mit Stolz.

»Junge, das vergelte Dir Gott!« entgegnete der Geheimrath in der ersten Ueberraschung mit einer Wärme, die er vielleicht noch nie in seinem kalten Leben empfunden hatte, denn er umarmte den jungen Mann.

»O, nun ist Alles gut, der Vater hat sich mit ihm ausgesöhnt.«

»Sie genehmigen also......?«

»Bruder Geheimrath, schmeiß sie zusammen,« sprach der Major, »es wird Dir Gotteslohn bringen.«

»Aber er ist ja noch nichts.«

»Durch Deine Schuld, Herr Bruder, denn Du hast gegen ihn intriguirt und am Ende bist Du selbst auch nichts mehr, als ein gewesener Geheimrath.«

Das war die empfindliche Seite, woran der Geheimrath gepackt wurde von seinem alten Freunde.

»Und wem habe ich es zu danken?« fragte er aufbrausend, »ganz allein ihm, seiner verdammten Wahrheitsliebe, seiner Taktlosigkeit als Beamter.«

»Verzeihen Sie, Vater meiner Bertha.«

»Deiner Bertha? Des Teufels Großmutter mag Deine Bertha sein. Ich habe noch nicht eingewilligt. Vergeben kann ich; aber vergessen nie! Der Mensch erhält meine Tochter nicht! Adieu!«

Damit zog sich der Geheimrath in ein anderes Zimmer zurück; Bertha und Edmund sahen einander betroffen an. Der alte Major suchte sie zu beruhigen mit den Gemeinplätzen: »Na, laßt man nicht gleich die Flügel hängen. Kommt Zeit kommt Rath. Wir haben auch nicht alle Tage Abend. Der Kohl wird so heiß nicht gegessen, wie er aufgegeben wird.«

»Ich werde gehen,« sprach Edmund, »und zu meiner Familie zurückkehren.«

»Und ich begleite Dich,« entgegnete Bertha, »ich gehöre jetzt Dir, nicht mehr meinem hartherzigen Vater.«

»Ihr werdet doch nicht mich mit der Todten allein lassen?«

»Sorgen Sie für deren Beerdigung, es wird keine Lebensgefahr für Sie dabei sein.«

Mit dieser spöttelnden Bemerkung ging Edmund fort und Bertha hing an seinem Arm und begleitete ihn; aber auf dem Vorflur bat er sie dringend, ihren Vater jetzt nicht zu verlassen und zurückzukehren, bis die Ruhe und Ordnung in der Stadt völlig wieder hergestellt und gesichert sein würde.

»Mein bist Du,« sprach er, »und mein bleibst Du. Keine Macht der Erde wird uns wieder trennen; aber jetzt bist Du noch hier Deinem Vater nöthig, der sich durchaus nicht selbst helfen kann; ich hoffe seine Einwilligung noch zu erlangen, wenn es mir nur erst gelungen sein wird, Versorgung zu erhalten.«

 

———————

 


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