Friedrich Wilhelm Hackländer
Märchen
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Das Zwergennest.

Es war einmal ein Mann, der war seines Handwerks ein Weber, das heißt, er bekam von den Kaufleuten in der Stadt Seide und Wolle, aus denen er zu Haus auf seinem Webstuhl schöne Zeuge zu verfertigen wußte. Da ihm das Leben in der Stadt, selbst bei der ärmlichsten Kost und der schlechtesten Wohnung, für sein Bischen Verdienst zu theuer gekommen wäre, so hatte er sich nach einer andern Wohnung außerhalb umgesehen und endlich eine gefunden, die, wenn auch nichts weniger als bequem oder schön aussehend, ihn doch so ziemlich gegen heftigen Regen und rauhes Wetter schützte.

Diese seine Wohnung stand nämlich in der Nähe eines benachbarten Dorfes und war eine baufällige, schlechte Hütte, die an ein altes Gemäuer geklebt war. Von dem Gemäuer sagte man, daß es in uralten Zeiten ein Gefängnißthurm gewesen sei und zu einer weitläuftigen Burg gehört habe, deren Ruinen man noch auf einem benachbarten Fels sah. An diesen Gefängnißthurm nun hatte früher der Schäfer des Orts von alten Balken und schlechten Brettern ein kleines Haus gebaut und darin gewohnt, um seine Schafe zu beaufsichtigen, die sich gern zwischen den alten Mauern herumtrieben und denen das fußhohe, saftige Gras zwischen den schwarzen, halb verbrannten Steinen gut zu schmecken schien.

Doch hatte der Schäfer hier noch nicht gar lange gehaust, als ihn ganz bedenkliche Umstände zwangen, seine kleine Wohnung zu verlassen. Oftmals nämlich, mitten, in der Nacht, geriet seine Schafheerde, die sich theils bei seiner Hütte, theils in dem alten Schloßhofe gelagert hatte, in eine solche Verwirrung und solchen Aufruhr, als seien ein Dutzend Wölfe unter sie hineingerathen. Die armen Schafe blöckten jämmerlich und fuhren in einer wahren Todesangst aus einander, dahin und dorthin, wo ihnen eben gerade eine Oeffnung in den Mauern des alten Schlosses den Durchgang gestattete. Alsdann mußte der Schäfer aus Leibeskräften rufen und pfeifen, allein trotz dem war keins von den sonst so folgsamen Thieren, das seiner Lockung Gehör gegeben hätte und zurückgekommen wäre. Vielmehr sahen diese in ihrer Angst nicht auf den Weg, den sie nahmen, und da kam es denn nicht selten, daß sie zwischen die Felsen stürzten und jämmerlich umkamen. Die Hunde des Schäfers, die bei Tage schon manchmal den Wolf tüchtig zerzaust und zurückgetrieben hatten, zogen bei diesem Spektakel, der mitten in der Nacht losging, ihre Schwänze ein, heulten vor Angst und waren weder durch Prügel noch gute Worte dahin zu bringen, unter die Schafe zu gehen und sie ordentlich zurück zu bringen. Der Schäfer, gerade auch nicht der furchtsamste Mensch, war über den Verlust seiner Schafe in Verzweiflung und deßhalb sehr wachsam und gleich bei der Hand, so oft so ein toller Spektakel wieder anfing, was meistens in einer Vollmondnacht geschah, und obgleich es dann so hell war, daß er seine ganze Umgebung überblicken konnte, so sah er doch nie das Geringste, weder Wölfe noch böse Menschen, die seine Schafheerde in Unordnung hätten bringen können. Wohl aber meinte der Schäfer, wenn er so zwischen den unruhigen Thieren hin und her lief, als höre er bald hier bald dort ein leises Lachen oder den Jagdruf: Halloh, halloh! wie ihn die Jäger ausstoßen, wenn sie das Wild in den Wäldern vor sich her jagen.

Nachdem der Schäfer mit mehreren Leuten des Dorfs, die beim Verlust ihrer Schafe anfangs auf den Hirten selbst Verdacht hatten, viele Vollmondnächte gewacht und diese den Spektakel mit eigenen Augen gesehen, auch das leise Lachen und den Hallohruf mit eigenen Ohren gehört hatten, waren alle darüber übereingekommen, daß es die Wichtelmänner oder Zwerge seien, die schon seit undenklichen Zeiten in den benachbarten Felsen und Gründen wohnten und sich hier zum Schaden der Menschen auf ihre eigene Faust ein Jagdvergnügen veranstalteten. Es war nicht das erste Mal, daß die Zwerge hervorkamen und den Menschen durch ihre Spiele und lose Streiche so offenbaren Schaden zufügten. Gesehen hatten sie alte und auch jüngere Leute schon häufig, besonders die, welche auf die nahe liegenden Orte zum Jahrmarkt gingen oder sonst in der Umgegend Geschäfte hatten. Diese Leute mußten nämlich an gewissen Orten, gewöhnlich kleinen grünen Waldthälern, vorbei, die mit frischem grünem Moos bedeckt, von uralten Bäumen umgeben waren. Stand in der Mitte eines dieser Plätze ein einzelner großer Baum, dessen weit ausgestreckte Zweige eine Art von Laubzelt bildeten, so war solch ein Ort der Sammelplatz der Wichtelmänner und sie kamen hier bei dem ersten Strahl des Mondes, der über die Berge stieg, schaarenweise zusammen, um ihre Tänze auszuführen. Schon oft erzählten alte Jäger, die bei Verfolgung eines Hirsches noch spät in der Nacht sich einem solchen Platze genähert, daß sie die höchst wunderbaren Spiele der Wichtelmänner gesehen, und wußten von den zierlichen hohen Sprüngen, dem allerliebsten Tanz und den pfeilschnellen Wendungen der kleinen Zweige und Zwerginnen nicht genug zu sagen. Nur mußte sich solch ein unberufener Zuschauer so still wie möglich verhalten und, gut verborgen sein, damit ihn das scharfe Auge der Zwerge nicht erspähte, denn sonst hörten diese oft mitten im Tanze auf, verschwanden und rauschten durch die Luft davon, wobei sie ein Geräusch machten, wie ein starker Bienenschwarm, der über ein Blumenfeld hinzieht.

Zuweilen passirte es auch einem solchen Neugierigen, der sich gar zu unvorsichtig genähert, daß ihm beim Verschwinden der Elfen von unsichtbaren Händen eine solche Anzahl unsichtbarer, aber sehr fühlbarer Ohrfeigen verabreicht wurde, daß er betäubt dahin fiel und am andern Morgen mit braunen und blauen Flecken aufstand.

Lange hatten die Elfen so ziemlich entfernt von den Dörfern ihr Wesen getrieben, doch da die Wälder immer mehr und mehr gelichtet und besonders die alten starken Bäume abgehauen wurden, hatten sie ihre Tanzplätze bei alten Gemäuern aufgeschlagen, die in steinigem, unfruchtbarem Boden standen und von den habsüchtigen Menschen in Ruhe gelassen wurden. Hierdurch wurde es nun schwerer, den nächtlichen Tänzen derselben zuzuschauen, denn durch das Vertreiben aus ihren einsamen Waldthälern waren sie vorsichtiger geworden und tanzten selten dem menschlichen Ange sichtbar, auch wurden sie durch den Vorwitz der Menschen boshafter und es gelang selten mehr einem Sterblichen, ihnen unbeachtet und ohne geprügelt zu werden, zuzusehen. Hierdurch war allmälig der Glaube an das kleine Volk etwas verschwunden, und selbst wenn ein neugieriger Bursche am andern Morgen braun und blau geschlagen erschien, und seine Abenteuer, die er mit den Wichtelmännern gehabt, erzählen wollte, so lachte man ihn gewöhnlich aus und meinte, der Deckel der Bierkanne würde wohl seine Nase blutig geschlagen haben.

Bei dem Vorfall mit dem Schäfer wurde man aber wieder auf die kleinen Männer aufmerksam, und sah erst, nachdem den Besitzern der Heerden ein bedeutender Schaden zugefügt war, daß man nothwendig den Wichtelmännern das Feld räumen und sie in ihrem Zufluchtsorts dem einsamen Gemäuer, zufrieden lassen müsse. Der Schäfer verließ demnach seine Hütte und wurde anderwärts untergebracht, wo es sich alsbald an seinen Schafheerden zeigte, daß die Wichtelmänner sehr versöhnlicher und im Grunde auch gutmüthiger Natur seien, denn als diese auf die vorhin erzählte Art ihren Spiel- und Tummelplatz von dem Blöcken und Scharren der Schafe befreit fanden, ließen sie durch geheime Zaubersprüche oder wer weiß was sonst, die Heerden des Dorfs dergestalt gedeihen, daß deren Besitzer für die verlorenen Schafe bald vollkommen entschädigt waren. Mittlerweile stand die Hütte des Schäfers leer und da sie vordem schon in nicht sehr wohnlichem Zustand gewesen war, so zerfiel sie immer mehr; die Fenster waren zertrümmert und Sonne, Mond, Regen und Wind machten von allen Seiten im Innern derselben Besuche. Trotz dem hatten sich die Wände, welche aus Rasenstücken bestanden, auf's Beste erhalten, denn sie waren zu einem Ganzen zusammengewachsen. Obendrein war die Hütte von Sträuchern und Kräutern in Menge umgeben, so daß sie von Weitem wie ein grüner Hügel oder wie ein großes Vogelnest aussah und im Zusammenhang mit den Wichtelmännern von den Leuten im Dorf das Zwergennest genannt wurde, und die Burg auf dem benachbarten Berge die Zwergenburg.

So hatte das Häuschen eine lange Zeit leer gestanden, bis der Weber, von dem ich oben erzählte, nach langen Wanderjahren in seine Heimath zurückkehrte. Da alle seine nahen Verwandten und Bekannten unterdessen gestorben und seine Eltern vor ihrem Tode arm geworden waren, so wollten sich die noch übrigen entfernten Verwandten des armen jungen Mannes keineswegs annehmen und Niemand that nur einmal so viel für ihn, um ihm eine elende Kammer zu vermiethen, worauf er seinen Webstuhl hätte aufschlagen und sich von seiner Hände Arbeit ernähren können. Dies Benehmen hatte freilich noch einen andern Grund, denn der Vater des Webers, der ein Waldschütz gewesen war, hatte die Tochter eines Köhlers geheirathet, die mit heilkundigen Kräutern sehr Bescheid wußte, und deßhalb von den Leuten für eine Zauberin ausgeschrien und gemieden wurde, obgleich sie Niemanden etwas Böses that. Von diesem Glauben war auch ein guter Theil auf den Sohn übergegangen, über den die andern Weiber des Dorfs, als er noch ein Knabe war, schon neidisch und erbost waren. Denn wenn ihre eigenen Kinder elend und krank aussahen, so strotzte Konrad, so hieß der Sohn des Waldschützen, von Fülle und Gesundheit und war das schönste Kind, das man nur sehen konnte. Da seine Eltern glücklicher Weise so lange lebten, bis er seine Lehrzeit bei dem Webermeister in der Stadt durchgemacht und auf die Wanderschaft gehen konnte, so hatte er auch so lange keine Noth zu leiden und brauchte nicht für sich selbst zu sorgen. Doch kaum hatten die Eltern an seiner fleißig durchlebten Lehrzeit ihre Freude gehabt, kaum hatten sie aus der Fremde einige Mal einen Brief von ihm erhalten, worin er ihnen schrieb, wie auch dort die Meister mit ihm zufrieden seien, so starben Beide rasch nach einander und hinterließen ihm gar nichts; denn ihr Bischen Hausrath, was sie sonst noch hatten, wurde von den habsüchtigen Nachbarn für die Kosten des ärmlichen Begräbnisses an sich gerissen. Endlich kam Konrad, der sich unterdessen in mancher Herren Länder umgesehen hatte, zurück und wollte in der Heimath seinen Webstuhl aufschlagen; doch wie schon gesagt, von ihm wollte keiner etwas wissen, und wenn nicht die mächtige Liebe, die jeden an die Heimath fesselt, in ihm besonders stark gewesen wäre und ihn zurückhielt, den Ort zu verlassen, wo seine beiden Eltern begraben waren, so würde er schon am ersten Tage seiner Zurückkunft dem Dorfe den Rücken wieder zugekehrt haben und auf's Neue in die Welt hinausgegangen sein. Allein so lief er geduldig verschiedene Mal der Reihe nach bei den Leuten des Dorfs vorbei, um eine Wohnung für sich zu finden, und wurde von den bösen Menschen nicht selten mit rauhen Worten abgewiesen. Unter Anderm sagte ihm einer: er habe keinen Platz für ihn übrig, und wenn er denn durchaus in dem Dorfe bleiben wolle, so solle er droben zu den Zwergen gehen, die würden ihm vielleicht mit Vergnügen und für billigen Miethzins das Zwergennest überlassen. Ohne auf diese Spötteleien zu achten, erinnerte sich plötzlich der Weber der kleinen Hütte, in welcher er als Knabe so oft gespielt und die er bei seinem Eintritt in's Dorf mit ihrem grünen Dach und Wänden wie früher an dem Gefängnißthurm gesehen hatte, und ihm kam plötzlich der Gedanke, daß es vielleicht nicht so übel wäre, den aus bösem Herzen gegebenen Rath zu befolgen.

Eilig machte er sich daher auf den Weg, öffnete die morsche Thüre der Hütte, die ihm anfangs einigen Widerstand leistete, und sah zu seiner großen Freude, daß das Innere des kleinen Häuschens wohl sehr baufällig war, aber mit einiger Mühe und Arbeit sich recht gut wieder herstellen ließe. Sogleich begann er die Holztrümmer, das Laub und den Staub aus dem Innern zu entfernen, ging dann nach der Stadt, holte von dort einige seiner alten Freunde, die ihres Handwerks Zimmerleute, Glaser und Dachdecker waren, und brachte mit deren Hülfe das Zwergennest bald in eine solche Verfassung, daß es ein stattliches Aussehen bekam und er getrost in demselben seinen Webstuhl aufschlagen konnte.

Die bösen Leute im Dorf sahen diesen Anstalten und Zurichtungen mit nicht geringer Verwunderung zu, lachten aber dabei in ihr Fäustchen und freuten sich, daß der arme Konrad bald wieder ausziehen würde, wenn einmal die Zwerge von seinem Dasein Kunde erhalten hätten. Obgleich der Weber selbst sich oft der Erzählungen erinnerte, die im Munde des Volks von dem Zwergennest lebten, so war er doch durch seine vielen Wanderschaften, auf denen ihm nie etwas Unheimliches passirt war, ganz von dem Glauben an dergleichen Wesen zurückgekommen und dachte in der ersten Nacht, die er in seinem Häuschen zubrachte, an ganz andere Sachen, als an das Erscheinen der Zwerge, die kommen könnten, ihn in seinem kleinen Besitzthum zu stören.

Es war eine recht klare Vollmondnacht und seine Gedanken ließen ihn lange nicht schlafen. Er hörte im Dorfe die Kirchenuhr schlagen und endlich verkündigten ihm zwölf Schläge, daß Mitternacht herangekommen sei. Jetzt nahm er sich aber ernstlich vor, einzuschlafen, wandte sich auf seinem Lager herum und wollte die Augen schließen, als er im Zimmer ein leises Räuspern und Husten hörte. Er riß die Augen weit auf und wer beschreibt sein Erstaunen, als er neben sich ein kleines Männchen erblickte, das kaum eine Spanne lang war. Es war angethan mit einem zimmetfarbenen Röckchen, kurzen Höschen und schwarzen Strümpfen mit Schuhen, auf denen silberne Schnallen befestigt waren, die aber gegen die ganze Figur so groß erschienen, daß er kaum begreifen konnte, wie sie das kleine Wesen fortzuschleppen vermochte.

Anfänglich glaubte der Weber, er träume, und rieb sich ganz bestürzt die Augen. Er besann sich auf dies und jenes, fand aber, daß er vollkommen wach sei. Das kleine Männchen indessen spazierte im Zimmer hin und her, besah sich die neuen hölzernen Tische, sprang mit einem Satz an die Fenster hinan und klopfte mit einem kleinen Stöckchen, das es in der Hand trug, mit zufriedenem Lächeln an die neuen blanken Fensterscheiben. Auch die Reinlichkeit des Bodens und die frischen weißen Wände schienen ihm zu gefallen, denn es wiegte zufrieden sein kleines Haupt und gab durch allerhand murmelnde Töne sein Wohlgefallen zu erkennen. Der Weber, der dies Alles mit Verwunderung angesehen hatte, richtete sich jetzt von seinem Lager in die Höhe und wollte durch ein bemerkbares Räuspern und Husten dem kleinen Manne ebenfalls seine Gegenwart kund thun. Doch dieser ließ sich anfänglich gar nicht stören, sondern winkte ihm nur mit der Hand, als wollte er ihm sagen: »Gleich, gleich!« und setzte seine Untersuchung fort. Endlich aber schien er Alles genau besichtigt zu haben, schwang sich mit einem Satz auf den Tisch, der neben des Webers Bette stand, und setzte sich da auf einem großen Laib Schwarzbrod zurecht, von dem er von Zeit zu Zeit ein Bröckchen in den Mund steckte. Nachdem sowohl der Weber als das Wichtelmännchen sich eine Zeitlang stillschweigend angesehen, sagte das Männchen mit einer seinen, krähenden Stimme, indem es vom Sitze aus nochmals seinen Blick in dem Zimmer herumfahren ließ: »wir freuen uns sehr, mein lieber Freund, einen Miethsmann erhalten zu haben, der unsere Sachen so ordentlich in Stand gesetzt hat; wenn du auch sonst die Bedingungen, die wir als die Eigenthümer dieses Hauses von dir mit Recht fordern können, zu unserer Zufriedenheit erfüllst, so werden wir hoffentlich recht wohl mit einander fortleben können.« Der Weber, dem es nicht eingefallen war, hier in dem früher so verfallenen Zwergennest noch eine Miethe zu bezahlen, horchte hoch auf, war aber zu klug, um es mit diesen fürchterlichen Wesen zu verderben, und erkundigte sich bescheiden nach den Bedingungen seines neuen sonderbaren Miethsherrn. Der Zwerg erzählte ihm mit kurzen Worten die Geschichte des Schäfers, dessen unvernünftige Heerde sein ganzes Volk auf's Schwerste bedrängt und belästigt hatte, und setzte hinzu, daß bei des Schäfers Vertreibung aus diesem Hause das Zwergenvolk keine Bosheit gegen das Menschengeschlecht habe ausüben wollen, sondern es sei ihnen nur darum zu thun gewesen, Ruhe zu bekommen. Konrad, der durch die freundliche Anrede des Männleins und durch den gutmüthigen Ausdruck auf dem Gesichte desselben sich von seiner anfänglichen Bestürzung erholt hatte, sagte zu ihm, wie sehr er sich freue, unvermuthet eine so vornehme Bekanntschaft zu machen, und er hoffe, daß ihm die Miethsbedingungen so gestellt würden, daß er darauf eingehen könne; freilich Geld oder Geldeswerth, Silber oder Gold sei bei ihm nicht zu finden. Der Zwerg brach sich ein ziemliches Stück Brod ab und erwiderte ihm lächelnd: »die unnützen Artikel, die du uns nennst, sind es nicht, welche uns erfreuen oder nützen können. Mit Gold und Edelsteinen sind wir genugsam versehen und deßwegen in euern Augen ein reiches Volk. Doch fehlt uns Manches, was wir nur durch die Hülfe guter und fleißiger Menschen erwerben können. Wir haben dich seit deiner Kindheit nicht aus den Augen gelassen und mit Vergnügen gesehen, daß dein Herz sich von Trug und Arglist frei erhalten hat, und dies ist mit ein Grund, warum wir uns deiner Besitznahme unseres Eigenthums, des kleinen Hauses hier, nicht widersetzt haben. Wir Zwerge wissen auch die menschlichen Tugenden zu schätzen und halten uns lieber in der Nähe frommer und fleißiger Menschen auf, als bei solchen, denen diese Eigenschaften fehlen, zu denen, beiläufig gesagt, auch der Schäfer, der früher hier wohnte, gehörte. Bleibe deßhalb fleißig, wie du bis jetzt gewesen, arbeite still für dich und es soll dir an unserem Beifall und unserer Hülfe nicht fehlen. Jetzt aber höre auf unsere Miethsbedingungen, die darin bestehen, daß du uns jeden Monat einmal in einer Nacht, wenn der Mond voll am Himmel steht, deine Geräthschaften und selbst deinen Webstuhl zu unserem Gebrauche überlassest. Sei in solchen Stunden nicht vorwitzig, sondern begib dich in deine Kammer und wir wollen schon dafür sorgen, daß dich alsdann ein tiefer Schlaf überfällt, der dich verhindert, das Geräusch unserer Arbeit zu hören.«

Bei den letzten Worten wurde das Gesicht des Zwerges ernster und er schloß seine Rede, indem er sagte: »merke dir ja, daß du nicht vorwitzig sein sollst, unserer Arbeit zuzusehen, und merke dir auch dabei, daß nur, so lange dein Herz frei von den gewöhnlichen Lastern der Menschen ist, wir in solchen Stunden im Stande sind, dich in Schlaf zu versenken, daß es aber nicht in unserer Macht liegt, Gedanken an böse Thaten, die du vollbracht, zu beseitigen oder dich von Gewissensbissen zu befreien.«

Der Weber hatte dies Alles ruhig mit angehört und sich freuend, so wohlfeile Miethsbedingungen erhalten zu haben, schlug er vergnügt in die dargebotene Hand des Zweiges ein, mit dem Versprechen, das Seinige beitragen zu wollen, damit die Arbeit der Zwerge nie gestört würde.

Nach diesem abgeschlossenen Bündniß sprang das Männchen an dem Brode herunter, lächelte den jungen Mann noch einmal freundlich an und verschwand. Der Weber legte sich auf die andere Seite und schlief bis zum hellen Morgen.

Am andern Tag war sein erster Gang in die Stadt, um sich dort Arbeit zu suchen, und da war es auch schon, als ob ihn ein guter Geist begleitete; denn gleich bei dem ersten Kaufmann, wo er anfragte, wurde ihm eine gute Aufnahme zu Theil, und nachdem ihn der Werkmeister desselben gehörig geprüft und dadurch ersehen, daß der junge Mann wirklich in der Weberei gut erfahren sei, ließ er seinen Namen in das große Buch eintragen, wog ihm Seide und Baumwolle zu, die er mitnehmen durfte, um einen schönen Stoff daraus anzufertigen. Zu Hause angekommen, machte sich der Weber gleich mit allem Fleiß an das Geschäft und es war ihm noch nie die Arbeit so schnell von der Hand gegangen, so daß er sich selbst darüber wundern mußte. Alle die kleinen Unfälle, die sonst dem geschicktesten Meister begegnen, kamen bei ihm höchst selten vor: es rissen ihm selten die Fäden in der Kette, und die vielen Schnüre an seinem Webstuhl verwickelten sich nie in einander. Wenn er an seinem Spulrad saß, um die Seide auf die kleinen Röllchen zu wickeln, die dann in das Weberschiffchen gelegt werden, so mußte er sich oft darüber wundern, mit welcher Blitzesschnelle das Rad herum lief und daß sich der Faden nie verwirrte, sondern immer glatt auf der Spule lag, als sei er mit der größten Langsamkeit und Sorgfalt aufgewickelt. Andere Weber mußten zu diesem Zweck ein paar kleine Buben halten, allein er verrichtete dieses Geschäft des Abends im Zwielicht allein und hatte in kurzer Zeit für den ganzen folgenden Tag genug solcher Spulen vorräthig. Wenn der Mond Abends am Himmel wieder sichtbar wurde und die weiße Sichel so stand, daß man mit der linken Hand hinein greifen konnte, so war der Mond im Wachsen und es ging auf die Nacht zu, wo Konrad den Zwergen durch Ueberlassung seines Webstuhls den Miethzins zu entrichten hatte. In diesen Zeitpunkten wußte er es immer so einzurichten, daß seine Arbeit für den Kaufmann in der Stadt beendigt war, und er bemühte sich alsdann, den leeren Webstuhl in schönste Ordnung zu bringen, damit die kleinen Männer sich in keiner Weise über ihn zu beklagen hätten.

In der Nacht, da der Mond voll wurde, legte er sich in sein Fenster und sah hinaus in die Gegend, wo die blauen Nebel so langsam aufstiegen, hörte, wie die Heimchen im Grase sangen, und schaute dem Allem vergnügt so lange zu, bis der Himmel in der Gegend der Zwergenburg anfing heller und heller zu werden und der Mond langsam aufstieg. Dann begab er sich auf sein Lager und da ihn keine bösen Gedanken quälten, so entschlief er bald. Zuweilen glaubte er so bei dem Einschlafen ein sonderbares Summen und Getreibe zu hören, doch da er von Natur nicht vorwitzig war, bekümmerte er sich nicht darum und fiel bald in einen festen Schlaf. Als er nach einer solchen Nacht zum ersten Mal am andern Morgen aufstand und an seinen Webstuhl trat, sah er deutlich, daß die Zwerge in der Nacht gearbeitet hatten, denn hie und da zwischen den Schnüren und an dem Holz hing ein kleines Flöckchen Seide von wunderbarer Farbe und ein Goldfaden blitzte ihm von dem Boden entgegen. An dem Weberbaum, auf den die fertigen Stoffe aufgewickelt werden, bemerkte er einen schmalen Streifen Zeug, den die Zwerge beim Abschneiden hatten hängen lassen, von so wundervoller Zeichnung und Farbe, wie er früher nie etwas Aehnliches gesehen. Er nahm dasselbe herunter, untersuchte es genau, und als er das nächste Mal in die Stadt kam, bat er sich von dem Werkmeister des Kaufmanns Seide in ähnlicher Farbe aus und schickte sich dann zu Hause an, die Arbeit der Zwerge nachzumachen. Wenn ihm dies auch nicht vollkommen gelang, so brachte er doch einen so schönen Stoff zu Wege, wie der Werkmeister noch nie gesehen und der ihm mit theurem Gelde bezahlt wurde.

Durch die letzte Arbeit wurde man in der Fabrik des Kaufmanns auf den jungen Weber aufmerksamer und die Herren und Werkmeister, die ihn auch früher wohl als einen fleißigen Arbeiter angesehen, aber nicht weiter beachtet hatten, beschäftigten sich mit ihm aus dem Grund, um zu erfahren, ob die schöne Zeichnung des Stoffes auch wirklich von ihm sei und um ihn alsdann recht zu ihrem Nutzen zu gebrauchen, und der arme Weber, der, wie wir früher gehört haben, von seiner Kindheit an nie recht beachtet, noch weniger ausgezeichnet worden war, fühlte sich durch das Benehmen des Werkmeisters und der jungen Kaufleute außerordentlich geschmeichelt. Diese zogen ihn Abends mit in ihre Gesellschaften, und wenn er sich auch anfangs in diesen Kreisen, wo viel Bier und Wein getrunken wurde, und wo sich die Unterhaltung nicht gerade um die saubersten Gegenstände herumdrehte, nicht heimisch fühlte, wozu hauptsächlich noch kam, daß sein schlichtes Wamms neben diesen Jüngern des Merkurs, die geschniegelt und gebügelt, geschnürt und frisirt waren, etwas sehr abstach, so löste doch der Dampf des Weines und die kunstreiche Arbeit des geschickten Webers diese Standes- und Kleidungs-Unterschiede leicht auf.

Bisher hatte Konrad mit dem, was er durch seine Arbeit verdiente, sehr gut leben können, ohne daß er sich gerade hatte bei derselben zu sehr anstrengen müssen. Doch da bei diesen nächtlichen Schmausen und Trinkgelagen der Stadt sein Geld unbegreiflich schnell verschwand, so sah er sich bald gezwungen, zu den Stunden, die er bisher gearbeitet hatte, Morgens und Abends noch einige hinzuzufügen, um seinen Verdienst zu erhöhen und das nöthige Geld zu den Abendunterhaltungen herbeizuschaffen.

Zuweilen, wenn er so spät in der Nacht nach Hause kam, fiel es ihm wohl ein, daß er bei seinem jetzigen Leben nicht ganz auf dem rechten Wege sei, und wenn er alsdann durch die Ruinen der Zwergenburg zu seiner Wohnung hinabstieg, so kam es ihm hie und da vor, als sehe er seinen kleinen Miethsherrn drunten auf einem Stein sitzen und ziemlich betrübt den Kopf gegen ihn schütteln. Doch überredete er sich leicht, er habe nicht recht gesehen und wollte in seinem Herzen nicht begreifen, weßhalb der Zwerg nicht mit ihm zufrieden sein könne; denn so oft sich der Mond füllte, brachte er nach wie vor seinen Webstuhl in Ordnung und hatte es noch nie gewagt, eine solche Nacht außer dem Hause zuzubringen, was aber hauptsächlich wohl daher kam, weil er begierig war, gleich am andern Morgen das schmale Streifchen Zeug von dem Weberbaum zu nehmen, das ihm die Zweige regelmäßig übrig ließen und wornach er die kunstreichen Arbeiten machte, die den Werkmeister in der Stadt und die Herren so in Bewunderung setzten. Doch einstmals mochte er entweder mit seinem Kalender nicht in Ordnung sein, oder denken, die Elfen könnten auch ohne ihn fertig werden, genug, er schnitt am Abend vor einer Vollmondnacht seine fertige Arbeit von dem Webstuhl herunter und brachte sie nach der Stadt, wo dieselbe alsbald in Empfang genommen wurde und seine Bekannten ihn nicht eher losließen, bis der Mond hoch am Himmel stand.

Beim Nachhausegehen fiel es ihm doch ein Bischen ängstlich auf's Herz, daß er seinen Miethsmann vernachläßigt, indem er ihm den Webstuhl nicht gehörig in Ordnung gebracht und die Nacht außer dem Hause geblieben sei. Wenn ihm auch unter diesen Betrachtungen der Gedanke aufstieg: jetzt schnell nach Haus zu eilen, um die Zwerge bei ihrer vollen Arbeit zu sehen, so hatte er doch zu viel Angst vor den kleinen Wesen und zu viel Scheu vor seinem gegebenen Wort, sie nicht zu belauschen; war überhaupt noch nicht verderbt genug, seine Versprechungen so in den Wind zu schlagen. Da es auch gerade um diese Zeit Sommer war, so verbrachte er den Rest der lauwarmen Nacht unter einer alten Tanne, wo er sich in's Moos streckte und bald einschlief.

Als er am andern Morgen erwachte, eilte er mit schnellen Schritten und nicht geringem Herzklopfen seiner Wohnung zu, weil er fürchtete, die Zweige möchten sich für diese Vernachlässigung auf irgend eine Art an ihm gerächt haben. Doch war dies nicht der Fall; er öffnete die Thüre seines Häuschens und horchte zuerst hinein, ob er nichts Ungewöhnliches hörte; aber da war Alles in der alten Ordnung. Die hölzerne Uhr, die über seinem Bette hing, pickte ruhig hin und her, und sein Hänfling, den er in einem kleinen Bauer vor dem Fenster hängen hatte, sang dem anbrechenden Morgen lustig entgegen. Er eilte rasch zu seinem Webstuhle und fand auch hier nichts Außergewöhnliches. Wie immer sah er an den kleinen Fleckchen Seide und Goldfaden, die umher lagen, daß die Zwerge gearbeitet hatten, nur fand er diesmal die Zeichnung an dem kleinen Stückchen Zeug, das ihm dieselben wie immer zurückgelassen, von den früheren ganz verändert. Sonst hatten die Farben neben einander so freundlich, so lustig ausgesehen und standen in gutem Einklange und artig neben einander, so daß es einem beim Ansehen derselben zu Muthe war, als höre man eine schöne Melodie, allein heute hatte Zeichnung und Farbe des zurückgebliebenen Stoffes etwas Unbehagliches, ja Unheimliches. Es schwamm viel Dunkelroth und Schwarz durch einander und dazwischen kleine Silberfäden wie leuchtende Blitze, so daß es dem Weber beim Anblick des Stoffes einmal wieder recht auf's Herz fiel, daß er doch seine guten Miethsherrn schlecht behandle und überhaupt ein Leben führe, wie es sich nicht für ihn passe und vor welchem ihn der Zwerg so sehr gewarnt hatte.

Leider hatte ihn das böse Beispiel der jungen Leute in der Stadt schon so verderbt, daß er diese leise Stimme seines Gewissens nicht achtete, und sich gleich damit beschäftigte, den neuen Stoff nachzumachen, dessen sonderbare wilde Zeichnung in Kurzem seinem leichtfertigen Sinne besser behagte, als die frühere. Den Herren, sowie dem Werkmeister in der Stadt, der wohl noch mit ärgerem Leichtsinn begabt war, als der Weber, gefiel das neue Stück Arbeit ausnehmend gut. Letzterer war aber ein schlauer Fuchs, der es schon lange nicht begreifen konnte, daß so ein einfältiger Mensch, wie der Weber, all' diese schönen Muster, selbst erdacht und ausgeführt habe. Wenn es ihm auch nicht in den Sinn kam, daß es das stille Volk der Zwerge sei, deren Arbeit der Weber nachbildete, so glaubte er dagegen, daß Konrad von seinen Reisen eine Menge Muster und sonderbarer Stoffe mitgebracht habe, die er jetzt absichtlich erst nach und nach zum Vorschein brächte, um mehr Geld damit zu verdienen.

Schon oftmals hatte der Werkmeister beim Glase Wein das Gespräch auf die Muster gebracht, aber die natürliche Klugheit des Webers war ihm stets verständig ausgewichen und hatte nichts verrathen. Dennoch ließ der Werkmeister nicht ab, in ihn zu dringen und brachte es nach und nach durch seine Schlauheit so weit, daß ihm der Weber sein ganzes Geheimnis mittheilte, auch bei seinem nächsten Besuch etwas von der Arbeit der Zweige mitbrachte, über deren Schönheit die Sachverständigen die Hände vor Verwunderung über dem Kopf zusammenschlugen.

Das Einzige, was er klüglicher Weise verschwiegen hatte, war der Ort und die Zeit, wo die Zwerge ihre nächtliche Arbeit abhielten, indem er fürchtete, daß man sie da belauschen könnte und ihm alsdann seinen ganzen Verdienst für immer zerstören würde; denn durch die Lebensweise, die er seit einiger Zeit geführt, hatte auch sein Fleiß nachgelassen, sowie die Sorgfalt, mit der er früher seine Arbeiten anfertigte, und das Einzige, wodurch er Geld verdiente, war die Arbeit der Zwerge, deren selbst schlechte Nachahmung den Kaufleuten so lieb war, daß sie ihm viel dafür bezahlten. Der Werkmeister hatte die Quelle, woher der Weber seine Muster erhielt, einigen guten Freunden entdeckt, und diese hatten es Andern nicht verschwiegen, weßhalb Konrad bald in ein solches Gerede kam, daß seine bisherigen Freunde gezwungen waren oder gezwungen schienen, den Umgang mit ihm aufzuheben. Er aber hatte sich so an lustige Gesellschaft gewöhnt, daß er sich andere Cumpane aussuchte, mit denen er die Nächte verjubelte, und wenn das früher bei einem Glase Wein oder Bier geschehen war, so sank er in kurzer Zeit so tief herab, daß er jetzt fast nie ohne einen tüchtigen Branntweinrausch nach Hause zurückging.

Was ihm der Zwerg bei Abschließung des Miethcontractes mit ernster betrübter Miene gesagt hatte: daß sie nur so lange gute Freunde bleiben und er sich ihres Schutzes erfreuen würde, als sein Herz von den Lastern und Fehlern der Menschen frei bleibe, und daß die Arbeit des stillen Volkes in seinem Hause nur so lange zu seinem Nutzen sein werde, als ihn sein Gewissen ruhig schlafen lasse, ging nun allmälig in Erfüllung. Schon oft hatte er bei Vollmondnächten, wenn die Zwerge bei ihm arbeiteten, sich unruhig auf dem Lager hin und her gewälzt und war auch dann und wann erwacht, um ein verworrenes Summen und leises Tönen in seinem Zimmer nebenan zu vernehmen, das ihm seine fünf Sinne auf eine zauberhafte Art zusammen zu schütteln schien, so daß er in solchen Augenblicken nie zu einem klaren Bewußtsein gelangte, und unter heftigen Schmerzen und brennendem Fieber wieder in einen unruhigen Schlaf versank. Da sich seine Lebensart auch nicht besserte, sondern er mit jedem Tage ausschweifender und liederlicher wurde, so kamen diese Pausen im Schlaf noch häufiger vor und er wälzte sich oft Stunden lang unruhig auf seinem Lager herum, wenn nebenan die Zwerge in voller Arbeit waren. Bis hieher hatte er noch immer die Vorschrift seines Miethsmannes respectirt und weder seinen Augen noch Ohren erlaubt, sich genauer um das Getreibe des stillen Volkes zu bekümmern. Doch allmälig vergaß er ihre Ermahnungen und wenn er auch den Vorsatz, die Zwerge zu belauschen, anfangs wieder verwarf, so richtete er sich doch in einer dieser Nächte auf seinem Lager empor, um wenigstens mit den Ohren, so viel er konnte, von der Arbeit der Zwerge zu erlauschen. Da hörte er deutlich den Webstuhl arbeiten, das Schiffchen schoß mit außerordentlicher Geschwindigkeit hin und her und die Spulräder liefen, als würden sie' vom Wirbelwind herumgeweht. Schon hatte er die Klinke der Thür gefaßt, um seine Miethsleute zu überraschen, als der bessere Theil seines Herzens ihn noch einmal davon zurückhielt. Er riß sich mit Gewalt von der Thüre fort und warf sich wieder auf sein Lager.

Am andern Morgen eilte er zu seinem Webstuhl, suchte überall herum nach dem Stückchen Zeug, das die Zwerge ihm bisher gelassen hatten, und suchte vergebens, da war nichts mehr zu finden. Auch der Webstuhl, der sich immer in der besten Ordnung befand, war nicht mehr, wie früher. Die Schnüre und Latten waren durch einander geworfen, kurz Alles das zeigte dem Weber an, daß sich die Gesinnung seines Miethsherrn gegen ihn geändert und er sich nicht mehr dessen mächtigen Schutzes zu erfreuen habe. Auch in der Stadt bei dem Werkmeister fand er' zu seinem großen Schrecken, daß man nicht mehr so gegen ihn gesinnt sei, wie früher, denn als er diesmal mit leeren Händen kam und selbst nicht einmal das Muster eines neuen Stoffes mitbringen konnte, wie er durch die Hülfe der Zwerge sonst immer gethan, empfing man ihn mit kurzen rauhen Worten und sagte ihm, daß man mit seiner Lebensweise und seiner Arbeit gar nicht mehr zufrieden sei. Aus besonderer Gunst, wie der Werkmeister sagte, gab ihm dieser noch einmal eine Partie Seide zu einem letzten Versuch und bedeutete ihm, wenn er hieraus keine gute und sorgfältige Arbeit liefere, müsse man ihn aus der Fabrik entlassen.

Konrad ging nach Hause unter mannigfaltigen sonderbaren Gedanken, wobei ihm auch zuweilen mit einem sehr unbehaglichen Gefühl die Erinnerung früherer Tage ankam, in denen er doch ein ganz anderes Leben geführt. Doch war es diese Erinnerung nicht, die ihn heute gegen seine sonstige Gewohnheit nüchtern nach Haus trieb, vielmehr hatte er lange in seinen Taschen nachgesucht, ob er nicht noch einige Münze fände, um wenigstens im Wirthshaus einen kleinen Anfang machen zu können, aber vergeblich; seine Taschen waren ganz leer, und er wagte es auch nicht, noch einmal um einen Vorschuß zu bitten, wie er schon oft gethan. Zu Hause gab er sich daran, den Webstuhl in Ordnung zu bringen, was ihm recht sauer ankam und dann bemühte er sich, die erhaltene Seide auf's Beste aufzuspannen, um wieder einmal ein gutes Stück Arbeit zu liefern, was ihm dann auch so ziemlich gelang; allein es war nicht die Lust zu arbeiten, die ihn hiezu antrieb, sondern vielmehr die Begierde, Geld zu erhalten, um seine Ausschweifungen seiner fortsetzen zu können.

So verging der Monat und er hatte gerade vor der Nacht, in welcher die Zwerge wieder erscheinen sollten, seinen Stoff fertig gemacht und glaubte, daß ihm derselbe sehr gut gelungen sei. Als er ihn so betrachtete und dabei ausrechnete, wie wenig Geld er doch für die mühevolle Arbeit erhalten würde, kam ihm ein Gedanke, den er anfänglich zwar hastig unterdrückte, der aber bald darauf noch heftiger in ihm rege wurde. Er dachte nämlich zum ersten Male in seinem Leben, wie es wohl zu machen wäre, seinen Herrn zu betrügen, indem er von dem ihm anvertrauten Zeug ein paar Ellen herunterschnitte und sie zu seinem eigenen Nutzen verkaufte, um mehr Geld zu bekommen als der armselige Weberlohn betrüge. Anfänglich sträubte sich sein besseres Gefühl dagegen, allein es zeigte sich bei ihm sehr wahr, daß, wer einmal einen bösen Gedanken aufkommen läßt, von demselben leicht überwältigt wird. Kurz, nach einigem Bedenken nahm er seine Scheere und schnitt für sich ein ziemliches Stück von dem Stoff herunter.

Da es für heute zu spät war, nach der Stadt zu gehen, so wickelte er das übrige Zeug zusammen und warf sich, nicht ohne starkes Herzklopfen, auf sein Lager. Er versuchte zu schlafen, allein das wollte ihm heute gar nicht gelingen, denn er hörte seine Uhr Stunde um Stunde schlagen, ohne daß es ihm möglich gewesen wäre, die Augen zu schließen. Jetzt wurde es draußen hell und der Mond begann aufzusteigen. Zu gleicher Zeit rauschte es um das Zwergennest, als zögen unzählige Bienenschwärme in der Luft herum; es trippelte und summte und er vernahm das Alles so deutlich, wie noch nie. Schon war das stille Volk in seine Stube gezogen, denn er hörte, wie es an dem Webstuhl beschäftigt war, und wie die Spulräder liefen, auch vernahm er dabei einen seltsamen Gesang, der, obwohl sehr einförmig klingend, doch eine wundervolle Melodie hatte, die ihm mit Gewalt die Augen zu schließen schien. Doch wenn er diesem Drange folgen und sich zum Schlafe anschicken wollte, so kam ihm plötzlich der Diebstahl in den Sinn, den er heute Abend begangen und sein Herz klopfte ihm bei diesem Gedanken immer stärker und stärker.

So lag er eine Stunde ungefähr und wälzte sich schlaflos auf seinem Lager. Mitunter kam ihm der Gedanke, dem Verbote seines Miethsherrn zuwider aufzustehen und das Treiben der Zwerge zu beobachten. Doch lange kämpfte er gegen diesen Vorwitz an, richtete sich bald in die Höhe, legte sich dann wieder hin, verdeckte sich jetzt die Ohren, um nichts zu hören und lauschte alsdann wieder um so sorgfältiger. Kurz ihm war, als zogen ihn unsichtbare Gewalten auf seinem Lager hin und her, bald dahin, bald dorthin. Nun richtete er sich wieder in die Höhe, erhob sich und stand an der Thür, um die Zwerge in ihrer vollen Arbeit zu überraschen. Noch in diesem Augenblicke wollte er wieder zurücktreten, doch widerstand er der Versuchung nicht länger, ein Druck, die Thür flog auf und anstatt etwas zu sehen, stürzte der Weber, von einem furchtbaren Schlage getroffen, besinnungslos auf den Boden dahin. – –

Als er wieder erwachte, rieb er sich anfänglich die Augen, und wußte nicht, wie ihm geschehen. Er starrte um sich und sah, daß er zwar in seiner Hütte lag, deren Wände aber nicht mehr ganz und rein aussahen, wie früher, sondern hie und da Spalten zeigten, durch welche der Morgenwind hineindrang, der mit den Nesseln und dem Gesträuch spielte, das aus dem mit Schutt bedeckten Boden hervorwucherte. Konrad, auf dessen Kopf eine Betäubung lag, wie er sie früher nie empfunden, richtete sich mühsam auf und konnte sich kaum daran erinnern, was er gestern Abend gethan und im Sinn gehabt hatte. Neben ihm lagen die Stücke eines zerbrochenen Webstuhls und vor ihm der eingewickelte Stoff. Erst als er das Stück sah, welches er von demselben heruntergeschnitten hatte, fiel ihm der ganze Verlauf des gestrigen Tages und der gestrigen Nacht ein, und er erkannte zu seinem Schrecken, auf welche Weise er sich vergangen habe. Jetzt kam ihm zum ersten Male der Gedanke wieder recht lebhaft, wie schlecht er gehandelt und was für ein Mensch er geworden sei. Er faßte den festen Vorsatz, ein besseres Leben anzufangen, nahm das fertige Seidenzeug, nebst dem Stück, das er heruntergeschnitten in der Absicht, beides seinem Herrn einzuhändigen, wo er alsdann seinen Fehler eingestehen und auf's Feierlichste geloben wolle, sich ernstlich zu bessern. Von diesem guten Gedanken innerlich erbaut, verließ er das zerstörte Zwergennest, indem er sich fest vornahm, nicht mehr dahin zurückzukehren, da er den armen kleinen Männern ungerechter Weise die größte Schuld an dem Zustande beimaß, in dem er sich jetzt befand. Als er so heraus aus seiner Hütte in die frische Morgenluft trat, war es ihm, als sei ein finsterer Bann von ihm gewichen und er schämte sich ernstlich seines schlechten Lebenswandels, wie er ihn bisher geführt. Zum ersten Mal nach langer Zeit besuchte er das Grab seiner Eltern und nachdem er sich hier noch einmal Besserung gelobt, wandelte er getrost der Stadt zu.

Schon hatte er dieselbe fast erreicht, als er sich am Wege niedersetzte, sein Päckchen öffnete, um den darin befindlichen Seidenstoff noch einmal genau durchzusehen und schön zu ordnen. Doch wer beschreibt seinen Schrecken, als er das Papier aus einander that und das Päckchen mit schwarzem Staub und Schutt angefüllt sah. Verzweiflungsvoll schlug er sich vor die Stirn und wälzte sich im Grase herum. Mit allen Verwünschungen und Schimpfworten, die ihm gerade in den Sinn kamen, gedachte er der Zwerge, die er als die alleinige Ursache seines Unglücks ansah. Bald sprang er auf, bald warf er sich wieder nieder, dann erhob er sich und lief Stunden lang zwischen den Thälern und Felsen umher, besah hundertmal das Papier, das er in der Hand festklemmte, aber aus dem Staube wollte kein Seidenzeug werden. Darauf klagte er auf's Neue dem ganzen Weltall sein Elend und seine Noth. Dazwischen glaubte er zuweilen ein heiseres Lachen zu Vernehmen, was seinen Zorn noch vermehrte, doch wenn er sich dorthin wandte, von woher das Geräusch zu kommen schien, hörte er nichts mehr. So lief und tobte er umher, bis der Abend kam, und warf sich dann erschöpft am Fuße einiger Felsblöcke nieder. Laut weinend erklärte er sich hier als den unglücklichsten der Menschen, dem gerade in dem Augenblick, wo er sich ernstliche Besserung vorgenommen, alle Mittel hiezu abgeschnitten seien. Doch bald übermannte ihn ein verzweiflungsvoller Trotz, der zuweilen den Unglücklichen anwandelt, und er sprach laut zu sich selbst: »wohlan denn, Gott weiß, daß ich mich habe bessern wollen und ein anderes Leben anfangen, aber er hat den bußfertigen Sünder nicht annehmen wollen und mir Alles nehmen lassen, wodurch ich mir hätte wieder empor helfen können. Jetzt mag mit mir geschehen, was da will, und wer mich will, der hat mich!«

Kaum hatte er diese Worte ausgesprochen, so hörte er über seinem Haupte ein Geräusch und sah auf der Spitze eines Steines neben sich eine kleine, sonderbare Gestalt sitzen. Anfänglich glaubte er, es sei sein Miethsherr und wollte erschreckt aufspringen, um davon zu laufen. Doch ein genauerer Blick belehrte ihn, daß die Gestalt des vor ihm sitzenden Wesens eine ganz andere und verschieden von der der Zwerge sei. Sie war nur zwei Fuß hoch und hatte einen dicken, unförmlichen Kopf mit einem tückischen, bösartigen Gesichte, aus dem besonders die rothen Augen recht unheimlich hervorleuchteten. Die Kleidung bestand in einem schwarzen, ledernen Wamms und eben solchen Hosen; an den Füßen hatte sie große Reitstiefel, Von denen sie aber einen auf dem Schooße liegen hatte und ihn mit der Hand einzureiben und geschmeidig zu machen schien. Der kleine Mann räusperte sich und sagte zu dem Weber, der ängstlich aufhorchte: »ja, ja, mein Lieber, wenn Euch das Ernst ist, was Ihr eben versichertet, daß Ihr Euch jedem gern verdingen wollt, so findet Ihr keinen bessern Herrn als mich. Wollt Ihr bei mir in Dienste treten?«

Der Weber, dem es ziemlich unheimlich wurde und der jetzt erst einsah, daß er soeben lästerliche Worte gesprochen, wollte anfänglich davon laufen, doch fiel ihm schon beim ersten Schritt seine hülflose Lage und sein ganzes Unglück wieder ein, und er dachte bei sich, du kannst doch erst hören, was der kleine Geselle mit dir im Schilde hat. Deßhalb wandte er sich wieder um und fragte: »was wollt Ihr mir?«

Der Kleine wand und drehte seinen Stiefel eifrig in der Hand herum, grinste dazu und entgegnete: »lieber Freund, ich lese in Euern Gedanken, daß Ihr am Ende glaubt, ich sei der Böse gar selbst, doch thut Ihr mir damit zu viel Ehre an. Ich bin ein viel geringeres Wesen und gehöre den Geschöpfen an, die ihr Menschen mit dem Namen Kobolde belegt. Ich habe auch nicht im Mindesten Absicht auf Eure Seele, denn ich wüßte mit einem solchen Ding durchaus nichts anzufangen. Allein Ihr könntet mir diese Nacht einen Dienst erzeigen, wenn Ihr wollt, und außer dem Lohn, den ich dafür in klingendem Golde bezahle, räche ich Euch überdies an Euren Feinden, die zugleich auch die meinigen sind, an jenen kleinen, erbärmlichen Wesen nämlich, die Euch mit ihren sonderbaren Bedingungen um Alles gebracht haben.«

Als der Weber auf diese Art sah, daß seinem Seelenheil keine Gefahr drohe, so war ihm die Aussicht, den Zwergen, die mit ihm so unbarmherzig verfahren, ebenfalls einen rechten Treffer zu versetzen, sehr erwünscht, und er erklärte sich deßhalb bereit, dem Kobolde zu dienen. Dieser zog nun grinsend und lachend seinen Stiefel wieder an, nahm hierauf einen kleinen Becher aus seinem Wammse und ließ den Weber einen herzhaften Schluck thun, dann befahl er demselben, zu einem benachbarten Teiche zu gehen und dort zwei starke Halme Schwindelhaber zu holen. Konrad machte sich sogleich dahin auf den Weg, während der Kobold seinen andern Stiefel auszog und ihn ebenfalls zu reiben begann. Unten an dem Wasser suchte sich der Weber zwei kräftige Halme mit langen Büscheln aus und brachte dieselben dem Kobold, der sich sehr zufrieden damit bezeigte und seinen Stiefel alsdann wieder anzog.

»Höre mich nun,« sprach derselbe, »obgleich du nur mein Diener bist, und ich also eigentlich nicht nöthig habe, dir zu sagen, warum ich dieses oder jenes thue, so will ich dir doch mit kurzen Worten erzählen, was ich heute Nacht auszuführen gedenke.« Hier rieb sich der Kobold vergnügt die Hände und grinste bedeutend dazu. »Die Zwerge, denen du in den Vollmondnächten deine Wohnung einräumtest, sind mit dem sehr achtungsweithen und ehrenhaften Stamme der Kobolde in beständigem Hader und Zwist. Die Stoffe und Gewänder, die sie bei dir anfertigten, waren zu den Kleidern einer Hochzeit bestimmt, die heute Nacht unter ihnen stattfinden wird und die ich zu stören gedenke. Hättest du die kleinen Männer gestern Nacht in ihrer Arbeit nicht gestört, so wären sie mit ihren Webereien gänzlich fertig geworden, wodurch es mir unmöglich gewesen wäre, ihnen einen Schaden zuzufügen. So aber kann ich mich in ihr Gelage stehlen und die schöne Braut, der ich lange meine Liebe zugewandt habe, für mich entführen.«

Wenn dem Weber auch bei dieser Erzählung anfänglich der Gedanke kam, daß er doch sehr unrecht an seinem alten Miethsherrn handle, so fiel ihm dagegen sein ganzes Unglück wieder ein und er freute sich, Rache nehmen zu können. Der Kobold erhob sich jetzt und befahl dem Weber, die beiden Halme von der Erde aufzuheben, steckte einen davon zwischen seine Beine und gebot seinem Diener, ebenso zu thun. Dann schnalzte er mit der Zunge und schlug mit seinen Beinen, wie es der Reiter macht, wenn er ein faules Roß antreiben will; und wer vermag es, das Erstaunen Konrads zu beschreiben, als er fühlte, wie der Halm zwischen seinen Beinen, in die Breite und Länge wachsend, zu einem vollkommenen Pferde wurde, das, über Gräben und Hecken setzend, pfeilschnell mit ihm und dem Kobold davon flog. Doch o weh, bei dem Aufsitzen hatte er nicht genau Acht gegeben und die Haberkörner in die Hand genommen, wodurch er jetzt verkehrt auf dem Pferde saß und statt dem Zaum den Schwanz in der Hand hielt, an dem er sich zum großen Ergötzen des Kobolds krampfhaft festklammerte.

So ritten sie durch die Nacht dahin, durch dichte Wälder, über öde Haiden , dann wieder jähe Felsenabhänge herunter und durch schäumende Flüsse, und der Weber wunderte sich über nichts so sehr, als daß er von seinem Gaule nicht herabfiel. Freilich fühlte er keine Stöße und kein Rütteln, wie bei gewöhnlichen Pferden, denn das Zauberpferd, auf dem er ritt, strich nur so über dem Boden dahin, und wie es schien, ohne mit den Füßen aufzutreten. Endlich schienen sie den Ort ihrer Bestimmung erreicht zu haben, denn sie waren in einem Thal voll seltsam geformter Felsen angekommen, wo der Kobold plötzlich sein Pferd anhielt und sich hinabpurzeln ließ. Das Thier schrumpfte hierauf augenblicklich wieder ein und wurde ein Haberhalm, wie es früher gewesen.

Der Weber, ein wenig schwindlich geworden von all' dem Wunderbaren, das er bisher gesehen, fühlte sich auf einmal mit einem gewaltigen Ruck auf die Erde gesetzt und als er sich nach seinem Rosse umsah war es ebenfalls verschwunden und er sah nur einen geknickten Haberhalm zu seinen Füßen liegen. »Wir sind auf der Stelle,« sprach der Kobold, »und wenn du dich jetzt klug benimmst, so ist in kurzer Zeit die hübsche kleine Braut mein und dein Lohn soll nicht gering sein; nur folge genau meinen Worten, fasse meinen Gürtel und lass' ihn nicht los, bis wir mit dem schönen Elfenkinde wieder im Freien sind. Vor Allem aber merke dir und behalte es wohl im Gedächtniß, daß du kein Wort sprechen darfst, mag auch geschehen, was da will.« Der Weber versprach diese leichte Bedingung auf's Pünktlichste zu erfüllen und faßte den Gürtel des Kobolds, der nun auf einen der größten Felsen losging und behend durch eine schmale Spalte schlüpfte, die sich da vorfand. Hier hielt der Weber einen Augenblick ein, denn es wollte ihm doch nicht möglich erscheinen, daß er mit seinem ziemlich dicken Körper durch eine solch enge Ritze schlüpfen könne, doch da er sich schämte, den Kobold zu verlassen, und letzterer des Webers Anhalten bemerkte, so gab er sich einen kleinen Ruck und Beide waren in dem Felsen. Der Weber konnte sich nicht erwehren, an seinem Leibe herunterzufassen denn er glaubte, daß er bei diesem Durchschlüpfen wenigstens so dünn wie Kartenblatt geworden sei. Doch dem war nicht so. Er befand sich mit seinem Herrn in einer großen Steinhalle, die mit tausend Lichtern auf das Prächtigste verziert war. Eine Menge Zwerge von der Größe seines Miethsmannes und auch ganz von dessen Aussehen liefen geschäftig hin und her, und trugen in ihren Händen goldene und silberne Gefäße, denen ein so ausgezeichneter Duft entströmte, daß dem armen Weber, der seit dem frühen Morgen keinen Bissen gegessen, ganz wohl und wehe wurde. Anfänglich hatte er große Furcht, als ihn der Kobold so mitten zwischen die Reihen der Zwerge hindurchführte, denn wenn er auch wohl wußte, daß sie Beide für das Auge dieser Wesen unsichtbar seien, so fürchtete er dennoch, von ihnen bemerkt zu werden und schloß deßhalb seine Augen fest zu, wie es der Vogel Strauß macht, wenn er von seinen Feinden nicht gesehen sein will. Plötzlich aber drang eine wunderliebliche Musik in seine Ohren und durch seine fest zusammen geschlossenen Augenlider zuckte der feine Strahl eines glänzenden Lichtes, so daß er unwillkürlich genöthigt war, mit weit offenen Augen um sich zu schauen. Da sah er denn, daß er sich mitten im Hochzeitsaal der Zwerge befand, die in langer bunter Reihe an einer Tafel saßen und sich freuten und jubilirten. Oben auf einer Erhöhung saßen die Musikanten, allerlei seltsame, prächtige Geräthschaften in den Händen haltend, und machten eine Musik so wunderlieblich und durch das Herz gehend, wie der Weber nie etwas Aehnliches gehört. Trotz dem daß der Saal für die Größe der Zwerge sehr hoch war, so mußte er doch gebückt dastehen, und wenn er auch in einer Ecke des Gemachs stand, so reichte sein Kopf doch bis über die Tafel der Zwerge, an deren oberem Ende der Bräutigam und die Braut saßen. Doch wie ward ihm, als er in dem lustigen Hochzeiter seinen Miethsherrn erkannte und als er ferner sah, daß sowohl dieser wie die andern Zwerge in Stoffe gekleidet waren, die sie auf seinem Webstuhl gefertigt hatten. Der Bräutigam schien außerordentlich vergnügt und koste freundlich mit der Braut, die ein so allerliebstes, niedliches Geschöpfchen war, daß der Weber schon von Herzen bedauerte, seinem neuen Herrn das Versprechen gegeben zu haben, dieselbe für ihn zu rauben. Der Kobold war oben an die Decke des Saals geklettert und hatte sich da an des Webers Kopf in der Nähe eines Kronleuchters festgeklammert. Jetzt kletterte er dem Ohr Konrads noch etwas näher und sagte ihm grinsend vor Freude: »Du siehst, daß der Augenblick sehr günstig ist. Fasse mit deiner Hand langsam hinunter, nimm mit einem kecken Griff die kleine Braut fort und setze sie hier oben neben mich, daß sie den Augen der Andern eben so unsichtbar wird, wie wir, alsdann wollen wir im Tumulte, der hierdurch entsteht, unbemerkt entschleichen. Hörst du, strecke deine Hand hinunter und jetzt gleich.«

Plötzlich aber ward es dem armen Weber recht traurig um's Herz und es fiel ihm ein, daß es doch eigentlich unrecht wäre, wenn er so schlechte Rache an seinem Miethsherrn nähme, der ihm doch, im Grunde besehen, nicht eher etwas zu Leide gethan habe, als bis er ihn durch Nachläßigkeiten und Schlechtigkeiten auf's Bitterste gekränkt. Er wollte dem Kobold bescheidene Gegenvorstellungen machen, doch dieser, fest an seinem Ohr, ließ ihn nicht zu Worte kommen, summte wie eine Wespe und sagte ihm mit boshafter Stimme: »Höre, du darfst dich nicht mucksen, denn du bist mein Diener. Strecke augenblicklich die Hand aus und hole die Kleine herauf, sonst verlasse ich dich und wehe dir, wenn dich die Zwerge hier sehen.«

Zitternd ob dieser Drohung streckte Konrad die Hand hinab, allein sein besseres Gefühl siegte wieder, denn er brachte sie abermals leer herauf. »Was machst du?« summte ihm der Kobold in die Ohren. »Ach, Herr,« entgegnete ihm der Weber, »mich hat es plötzlich in meiner Nase gekitzelt und da habe ich gefürchtet, ich müßte laut niesen.« – »Hm, hm! höre du,« sagte der Kleine, »mach' mir keine Ausreden und geh' an dein Geschäft.« Abermals streckte der Weber die Hand hinab und wollte die arme kleine Braut ergreifen, doch da glaubte er, es zucke ihm so seltsam im Arm, daß er wieder leer mit der Hand herausfuhr. Jetzt biß ihn der Kobold ein wenig in's Ohr und brummte zornig, daß es klang, als fliege um seinen Kopf ein ganzer Schwarm Hornisse. »Du! was soll das? Warum bringst du die Braut nicht herauf?« – »Ach, verzeiht, Herr,« entgegnete ihm der Weber, »es ist mir von dem Dampf der Speisen da unten so heiß geworden, daß mir ein Schweißtropfen die Nase herabgelaufen ist, den ich erst abwischen muß; denn er könnte sonst auf den Tisch fallen und uns verrathen.« Dies war wenigstens keine Lüge, nur daß es nicht der Dampf der Speisen, sondern die innere Angst war, die ihm Schweißtropfen auf die Stirne trieb.

Zum dritten Mal streckte jetzt der Weber die Hand hinab und sein innerer Kampf, ob er den Raub begehen solle oder nicht, war so groß, daß sich seine Finger krampfhaft öffneten und schloßen. Schon würde er die Braut gefaßt haben, wenn ihr nicht der Bräutigam gerade in diesen, Augenblick einen Blumenstrauß geboten hätte, den sie lächelnd an Brust und Gesicht drückte. In der Todesangst, in der sich Konrad befand, suchte er alle Mittel und Ausflüchte, um seine grausame Handlung wenigstens für einige Augenblicke zu verschieben. Jetzt wollte er zugreifen, als die Braut bei dem Geruch der Blumen heftig anfing zu niesen und der Weber, das Gebot des Kobolds vergessend, in seiner innerlichen Angst laut die Worte hervorrief: »Gott segne Euch!«

Da krachte und blitzte es gewaltig in dem Felsen, die Zwerge und ihre Tafel wurden dunkler und dunkler und verschwanden endlich ganz, und der Kobold an seinem Ohr summte ihm in höchster Wuth zu: »So hältst du dein Versprechen, du schlechter menschlicher Lump!« und darauf trat er ihm mit einem seiner schweren Stiefel so heftig in's Genick, daß der arme Konrad besinnungslos auf's Gesicht fiel und eine Zeitlang so liegen blieb.

Als er wieder erwachte, fühlte er sich wie an allen Gliedern zerschlagen, und es dauerte lange, bis er sich der vorhergehenden Stunden erinnern konnte. 'Er rieb sich die Augen und wollte aufstehen, um langsam davon zu schleichen, als er zu seinem größten Erstaunen und Schrecken neben sich seinen Miethsherrn stehen sah, der also zu ihm sprach: »Fürchte dich nicht vor mir, denn ich bin nicht gekommen, dir ferner Uebles zuzufügen; das, was wir dir gethan, geschah mit vollem Recht, denn du wirst dich erinnern, wie du die festgesetzten Bedingungen unseres Miethsvertrags gebrochen hast, und was du überhaupt für ein schlechter und unordentlicher Mensch in der letzten Zeit geworden bist. Doch Alles sei vergessen und vergeben. Da du in der vergangenen Nacht mir und meiner geliebten Gemahlin einen unbezahlbaren Dienst erwiesen hast, so will ich dir wieder helfen, damit du ein ordentlicher, glücklicher Mensch werdest. Zwar Gold und Kostbarkeiten kann ich dir zu deinem eigenen Besten nicht geben, denn mir ist zu wohl bekannt, daß diese Sachen selten zum Glücke beitragen, sondern im Gegentheil, daß durch dieselben fast immer Unglück und Elend in mannigfacher Gestalt über euch Menschen kommt. Doch kehre zu deinem Hause zurück und fange wie früher an zu arbeiten. Wir bedürfen deiner nicht mehr und werden deßhalb nicht wieder kommen, deine Neugierde auf die Probe zu stellen. Ich hoffe, du wirst klug geworden sein und nicht wieder in dein altes Leben zurückfallen. Wenn ich dir auch keine sichtbaren Beweise meiner Dankbarkeit einhändige, so wirst du dich doch überzeugen, daß wir dir unsichtbar mit Rath und That beistehen.«

Hierauf verschwand der Zwerg, und als der Weber beim ersten Strahl des Tages, der über die Berge glänzte, um sich schaute, sah er, daß er sich nicht weit von der Zwergenburg befand. Rasch eilte er seinem Häuschen zu, und da er an die Zerstörung dachte, in der er es gestern verlassen, so wunderte er sich um so mehr, daß er heute davon nicht das Geringste bemerkte. Die Thür war verschlossen, auch hörte, er drinnen die Uhr picken und den Hänfling singen. Ebenso fand er seinen Webstuhl in bester Ordnung; den Stoff, von dem er gestern ein Stück abgeschnitten, unversehrt daneben liegend, und obendrein sah er, daß derselbe von so wundervoller schöner Arbeit war, wie er früher nie etwas gesehen. Er trug ihn in die Stadt. Allein ihm waren die Orte seiner früheren Ausschweifungen so verhaßt, daß er nach abgemachtem Geschäfte alsogleich davon lief, als brenne es hinter ihm.

Wenn er sich auch durch seine schönen Arbeiten bald wieder das ganze Wohlwollen der Kaufleute erwarb und sie ihm in kurzer Zeit freundlicher als je entgegenkamen, so vermied er doch von jetzt ab um so sorgfältiger ihre Gesellschaften, arbeitete still und unermüdet für sich zu Hause, wobei er aber deutlich sah, daß ihm die Zwerge unsichtbar halfen, und wurde bald ein wohlhabender Mann. Später baute er sich ein stattliches Haus, aber ohne das Zwergennest einzureißen, das noch nach langen, langen Jahren dastand und erst allmälig, wie der Glaube an die Zwerge und Elfen, unterging und verschwand.


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