Friedrich Wilhelm Hackländer
Erlebtes. Zweiter Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Anonyme Briefe.

Es sollte mich wundern, wenn nicht jeder meiner lieben Leser schon einen anonymen Brief bekommen hätte. Vorausgesetzt nämlich, daß der Leser ein ehrenwerther Charakter ist: denn die Lumpen und schlechten Charaktere bekommen keine anonymen Briefe, sie schreiben blos welche. Alles ist in der Natur von Gott dem Herrn weislich eingerichtet. Man soll eine giftige Blüthe nicht essen, sondern es verstehen, wie die Bienen, aus den allergiftigsten Blüthen Honig zu saugen. Lieber Leser, flattere mit mir in das fette Mistbeet, worauf die giftigen Blumen wachsen, deren Früchte die anonymen Briefe sind. Sie sind gepflanzt in Neid und giftiger Mißgunst, gepflegt von Bosheit und übler Laune, und statt des himmlischen Thau's, der andere Gewächse erfreut, ziehen sie ihre Nahrung aus stillen Schmerzensthränen, jenen armen Geschöpfen erpreßt, die leider Gottes dumm genug waren – verzeih' mir den Ausdruck – eine anonyme Zuschrift sich zu Herzen zu nehmen.

Um mich minder blumig auszudrücken, so ist der anonyme Brief eine moralische Ohrfeige, die aus dem Dunkeln nach Deiner Wange gerichtet ist, die Du aber durch ein kluges, vernünftiges Benehmen jeder Zeit pariren kannst. Bist Du Privatmann, so öffne nur solche Briefe, deren Siegel und Handschrift Dir bekannt ist. Neben den Schriftzügen Deiner Freunde wirst Du es ja wohl gelernt haben, die Handzeichen Deiner achtungswerthen Gläubiger zu erkennen, denen Du, außer vielem Geld, von Zeit zu Zeit eine geringe Antwort schuldig bist.

Bist Du Geschäftsmann, so werden Dir die anonymen Briefe vorgelegt, wie man dem unschuldigen Hühnervolke Giftkörner unter die nahrhafte Gerste streut; aber mach' es wie dies kluge Vieh, welches die Giftkörner augenblicklich wieder ausspuckt. Schau jedem geöffneten Brief sogleich in's Gesicht, d. h. auf die Unterschrift, und ist der Brief ein namenloser – »stürzt das Scheusal in die Wolfsschlucht,« d. h. in den Papierkorb.

Ich habe es freilich nicht so gemacht, lieber Leser, sondern zu meinem Vergnügen und Deiner Belehrung habe ich mir eine feine Sammlung jener guten Freunde angelegt, welche mir schon manche angenehme Stunde bereitet hat. Ich betrachte die anonyme Briefstellerei vom objektiven Standpunkt; mir sind ihre Erzeugnisse ein Thermometer, an dem ich die Schlechtigkeiten mancher Menschen messe, und mein Quecksilber in demselben ist schon so hoch gestiegen, daß es bald keinen Platz mehr hat.

Die anonymen Briefe sind nur bedingungsweise anonym. Die meisten tragen eine Unterschrift, wie z. B. »Ein Freund, der's mit Ihnen gut meint.« – Unter dieser Unterschrift aber kommen die schlimmsten. – Ferner: »Ein hiesiger Bürgersmann;« oder: »Im Auftrag eines braven Mannes, der es gut mit Ihnen meint;« oder: »Jemand, der von Ihrer bodenlosen Schlechtigkeit vollkommen überzeugt ist;« oder endlich: »Eine Anzahl hiesiger Bürger und Gewerbsmänner.«

Anonyme Briefe lassen sich meistens ihrem Innern und ihrer Unterschrift nach in drei Classen eintheilen, von denen die erste Classe, meistens mit N. unterzeichnet, oder mit »Ihre ***«, die harmloseste ist. Es sind meistens gerechte oder ungerechte Klagen über zarte und unzarte Verhältnisse, schüchterne und unschüchterne Bekanntschaft-Anknüpfungs-Versuche, unter dem Titel der Entdeckung wichtiger Geheimnisse, z. B.:

»Verehrter Herr!

Eine Person, die, ohne von Ihnen gekannt zu sein, es sehr gut mit Ihnen meint, wünscht Sie in einer dringenden Angelegenheit heute Abend zwischen 8 und halb 9 Uhr zu sprechen. Sie wird sich in der Nähe des Schiller aufhalten, und ein dreimaliges Husten sei das Zeichen. Diese Person, die es sehr gut mit Ihnen meint, wird von heute ab drei Abende auf Sie warten. N. N.«

In der zweiten Classe bewegen sich anscheinend wohlgemeinte, aber desto gefährlichere Korrespondenzen. Sie tragen oft die Unterschrift eines braven Mannes, »der es gut mit Ihnen meint.« Sie erzählen mit einer gewissen Entrüstung von schlechten Gerüchten, die über Dich im Umlauf sind, und fordern Dich auf, denselben öffentlich entgegen zu treten. Nimm Dich aber in Acht, diesen braven Männern unbedingt zu folgen; denn meint es ein braver Mann wirklich gut mit Dir, so wird er Dir ein derartiges Gerücht selber mittheilen und Dir helfen, der Quelle nachzuspüren. In diese Classe kann man auch, bist Du, geneigter Leser, vielleicht ein Künstler oder eine Künstlerin, jene Briefe rechnen, welche ungefähr an eine Schauspielerin sprechen:

»Mein Fräulein!

Es thut mir sehr leid, Ihnen anvertrauen zu müssen, daß ein gewisser Kreis von schlechten Menschen es auf Ihre Demüthigung abgesehen hat. Vermeiden Sie es, in dem Stücke heute Abend aufzutreten. Sie können sich unsern Schmerz denken, wenn Sie das Publikum, das Sie ohnedieß nicht liebt, mit lautem Pfeifen und Zischen empfinge. Ueberhaupt rathen Ihnen wohlmeinende Freunde, Ihr hiesiges Engagement baldmöglichst mit einem andern zu vertauschen, da Sie selbst fühlen müssen, daß Sie dem Publikum und der Intentanz gleich sehr zur Last sind.«

Ist die unglückliche Künstlerin furchtsamer Natur, so hat der unbekannte Wohlthäter seinen Zweck erreicht, die Schauspielerin ist befangen, und in den Applaus ihrer Freunde und Verehrer mischt sich hie und da ein leises Pfeifen. Es ist aber hundert gegen eins zu wetten, daß dieses pfeifende Vögelein dasselbe ist, aus dessen anonymem Schweif die bewußte Feder gefallen. Die dritte, an sich ungefährliche Classe ist die, welche, geschult im Style moderner und gesinnungstüchtiger Tagblätter, jegliche Zuschrift ungefähr wie deren Artikel einzuleiten pflegt. Also ungefähr:

  1. »Mit tiefem Schmerz und großer Entrüstung ec.«
  2. »Ueberzeugt von Ihrer bodenlosen Schlechtigkeit ec.«
  3. (à la Cicero): »Wie lange noch, elender Hofspeichellecker ec.«

Diese Classe schließt gewöhnlich ihrem Schlangencharakter treu, indem sie mit dem Kopf sich in den Schwanz beißt, also mit den Worten, wie sie angefangen.

Doch wir brechen ab. Der Stoff ist so reichhaltig, daß er in einem einzelnen Blatt nicht zu verarbeiten ist. Auch sind wir den betreffenden und betroffenen Schlachtopfern menschlicher Grausamkeit schuldig, eine Waffe anzugeben, womit dem finstern Treiben der anonymen Briefe zu begegnen ist. Weßhalb wir uns vornehmen, denselben in unserm nächsten Blatte einen reichhaltigen anonymen Briefsteller, nach vorhandenen Mustern, nebst Gebrauchsanweisung, zu übergeben.

Jemand, mein verehrter Leser, der es gut mit Dir meint.


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