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Zwölftes Buch.

In Redlich's Wohnung. Emma als Patriotin. Edmund als Barricadenkämpfer im Cöln'schen Rathhause. v. Humboldt. Director August. Wüthen der Soldaten. Flucht. Gefangenzug nach Spandau. Graf Banco vor dem Richterstuhle der Nemesis. Dessen geschiedene Gattin. Abzug nach Schlesien.

»Sagt mir, was hat er an Gut und Werth,
Wenn der Soldat nicht sich selber ehrt.
Etwas muß er sein eigen nennen,
Oder der Soldat wird sengen und brennen.

Schiller.

1.

Bald darauf traf Hochherz in der Brüderstraße abermals auf Edmund, der eben beschäftigt war, die Erbauung einer Barricade zu leiten.

»Jede Hoffnung auf gütliche Beilegung des Kampfes,« sprach Hochherz, »ist verloren. Jetzt bleibt nichts übrig als das Leben daran zu setzen, um den Militairdespotismus zu überwinden und die Freiheit zu gewinnen. Jedes Haus werde zur Festung, ich werde mit dem meinigen beginnen.«

»Auch ich werde bis zum letzten Blutstropfen für die Freiheit kämpfen,« sprach Edmund, »wenn ich nur ein Gewehr hätte.«

»Ich habe Waffen, mein Jäger soll Ihnen eine Büchsflinte geben und Schießbedarf dazu.«

Beide gingen in das Haus Numero 43 auf der Brüderstraße.

Edmund eilte erst hinauf in die Wohnung seiner Familie.

Auf dem Vorflur traf er Emma.

»Gott sei gedankt,« sprach diese, »daß wir Dich wieder lebend haben. Nun aber bleibst Du zu Hause und schützest die Deinigen.«

»Hier ist die Gefahr noch nicht so dringend,« entgegnete Edmund. »Zudem gehört das Leben eines jeden Bürgers nicht mehr der Familie, sondern dem großen Vaterlande. Ich will und muß hinaus in den Kampf.« Und nun erzählte er seiner Schwester mit flüchtigen und flammenden Zügen die Ereignisse des furchtbaren Straßenkampfes und die Hoffnungslosigkeit der Ausführung.

»Ja, mein Bruder,« entgegnete Emma feierlich, »auch ich bin eine Tochter desselben Vaterlandes; auch ich werde helfen, so viel mir mein Geschlecht erlaubt. Jetzt erst geh hinein zu den Eltern, und suche diese zu beruhigen. Ich werde hinunter gehen und vom Jäger des Landschaftsraths Waffen für Dich holen.«

Sie eilte hinab in den zweiten Stock. Dort traf sie statt des Dieners unerwartet den Herrn. Erröthend und befangen brachte sie diesem ihr Gesuch vor. Dabei war das junge Mädchen noch unaussprechlich verschönert durch die Aufregung und Befangenheit des Augenblicks.

Hochherz ergriff sie bei beiden Händen und sagte: »Was fordern Sie, Emma? Dieses Verlangen kann Ihrem Bruder das Leben kosten.«

»Dann fällt er für die Rettung seines Vaterlandes und ich werde ihm folgen. Ich werde mit meinen Brüdern Steine auf den Boden und an unsere Fenster tragen, um zur Wehr zu dienen gegen die Söhne des Vaterlandes, die dessen Feinde geworden sind.«

»Brav, edles Mädchen,« rief Hochherz. »Wo erst die Frauen an der Spitze der Männer kämpfen, wie das bei den alten Germanen der Fall war, da werden diese Helden der Freiheit sein.«

Oben im dritten Stock suchte indeß Mutter Redlich mit flehenden Bitten ihren Sohn abzuhalten, sich in Gefahr zu begeben.

»Ein Sprichwort sagt,« rief sie mit thränenvollen Augen, »wer sich in Gefahr begiebt, der kommt darin um. Darum folge mir auf den Boden, ich habe hinter dem Schornstein ein sicheres Versteck entdeckt. Dort sollst Du Dich verkriechen, mein Söhnchen, für den Fall, wenn etwa die Soldaten heraufkommen würden, um Dich zu spießen.«

»Du willst meine Schande, lieb Mütterchen,« entgegnete er kosend, »ich aber wäre nicht werth, meines Vaters Sohn zu heißen und meiner Schwester Bruder, wollte ich wie ein Feigling hinter dem Ofen die Gefahr scheuen, welche jetzt das ganze theure Vaterland bedrohet.«

»Edmund hat Recht,« sprach der alte Redlich, »lieber wollte ich meinen tapfern Sohn auf der Bahre sehen, als einen elenden Feigling in meiner Kammer beherbergen.«

Emma brachte die Doppelbüchse, und Pulver und Blei. Edmund lud sie kunstgerecht nach Jägerart, und eilte wohlgerüstet zum Kampf hinunter auf die Straße.

Ihn begleitete Emma, und mitten im Getümmel sammelte sie Pflastersteine in ihren Korb und trug diesen mühsam auf ihre im dritten Stock belegene Wohnstube. Ihre kleinen Brüder mußten helfen und bald waren dort ganze Haufen jener schrecklichen Munition des Bürgerkriegs vor ihren Fenstern aufgestapelt.

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Indeß drang Edmund immer weiter vor im Kampfgetümmel. Auf Umwegen erreichte er zunächst den Eingang der Breitenstraße, wo vor dem Cöln'schen Rathhause eine furchtbare Barricade sich erhob. Noch fünf andere junge Männer mit Schießwaffen gesellten sich zu ihm. Jede ihrer Kugeln traf ihren Mann und damit hielten sie längere Zeit die vordringende Infanterie ab. Diese zog sich zurück und demaskirte eine Batterie, welche plötzlich mit Kartätschen das Geräth, woraus die Barricade erbaut war, zertrümmerte, dann ein Hagel von Kugeln und Eisenstücken, die ganze Länge der Straße hinauf schleuderte, bis an die grade dem Schloß gegenüber quer vor der Breitenstraße belegenen Conditorei von d'Heureuse, in deren Fenster und Thüren die Kugeln hineinschlugen und dort viele unschuldige Menschen tödteten.

Die Schützen zogen sich, so lange das Artilleriefeuer spielte, hinter die Ecke der Gertraudenstraße zurück. Man wußte, daß das schwere Geschütz nur bestimmt sein konnte, Bresche zu schießen, und wartete daher in sicherer Deckung den Augenblick ab, wo das Kanonenfeuer schwieg, worauf wie vorauszusehen war, die Infanterie mit gefälltem Bajonnett im Sturmschritt gegen die Barricade anrückte. Ebenso schnell führte aber Edmund die Schützen, die sich unter seine Anführung gestellt hatten, wieder hinter die Trümmer der Barricade. Sie standen jetzt den feindlichen Kugeln weit mehr blosgestellt als früher; aber um desto thätiger feuerten sie ihre Schüsse gegen die heranrückende Masse von Pickelhauben und Bajonnetten und machten besonders die Offiziere zum Ziel ihrer sichern Büchsenschüsse. Schwerlich würde einer der Offiziere dieses Bataillons mit dem Leben davongekommen sein, wenn nicht der ziemlich gleiche Schnitt der neuen Offizierpalletots mit den Soldatenmänteln, aus einiger Ferne angesehen, den Offizier schwer erkennen gelassen hätte. Nur der Mangel eines Gewehres und der Degen verrieth die Gardeoffiziere, die übrigens mit anerkennungswerthem Muth sich überall an die Spitze ihrer Colonnen stellten. Viele büßten diese Ehrenhaftigkeit mit dem Leben.

Uebrigens war das sichere Treffen der jungen Büchsenschützen eine so wirksame Vertheidigung, daß sich die Infanteriecolonne in guter Ordnung, freilich mit Hinterlassung einiger Todten, zurückzog. Wieder begann nun das Kanonenfeuer und man warf Granaten, um die Vertheidiger der Barricade zu vertreiben; doch unerschrocken zogen sie aus den Granaten die brennenden Zünder oder traten einige zwanzig Schritt von der Stelle, wohin ein solches Ungethüm fiel und die mit Pulver gefüllte Hohlkugel zerplatzte, ohne Schaden zu thun. Gegen die Kartätschen deckte sie abermals die Ecke der Gertraudenstraße.

Doch den jungen Schützen fing das Pulver an zu fehlen. Anfangs luden sie ihre Büchsen mit dem Pulver, das sie aus dem Innern der krepirten Granaten mit Lebensgefahr sich holten; dann aber mußten sie sich von der Barricade zurückziehen, nicht ahnend, daß im Cöln'schen Rathhause viele bewaffnete Bürger sich befanden.

Plötzlich wurde vom Dache und aus den Fenstern des Rathhauses herab ein lebhaftes Feuer mit Steinwürfen untermischt, auf die nunmehr die Barricade erstürmenden Soldaten eröffnet. Edmund erinnerte sich, daß dort sein würdiger Lehrer, der Director des Cöln'schen Realgymnasiums, Dr. August, der in dem neuen Anbau des Cöln'schen Rathhauses seine Amtswohnung und seine Lehrzimmer hatte, sich mit seiner Familie in großer Gefahr befinden werde; zu dem eröffnete sich dort für den trefflichen jungen Schützen ein neues Feld der Thätigkeit und gewann den Eingang, indem er durch die nicht vergitterten Fenster der Schuldienerwohnung hineinstieg. Alle übrigen Fenster der untern Etage sind bekanntlich mit Eisengitter versehen, und die Thüren waren von innen verbarricadirt.

———————

Wir müssen hier eine Episode einschalten, die wohl nicht mit in den Roman gehört, aber doch den Schreckensbildern, die wir hier aufzurollen haben, einige mildere Farbentöne beimischt.

Der Director August war der einzige städtische Beamte in diesem öffentlichen Gebäude, das außer den Sitzungssälen und Registraturen der Behörde, auch das treffliche Cöln'sche Realgymnasium enthält, dessen Director er ist.

Schon in der vorigen Nacht, vom siebzehnten zum achtzehnten März, hatte sich dieser Ehrenmann verdient um das Vaterland gemacht, wenn auch der Erfolg nicht ein befriedigender gewesen war. In dieser Nacht, als Niemand mehr seines Lebens und seiner Freiheit sicher war, dachte er: »Wenn unser guter König wüßte, wie es hier hergeht, wie seine Soldaten wüthen und dadurch zu immer neuem Aufstand anreizen, so würde er gern die Hand zum Frieden bieten, der sogleich eintreten würde, wenn er Befehl gäbe, das Militair zurückzuziehen.« Um einen Mann für diese Vorstellung an den König zu gewinnen, der das Vertrauen des Königs in vollem Maße genießt, begab sich der Director Dr. August in der Nacht, zwischen zwölf und ein Uhr, in die Wohnung des hochberühmten würdigen Greises in der vom Verkehr und Getreibe des großstädtischen Lebens entfernt liegenden stillen Oranienburgerstraße. Humboldt, der sonst den Anfang der Nacht seinen tiefsinnigen Studien zu weihen pflegte, war unwohl und hatte sich früher als gewöhnlich zu Bett gelegt. Director August, der dem berühmten Gelehrten persönlich befreundet ist, ließ ihn wecken, und gern war der edle menschenfreundliche Greis bereit, den Mann, der im Namen des Volks zu ihm kam, zu hören. Der Director August machte ihm jetzt eine lebhafte und warme Schilderung von der Gährung der Gemüther, die am nächsten Tage alle Bande zersprengen werde, und bat ihn, am nächsten Morgen in aller Frühe zum Könige zu gehen und ihn zu beschwören, das Militair in die Kasernen zurück zu ziehen und das Ministerium zu entlassen, da es sonst zum fürchterlichsten Ausbruch der Volksleidenschaften kommen werde.

Humboldt fand sich darauf am achtzehnten März zu ungewöhnlich früher Morgenstunde im Schlosse ein. Er trug wesentlich bei zu den günstigen Beschlüssen, welche die Deputirten der Rheinprovinz zur Beschwichtigung der Gemüther erhielten. Allein die Zurückziehung des Militairs konnte er nicht erwirken.

Humboldt ist keine große imponirende Gestalt. Das hohe Alter und jahrelange Reisen in der heißen Zone Südamerikas, darauf die anstrengendsten Geistesarbeiten haben seine feinen Gesichtszüge gebleicht und seine Haltung gebeugt; aber wie groß die geistige Macht ist, die seine Umgebung durchdringt, ergab sich aus einigen Scenen, die am Nachmittag und Abend in seiner Wohnung erfolgten.

Humboldt kannte von seinem Aufenthalte in Paris, wo er die Revolution von 1790 und 1830 nebst verschiedenen kleinen Emeuten durchlebt hatte, sehr wohl die Bedeutung der Barricaden, die er mit Blitzesschnelle nach allen Richtungen hin entstehen sah. Nachdem die Wache am Oranienburger Thore gestürmt, die königliche Eisengießerei und das Artilleriearsenal mit einem Material an Kanonen, Laffetten und Lederzeug und Holzvorräthen von mehr als zwei Millionen am Werth in Brand gesteckt waren, hatte das Volk die ganze Oranienburgerstraße eingenommen und zog tobend durch dieselbe, nach dem Garten von Montbijou, wo sich die ägyptischen Alterthümer und die Wohnung des Prinzen Adalbert befanden.

Alles schrie nach Waffen. Da trat unter eine tobende Volksmenge ein schlanker Mann mit einem dunklen vollen Barte, der sich in eine schwarze Blouse und Lederkappe verhüllt hatte und sprach: »Seht, da oben in diesem Hause Numero 67 wohnt ein vornehmer Mann, geht da hinauf; schon im Vorzimmer werdet ihr ausgestopfte Vögel finden und wo diese sind, muß ein Jäger sein, ein Jäger aber hat immer Waffen, geht hin und holt sie Euch.«

Der so sprach, war der jetzt völlig zum Demokraten umgewandelte Graf Banco.

Die Menge stürmte das Haus, brach die Thüren ein, und befand sich bald im Vorzimmer des berühmten Humboldt. Dort wurden der rosenrothe Flamingo und der mythische Ibis zum Verräther an dem, der sie geschossen hatte. Unter dem Ruf: »Waffen, Waffen!« begann die tobende Schaar die Haussuchung. Ein Tischler unter den Tumultuanten brach die Holzbekleidung von den Wänden los, um zu sehen, ob sich dahinter vielleicht verborgene Waffenvorräthe befanden. Da trat ein freundlicher Greis mit weißem Haar, in häuslicher Kleidung, zur Thür eines Seitenzimmers heraus unter die lärmende Menge und sprach in milden Worten: »Meine lieben Freunde, ich habe keinen andern Schutz als mein schneeweißes Greisenhaar. Ich traue meinen lieben Landsleuten zu, daß sie mich in ihren Schutz nehmen werden.« »Sein Sie unbesorgt, lieber Herr Greis,« sagte ein bleicher Weber begütigend zu Humboldt, »wir wollen keine Blutrache an Sie nehmen; wir wollen weder Bier noch Geld; denn Alles, was gegen die zehn Gebote Gottes ist...«

Hier wurde jedoch der gutmüthige Bursche durch einen schwarzen Schlossergesellen unterbrochen, der ihm barsch zurief: »Bleib Du mit Deiner Predigt zu Hause; wir verlangen Waffen.« In diesem Augenblick trat der Jäger zu seinem Herrn, und der Mann aus dem Volke fuhr fort: »Legen Sie sich ruhig zu Bett, lieber Herr Greis, da ist der Jäger, den fassen wir beim Kragen; der soll uns bei der Haussuchung führen.«

So erfolgte denn das Suchen nach Waffen, ohne daß das Geringste weiter beschädigt oder genommen wurde. Eine zweite und dritte Haussuchung verlief auf ähnliche Art. Jedesmal ebnete seine persönliche Erscheinung die Wellen des aufgeregten Volks. Einmal waren es die Mitglieder eines Berliner Gesellenvereins, in welchem Humboldt's in der großartigsten Weltanschauung unübertreffliches Werk: »Kosmos« gelesen und erklärt war. Da genügte es schon, daß Einer bei dem Erscheinen Humboldt rief: »Achtung vor Alexander von Humboldt, dem Verfasser des Kosmos!« Und Alles wurde still und zog sich mit Achtungsbeweisen zurück.

So tief war die geistige Macht dieses berühmten Freundes des Königs in das Volksleben eingedrungen und das gereicht dem Volke, wie dem Gefeierten gleichermaßen zur Ehre.

Doch nun zurück, nach dem Cöln'schen Rathhause.

 

2.

Als an der Breitenstraße vor dem Cöln'schen Rathhause sich die Barricade erhob, rief der Dr. August den Vertheidigern derselben durch ein Sprachrohr zu: »Hier giebt es ein großes Mißverständniß. Gewiß, wenn Sie Alle sich nur ruhig verhalten wollten, so wird bald vom Schlosse die Friedensbotschaft erfolgen.« Es wurde indeß nicht darauf geachtet. Ein Anführer an der Barricade rief dem Sprecher zu: »Hören Sie doch, in der Königsstraße wird schon mit Kartätschen geschossen.«

So war denn alle Friedensvermittelung vergebens. Der Augenblick war gekommen, wo das Aeußerste entschied: Gewalt gegen Gewalt. Es war um zehn Uhr Abends, als dort das Feuern mit Kartätschen begann. Viele Menschen blieben todt auf dem Platze, andere wurden schwer verwundet durch eine in der Gertraudenstraße geöffnete Seitenthür hineingetragen, und von der Familie des Director August menschenfreundlich verpflegt. Auch die Vertheidiger der Barricade hatten sich durch jene Thür, welche zur Schuldiener-Wohnung führte, zurückgezogen. Die Thür nach der Scharrenstaße zu war verschlossen und von Innen verbarricadirt.

Jetzt war überall Gefecht und schreckliche Metzelei. Ein Offizier und etwa zehn Mann hatten die Barricade überstiegen und drangen gegen den Eingang der Roßstraße vor. Unmittelbar nachher stürmte ein anderes Detaschement den Haupteingang von der Breitenstraße und gleichzeitig drangen andere Soldaten von der Gertraudenstraße in das Rathhaus ein. Ohne Erbarmen wurde mit den Bajonnetten niedergestoßen was an bewaffneten oder unbewaffneten Personen im Hause vorkam. Sechs bis acht der Verfolgten drangen über Leichen und Verwundete hinweg in das Wohnzimmer des Director August und beschworen ihn, beschwichtigend den Soldaten entgegen zu gehen.

Das war ein gefährlicher Augenblick. Doch der muthige Mann ergriff sogleich das Klingelschild seiner Wohnung und rief den wüthenden Soldaten, die soeben hereindrangen, zu, indem er es ihnen entgegenhielt: »Das ist hier eine Privatwohnung; ich beschwöre Sie, sich mit Verhaftung der Wehrlosen zu begnügen und nicht ohne Noth Bürgerblut zu vergießen.« Den Offizieren nannte er sich und sagte ihnen, daß dieses die einzige Privatwohnung im Rathhause sei und diese Thür sei die einzige, die zu seiner Wohnung führe. Aus seinen Fenstern sei nicht geschossen; Verwundete zu verpflegen sei Christenpflicht. Doch seine Worte, wie beweglich sie auch ausgesprochen waren, wirkten nicht. Es zeigte sich hier die Schwere der Maßregel, fremde Regimenter zur Dämpfung des Aufstandes nach Berlin berufen zu haben; dortige Offiziere hätten sicher ihn erkannt und die Bedeutung seiner Worte gewürdigt; diese aber waren Fremde und konnten sich in ihrer Wuth nicht mäßigen; bald blutete der würdige Director, von dem Degen eines Offiziers im Gesicht verwundet. An Ausrufungen der Verwünschung ließen es die Herren nicht fehlen. Kolbenstöße, Bajonnetstiche und Schüsse bedrohten sein Leben.

Der Director riß sich die Kriegsmedaille von der Brust und hielt sie dem Offizier entgegen, indem er ihm zurief: »Auch ich habe mit Gott für König und Vaterland gefochten, noch ehe Sie lebten. Daß ich Kriegssitte kenne, dürfen Sie mir zutrauen und so sage ich Ihnen denn, daß diese Grausamkeit und Mordlust ein Schandfleck für das preußische Heer ist.« Durch diese Rede entging er dem Tode; man schien sich zu schämen, den Wehrlosen nieder zu stoßen, aber zahllosen Mißhandlungen entging er nicht.

Seine Bitte um Schonung der Seinigen fand kein Gehör. Was sich im Vorzimmer befand, verwundet oder nicht, wurde gefangen genommen und mit Bindfaden schnürte man den Gefangenen auf die schmerzlichste Weise die Hände auf den Rücken.

Auch Edmund, der seine Büchse schon früher als er einsah, daß man sich gegen die eingedrungenen Soldaten nicht mehr vertheidigen könne, einem andern Kämpfer, der sich zu einer andern Barricade zurückziehen wollte, gegeben hatte, würde diesem Schicksal nicht entgangen sein, hätte sich nicht während des lebhaftesten Tumults eine Thür geöffnet, in deren Nähe er stand und hätte nicht ein Mädchen, das in der Dämmerung des schwachen Streiflichts, welches auf sie fiel, in wunderbarer Schönheit vor ihm erschien, ihn beim Arm ergriffen und durch einen langen dunkeln Gang in die Küche geführt, wo die ganze Familie des Directors ängstlich zusammen stand. Im ersten Augenblick erkannte er Niemanden, nur der leise Aufschrei jenes Mädchens: »Mein Edmund!« ließ ihn im freudigen Schreck die Geliebte erkennen, die, wie er später erfuhr, während noch Alles Freude und Friede war, von Haus weggegangen war, um seine Schwester zu besuchen, wie sie versprochen hatte; aber an der Ecke der Breitenstraße hatte sie sich, vom Volkstumult überrascht, durch die Gertraudenstraße in die Wohnung der ihr befreundeten Augustschen Familie geflüchtet, und später war an keine Entfernung daraus mehr zu denken. Bertha hatte ihren geliebten Edmund aus einem der Fenster unter den Barricadenkämpfern erkannt und als die Schreckensbotschaft von dem Wüthen der Soldaten in die innern Gemächer erschallte, trieb eine Ahnung sie in das Vorzimmer des Directors, daß dort vielleicht Edmund in Gefahr sei, und so wurde sie für einen Moment wenigstens sein Retter, denn bald darauf drangen auch in dieses Asyl des Familienlebens die wüthenden Soldaten mit ihren schon von Blut triefenden Bajonnetten ein.

Dort befanden sich die Gattin des Directors, drei seiner erwachsenen Töchter, ein halberwachsener Sohn, in Begleitung von zwei Schwestersöhnen seiner Frau, die in der Bedrängniß am Nachmittage schon zu ihnen geeilt waren. Dorthin zog sich der Director August zurück, in der Ueberzeugung, daß er wenigstens im Schooß einer friedlichen Familie sicher sein würde vor der Wuth der Soldaten; aber er hatte sich geirrt. Zwei Gardisten packten ihn und hielten ihn fest; dann erblickten Andere den Student Hermann von Holzendorff.

Sein starker Bart erregte ihre Aufmerksamkeit. Ein voller Bart galt damals und gilt auch jetzt noch den Reactionairen für ein Zeichen von revolutionairen, demokratischen oder gar republikanischen Gesinnungen. So packten denn die Gardesoldaten den jungen Mann, der an der Seite seiner Tante stand, am Bart und dem langen Haupthaar und schleppten ihn mit dem rohsten Ungestüm hinweg, nach ihm den zweiten Neffen des Directors, den Schulamtscandidaten, Georg Zelle. Auch sein Sohn entging ihrer Wuth nicht. Bei den Haaren rissen sie ihn aus den Armen seiner Mutter, der ein Gardesoldat das Bajonnet auf die Brust gesetzt hatte, und stellten ihn draußen auf dem Flur zu den andern Personen, die man in seiner Wohnung gefunden hatte.

Unter diesen befand sich auch Edmund, der mit derselben Rohheit von Bertha's Seite gerissen war, die seinen Arm umklammert hielt und jetzt mit Gewehrkolben zurückgestoßen wurde.

Während der Director nutzlos Bitten und Vorstellungen an die Offiziere verschwendete, zog sich seine Familie in die innern Gemächer zurück, aber auch dorthin folgten den Frauen die Soldaten und vertrieben die beiden jüngsten Kinder aus den Betten, um überall nach etwa versteckten Waffen zu suchen.

Bertha hatte indeß ihren geliebten Edmund keinen Augenblick aus den Augen verloren. Sie war ihm auf den nur schwach erleuchteten Flur gefolgt. Dort wurden ihm, wie den übrigen Gefangenen, mit Bindfaden die Hände auf den Rücken gebunden. Das entschlossene Mädchen aber benutzte einen Augenblick, wo seine Person gerade weniger beobachtet war, und lösete ihm durch einen Schnitt mit einem Küchenmesser, das sie versteckt bei sich trug, die Hände, indem sie ihm zuflüsterte: »Geschwind auf den Boden!«

Edmund sowohl als später auch Bertha, hatten durch ihren Umgang mit dieser achtbaren Familie die Oertlichkeit dieses weiträumigen Hauses genugsam kennen gelernt, um diesen Wink benutzen zu können, und mit Blitzesschnelligkeit war Edmund seinen Peinigern entsprungen. Bertha folgte ihm auf den dunkeln Boden und da standen sie einen Augenblick Arm in Arm, für den Moment gerettet, aber was nun weiter? Schon die nächste Minute konnte ihnen Verfolgung und Gefangenschaft oder Tod bringen.

Kehren wir indeß einen Augenblick zu den Gefangenen zurück.

———————

Der Director August wurde aller Bitten ungeachtet, in den Schooß seiner Familie zurückkehren zu dürfen, mit den übrigen Verhafteten fortgeschleppt. Auf der Treppe erhielt er viel Kolbenstöße und noch zuletzt, an der Ecke der Scharrnstraße, wurde er von einem Tambour mit seinen Trommelstöcken auf den Kopf geschlagen, ohne daß ihn der anwesende Offizier davon zurückhielt.

»Auf Ehre,« sprach ein adliger Secondelieutenant mit fingerdünner Taille und näselndem Tone, »dieser hochmüthigen Bürgercanaille geschieht schon ihr Recht, nur drauf, wackere Kämeraden, schade was beizukommt.«

In der Breitenstraße gelang es endlich dem Gymnasialdirector, die humanen Generale von Aschoff und von Rauch anzutreffen. Er schilderte ihnen das Schreckliche seiner Lage und gern waren sie bereit, ihn und seinen Sohn zu befreien. Sie führten Beide persönlich durch die aufgebrachte Soldatenmenge, die bei jedem Schritt auf den blutenden Mann sich stürzen wollte, schützten sie durch ihr Ansehen und führten sie in ihre Wohnung zu der geängstigten Familie zurück. Ehe er das Haus erreicht hatte, trat der treffliche Oberst von Bonin zu ihm heran und sagte ihm die baldige Befreiung seiner beiden Neffen zu.

So erwiesen sich die höheren und älteren Offiziere überall human und gemäßigt, und nur unter den jüngern Offizieren ließen sich viele durch die zügellose Wuth der Soldaten hinreißen, deren entmenschte Rohheit zu dulden und oft selbst zu theilen.

Nur durch solche, wahrlich nicht sehr ehrenwerthe Tapferkeit kam einer der Gefangenen, der Student von Holzendorff ums Leben. Er wurde zuerst unter den entsetzlichsten Mißhandlungen fortgeschleppt von zwei Soldaten, die den Weg nach dem Schlosse nicht kannten. So verirrten sich die Soldaten mit dem Gefangenen bis mitten in die Roßstraße, wo sie sich plötzlich von Bürgern umringt sahen. Auf den Ruf: »Loslassen!« ließ ihn einer der Soldaten los; der andere aber legte sein Gewehr auf den Gefangenen an und schoß ihn todt.

Dieser alles Völker- und Kriegsrecht verletzende Mord brachte schmerzliches Unglück in eine stets dem hohen Königshause treu ergebene Familie. Der Ermordete war der Sohn des Rittergutsbesitzers, Herrn von Holzendorff-Jagow Nicht zu verwechseln mit dem Verfasser der bekannten liberalen Bauernadresse, Herrn von Holzendorff-Vietmannsdorff. und ein Enkel des Professor Fischer, der einst Lehrer unsers Königs gewesen war.

Glücklicher war der andere Neffe des Directors, der Schulamtscandidat Georg Zelle. Um zwei Uhr Nachts kehrte er nach vielen Mißhandlungen und mit einem Bajonnet durch den Arm gestochen, aus der Gefangenschaft zurück.

Man weiß, daß an sechs Hundert solcher Gefangenen vor das Brandenburger Thor geführt wurden. Hier band man zwei und zwei aneinander und ein wüthender Soldatenhaufen transportirte sie unter Kolbenstößen und andern rohen Mißhandlungen nach der Festung Spandau, von wo erst am folgenden Tage die allgemeine Amnestie des Königs für alle politischen Gefangenen sie befreite.

Nach Hause zurückgekehrt, setzte der Director August, obgleich selbst verwundet, seine Bemühungen für die Verpflegung der Verwundeten fort.

Der eine derselben lag schwer blessirt in seinem Vorzimmer. Der andere war auf dem Boden des Hauses gefunden, wo er durch einen Säbelhieb über den Kopf niedergestreckt wurde.

Von Edmund und seiner geliebten Bertha fand sich keine Spur mehr im Hause. Sie waren auf eine, Allen unbegreifliche Weise verschwunden, bis endlich ein Dienstmädchen aus dem Hause, das gegen Morgen auf dem Hofe mit verstauchtem Fuß gefunden und so heraufgetragen wurde, darüber folgende Auskunft gab.

Es hatte sich Bertha an sie gewendet, ihr zur Flucht mit dem jungen Redlich behilflich zu sein. Das entschlossene Mädchen lösete schnell eine auf dem Boden befindliche Waschleine und befestigte dieselbe in einer Bodenluke, die nach dem Hofe hinausging. Um zu versuchen, ob die Leine lang und fest genug sei, wagte sie es selbst sich zuerst daran herabzulassen. Als sie aber das Seil bis ans Ende hatte durch die blutenden Hände laufen lassen, fühlte sie noch keinen Boden unter ihren Füßen. Sich noch länger zu halten, war unmöglich. Mit einer schrecklichen Angst, da sie nicht wußte, wie tief unter ihr noch der Boden lag, fiel sie hinunter. Zum Glücke war es nicht tief genug, um sich todt zu fallen; aber sie verstauchte den Fuß so heftig, daß sie liegen bleiben mußte. Indeß suchte sie Die da oben vor gleichem Geschick zu warnen, und rief ihnen zu: »Die Leine ist zu kurz! Sie müssen noch zehn Ellen daran knüpfen.« Das geschah; und das Dienstmädchen gab ihnen von unten ein Zeichen, daß es nun hinreiche. Edmund war der Zweite, der sich an der Leine herabließ, nachdem er Bertha beschworen hatte, ihm nicht zu folgen, indem sie ja keine Gefahr laufe, von den Soldaten gemißhandelt zu werden. »Dir folge ich in Leben und Tod,« entgegnete Bertha. – Als geübter Turner ließ Edmund das Seil nicht durch die Hände laufen, sondern hielt sich daran mit Händen und Füßen fest, indem er eine Hand unter die andere setzte. Kaum war er unten angekommen, so rief ihm Bertha von oben zu: »Ich komme nach!« Kein Bitten von unten herauf konnte sie davon zurückhalten. »Es ist Tollheit von mir,« sagte sie halb laut, »aber das Herz treibt mich mit dem Geliebten meiner Seele jedes Geschick, so auch jede Gefahr zu theilen.«

Dann nach wenigen Augenblicken glitt sie pfeilschnell am Seile herab. Zum Glück hinderten die Handschuhe, daß sie nicht durch die Reibung des Seils die zarte Haut in den feinen Händen zerriß und Edmund fing sie auf in seinen starken Armen und verhinderte dadurch ihr zu unsanftes Niederfallen auf den Boden.

Denselben Fluchtweg benutzten später noch mehrere Personen, die im Hause ihre Rettung gesucht hatten und von den Soldaten bis auf den Boden verfolgt waren.

Zwei Bürger retteten sich dadurch, daß sie ein Versteck im Hause gefunden hatten, wo sie sich so lange verborgen hielten, bis sie sich am folgenden Morgen, als der Director August mit Bewilligung des Commandeurs auszog, sich unter die Träger mischten. Ein Dritter hatte in einem Kleiderschrank, worin nur ein Schlafrock hing, sich versteckt und war so den Nachsuchungen der Soldaten, die überall mit den Bajonnetten hinstachen, wo nur eine Möglichkeit des Versteckens zu denken war, fast wunderbar entkommen. Ein Vierter, der Buchdruckereibesitzer Krause, der am Kopf verwundet war, legte sich unter die Todten und entging so der Mordlust der Füsiliere.

Zum Glück wurde endlich diese wüthende Soldateska zurückgezogen und durch eine Abtheilung des Frankfurter Regiments ersetzt, welche sich menschlicher und gemäßigter benahm. Und wenn wir nicht umhin gekonnt haben die Barbarei einiger der jüngern Gardeoffiziere zu erwähnen, ohne sie zu nennen, so wollen wir um so lieber das ehrenwerthe Benehmen eines jungen Offiziers des Frankfurter Regiments, eines Herrn von Schönermark anerkennen, der durch sein ehrenhaftes Verhalten im Dienste der Pflicht auf der einen Seite, und durch seine Menschenfreundlichkeit in Behandlung der Verwundeten den Edelmuth zeigte, der als die schönste Tugend preußischer Offiziere im Befreiungskriege von 1813 – 15, wie neuerlich im Schleswigschen Kriege und im Süden Deutschlands Anwendung gefunden hat. Wir dürfen daher die geschilderten Sävitien in diesem Bürgerkrieg nicht als einen Charakterzug unseres braven preußischen Heeres bezeichnen, sondern als eine der unglücklichsten Verirrungen entflammter Leidenschaften, die hoffentlich nie wieder vorkommen wird.

 

3.

Wir würden nicht enden, wollten wir unsere Augen überall haben.

Die ganze Stadt war in dieser Nacht in so gespannter aufgeregter Bewegung, daß für die Ruhe kaum ein einziges Asyl mehr zu finden war. Ueberall Kampf, Mord, Blut, Brand und Sturmgeläute, krachende Schüsse, Pelotonfeuer, Kugelregen, Nothgeschrei und Wuthgeheul, Barricadenbau und Leichen und einzelne Heldenthaten, neben Zügen der grausamsten Rohheit.

Wir wollen indeß nur herausheben, was jene Zeit und die Schrecken des Bürgerkriegs mit den schärfsten Zügen bezeichnet. Zunächst mögen unsere Leser die Unglücklichen begleiten, welche als Gefangene dieser Nacht zuerst in den eiskalten Schloßkeller geworfen, dann unter den rohesten Mißhandlungen nach Spandau geführt wurden.

Zunächst wählen wir zu der Schilderung solcher Scenen die Geschichte eines Mannes, dessen harte Behandlung wenn auch nicht gerechtfertigt, doch dem sittlichen Gefühl eine Art von Genugthuung gewährt, wenn wir aussagen müssen: Das ist die Nemesis, die den moralischen Verbrecher da erreichte, wo die menschliche Gerechtigkeit ihn nicht strafend treffen konnte.

Es war Nachts elf Uhr, als ein schlanker Mann mit einem vollwüchsigen Barte, in eine schwarze Blouse gleich einem Eisenarbeiter gekleidet, in einem Weinkeller der neuen Friedrichsstraße eintrat, wo ein Grenadier saß und eine Stange Weißbier trank. Der Eintretende ließ sich sogleich eine Flasche Rothwein und zwei Gläser geben, und setzte sich dem Grenadier gegenüber. Dann schenkte er beide Gläser voll, schob das eine dem Soldaten zu und sprach: »Auf das Wohl des Königs werden Sie doch mit mir anstoßen, Kriegskamerad, denn Ihr müßt wissen, daß ich auch Soldat gewesen bin und das rebellische Volk zu allen Teufeln wünsche.« Damit öffnete er seine Blouse auf der Brust und deutete auf das orange und weiß gestreifte Band des rothen Adlerordens dritter Classe, das er an einem Knopfloch seines guten Oberrocks unter der Blouse trug.

Solchen Beweisen von loyalen Gesinnungen konnte der baumlange Gardegrenadier nicht widerstehen. Nachdem er auf das Wohl des Königs mit dem Fremden angestoßen hatte, ließ er sich nicht lange nöthigen, mehrere Gläser anzunehmen. Die erste Flasche war geleert und die zweite angestochen, da hielt es der Fremde für Zeit, nach und nach seiner eigentlichen Absicht näher zu rücken.

»Ihr habt Euch brav gehalten gegen den rebellischen Pöbel,« sprach er, »und ich würde Euch loben dafür, wären es nicht Eure Brüder, auf die Ihr geschossen habt.«

»Ei was Brüder? Wenn mein leiblicher Bruder mir als Rebell und Hochverräther gegenüber stände, so würde ich der Erste sein, der ihn niederschießt.«

»Brav, sehr brav, mein Freund! Und was bekommt Ihr Löhnung dafür?«

»Zum Sattessen zu wenig, zum Verhungern zu viel.«

»Und Eure Beköstigung, Fleisch und Brod wird Euch geliefert, aber wie, von welcher Beschaffenheit? Das Fleisch, Knochen, das Brod halbgar und klitschig, damit es schwerer ins Gewicht fällt. Die Herren Feldwebel werden nicht Ursache haben, sich zu beschweren und will der Gemeine sich beschweren, so gehts nicht anders als durch den Feldwebel, den Bäcker und Fleischer in der Tasche haben.«

»Dergleichen mag wohl schon vorgekommen sein. Im Allgemeinen haben wir uns über unsere Unteroffiziere nicht zu beklagen.«

»Und wie werdet Ihr behandelt? Ihr seid doch Alle Bürgerskinder. Denn in Preußen muß Jeder, sei er reich oder arm, vornehm oder gering, seine Militairzeit abdienen, nur mit der Ausnahme, daß die Wohlhabenden als Freiwillige mit einem Jahre loskommen, und nur die armen Teufel ihre dreijährige Dienstzeit aushalten müssen.«

»Ja, das ist ungerecht!«

»Und wie behandeln sie Euch. Schlagen ist verboten; aber schimpfen, stoßen, mit dem Gewehr stauchen, Du nennen, wie man einen Hund oder Lehrjungen Du nennt, und schimpfen und fluchen, als hätte ein Mann in der Montur keinen Funken Ehre im Leibe, das ist erlaubt, das kommt täglich vor, und wenn Euch das himmelschreiendste Unrecht geschieht, so dürft Ihr dagegen nicht muxen, Euch nicht beschweren; sonst seid Ihr Raisonneurs und werdet als Einer: von der schlimmsten Sorte bei jeder Gelegenheit geschuhriegelt, aber trinkt einmal auf das Wort: »Gott besser's!«

»Gott besser's!« sprach der Mann, stieß an mit dem Glase und trank es aus bis auf den Grund.

»Nun Gott wird bessern,« entgegnete der freigebige Fremde, indem er das Glas des Grenadiers wieder vollschenkte, »aber nur wenn ihr Soldaten anfangt vernünftiger zu sein und nicht mehr auf Eure Väter und Brüder zu schießen und zu stechen.«

»Donner Wetter Herr, was wollen Sie damit sagen?«

»Nichts weiter, als ganz einfach erklären, daß diese Revolution nicht gegen den König gerichtet ist; sondern nur gegen die Beamten, die jeder Verbesserung des öffentlichen Zustandes beharrlich widerstreben.«

»Es mag wohl nicht Alles so sein, wie es sein sollte.«

»Ganz recht, darum aber hat das Volk diesen Aufstand gemacht, um Freiheit und Verbesserung der Zustände nicht sowohl für sich selbst als auch für unsre Brüder, die Soldaten, zu erkämpfen.«

»Wie meinen Sie das, Herr, in des drei Teufels Namen?«

»Ganz einfach: daß Ihr Soldaten, wenn Ihr gegen Eure Brüder kämpft, nicht blos Brudermord begeht, sondern auch Mörder der Freiheit werdet; Ihr kämpft nicht für Euch, nicht für den König, nicht für das Recht und die gesetzliche Ordnung, sondern für ein hochmüthiges Junkerthum, das Euch knechtet, nachdem es als bevorzugte Kaste alle Offizierstellen sich anzueignen gewußt hat, Ihr kämpft für eine hochadlige Camarilla, die den König abhält seinem Volke und dem Heere zu gewähren, was gebieterisch der Zeitgeist fordert, Ihr kämpft für die Reichen, welche den armen Arbeiter verhungern lassen um vom Mark und Schweiß des Volks ihren Champagner zu trinken und Austern zu essen; Ihr kämpft gegen die ewigen Urrechte der Menschheit und darum bitte und beschwöre ich Euch, legt die Waffen nieder, kehrt sie gegen Eure Offiziere und werdet frei mit dem Volke, dessen Söhne Ihr seid. Hier Geld, um Euren Kameraden beim Glase Wein diese Grundsätze der Freiheit begreiflich machen zu können.« Damit drückte er dem Grenadier einige Zweithalerstücke in die Hand.

Dieser aber warf das Geld unwillig auf den Tisch: »Genug, übergenug, um Euch als Hochverräther und Soldatenverführer zu erkennen. Ich habe meinen Fahneneid geschworen und werde ihn halten bis auf den letzten Blutstropfen. Hier Euer Geld zurück,« damit warf er es auf den Tisch, »und hier noch ein Thaler zur Bezahlung meines Antheils an der Zeche. Ihr möget wissen, daß ich der Sohn eines reichen Berliner Brauherrn bin und als Freiwilliger mein Jahr abdiene. Meinem Vater stand ich in dieser Nacht vor der Barricade der Königstraße gegenüber. Ich beschwor ihn sich zurückzuziehen, um nicht Vatermord auf mein Gewissen laden zu müssen. Und ein Glück für mich war's, daß er ging; denn bei Gott, wäre in diesem Augenblick commandirt worden »Feuer« hilf Gott, ich wäre im Stande gewesen.....«

In diesem Augenblick trat ein Unteroffizier und noch zwei Mann mit Gewehr in den Bierkeller ein und der Grenadier berichtete in militairischer Haltung, daß und wie der Fremde dort versucht habe ihn zu verführen, daß er seine Pflicht verletze.

»Ihr seid Gefangener,« sprach der Corporal barsch zu dem Fremden, »marsch fort!«

So wurde der schlanke Mann mit dem Barte in der schwarzen Blouse, der sich Graf Banco nannte, nach der Schloßwache geführt und mit mehr als hundert Andern in den Schloßkeller geworfen.

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Sein Weg durch den Lustgarten und in den Schloßhof, wo überall Militairdetaschements standen, war eine Kette von Beschimpfungen. Die daselbst gelagerte Mannschaft hieb oder stach mit Säbeln und Bajonnetten auf ihn ein. Zuvor jedoch führte man ihn mit mehreren Andern in einen untern Saal des Schlosses, wo mehrere Offiziere und Polizeibeamte um einen großen Tisch saßen. Es waren etwa zehn Herren in Civil, die hier eine Commission zur Aufnahme und Constatirung der Gefangenen bildete.

Auf den ersten Blick erkannte Graf Banco denselben Polizeirath Dunkel, der früher so nachsichtsvoll gegen seine kleinen Verirrungen gewesen war. Auch jetzt glaubte er, sein hoher Adelsrang werde ihn retten. Ehe er noch aufgerufen wurde, öffnete er seine Blouse und trat vor.

»Mein Herr Polizeirath Dunkel,« sprach er mit dem vollen Aplomb eines Bewußtseins seines früheren hohen Ranges, »Sie werden sich meiner erinnern, und sofort mich freilassen, ich bin Graf Banco!«

Unter den anwesenden Offizieren brach ein höhnendes Gelächter aus, mehrere Civilbeamte sahen einander bedenklich an, als wären sie in Verlegenheit, wie sie den Rang des Mannes mit ihrer jetzigen Amtspflicht zu vereinbaren hätten; doch der Polizeirath Dunkel blieb keinen Augenblick in Verlegenheit.

»Den haben wir endlich!« rief er, indem er mit beiden Händen sich auf den Tisch stützte und den Oberleib vorbeugend ihn mit boshaftem Lachen betrachtete; »ja, der ist es, darauf habe ich mich lange gefreut, die Genugthuung muß ich haben, diesem Rädelsführer des Pöbelaufstandes selbst die Hände zu binden, und ihn noch heute nach Spandau zu schicken.«

Damit sprang er wie ein Tiger auf ihn ein, packte ihn vor der Brust und schüttelte ihn zusammen, indem er zu den Versammelten sprach: »Ja, meine Herren, an dem Blut, das heute in Berlin vergossen worden, ist dieser zum Pöbel übergetretene Edelmann schuld. Er ist dafür verantwortlich.«

»Mein Herr, mein Rang als Graf, kein Gericht hat ihn mir aberkannt.....«

»Aber die öffentliche Meinung! Das Offiziercorps hat Dich ausgestoßen; der Adel Dich für ehrlos erklärt; bei der Polizei hast Du längst schon schwarz gestanden, Du bist jetzt nichts mehr als ein Stück Pöbel geworden, das sich als Großmaul zum Rädelsführer der Rebellen gemacht hat. Hier gilt keine Schonung mehr; und wenn sie Dich todtschlagen, Du Hund, so bist Du bezahlt!«

Dabei hatte er einen starken Actenbindfaden vom Tisch genommen, und schnürte ihm damit die Hände so fest auf den Rücken zusammen, daß alles Blut darin erstarrte und sie bald geschwollen und gefühllos wurden.

Indeß hatte ein andrer Beamter ihn durchsucht und entriß ihm die goldene Cylinderuhr, die er an einer feinen goldenen Kette in der schwarzen Sammetweste trug, mit den Worten: »Was, die Canaille will noch eine Uhr tragen?«

Alles Militair im Saal war bei dieser Behandlung auf ihn aufmerksam geworden.

»Nun, Du Hund,« sprach der Polizeirath Dunkel, »will ich Dich auch den Soldaten draußen bezeichnen, Du Aufhetzer! Du Rädelsführer!«

»Herr, wollen Sie mich morden lassen?« fragte der Graf, dem übel zu Sinne wurde, als ihn der Polizeirath der wüthenden Soldatenmenge, die draußen nur nach seinem Blute zu lechzen schien, entgegen schob.

»Ja, feiger Hund, aber morden kann er!«

»Ich bin nicht feige; aber Sie können hier unmöglich sitzen, um den Henker zu machen.«

»Wart, Canaille, ich will Dir den Henker schon eintränken!«

Damit führte er ihn, wie ein Schlachtthier am Strick auf den Hof und dort reizte der Polizeibeamte durch ähnliche Reden die Soldaten zur höchsten Wuth gegen ihn auf.

»Seht ihn Euch genau an,« rief er den Soldaten zu, »den Hund, wie er aussieht, der Euern Lieutenant erschossen hat.«

Und nun mußte der Graf Banco gleichsam Spießruthen laufen durch eine Reihe von flachen Säbelhieben, Kolbenstößen und Faustschlägen der wüthenden Soldaten.

Endlich ging's gebunden und im bloßen Haupte, denn der Hut war ihm längst vom Kopf geschlagen auf dem Marsch.

Auf diesem Transport waren etwa zwei hundert Gefangene zusammen. Man hatte Sorge getragen, diesen gefährlichen Bösewicht, denn als solcher war er den Soldaten bezeichnet worden, in der Mitte der Chaine ziemlich isolirt zu führen. So konnte er Alles übersehen.

Ein ermüdeter Soldat hing sich an ihn, indem er scherzend sagte: »Du bist mein Inventarium geworden, Du mußt mich fortschleppen.« Und in der That mußte er mit gebundenen Händen den Soldaten mehrere Stunden, nicht ohne große Anstrengung hinter sich herziehen. Ruhte er einen Augenblick, so wurde er durch Faustschläge oder Kolbenstöße weiter getrieben.

Schon in Berlin hatte ein Offizier zu jenem Soldaten, dem er ganz speciell zur Bewachung übergeben war, gesagt: »Wenn er sich unterwegs rührt oder nur Mine macht zu entfliehen, so gieb ihm auf meine Verantwortung drei Bajonnetstiche durch den Leib.«

Mit dieser Drohung wurde ihm stets zugesetzt. Als sie ans Wasser kamen, hieß es: »Der Hund will hineinspringen,« und neue Schläge waren die Folge dieser unsinnigen Voraussetzung.

Solchen Mißhandlungen erlag endlich der kräftig aussehende Mann, der übrigens durch zahllose Ausschweifungen schon sehr geschwächt war. Ohnmächtig sank er zusammen und lag regungslos auf dem Boden.

»Der Hund verstellt sich,« rief ein Unteroffizier, »kitzelt ihn mit dem Gewehr wieder ins Leben.«

»Oder wenn er die Verstellung weiter treibt, macht ein Ende damit, auf daß wir weiter kommen.«

Und nun stachelten ihn einige Soldaten mit Bajonnetten so, daß aus mehreren Wunden das Blut floß. Und Andere setzten ihn mit Kolbenstößen zu, so daß ihn der physische Schmerz wieder zur Besinnung brachte und er in der Todesangst seine letzten Kräfte zusammenraffte um noch den Rest des Weges nach Spandau unter Fortsetzung solcher Mißhandlungen zurückzulegen.

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Hatte hier diese Rohheit einen Menschen getroffen, der keiner bessern Behandlung werth war, so bleibt es betrübend für jedes menschlich sittliche Gefühl, daß es im Ganzen an zwölf hundert Personen, meistens Unschuldige und rechtliche, achtbare Männer waren, die eine ähnliche entsetzlich rohe Behandlung erlitten.

Wir würden gern unsere Schilderung des entsetzlichen Gefangenenzuges nach Spandau hier abbrechen, gehörte nicht eine Ergänzung derselben aus einem andern Bericht zur Vervollständigung des Bildes. Wir dürfen nicht schonend verhüllen, wo es gilt der Welt zu zeigen, zu welcher Unmenschlichkeit fanatische Leidenschaften, Revolutionen und Bürgerkriege führen, denn damit rufen wir allen Wühlern zu: »Hütet Euch, leichtsinnig solche dämonische Geister herauf zu beschwören, die Ihr, einmal geweckt, nicht wieder bannen könnt.«

Bis gegen vier Uhr Morgens mußten die zum Theil aus den Häusern geholten, meistens ganz friedlichen Menschen, darunter Greise und Knaben, Gesunde und Kränkliche, von jedem Stande, jedem Alter, im feuchten kalten Moder des Schloßkellers liegen, ohne nur einen Trunk oder einen Bissen Brod zur Erquickung oder ein Bund Stroh zum Lager zu erhalten, für verwöhnte und verweichlichte Stubenmenschen aus den gebildeten Ständen, die in ihrem Familienleben an die sorglichste Behandlung gewöhnt waren, an sich schon eine entsetzliche Pein.

So mußten sie abmarschiren aus dem Schloßkeller in den Lustgarten.

Ringsum flammten im hellen Mondlicht die Pickelhauben und die Bajonnette zahlloser Infanteriemassen; diese Peiniger der Gefangenen trieben sie in fanatischer Wuth mit Kolbenstößen auf die Brust und in den Rücken vorwärts. Jedes Hohngeschrei, jede Schimpfrede wurde gegen sie ausgestoßen.

Nicht minder schrecklich als diese Behandlung war ihnen die Ungewißheit über ihr Geschick in der nächsten Zukunft.

Am Brandenburger Thore in Trupps geformt, führte man sie Zwei und Zwei aneinander gebunden hinaus auf die Straße nach Spandau. Diese Straße führte aber auch nahe am ehemaligen Excercierplatz vorbei, wo jetzt Kroll's dem Vergnügen geweihter Feenpalast verwaiset durch den Tod seines Besitzers unter dem Sequester der Gläubiger trauert und wo Cornelius seinem verblaßten Ruhm eine glänzende Villa als Denkmal seiner einstigen Größe erbaut hat; und allgemein verbreitete sich die Meinung unter den eingeschüchterten Gefangenen – dort werde dem Absolutismus eine große Hetakombe von Schlachtopfern der Revolution gebracht werden – das war die Meinung, daß man sie auf dem Excercierplatz in Masse erschießen lassen werde. Als man aber den verhängnißvollen Excercierplatz passirt war, erkannten die Gefangenen bald, daß sie nach Spandau geführt werden sollten.

Dazu, einen so weiten Weg zu Fuß zurückzulegen, fühlten sich aber die Meisten derselben zu schwach, und unerträglich wurden bald die Schmerzen der einschneidenden Stricke oder Bindfaden, womit ihre Hände auf dem Rücken zusammengeschnürt waren.

Dazu das stereotype Commando: »Ihr verfluchten Hunde, immer r'an!« das ebenso regelmäßig mit Kolbenstößen begleitet war. Die Letzten, die bei langen Zügen immer etwas zurückbleiben, wurden dadurch gezwungen, trotz ihrer völligen Erschöpfung im Trabe vorwärts zu laufen; man sah Greise völlig kraftlos niedersinken und wieder aufgestoßen werden durch Bajonnetstiche und Kolbenstöße.

Wer sich durch irgend etwas Auffallendes an Bart, Brille, farbiges Studentenmützchen oder Schnürenrock auszeichnete, galt für einen der gefährlichsten Revolutionaire und mußte dafür doppelte Mißhandlungen erleiden. Kein Offizier trat diesen scheußlichen Ergüssen soldatischer Wuth entgegen. Ja, wagte man einmal eine Klage bei ihnen anzubringen, so konnte man sicher auf eine schnöde Zurückweisung jeder Beschwerde rechnen. Hatten in einzelnen Fällen es die Soldaten zu arg gemacht, so fand ihre, wenn auch unwahre Entschuldigung Gehör: »der Hund habe fortlaufen wollen.« Selbst die durch Zurückbleiben ihres Vordermannes aufgehalten waren, wurden mit Kolbenstößen, trotz der Unmöglichkeit vorwärts zu kommen, fortgetrieben.

Nicht selten trieb man noch Scherz mit diesen Rohheiten. Wenn die Gefangenen durch diese Kolbenstöße oder durch die Furcht vor denselben Sprünge machten, um ihnen zu entgehen, so lachten die Soldaten und nannten das »Polka tanzen.«

Unter solchen Qualen graute der Morgen und die schöne Frühlingssonne, diese Freudenbringerin für alle lebende Wesen, brachte diese Unglücklichen vor die Wälle der Festung Spandau.

Dort führte man sie, oder trieb sie eigentlich mit Kolbenstößen in die Casematten dieser nach außen hin grünenden Wälle. Im feuchten Gewölbe lagen sie da auf kaltem Boden von Ziegelsteinen, mit ermüdeten, zerschlagenen, oft verwundeten Gliedern. Keine Decken, um gegen den Fieberfrost die Erhitzten und Erschöpften zu schützen, kein Bund Stroh wurde ihnen gereicht. An warmes Getränk war nicht zu denken. Erst um zwölf Uhr erhielt Jeder ein Stück trocknes Commisbrod und dann wurden einige Eimer mit Wasser hingesetzt, aus welchen sie, ohne Becher, ihren Durst stillen mußten.

Um drei Uhr wurde es dort schon Nacht, indem durch die kleinen trüben Fensterscheiben die Strahlen der Sonne nicht mehr durchdringen konnten. Schreckliche Aussicht für die nächste Nacht, denn daß sie bestimmt waren noch eine Nacht in dieser entsetzlichen Gefangenschaft zu bleiben, ging schon daraus hervor, daß die Gefangenen bald beordert wurden, sich Stroh, ein Bund für zwei Mann, aus dem Magazine zu holen. Schon lagen sie dort und die Meisten waren aus völliger Erschöpfung eingeschlafen, als gegen vier Uhr Morgens das Rasseln der Schlösser und Thorflügel sie weckte. Ein Lieutenant von der Besatzung trat ein und verkündete, daß die gefangenen Studenten und ansässigen Berliner frei seien, indem der König überzeugt sei, daß die Meisten unschuldig oder verführt seien; er daher den Schleier des Vergessens über ihre Verirrungen fallen lassen wolle. Nur möchten sie, um Militairzügen nicht zu begegnen, nicht auf der Chaussee, sondern durch die Haide und über Moabit nach Berlin zurückkehren.

Freudig gingen die erlösten Gefangenen diese Bedingung ein und wurden massenweise entlassen; nur Graf Banco traf diese Begünstigung nicht. Er war weder Student, noch in Berlin ansässig, und noch dazu als einer der ärgsten Aufwiegler bezeichnet worden.

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Ein Soldat hatte ihn mit seinem letzten Hiebe, als sie in der Citadelle angekommen waren, einem Offizier übergeben, und dieser dem Commandanten, indem er ihn im Auftrage der Commission in Berlin als den ärgsten Revolutionair bezeichnete.

Der Commandant riß ihm ein Stück Papier aus der Tasche und da er fand, daß es weiß und unbeschrieben war, zeigte er es den Umstehenden mit den Worten:

»Sehen Sie, meine Herren, darauf hat er eine Proklamation schreiben wollen.«

Nun wurde Graf Banco in eine einsame Zelle geführt, wo man ihm den linken Fuß und die rechte Hand in eine schwere Kette legte und auf gleiche Weise auch den rechten Fuß und die linke Hand fesselte.

Da er völlig erschöpft war, so versank er sogleich in einen betäubenden Schlummer.

Gegen Abend des neunzehnten März wurde er durch heftiges Rütteln geweckt. Zwei Soldaten hatten dieses Geschäft übernommen. Es geschah so rücksichtslos, daß Graf Banco auffuhr und im ersten Schrecken glaubte, man wolle ihn nun zum Richtplatze führen, um ihn zu erschießen.

Halb aufgerichtet starrte er zwei Personen an, die seinem Lager am Boden gegenüber in der Gefängnißzelle standen, doch so, daß ein Lichtstreif durch das kleine Fenster auf sie fiel, wobei der Graf einen höhern Offizier und eine schwarz gekleidete, verschleierte Dame vor sich stehen sah.

»Ja, lieber Onkel, er ist es,« sprach die junge Dame, deren feine blasse Gesichtszüge durch den dunklen Schleier, den sie in diesem Augenblick zurückschlug, gehoben wurden, »er ist es, der mich um mein Lebensglück betrog!«

Nicht ohne den Schauder eines innern Vorwurfs erkannte Banco seine geschiedene Gemahlin, die Tochter des Generals Sanscoeur, dessen Namen sie mit um so größerer Befugniß wieder angenommen hatte, als sie jetzt, vom Wahnsinn genesen, dem sie bald nach ihrer erzwungenen Heirath verfallen war, schon im Schmerz über das Zerreißen eines hoffnungslosen Liebesbandes, welches sie an den Landschaftsrath, mehr als sie sich selbst gesichert wollte, gefesselt hatte. Seitdem hielt sie sich bei ihrem Oheim, einem der höhern Offiziere, die damals in Spandau lebten, auf.

»Alwine,« sprach er erschüttert, »Sie hier. Kommen Sie als Nemesis mir mein Todesurtheil anzukündigen?«

»Nein, die Freiheit, die ich durch meine Fürbitte erlangt habe.«

»O,« rief er aus, »eine so edle Rache schmerzt tiefer als die schmählichste Beschimpfung durch diese Ketten. Mit Beschämung fühle ich jetzt, welche edle schöne Seele ich hätte die meinige nennen dürfen, wäre ich ihrer nicht unwürdig gewesen. O Alwine, vergeben Sie dem argen Frevler an Gott und Menschen.«

»Auch der Mittler am Kreuze vergab seinen Feinden, Ihnen ist vergeben; ich aber werde als Stiftsdame in dem großen Krankenhause Bethanien mich dem Dienste Gottes und der leidenden Menschheit weihen und Gott täglich bitten, daß er Sie reumüthig wieder umkehren lasse auf dem Wege der Schuld, den Sie zum Verderben so vieler unschuldigen Menschen betreten haben.«

»Ich schwöre es, bei Gott,« rief er aus, »ich werde mir diese grausame Strafe, die ich empfangen habe, zur Besserung dienen lassen. Ich werde mich auf meine verschuldeten Güter zurückziehen und versuchen im Stillen Menschenwohl zu fördern.«

»Gebe der Himmel, daß dieses nicht die Sprache einer aufgeregten Stimmung ist, sondern daß diese Gesinnung auch nachhaltig wirke.«

Damit zog sie sich am Arme ihres Oheims zurück. Graf Banco wurde entfesselt, und in der Zerschlagenheit seines Gemüths und seiner Glieder kehrte er zurück nach Berlin, in die weite Welt, die von jeher für ihn so viel Verlockendes hatte; doch um nicht wieder neuen Versuchungen zu erliegen, ging er noch an demselben Abend auf der Eisenbahn über Frankfurt nach Schlesien ab.

 

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