Friedrich Wilhelm Hackländer
Humoristische Erzählungen
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Robert der Teufel.

Vor einigen Jahren erschien bei dem Kapellmeister des Hoftheaters ein junger Mann und theilte demselben seinen Wunsch mit, auf die Bühne zu gehen, indem er ihn bat, seine Stimme zu untersuchen, da er sich zum Sänger ausbilden wolle. Der junge Mann verband mit einem anständigen Aeußern eine sehr angenehme, offene Gesichtsbildung, über welche jedoch ein melancholischer Zug einen tiefen Schatten warf. Er setzte den teilnehmenden Fragen des biedern Meisters, ob er auch diesen Schritt, den er für's Leben thun wolle, gehörig überlegt und mit seinen Eltern und Verwandten berathen, mit Festigkeit entgegen: es treibe ihn nicht die Absicht zur Bühne, ein wildes, zügelloses Leben zu führen, sondern nur die reine Liebe zur Kunst, und er habe diesen seinen Entschluß sorgfältig überlegt. Was seine Eltern, Verwandte oder seine Heimath betraf, so schien er Erörterungen darüber auszuweichen. Der Kapellmeister untersuchte nun die Stimme und fand einen herrlichen Tenor von seltenem Umfange, worauf er gleich angenommen wurde, seinen Lehrer und seine regelmäßigen Singstunden in der fürstlichen Schule erhielt, welche er mit ausdauerndem Fleiße benutzte, und dadurch bald glänzende Fortschritte machte. Da ihn Niemand in der Stadt kannte, er sich auch bei zufälligem Zusammentreffen mit andern jungen Leuten eher zurückstoßend als annähernd bezeigte, so blieb er einsam und sich selbst überlassen, und gerade dieses abgesonderte Leben schien ihm sehr zu behagen. Er durchstrich, nachdem er seine Studien beendigt, die Umgegend, legte sich stunden- und halbe tagelang in den Schatten der schönen Waldungen, welche die Stadt umgaben, und war dann froh, ohne dies jedoch durch Gesang oder Ausrufungen zu bezeugen; vielmehr hat man ihn oft gesehen, wie er, unter einer alten Eiche liegend, sein Gesicht in das dichte Moos verbarg, und nachdem er so lange Zeit unbeweglich geblieben, zeigten die freudestrahlenden Blicke, mit welchen er sich später erhob, daß er sich auf diese Art sehr gut amüsirt habe. Man glaube jedoch nicht, dies scheue Wesen habe sich auch in den Stunden gezeigt, in welchen er die Gesangsschule besuchte, und da vor dem Lehrer und den übrigen Schülern seine Arien vortrug. Dann richtete sich seine ganze Gestalt auf, er schien ein überirdisches Wesen zu sein, und die Innigkeit, das Feuer, mit welchem er sang, besonders wenn es traurige Lieder waren, griff jedem der Zuhörer an's Herz. Dann durchglühte eine unendliche Freudigkeit sein ganzes Wesen, und beim Hinausgehen drückte er dem Lehrer und den andern Schülern herzlich die Hand. Aber ein einziges Mal fand in der Schule ein sonderbarer Auftritt statt. Einst, mitten im Gesange, bei einer wundervollen Stelle, als er begeistert sein Auge umher schweifen ließ, hatte einer der andern Sänger eine Spielkarte aus der Tasche gezogen – es war das Treff-Aß – und zeigte es lächelnd einem Nebensitzenden. Beim Anblick der Karte brach er plötzlich mit einem schneidenden Wehlaute ab, preßte seine Hände vor's Gesicht und stürzte aus der Schule. Warum? das hat er nie Jemand offenbart.

Den freien Eintritt, welchen er in's Parterre des Theaters hatte, benutzte er höchst selten; nur bisweilen, wenn große Opern gegeben wurden, oder irgend ein vorzüglicher Gast auftrat, und dann pflegte er sich jedesmal an's Ende einer gewissen Bank zu setzen, so entfernt als möglich von den übrigen Zuschauern, um ja in keine Berührung mit ihnen zu kommen. Eines Abends aber, da ein sehr beliebter Sänger auftrat, und das Haus gedrängt voll war, mußte er gern oder ungern den Zwischenraum, den er gewöhnlich durch Hinlegung seines Hutes zwischen sich und dem nächsten Nachbar bildete, einer jungen Dame überlassen, welche keinen Platz fand und ihm einen bittenden Blick zuwarf. Anfangs sprach er kein Wort mit dem Mädchen, welches, ohne gerade schön zu sein, ein sehr interessantes Gesicht hatte und wundervoll gewachsen war. Auch sie schien sehr schüchtern und eine Unterhaltung mit dem fremden jungen Manne eher zu vermeiden, als zu wünschen. Doch mag es sein, daß entweder die bezaubernde Musik, oder das zurückhaltende Benehmen der Dame den jungen Sänger anspornte, kurz er wagte es, ihr einige Bemerkungen über das eben Gehörte zu sagen, in welche sie bescheiden, aber mit vielem Verstande einging oder sie widerlegte. Endlich endete das Stück, und das Publikum ging auseinander. Obgleich den andern Tag ein Lustspiel gegeben wurde, trieb es unsern jungen Freund doch zum Theater und er befand sich schon lange vor Anfang des Stücks auf seinem Sitze. Auch überzog eine stille Freude seine Züge, als die unbekannte Dame von gestern sich wieder neben ihn setzte. Ihre Unterhaltung war heute Abend lebendiger, und am Ende des Stücks wagte er es sogar, so lange sein Weg ihn mit dem ihrigen zusammenführte, sie zu begleiten. Dann bog sie rechts in eine andere Straße, wünschte ihm gute Nacht, und er ging nachdenkend nach Hause.

Auf diese Weise verlebten Beide lange eine unendlich glückliche Zeit. Ihre Unterhaltung wurde mit jedem Tage inniger und zutraulicher. Es wurde jedem die Zeit lang, bis das Andere kam; denn sie liebten sich, ohne sich das gestanden zu haben. Sie näherten sich so leise und schüchtern, sie wandelten wie im Traume gegen einander dem ersten Kusse zu, wie im Traume so leise, und doch so sicher, die Brust angefüllt mit einer unendlichen Seligkeit. Erst ein Anfassen der Hand, dann ein leiser Druck, endlich an einem hellen klaren Abend, wo der Himmel einer großen Rosenlaube glich, wo der Mond voll über ihnen stand, eine aufgegangene weiße Rose, umgeben von vielen großen und kleinen Knospen, den Sternen, da sprach der junge Sänger: »Das Menschenleben hat neben unsäglichem Jammer auch himmlische Seligkeit,« und drückte dem Mädchen den ersten Kuß auf die Lippen, und Beide sprachen: »Ich bin Dir gut!« – Er wußte nicht, wer sie war, und mochte auch nicht darnach fragen; denn er fühlte sich glücklich, und wollte nicht mehr.

Da wartete er eines Abends im Theater vergebens auf sie; es wurde ein Ballet gegeben; er sah unverwandt nach der Thüre, sie kam nicht, und das konnte er sich durchaus nicht erklären. Die Sinfonie endigte, der Vorhang rauschte auf, und er schaute traurig und verstimmt dem Tanze zu. Die leichte, liebliche Musik gaukelte ihm unabläßig das Bild seines geliebten Mädchens vor, und immer lebendiger trat ihre Gestalt vor sein inneres Auge. Ein Pas de cinq war geendigt, und die Tänzer und Tänzerinnen hüpften in die Coulisse zurück. Die Musik ging in ein rascheres Tempo über, und siehe, wer trat da so sicher und graziös auf, im reizenden Costüm, den blühenden Kranz von Rosen leicht auf die blonden Locken gedrückt – es war seine geliebte Unbekannte. Er sah es jeder ihrer Bewegungen an, sie mache dieselben nur für ihn; nur nach ihm wandte sie ihr großes blaues Auge, und reichte ihm die Hand, nachdem sie sie zuvor an ihr Herz gedrückt hatte. – Er liebte sie unaussprechlich.

Mittlerweile hatte er seine Studien beendigt und ward als erster Tenor bei der Bühne engagirt. Doch auch jetzt, wo er seiner Stellung halber mit vielen Leuten verkehren mußte, behielt er seine frühere Abneigung gegen jede Gesellschaft. Oeffentliche Orte besuchte er nie und mit ängstlicher Sorgfalt vermied er Alles, was ihn in das Treiben anderer jungen Leute hineinziehen konnte.

Da erhielt er eines Tages ein Billet, in welchem ein Unbekannter sein Bedauern über seine gänzliche Abgeschiedenheit aussprach, wie es traurig sei, daß er seine ganze Zeit nur seiner Geliebten widme, da er doch wohl denken könne, daß diese es nicht eben so machen würde. Er glaube der einzige Begünstigte zu sein, doch würde sich Schreiber dieses ein Vergnügen daraus machen, ihm das Gegentheil zu beweisen, und das nur in der einzigen Absicht, um seine Gesellschaft für seine Verehrer zu gewinnen. Er möge sich nur heute Abend um die und die Zeit an eine bezeichnete Laterne stellen, und dann mit seinen eigenen Augen sehen.

Anfangs verlachte der Sänger das Billet; dann aber stieg ein kleiner Zweifel auf, den er zuerst niederkämpfte, doch gleich wieder heraufrief. Er fing an, einzelne Worte und Mienen strenge zu untersuchen und sich Thatsachen, die ihm sonst ganz unschuldig erschienen waren, verdächtig zu machen. Er führte sich an einen bodenlosen, entsetzlichen Abgrund, er sah die Untreue des Mädchens, für das er allein lebte, und schauderte zurück, denn er fühlte, das ihn der Sturz für sein Leben unglücklich machen mußte. Er wollte zu ihr hin, ihr das Schreiben zeigen, und so demselben Hohn sprechen; doch auf dem Wege zu ihrer Wohnung wandte er um – stand des Abends, in seinem Mantel gewickelt, aus der bezeichneten Stelle.

Er stand und sah, und stand lange; es schlugen die Glocken sehr oft, während er da stand, und wie er sich endlich an seine Stirn faßte, um sich zu ermuntern, war es tief in der Nacht. Er hatte das Mädchen seiner Liebe gesehen, wie sie vertraulich mit einem Manne daher kam, mit einem Manne, der ihr lange nachgestellt, und von dessen Liebe zu ihr sie oft dem Sänger muthwillig lächelnd erzählt und scherzhaft zu ihm gesagt: »Sieh, wenn du mich einmal treulos verlässest, so hab' ich gleich Ersatz.« – – Mit dem Manne hatte er sie gesehen und war darauf in wüste Träume versunken. Entsetzlich lange Stunden hatte er auf die Ecke gestarrt, um welche sie mit ihm verschwunden. Im Traum waren in ihm lang vergessene Erinnerungen aufgetaucht, unter Anderm hatte er einen alten eisgrauen Mann gesehen, der ihn höhnisch angrinzte und zu ihm sprach: »Warum hast du auch auf die eine Karte dein ganzes Glück, die ganze Ruhe deines Lebens gesetzt?« Darauf war der Alte mit einem gellenden Gelächter verschwunden. Er raffte sich auf und ging zum letzten Mal an ihrer Wohnung vorüber. Noch brannte Licht in ihrer Stube, in welcher er so glückliche Stunden verlebt hatte. Er blieb einen Augenblick stehen und starrte in den Schein, ohne zu wissen, was er hier noch wolle. Da öffnete sich leise die Hausthür und derselbe Mann, den er vorhin mit dem Mädchen gesehen hatte, schlich heraus.

Am andern Morgen empfing die Intendanz des Theaters ein Schreiben von unserem Sänger, in welchem derselbe anzeigte, sein Contract sei ohnehin in einigen Tagen zu Ende, und wichtige Familienverhältnisse zwängen ihn, augenblicklich nach seiner Heimath zu reisen. Für die wenigen Vorstellungen, welche er noch zu spielen habe, verzichte er auf seine Gage, die er seit einiger Zeit nicht erhoben. Auch hatte er noch in derselben Nacht der Tänzerin geschrieben, hatte ihr ihre Untreue ruhig vorgehalten und ihr dabei ohne Vorwurf gesagt: sie habe ihn sehr elend gemacht, habe die Ruhe seines Lebens zerstört, hatte sie gebeten, keine Versuche zu machen, sich ihm, weder schriftlich, noch persönlich zu nähern, da er keinem bloßen Gerücht geglaubt, sondern mit eigenen Augen gesehen habe. Er verschwand plötzlich, wie er gekommen war. Lange reiste er nun umher, nahm einen andern Namen an, und erlangte in einigen Jahren durch sein Talent einen ausgezeichneten Ruf. Doch sah man ihn nie lachen, und seine frühere Scheu gegen alle Bekanntschaften und gesellige Unterhaltungen hatte noch zugenommen. Briefe, die auf seinen Reisen ankamen, öffnete er gar nicht, sondern verbrannte sie gleich, ohne nur einmal zu sehen, woher sie waren.

So lebte er einige Jahre, wenn man sein Vegetiren leben nennen kann. Nie offenbarte er sich Jemand, nie hatte er mit einem Menschen über sein früheres Verhältniß, seine Heimath oder Verwandte gesprochen; er ward mit jedem Tage melancholischer und schien sein Leben nur wie eine schwere, nicht abzuwerfende Bürde zu tragen. Das Vermögen, welches er sich erworben hatte, setzte ihn in den Stand, ganz unabhängig zu leben, was er denn auch that, indem er unstät umher reiste, ohne sich an einem Orte lange aufzuhalten.

Da erhielt er eines Morgens zwei Briefe, welche ihm vermittelst dringender Empfehlung von Station zu Station nachgeschickt worden waren, der eine groß, mit dem Intendantursiegel des Hoftheaters, an dem er seine Studien angefangen, der andere klein, schwarz petschirt, und eben daher. Eine unsichtbare Hand schien ihn abzuhalten, sie wie alle früheren gleich zu vernichten. Er legte sie hin, und an einem Abende, wo er trauriger als gewöhnlich gestimmt war, wo die süße Luft seine Brust geöffnet hatte, gewann er es über sich, die beiden Briefe zu entsiegeln. In dem größeren bot ihm die Intendanz ein Engagement unter den glänzendsten Bedingungen an. Der andere war von der Schwester seiner früheren Geliebten, welche ihm schrieb: »Schon unzählige Male habe ich oder meine unglückliche Schwester Briefe an Sie abgesandt, ohne je eine Antwort von Ihnen zu erhalten. Rechnen Sie mit Gott ab, was Sie an uns verschuldet. – Meine arme Schwester ist nicht mehr; doch hat sie mir und den Meinigen auf dem Sterbebette mit den feierlichsten Eiden versichert, nie eine Untreue gegen Sie begangen zu haben, und ich mische meinen Schwur mit dem ihrigen, denn ich war zu überzeugt von ihrer innigen reinen Liebe zu Ihnen. Was Sie auch mögen gesehen haben: meine Schwester hat Ihnen mit keinem Gedanken die gelobte Treue gebrochen, wohl aber Sie. Leben Sie wohl, und wenn Sie es können, glücklich.«

Beim Durchlesen dieser einfachen Zeilen erfaßte den unglücklichen Mann ein entsetzlicher Zweifel. Die klaren Worte lösten eine dicke Eisrinde von seinem Herzen und ließen ihn früher verlebte glückliche Stunden mit der quälendsten Erinnerung wieder genießen. Das Bild seiner geliebten Tänzerin tauchte vor ihm auf, sie neigte sich lächelnd gegen ihn, mit dem Rosenkranz auf dem Haupte, wie er sie zuerst auf der Bühne gesehen. – Dann sank sie mit geschlossenen Augen langsam zurück ins Grab.

Noch in derselben Nacht nahm er Postpferde und reiste ohne Unterbrechung, bis er den Ort seines früheren Glückes, seines tiefen Schmerzes erreicht hatte. Ach, sie hatte ihm die Wahrheit geschrieben, die arme Schwester: sein Mädchen war ihm treu gewesen, und er war in das Netz des schändlichsten Betruges schlechter Menschen gefallen, deren Zweck und Motiv nicht mehr zu ergründen war.

Da stand er spät in der Nacht wieder an demselben Platze und vor derselben Laterne, wo er sie am Arm eines fremden Mannes wollte gesehen haben. Da versank er wieder wie damals in tiefes Nachsinnen und wieder erschien ihm der alte eisgraue Mann und lachte höhnisch wie damals und sprach: »das ist das Menschenleben, das Wandeln auf der Erde; auch ich wandle noch.« Der Sänger hob den Blick gen Himmel und sprach leise: »Aber warum muß ich leben und wandeln?«

Mit lautem Jubel begrüßten den Angekommenen die Mitglieder des Hoftheaters, vor Allen der Intendant; doch wie erschracken und erstaunten sie, als ihnen der Sänger ruhig und fest erklärte: er sei nicht hieher gekommen, um das angebotene Engagement anzunehmen, sondern fest entschlossen, nie mehr aufzutreten. Lange war alles Bitten der Behörde, so wie das seiner alten Collegen, wenigstens einige Vorstellungen zu geben, umsonst, und als er endlich dem allgemeinen Wunsch nachzugeben schien und darein willigte, in einer Parthie aufzutreten, hatten ihn diese gewiß nicht dazu vermocht, sondern er wollte sein Herz foltern, indem er noch einmal in einem Stücke spielte, in welchem er früher mit der Geliebten zugleich gewirkt hatte. Er wollte das Mädchen, unterstützt durch Musik und Decoration, vor sein Auge zaubern, er wollte die Tänzerin, die ihre Stelle eingenommen, durch seine innigen Gedanken in das Bild seiner verdorbenen Geliebten einhüllen, und dabei erstarrt von dem Bewußtsein, daß sie wirklich und durch seine Schuld im Grabe liege, eine fürchterliche Erinnerungsfeier halten. Dazu wählte er die Oper: Robert der Teufel. Diese war früher mit großer Pracht und Vollkommenheit, aber unbekannter Umstände halber seit dem Tode jener Tänzerin, welche die Rolle der Aebtissin hatte, nicht mehr gegeben worden. Es wurde nun Probe auf Probe gehalten, einerseits, um das Getriebe dieses großartigen Werkes mit der äußersten Genauigkeit und Sicherheit wieder in den Stand zu setzen, andererseits aber auch, weil es einmal so altherkömmlich war; selbst bei einem bekannten Stücke nur recht viele Proben! Alles ging übrigens recht gut, nur fand bei der Generalprobe ein sonderbarer Vorfall statt. Der erste und zweite Act gingen glücklich und ohne Anstoß vorüber. Es erschien der gespenstische Klosterhof; die Stelle kam, wo alle jene Lampen in dem dunklen Klostergange plötzlich aufflammten, die Nonnen erhoben sich schauerlich still mit den starren Leibern aus ihren Särgen; nur die Abtissin, welche vorne auf der Bühne unter dem Kreuzgewölbe aus ihrem Sarkophage steigen sollte, erschien nicht. Der Maschinist lief in der größten Verlegenheit umher, und es trat eine unangenehme Pause ein, in welcher der Sänger »Robert« auf die Bühne stürzte, ohne sein Stichwort abzuwarten. In seinen Zügen malte sich ein Schrecken, den der an sich unbedeutende Vorfall nicht werth war. Die Arbeiter aus dem Keller schrieen: der Deckel des Sarges wolle sich trotz ihrer erneuerten Anstrengung nicht lüften und müsse wahrscheinlich von der Feuchtigkeit gequollen sein. Der Maschinist wußte nicht, was er anfangen sollte, bis ihm der ruhige, verständige Regisseur den Befehl ertheilte, die Abtissin aus einer andern Versenkung aufsteigen zu lassen, den Sarkophag aber gleich nach der Probe genau zu untersuchen und zu verbessern. Darauf ward das Stück ohne weitere Störung zu Ende gespielt, nur gingen unsere Sänger und einige der älteren Mitglieder, welche um sein Verhältniß zu der verstorbenen Tänzerin wußten, von seltsamen Gedanken beengt, nach Hause.

Später meldete der Maschinist dem Regisseur, man habe den Sargdeckel nur mit Hülfe von Brecheisen öffnen können und dadurch sei die Maschinerie so zerstört, daß sie zur morgenden Vorstellung nicht mehr eingerichtet werden könne.

Der Abend der Aufführung erschien, und schon eine Stunde vor Anfang des Stücks war das ganze, große Haus gedrängt voll, woran sowohl der bedeutende Ruf des Sängers, als die gern gesehene Oper Schuld waren. Sie begann, und mit jeder Nummer wuchs die Begeisterung des Publikums, besonders für Robert, der in jedem Zwischenact gerufen wurde. Aber er hatte noch nie so hinreißend gesungen, wie heute. Diesmal ging der dritte Act ohne Störung vorbei, obgleich es Viele befremdete, daß die Abtissin nicht, wie sonst, ihrem Sarkophage entstieg, sondern hinter demselben hervorkam. Doch war das eine Kleinigkeit, und störte nicht im Genuß des Abends.

Gänzlich entzückt und befriedigt von der Vorstellung entströmte das Publikum nach Beendigung derselben dem Hause. Nicht so ging es dem Sänger. Ihn schien der Lorbeer, den er heute um seine Stirn gewunden hatte, nicht zu vergnügen. Ganz ermattet sank er in der Garderobe zusammen, sein Diener entkleidete ihn, und er ließ es willenlos geschehen. Es war die Erinnerung, welche sich zu kräftig, zu entsetzlich auf ihn geworfen. Das Bewußtsein, ein Herz besessen zu haben, das für ihn schlug und das er gebrochen, war ihm, verbunden mit der trostlosen Gewißheit, nun wieder ganz allein zu stehen in der Welt, am heutigen Abend erst recht fürchterlich klar geworden. Im Grabe lag die schöne weiße Hand, welche sonst hinter der Coulisse die seinige gedrückt hatte, und todt war der Mund, der ihm ehedem zuflüsterte: »Du hast eben so schön, so sehr schön gesungen!« Damals war bei den Worten Alles neu in ihm aufgelebt, und er hatte aus dem blühenden Auge der Geliebten frische Kräfte gesogen. – Wie war es heute so anders gewesen? Da traten ihm die Collegen mit Complimenten über seine unvergleichlichen Leistungen entgegen, wandten sich dann von ihm und eilten hinweg, denn jeder der Glücklichen wußte ganz gewiß ein Herz, das auf ihn liebend harrte.

Der Sänger schickte seinen Diener und den Wagen, welcher unten ihn erwartete, hinweg, und blieb allein in der allmählich leer werdenden Garderobe. Längst hatten die Arbeiter die Lampen bis auf einige wenige ausgelöscht, welche der Wachthabende die ganze Nacht brennend erhalten mußte, und schon hatte sich derselbe auf seine Matratze an der hintern Coulisse gestreckt; da erwachte er aus seinem dumpfen Hinbrüten, warf den Mantel um, und trat hinaus auf die halb dunkle Bühne. Der Vorhang war aufgezogen, und das Haus lag so leer und still vor ihm, vorher noch so lebendig und munter, ein Riesenleichnam, der sich verblutet. Er suchte die Bank, wo sie oft gesessen und ihn freundlich angeblickt, von wo sie aufmerksam vor Anfang des Stücks auf den Vorhang gesehen, durch dessen Oeffnung er, ihr allein verständlich, seinen Diamantring blitzen ließ. O es tauchten stets neue und immer lebhafter tausend schmerzliche Erinnerungen in ihm auf. Überwältigt von Gefühlen kniete er auf den Boden nieder neben den Deckel des Sarges, dem sie so oft liebreizend und fröhlich entstiegen war, an der Fallthüre, die sich jetzt nicht hatte öffnen wollen, die ihr treu geblieben war. O sie hatten Gefühl, diese Bretter! Das Mädchen war ja ernstlich ins Grab gestiegen, darum wollten sie sich auch zum Spiel nicht mehr öffnen. –

Da sprang der Sänger plötzlich entsetzt auf. Sah er recht, täuschte nicht das Halbdunkel der Bühne? – Nein, nein, langsam öffneten sich die Flügel der Versenkung. Still und geräuschlos, ohne daß er das Knarren der Seile, welche die Maschinerie leiteten, hörte, thaten sie sich weit von einander, und auf dem Sarg, welcher emporstieg, lag die verstorbene Tänzerin, seine Geliebte, mit dem sonst so blühenden, jetzt schneebleichen Gesichte, im weißen Gewande der Aebtissin, mit dem großen schwarzen Kreuze des Ordens auf der Brust. Er wollte auf sie zustürzen, sie emporreißen; doch fühlte er sich plötzlich am Arm gehalten, und neben ihm stand der alte eisgraue Mann, den er schon zweimal gesehen hatte. Der flüsterte ihm leise zu: »In der That ein schönes Gemälde das, aber ich bitte Sie einige Schritte zurückzutreten, es ist Decorationsmalerei, welche in der Entfernung gewinnt, und sich dann ganz anders gestaltet. – Sehen Sie z. B. von hier, wo Sie keine Gesichtszüge, keine Gestalt unterscheiden, müssen Sie mir zugestehen, daß die viereckige Fläche des Sarges mit dem schwarzen Kreuze frappant einem großen Treff-Aß ähnlich sieht.« – – –

Am andern Morgen machte die Intendanz des Theaters folgenden traurigen Vorfall bekannt. »Nachdem Herr * als Robert in der Oper gleichen Namens den kunstsinnigen Publikum einen so hohen Genuß gewährt hatte, blieb derselbe ermüdet allein in der Garderobe zurück; wie lange, weiß man nicht, da er seinen Diener nach Haus geschickt hatte, und der unglückliche Mann selber einige Stunden nach Beendigung des Stücks durch die Theaterwache auf der Bühne, wahrscheinlich in Folge eines Schlagflusses, todt gefunden wurde.«


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