Friedrich Wilhelm Hackländer
Erlebtes. Zweiter Band
Friedrich Wilhelm Hackländer

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Der Clubb für unbegränzte Freiheit.

Das kleine unscheinbare Haus, in welchem sich die kleine unscheinbare Kneipe befand, von der wir unserm Leser erzählen wollen, stand an den Ecken zweier kleinen Gäßchen, wo weder Sonne noch Mond hineinschien. Die beiden Himmelslichter machten wohl hie und da den schüchternen Versuch, in diesen dunkeln, feuchten Winkel zu gelangen; doch mochte es ihnen da unten zu finster und unheimlich sein, denn sie streiften nur so oben an den schwarzen Giebeln der Häuser vorbei und verschwanden bald wieder. Dieß Eckhaus nun, vor welchem als Wirthshausschild ein gelber, vertrockneter Busch prangte, war klein, zweistöckig und litt unzweifelhaft an erschreckender Altersschwäche. Die Mauern waren grau, und da die Dachrinne zerbrochen war, so hatten Regen und Schneewasser ganz geheimnißvolle Hieroglyphen auf das Haus hingeworfen. Der Eingang war nie verschlossen, und nur in den Stunden von Morgens 2 bis 6 Uhr wurde eine gewesene Thür vor den Eingang gelehnt. Dieser Eingang führte auf eine enge und gänzlich finstere Hausflur und in eine Art Vorzimmer, hinter welcher das Gastzimmer war.

Dieses ganze untere Apartement war früher einmal ein Stall gewesen und erst später zu wohnlichen Zwecken eingerichtet worden. Da sich aber statt der Fenster nur kleine Luftlöcher dort befanden, so etablirte der Hausherr eigenhändig eine kleine Weinkneipe, ein Geschäft, zu welchem das Tageslicht vollkommen überflüssig ist; denn erst wenn es draußen anfängt zu dunkeln, wird's innen hell. In früherer Zeit wurde das Local mit Talglichtern erleuchtet, als aber das Gaslicht überhand nahm, wurde in die Mauer ein Loch gebrochen, von Außen eine bleierne Röhre hineingezogen, dieselbe an der Wand und Decke durch Nägel festgemacht, zwei Schuh vor letzterer unten umgebogen, ein kupferner Brenner hineingesteckt – so – und der Kronenleuchter war fertig. Wenn Abends das Gaslicht angezündet wurde und die ewige Dämmerung aus dem Zimmer verschwand, so war es, als zöge ein tiefer Seufzer bei den trüben Wänden vorbei; der alte Hund hinter dem Ofen schüttelte sich, streckte die Nase empor und meinte, es würde Tag. –

Durch den finstern Gang trat man in das Vorzimmer, die Wohnstube des Wirthes und Hausbesitzers. Hier war ein großes, zweischläfriges Bett, ein paar hölzerne Stühle, ein Ofen, um denselben ein großer verblichener Papierschirm, auf welchem Adam und Eva im Naturzustande und sämmtliche Thiere, wie sie im Paradiese lustwandeln, gemalt waren. Da die Gäste allemal durch dieses Vorzimmer mußten, so zog sich der Wirth mit seiner Frau am Abend hinter diesen Schirm am Ofen zurück, und die beiden alten Leute blieben, bis der Letzte der Gäste heimwankte. Der Wein wurde in das Gastzimmer in ein paar großen steinernen Krügen hingestellt, aus welchen sich die Gäste bedienten, nachher die Zeche selbst berechneten und das Geld auf dem Tische zurückließen. Aus dieser Einrichtung kann man ersehen, daß das Local nur von Stammgästen besucht wurde. Diese Stammgäste nun gingen bei dem großen Ofenschirm vorbei und jeder derselben klopfte mit der Hand daran, und das war ein Zeichen für den Wirth, daß ein guter Bekannter eintrat; wenn aber zufälliger Weise Jemand in das Gastzimmer kam, der den Schirm nicht berührte, so streckte der Wirth seinen Kopf oben hinaus und versicherte den fremden Gast, das Zimmer sei für heute Abend an einige gute Bekannte vermiethet. Man wird uns fragen, welche Klasse von Menschen hier zusammenkam, ob es ein geheimer Clubb war, ob hier Verschwörungen angezettelt wurden, ob man hier, verborgen vor den Augen der Polizei, hoch spielte, und es wäre eigentlich sehr interessant für uns, wenn wir etwas derartig bejahen könnten und dadurch Hoffnung gäben, daß eine schauerliche Geschichte hier passirt sei. Leider sind wir nicht so glücklich: Hieher kamen keine Landstreicher und sonstige Vagabunden, keine Diebe oder Mörder, nicht einmal Verschwörer, es fielen hier wohl zuweilen schreckliche Redensarten, aber im Ganzen waren es harmlose Leute, die hier in der Kneipe zusammenkamen und von denen die meisten am andern Morgen in ihren Geschäften ganz anders sprachen, wie Abends hinter dem Weinglase!

Was aber geschah hier im Dunkel der Nacht? – – – – Hier versammelte sich allabendlich der Clubb für unbegränzte Freiheit. Hier wurde politisirt: das Wohl Deutschlands, das Wohl der ganzen Welt berathen.

Die Glocke schlägt sieben, ein schwerer Tritt in der Hausflur, ein schwerer Schlag an den Ofenschirm, eine tiefe Baßstimme sagt: »guten Abend« und geht in's Wirthszimmer. Es ist ein großer breitschulteriger Mann, der eingetreten ist, auf seinem Gesicht liegt ein rosiger Schein, aber nicht der Schimmer der Jugend, eine Röthe, dem Nordlicht vergleichbar, deren Centrum die Nase ist. Dieß Gesicht ist eingefaßt mit einem großen Bart, alle Unterabtheilungen dieses männlichen Schmuckes, Schnauz-, Backen-, Knebel- und Kinnbart zu einem wirren Ganzen zusammengewachsen; der Mann sieht unter seinem grauen Hut mit Hahnenfedern ganz fürchterlich aus, er trinkt ein großes Glas Wein auf einen Zug aus, stellt sich vor die Bildnisse von Robert Blum und Hecker, die an der Wand hängen, einen Augenblick hin, seufzt tief auf; dieser Seufzer aber klingt wie ein leises Brüllen, er murrt etwas von verrathener Freiheit und setzt sich nieder.

Nach ihm säuselt eine leichte Gestalt durch die Flur, berührt ganz leicht den Schirm und bleibt unter der Thür des Gastzimmers einen Augenblick stehen; es ist ein schmächtiges Männchen mit einem frommen Gesicht, das sich aber mühsam den Anschein gibt, ingrimmig auszusehen, es vergräbt das Kinn in die Halsbinde, schiebt den Hut verwegen auf ein Ohr: Also hieher hat sich das Bischen übrig gebliebene Freiheit geflüchtet, hier müssen wahre Vaterlandsfreunde tagen, verborgen vor der Welt in einem dürftigen Winkel der Erde! Ach, es ist schauerlich! Darauf salutirt er vor dem Portrait Heckers und setzt sich an den Tisch. Der Andere schenkt ihm wenig Aufmerksamkeit, stützt den Kopf auf beide Arme und stößt dichte Rauchwolken aus seiner Cigarre. –

Eine dritte behäbige Figur schiebt sich jetzt ins Zimmer, trommelt ein paar Takte auf den Ofenschirm und schaut mit einem wohlgenährten freundlichen Gesichte hinter denselben: – Guten Abend, Alter, wie geht's? – dann tritt sie ins Gastzimmer und läßt sich nieder, nachdem sie dem Hecker pfiffig lächelnd zugewinkt.

So erscheint nach und nach die ganze Gesellschaft, bunt gemischt, aber die Meisten anständig ausschauend. Viel Bartwerk ist vorhanden, viele rothe Hahnenfedern und schwarz-roth-goldene Bänder. Der Krug macht den leeren Gläsern tiefe Komplimente und bald geht ein lebhaftes Gespräch durch's Zimmer.

Der Zweite, der vorhin eintrat, die kleine lustige Gestalt, ein Handschuhmacher, taucht nun sein Gesicht so erschrecklich tief in die Halsbinde hinab, daß nur die funkelnden Augen herausschauen, und deklamirt: Die Freiheit, sie ist ein leerer Wahn; worauf der Mann mit der rothen Nase, der zuerst eintrat, ingrimmig aufschaute.

Was ist ein leerer Wahn? brüllt er. Die Freiheit? Wer wagt zu behaupten, daß die Freiheit ein leerer Wahn ist?

Ich sagte: k – – ein leerer Wahn, aber Sie wissen ja , ich kann das K nicht gut aussprechen.

Ja so, kein leerer Wahn. So sprechen Sie künftig deutlicher. Aber das ist der Fluch des Sklaventhums und der Unterdrückung, daß der freie Mann an ein freies Wort nicht mehr gewöhnt, sogar eine sklavischlispelnde Aussprache angenommen hat.

Der dicke Mann, ein Spezereihändler, stieß seinen Nachbar klug lächelnd an, als wollte er sagen: der hat's, jetzt kann's losgehen. Dieß schien auch ein junger Mensch mit bleichem Gesicht und langem blondem Haar zu fühlen, denn er schrie, nebenbei – um sich bei der rothen Nase in Respekt zu setzen: Es lebe der Hecker! Und Alle tranken ihre Gläser aus. Einige mit schwärmerischem Blick an die Wand hin, Andere schüchtern auf ihre Nasenspitze sehend.

Die rothe Nase verbeugte sich dankend, als sei sie der Hecker, murmelte dabei aber von Reactionären und politischen Feiglingen, wobei sie namentlich den Gewürzkrämer und seinen Nachbar scharf ansah, worauf der erstere mehrere Gläser Wein hastig hinabstürzte, wie er hier allabendlich zu thun pflegte, um sich in eine muthvolle Stimmung zu versetzen und damit er Widerstand zu leisten vermöge den Bemühungen, ihn auf die äußerste Linke hinüberzuziehen; denn der Spezereihändler war, im Vertrauen gesagt, äußerst conservativ, ja etwas reactionär.

»Meine Herren,« sprach die rothe Nase, »was sind wir denn eigentlich, daß man es wagt, uns tagtäglich in den Staub zu treten, daß man uns unsere kostbarsten Freiheiten vorenthält? Was heißt Deutsch? Was heißt Deutscher? Heißt Deutscher etwa soviel, als ein Individuum, ein Wesen, das dazu gemacht ist, und erschaffen wurde, um Fußtritte auszuhalten, um Stockschläge zu empfangen, ein Reibeisen, an dem Jedermann die Schuhe abputzen darf, ein Geschöpf der Finsterniß, dem nie der rosige Morgen der Freiheit tagen soll? Ich wenigstens dulde diese Knechtung nicht länger. Ich will kein Sklave sein. Ich will mich nicht krümmen unter den Fußtritten der Gewaltigen. Ich will mir die Freiheit mit meinem Herzblut erkaufen, ich will ein freier, deutscher Mann sein.«

Auf diese glänzende Rede ließ sich ein vielstimmiges Bravo hören. Nur der Spezereihändler stützte seine Arme auf den Tisch und wollte der rothen Nase in die Rede fallen. Aber die rothe Nase war im Zug wie eine überheizte Lokomotive und fuhr sausend und schnaubend fort:

»Was ist Freiheit? Ist das bischen Preßfreiheit Freiheit? Ist ein volksthümliches Ministerium Freiheit? Ist Oeffentlichkeit und Mündlichkeit, ist Vereinsrecht Freiheit? O nein! Das versteht sich Alles von selber, denn da der freie Mann Alles das thun kann und soll, was ihm beliebt, so fallen ihm diese Lappalien, diese Brocken, die man ihm wie dem hungrigen Hunde hinwirft, von selbst zu. Der wahre freie Mann ist der, der wahrhaft frei ist, und der wahrhaft frei ist, das ist ein freier Mann! Aber Ihr Alle,« dieß sprach der Mann mit unbeschreiblichem Pathos, »seid Geknechtete, Unterdrückte, seid Sklaven!«

Jetzt war der kleine Spezereihändler nicht länger zu halten. Zuerst brach er in ein lautes Lachen aus, das höhnisch klingen sollte.

»Hör' mir einer an,« sagte er dann, »ich sei ein Sklave, wagen Sie zu behaupten. Ich sei ein Gefesselter, Unterdrückter? Weßhalb bin ich ein Sklave? Kann ich nicht thun und lassen, was mir beliebt? Habe ich nicht Alles errungen, was man erringen kann? Und dann,« setzte er in einem etwas weinerlichen Tone hinzu, »begreife ich eigentlich nicht, warum ich mich in den Clubb für unbeschränkte Freiheit habe aufnehmen lassen, damit man mich jeden Abend auf's Allerscheußlichste herunterschimpft! Und damit ich nicht einmal die Freiheit habe, zu sagen, daß ich mich unter den jetzigen Einrichtungen vollkommen frei genug fühle!«

»Er hat ganz recht,« sagte leise sein Nachbar, und mehrere Andere nickten ihm beifällig zu, obgleich die rothe Nase in ihrer Wuth unzählige Gläser Wein hinter einander austrank.

»Warum,« fuhr der Spezereihändler fort, »warum nutzt mich die Freiheit nichts, die wir einmal errungen haben? Warum, das möchte ich wissen?«

»Weil das keine Freiheit ist,« sagte der Handschuhmacher; »nur auf den Bergen ist Freiheit. Ich will thun und lassen können, was mir beliebt.« Die rothe Nase sah den Spezereihändler mit einem Blick unbeschreiblicher Verachtung an; dann sagte sie: »Ist ein stehendes Heer Freiheit? Ist Polizei Freiheit? Sind Steuern Freiheit? Sind Capitalisten Freiheit? Oh, Ihr seid blind mit sehenden Augen. Seht Ihr denn nichts von der Reaktion, die ihr geiferndes Haupt emporstreckt, eine riesige Schlange, die Euch langsam, aber unfehlbar einschnürt?«

»Ha,« eiferte der Spezereihändler, »Reaktion, was ist Reaktion? Wo ist Reaktion?«

»Reaktion!« sagte die rothe Nase, und warf einen mitleidigen Blick hinüber; »weßhalb gehen alle Geschäfte schlecht? Weßhalb stockt Handel und Wandel? Weßhalb geht der brave Gewerbsmann zu Grunde?«

»Das ist keine Reaktion, das ist ein Unglück,« sagte der Spezereihändler. »Die Gewerbe gehen schlecht, weil es an Vertrauen fehlt, nicht einmal weil es an Geld fehlt. Ich muß es am Besten wissen. Wer früher den Zucker bei mir Hutweise kaufte, der läßt jetzt täglich einige Loth holen, und wer ein Paar neue Stiefeln sehr nöthig braucht, der läßt heute, dennoch die alten flicken, da er nicht weiß, ob ihm die goldene Freiheit, von der Ihr immer predigt, nicht morgen die neuen Stiefel vielleicht ausziehen würde.«

»Ja,« fiel jetzt sein Nachbar in's Wort, der ein Möbelschreiner war, »so ist's, bei Gott, so ist's! Hab' ich doch von zwanzig Gesellen nur noch zwei, und von denen ist obendrein der eine ein Schneider, der nur Fenstervorhänge flickt. Ja, Ihr seid es, die Handel und Wandel darniederdrücken, mit Eurem losen Maul und Euern aufrührerischen Reden und Euern Wühlereien. Nennt mir einen einzigen Menschen, der durch Eure fortgesetzten Aufhetzereien was profitirt hätte. Die Steuern sind erhöht, Arbeit gibt's keine, und wenn bei dem armen Gewerbsmann das Bischen, was er in früheren Jahren verdient hat, aufgezehrt ist, so hat er Eure Freiheit errungen, dann ist er frei, wie der Vogel auf dem Zweig, ohne Nahrung und Obdach, frei, daß sich Gott erbarme!« Der junge Mensch mit den blonden Haaren hatte schon mehrmals versucht darein zu sprechen, konnte aber mit seiner dünnen Stimme nicht durchdringen.

»Warum,« schrie er jetzt, »haben bei den sogenannten Vornehmen und Reichen alle Feste, Bälle aufgehört? Warum anders, als um den armen Mann zu drücken?«

»Warum?« entgegnete der Möbelhändler, »warum soll der Reiche und Vornehme nach den Verlusten, die er ohnedieß erlitten, noch sein Geld hinauswerfen, wofür er nur Undank hat? Bellt Ihr nicht mit Euerm giftigen Neid Jeden an, der einen bessern Rock trägt, als Ihr? Was schreit Ihr in die Welt hinaus, wenn Ihr irgendwo ein Gastmahl oder einen Ball wittert? Schreit Ihr nicht über Reaktionäre, Aristokraten, die den Schweiß des armen Volkes verprassen? Und das ist erlogen, das kommt dem Arbeiter und Handwerksmann zu gut, wären nur viele Festivitäten und Geschichten, so stände es mit dem Gange der Geschäfte besser. Und verpraßt Ihr nicht ebenso den Schweiß des armen Volkes? Z. B. Sie,« sagte er zu der rothen Nase, »haben da einen warmen Rock an, und einen Paletot darüber. Damit könnten Sie einen kleiden, der nichts hat. Sie trinken bei Ihrem Schreien nach Freiheit, das Ihnen natürlich die Kehle austrocknet, täglich Ihre zehn Schoppen Wein. Das würde für neun arme Familienväter langen, und es bliebe Ihnen doch noch ein Schoppen. Aber ich will darüber nichts sagen, denn das Geld für die zehn Schoppen nimmt der Wirth ein, und das fließt wieder in eine Menge Hände und kommt Vielen zu gut.«

»Schade, Schade,« seufzte der Spezereihändler, »wie unsere schönen Gewerbe ruinirt sind, unsere Stadt ihrem Untergang entgegengeht! Ich sehe schon die Zeit kommen, wo die Häuser zerfallen, wo auf den Straßen das Gras wächst, und wo wir Alle eine große, große Brüdergemeinde von lauter Lumpen bilden.«

So weit war die Sache in der Ordnung, und manche Mitglieder des Clubbs für unbegrenzte Freiheit neigten sich auf die rechte Seite. Es hätte dazu kommen können, daß die rothe Nase und ihre Consorten überstimmt worden wären, und der Möbelhändler wagte schon den schüchternen Vorschlag, der Gesellschaft statt des bisherigen den Namen: »Clubb für gesetzmäßige Freiheit« zu geben, wodurch man für die Wohlfahrt Deutschlands schon viel gewonnen hätte, und mit welcher Errungenschaft sich die exaltirtesten Conservativen zufrieden gestellt hätten.

Aber da geschah etwas, was der Sache eine ganz andere Wendung gab, und was in dem Clubb für unbegränzte Freiheit bis jetzt nicht da gewesen war. Es war nämlich 11 Uhr geworden, das Gespräch hatte man außergewöhnlich laut geführt, und es öffnete sich die Thür, und herein trat ein Diener der Polizei, feierlich verkündend, daß die Polizeistunde längst vorüber sei. –

Trauriger Moment! Wie wahr ist das Sprüchwort: Gott bewahre mich vor meinen Freunden, mit meinen Feinden will ich schon fertig werden. Die rothe Nase, wie sie im Begriff war zu thun, eine Rede gehalten für unbegränzte Freiheit, eine Rede, übermenschlich schön, sie hätte weder den Spezereihändler noch den Möbelschreiner verlockt, ihren Antrag auf Aenderung des Namens in Clubb für gesetzmäßige Freiheit aufzugeben. Aber das Erscheinen der Polizei in diesem Augenblick, das Verkündigen der Polizeistunde, so etwas verträgt kein deutscher Bürgersmann und Patriot. Das sah auch die rothe Nase ein; die rothe Nase wußte ganz genau, daß jetzt ihre Sache die siegreiche sei. Ruhig und groß setzte sie sich nieder, ruhig und groß füllte sie ihr Glas, trank es aus und sprach:

»Freie deutsche Männer, die Polizeistunde ist vorüber!«

Der junge blonde Mensch, nachdem er sich überzeugt, daß die Polizei das Haus verlassen, ließ den Hecker leben; die rothe Nase verkündigte, sie behalte sich vor, morgen eine Adresse an die Nationalversammlung vorzulegen, worin das Ministerium anzuklagen sei, daß es durch die fluchwürdige, an das alte verdammliche System erinnernde Einrichtung der Polizeistunde das freie Vereinsrecht der Bürger ungesetzlich schmälere und daß sie, hierauf fußend, morgen den Antrag einbringen wolle, den Namen der Gesellschaft in »Clubb für gesetzlose Freiheit« umzuändern.

Und hierauf trennte man sich.

Wirth und Wirthin gingen zu Bett. Die Thüre wurde an den Eingang gelehnt, der Hund legte sich zum Schlafen hinter den Ofen, das Gaslicht wurde ausgelöscht, und ringsum war es trostlos dunkel.


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