Friedrich Wilhelm Hackländer
Humoristische Erzählungen
Friedrich Wilhelm Hackländer

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Von dem Stücke selbst kann ich nicht umhin zu sagen, daß es äußerst schlecht war, und wurde es, wie viele dergleichen Neuigkeiten, nur durch ein oder zwei beliebte Künstler gehalten, so wie durch einige Couplets, weil sie voll Bezüglichkeiten waren. Am nächsten Morgen, es mochte ungefähr sechs Uhr sein, kam der Kellner und sprach mir von einem ältlichen Herrn, der gestern Abend spät von Antwerpen gekommen sei und sich nach mir erkundigt habe. Ueberrascht fuhr ich aus dem Bett empor, und meine erste Frage war, ob der Herr allein gekommen sei. »Ja wohl,« entgegnete der Kellner, »sogar ohne Gepäck.« Ich warf mich verdrießlich wieder hin. »Und will er was von mir?« sagte ich ziemlich heftig. »Ja,« antwortete der Kellner, »da ich ihm sagte, Sie würden heute nach Paris abreisen, so bedauerte er es sehr und wünschte Sie diesen Morgen einen Augenblick zu sehen.«

Indem er so sprach, klopfte es schon an die Stubenthür, und auf mein: Herein, erschien der Kopf meines theuren Begleiters, des Wieners mit der schwarzseidenen Mütze, und nickte mir freundlich zu. »Ha, ha!« lachte er, »das war gestern ein fataler Streich. Meine Frau hat Recht gehabt, indem sie immer behauptete, wir seien auf einem verkehrten Wagen.« – »Und jetzt ist Ihre Frau Gemahlin . . .?« unterbrach ich ihn. – »Sie ist in Antwerpen geblieben,« entgegnete der Wiener, »hat gestern über Kopf- und alles mögliche andere Weh geklagt und sich bei ihrer Ankunft gleich zu Bette gelegt. Ich benutzte darauf gestern den letzten Zug, theils um nach Ihnen zu forschen, theils um bei meinem hiesigen Bankier Gelder zu erheben.« – »Und wollen Sie einige Tage in Antwerpen bleiben?« fragte ich. – »Das nicht,« entgegnete der Wiener; »denn meine Frau wünscht bald nach Brüssel zu kommen. – Ich hätte sie gestern Abend schon mitgebracht, doch erschien mir die Tour von Cöln nach Antwerpen stark und anstrengend genug. Sie freut sich recht darauf, Sie wieder zu sehen,« setzte er hinzu, »und wir können uns zwei bis drei Tage recht gut amüsiren.« – Ich lachte so recht aus Ingrimm laut auf, indem ich ihm meine Karte zeigte, die Karte für Numero 1 auf dem Banquet nach Paris.

»Ach,« meinte er, »das ist unangenehm. Und wie lange denken Sie auszubleiben?« »Vor sechs Tagen kann ich nicht zurück sein,« entgegnete ich, während ich ihn um Erlaubniß bat, aufstehen zu dürfen und mich anzuziehen. »Bitte recht sehr,« sprach der höfliche Wiener, »es thut mir wirklich leid, daß Sie abreisen, aber wenn es Ihnen recht ist, können wir wenigstens heute Morgen einmal zusammen frühstücken – en famille.

Ich zog mich an und packte meine Geschichten zusammen, bestimmte meinen Koffer zum Dableiben, indem ich nur einen Nachtsack mitnehmen wollte. Dann frühstückten wir beide zusammen, und man kann sich denken, gerade so freundlich und angenehm, so ganz en famille, wie es die junge Frau gestern vorausgesagt. Der Herr Gemahl war noch so freundlich, mich um ein Uhr an die Eisenbahn zu begleiten, wo ich ihm mit aller Beredsamkeit ein Versprechen abzunöthigen suchte, daß er bis zu meiner Rückkehr hier verweilen wolle. »Sie bleiben mit Ihrer Frau Gemahlin,« sagte ich, »in Antwerpen, wo Sie zwei Tage nöthig haben, um die Rubensgalerie anzusehen, gehen alsdann nach Gent und Brügge und verweilen darauf einige Zeit in Ostende, wo Sie notwendiger Weise ein paar Seebäder nehmen müssen.«

Obgleich er mir gerade kein festes Versprechen gab, so schien er doch auch nicht abgeneigt, und so trennten wir uns.

Die Bahn von Brüssel nach Valenciennes ist kürzlich wohl fertig geworden, bietet aber wenig Interessantes, da sie beständig durch das flache Land führt. Etwas Unangenehmeres, wie die hiesigen Hemmmaschinen für den ganzen Körper, besonders für die Ohren sind, weiß ich nicht. Vor jeder Station fangen die Conducteure an zu schrauben, um den Lauf der Wagen aufzuhalten, es drücken sich eiserne Stangen gegen die Schienen, was ein so erbärmliches Gekreisch und Gezitter verursacht; ich kann es nicht anders vergleichen, als mit dem Tone, wenn man mit einem eisernen Griffel über eine Glasscheibe fährt, nur zehntausendmal verstärkt. Obendrein wird auf dieser Tour fast jeden Augenblick angehalten, zuweilen bei einem einzelnen Hause, wo eine kleine Seitenbahn abgeht und schnurgerade auf eine Menge großer schwarzer Schornsteine führt, wahrscheinlich Eisenfabriken, die sich so mit der Hauptbahn in Verbindung setzen. Ich hatte mich in einen Wagen gesetzt, an dem sich eine Tafel befand, mit dem Worte »Tabagie,« wo man also rauchen konnte. Hier war die Gesellschaft nun freilich sehr gemischt, bestand aber meistens aus jungen lustigen Belgiern und Franzosen, die mit ihrem Lärmen und Schreien selbst die Locomotive übertönten. Da wurden allerhand Späße getrieben, die mitunter nicht gerade zu den zartesten gehörten, oder sie neckten einander, kurz, trieben alle mögliche Spielerei, und so viel kann ich mit Gewißheit sagen, daß fast keiner der jungen Männer anhaltend zwei Secunden lang ruhig sitzen geblieben wäre. Endlich gegen drei Uhr kamen wir nach Quievrain, wo vor dem Bahnhofe schon drei mächtige Eilwagen vollständig bespannt hielten. Kaum waren wir ausgestiegen, so ging das Geschrei der Conducteure los, die so schnell wie möglich ihre Passagiere zusammen bringen wollten, um davon zu fahren. Zwischen diesen Messagerieen, der »Messagerie royale,« der »Messagerie Lafitte et Gaillard« und »les Jamelles,« herrscht, besonders da sie zu gleicher Zeit abfahren, immer eine kleine Eifersucht, da jede zuerst in Paris ankommen möchte, weshalb sie alles Mögliche thun, ihre Abfahrt zu beschleunigen und einer vor der andern einen kleinen Vorsprung zu gewinnen. Wenn auch zu diesem Zweck jede Gesellschaft auf der Eisenbahn ihren eigenen Packwagen hat, den sie, angekommen, nur aufzuschließen braucht, um die Güter hinaus zu räumen, so ist doch die Zahl derselben meistens so groß, daß eine ziemliche Zeit darüber hingeht. Ich betrachtete mir indessen unsern Wagen und fand, wenn schon das Banquet auf dem Reservewagen, den man mir in Brüssel gezeigt, hoch genug angebracht war, daß doch die Copie, wie es meist in der Welt geschieht, nur weit hinter dem Original zurückblieb, denn der Sitz, den ich nun besteigen sollte, befand sich in einer wirklich fabelhaften Höhe. Mein erster Versuch, da hinauf zu kommen, mißlang vollständig. Es gehörte auch hierzu eine ganz genaue Kenntniß des Terrains. So lange die eisernen Staffeln an der Seite des Coupés bis auf dessen Dach führten, gelang es mir; doch um von da auf den Sitz des Kutschers zu kommen, mußte man dem Körper einen kräftigen Schwung geben, und um dies zu bewerkstelligen, hätte ich von unten herauf die erste Stufe statt mit dem rechten, mit dem linken Fuß antreten müssen. Ich mußte also wieder hinunter, und nach mehren Versuchen hatte ich im Auf- und Abklettern eine ziemliche Fertigkeit erworben. Da der Wagen auf den Zwischenstationen oft nur wenige Minuten anhält, so ist es nöthig, bei vorkommenden Gelegenheiten schnell ab- und aufsteigen zu können. Endlich war Alles fertig, doch hatte uns die »Messagerie royale« einen kleinen Vorsprung abgewonnen; denn als unser Postillon die Peitsche aufhob, um in die Pferde zu hauen, fuhr jene schon im vollen Galopp davon, kam uns also um vielleicht fünfzig Schritte voraus was aber hier einen bedeutenden Unterschied macht, indem der Wagen, welcher zuerst vor dem Städtchen Quievrain, wo die französisch-belgische Gränze ist, bei dem Mauthhause ankommt, auch zuerst visitirt wird, und sonach der andere wohl eine kleine Stunde warten muß. Diese Zeit wird indessen dazu angewandt, ein sehr theures und schlechtes Diner einzunehmen, in einer Restauration, die sich gerade dem Mauthhause gegenüber befindet. Dort fanden sich nach und nach alle Passagiere ein, und ich hatte Muße, unsere ganze Reisegesellschaft anzuschauen. Ich trat in das Zimmer und erstaunte nicht wenig als ich oben am Tische die beiden würdigen Gelehrten erblickte, die mit mir von Cöln nach Aachen gefahren waren. Da sich neben ihnen noch ein Platz offen befand, so setzte ich mich dorthin und begann ein Gespräch mit ihnen. Schon aus den ersten Worten bemerkte ich, daß ihr Groll gegen mich nachgelassen hatte, denn sie waren freundlicher als neulich, und der eine, indem er lustig mit den Augen blinzelte, fing an, mich über meine wiener Nachbarin etwas zu necken, und ich traute meinen Ohren kaum, als der andere der Herren darauf sagte: »Diesmal sind wir glücklicher als Sie, denn wir haben bei uns im Interieur eine junge Französin, hübsch« – »und« fiel der Andere ein, »sehr anständig.«

Bei diesen Worten sah ich mich neugierig im Saale um, doch war nichts da, was die Beschreibung hätte rechtfertigen können. Außer ein paar unvermeidlichen Soldaten befanden sich am Tische drei alte und sehr dicke Damen, die nebst ein paar Dienstmädchen und Kindern den Inhalt der Rotunde ausmachten. Das Coupé gehörte dreien Damen, die unten am Tische saßen, und die sämmtlich über die erste und zweite Periode der Jugend hinüber waren. Die schwarzen Herren, welche den Grund meiner Forschungen wohl erriethen, stießen sich lachend an und vertrauten mir, ihre Gesellschafterin, die sie gemeint, befinde sich noch draußen bei dem Wagen. »Dort aber kommt sie,« sagte der eine, und beide blickten schüchtern und verschämt auf ihre Teller. Ich blickte auf, und offenherzig gestanden, ich hätte den Herren keinen so guten Geschmack zugetraut. Es war eine leichte, allerliebste Figur, die in das Zimmer trat oder vielmehr herein hüpfte. Sie trug einen feinen Strohhut am Arm, und in der Hand hatte sie einen kleinen Frisirkamm, mit welchem sie eben beschäftigt war, ihr schönes braunes Haar zu ordnen. Ihr Anzug bestand aus einem schwarzseidenen Kleide, das sehr einfach gemacht war, und nur eine merkwürdige lange Taille zeigte. Es war eine jener gutgeformten niedlichen Gestalten, wie sie die französischen Künstler, namentlich im »Charivari,« mit wenig Strichen hinzuwerfen verstehen.

Nachdem sie mit der Herstellung ihres Kopfputzes fertig geworden, setzte sie sich uns gegenüber und musterte Jeden von uns der Reihe nach mit einem einzigen vielsagenden, aber sehr sichern Blicke. Der eine der Herren stieß mich an, und obgleich ich, als gelte es etwas Anderem, gleichgültig die Achseln zuckte, so ärgerte ich mich doch über das gute Glück dieser Herren. Die kleine Französin war, wie gesagt, angenehm, sah auch recht lustig aus, obgleich man ihr auf den ersten Anblick anmerkte, daß sie gerade nicht einer höheren Classe der Gesellschaft angehörte. Während des Diners, bei welchem sie gegen die Gewohnheit der Franzosen ziemlich der Weinflasche zusprach, schaute sie beständig durch das Fenster nach dem Mauthhause, stürzte bald an die Thüre, dem Conducteur zu rufen, bald an das Fenster, um zu sehen, ob ihre Effecten noch nicht an die Reihe kämen. Endlich rief unser Conducteur sie ab, sie nahm seinen Arm und floh mit ihm die Straße nach dem Wagen. Ich machte den beiden Herren meine Gratulation über ihre Eroberung, und um ihnen ihr Betragen von gestern zu vergelten, erlaubte ich mir einige derbe Spaße über die Fahrt, die vor uns lag.

Es dauerte ziemlich lange, bis die Effecten der Dame visitirt waren, und die zollbaren Sachen, brüsseler Spitzen, Foulards &c. wollten kein Ende nehmen. Endlich kam sie wieder und setzte ihr Diner fort. Doch, wie ich schon vorhin bemerkte, sprach sie in Gemeinschaft mit dem Conducteur, den sie zum Essen eingeladen und neben sich gesetzt, etwas zu stark der Weinflasche zu. Es schien mir, als mustere sie meine Persönlichkeit und schenke mir mehr Blicke, als ihrer Wagengesellschaft, den beiden Herren, und ich hatte mich, ich könnte wohl sagen, leider! nicht getäuscht. Nach dem Essen sagte mir der Conducteur, die Dame fürchte sich vor dem Fahren im Interieur und wolle zu uns auf's Banquet hinaufsteigen. Unglückliche Gelehrte! Wie wohlgemuth stiegen sie nach gehaltener Visitation in den Wagen und setzten sich zurecht! Ich war auf mein Banquet hinauf geklettert und Alles in Ordnung gebracht, mit Ausnahme der Französin, denn diese wurde von den Zollbeamten noch einmal freundschaftlich ins Local genöthigt, weil sie eine ungewöhnlich große Reisetasche bei sich trug, mit deren Inhalt sich die Beamten bekannt zu machen wünschten. Endlich war sie befreit, die beiden Herren blickten zum Wagen hinaus und wunderten sich nicht wenig, als eine Leiter gebracht und an das Banquet gesetzt wurde. Jetzt stieg die Dame zu uns herauf, der Postillon hieb auf die Pferde, und wir flogen im Galopp auf der Landstraße dahin.

Wer beim gewöhnlichen Fahren mit unsern Wagen und auf unsern Chausseen es nur im Geringsten unbehaglich findet, wenn sich das Fuhrwerk zuweilen etwas stark auf die Seite neigt, oder wenn er einen Rosselenker hat, der bei andern Fahrzeugen so nah vorbeijagt, daß man kein Blatt Postpapier zwischen die beiden Achsen legen könnte, oder wer sich schon auf die andere Seite drückt, wenn ein solider deutscher Postillon in einem kleinen Bogen um die Ecke fährt, ein solcher besteige nie das Banquet eines französischen Eilwagens, will er nicht während der zwanzigstündigen Fahrt eine eben so lange geistige und leibliche Tortur ausstehen. Die Messagerien sind mit fünf schweren, kräftigen, flamändischen Pferden bespannt, zwei an der Deichsel und drei vorn. Ehe die Fahrt losgeht, leben diese Thiere in beständigem Streit: bald schlägt dies, bald das, und die andern beißen nach allen Richtungen um sich herum, wobei sie jenes laute kreischende Geschrei ausstoßen, das den Pferden eigen ist. Der Postillon hat jetzt viel mehr sein Augenmerk auf sie zu richten, als während der Fahrt; denn bald prellen die Vorderpferde rechts und links, bald ziehen die Hinterpferde die Deichsel nach der verkehrten Richtung. Dabei ist die Straße, die vielleicht viermal so breit ist, wie unsere Chausseen, auf der Mitte der ganzen Länge von Brüssel nach Paris gepflastert; dieser Steindamm ist so schmal und obendrein erhöht, daß von zwei breiten Wagen, die sich begegnen, die äußern Räder von dem Damme herab auf die Chaussee gleiten, und da sie dort in die weiche Erde manchmal einschneiden, so neigt sich der schwer beladene Wagen so auf die Seite, daß man jeden Augenblick umzuschlagen glaubt. Wer weiß auch, was geschähe, wenn dieses Ausweichen nicht meistens im vollen Galopp vor sich ginge, und äußerst kurz gemacht würde, so daß die vordern Pferde schon wieder auf dem Steindamme sind, um den Wagen hinaus zu ziehen, indeß die hintern Räder noch in die Chaussee einschneiden. Dabei fahren die Postillons bald im scharfen Trab, bald im vollen Gallopp, wie es ihnen gerade einfällt, und wenn es einmal eine Zeit lang ziemlich ruhig gegangen ist, und man will den Versuch machen, ein wenig zu schlummern, so wird man durch ein entsetzliches Geschrei des Postillons aufgeschreckt, der in seine fünf Pferde wie toll hinein haut, bis das ganze Gespann in einem vollkommenen Durchgehen in voller Carriere dahin ras't. Unsere Dame auf dem Banquet, die uns offenherzig anvertraute, die Gesellschaft da unten im Wagen, aus lauter alten Herren und Damen bestehend, sei äußerst langweilig, war von einer auffallenden Lustigkeit, welche mir im Verein mit ihrem stark gerötheten Gesichte nicht recht gefallen wollte. Während der ersten Stunde unseres Fahrens sang sie in Einem fort Couplets aus den neuesten pariser Vaudevilles, oder sie machte dem alten gutmüthigen Conducteur eine Liebeserklärung über die andere, der mich alsdann lächelnd anstieß und mir mit einer Pantomime, als tränke er ein Glas aus, zulächelte. Ich saß aus Galanterie in der Mitte, und die Dame stieß mich ihrerseits ebenfalls an und machte eine Geberde, als habe sie den Conducteur nur zum Besten, und wer weiß, ob die Beiden hinter meinem Rücken nicht mich selbst auslachten. Ich kam mir in der That wie verrathen und verkauft vor und sah mich in einer sonderbaren Gesellschaft; denn hatte ich schon gestern geglaubt, daß meine gute, liebe Wienerin in ihrer Natürlichkeit etwas weit gegangen sei, so bat ich sie für diesen Verdacht jetzt tausendmal um Verzeihung. Im Anfang hatte ich mich, durch ihr äußerst freies Betragen aufgemuntert, mit der Französin in allerlei Redensarten eingelassen, die man gerade nicht überall anbringen darf; doch kam ich hier schön an, denn da sich auch der Conducteur nicht eben äußerst zart in die Unterhaltung mischte, so wurden Sachen und Gegenstände verhandelt, die einem deutschen Ohre aus dem Munde einer Dame doch etwas ungewohnt erscheinen. Ich mußte aber hier wieder der französischen Sprache den großen Vorzug einräumen, den sie für eine leichte Conversation vor unserer soliden deutschen voraus hat; denn wenn ich zuweilen versuchte, eine im Französischen etwas stark klingende Phrase der Dame zu übersetzen, so erschrack ich wirklich selbst vor dem Klange, den diese im Deutschen hatte. Nebenbei wurde diese leichtfertige Unterhaltung von der Französin mit einer gewissen Decenz, wenn ich mich so ausdrücken darf, jedenfalls aber mit großer Feinheit und Eleganz geführt.

So fuhren wir dahin und kamen nach Valenciennes, wo unsere Pässe visitirt und weggenommen wurden, wogegen wir einen französischen Paß erhielten, der zwei Francs kostete. Die sonst so freien und artigen Franzosen hätten eigentlich schon lange von dieser häßlichen Gewohnheit, sich den Eintritt in ihr Land mit zwei Francs bezahlen zu lassen, abkommen sollen. Ich würde nichts dagegen haben, wenn man sich hiedurch eine Erleichterung erkaufte, aber im Gegentheil, man ist genöthigt, diesen französischen Paß in Paris bei der Abreise gegen den heimatlichen umzutauschen, wodurch man wenigstens ein paar Stunden Zeit verliert, die man dort weit besser anwenden könnte. Ein Kaufmann, der mit im Wagen war, erzählte mir später, daß er die Wegnahme seines Passes dadurch verhindert, indem er vorgab, er reise nur bis Peronne. Selbst diese französischen Pässe erhält man nicht im Augenblick, sondern ein Kerl in einer halb zerrissenen Blouse rannte dem Wagen bis vor die Stadt nach und überreichte, auf dem Wagentritt stehend, jedem Passagier das Papier, was auch wieder einige Sous kostete. Bald wurde es Nacht, und ich muß gestehen, daß es auf dem Banquet oben gar nicht sehr angenehm war. Es regnete und ging ein kühler Wind, wobei die arme Französin, die nur einen leichten Shawl trug, erbärmlich fror. Sie nahm in Cambray unsern gut gemeinten Rath an, sich ins Interieur zu begeben, wo sie auch blieb bis zum Anbruch des Tages. Dann aber kletterte sie wieder zu uns herauf, um frische Luft zu genießen, wie sie sagte. Waren ihre Gesichtszüge gestern Abend etwas mehr als sanft geröthet gewesen, so sah sie dagegen todtenblaß aus und sehr durchwacht. Ich kann hier nicht umhin, die Artigkeit eines französischen Postillons zu erwähnen, der, als er auf den Wagen steigen wollte, und das traurige Aussehen seiner Landsmännin bemerkte, plötzlich ins Haus zurückeilte und eine frisch aufgegangene duftende Rose brachte, die er ihr mit der Bemerkung überreichte, der süße Geruch würde sie erquicken.

Bald erreichten wir Senlis, wo gefrühstückt wurde, und nach einigen Stunden sahen wir Paris vor uns ausgebreitet liegen. Ich suchte die Kirche Notre-Dame; doch sieht man sie von hier aus nicht. Dagegen ragt der Montmartre hinter der Stadt hervor, das ganze Terrain beherrschend. Bald glänzte uns die große Befestigungslinie entgegen, aus einzelnen Forts, Schanzen und Mauern bestehend, Alles aus weißgrauem Stein aufgebaut. Jetzt erreichten wir das Faubourg St. Martin, wo unser ganzer Wagen gewogen wurde, und dann waren wir in Paris. Ich kann unmöglich beschreiben, welchen Eindruck es auf mich machte, durch diese Straßen, bei diesen Häusern vorbei zu fahren, einen Boden unter mir zu haben, der, um mit den eitlen Franzosen zu sprechen, in so vieler Hinsicht der Mittelpunkt der Welt war und ist. Bei jedem Schritt, den wir vor uns kamen, nahm das Gewühl und Gedränge von Menschen, Equipagen und Karren zu; eben so die eigentümliche Dekoration der Häuser. Hatten sich diese am äußersten Ende der Vorstadt mit einem oder zwei Aushängeschildern begnügt, so nahm ihre Eitelkeit zu, je weiter wir kamen, und bald sahen wir fast kein Gebäude mehr, das nicht von unten bis oben mit ellenlangen Buchstaben bemalt war, mit Namen von Eigentümern verschiedener Geschäfte, mit Angaben, welcher Art Magazine sich dort befanden, daneben riesige Theaterzettel oder Anzeigen von Verkäufen. Kurz, jedes Haus erzählte den Vorübergehenden auf das Freundlichste, wen es beherberge und was hier alles für Lebensbedürfnisse und Luxusartikel zu haben seien.

Nun erreichten wir Porte St. Martin, ein schwarzes hochgewölbtes Thor, und eines der wenigen, welches die Revolution verschonte. Wir durchschnitten die Boulevards und kamen in die Stadt, wo das Gedränge und das Spektakel auf eine wahrhaft erschreckende Art zunahm. Ich weiß nicht, soll ich es Leichtsinn, Selbstvertrauen oder Geschicklichkeit nennen, daß der Postillon in vollem Trabe durch die überfüllten Straßen und um scharfe Ecken fuhr. Bei letzteren half der Condukteur den Wagen diregiren, indem er die Hemmmaschine fleißig und aufmerksam handhabte.

Eine lange Zeit fuhren wir durch die Straße St. Honoré, bis wir die Bureaus der Messagerie erreichten, in einem großen Hofe, mit Eilwagen aller Art vollgepfropft. Meine Begleiterin suchte alsbald ihre Kisten und Kasten zusammen, und

Schnell war ihre Spur verschwunden,
Sobald das Mädchen Abschied nahm.

Die beiden Herren sah ich mit ihren Nachtsäcken im Hofe umherirren; vielleicht suchten sie mich, doch war ich mit dem Condukteur und meinem Gepäcke beschäftigt; dann sah ich sie zu einem der Hofthore hinausgehen, ehe ich ihnen zurufen konnte. Sie waren fort und natürlich an kein Wiederfinden zu denken. Auch der Condukteur empfahl sich, und so stand ich denn allein, nahm meinen Nachtsack auf die Schulter und suchte ein Unterkommen im Hotel Lafitte neben der Messagerie, was ich auch fand.

Es hat mir einmal ein Freund erzählt, daß er vor langen Jahren mit einem Landsmann, ebenfalls einem Deutschen, durch die Porte St. Martin nach Paris hereinfuhr. Beide wollten hier ihr Glück versuchen; der Eine war ein Schriftschneider, der Andere ein sehr geschickter Ebenist. Es waren junge Leute und ihr Gepäck natürlich sehr unbedeutend, so daß Jeder es bequem in seine Tasche schieben konnte. Der Schriftschneider spricht mit dem Condukteur und erkundigt sich nach einem wohlfeilen Gasthause, während der Andere auf die Straße hinaus und zufällig in ein Caffeehaus tritt, um dort etwas zu sich zu nehmen. Beide denken, sie werden sich natürlich gleich wieder finden. Doch gerathen sie zufälliger Weise in entgegengesetzter Richtung aus einander. Es wird Abend, und sie finden sich nicht wieder, eben so den andern Tag, da Keiner des Andern Gasthaus weiß. Beide waren traurig darüber, da sie sich so viel Schönes von dem Zusammenleben in Paris versprochen. Doch gehen sie wohlgemuth an ihre Geschäfte, finden Arbeit, sind fleißig und kommen empor, während Jeder vom Andern glaubt, der arme Kerl wird gestorben sein oder nach Hause zurückgekehrt. Endlich nach zwanzig Jahren begegneten sich zufällig zwei wohlbeleibte, wohlhabende Bürger in einem Caffeehause, die sich plötzlich erkennen und sich erinnern, wie sie vor langer Zeit zusammen eingewandert sind.

Ich hatte diese Geschichte immer als etwas fabelhaft betrachtet, obgleich ich manche große Stadt gesehen; aber wie ich hier so allein in die Straße hinausging und dieses unsägliche Menschengewühl erblickte, wie Jeder unbekümmert an dem Andern vorbeieilt, Keiner den Andern grüßt, wie in kleinen Städten, da sich hier selten ein Paar kennt, zweifelte ich nicht mehr an deren Möglichkeit. Wenn man so Stunden lang durch die Straßen gelaufen ist, und nirgends einen Ruhepunkt findet, immer das gleiche unruhig wogende Leben, das hastige Hin- und Herrennen, und wenn man die Unzahl der Wagen erblickt, die unaufhaltsam nach allen Richtungen hinströmen und einen in kurzer Zeit in ganz andere, eben so unbekannte Stadtviertel bringen, wo man den Rückweg ohne Hülfe nicht mehr findet, so kann man wohl glauben, daß ein Vorfall wie der erwähnte wahr ist. Mir aber passirte dagegen etwas, das meinen eben geführten Beweis für die Möglichkeit jenes Falles beeinträchtigen könnte, wenn nicht Jeder einsehen würde, daß es der allerseltsamste Zufall war. Als ich nämlich von meinem Gasthof auf die Straße trat und auf dem klassischen Boden des Flanirens in dieser schweren Kunst einen schwachen Versuch zu machen begann, sah ich vor einem Hutladen eine Gestalt stehen, die ich augenblicklich für einen meiner Bekannten aus St. gehalten hätte, wenn ich nicht in Paris gewesen wäre. Es war ein junger Mann, der sich während der Ferien auf Reisen begeben hatte und der von uns den Namen Reisegespenst erhalten. Er spukte nämlich schon vielleicht acht Tage vor seinem Auszuge in seinem Reiseanzuge umher, und um sich von der Vortrefflichkeit desselben in allen Lagen zu überzeugen, bestieg er Kirchthürme und Berge, wo er schon hundertmal gewesen, setzte sich in ganz miserable Fiaker und quälte uns mit allen möglichen Projekten zur Reise, die er machen wolle, woraus er jeden Abend herzlichen Abschied von uns nahm, und am andern Morgen sahen wir ihn eben so wohlgemuth wieder durch die Straßen wandeln. Endlich an einem schönen Morgen war das Reisegespenst verschwunden, und hier sollte ich es wieder finden. Ja, er war es, ich erkannte die großkarrirten Beinkleider, die grauen Gamaschen, den erbsenfarbigen Rock und den grauen breitkrempigen Hut.

Unser Wiedersehen war wirklich rührend. Für mich war es in jeder Hinsicht interessant, das Reisegespenst gefunden zu haben, denn es wandelte schon acht Tage hier herum und konnte mir daher zu mancherlei eine kleine Anleitung geben.

Unterdessen war es spät geworden, und wir hatten nicht viel gesehen, da ich von dem Ungeheuren dieser Stadt mich so ins Flaniren vertieft hatte, daß es fünf Uhr, Essenszeit schlug, ehe wir noch daran dachten. Wir hatten flüchtig das Palais Royal durchirrt, die Tuilerieen, natürlich von außen gesehen, waren auf dem Platze de la Concorde gewesen, warfen einen Blick hinaus auf die Champs Elysees und den Arc-de-Triomphe de l'Etoile, und speisten alsdann für 30 Sous ganz gut zu Mittag. Nachher zog ich mit dem Reisegespenst wieder aus, und wir suchten diesmal die Boulevards auf, wo wir hinauf und hinab rannten, so weit wir kommen konnten. Wenn Paris schon etwas von einer Hauptstadt der Welt hat, und die Boulevards der erste Spaziergang von Paris sind, so sind sie auch der erste Spaziergang der Welt, und das kann man ihnen auch in ihrer Art zugestehen. Wenn freilich der Molo von Neapel bei Mondschein und Meerleuchten, mit dem Vesuv im Hintergrunde, der zuweilen dumpf donnernd eine feurige Lohe ausstößt, auch seine großartigen Schönheiten hat, so ziehe ich doch auf die Dauer die Boulevards von Paris vor. Man hat hier so Alles, was die Seele nur verlangen kann, und braucht nur zuzulangen. Man findet Alles hier bis auf die geringsten Kleinigkeiten schön und appetitlich zugerichtet. Es muß nothwendig im Himmel Boulevards geben oder – doch wir wollen uns in ein Caffeehaus setzen und Eis essen und lassen die Menge einen Augenblick bei uns vorbeispazieren. Man braucht hier in Paris nicht wie in einer andern Stadt zu fragen: was beginnen wir nun? sondern man fragt sich: wozu haben wir Zeit oder Lust? und so war es auch jetzt. Wir beratschlagten, in welches Theater wir gehen sollten. In welches Theater! wie einem bei der Idee, unter einem Dutzend Theater die Auswahl zu haben, so sonderbar wird, wenn man aus einer deutschen Residenz kommt, wo jede Woche einmal in einem einzigen gespielt wird. Wir entschieden uns für das Theater der Porte St. Martin. Dort wurde ein fünfaktiges Spektakelstück, »Don Cesar de Bassan«, gegeben, in welchem Frederic Lemaitre glänzte. Es war mir interessant, diesen berühmten Künstler zu sehen. Das heutige Stück entstand, indem Lemaitre, welchem der Charakter des Don Cesar im Ruy Blas sehr zusagte, sich von ein paar jungen Autoren ein Stück schreiben ließ, in welchem derselbe Don Cesar, wie schon der Titel des Stücks besagt, die Hauptrolle hat. Es war ein wahres Spektakelstück, die erste Scene ein öffentlicher Markt zu Madrid, Volksgetümmel, Tanz von Zigeunern, deren Königin oder Herzogin ein paar Arien singt. Sie ist die Primadonna und muß durch das ganze Stück in allen Fächern wirken. Sie tanzt, sie singt und schauspielt. Es kommt ein Page, der in irgend einem Cavallerie-Regimente dient und von seinem Capitän mißhandelt worden ist – jetzt erscheint Lemaitre, Don Cesar, der heruntergekommene, leichtsinnige, ausschweifende Mensch von guter Familie, Alles an ihm hierzu wunderbar übereinstimmend: der nachlässige Gang, das heisere Organ und das einzig zusammengestellte Costume, ein Costume, das, aus Sammt und Damast bestehend, vor der Zeit prachtvoll gewesen war, und der es trägt, weiß sich noch in den übrig gebliebenen Lumpen mit Anstand zu bewegen; Collet und Beinkleider fahl und abgerissen, der eine Strumpf hängt nachlässig herunter, und dessen Schleife ist vor dem Knie gebunden, während die andere an ihrem Platze sitzt. Der graue Hut trägt Spuren von zahlreichen Hieben, und er so wie die abgenutzte Feder geben deutliches Zeugniß, daß der Kopf, den sie schmücken, nicht immer unter gutem Obdach und auf seidenen Polstern ruht. Das einzige Wohlerhaltene an seinem ganzen Anzuge ist seine Waffe, der überaus lange Stoßdegen, auf dem der sehr zerfetzte roth und weiße Mantel ruht. Nachdem er den Pagen natürlicherweise beschützt, ersticht er den Capitän und wird dafür, da man sich gerade in der heiligen Woche befindet, zum Tode verurtheilt. Wahrhaft groß ist Lemaitre im zweiten Akt, wo er im Gefängniß nachlässig auf einem Lehnstuhl ausgestreckt liegt, neben sich die Wanduhr, die ihm anzeigt, daß er nur noch zwei Stunden zu leben hat. Es versteht sich aber von selbst, daß er von dem Pagen gerettet wird. Das Stück an sich ist ziemlich schwach und würde ohne Lemaitre gar nichts machen. Es ist Schade, daß das heisere Organ, welches im ersten Akte nach einer durchschwelgten Nacht so ganz an seinem Platze ist, nicht angenommen, sondern sein natürliches ist. Man muß genau Achtung geben, um ihn zu verstehen. Der große Künstler soll auch im Leben etwas sehr Don Cesar de Bassan sein; anständig und nobel, aber sehr ausschweifend.

Am andern Morgen nahm ich mir einen Fiaker und kutschirte in Paris herum, um zu sehen, so viel es mir möglich. Berauscht, wie ich war von all' dem Großen, kann ich mir selbst von dem Gesehenen kein klares Bild machen, viel weniger einem Andern. Was soll ich mehr sagen, als daß ich im Pantheon, im Dom der Invaliden und in St. Denis war, daß ich vom Louvre so viel wie möglich sah, daß ich aus den Thurm der Kirche Notre Dame stieg, im Pflanzengarten die Affen und Bären sah, im Palais Royal umherlief, den berühmten und berüchtigten Greve- und Carousselplatz besuchte und alsdann spät am Abend verwirrt und betäubt zu Bette ging! Gott soll mich bewahren, daß ich es wage, etwas über diese allgewaltige Stadt zu schreiben, selbst wenn ich auch statt zwei Tage vierzehn Tage da gewesen wäre. Auch bin ich überzeugt, daß man mir dies gern erlassen wird. Da ich aber die Fahrt auf der Messagerie aufs Gründlichste kennen gelernt habe, so will ich noch eine schwache Schilderung der Rückfahrt von Paris nach Brüssel versuchen, die mit der Herfahrt Aehnlichkeit hatte, aber doch ganz verschieden war, – Aehnlichkeit, da es dasselbe unaufhörlich lange Pflaster war, dieselbe reizlose Gegend, und die gleichen Stationen; verschieden aber durch unsere Reisegesellschaft, die äußerst zahlreich, ja, zu zahlreich war. Wie die untern Regionen des Wagens besetzt waren, darum kümmerte ich mich wenig; bis zu uns drang kein Aechzen der Rotundebewohner.

Auf den Bergen ist Freiheit, der Hauch der Grüfte &c.

sagte der unsterbliche Schiller irgendwo. Aber wenn wir auch Freiheit und frische Luft dort oben genug hatten, so war letztere so stark mit Regen vermischt, daß wir die schlechten flatternden Ledervorhänge vergeblich anstrengten, um uns dagegen zu schützen. Mit dem Condukteur, der sich durch das Regenwetter getrieben, zu uns hereinsetzte, waren wir zu Vier auf dem Banquet, lauter hübsche, gut gewachsene, aber sehr beleibte junge Leute. Ich saß zwischen zwei Franzosen eingekeilt, die mich sonderbar ansahen, als ich meine Cigarrendose herausholte, und mich darauf ganz naiv mit einem Blick auf den Condukteur fragten; »Aber Sie wollen rauchen, mein Herr?« – »Ja so, es ist in den französischen Eilwagen verboten, zu rauchen, selbst auf dem Banquet, wenn keine Damen da sind.« – »Allerdings, mein Herr!« – »Sehr gut!«

Und schon wollte ich meine Cigarre in größter Ruhe wieder einschieben, als mir die beiden höflichen Franzosen, wahrscheinlich durch meine Folgsamkeit gerührt, versicherten, so eine kleine Cigarre würde ihnen nichts schaden, ich möchte sie nur rauchen. Unsere Lage dort oben war in Wahrheit schrecklich. Keiner konnte sich neben dem Andern rühren. Der Regen goß in Strömen und drang zu uns herein, und hinter unserm Sitze war das Leder nicht befestigt, so daß Niemand den Kopf anlehnen konnte. Und dabei hatten wir vier und zwanzig Stunden vor uns, die beim furchtbaren Schütteln des Wagens auf dem entsetzlichen Pflaster also zugebracht werden mußten.

So kamen wir zur Vorstadt St. Martin heraus, passirten die Barrière und fuhren in scharfem Trabe davon, als wir plötzlich vor uns auf der Straße einen Mann gewahr wurden, der sich in sonderbarer Lage befand. Er streckte die Arme nach uns aus, in der Art, wie es Beter an der Straße vor Heiligenbildern zu thun pflegen. Gäbe es heut zu Tage schon Luftdampfschiffe, so hätte man ihn für einen Passagier halten können, der mit seinen sämmtlichen Effekten einem solchen entfallen wäre. In seiner Nähe war weder Wagen noch Haus, noch sonst etwas zu sehen, und doch befand er sich hier mitten im Regen, umgeben von zwei Koffern, einem Nachtsack und ein paar Hutschachteln. Es dauerte indessen nicht lange, so wurden wir durch den Condukteur belehrt, daß der Mann dort ein sogenannter blinder Passagier sei, einer seiner besten Freunde, der um Alles in der Welt morgen nach Brüssel müßte.

»Es ist ein Franzose, meine Herren,« haranguirte uns der Condukteur, »ein Landsmann, der sich in Verlegenheit befindet, wir müssen ihm helfen.« – »Ja, ein Landsmann,« wiederholten seufzend meine beiden Reisegefährten, »aber wohin mit ihm?« Der Wagen hielt, und der Condukteur ließ sich die beiden Koffer, Hutschachteln und Nachtsack heraufreichen und überließ dem Neuangekommenen seinen Platz auf dem Banquet, wogegen er sich trotz des dichten Regens hinaus zum Postillon setzte. Der blinde Passagier, ein wohlgenährter Epicier der Rue St. Honoré, kletterte mit Mühe zu uns herauf, denn neben einem nassen Mantel, den er auf den Schultern trug, hinderten ihn ein paar große Melonen, die er unter dem Arme hielt, an freier Bewegung. Glücklicher Weise kam er nicht neben mir zu sitzen. Sein Mantel troff von Nässe, ein Umstand, der nur seinem Nachbar zu Gute kam. Dagegen aber verbreitete sich der unangenehme Geruch der überreifen Melonen schnell durch den ganzen Wagen. So fuhren wir dahin, eingekeilter als je, und wir alle vier lieferten einen schlagenden Beweis, was der Mensch nicht alles auszuhalten vermag. Es dunkelte schon, als wir in Peronne einfuhren, wo dinirt wurde. Der Regen war hier so stark geworden, daß unsere Mäntel während des Herabsteigens vom Wagen fast durchnäß wurden. Das Essen war leidlich und der Wein gut. Bei Tische sahen wir, wie ungeheuer alle Räume des Wagens angefüllt waren, man hörte nichts wie Klagen über das Wetter, über das Pflaster und über die langweilige Fahrt. Bald mahnte der Condukteur zum Aufbruch, und wir zwängten uns wieder auf unsere Marterbank zusammen.

Da das Wetter immer abscheulicher wurde, so hatte der Condukteur für den blinden Passagier eine andere Unterkunft gefunden, die aber für den Unglücklichen nichts weniger als angenehm war. Er mußte hinter das Banquet zu dem Gepäck kriechen, wo durch Verschiebung einiger Koffer und Frachtstücke ein Raum hergerichtet war, daß ein Mensch zusammengekauert sitzen konnte. Obgleich wir sehr darum gebeten hatten, man möchte das Leder hinter unserm Rücken schließen, so bedauerte der Condukteur, daß er es nicht thun könne, indem alle Schnallen gerissen seien. Nebenbei fuhr das Passagiergut auf dem Verdeck des Wagens hinter uns hin und her, und stieß uns nicht selten empfindlich an die Köpfe. Die beiden Melonen waren unter dem Sitze angebracht worden, und so fuhren wir in finsterer Nacht dahin. Von Schlafen war natürlich keine Rede; denn nachdem anfänglich der blinde Passagier lachend seine schreckliche Lage vorgestellt, behauptete er sehr ernsthaft, das sei gar nicht zum Aushalten, und er würde morgen früh an allen Gliedern zerschlagen oder erstickt sein.

»Condukteur,« schrie er, »es herrscht unter den Koffern und Hutschachteln eine wahre Revolution; ich bin Aristokrat, aber die Volkspartei ist mächtiger, ich werde hinausvotirt. Condukteur, denken Sie um Gotteswillen, wenn der Wagen umschlägt. O, ich werde alsdann zermalmt auf dem Boden ankommen.« – So ging es ohne Unterbrechung fort. Bald zwängte er seinen Kopf durch das Leder hinter uns und bat, wir möchten doch auf seine Melonen wohl Acht haben, daß ihnen kein Leides geschehe. Meine Nachbarn gaben ihm hier und da lachend Antworten, und nur der Condukteur, der gern schlafen wollte, brummte ihm verdrießlich zu, er möchte doch um Gottes willen Ruhe halten. Aber es war keine Rede davon. Schwieg er eine Viertelstunde lang, so begann sein Geschrei nur desto ärger und heftiger. »Condukteur!« schrie er, »ich ersticke, ich bin ganz todt! O, ich unglücklicher Mensch! Meine Herren, ich nehme Sie zum Zeugen, daß mir der Condukteur meuchelmörderisch nach dem Leben trachtet!«

So kamen wir nach Cambray, und meine Uhr zeigte mir, daß es glücklicher Weise schon Mitternacht sei. Als wir diese Festung hinter uns hatten, wurde der blinde Passagier etwas ruhiger, und wir fingen an, uns auf ein Bischen Schlaf zu freuen. Ich lehnte meinen Kopf gegen einen schweren Koffer, der sich mir freundschaftlich von hinten genähert, und befand mich so eine Zeit lang zwischen Schlafen und Wachen, als der unausstehliche Mensch wieder anfing: »Condukteur, he, Condukteur!« – »Zum Teufel, lassen Sie mich zufrieden!« – »Condukteur!« – »Was gibts denn um Gottes willen?« – »Haben Sie das Buch der Hundert und Eins gelesen, Condukteur?« – »Ach, ich wollte, daß Sie mich in Frieden ließen!« – »Haben Sie es gelesen?« schrie er lauter. »Oder Sie, meine Herren?« wandte er sich an uns.

Meine Nachbarn lachten und erwiederten ihm, daß sie es freilich kennten, aber was die Frage heißen sollte. »Also haben Sie es gelesen?« fuhr er fort. »Ein famoses Buch, Sie werden sich des Kapitels von der Morgue erinnern, die Erzählung von der Amme aus der Normandie, die mit dem ihr anvertrauten Kinde, einem unmündigen Jüngling, nach Paris reist. O, meine Herren! Das arme Kind gerieth, wie ich, unter das Gepäck; es kam erstickt nach Paris, wie ich erstickt nach Brüssel kommen werde. Condukteur! gibt es eine Morgue in Brüssel?« Jetzt aber vereinigten wir unsere Vorstellungen mit denen des Condukteurs und baten vereint um Ruhe, worauf der blinde Passagier hinter dem Leder her mit dumpfer Stimme zur Antwort gab: er wolle sein Möglichstes thun, aber es sei hart, stillschweigend sterben zu müssen.

Jetzt hatten wir eine Zeit lang Ruhe, und würden wahrscheinlich aus Ermüdung eingeschlafen sein, wenn nicht unglücklicher Weise eine der Melonen unter dem Sitze hervor und zu den Füßen meines Nachbars gerollt wäre. Dieser dehnte sich schlaftrunken aus und bohrte seine beiden Absätze so heftig in die reife Frucht, daß sie auseinander platzte und einen wahrhaft betäubenden Geruch verbreitete. Dieser mußte sogar bis hinter den Ledervorhang gedrungen sein, denn wenige Sekunden später meldete sich der blinde Passagier aufs Neue und erkundigte sich besorgt, ob mit seinen Melonen etwas vorgefallen sei. Mein Nachbar verhehlte ihm das Unglück nicht, das geschehen, worauf der Jammer des armen Epicier so groß ward, daß wir in ein allgemeines Gelächter ausbrachen. Anfänglich ärgerte er sich darüber, doch bald stimmte er mit ein, und bat sich nur die Freiheit aus, sein Unglück bejammern zu dürfen, was er denn auch so überaus kräftig that, daß von einem Schlafen ferner die Rede gar nicht mehr sein konnte.

Glücklicher Weise dämmerte bald der Morgen auf, und wir erreichten Valenciennes. Bald kamen wir nach Quivrain, wo wir uns zum Eintritt in Belgien einer Visitation unterwerfen mußten, die aber sehr gelinde ausfiel.

Eine halbe Stunde darauf saß ich auf dem guten Polster des Eisenbahnwagens und floh gen Brüssel. Der blinde Passagier mit den Melonen befand sich in einem andern Wagen, und ich habe ihn nicht wieder gesehen. Doch ist mir jetzt, mehr als ein Jahr nach dieser denkwürdigen Nacht, der Geruch von Melonen so zuwider, daß ich nicht im Stande wäre, ein Stückchen dieser Frucht zu essen.

Wie glücklich war ich, als ich nach der so schlimm zugebrachten Nacht eine Stunde in meinem bequemen Zimmer des »Hotel de Flandre« zu Brüssel ausruhen konnte, und alsdann neu gestärkt, auf die Straße ging. Unter dem Thorweg des Gasthofes sah ich einen Herrn und eine Dame, welche die Eisenbahnkarte eifrig studirten. Beide schienen mir nicht fremd, und als ich näher trat, erkannte ich den Wiener mit seiner liebenswürdigen Frau, welche sich unter den Abfahrtsstunden eine für sie passende aussuchten, um nach Aachen zurückzukehren. Glücklicher Weise ließen sie sich bereden, noch ein paar Tage in Brüssel zu bleiben, und wenn mir die Dame auch anfänglich ein böses Gesicht machte, daß ich sie in Mecheln so schnöde verlassen, (denn sie gab mir die Schuld) so wurde sie doch bald wieder überaus lieb und freundlich, und wir verbrachten noch ein paar recht vergnügte Tage en famille im »Hotel de Flandre« zu Brüssel.


 << zurück weiter >>