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Fra Diavolo.


Illustriert von
F. Lipps.

»Erblickt auf Felsenhöh'n
Den kühnen Räuber stolz & hehr,
Fest gestützt auf sein Gewehr –
Diavolo, Diavolo, Diavolo –«

sang auf der Straße von Molo di Gaetino nach Terracina eine weibliche Stimme, die sich aber nicht gerade durch besonderen Wohlklang bemerkbar machte und die noch obendrein dadurch nicht zur vollen Geltung kam, daß sie aus einem Reisewagen ertönte, welcher der tief ausgefahrenen, notdürftig mit Kieseln beworfenen Geleise wegen gewaltig stieß und seine Räder wie mißmutig knirschen ließ. Die Melodie des Räuberliedes wurde dadurch häufig unterbrochen und übertönt, was aber die Sängerin nicht hinderte, die zweite Strophe zu beginnen und mit dem gleichen Refrain zu beendigen:

»Diavolo, Diavolo, Diavolo!«

Die Sängerin war eine wohlbeleibte Dame, ihren Gesichtszügen nach zu urteilen über das mittlere Alter, wie wir die Zeit zwischen Dreißig und Vierzig zu bezeichnen pflegen, stark hinüber; sie schien aber ihrer Kleidung nach für bedeutend jünger gelten zu wollen, denn sie trug einen silbergrauen Reisehut mit langer weißer Feder, unter dem Staubmantel blickte ein Überwurf von hellblauem Samt mit seinem Pelze besetzt hervor, sowie eine Robe von gleicher Farbe in schwerer Seide, während ein reicher Plaid, der sich in Farbe und Zeichnung das Ansehen gab, als stamme er in gerader Linie von einem bengalischen Tiger ab, ihre Füße bedeckte. Neben dieser Dame saß in der zweisitzigen soliden Reisekalesche ein junges Mädchen, das sich nach Jahren und Äußerem ungefähr zu ihr verhielt wie eine eben aufbrechende duftende Theerosenknospe zur strahlenden Sonnenblume, und wenn auch dieses junge Mädchen gleichfalls einen Überwurf von schwerem Samt unter dem verhüllenden Staubmantel trug, so war derselbe doch, wie ihr Kleid, von schwarzer Farbe, gleich ihrem zierlichen Reisehütchen, welches ein einfacher Vogelflügel schmückte, sowie ein dunkelblauer Schleier, den sie um den oberen Teil ihres Gesichtes geschlungen hatte.

Jetzt zog sie den blauen Schleier etwas tiefer über das feine, liebliche Gesicht herab, denn es staubte gewaltig. Man befand sich gegen Ende Oktobers, es hatte Monate lang nicht geregnet und wer den Zustand italienischer Landstraßen kennt, wird es durchaus nicht verwunderlich finden, daß der Wagen sich in einer dichten grauen Wolke fortbewegte, und daß Alles, was sich in demselben befand, bis zur Unkenntlichkeit mit Staub bedeckt war. Besonders der alte Diener hinten auf dem Wagen neben der Kammerjungfer bot einen sonderbaren Anblick, denn da er beim Fahren alle unnötigen Bewegungen vermied und meistens ruhig mit übereinandergeschlagenen Armen dasaß, so glich er einem grauen Steinbilde mit beweglichen Augen, welche indessen wenig Notiz von der romantischen Gegend nahmen, sondern den Postillon überwachten und sich nur bisweilen mit geringschätzendem Ausdruck gegen die Kammerjungfer wandten, die, eine echte bewegliche Französin, durch Klopfen und Ausschütteln ihrer Röcke einen beständigen hartnäckigen Kampf mit dem aufwirbelnden Staube führte.

»Liebe Tante,« sagte das junge Mädchen, »lassen Sie mich Ihren Schleier wieder arrangieren! Sie müssen ja schrecklich viel Staub schlucken, um so mehr, als Sie beständig singen!«

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»Ja, siehst du,« rief die ältere Dame aus, indem sie sich mit einer für ihre Korpulenz erstaunlichen Leichtigkeit im Wagen herumwarf und so halb Front gegen ihre Nichte machte, »du singst nicht, was ich durchaus nicht begreife, während mir hier auf diesem klassischen Boden all' die Melodien, die ich mit ihm in Zusammenhang bringen kann, nur so ins Gedächtnis strömen und als Gesang wieder hinaus müssen. Schon den ganzen Tag habe ich mich mit dem Gasthaus von Terracina beschäftigt, nicht mit der düsteren Pracht des Albergo Grande, wie sie unser vortrefflicher Kurier uns verheißen, sondern wie ich es in der Oper sah und wie ich es auch so gerne hier in Wirklichkeit wiederfinden möchte – weißt du, jenes ländliche Gasthaus mit seinen freundlichen, grünumsponnenen Veranden, unten der hübsche Gartenplatz, wo die Dragoner tafeln und dann im Hintergrund der sanft ansteigende Hügel mit der kleinen Kapelle und ihrem melodischen Glöcklein, das in verräterische Bewegung gesetzt werden soll, um den armen schönen Fra Diavolo zu fangen; ach, wenn es nur in Wirklichkeit dort bei Terracina eine kleine Kapelle gäbe! Bei den vielen, die wir heute am Wege gesehen, war es mir grade, als müßte Er in seiner reichen phantastischen Kleidung irgendwo hinter einem alten Gemäuer hervortreten – Diavolo, Diavolo, Diavolo!«

Die Sonne war schon stark gegen Westen gesunken, die wellenförmigen Erhöhungen an der linken Seite der Straße verschoben sich hie und da scheinbar und zeigten das tiefdunkel gefärbte Meer unter dem leuchtenden Anfluge der schrägen Sonnenstrahlen ferne am Horizont flimmernd und blitzend; rechts von der Straße erhoben sich malerische Felsen mit einfachen Häusern oder Villen in einer üppig grünen Schlucht, dann mehrten sich diese Gebäude gegen die Bergwand hinauf, eine ziemliche Stadt bildend, oben mit Kirchen und Klöstern gekrönt und überhaupt von den malerischen Ruinen eines Palastes Theodorich's des Ostgothen.

»Ecco Terracina!« rief lustig der Postillon und nahm seine vier müden Gäule zusammen, indem er unter einem scharfen Kreuzhieb über die Vorläufer deren Zügel fester anzog, dann sein Handpferd mit dem Peitschenstiel in die Rippen stieß und dem Sattelgaul seine Sporen zu kosten gab, um in einem kurzen Galop in die Straßen der Stadt einreiten und sich selbst als flotten Postillon zeigen zu können.

Bald hatte sie die Stadt in ihren Schatten aufgenommen. Eine erfrischende Kühle herrschte hier, besonders in der Nähe der zahlreichen Brunnen, wo das Pflaster feucht bestaubt erschien, auch thaten die dunklen Gebäude mit ihren schattenspendenden Schutzdächern den Augen wohl, der häßliche Staub war vor der Stadt geblieben und von der weiten Landschaft draußen sahen die Reisenden hier nichts mehr als vor sich in der Höhe die Trümmer des Ostgothenschlosses und hoch über sich einen schmalen Streifen des abendlichen Himmels, der, eingerahmt von den dunklen Gebäuden, ganz merkwürdig tiefblau erschien.

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Das Klappern der Pferdehufe auf dem Pflaster, das Rollen und Dröhnen der schweren Equipage, das unsinnige Peitschenknallen des Postillons machte Lärm genug, um die ohnedies neugierige Einwohnerschaft in eine Aufregung zu versetzen, die schon auf Straßenlänge vor dem Reisewagen herlief, und so auch in der Albergo Grande alles in Bewegung brachte, ehe der Postillon seine dampfenden Pferde vor dem Portal zum stehen brachte.

Der stattliche Wirt stand auf der Straße, hinter ihm ein paar Kellner, von denen jeder ganz unnötiger Weise eine Serviette über dem Arm hängen hatte, und die sich wie auf Kommando ebenso unnötigerweise mit der rechten Hand durch das Haar fuhren, während der Padrone eine sehr tiefe und devote Verbeugung machte.

Den Schlag zu öffnen wurde ihm aber eben so wenig, als dem rasch von seinem Sitz herabgekletterten Bedienten gestattet, sondern dieses Geschäft besorgte ein rasch vortretender hoher, schlanker, sehr stattlicher und hübscher Mann, den man, ohne eine Art von einfacher Livrée, die er trug, für einen vorausgeeilten Freund der Herrschaft gehalten hätte. Doch war es nur der Kurier, der aber das Hotel so vollständig in Besitz genommen zu haben schien, daß auf seinen Wink die beiden Kellner heranflogen, um der Französin herabzuhelfen, worauf ein anderer Wink dem Padrone befahl, bei dem Wagen zu bleiben und den Postillon zu bezahlen, während er selbst unter einer gewandten Verbeugung voranschreitend, die beiden Damen in ihre Gemächer führte.

Es waren dies geräumige, hohe Zimmer mit alten verblichenen Fresken, unscheinbar gewordenen Ledertapeten, Plafonds mit kaum noch sichtbarer Vergoldung und alten wurmstichigen Möbeln verschiedener Jahrhunderte, unter denen sich neue Fauteuils und Ruhebetten mit modernen Überzügen sonderbar genug ausnahmen.

Da es indiskret wäre, länger bei den Damen zu verweilen, besonders da die ältere im zweiten Zimmer schon damit beschäftigt war, alles, was nicht hand- und hakenfest an ihrer Toilette war, in die Hände der sie ehrerbietig begrüßenden Kammerfrau gleiten zu lassen, so entfernen wir uns, wollen nicht einmal unserer Phantasie erlauben, uns mit herabgelassenen Vorhängen zu beschäftigen, mit dem Geplätscher in laulichem Wasser, mit dem erfrischenden Duft von Eau de Cologne und wollen es nur gläubig als ein natürliches Wunder erklären, daß nach Verlauf einer guten Stunde selbst die Tante in einem Schimmer von Jugendfrische und hellblauer Seide auf der Terrasse erschien, Nella aber in einem weißen Kleide, in welchem sie vollkommen unsere frühere Bezeichnung einer eben aufbrechenden Rosenknospe, sowohl der Frische als dem Dufte nach, rechtfertigte.

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Auch war die Stimmung des jungen Mädchens jetzt eine ganz verwandelte, sie schaute, an die Brüstung der Terrasse tretend, mit weit offenen, leuchtenden Augen um sich her, auf das Meer hinaus, dessen feine sanfte Uferlinien sich in meilenweiter Ferne gegen Gaëta und Neapel zu im Dufte verloren, während am andern Ende des sanften Bogens, in welchem Terracina liegt, das märchenhafte Cap de Circe jetzt beim letzten Leuchten des Abendsonnenscheins wie ein großer Edelstein, geheimnisvoll von homerischer Sage umrankt und glänzend gefaßt, herüberfunkelte.

»Wie schön, wie entzückend schön – wie wundervoll! –«

Die Tante hatte die begeisterten Worte des jungen Mädchens wie eine kindische Schwärmerei entgegengenommen und schien nicht viel Wert auf die vor ihr ausgebreiteten landschaftlichen Reize zu legen, um so weniger, als eben jetzt Signor Carlo, der schöne Kurier, an der Seite des dicken Wirtes auf der Terrasse erschien, um der gnädigsten Herrschaft selbst zu melden, daß das Diner bereit sei, serviert zu werden.

»Nicht war, beste Tante, auf der Terrasse?« bat das junge Mädchen mit strahlendem Auge, »es ist so himmlisch hier außen und wird später noch tausendmal schöner werden, denn die blasse, kaum sichtbare Mondscheibe da oben wartet nur auf die eintretende Dunkelheit, uns mit ihrem entzückenden Lichte zu erfreuen – nein, wahrhaftig, ich bin zu glücklich – zu glücklich!«

»Giebt es nichts von Mosquito's oder ähnlichem Geflügel hier, was uns im Freien zu sehr belästigen könnte?« fragte die Tante – auch fürchte ich mich vor den in der Dämmerung herumschwärmenden Fledermäusen!« Doch beruhigte sie der Wirt durch ein so zuversichtliches Schütteln des Kopfes und eine so entschieden abweisende Miene, verbunden mit einem Aufwerfen des Kopfes und jenem, dem Italiener eigenen streng verneinenden Zungenschnalzen, daß alsbald Erlaubnis gegeben wurde, den schon drinnen bereit stehenden Tisch zu zwei Gedecken herauszuholen, worauf das für die Verhältnisse ganz vortreffliche Diner seinen Anfang nahm. Unterdessen spielten die weichen Lüfte ihre schönste Abendsymphonie und die untergehende Sonne goß die wunderbarsten, prachtvollsten, stets wechselnden Farbenlichter über Land und Meer aus.

Das junge Mädchen schien in dem zauberhaften Schauspiel, das sich ihr bot, vollständig aufzugehen. Sie hatte ihre Hände auf dem Tisch zusammengelegt und erhob jetzt von der unsagbaren Meerespracht langsam ihre Blicke gegen die schöner werdende Mondesscheibe, mit vollen Zügen atmend, als wollte sie das wunderbare Licht und die süßen Düfte einsaugen. Auch die Tante schien jetzt von ähnlichen Gefühlen bewegt, denn nachdem sie den noch nicht einmal ganz geleerten Früchtenteller von sich geschoben, sagte sie, in ihren Stuhl zurückgelehnt: »Ein unvergeßlicher Abend, Nella – wahrhaftig, habe ich doch nie ein Bild gesehen, was mich so bezaubert hätte, wie diese einfache ungekünstelte Natur! – Ich wüßte mir wahrhaft keine Steigerung, als wenn jetzt – – Herr des Himmels!« unterbrach sie plötzlich, sich lebhaft aufrichtend, ihren Redestrom – »das ist ja wie expreß arrangiert – köstlich, köstlich – ganz deliciös!«

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Es war der einfache Klang eines Glöckleins, welcher sich weich und melodisch durch die stille Abendluft schwang, was die ältere Dame so sehr in Ekstase versetzte, aber auch das junge Mädchen tief bewegte. »Ach, der Klang dieser Abendglocke hier in Terracina erinnert mich lebhaft an jenen reizenden Moment in der Oper, wo vom Turm der Einsiedelei das Zeichen erschallt, daß alle Carabinieri aufgesessen sind und kein Soldat mehr zu sehen ist.«

»Mir, liebe Tante,« erwiderte das junge Mädchen mit einer leisen, fast furchtsam klingenden Stimme, »fiel dabei ein, wie sich jetzt der Klang des Ave Maria's, der Sonne nachfolgend, um die ganze Erde schlingen, und wie es wohl sein könnte, daß bei diesem Glockenton die Lieben in der Heimat gerade so lebhaft an uns dächten wie wir an sie und an die liebe deutsche Heimat.« –

In diesem Augenblicke aber geschah etwas, was die Tante an Zauberei glauben ließ und auch auf Nella einen ergreifenden Eindruck machte: drunten im Garten – der letzte Ton des Glöckleins war eben verhallt – erklang ein vierstimmiger Männergesang und was das wunderbarste war – in deutscher Sprache:

»Droben stehet die Kapelle,
Schauet still in's Thal hinab,
Drunten singt bei Wies' und Quelle
Froh und hell der Hirtenknab.«

Es waren frische, jugendliche Stimmen, welche sangen, und als das Lied dann schloß und die Worte verhallten:

»Hirtenknabe, Hirtenknabe,
Dir auch singt man dort einmal!« –

da klang es mächtig wider in dem Herzen des jungen Mädchens und ihre Augen füllten sich mit Thränen.

»Hirtenknabe, Hirtenknabe,
Dir auch singt man dort einmal!« –

»Nein!« rief die Tante begeistert aus, »wenn mir das Signor Carlo arrangiert hat, so weiß ich nicht, wie ich ihn dafür genügend belohnen soll.«

»Aber wie können Sie nur so etwas denken! Sie halten doch die Leute, die da unten – hier in Terracina – gesungen, nicht für reisende deutsche Bänkelsänger!«

»Ah, diese Böhmen und Tiroler ziehen überall herum, aber wir wollen ja bald erfahren wer sie sind.« Sie ließ die Glocke auf dem Tische erklingen.

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So leise diese Unterhaltung geführt worden war, schien sie doch gehört worden zu sein, denn drunten im Garten lachte es hell und lustig auf und eine schöne Tenorstimme recitierte:

»Nie sollst du mich befragen,
Noch Wissens Sorge tragen,
Woher ich kam der Fahrt,
Noch wie mein Nam' und Art!«

»Aha, er wittert schon wieder eine Elsa!« rief eine andere Stimme.

»Bah, er dachte wohl nur an Signora Schmetterer-Schabadinski, die er in Rom gehört, halb Deutsche, halb Italienerin, oder frei nach Kotzebue halb Mensch, halb Engel, deren besserem Teile er seine kleine Neigung zugewendet.«

»Unsinn!«

»Aber wo steckt denn dieser schreckliche Fra Diavolo wieder einmal?«

»Ich sah ihn vor der Dämmerung drunten am Strande liegen, wie er freudvoll oder leidvoll auf die blaue Flut hinaus schaute.«

»Wenn es da noch Sirenen zu belauschen gäbe, so begriffe ich das, aber aus dem Farbenspiel machte er sich doch sehr wenig!«

»Er wird ein Sonett dichten auf die verräterische homerische Heldin, die dem wundervollen Vorgebirge da draußen den Namen verlieh. Ein neuer Petrarka!«

»Aber ein Petrarka ohne Laura!«

Es war das alles so laut gesprochen worden, daß die Damen auf der Veranda jedes Wort verstehen mußten. Als nun die Stimmen für einen Augenblick schwiegen, sagte Nella leise: »Das sind Landsleute! Sie haben unsere Unterhaltung belauscht, scheinen es aber nicht übel zu nehmen, daß du sie für reisende Musikanten gehalten. Ach Tante, ich kann dir gar nicht sagen, wie mich hier in der Fremde die so plötzlich erklingenden deutschen Worte anheimeln! Fühle ich mich doch fast wie durch Zauberei an einen unserer lieben deutschen Seen versetzt! Ist es nicht wunderbar, hier in Terracina so unverhofft eine ganze Gesellschaft von Landsleuten zu finden, ein Uhland'sches Lied singen zu hören!«

»Nun, wunderbares vermag ich gerade nicht darin zu finden, daß sich reisende Musikanten in deutscher Sprache unterhalten und ihre Produktionen geben!«

»Aber Tante, nachdem, was sie gesprochen, kann man sie doch nicht unter die Klasse gewöhnlicher Musikanten zählen, die mit ihren Instrumenten die Welt durchziehen und unser Mitleid erregen!«

In diesem Augenblick trat Signor Carlo auf die Terrasse.

»Die gnädige Frau haben schon vor ein paar Minuten nach mir geklingelt,« sagte der gewandte und überaus höfliche Kurier, an den Tisch tretend, »doch befand ich mich drunten bei den Reisewagen und vermochte deshalb auch nicht so rasch zu erscheinen!«

»Oh, es hatte auch keine so große Eile – ich wollte nur – was wollte ich denn eigentlich, Nella? – ja richtig, mich nach den Leuten erkundigen, die soeben da unten im Garten gesungen haben.«

»Das sind reisende Künstler, Euer Gnaden!«

»Nun hörst du es wohl, mein Kind, wie recht ich wieder einmal gehabt?« sagte die Tante, dem jungen Mädchen würdevoll, wenn gerade nicht unfreundlich, ein paar mal zunickend – »reisende Musikanten, wie ich gesagt und da uns diese Leute recht erfreut haben,« fuhr sie gegen den Italiener gewendet fort – so wollen Sie ihnen in meinem Namen einige Napoleons zukommen lassen.«

»Aber – die gnädige Frau wollen entschuldigen – ich fürchte doch, die Fremden da unten werden diese Gabe nicht annehmen.«

»Wie so werden sie nicht? – reisende Musikanten!«

»Verzeihen Euer Gnaden, reisende Künstler habe ich gesagt, junge und ältere Männer aus Rom, Landsleute der gnädigen Frau, wenn ich nicht sehr irre, Maler, Zeichner, Bildhauer, Kunstliebhaber, die sich schon einige Tage hier und bei Terracina umhertreiben und in der That zu ihrem Vergnügen so hübsch singen, als man es von solchen Leuten nur verlangen kann!«

»A–a–a–ah! – – siehst du, Nella, es sind demnach doch gewissermaßen reisende Musikanten,« meinte lächelnd die Tante, worauf ihr das junge Mädchen scherzhaft zunickte und der Kurier fortfuhr:

»Sie sangen gestern schon im Garten vielstimmig ihre artigen deutschen Lieder, was eine englische Familie, die hier oben in den Zimmern der gnädigen Frau wohnte, so entzückte, daß sie die Herren zum Thee heraufbitten ließ.«

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»Das könnten wir ja gleichfalls thun; meinst du nicht auch, Nella? Signor Carlo würde bei uns bleiben!«

»Entschuldigen Sie, gnädige Frau,« erwiderte dieser in einem etwas verlegenen Tone, »aber die Herren da unten nahmen die Einladung Sr. Lordschaft nicht an, sondern meinten, wenn derselbe Vergnügen an ihren Liedern hätte, so sei er ihnen unten in der Muschel-Grotte mit seiner ganzen Familie willkommen, und darauf zogen die Engländer hinab und verlebten drunten einen recht vergnügten Abend.«

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»Siehst du, Nella, das wäre ganz meine Idee,« sagte die ältere Dame, sich aufrichtend.

»Ich weiß doch nicht, Tante, da wir ohne männliche Begleitung sind.«

»Was denken Sie davon, Signor Carlo?«

»Wenn ich mir erlauben dürfte, anderer Meinung als die gnädige Signorina zu sein, so würde ich sagen, daß ich besonders nach der Landessitte durchaus nichts unstatthaftes darin sehe, wenn die Herrschaften den wundervollen Abend unter meinem ganz ergebensten Geleite zu einem Spaziergang im Garten benutzen wollten und mir vielleicht gestatteten, daß ich einen jener Herren, die ich gestern abend die Ehre hatte, kennen zu lernen, darauf aufmerksam machte, daß die Damen, deren Kurier zu sein ich die Ehre hätte, eine Einladung in die Muschel-Grotte gewiß und dankbar annehmen würden. – Dürfte ich das, Euer Gnaden?«

»Ich sehe nichts Unschickliches darin, doch dürfte mein Name nicht genannt werden, es ist das immerhin besser; wenn man vielleicht später in Rom zufällig einen dieser Leute wieder sieht – verstehen Sie mich, Signor Carlo?«

»Gewiß – und habe mich stets bemüht, den Namen der gnädigen Frau nur den allerneugierigsten Beamten wissen zu lassen.« – Dabei lächelte er ganz eigentümlich verschmitzt und verminderte auch dieses Lächeln nicht, als ihm die ältere Dame mit aufgehobenem Zeigefinger sagte: »Ja, ja, Sie haben dabei schon einige Male Gräfinnen und Prinzessinnen aus uns gemacht!«

»Mit Vorbedacht, gnädige Frau, man ist dadurch hier zu Lande viel besser bedient und daß ich deshalb keine fürstlichen Preise ausgerechnet bekomme, werden mir die fürstliche Frau zugeben müssen!«

»Gewiß und ich bin auch darin, wie in allem, mit Ihnen sehr zufrieden – gehen wir also!«

Die Damen ließen sich leichte Mäntel geben und stiegen dann unter Führung des Kuriers in den Garten hinab, um unter einem köstlichen Laubdache von blühenden, duftenden Orangenbäumen, auf den mit feuchtem Meersande bedeckten Wegen spazieren zu gehen. Das Blättergewirre über ihnen war so dicht, daß kein Mondstrahl durchdringen konnte und man nur hie und da, wo sich eine kleine Lücke befand, aus dem Dunkel einen Stern hervorblitzen sah. Unbeschreiblich mild, warm und weich war die köstliche Seeluft, welche die Hitze des Tages angenehm abgekühlt hatte.

Unter der Terrasse, auf der die Damen vorher gesessen, befand sich die erleuchtete Muschel-Grotte, aus der fröhliches Lachen und Plaudern, sowie heller Gläserklang zu ihnen herüber drang.

Signor Carlo hatte sich entfernt und war langsam heranschlendernd in den Lichtschein getreten, der aus der Muschel-Grotte strahlte. Er war dort sogleich bemerkt und von einem jener jungen Leute angerufen worden:

»He, Signor Kurier, Ihre Herrschaft ist also angekommen, hat uns gegen allen Fug und Recht unsere Terrasse wieder in Besitz genommen, die wir schon mehrere Tage inne gehabt?«

»Was dieselbe sehr bedauerte, als ich sie davon in Kenntnis setzte,« erwiderte der gewandte Italiener und setzte dann lächelnd hinzu: »Sie beauftragte mich auch sogleich mit derselben Einladung wie gestern Se. Lordschaft, die ich aber, die gleiche Ablehnung erwartend, unterließ.«

»Natürlich, denn wir hätten doch Ihrer Herrschaft keinen Vorzug vor dem höflichen Engländer einräumen dürfen.«

»Vielleicht doch,« erlaubte sich der Kurier mit einer Verbeugung zu sagen, »da es nur Damen sind und obendrein aus Ihrer eigenen Heimat, wie ich vermute.«

»Deutsche – das hätte allerdings der Einladung einen anderen Anstrich gegeben, und wer sind die Damen, wenn man fragen darf?«

»Die Frau Herzogin von Gerolstein mit Prinzessin Tochter,« erwiderte, sich aufrichtend, der Kurier in ernstem Tone.

Ein heiteres Lachen erscholl an dem ganzen Tisch, an dem einzelne Ausrufe erklangen: »Ah, das ist köstlich, welche Ehre für uns; wie schade, wenn wir es versäumten, die berühmte Fürstin von Angesicht zu Angesicht zu sehen! – La Grande-Duchesse de Gerolstein!« – worauf Einer lustig intonierte und dann die Übrigen im Chor einfielen: »Nimm hin den Säbel den einst mein Vater mir gab!«

»Das ist jedenfalls eine gesunde und amüsante Idee, zeugt von heiterer, geistreicher Laune und könnte mich bestimmen, um die Ehre zu bitten, der Frau Herzogin vorgestellt zu werden. – Wäre das möglich?« wandte er sich an den Kurier, der mit unerschütterlicher Ruhe zur Antwort gab: »Die hohen Damen, erfreut durch den Gesang, den sie vorhin vernommen, promenieren gerade im Garten und würden, wie ich glaube, einer geziemenden Einladung gerne Folge leisten.«

»Gehen wir auf den Scherz ein,« rief ein hübscher junger Mann, sein blondes lockiges Haar aus der Stirne streichend, »und wenn es euch recht ist, so lasse ich mich der Frau Herzogin vorstellen und bitte in eurem Namen, sie möge uns die Ehre ihrer Gegenwart vergönnen.«

»Sehr gut, thu' das, Roland!« rief es ringsumher und einer setzte hinzu: »Du bist der rechte Kerl für diese Sendung.«

»Wollen Sie mich vorstellen, Signor Corriere?«

»Mit Vergnügen, wenn ich um ihren Namen bitten darf.«

»Ja so – wie heiß' ich den eigentlich, um auf den Scherz einzugehen und dieser Vorstellung Ehre zu machen?«

»Nun, wie wirst du heißen, du nennst dich ›Herr Baron‹ so ist die Sache gut.«

»Also ›Baron Roland‹, Signor Corriere und wenn es Ihnen gefällig ist, so gehen wir.«

Damit gingen die Beiden zusammen fort und ließen die Anderen in der heitersten Laune zurück.

»Das verspricht schon etwas mehr,« meinte Einer, »als die gestrige steife englische Bescherung, wo es notwendig war, jeden einzelnen von uns mit pünktlichster Gewissenhaftigkeit, ja fast durch Visitenkarten legitimiert, vorzustellen und obendrein noch jeden Dichter und Komponisten unserer herrlichen Lieder speziell mit Sr. Herrlichkeit bekannt zu machen.«

»Ich bin nur begierig,« sagte ein sehr junger Mann von etwas schüchternem Äußern, »wer unter der Maske der Herzogin von Gerolstein eigentlich steckt! Aber wäre es denn unmöglich, daß –«

»Es wirklich eine Herzogin von Gerolstein giebt?« schnitt ihm ein Anderer das Wort vom Munde weg – »Possen, es ist ein angenommener Name, wie der deinige auch ›schwäbischer Konradin‹!«

Fast im gleichen Augenblicke traten die Damen in den Lichtkreis vor der Muschel-Grotte, ehrerbietig von Roland begleitet, sowie gefolgt von dem Kurier, und sofort erhoben sich sämtliche Anwesenden, um die Eintretenden ehrerbietigst zu begrüßen.

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Man sah offenbar, daß sowohl die stattliche Figur der ältlichen Dame in ihrer gewählten reichen Toilette, vielleicht aber noch mehr die frische, wohlthuende Schönheit des jungen Mädchens einen sehr angenehmen Eindruck auf die Künstler machte, unter welchem Eindruck dieselben sich beeilten, ihre Sitze zu verlassen, die Damen am Eingang der Muschel-Grotte zu empfangen und sich der Herzogin von Gerolstein und Prinzessin Tochter einzeln vorstellen zu lassen, was begreiflicher Weise nicht ohne beiderseitiges Lächeln von statten ging: – »Konradin von Schwaben« – »Ugolino, der Verhungerte« – »Abällard von der –« hier hustete der Betreffende so gewaltig, daß der Vorsteller, Baron Roland, augenblicklich zum Nächstfolgenden überging: »Cosmus von Medicis, der Beschützer der Kunst« – »Nero, der Gemütliche« und »Rinaldo Rinaldini«.

Da es sich keiner der Vorgestellten nehmen ließ, die Damen mit einigen passenden Worten anzureden oder anzustottern, so vergingen schon einige Minuten, ehe es dem verhungerten Ugolino, der gewissermaßen eine hervorragende Stellung einzunehmen schien, gelang, die Damen an den Ehrenplatz des Tisches zu führen und die dort, wie an allen Wänden, befindliche Holzbank durch Ausbreiten eines Mantels behaglicher zu machen.

Ugolino der Verhungerte war eine untersetzte, äußerst kräftige und wohlgenährte Gestalt mit von Gesundheit strotzendem Gesichte, wenig Haar auf dem Scheitel, dafür desto mehr an Wangen und Kinn, welche ein dichter rötlicher Vollbart umgab. Offenbar selbst erst im Anfang des kräftigsten Mannesalters stehend, war er doch der älteste dieser Künstlergesellschaft, von welcher sich die meisten in der höchst angenehmen Lebensperiode zwischen Zwanzig und Dreißig befanden, lauter hübsche, angenehme, junge Leute mit ausdrucksvollen, geistversprechenden Zügen. In ihren Toiletten waren kurze Joppen vorherrschend, die sich bei Einigen durch leichte Verschnürungen der Landestracht näherten und dann zu den kurzen Beinkleidern und Gamaschen vortrefflich paßten. Die Meisten von ihnen hatten zu Anfang des Frühlings die Albaner- und Sabinerberge durchstreift, waren dann in dem unbeschreiblich schönen Volsker-Gebirge umhergeklettert, hatten das nahe bei Cori liegende Nimfa besucht, jene halbversunkene Stadt, die begraben liegt unter der fabelhaften Üppigkeit einer herrlichen Pflanzenwelt, halbzerfallene Gebäude mit herrlichen Säulen, prächtigen Friesen, großartigen Portalen und Fenster-Einfassungen, Überreste alter Tempel und christlicher Kirchen, all' das mit Ranken umsponnen und mit tausenden von Blüten und Blumen bedeckt, – Andere hatten am lateinischen Ufer das eigentümliche Nettuno besucht, hatten dort bei den schönsten Frauen der Umgebung Roms, deren prachtvolle Kostüme, rot mit Gold, sich heute noch in vollem Glanze erhalten haben, ihre Studien gemacht und verweilten nun hier einige Tage in Terracina in süßem Nichtsthun, ehe sie sich nach Rom und zu ihren Arbeiten zurückzogen. Hier in der Albergo Grande ließ sich recht behaglich und beziehungsweise auch billig leben. Dafür hatte der erfahrene Ugolino gesorgt, indem er ein ganz annehmbares Abkommen mit dem Wirte getroffen, das dieser in Voraussicht einer in diesem Jahre fremdenleeren Herbstsaison angenommen hatte.

Übrigens sparten oder sorgten diese Künstler durchaus nicht während dieser Erholungszeit und hatte hauptsächlich der vorsitzende »Verhungerte« kostspielige Studien gemacht, um aus einem piccolo vino di Falerno sol persiche di Calabria, zu deutsch aus einem leicht und angenehm schmeckenden Falernerwein mit kalabrischen Pfirsichen eine kühle Bowle zu brauen, denn die meisten dieser Künstler waren Rheinländer, die das streng abgesonderte Trinken, jeder aus der eigenen Flasche, nicht so behaglich finden, als einen gemeinsamen Trunk, der sich auch besser zu einem fröhlichen Rundgesang eignet. Deshalb saßen sie auch jetzt wieder in ihrer Muschel-Grotte zu Terracina um ein altes mächtiges Majolica-Gefäß, und daß der Trunk, den sie mit einem aus Olivenholz geschnitzten Löffel austeilten, nicht zu verachten sei, gestand lächelnd die Frau Herzogin von Gerolstein, nachdem sie von dem ihr dargebrachten Glase genippt.

Was die Muschel-Grotte anbelangt, so war das ein mit Schalen aller möglichen Seetiere ausgefüllter Raum, der bequem ein Dutzend Personen fassen konnte und jetzt durch die Lichter, die auf dem großen Steintische standen, glänzend erhellt, ein ganz stattliches Ansehen hatte.

Was wir von dem Sommerleben der Künstler vorhin erzählt, war den Damen in allgemeinen Umrissen mitgeteilt worden und hatte die Frau Herzogin dagegen erzählt, daß sie einen Teil des Sommers auf einer hochgelegenen Villa bei Castellamare, sowie in Sorrent zugebracht, dann Capri besucht und jetzt im Begriff sei, nach Rom zu gehen, wo sie den Winter zubringen wolle.

»Eine ganz rationelle Art, in Italien zu reisen,« sagte Ugolino, »die ich jedem meiner Landsleute anrate, statt im Winter nach Neapel und Sorrent zu gehen und dort meistens zu frieren, wie das A– –nanas im Freien.«

»Und die gnädigste Prinzessin haben den Sommer von der Hitze nicht gelitten?« fragte Baron Roland.

»Nicht mehr wie auch in der Heimat.«

»Die Heimat!« – lächelte Konradin von Schwaben aufwärts blickend, »wie freue ich mich, den ersten Schnee wieder zu sehen und bin doch erst zwei Jahre hier!«

Die Herzogin von Gerolstein nickte beistimmend und Ugolino rief aus: »Ja, meine verehrten Freunde und hochverehrten Gäste, dies Glas der deutschen Heimat, mit ihren schroffen Bergen und tiefen Seen, mit ihrer wechselvollen Wetterlaune, mit ihrer Kälte und ihren scharfen Winden, die Geist und Körper stählen, während die welsche Luft erschlafft, so daß wir uns hier kaum tiefen Empfindungen hinzugeben vermögen, ich meine jene Empfindungen, die uns trotz Wetter und Sturmgeheul über Berge und Höhen treiben, um das Köstlichste zu erreichen.«

»Dem Schnee, dem Regen, dem Wind entgegen,« sang Konradin von Schwaben schwärmerisch vor sich hin.

»Ja, ja, meine Jungen, so ist's, und diesem Gefühl wollen wir mit Erlaubnis der Frau Herzogin Ausdruck geben.«

Er überblickte rasch die Tafelrunde, schlug mit großer Sicherheit den betreffenden Akkord an und dann schlangen sich vier kräftige, wohlklingende Stimmen zu dem reizenden Quartett, das uns fast allen wohl bekannt ist:

»Dem Schnee, dem Regen,
Dem Wind entgegen,
Im Dampf der Klüfte,
Durch Nebeldüfte,
Immer zu! Immer zu!
Ohne Rast und Ruh!«

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Da geschah es, mitten im Gesange, daß das junge Mädchen, welches die Worte des Liedes wohl kannte, auch sicher schon über den Sinn derselben reiflich nachgedacht, und alsdann über vieles, was ihr trotz der Gelehrsamkeit des weiblichen Herzens doch nicht ganz klar geworden und nur in unbestimmten, süßen Bildern vor ihrer reinen Seele gaukelte, bei guten, gediegenen Büchern Rats zu erholen – da geschah es, wollten wir sagen, daß dies junge Mädchen, erregt durch die gesungenen Worte und umstrickt von dem Wohlklang dieser prachtvollen jugendlichen Männerstimmen, auch wohl unter der Einwirkung von Mondlicht und Orangendüften schwärmerisch aufblickte, und dann die schönen großen Augen vor Erstaunen weit öffnend, die Gestalt eines jungen Mannes bemerkte, der von draußen in den Lichtschein der Muschel-Grotte getreten war und mit seinen dunkeln glänzenden Augen gerade so unverwandt auf das junge Mädchen schaute, als diese, gleichsam gebannt durch seine Erscheinung, zu ihm hinüber blickte.

»Wie soll ich fliehen?
Wälderwärts ziehen?
Alles vergebens!
Krone des Lebens,
Glück ohne Ruh,
Liebe, bist du!«

Und wenn dieser junge Mann jetzt neben dem schönen Mädchen statt der wohlbekannten Gesichter seiner Freunde die abenteuerlichsten phantastischsten Gestalten gesehen hätte, so wäre er doch nicht im Stande gewesen, auch nur für einen Augenblick irgend etwas anderem seine Aufmerksamkeit zuzuwenden, als eben dieser schönen Unbekannten, deren Blicke einen ganzen Liebeszauber in sein Herz strahlten, und ihn unbeweglich an die Stelle bannten. Daß der junge Mann eine angenehme Gesichtsbildung hatte, versteht sich ganz von selbst, denn die geneigte Leserin wird es wohl schon erraten haben, daß wir es hier mit dem eigentlichen Helden unserer kleinen Geschichte zu thun haben. Wir wollen diese Vermutung unserer Wahrheitsliebe gemäß sofort ohne Umschweife bestätigen und selbstverständlich auch nicht unterlassen, den jungen Mann mit so viel Vorzügen des Körpers und des Geistes auszustatten, als nötig ist, um selbst auf die Tochter der Herzogin von Gerolstein einen tiefen Eindruck zu machen. Es war aber auch – Spaß bei Seite – ein hübscher, ja, was Gesicht und Figur anbelangt, Aufsehen erregender Bursche, welcher da so plötzlich in den Lichtkreis der Muschel-Grotte getreten war: ziemlich groß, schlank und dabei kräftig gebaut, sein Gesicht länglich, von gesunder Farbe, etwas gebräunt, dunkle glänzende Augen, tiefbraunes lockiges Haar, auf dem, etwas keck nach der rechten Seite hin, ein zugespitzter italienischer Hut saß, mit farbigem Band umwunden; dazu trug er jene bekannte kurze Joppe von braunem Samt, Gamaschen und kurze Beinkleider, an deren linker Seite ein langes Messer in der Scheide hing, während er auf der Schulter ein Gewehr mit der Sicherheit trug, die uns der häufige Gebrauch der Waffe verleiht.

Das Lied war verklungen, die Sänger schwiegen und damit war auch der Bann gelöst, der die beiden gefesselt hatte. Auch die Aufmerksamkeit der übrigen Gesellschaft begann sich wieder anderen Dingen zuzuwenden, so daß Konradin von Schwaben jetzt den Draußenstehenden bemerkte und in lautem herzlichem Tone rief:

»Ah! – Fra Diavolo, wo hast du so lange gesteckt?«

»Recht, mein Junge, daß du endlich da bist!« rief der gemütliche Nero, worauf Ugolino mit ernstem Blick beifügte: »Künftig laß es mich wissen, wenn du wieder nach den Sümpfen hinaus ziehst, denn man hat mich verantwortlich gemacht, junger Schwärmer, daß ich dich mit keinem Büffel zusammengeraten lasse und daß dir auch die Sirenen kein Leids zufügen – und nun setze dich – doch nein – wirf dich in Positur und laß dich mit allergnädigster Erlaubnis der Frau Herzogin von Gerolstein, sowie dero Prinzessin Tochter vorstellen. – Fra Diavolo, ein Mann von guten Sitten, der wohlgekämmte Sohn einer achtbaren Familie und beseelt von dem Streben, seinem Namen alle Ehre zu machen!«

»Doch hoffentlich nicht dem Namen, unter dem Sie uns eben vorgestellt wurden!« erwiderte die ältere Dame in einem Tone, dem man deutlich anmerkte, wie höchst angenehm ihr diese neue Bekanntschaft sei. War er doch ganz das Bild jenes tapfern und schönen Räubers, der, ein Schrecken der Heerstraße, doch noch gefährlicher war, wenn er mit Myladys Barcarolen sang.

Fra Diavolo ging bereitwillig auf den Scherz ein und bemühte sich, da Cosmus von Midicis so freundlich gewesen war ihm den Platz zwischen den beiden Damen abzutreten, dieselben mit Anmut und einem angeborenen vornehmen Wesen zu unterhalten, wobei er aber nie die Grenzen der Verehrung überschritt, die er der durchlauchtigsten Frau, sowie deren Prinzessin Tochter schuldig war.

Er erzählte von der eben so anstrengenden, als aufregenden Jagd in den Maremmen, wo man auf Enten und andere Wasservögel anschleichend, leicht einem Rudel Schwarzwild begegnen könne, und zuweilen genötigt sei, den Zweikampf mit einem ergrimmten Keuler aufzunehmen – eine Jagd, bei der man, wie auch er heute, häufig ohne Beute heimkehre und dann zuweilen noch überdies das Unglück ertragen müsse, kostbare Stunden in schöner Gesellschaft versäumt zu haben.

Er sagte das mit einem so gewinnenden Ausdruck des Bedauerns, direkt gegen die Frau Herzogin gewandt, entwickelte überhaupt eine so ausgesuchte Aufmerksamkeit gegen diese würdige Dame, daß dieselbe von der neuen Bekanntschaft förmlich entzückt schien. Für die Prinzessin hatte er nur dann und wann ein kurzes und dazu noch befangenes Lächeln, ja, wenn er sie einmal ansprach, was zuweilen auch geschehen mußte, so bemerkte man, wie er verlegen schien und nach einem passenden Worte suchte – rätselhaft und unbegreiflich bei einem jungen Manne, dem es sonst weder an Keckheit, noch an Selbstvertrauen fehlte, ja der es gewohnt war, daß ihm junge, sehr anständige Damen, zum Öfteren aus mehr als halbem Wege entgegen kamen! War ihm etwas begegnet, was ihm in seinem Leben noch nie wiederfahren, hatte er etwas gefühlt, was er nie zuvor gefühlt, war es der Blick aus ihren Augen, der, als die anderen sangen, zündend in sein Herz gedrungen?

Draußen buhlte indessen der Mondschein so verführerisch mit den Orangen und Zitronenbüschen, und der Nachtwind bewegte sie so sanft, daß sie zitterten und wie unter Liebesseufzern die berauschendsten Wohlgerüche ausströmten.


In der Muschel-Grotte war es still geworden. Die Sterne gingen ihre ruhige Bahn und glänzten hell aus den Garten, auf das schweigsame Haus und durch die Fenster aus das Lager der ruhig Schlummernden, als wollten sie neugierig deren Träume erlauschen. Diese Träume bildeten bei Verschiedenen, wie das häufig zu geschehen pflegt, nur eine Fortsetzung des gestern Erlebten oder Gedachten. Die ältere Dame besonders hatte einen gar angenehmen Traum: sie befand sich in dem Gasthaus zu Terracina, nicht in dem wirklichen, in dem sie schlief, sondern in dem ihrer Lieblingsoper, sie lustwandelte mit Fra Diavolo, wie er ihr gestern abend erschienen war und sang zu den Klängen der Laute, die er eben so meisterhaft zu spielen als graziös zu halten verstand, mit an einem wunderlichen Kanon, den sie stets in anderer Tonart und obgleich mit schmelzender Stimme, doch mit den höchst prosaischen Werten begann: »Bruder Jakob, Bruder Jakob, liebst du mich? liebst du mich?« – »In der Muschel-Grotte, in der Muschel-Grotte!« worauf alsdann zwei andere bekannte Stimmen in süßeren poetischen Worten einfielen, aber nur die Worte: »Liebst du mich? liebst du mich?« beibehielten.

Ja, sie erwachte darüber und der Traum hatte ihre Phantasie so lebhaft beschäftigt und aufgeregt, daß sie sich lauschend emporrichtete, auf jenes halbverklungene, wehmutsvolle »liebst du mich?« begreiflicherweise vergeblich horchend. Die Nacht zog in tiefem Schweigen über die schlummernde Erde dahin, kein Laut war zu hören, denn selbst der sanfte Ostwind, der sich gestern abend gerührt hatte, war unterdessen drunten in den Armen der Orangen und Zitronen sanft entschlummert.

»Liebst du mich?« – wer hatte denn gefragt? – sie selbst oder er, der kühne, schöne Räuber? Doch nein, sie hatte nur geträumt! Das war ja nicht möglich!

Und warum nicht? Waren ihr doch noch in jüngster Zeit ähnliche leidenschaftliche Fragen gestellt worden und zwar von noch jüngeren Leuten, von denen sie obendrein fast mit Bestimmtheit voraussetzen konnte, daß jene Frage lediglich ihrer wohlkonservierten Persönlichkeit galt und nicht den verschiedenen Millionen, die ihr vor zwei Jahren verstorbener Gatte, der Herr Fabrikant und Bankier Meierfeld, so freundlich gewesen war, ihr ohne jede Einschränkung zu überlassen. Sie hatte sich weder mit der Fabrikation halbseidener Waren weiter zu plagen, noch das Risiko in Geldgeschäften zu fürchten, sondern ihr großes Vermögen war hübsch und sicher angelegt, so daß sie nur vierteljährig den Bericht ihres Bankiers über die großen Summen entgegenzunehmen hatte, die unterdessen ihrem »Haben« wieder zugewachsen waren.

Daß sich Madame Meierfeld in den Vierzigen befand, konnte man ihr nachrechnen und war deshalb nicht zu leugnen, doch gab sie sich gerne das Ansehen einer Dreißigerin und sprach von den fünfziger Jahren als von etwas, das noch weit vor ihr in nebelgrauer Ferne liege.

Kinder hatte Corinna Meierfeld nie gehabt, woher es denn auch wohl kam, daß sie immer noch ein gewisser jungfräulicher Schimmer umgab, den zu erhalten und zu heben sie in außergewöhnlicher, wenn auch nicht immer ganz passender Toilette das Übermögliche that.

Was nun ihre junge Begleiterin anbelangt, so war dies die Tochter von Madame Meierfeld's einzigem frühverstorbenem Bruder, einem gewiß sehr tapfern Offizier dem es leider nicht vergönnt war, von dieser Tapferkeit zweckmäßigen Gebrauch zu machen, denn seine militärische Laufbahn schlich durch lange Friedensjahre wie ein kümmerliches Bächlein dahin und ließ den alten Premierlieutenant kläglich versanden, allerdings mit dem Charakter eines Hauptmann und dem Rechte, die Armeeuniform tragen zu dürfen. Nach dem Tode desselben – die Mutter war schon früher gestorben – war die kleine Eveline, von ihrer Tante in der Verkürzung Nella genannt, in dem Meierfeld'schen Hause ausgenommen worden und hätte sich in demselben vollkommen heimisch gefühlt, ja ihre Tante jedenfalls Mama genannt, wenn die damals noch sehr junge Corinna es nicht vorgezogen hätte, lieber eine vierjährige Nichte, als eine Tochter in diesem Alter zu besitzen, ein Verhältnis, das sich mit den Jahren leider noch verschärfte und zu ganz eigentümlichen Folgerungen Veranlassung gab. Denn je älter Tante Corinna wurde, um so jünger sollte das Kind erscheinen, wie Eveline sogar noch genannt wurde, als sich in ihrem fünfzehnten Jahre bereits Formen zu entwickeln begannen, die so gar nicht mehr zusammenpaßten mit dem ausgeschnittenen Leibchen des Kinderkleidchens und dem allzukurzen Röckchen.

Zu ernsteren Zerwürfnissen war es indessen niemals gekommen, denn das junge Mädchen fühlte eine unbegrenzte Dankbarkeit für alle ihr bewiesene Güte und liebte die Tante so aufrichtig, daß sie selbst die Schwächen derselben für Tugenden hielt, so, indem sie die oft übertriebene Putzsucht der Tante für sich selbst als warnendes Beispiel nahm und ihr beipflichten mußte, daß man in der Jugend in der Einfachheit der Toilette nicht übertrieben genug sein könne, um später durch ein Steigerung wirken zu können.

Doch gab diese Toilette-Steigerung der älteren Tante, besonders seit sie eine jüngere Witwe geworden war, trotz aller Zurückhaltung und Unterwürfigkeit Evelinens, zuweilen Veranlassung zu einem kleinen Wortwechsel, wenn das junge Mädchen nun einmal nicht anders mehr konnte, als aus irgend etwas im Anzuge der Tante aufmerksam zu machen, was offenbar zu den Unmöglichkeiten gehörte, vielleicht ein Hut, wie ihn vierzehnjährige Fräulein trugen, oder der Schnitt einer Robe, der, passend für eine leichte, schlanke Gestalt, bei den Körperformen der Frau Corinna geradezu abscheulich war.

Ein einziges Mal war sogar ein tieferer Schatten über das sonnenhelle Gefilde dieser Freundschaft zwischen Tante und Nichte geflogen, als sich nämlich ein junger Mann etwas auffallend um letztere bemühte und dadurch die erstere in sprachloses Erstaunen versetzte. – Sollte denn das Kind in der That schon eine Ahnung davon haben, daß junge Männer zu etwas anderem auf der Welt seien, als mit Bewilligung gewissenhafter Anverwandten zum Plaudern, allenfalls zum Tanzen? Sollte sie, den ihr so ernstlich und sorgfältig beigebrachten Theorien entgegen, jetzt schon die Vereinigung, welche wir Ehe nennen, für etwas Anderes nehmen, als eine für das Leben notwendige Verbindung, von vernünftigen Eltern mit Ausschließung jedes anderen Gefühles eingeleitet und in Vollzug gesetzt? – Sollte das kaum siebzehnjährige Kind irgend eine solche Regung empfunden haben? – unwahrscheinlich – unmöglich, – gewiß nicht! –

Und die Tante irrte sich diesmal nicht, denn damals war der Rechte für Eveline noch nicht gekommen. War er aber jetzt erschienen, hier in Terracina, und war es wirklich von tieferer Bedeutung, daß sich das junge Mädchen allein in ihrem Schlafzimmer jenes ersten auf sie gerichteten Blickes mit so süßer Wonne erinnerte, daß sie ihn, die Augen schließend, immer wieder hervorzuzaubern versuchte? – Ja, es war von tieferer Bedeutung, wie sie wohl an der Unruhe und dem Klopfen ihres Herzens fühlte, und wenn sie auch während der Nacht nicht den Mut hatte, von Stimmen zu träumen, die im Dreiklang sangen: »Liebst du mich? liebst du mich?« und so gleichsam laut eine Leidenschaft verkündeten, wie sie selbst sie empfand, so bettete sie doch die liebe Erinnerung in einen stillen Winkel ihres Herzens und beschloß, sich nie mehr von ihr zu trennen. Dabei gelobte sie sich selbst feierlich das tiefste Geheimnis und das unverbrüchlichste Stillschweigen, während die praktischere Tante beschloß, gleich am anderen Morgen die Einleitung zu einem kleinen freundschaftlichen Verhältnis mit Fra Diavolo möglichst sicher und umfassend in's Leben treten zu lassen.

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Zu diesem Zwecke hatte sie denn auch schon in aller Frühe, noch ehe sie sich aus dem Bette erhoben, durch ihre Kammerfrau dem trefflichsten aller Kuriere in Erinnerung bringen lassen, daß sie beim Frühstück einen Bericht erwarte, ob und wie eine Landpartie nach dem Turme von Astura, welche die Künstler am gestrigen Abend vorgeschlagen, ausführbar sei, worauf Signor Carlo die Rückantwort gab, daß alles auf's Beste eingefädelt sei und nur noch der Zustimmung der gnädigen Frau bedürfe – eine angenehme Nachricht, die wohl mit dazu beitrug, daß sie eine Stunde später auf der Terrasse so morgenfrisch und rosig angehaucht erschien, als nur Weiß und Rot in den Händen einer erfahrenen Kammerfrau ermöglichen können. Eveline dagegen war, ohne irgendwelche Nachhilfe, fast bleich zu nennen. Frau Corinna trug einen gelbseidenen, mit rot verbrämten Schlafrock und hatte den Kopf mit einer Haube geziert, die von purpurnen Fuchsien umrankt war; das junge Mädchen war im einfachen weißen Morgenanzuge erschienen und hatte das schwere glänzende Haar in dicken Flechten um den Kopf gewunden.

Ein prächtiger Morgen war heraufgezogen, aus der Terrasse war es, nachdem reichlicher Morgentau gefallen, angenehm frisch, und der Strand, die Inseln und die fernen Gestade leuchteten fast noch wonniglicher als am vergangenen Abend.

Tante Corinna hatte bereits den vortrefflichen Kurier empfangen, dem sie mit anmutigem Lächeln die Erlaubnis gab, sich auf einem seitwärts befindlichen Stuhle niederzulassen, während sie eine kleine Brotschnitte mit Honig beträufelte und durch Eintauchen in den Kaffee geschmeidiger machte.

»Ein schöner Tag, Signor Carlo,« sagte sie alsdann. »Herrlich, wenn wir ihn zu einer Landpartie benutzen könnten!«

»Was ganz vom Belieben der gnädigen Frau abhängt und wozu ich meine Vorbereitungen bereits getroffen.«

»So lassen Sie hören, ich bin sehr begierig darauf.«

»Eine Partie nach dem Turm von Astura, wie Signora gewünscht, ist zu Lande, wegen des schlechten Weges, besonders in den Waldungen am Strande, sehr beschwerlich auszuführen, eine Ruderbarke bis jenseits des Monte Circeo würde zu viel Zeit wegnehmen und so wäre ich fast in Verlegenheit gewesen, wenn nicht glücklicherweise gestern abend ein kleiner Dampfer von Neapel eingelaufen wäre, der für heute zu mieten ist. Der Dampfer hat den Vorteil, daß wir Maultiere für die beiden Damen an Bord nehmen können.«

»Sowie für unsere Gäste, denke ich.«

»Auch darüber erlaubte ich mir bereits Erkundigungen einzuziehen, fand aber die Herren Künstler ebenso dankbar für eine Einladung als entschlossen, die Damen zu Fuß und zum Schutze bereit zu begleiten.«

»Gut, und wann werden wir aufbrechen?«

»Es ist jetzt neun Uhr, und wenn Ihre Gnaden um zehn Uhr bereit sein wollen, so würde ich diese Abfahrtsstunde für die richtige halten.«

»So treffen Sie denn Ihre letzten Anordnungen und Sie werden uns ein Viertel vor zehn Uhr bereit finden.«

Damit entfernte sich der Kurier, dem Madame Meierfeld kopfnickend nachschaute, indem sie zu ihrer Nichte sagte; »Ist das ein Juwel von einem Manne! Wahrhaftig, ich weiß nicht, wie ich meinem Bankier in Mailand für diese Acquisition meinen Dank ausdrücken soll!«

»Gewiß, liebe Tante.«

Das junge Mädchen schien übrigens den Enthusiasmus ihrer Tante für den schönen Kurier nicht zu teilen, sie schaute träumerisch vor sich nieder und schnitzelte an einer Orangenschale. Waren ihre Gedanken schon vorausgeeilt zu den gewiß schönen Stunden, die im Laufe des Tages aus sie warteten? Wohl möglich, denn wenn an und für sich schon jede Landpartie für ein junges lebensfrohes Mädchen zu den höchsten aller Genüsse gehört, so noch ganz besonders eine solche, wo es sich darum handeln kann, mit einem jungen Mann, für den man sich interessiert, zusammenzutreffen, vom Verdeck eines Dampfers in die schimmernde Meerflut zu blicken, dann im Schatten von Oleandern und Myrten zu wandeln und schließlich in der Einsamkeit eines melancholisch gelegenen Schlosses ein Wort finden oder zu hören, nach dem man sich aus tiefstem Herzen gesehnt.


Der kleine Dampfer, den der Kurier für die heutige Fahrt Stella di mare gemietet, lag so nah als möglich an den zerbröckelten Hafenmauern von Terracina, doch bildeten ein paar breite und starke Planken eine solide Übergangsbrücke, welche für die Herzogin von Gerolstein mit Prinzessin Tochter dadurch gefahrlos gemacht wurde, daß die eingeladenen Gäste zu beiden Seiten Spalier bildeten.

Neugierige aus der Stadt, die am Ufer standen, Fischer die sich, die rote Mütze auf dem Kopf, in ihrem bunt bemalten Boot befanden, kleine Buben, die kaum mit einem Hemd bekleidet waren, drüben eine Gruppe von Weibern, die ihr Geschäft des Waschens und Plauderns unterbrachen, hinter ihnen ein paar schwarze Geistliche mit breiten Hüten, Alle sahen dieser Einschiffung zu, die dadurch noch etwas besonders Feierliches und Seltsames erhielt, daß sich die Herren auf beiden Seiten scherzhaft, aber dem Anscheine nach in tiefster Ehrerbietung, verneigten. Als nun gar ein alter Fischer, der schon häufig in Neapel gewesen war, in zuversichtlichem Tone zu seinem Nachbar sagte; »una principessa«, fand dieses Wort einen solchen Anklang, und ging verstärkt so rasch von Mund zu Munde, daß in Kurzem alle am Ufer Befindlichen fest überzeugt waren, auf dem lustig in die See hinaus dampfenden kleinen Schiffe befinde sich niemand Geringeres, als irgend eine fremde regierende Königin.

Zu diesem Irrtum trug allerdings die reiche Toilette der Herzogin von Gerolstein das ihrige bei, denn sie trug ein Kleid von schwerer bordeauxfarbener Seide mit weißen Spitzen besetzt, in ihren Ohren sowie auf einem Armband von mattem Golde funkelnde, ungewöhnlich große Brillanten, und der hellgraue Hut, diademartig aufgeschlagen und mit lang herabwallender Feder verziert, gab zugleich mit dem leichten weißen Mantel ihrer vollen Gestalt etwas stattliches, ja etwas Königliches, wie der höfliche Kapitän des Dampfers dem Kurier versicherte, nachdem dieser ihn der Patrona Serenissima vorgestellt.

Die Huldigungen, welche man ihr darbrachte, schienen der Frau Herzogin zu schmeicheln, denn ihr Gesicht strahlte von Befriedigung. Auch Eveline sah glücklich aus. Die Stimme des jungen Mädchens, das heute Morgen ernst, fast trübe erschienen war, klang jetzt fröhlich, ihr schönes Auge glänzte, und diese Veränderung hatte ein kleiner, an sich ganz geringfügiger Umstand hervorgebracht: als sich vorhin der Dampfer langsam vom Ufer entfernte – Tante Corinna war von den meisten der Herren begleitet, nach dem Vorderteil des Schiffes gegangen – hatte sich Fra Diavolo dem jungen Mädchen genähert und in einem eigentümlich klingenden Tone gesagt: »Gestatten Sie mir, liebenswürdige Prinzessin, Ihnen mein Glück, an dieser Fahrt teilnehmen zu dürfen, durch ein inniges Wort des Dankes auszusprechen.«

Er hatte das befangen, schüchtern, wie verstohlen gesagt, ja er war dabei ein klein wenig errötet und als er hierauf nach einer Verbeugung den andern folgte, traf sie ein so sprechender, warmer Blick seiner dunkeln Augen, daß sie unwillkürlich tief aufatmend stehen blieb, um dann, sich verlegen abwendend, auf das Meer hinauszuschauen.

Ugolino, der Verhungerte, war auch heute gewissermaßen wieder der Tonangeber seiner künstlerischen Freunde, sowie gleich zu Anfang der Vermittler ihrer Gefühle, indem er der Frau Herzogin eine klassische Rede hielt, oder vielmehr eine Rede, welche das klassische Ufer, an dem sie vorüberfuhren, mit in den tiefgefühltesten Dank hineinflocht, den er in seinem Namen sowie in dem seiner Freunde für die angenehme Einladung darbrachte.

Alle hatten sich auf's Beste geschmückt, die Hüte mit grünen Orangezweigen besteckt, auch wohl mit einer Guirlande der hier so prachtvoll blühenden und duftenden roten Nelken: unter allen aber hob sich Konradin von Schwaben als eine phantastische Erscheinung hervor, denn sie hatten ihm aus einem weißen Stücke Zeug einen langen, seine Kleider fast verhüllenden Mantel gemacht und aus die blonden Locken einen Lorbeerkranz gedrückt, zwischen dessen tiefgrünen Blättern gleichfalls einige tiefrote Nelken, Unheil verkündend dem letzten Hohenstaufen, wie der gemütliche Nero mit finsterem Stirnrunzeln sagte.

Der Himmel war unbewölkt und von glänzender Klarheit, das Meer eine glatte, leuchtende Fläche, die sich nur in den unmerklichsten Schwingungen hob und senkte und so dem kleinen Schiffe jene anmutige, kaum zu fühlende Bewegung mitteilte, die auf einer Seereise den Reiz der Fahrt erhöht. Auch hatte der umsichtige Kurier für ein kleines Vorfrühstück Sorge getragen und auf ein Tischchen in der Nähe des Radkastens dickbäuchige, strohumwundene Flaschen nebst weißem Brote, sowie eine Fülle von Früchten aller Art ausstellen lassen. Die jungen Künstler sprachen den Vorräten, besonders den Flaschen, wacker zu. Doch ließen sich auch die Damen nicht nur prachtvolle Trauben und frische Feigen gefallen, sondern auch einige Tröpfchen jenes dunkelroten Weines schmecken, der ganz ausgezeichnet in diesen glücklichen Gefilden wächst und mit einem süßen und milden Burgunder Ähnlichkeit hat: anregend, gesprächig machend, Herz und Lippe öffnend, weshalb es denn auch nicht Wunder nehmen konnte, daß auf ein Zeichen Ugolino's die schöne Meerfahrt durch vielstimmigen Gesang begleitet wurde. Und dabei fuhren sie an dem herrlichsten Gestade vorüber, dem Cap de Circe entgegen, das über dem Meere in leuchtenden Konturen schwebte, fast zauberisch in Licht und Schatten gemalt und durch Form und Erscheinung an die schönsten Felsen Europa's erinnert, an die Insel Capri und den Rosalienberg bei Palermo. Hoch oben lag wie ein weißer leuchtender Punkt der kleine Flecken San Felice, rückwärts im Halbkreise zeigten sich die Laubmassen des Waldes von Asturien und über alles das hinaus ragten in tiefblauer Farbe die malerischen Volskerberge.

»Seltsam,« meinte Ugolino, »wie wir alle zu dieser Meerfahrt Vereinigten hier in diesen Gegenden unsere persönlichen oder Familienerinnerungen haben. Ich, zum Beispiel, um in aller Bescheidenheit zuerst von mir zu reden, hatte Verwandte bei jenem unglücklichen Reiterhaufen, der nach der verlorenen Schlacht von Tagliacozzo fliehend über diesen Strand sprengte, um deine Person, unglücklicher Konradin, in Sicherheit zu bringen, – du, gemütlicher Nero, bist dort drüben zu Antium geboren und wer weiß, ob das antike Mosaikpflaster, das man heute noch rings um die Mauern von Astura unter den Meeresfluten hervorleuchten sieht, nicht noch ein Überrest ist von einem deiner goldenen Paläste, wo du deine Bacchanalien hieltest und mit weißen Rossen triumphierend einzogst, als du von deinem mißglückten Schauspielerdebüt heimkehrtest!«

Der gemütliche Nero zog seine Stirn und die buschigen Augenbrauen finster zusammen, als er zur Antwort gab: »Du irrst, jener Palast befand sich dort drüben bei Antium, derselbe, wo mir die fatale Geschichte mit dem in Stücke gehenden Schiffe meiner Frau Mama begegnete, doch will ich dir etwas sagen, nachgeborener geringer Sklave: hüte dich hier an diesem Ufer, wo stets ein finsterer Geist über mich kommt, von meinem mißglückten Schauspielerdebüt zu reden – ein Wink von mir und man wirft dich den Haifischen vor.«

Alle lachten, mit Ausnahme Fra Diavolo's, der trotz der Ermahnung der älteren Gefährten immer noch wie verzückt nach dem Ufer schaute, still und in sich gekehrt dastand, nur zuweilen seine Augen verstohlen erhob, was so sehr seiner sonstigen Stimmung widersprach und deshalb so auffallend war, daß ihm Ugolino kopfschüttelnd sagte: »Höre, junger Bursch, du bist auf unserer Meerfahrt so verändert, daß ich dir unmöglich einen Vers darauf machen kann.«

»Ich? – fragte der Angeredete mit jenem erschreckten, Heiterkeit heuchelnden Lächeln, das Niemand zu täuschen vermag – »ich bin durchaus nicht verändert, nur ergriffen von all' dem Wunderbaren um mich her.«

»Nein, nein, du bist schweigsamer als sonst,« pflichtete auch der Medicäer, sowie Rinaldini und selbst Nero mit einem ausdrucksvollen Kopfnicken bei, was eine allgemeine freundliche Teilnahme für den jungen Mann kund gab, die man auch gestern abend schon durch allerlei liebevolle Kleinigkeiten hatte bemerken können. Es schien, als bekümmerten sich alle ganz besonders um das Wohl und Wehe Fra Diavolo's besonders aber Ugolino, der jetzt freundlich seine Hand faßte und ihn nach einem leeren Sitz zwischen sich und der Herzogin und zwar so unwiderstehlich niederzog, daß er, leicht errötend, die Gewänder der Dame streifte, was ihm aber durch einen äußerst freundlichen Blick auf's Bereitwilligste verziehen wurde.

Dadurch hatte er nun allerdings einen guten Platz gewonnen, die Aussicht aber auf das immer mehr zurückweichende Terracina, sowie auf allerlei Anderes verloren, was wir indessen diskreter Weise nicht näher bezeichnen wollen.

Man fuhr so dicht an dem Gestade, jenseits des Kaps der Circe hin, als es die flach anlaufenden Ufer nur erlaubten. Die Gesellschaft, von dem genossenen Weine angeregt, war laut und lustig geworden und als nun einer das Wohl der Schöpferin des schönen Tages ausbrachte, stimmten alle jubelnd ein und ein donnerndes Hoch scholl über die blaue Meerflut. Damit war man denn überhaupt in das breite Fahrwasser der Reden, Toaste und Gesänge gekommen und als Rinaldo, sein Glas erhebend, versicherte, er sehe droben auf der steilen Felswand die Circe, neidvoll dem Schiffer nachblickend, sitzen und als hierauf Konradin von Schwaben dies bestätigend oder parodierend hinzufügte: »Sie kämmt ihr goldenes Haar« – da dauerte es nicht lange, und aber die Wellen drang im kräftigen Männerchor das Lied:

»Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
Daß ich so traurig bin –«

das schöne, traurige Lied, welches Deutsche so gern anzustimmen pflegen, wenn sie lustig bei einander sitzen. Doch sah man hier auf dem Schiffe, wenngleich keine traurigen Gesichter, doch Züge, die im stande waren, sich durch einen einzigen Blick in ernste, erwartungsvolle, ja an's Melancholische streifende zu verwandeln, wobei es ganz eigentümlich war, daß diejenigen, welche dergleichen Blicke vielleicht ganz unbewußt wechselten, auch Scheu vor einem freundlichen Worte, deren doch so viele hier gewechselt wurden zu haben schienen! Dann nachdem das stimmungsvolle Lied verrauscht war und man nun wieder einmal erfahren hatte, daß alles schon einmal dagewesen und, daß auch hier am Tyrrhenischen Meer, am lateinischen Ufer, in altersgrauer Vorzeit schon eine Lorelei, genannt Circe, gehaust, löste sich der behagliche Kreis, indem sich die Herzogin erhob, wohl auf ein flüsterndes Wort des Kuriers, daß der Kapitän dem Lande zuwende, und alle ergingen sich auf dem Verdeck, bald zu Zweien oder zu Dreien plaudernd.

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Auch Fra Diavolo nahm verschiedene Male einen Anlauf, um sich der Prinzessin zu einem harmlosen Geplauder zu nähern, doch zögerte er stets auf halbem Wege, denn so sehr er sich auch abmühte, zu irgend einem gleichgiltigen Gespräche Stoff zu finden, es wollte ihm durchaus kein Anfang einfallen, und er fürchtete, entweder etwas zu Triviales zu sagen, oder etwas zu leidenschaftlich Erregtes.

Deshalb atmete er auf diesen schweren Gängen stets erleichtert auf, wenn ihm ein Anderer zuvor kam, wogegen er sich aber dann doch wieder ärgerte über die unbefangene leichte Art, mit welcher alle Anderen, selbst der schüchterne Konradin, die junge Dame anredeten, ja, er biß sich zornig auf die Lippen, als soeben der letzte Hohenstaufe, sich tief verneigend, seinen Lorbeerkranz zu den Füßen der Prinzessin niederlegen wollte, was diese aber lachend abwehrte und dafür nur ein einziges Blatt abbrach, das sie lächelnd zwischen den Strauß dunkelroter Nelken steckte, den sie am Gürtelbande trug.

»Wie man nur so unverschämt sein kann!« stieß er unhörbar zwischen den Zähnen hervor, als er fühlte, wie Jemand einen Arm unter den seinigen schob und umschauend Ugolino erblickte, der ihm seltsam lächelnd sagte: »Komm, mein Sohn, wir haben einen Weg,« – und dann eine halbe Minute später vor der jungen Dame stand.

Wie er dann so rasch und leicht unter Beihilfe des Freundes in eine Unterredung mit der Prinzessin kam, und wie sich dieselbe ohne Verlegenheit so angenehm weiter fortspielte, wußte er selbst nicht, doch sprach er viel Interessantes und Lehrreiches und sagte unter anderem, daß er Bildhauer sei, worauf Ugolino eigentlich ganz unnötig hinzusetzte: »Nur aus Neigung zur göttlichen Kunst und weil seine Eltern nichts gegen diesen kostbaren Zeitvertreib einzuwenden haben.«

In einer Erregung, die ihm wie ein leichter Rausch vorkam, trat er jetzt mit Ugolino von der jungen Dame weg und fühlte sich dann von dem Arm des Freundes leicht angestoßen, als dieser, ihn scharf betrachtend, sagte:

»Es ist nur schade, mein Junge, daß das eine Prinzessin ist und du nur ein ganz simpler Freiherr.«

»Glaubst du wirklich?«

»Na und ob! Die Tochter der Herzogin von Gerolstein!«

»Pah – Unsinn! Spaß!«

»Das glaubte ich gestern auch, und ›Herzogin von Gerolstein‹ ist natürlich ein angenommener Name, vielleicht aus Caprice, ich bin aber jetzt auf den Gedanken gekommen, daß, wer solche Landpartien arrangiert, doch etwas fürstliches an sich haben muß.«

»Das wäre ja entsetzlich!« hauchte der junge Mann, unverständlich für den Andern.

Damit waren sie in die Nähe der Anderen gekommen, welche die Frau Herzogin umstanden, und hörten die Letztere heiter sagen: »Gewiß und gerne nehme ich die ritterlichen Dienste eines so auserlesenen Hofstaates an und werde mir erlauben. Ihnen nach und nach Ihre Ämter zuzuteilen, denn für den Augenblick,« fuhr sie, sich umwendend, fort, »brauche ich, um an's Ufer geleitet zu werden, nur eines Reisemarschalls, zu dem ich Fra Diavolo hiermit feierlich ernenne.«

»Bravo! Ausgezeichnet!« rief es im Kreise. Der gemütliche Nero jedoch brummte in grämlichem Tone zu seinem Nachbar, dem Medicäer: »Auf einer Landpartie schließen die Funktionen eines Reisemarschalls so ziemlich den ganzen Hofdienst in sich, und wenn ich mir einen gewissen warmen Blick zu deuten verstehe, so glaube ich, die durchlauchtigste Herzogin hat nicht übel Lust, ihren Reisemarschall später zum Leibpagen avancieren zu lassen.«

Wenige Minuten später war der kleine Dampfer langsam an eine zerbröckelte Steinwand hingefahren und dort auf die bequemste Art festgelegt worden. Auch ging das Ausschiffen von Menschen, Tieren und Proviant auf's Leichteste von statten und hier war es, wo der neue Reisemarschall zum ersten male seine Funktionen antrat, denn die Herzogin stützte sich auf seinen Arm, als es dem Ufer zu über das zerbröckelte Gestein ging; dann mußte er ihr behilflich sein, das kleine sardinische Pferdchen zu besteigen, sie dabei einen Augenblick mit den Armen auffangen, da sie gefährlich im Sattel schwankte und dann zu Verhütung ähnlicher Schwankungen auf ausdrücklichen Wunsch in ihrer Nähe bleiben.

Ach wie gerne wäre er mit den Anderen lustig vorausgeeilt und mit welchem Neide hatte er bemerkt, wie Konradin von Schwaben und der Medicäer die Prinzessin auf ihren Zelter gehoben, wie diese dann, leicht, schlank und kühn im Sattel sitzend, ihr munteres Tier in Gang gesetzt und lustig vorangeflogen war, die Weiße, prächtig leuchtende Gestalt!

Doch hatte die Herzogin diesem raschen Vorausreiten mißbilligend zugeschaut und dann dem Kurier, der seiner vielfachen Geschäfte wegen gleichfalls beritten war, einige Worte gesagt, worauf dieser davoneilte und bei der Prinzessin so lange hielt, bis Alle herangekommen waren.

Der rasche, wenngleich kurze Ritt hatte das Blut der jungen Dame angenehm erregt, die zarte Farbe ihres Gesichtes schien geröteter, ihre Augen leuchteten, und sie seitwärts haltend alle an sich vorüberziehen ließ, hatte sie für den Gruß eines jeden ein Lächeln des Dankes, eine Neigung des Kopfes, eine freundliche Bewegung der Hand, mit alleiniger Ausnahme des armen Reisemarschalls, der an das Pferd der Herrin gefesselt, dieses sauren Dienstes halber doch vor Allen wohl einen freundlichen Blick verdient hätte und den es tief schmerzte, als er deutlich sah, wie ihr glänzender Blick auch nicht eine Sekunde auf ihm haftete.

Doch war sein Schmerz ein zu kleiner Schatten, um bemerkt zu werden, oder gar einzuwirken auf die heitere Stimmung der lustigen Schar, wie sie dahin zog an diesem herrlichen Ufer, am Rande des endlos blauenden Meeres, welches sich weiter und weiter in Licht und Duft aufzulösen schien.

Selbst für Ugolino und andere Künstler, die schon häufig hier gewandelt, bot heute wieder jeder Schritt Neues und Schönes, worauf sie die Freunde aufmerksam machten. Das Ufer besteht durchweg aus Sand von hochgelber oder glühendroter Farbe, oder aus vulkanischem Tuff. Die schöne bläuliche Stranddistel vom Baldischen Meer wächst hier allenthalben, wie die Scabiose und Kamille, aber statt der Weiden, der Erlen und Buchengebüsche muß man sich die Gewächse des Südens denken.

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»Wie unsagbar schön das alles auch jetzt ist,« begann Fra Diabolo die Unterhaltung mit seiner Dame, »so kann man es doch in seiner wirklichen Pracht nur im Frühlinge sehen: die weißblühenden Myrten in herrlichster Fülle, den Mastixstrauch, den Erdbeerstrauch, den goldigen Ginster, der alle Künste des Mittelalters so reizend umbuscht, und den wilden Oelstrauch! Wie malerisch hängen die Malven mit ihren großen weißen Kelchen und die zartfarbigen Brombeerblüten in überreichen Kränzen von den Büschen und ringeln sich schaukelnd über den Rand der Tuffwände hinunter; wie prächtig blüht unter duftigen Kräutern der klassische Acantus, breitet stolz seine schönen korintischen Blätter aus und streckt die hohe Blumenpyramide hervor, welche weiß- und rosagefärbte Blumenlappen bilden! Und wie entzückend alsdann die Nachtigal hier an diesem lyrischen Ufer ihren süßen Gesang erschallen läßt, nicht wie bei uns, wenige kurze Sommernächte, sondern wochenlang, nachdem schon alle andern Vögel schweigen, ist es gerade, als könnte sie sich von diesem Grün und dieser Wellenfrische nicht trennen, so unermüdlich läßt sie an der ganzen Seeküste ihre melodischen Liebeslieder erschallen.«

»Ach, im Frühjahr sollten wir wiederkehren! –« schmachtete die Herzogin.

»Gewiß,« gab Fra Diavolo willenlos zur Antwort, indem er mit düsterm Blick zur Seite schaute, wo Konradin von Schwaben eben beschäftigt war, etwas am Bügel der schönen Prinzessin zu schnallen, die, um dabei das Gleichgewicht nicht zu verlieren, ihre Hand auf die Schulter des letzten Hohenstaufen gelegt hatte.

»Laßt mich zufrieden mit eurer Blüten- und Nachtigallenzeit,« rief der gemütliche Nero in murrendem Tone, »es ist alles nur schön und recht von Herzen zu genießen, wenn die Jahre des Lebens dazu passen. Hier an diesem Ufer ziehe ich überhaupt den herbstlichen Ernst vor. Wenn ich hier zu meinen Füßen auf die Trümmer meiner ehemaligen Villen und Paläste schaue, auf all' die Zerstörung, auf die ganze schwermutsvolle Vergangenheit dieser Ufer, so gemahnt es mich wie herbstliche Entsagung. Das stete Rauschen der seufzenden Meereswellen, der endlos tiefgrüne Wald, der fort und fort das Meer begleitet, das Klagegeschrei der Habichte und Falken, die still und hoch schwebenden Adler, das Stampfen und Brüllen wilder Rinderheerden, Luft, Farbe, Ton, Gestalt der Wesen und Elemente sind hier erst im Herbste von ganzer, voller Wirkung.«

Wenn auch die Strecke vom Strande des Meeres bis zum Walde von Astura, der nun dicht vor ihnen lag, keine allzu ferne war, so stand doch die Sonne schon fast am höchsten, sendete heiße Strahlen hernieder, die von dem weißen Sande abprallten und von keinem Schatten gemildert wurden. Ringsumher brannte vom klarsten Himmel die mittägliche Glut, flimmerte das Cap der Circe, widerstrahlte Flammen auf dem Meere und goß Goldströme aus auf den regungslos dastehenden Wald von Astura, in dessen tiefen Schatten nun ein paar der Vorausgeeilten mit lautem Hallo sprangen.

Bald waren alle unter die hohen Buschpartien getreten, welche rings am Rande durch das dichteste Gestrüpp von Korkholz, Oleaster, Arabutus, Schwarzdornen und Myrten eine Vorhalle zum eigentlichen Walde bilden, wo auch die Damen von ihren Pferden abstiegen, und wo besonders das junge Mädchen unter Ausrufungen der Freude und des Entzückens all' das Schöne und in solcher Pracht nie Gesehene anstaunte.

Die Gebüsche, dicht von Schlingpflanzen durchzogen, oder von herrlichstem Epheu umsponnen, bildeten fortlaufende hohe Kuppeln – grüne Waldmoscheen, undurchdringlich für Sonne und Regen, Myrtengebüsch und Lorbeer strömten süßen Duft aus und ringsumher wehte ein Geruch von Wildnis, welcher wohlig alle Sinne durchdrang, ein Geruch, der nicht nur den Laubmassen entströmte, sondern auch aus dem wellenförmigen, von Quellen durchrieselten Boden emporstieg.

Und als die Gesellen auf dem weichen Boden, der allen Schall der Schritte dämpfte, noch eine kleine Weile gewandelt, drang ein deutsches Lied durch die Lorbeer- und Myrtenbüsche.

»Im Wald, im frischen grünen Wald,
Im Wald, wo's Echo schallt –«

und damit traten sie aus den duftigen Myrtengebüschen in den eigentlichen Wald, gingen unter riesengroßen breitwipfeligen Eichen auf lieblichen Waldpfaden und staunten die heilige Sonnendämmerung an, welche golden überall durch die Wipfel drang und ihre Lichter weit und breit spielen ließ. Die Pflanzen-Vegetation war von tropischer Pracht; der Epheu umschlang die Riesenstämme der Eichen, Stamm neben Stamm, denn die bei uns so schlanke Epheuranke bildet hier selbst einen gewaltigen Baum, umstrickt majestätische Eichen, ringelt sich mit Gewalt um sie, zieht sie gleich der Schlange zusammen, als wollte sie den ungeheuren Stamm mit den Wurzeln dem Boden entreißen und in herkulischer Umarmung ersticken, und Tausende grüner Äste, Zweige und tanzender Ranken läßt sie bacchantisch niederhängen und windet und knüpft ihre Schlingen durch das knorrige und laubige Eichengerüst fort bis zum sonnigen Wipfel, den der Flügelschlag wilder Waldvögel umzittert.

»Und nun gelagert in's duftige Grün!« rief Rinaldo Rinaldini nach einem tüchtigen Juhschrei, der, als in dieser Waldstille gänzlich ungewohnter Ton gewiß verschiedene Adler stutzig machte – »und nun gelagert dorthin, wo so verheißungsvoll allerlei wunderbare Gegenstände durch die Zweige blinken, an jenen Platz, den der treffliche Kurier mit solcher Umsicht gewählt, wo die Flaschen zierlich in Reih und Glied unter den kühlenden Fluten der Quelle ruhen, die freundlich dort den Gesteinen entquillt – Evivva!« –

»Hoch lebe die Herzogin von Gerolstein!« –

»Hoch, hoch, hoch!« –

Dann stiegen sie hinab in die kleine Bodenvertiefung und lagerten dort in so bunter Reihe als möglich. Doch waren es leider der Damen zu wenig, weßhalb auch die Herzogin in huldvoller Herablassung ihre Kammerfrau und die redselige Französin mit in den Kreis winkte, woraus dann der so stolze Medicäer, ja selbst der gemütliche Nero, keinen Anstand nahmen, sich, nachdem die Frau Herzogin im gnädigsten Selbstvergessen ihrer hohen Würde eigenhändig das Beispiel dazu gegeben hatte – ihre Hüte mit Epheuranken umwinden zu lassen.

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Daß Fra Diavolo auf die Art und von hoher Hand zuerst bekränzt worden war, versteht sich von selbst. Doch schien er nicht sehr empfänglich für so viele Gnade, ja nicht einmal dafür, daß ihm die edle Herrin mit eigener Hand das Glas mit blinkendem Weine bot, sondern er lag da, allerdings zu ihren Füßen, aber die ernsten Blicke gesenkt und wenn er die Augen je einmal aufschlug, so leuchteten sie hinüber zu der weißen blendenden Gestalt der holdseligen Prinzeß, die im Gegensatze zu ihm jetzt von einer sprühenden Heiterkeit war, die für Jeden, ihn allein ausgenommen, ein freundlich liebenswürdiges Wort hatte, die, ihr Weinglas in der Hand, es huldreichst gestattete, daß alle ihr zutranken – auch wieder mit jener einzigen Ausnahme, denn er machte ja keine Miene, seinen Kelch gegen sie zu erheben – die jetzt sogar erlaubte, daß Konradin von Schwaben ihr nicht nur knieend einen rasch zusammengewundenen Myrtenkranz überreichen durfte, sondern denselben auch eigenhändig auf das reiche Haar drückte.

Evoe! – ! –

Es war ein Glück, daß der unübertreffliche Kurier bei Bemessung seines Weinvorrates die Leistungsfähigkeit deutscher Künstler in Betracht gezogen hatte, allerdings auf Befehl der Herzogin, da diese ihren Hofstaat in größter Heiterkeit um sich sehen wollte, was ihr auch vollkommen gelang und wobei doch alles in den Grenzen der größten Schicklichkeit blieb.

Denn es hatte durchaus nichts Verletzendes, daß sich Rinaldo Rinaldini und Cosmus Medicis zu einer Tarantella aufschwangen, zu der sich nach einigem Sträuben die kleine Französin herbeiziehen ließ. Der Wahrheit gemäß muß freilich bemerkt werden, daß ihre Leistungen in der italienischen Tanzkunst einen leichten Beigeschmack von Mobile hatte, doch störte das ebensowenig, als daß der gemütliche Nero eine Horazische Ode gänzlich unverständlich deklamierte und daß selbst der gesetzte Ugolino sich in diesem Augenblicke vergeblich bemühte, ein ordentliches Quartett zu stande zu bringen, indem er auf's Taktvollste mit seinem kräftigen zweiten Baß einsetzte, denn der erste Baß und der zweite Tenor lächelten ihn gemütlich von der Seite an, und Konradin von Schwaben, der den ersten Tenor sang und jetzt glückselig zu den Füßen der schönen Prinzessin ruhte, meinte aufblickend: »Wozu jetzt irdische Lieder, da rings um uns heraus dem Rauschen der Baumwipfel, aus dem Plätschern der Quelle, aus dem Sonnengold, das in scharfen Linien dort herüberblitzt, aus dem Glanz der schönsten Augen himmlische Melodien erklingen!«

»Aber mit sehr irdischem Grundtone,« rief der gemütliche Nero, in den Wald hineinhorchend, wo jetzt ein langgezogener dumpfer Klang hörbar wurde, ungefähr wie der Ton aus einem jener riesigen Stierhörner, mit denen die Hirten ihre Signale geben, zuerst in weiter Ferne, dann sich näher und näher wiederholend.

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Jetzt knackte und raschelte es unweit in den Büschen und als alle erwartungsvoll dorthin schauten, sahen sie einen jener reitenden Hirten unweit vorüber galopierend dem bald ein zweiter und dritter folgte, während der letzte auf einer benachbarten Anhöhe hielt. Es waren kräftige, sehnige Gestalten in kurzem Wams, Schaffellhosen und Gamaschen, den roten Gurt um den Leib, worin das lange Messer stak, den zugespitzten Hut auf dem Kopfe, die lange scharfe Lanze in der Hand, auf magern, aber guten Pferden reitend.

Seitwärts im Walde hörte man auch schon den Lärm einer vorbeistürzenden wilden Herde, welche durch die reitenden Hirten aus ihrer Bahn, die etwas zu nahe an dem Ruhepunkt unserer Gesellschaft vorüber geführt hätte, abgelenkt worden war, und wer von den jungen Leuten rasch aufsprang und vorwärts eilte, sah, wie die ganze Herde, in eine wirbelnde Staubwolke gehüllt, in wilder Flucht vorüber jagte – ein grauser und schöner Anblick!

»Und nun auf nach Valencia!« rief Ugolino auf einen Wink der Herzogin und klatschte dreimal in die Hände, daß es weithin schallte, worauf denn auch alle in Kurzem zum Abzug gerüstet waren, um wieder an den Strand zurück zu ziehen und von dort die nur noch kurze Strecke nach dem Schloß Astura zurückzulegen.

Fra Diavolo allein war verschwunden. Hatte ihn nun seine Jagdlust der wilden Herde nachgeführt, oder zog er mit einem der malerischen Reiter, welche die Gesellschaft seitwärts geleiteten – genug, er war nicht da, als die Herzogin nach ihrem Reisemarschall verlangte, um den Zelter zu besteigen. Doch hob sie Ugolino in den Sattel, Konradin von Schwaben, den jener herbeigewinkt hatte, reichte ihr die Zügel, und dann sagte der Verhungerte: Allergnädigste Herrin, auch wir Anderen, zum Hofstaat deiner erhabenen Person gehörend, sehen eine Ehre darin, die Stelle jenes jungen Menschen einzunehmen und dich zu begleiten. Vergönne uns diese Gunst!«

Ob das nun mit Fra Diavolo abgeredet war, sind wir anzugeben nicht im Stande, vermuten aber dergleichen, denn kaum hatte die Gesellschaft den Wald und die vorlagernden Myrten und Laubwerkgebüsche verlassen, die Herzogin an der Spitze, die Prinzessin am Ende des Zuges, so erschien auch schon der Vermißte am Waldrande, um dann, in weiten Sprüngen folgend, rasch die junge Dame zu erreichen. Auch blieb er nicht schüchtern zurück, wie heute morgen, als er sie auf dem Schiffe anreden wollte, oder sah scheu zu Boden, er hob vielmehr sein Gesicht zu ihr auf und suchte ihre Augen mit solche inniger Ausdauer, daß sie nach einer kurzen Weile, wie sympatisch berührt, nicht anders konnte, als ihr schönes Haupt gegen ihn wenden, um ihre Blicke in die seinigen zu versenken, wobei in dem Ausdruck derselben etwas liegen mußte, was ihn mächtig und freudig bewegte. Er stieß einen kurzen Ausruf der Freude, des Entzückens zwischen den leicht geöffneten Lippen hervor, während er die rechte Hand rasch erhob, wie man wohl im Übermaß des Glückes zu thun pflegt – – ja, im Übermaß des Glückes, welches seine Brust erfüllte, bei dem süßen Blicke des heißgeliebten Mädchens, bei einem Blicke, der mit oder ohne Absicht nichts verschwieg und beredter war, als tausend Worte! – Gleichviel nun für ihn, ob sie Prinzessin oder gar Königin war, er fühlte, daß er sie lieben werde und lieben mußte, so lange er überhaupt atmete!

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Und bei alledem war dieser Blick ein so unverhältnismäßig kurzer gewesen, nur ein Augenblick, nur eine Ahnung höchster Seligkeit und kaum, daß er durch einen leichten Ausruf seine Brust zu erleichtern versuchte, als sie auch schon wieder den Voraneilenden nachschaute, vielleicht nur, um sich zu überzeugen, ob jemand rückwärts blickend auf sie achte, als sie hierauf den Myrtenkranz von ihrem Haupte nahm und ihn mit den Worten in seine Hand gleiten ließ: »Bitte, bewahren Sie ihn mir, er drückt mich!« Dann ließ sie ihrem munteren Pferdchen, das schon lange ungeduldig den anderen nachgestrebt hatte, die Zügel, und flog im Galop über den platten Sand dahin.

Wo der Glückliche den Myrtenkranz, welcher ihr schönes Haupt geschmückt, verborgen bewahrte, wissen wir nicht anzugeben – genug, er war im nächsten Augenblicke verschwunden, und wie es schien, wirkte er elektrisch auf den Besitzer, denn dieser schwebte nur so über die Ebene dahin, dabei das Rinnsal eines Baches so geschickt benutzend, daß er mit einem tüchtigen Sprunge aufwärts bereits die Spitze des Zuges erreichte, um dort von der Herrin über seine lange Abwesenheit in zarter Weise ausgescholten zu werden. Augenblicklich sollte er seinen Dienst wieder antreten, schmollte die Herzogin, doch war Ugolino so freundlich, sich in's Mittel zu schlagen und darauf zu bestehen, daß er selbst als Cicerone bei der Herzogin bleiben müsse.

Da lag es endlich vor ihnen, das Ziel ihrer Fahrt. Auf dem totenstillen, schneeweißen Strande zog sich eine schmale Düne in's Meer hinein, auf der eine kleine verfallene Kapelle verloren zu trauern schien über die Vergangenheit des Schlosses von Astura, das wenige Schritte davon mitten in der Meeresfluth steht, rings von den Wellen umspült, ein kleines Viereck von crenellierten Mauern, aus dessen Mitte ein Turm ragt. Alle näherten sich in andachtsvoller Stimmung und hielten schweigend vor der Brücke und dem noch geschlossenen Thore. Hier im Schatten der uralten Mauern und bei dem einförmig tönenden Anschlagen der Wellen las Ugolino aus seinem geliebten Gregorovius, welchen er stets wie ein Brevier bei sich trug, die dunkle Geschichte des Schlosses vor und versetzte so die Gedanken aller lebendig in jene furchtbar ernste und traurige Zeit zurück, als hier der blühende deutsche Kaisersprosse verraten und seinen Feinden überliefert wurde.

Dann hörte man die Schlüssel im Schlosse klirren, knarrend öffneten sich die Thorflügel, und als nun die Gesellschaft schweigend über die gemauerte Brücke bis zu der Umfassungsmauer und von dort über eine seufzende Zugbrücke in das Innere des Hofraums getreten war, wo sich der achteckige Turm erhob, fühlten sich alle von einem leichtbegreiflichen Schauer erfüllt und schauten fast mit Wehmut auf den jungen Mann im weißen Mantel, dessen blonde Locken auf seine Schultern niederfielen und der ihnen ein ergreifendes Bild des unglücklichen Konradins gab.

Ja, als der Schließer hastig wieder die Thorflügel schloß – es sei dies der Befehl, sagte er – verstärkte sich der eben empfangene Eindruck so sehr, daß jeder, als gehöre er gleichfalls zu jener geächteten unglücklichen Schar, in ernste Gedanken versenkt, auf der plumpen Steintreppe emporstieg und oben die traurigen Turmgemächer betrat, an deren verwitterten Wänden die Spinne ihre Netze webt und sich der giftige Skorpion als würdiger Bewohner dieser Unglücksstätte eingegraben hat.

Wie so oft trat aber auch hier die liebevolle Natur versöhnend ein. Der Blick aus den Fenstern nach allen Fernen rings umher, in die grünen Wälder landeinwärts und auf die schimmernde Meeresflut draußen, über welche die beschwingten Schiffe gleiteten, war wundersam, ja wahrhaft berauschend. Fra Diavolo lehnte an einem der schmalen Fenster und ließ die Blicke erinnerungsvoll über das Meer schweifen, dorthin, wo das schöne Sicilien liegt, und wo unter ewig blühenden Gärten am seligsten Gestade der Welt jenes Schloß von Palermo steht, in dem einst Friedrich als Jüngling gelebt und gesungen! Welch' glänzender Anfang des gewaltigen Geschlechts und welch' schauriges Ende! – »Wer sollte da überhaupt noch auf Glück hoffen dürfen!« Die letzten Worte hatte Fra Diavolo unbewußt laut gesprochen und er fuhr fast erschreckt zusammen, als er eine weiche Stimme in klagendem Tone sagen hörte: »Und doch sind Hoffnung und Erinnerung oft das Einzige, was uns bleibt!«

Er wandte sich rasch in das Turmgemach zurück, doppelt erstaunt, es gänzlich leer zu finden, denn alle waren bereits wieder in den Hof hinabgestiegen, alle, mit Ausnahme der Prinzessin, welche der schweigsame Diener drunten erwartete, während sich die Herzogin mit ihrem Gefolge schon nach dem schmalen Pförtchen begab, das auf's Meer hinausging und wo der kleine Dampfer vor Anker lag. Als Fra Diavolo daher, den andern folgend, rückwärts schaute, erblickte er die weiße schlanke Gestalt noch oben auf einem kleinen Erker im Turm, in das Meer hinausschwärmend, dicht neben dem Fenster, wo er vorhin gestanden. Er war ihr unbewußt so nahe gewesen – sie beide waren allein im Turm von Astura – »ein Augenblick,« seufzte er schmerzlich, »der wohl nie mehr wiederkehren wird! – Ich Narr des Glücks, ja, jene Stimme hat Recht: Hoffnung und Erinnerung sind wohl das Einzige, was uns bleibt!«

Dann betrat auch er den »Seestern«, nicht ohne Kampf, ob er die Prinzessin erwarten und hinüber geleiten solle, doch wählte er das Beste und Klügste, als er allein an Bord ging und sich vorne an der Spitze träumend niederließ.

Aber schon längst hatte ihn die Herzogin vermißt, er wurde durch Rinaldo zum übrigen Hofstaate entboten und nachdem ihm die Herrin sanfte Vorwürfe gemacht, reichte sie verzeihend ihre Hand, wobei ein verständnisreiches Lächeln auf ihren Zügen erschien, das ihn um so mehr erschreckte, als er zu gleicher Zeit einen leichten Druck ihrer Finger empfand.

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Dann, nachdem sich die ganze Gesellschaft vollends auf dem Schiffe zusammengefunden hatte, fingen die Räder an, sich rauschend zu drehen und der »Seestern« flog mit einer wunderbaren Schnelligkeit über das Wasser, so daß der gleiche Weg in weit kürzerer Zeit zurückgelegt war als er heute morgen zurückgelegt wurde und sie den Hafen von Terracina wieder erreichten, eben als die letzten Strahlen der Sonne das Meer flammend aufleuchten ließen und das Kap Circeion ganz in Purpur tauchten – auf den herrlichen Tag ein wunderbarer Abend, dem der bisweilen sehr richtige Sinn der Frau Herzogin dadurch den wirkungsvollsten Schluß gab, daß sie erklärte, in der Nacht noch weiter zu reisen und sich schon am Ufer von ihren Gästen mit einem: »Auf Wiedersehen in Rom!« verabschiedete.


Es war eine wundervolle Nacht, die jener schönen Landpartie folgte. Die Luft war angenehm abgekühlt, der Staub durch den starken Abendtau etwas gelöscht; dazu hatte die Tante vor der Abreise vortrefflich soupiert, während Eveline es vorgezogen hatte, beim Einpacken zu helfen. Jetzt fuhren die beiden Damen – der Kurier war ihnen eine Stunde vorausgeeilt – auf der einsamen Chaussee dahin, Madame Meierfeld lag unbeweglich in ihrer Wagenecke, drückte zuweilen die Nase in ein mächtiges Bouquet von Orangenblüten, das ihr der aufmerksame Wirt des Albergo Grande bei der Abfahrt verehrt, und sagte schmachtend:

»Wenn ich diesen köstlichen Duft rieche und die Augen dabei schließe, so ist es mir gerade, als befinde ich mich wie bei unserer Ankunft auf der Terrasse des Gasthofes und hörte von drunten herauf den Gesang jener vortrefflichen, liebenswürdigen jungen Männer – es war doch zu hübsch – nicht, Nella?«

»Ja Tante!«

»Und wenn ich dann aufwärts zu den Sternen blicke, so kommt mir das Gewimmel gerade so vor, wie das flimmern der heiteren Augen auf unserer heutigen Landpartie – dir nicht auch?«

»Ja, Tante,« gab das junge Mädchen, die Blicke aufwärts gerichtet, wieder zur Antwort. Doch erfreute sie sich weniger an dem Durcheinanderglänzen der unzählbaren Punkte, als an einem einzigen, aus allen heraus hell leuchtenden Sterne, der bei näherem aufmerksamem Betrachten wahrhaft zuckende Lichtblitze warf, wie ein kolossaler Brillant, und dessen freundliches Funkeln ihren geheimsten Fragen befriedigende Antworten zu geben schien, denn zuweilen lächelte sie still vor sich hin, während sie einen tiefen Atemzug that und ihre Rechte auf das Herz legte.

»War es nicht eine kluge Idee von mir, gleich nach der Landpartie Abschied zu nehmen und so, um mich poetisch auszudrücken, mit der Abendröte zu verschwinden, anstatt daß wir uns morgen früh wieder recht prosaisch beim Kaffee hätten blicken lassen?«

»Gewiß, liebe Tante!«

»Wir sind untergegangen wie Sterne, von denen man nicht weiß, ob man sie wieder erblicken wird, was eine tiefe Sehnsucht erweckt – und den Drang, sie wieder zu finden – fühlst du das nicht auch, Nella?«

»Gewiß, liebe Tante!«

»Nun, es ist möglich, aber du sagst das so frostig, als ob du eigentlich doch nicht daran glaubtest! Was mich anbetrifft, so zeigen sich bei neuen Bekanntschaften sogleich sympatische Fäden in Ähnlichkeiten, an die du allerdings meistens auch nicht glaubst, die aber mir solche Personen von vornherein teuer machen.«

»Welche Personen zum Beispiel, liebe Tante?«

»Nun eben jetzt dieser herzige Fra Diavolo, für den ich mich auch schon deshalb interessierte, weil sie ihm den Namen jenes hochpoetischen Räubers beigelegt.«

»Eigentlich eine komische Idee, Tante!«

»Nun ja, die Künstler lieben dergleichen, und dann hat man ja auch uns unter angenommenem Namen vorgestellt.«

»Vielleicht kennt der Kurier ihre wirklichen Namen.«

»Wenn auch, so will ich sie durch ihn nicht erfahren,« gab die Tante eifrig zur Antwort, »sondern alles dem Zufall überlassen, und,« setzte sie unhörbar für ihre Nichte hinzu, »seiner Sehnsucht, den untergegangenen Stern wieder zu finden.«

Daraus verfiel Tante Corinna, sich in die Wagenkissen zurücklehnend, in ein tiefes Nachsinnen, das bald in einen tiefen Schlaf überging, den das sorgsame junge Mädchen noch dadurch beförderte, daß sie die Schlafende leise mit dem Plaid zudeckte, um dann sich selbst in den Mantel zu hüllen und dann zwischen Schlafen und Wachen in die Gegend hinauszublinzeln.

Doch war diese – sie fuhren gerade zwischen den pontinischen Sümpfen – ohne jegliche Abwechslung, auch lief die Straße, mit mächtigen Bäumen besetzt, schnurgerade dahin, war dabei so vortrefflich geebnet, daß der Wagen keine andere Bewegung machte, als sich sanft in den Federn zu wiegen. Der blitzende Stern war hinter dichtbelaubten Bäumen verschwunden und so sank auch Eveline endlich in einen leichten Schlummer, wobei es ihr nur zuweilen vorkam, als sähe sie hie und da zu ihrer Rechten Wasserstreifen und vernehme dumpfes Brüllen, vielleicht von einer dort im Sumpf lagernden Büffelherde.

Dann hielt der Wagen vor einer einsamen Station, doch nur auf sehr kurze Zeit; denn die Pferde, von dem vorausgeeilten Kurier bestellt, standen schon auf der Straße bereit, das Plätschern eines Brunnens drang melodisch an ihr Ohr, Lichtschein und dunkle Gestalten mengten sich undeutlich durcheinander, nur einmal sah sie ein braunes Gesicht mit glänzenden Augen und weißschimmernden Zähnen im lachenden Munde hellbestrahlt vor sich, das des neugierigen Postillons, der mit hocherhobener Laterne seine Passagiere betrachtete, ehe er sich in den Sattel schwang und seine vier Pferde unter einem Zungenschnalzer, verstärkt durch einen Kreuzhieb, im Galop davonjagen ließ. Später ging es längere Zeit sanft aufwärts, dann wurde in Velletri umgespannt, hinter welcher Stadt das junge Mädchen ihre Augen öffnete und so viel Eigentümliches selbst im Halbdunkel der hellen italienischen Nacht sah, daß sie nicht mehr einschlafen konnte. Sie fuhren vorüber an malerisch geformten Höhenformen, dann zwischen Alleen mächtiger, weitästiger Bäume, mit ihrem dichten Laubdach riesigen Tunnels ähnlich, dann über langgestreckte Viadukte an tiefen Thälern vorüber, wo sie leuchtende Wasserspiegel zu sehen glaubte, vielleicht die der herrlichen Seen von Nemi und Albano.

In dieser letzteren Stadt, hoch am Rande der römischen Campagna gelegen, wurden sie von dem Kurier erwartet, welcher der nicht immer sichern Straße wegen nun von hier bis Rom mit seinem Wagen in kurzer Entfernung vor ihnen blieb.

»Fast hätte ich geschlummert,« sagte die Tante, aus tiefem Schlafe erwachend, »und würde es mir nie verziehen haben, so mit geschlossenen Augen durch die herrliche Campagna zu fahren und wie ein Murmeltier am Thore der ewigen Stadt anzukommen. – Was dich betrifft, liebes Kind,« wandte sie sich kopfnickend gegen ihre Nichte, »so hast du prächtig geruht, beneidenswert, und bist, glaube ich, auf dem ganzen Wege von Terracina bis hieher nicht ein einziges Mal aufgewacht.«

Da Tante Corinna es liebte, häufig mit eingebildeter Schlaflosigkeit zu kokettieren, obwohl sie sehr oft von gewissen Naturlauten aufs kräftigste widerlegt wurde, so begnügte sich Eveline um so mehr mit einem kurzen Bedauern, als sie, angeweht von den gewaltigen Erinnerungen des klassischen Bodens, dem sie entgegenfuhren, kein längeres Zwiegespräch Hervorrufen mochte.

So zwischen Wachen und Träumen hatten unsere Reisenden ihr Ziel erreicht und der Wagen hielt vor dem verschlossenen hohen Thor einer gewaltigen Mauer. Der vordere Postillon sprang von seinem Pferde, das sich, warm geritten, jetzt in der kühlen Morgenluft schüttelte, worauf er mit seinem Peitschenstiele an das Thor klopfte, wie gewöhnlich auf langes Warten gefaßt und deshalb wohl angenehm überrascht, als ausnahmsweise sogleich geöffnet, auch wenig Paßschwierigkeiten gemacht wurden. Auch dafür hatte der vortreffliche Kurier gesorgt und war dann sogleich weiter gefahren, um die Ankunft seiner Herrin im Hofe von England anzuzeigen, wo Gemächer schon ein paar Tage für sie bereit standen.


Madame Meierfeld, geb. von Feldern, hatte es schon zu Anfang ihrer italienischen Reise für nützlich gehalten, ihren Namen insofern ein wenig zu ändern, als sie dem Wörtchen »von« einen anderen Platz gab und sich demgemäß »Frau von Meierfeld-Feldern« nannte, was sich ganz gut machte und einen altadeligen Anstrich gewährte. Daß daraus in dem titelsüchtigen Italien die Baronin von Meierfeld wurde, war durchaus nicht zu verwundern und so las man schon am Tage ihres Einzuges im Fremdenverzeichnisse des Englischen Hofes: »Madame la Baronne de Meierfeld avec Suite et des nombreux domestiques.«

Übrigens hatte sie das an sich so vortreffliche Hotel nur zum Absteigequartier genommen, um es später mit einer der schönen Wohnungen am »spanischen Platz« zu vertauschen und fühlte sie das Bedürfnis hiezu schon gleich in den ersten Tagen. Nicht als ob es ihrem Apartement an irgend welchem Komfort gefehlt hätte, oder als ob die Küche nicht eben so gut oder nicht eben so schlecht wie in all' diesen italienischen Gasthöfen gewesen wäre, doch war ihr hier das amerikanische und englische Element zu vorherrschend, zu überwältigend und alles mit gleicher Langweile überflutend, um länger als die paar Tage bleiben zu können, für welche das Appartement gemietet war.

So zog denn Frau Meierfeld mit Gefolge und Dienerschaft auf den »Spanischen Platz Nr. 24« primo piano, wie alsbald auf ihren Visitenkarten zu lesen war. Da es den Raum dieser Blätter übersteigen würde, auch nicht im Interesse unserer Geschichte liegt, Frau von Meierfeld und Eveline auf ihren Exkursionen in und um die ewige Stadt zu begleiten, oder bei ihren zahlreichen Besuchen, um empfehlende Schreiben abzugeben, oder gegenwärtig zu sein, um die Frucht dieser Besuche, die einlaufenden Visitenkarten und Einladungen, zu empfangen und mitzugenießen, so beschränken wir uns darauf, zu bezeugen, daß die beiden Damen unter Leitung des vortrefflichsten aller Kuriere das Unglaublichste leisteten, um wenigstens alles das gesehen oder im raschen Durchwandern bemerkt zu haben, was der biedere Bädeker mit zwei Kreuzchen bezeichnet hat und dessen ist wahrlich nicht wenig! –

Was nun Frau von Meierfeld anbetraf, so war sie erstens ziemlich gestählt durch die vielen Wechselfälle ihres langen Lebens, ging auch nicht mit jenem heiligen Feuer in die Kunstschlacht wie das junge Mädchen, das sich mit wahrer Andacht in die wunderbaren Schöpfungen aller dieser berühmten Meister versenkte und sich deshalb schon nach vierzehn Tagen so ermüdet durch all' das ausgestandene Vergnügen fühlte, daß sie eines Abends unter Thränen erklärte, morgen nicht mehr imstande zu sein, eine Kirche oder eine Galerie zu besuchen, ja daß sie eine Ermüdung fühle, als wenn eine Krankheit bei ihr im Anzuge sei. Und wenn man sie, wie jetzt Frau von Meierfeld ängstlich that, aufmerksam betrachtete, so mußte man in der That finden, daß ihr sonst so frischer leuchtender Teint etwas erbleicht war und ihre sonst so glänzenden Augen einen eigentümlichen feuchten Schimmer angenommen hatten.

Die kleine schlaue Französin hatte das schon längst bemerkt und eines morgens, als sie das prächtige Haar Evelinens durchkämmte, in einem affektiert gleichgültigen Tone und in deutscher Sprache gesagt: Mademoiselle werden sein geworden krank, oder werden sein gewesen verliebt.« Sie durfte sich dieses Deutschsprechen zu ihrer Übung erlauben und machte davon, wie wir hören, zuweilen den umfassendsten und naivsten Gebrauch.

»Pfui, Henriette, wer wird so etwas sagen!«

»Mademoiselle haben es nicht gesagt, aber es gedenkt vielleicht – und gedenkt an –«

»Schweige! –«

Wir aber haben uns durch dieses kleine bedeutsame Zwiegespräch der Schuld erinnert, dem geneigten Leser nicht gesagt zu haben, daß die jungen Künstler, die wir in Terracina kennen gelernt, schon längst vom Lande heimwärts nach Rom zurückgekehrt waren, allerdings nicht gemeinschaftlich, sondern zu Zweien oder vereinzelt, da dieser Nettuno sehen, jener noch die versunkene Stadt Nimfa besuchen wollte, andere den lohnenden Umweg über die Volskergebirge vorhatten oder für ein paar Tage Rast in Arricia und Albano halten wollten. Zu der letzteren Partie gehörte Fra Diavolo, doch war es eigentümlich, daß er anderer Absicht wurde, sobald er von den Höhen in weiter dunstiger Ferne die Kuppel der Peterskirche wieder erblickte und daß ihm alsdann plötzlich ein dringendes Geschäft einfiel, das ihn noch heute nach Rom zurückriefe. Ugolino, in dessen Gesellschaft er sich befand, hatte ihn bedeutsam lächelnd angeblickt und dann gesagt: »Gut, gehe du nur voraus, ich folge übermorgen nach und werde dann sogleich nach dir sehen.«

Dann wanderte der junge Künstler frohen Mutes von dannen, heiter, als ob er in dem Freunde eine Last abgeschüttelt hätte, kam aber, trotzdem er ein rüstiger Fußgänger war, erst spät Abends in der Dunkelheit nach Rom, so daß er sein Atelier nicht mehr aufsuchen konnte, sondern sich sogleich nach seiner Wohnung in der Via Gregoriana begab.

Am andern Morgen nahm er so zeitig sein Frühstück im Café Greco, daß er dort noch wenig Bekannte traf, die ihn hätten aufhalten können, oder ihm mit Fragen über interessante Erlebnisse seines Sommeraufenthaltes lästig fallen. Denn wenn er auch sonst darin immer sehr mitteilsam gewesen war und farbenreich zu erzählen wußte, so war dagegen diesmal in seiner Erinnerung alles abgeblaßt, bis auf den Abend in Terracina und die unvergeßliche Landpartie nach dem Schlosse von Astura. Ach, und die Erlebnisse waren doch immer nur Illustrationen zu ihrem geliebten Bilde, dem er in seinem Herzen den schönsten Altar erbaut und das er verborgen hätte halten mögen vor den Blicken der ganzen Welt, so daß es ihm jetzt schon wie eine Entheiligung vorkam, das süße Geheimnis mit seinen Gefährten von Terracina gewissermaßen teilen zu müssen.

Allen anderen Fragen und Erkundigungen aber, sogar seiner genauesten Freunde, war er fest entschlossen auszuweichen und empfand es dabei höchst angenehm, als er nun wieder von der Thüre des kleinen Hofes stand, der mit seinem hübschen Atelier einen abgeschlossenen Raum bildete.

Gelegen war dasselbe in der Nähe von der Ripetta, wo sich viele Bildhauer-Ateliers befinden und zwar in der Straße Tomacelli nicht weit vom Theater des Augustus.

Es hatte ihm stets ein wonniges Gefühl verursacht, wenn er nach längerer Abwesenheit den kleinen stillen Hof wieder betrat, und heute, als er aufschloß, überkam es ihn so ganz besonders, daß er weder ein paar Visitenkarten beachtete, die neben dem Schlosse steckten, Besuche angekommener Fremden anzeigend, noch ein paar Geheimzeichen seiner Kameraden, daß sie dagewesen seien, noch endlich das mit eckigen, kaum leserlichen Bleistiftzügen zweimal hingeschriebene: »Leonarda«, der Name eines eben so schönen als talentvollen Bildhauer-Modells, das besonders von jüngeren Künstlern sehr gesucht wurde, da Leonardas schöne und durchdachte Stellungen jede Komposition erleichterten.

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Was war ihm aber heute Leonarda, was waren ihm überhaupt alle plastischen Werke, das einzige ausgenommen, dessen Original er wachend und träumend vor sich sah und das nun aus dem Gedächtnis nachzubilden seine ganze Seele beschäftigte! Er schob sogleich von innen den schweren Holzriegel vor und während er, bevor er in's Atelier trat, sich im Hofe flüchtig umschaute, wollen wir es ebenso machen, um die sämtlichen Wahrzeichen einer Bildhauerwerkstätte auch hier konstatieren zu können. Auf dem Boden weißer Staub und Steinsplitter, in einer Ecke ein paar kleine Marmorblöcke, in denen noch unsterbliche Werke schlummerten, daneben in Gipsmodellstücken zertrümmerte Versuche solcher Werke, auf einer Holzbank ein paar tönerne Wasserkrüge, sowie ein schöne antike Schale zum Händewaschen und endlich zwischen ein paar magern, ohne jedes Sommerlicht verkümmerten Pflanzen der in die Mauer eingelassene steinerne Kopf eines Fauns, als Brunnen dienend, da der aus einer gebogenen Röhre einen dünnen, aber klaren Wasserstrahl in ein unterstehendes Becken fließen ließ.

Auch das Atelier selbst zeigte sich möglichst einfach: graue Wände, hie und da mit Kohlenzeichnungen verziert, alles mögliche Werkzeug auf Bänken und Stühlen zerstreut, ein paar Statuen in Gips, eigene und recht gelungene Arbeiten, die er später ausführen wollte, sowie ein paar schöne Büsten in Marmor, bereits vollendet und bezahlt – das erste selbst erworbene Geld, das er sich schon erlauben durfte, für eine solche Sommerferienreise auszugeben, denn wie wir bereits aus Andeutungen Ugolino's erfahren, war er in der glücklichen Lage, sich sein Leben ganz nach eigenem Geschmack einrichten zu können. Seine in glänzenden Verhältnissen lebenden Eltern gaben ihm jeden gewünschten Vorschub und waren erfreut, daß ihr Sohn sein großes Talent als Bildhauer ausbildete, statt sich den herkömmlichen Vergnügen – zur Winterzeit Soiréen, Bälle, Theater, im Frühjahr Rennen und Fuchshetzen, im Sommer eine Badereise – ausschließlich hinzugeben.

Allerdings war er dadurch nicht in diejenigen Gesellschaften gekommen, in welchen er seinem Namen, seinem Stand und Vermögen nach hätte erscheinen können, sondern hatte sich mit Vorliebe zu den Künstlern gehalten und sich dabei recht fest an Ugolino angeschlossen, dessen Heimat auch die seinige war und der im Hause seiner Eltern bekannt und vertraut, ihm von der sorgsamen Mutter als eine Art von Mentor beigegeben war. Und da wir nun einmal so weit in Enthüllungen gegangen sind, so wollen wir auch noch beifügen, daß der junge Bildhauer nicht Fra Diavolo hieß, sondern »Robert von Stendal«, und daß Ugolino der wackere Kupferstecher »Wetters« war.

Der Bildhauer hatte seinen Rock abgeworfen, seine graue Ateliersbluse angezogen und trat nun in den Hof, um dort nach dem des Nachbarhauses hinüber zu pfeifen, worauf eine frische Knabenstimme sogleich herüberrief: »Ah Signor Patrone, voi siete ritornato, vengo subito!« – dann polterte es auch gleich darauf an der äußern Thür und nachdem diese geöffnet worden, trat ein hübscher Bursche, große dunkle Augen im aufgeweckten Gesicht mit einem Klumpen feuchten Tones herein, den er, wie er schelmisch lächelnd sagte, schon seit einigen Tagen aufs Sorgfältigste verarbeitet hatte und nun auf eines der Gerüste aufstellte. Sodann machte er sich mit großer Emsigkeit überall im Atelier zu schaffen, netzte die ganz eingetrockneten Umhüllungstücher, wünschte schließlich dem jungen Meister einen guten Arbeitstag und verschwand, worauf der Holzriegel wieder vorgeschoben wurde. – Wie es für den Maler ein höchst angenehmes Gefühl ist, auf der Leinwand die ersten Striche zu thun, um einen guten Gedanken zu entwerfen, so für den Bildhauer, wenn er anfängt, durch Schneiden und Schaben dem unförmlichen Tone die Gestalt eines menschlichen Kopfes zu geben. Hier war damit eine sehr kundige Hand beschäftigt, ein Blick von der Erinnerung geschärft und ein unermüdlicher Fleiß, der es sogar überhörte, daß der Bursche von nebenan um Mittag an die Thür klopfte, meldend, daß er zum Essen gehe und guten Appetit wünsche. Daher kam es denn auch, daß, als die Mittagssonne durch einen kleinen goldenen Streifen hoch oben an der Wand eines der Häuser, in den Hof umstanden, eine späte Nachmittagsstunde anzeigte, die Büste in Ton weit genug gediehen war, um einen lieblichen Ausdruck zu zeigen, den der junge Künstler mit Entzücken betrachtete, worauf er sie sorgfältig mit nassen Tüchern umhüllte und dann zufrieden nach Hause ging.

Ugolino-Wetters, der mit Stendal in einem Hause wohnte, kam noch am selben Abend zurück, in den folgenden Tagen rückten auch die anderen Gefährten wieder ein und als sie alle sich Abends zum ersten Male wieder bei »Lepre« in der »Via Condotti« zusammenfanden und an ihrem Stammtische die strohumflochtene dickbäuchige Flasche kreisen ließen, gedachten sie jenes Abends in Terracina, sowie der herrlichen Landpartie und selbst der gewöhnlich so grämliche Nero zeigte geschwungene Mundwinkel, als er der Herzogin von Gerolstein und ihrer schönen Tochter gedachte und die Hoffnung aussprach, sie wieder zu sehen.

»Wenn mich nicht alles trügt,« sagte Rinaldo, ein Landschafter, der im gewöhnlichen Leben »Strantz« hieß, »so ist mir dies Glück heute Abend zu Teil geworden, als ich bei der Musik auf dem Pincio war.«

»So hätte ich aber genauer hingesehen,« meinte der Medicäer, Herr Blume aus Dresden, Schriftsteller und Korrespondent einiger deutschen Zeitungen, »du bist doch sonst nicht so blöde, wenn es gilt, ein hübsches Mädchen anzuschauen!«

»Gewiß nicht und habe auch in dem betreffenden Falle heute auf dem Pincio darin mein Möglichstes gethan, aber ihr wißt selbst, daß die Wagenreihen dort oben häufig eine so dichte Linie bilden, daß an kein Durchkommen zu denken ist. Alles, was ich für euch thun konnte,« setzte er lachend hinzu, »war, mir Kutsche und Wagen genau einzuprägen, weshalb ich so glücklich bin, euch sagen zu können, daß letzterer dem Luigi Spagnoli in der Villa dei due Macelli gehört, ein neuer sehr schöner Landauer von dunkelgrüner Farbe, und daß nach diesen gewissenhaften Notizen die Herzogin von Jedermann, der sich sehr für sie interessiert, leicht aufgefunden werden kann.«

Wetters warf einen raschen prüfenden Blick auf seinen jungen Freund, um dessen Mundwinkel sich, obgleich er unbefangen den Worten Rinaldo's zuzuhorchen schien, doch ein so verräterisches kleines Lächeln zeigte, daß sogar ein oberflächlicher Beobachter daraus geschlossen hätte, Stendal habe bereits genauere Nachrichten über die Wohnung der beiden Damen.

Und darin hatte er nicht geirrt. Ein Zufall hatte Stendal heute Morgen grade in dem Augenblicke über den spanischen Platz geführt, als der Wagen mit den beiden Damen vor dem Hause Nr. 24 hielt, beide dort ausstiegen und dann derselbe grüne Landauer, den Strantz erwähnt, leer und langsam, wie nach gethaner Pflicht, davon fuhr. Er hätte sich ganz gut zeigen und bemerklich machen können, doch erlaubte ihm das seine angeborene Schüchternheit nicht, da er ja hätte näher treten, vielleicht hinauf in die Wohnung folgen müssen, um zu erzählen, wann und wie er nach Rom zurückgekehrt. Seltsames Gefühl, das einer ersten, heftigen Liebe! Hätte er doch mit der Hand die Treppenstufen berühren mögen, auf denen ihr Fuß geruht, über welche die Schleppe ihres Kleides gerauscht und er, der mehr hätte haben können, der mindestens von Frau Meierfeld, wenn auch nicht von ihrer Nichte, mit offenen Armen empfangen worden wäre, hatte sich scheu zur Seite gedrückt, um, nachdem die beiden Damen verschwunden waren, sich die größten Vorwürfe über seine Albernheiten zu machen.

Dann war er nach dem gegenüberliegenden Photographieladen geeilt und dort scheinbar in das Anschauen der riesigen Blätter versunken, hatte sich dabei aber so aufgestellt, daß er, sämtliche Fenster des Hauses Nr. 24 im Auge behielt. Mit Entzücken sah er nach kurzer Zeit, wie sich im ersten Stock ein Fenster öffnete und das schöne junge Mädchen lange auf den Platz hinausblickte, ihm dadurch ebenso lange Gelegenheit gebend, in ihre frischen lieblichen Züge zu schauen. Und noch vor Ablauf einer Viertelstunde hatte er durch reichliche Bestechung des Portiers erfahren, daß hier nicht die Herzogin von Gerolstein mit Prinzessin Tochter, sondern Baronin von Meierfeld mit Nichte wohnten, eine Berichtigung, die ihm das Herz höher schlagen machte und ihn den ganzen Abend in so gehobener Stimmung erhielt, daß es seinem älteren und verständigen Freunde Wetters ein Leichtes war, beim Nachhausegehen und später, als sie sich in der gemeinsamen Wohnstube befanden, nicht nur alles das oben Erzählte zu erfahren, sondern auch den festen Entschluß Stendals, wenn möglich die Liebe des jungen Mädchens zu erringen und ihr seine Hand anzutragen.

Ja, er schwärmte in dem Gedanken an den Besitz der holdseligen Prinzessin so selig, daß es eigentlich grausam von Wetters erschien, daß er reichlich kaltes Wasser auf die Begeisterung des jungen Mannes goß, indem er von unbekannten und ungewissen Frauenzimmern sprach, die in der Welt mit einem auffallend schönen Kurier herumreisen, sich Herzogin und Prinzessin nennen lassen, auf dem allergrößten Fuß leben, um vielleicht später mit dem allerkleinsten Gepäcke heimlich zu verschwinden.

»Nun, was in dieser Richtung an den beiden Damen ist,« sagte der Bildhauer, auf seinem raschen Spaziergange durch's Zimmer stehen bleibend, »kann dir ja bei deiner ausgedehnten Bekanntschaft zu erfahren nicht schwer fallen.«

»Werde mich auch bemühen,« sagte der Andere zu seinem jungen Gefährten und setzte dann brummend mehr zu sich selber hinzu: »wollte aber jetzt schon, daß diese Begegnung nicht stattgefunden!«

Wetters, der neben seiner ermüdenden und die Augen so sehr anstrengenden Kunst des Kupferstechens mit Vorliebe in guten Häusern Zeichenunterricht gab, hatte dabei allerdings die beste Gelegenheit, derartige Erkundigungen einzuziehen und that das auch gleich am andern Morgen, indem er sich an Herrn Bettini wandte, einen der Prokuristen des großen Bankhauses Torlonia. Signor Bettini schaute ihn durch die Brillengläser freundlich an und erwiderte: »Wenn der Herr Professor jene Frau von Meierfeld meinen, die auf dem spanischen Platz Nr. 24 wohnt, und der jungen Nichte derselben Unterricht erteilen wollen, so kann ich nur gratulieren; es ist das eine ebenso achtbare als reiche Familie, bei unserem Hause für eine Million und darüber akkreditiert und von dem Herzog Torlonia, unserem Chef, jetzt schon zu allen Festlichkeiten, die während des Winters stattfinden, notiert.«

Darauf glaubte der gute Kupferstecher sehr klug zu handeln, wenn er sich einige Tage später in seinen Gesellschaftsanzug warf – und er besaß einen solchen sehr tadellosen – um alsdann einem äußerst gleichgültig aussehenden Bedienten in reicher Livree, den er im Vestibul des Primo piano gedachten Hauses fand, seine Karte einzuhändigen, auf welcher er unter Kupferstecher Wetters »Ugolino« geschrieben hatte.

Der gleichgültig aussehende Lakai schlenderte mit der Karte langsam in das Appartement, um bald darauf etwas behender mit der Bitte der gnädigen Frau, sogleich bei ihr einzutreten, zurückzukehren.

Frau von Meierfeld befand sich allein in ihrem Salon und freute sich so außerordentlich und in so warmen Ausdrücken, ihren Bekannten von Terracina und Astura wieder zu sehen, daß es dem guten Wetters ordentlich behaglich wurde und er kaum einige Minuten in dem weichen Samt-Fauteuil saß, als er auch schon in der lebhaftesten und heitersten Unterhaltung mit der liebenswürdigen Dame begriffen war.

»Unsere Inkognitos hätten wir also glücklich hinter uns und freue ich mich, in Ihnen einen Künstler von so wohlbekanntem Namen verehren zu dürfen – bitte, lehnen Sie diese Verehrung nicht von sich ab, ich selbst besitze zwei Ihrer bedeutendsten Blätter – schade, daß meine Nichte Eveline nicht da ist – sie ist mit ihrer Kammerjungfer in die Stadt, um Einkäufe zu machen – wie würde sie sich freuen, heute schon einen der angenehmen Gefährten unserer kleinen Landpartie wieder zu sehen!«

»An die wir alle als an einen schönen festlichen Tag mit Freude zurückdenken.«

»Und wie geht es Ihren Gefährten, haben sie alle schon ihre Winterquartiere bezogen?«

»Alle, gnädige Frau, und alle denken mit Dankbarkeit an den hohen Genuß, den uns Ihre Güte verschafft.«

»Alle?« sagte sie, indem sie mild lächelnd vor sich niederblickte – »und doch sind Sie der Einzige, der mir durch seinen Besuch ein so angenehmes Lebenszeichen giebt?«

»Und auch ich nur,« gab er, sie offen anblickend, zur Antwort, »um mich vorsichtigerweise zu erkundigen, ob die Frau Herzogin und die andere vornehme Dame jene Männer noch wiedererkennen wollen, hinter deren blinkenden Namen einfache Künstler erscheinen.«

»Sind wir nicht im gleichen Falle?« fragte sie dagegen in der zuvorkommendsten Weise, »das heißt, ich stehe hinter Ihnen weit zurück, da ich nicht das Glück habe, Künstlerin zu sein, sondern nur eine ganz einfache Frau, die sich aber mit dem größten Vergnügen jener Begegnung erinnert und Sie bittet, das allen jenen Herren wiederholen zu wollen, zugleich mit meinem Wunsche, dieselben wiederzusehen.«

Der Kupferstecher verbeugte sich, indem er sagte: »Sobald ich meine damaligen Reisegefährten wiedersehe, werde ich nicht ermangeln, ihnen Ihre freundlichen Worte zu wiederholen.«

»So sehen Sie sich nicht alle Tage?« forschte sie teilnehmend.

»Hier in Rom nicht. Jeder geht mehr oder minder seine eigenen Wege, woher es kommt, daß ich manche von ihnen wochenlang nicht sehe.«

»Andere aber wohl häufiger?«

»Nur einen, weil wir zusammen wohnen.«

»Und wer ist das?«

»Jener junge Mann, den die Frau Herzogin von Gerolstein so freundlich war, zu Ihrem Reisemarschall zu ernennen.«

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»A–a–a–ah– Fra Diavolo!« rief sie in ungekünsteltem Tone froher Überraschung, wobei sich ihr ganzes breites Gesicht verklärte. »Sagen Sie Ihrem undankbaren Schützling, daß die Herzogin von Gerolstein sehr unzufrieden mit ihrem Reisemarschall sei und daß sie ihm anbefehle, sich sobald als möglich zu zeigen – doch halt,« fuhr sie nach einer Pause, in der sich Wetters pflichtschuldigst und sehr tief verbeugt hatte, fort, »wir wollen das nicht ins Unbestimmte befehlen, sondern etwas Sicheres feststellen, und Sie haften mir für die Ausführung – – wir werden morgen nach dem Frühstück, allerdings in größerer Gesellschaft, die Katakomben von San Calisto besuchen und laden Sie und Ihren jungen Schützling ein, zuerst mit uns zu frühstücken und uns dann in die Unterwelt zu folgen – eine gewiß gelinde Strafe für seine Undankbarkeit, wobei wir obendrein versprechen, daß er da unten viel Lehrreiches sehen soll, denn wir haben als Führer einen der besten Kenner des unterirdischen Roms – nun, ich rechne mit Sicherheit daraus,« fuhr sie nach einem kurzen Stillschweigen, ihn fest betrachtend, fort, »daß ich Sie und Ihren jungen Freund morgen um zwölf Uhr nicht vergebens erwarte.«

»Ich zweifle nicht daran, daß auch er einer so angenehmen Einladung Folge leisten wird.«

»Nicht wahr, er ist Bildhauer – und heißt?«

»Robert von Stendal.«

»Schön! – also morgen um zwölf Uhr erwarte ich Sie und Herrn Robert von Stendal.«

»Sollte aber –«

»Ich nehme kein Aber an, Ihr Versprechen habe ich, und er wird meine Einladung hoffentlich nicht zurückweisen.« –

Wetters begab sich vom spanischen Platz direkt nach der Straße Tomacelli in dem richtigen Gefühl, auch das jenseitige Eisen sogleich zurecht zu schmieden, denn daß es seinen gehörigen Hitzegrad besaß, daran war nicht zu zweifeln und wurde ihm auch bestätigt, sobald er nach einer guten Weile – trotz seiner wohlbekannten Art des Anklopfens – in die Bildhauerwerkstätte eingelassen wurde, wo Stendal eben ein feuchtes Tuch um die Arbeit wickelte, an der er gerade beschäftigt gewesen war.

»Per Bacco!« rief der Eingetretene, sich mit auf den Hüften gestützten Armen breit hinstellend, »wenn ich meine kostbare Zeit opfere, um dich zu besuchen, so kann ich doch wohl erwarten, daß du mich auch etwas sehen läßt!«

»Stets mit dem größten Vergnügen, wie du weißt,« gab der junge Bildhauer zur Antwort, »doch dies verschleierte Bild,« setzte er lachend hinzu, »ist eine Person, die nicht gekannt und genannt sein will.«

»Unsinn, wegen ihr komme ich grade hierher, um mich von der Ähnlichkeit zu überzeugen, und werde doch den weiten Weg nicht umsonst gemacht haben!« Bei diesen Worten trat er näher, und wollte die Hand an die feuchte Umhüllung legen, doch löste sie der andere rasch vom Haupte der Büste ab, indem er, seinen Freund zurückdrückend, sagte: »So schau es wenigstens, wie es sich gehört, aus richtiger Entfernung an.«

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»A– –a– –a–ah, vortrefflich – mache dir mein Kompliment!«

»Du findest also einige Ähnlichkeit?«

»Einige? – Welche Frage! Das ist ja zum Sprechen und dabei mit einer Lieblichkeit aufgefaßt, die – die – nun, die ich begreiflich finde – – wie oft ist sie dir gesessen?«

»Das ist ein grausamer Scherz, Wetters,« sagte der junge Bildhauer, wobei ein schmerzliches Lächeln um seinen frischen hübschen Mund zuckte, – »ich glaube wirklich, daß das eine gute Arbeit würde, wenn sie mir nur ein einziges Mal sitzen wollte, oder wenn ich sie nur einmal noch recht aus der Nähe sehen könnte.«

»Das würde allerdings helfen,« meinte der Kupferstecher und setzte fragend, aber in gleichgültigem Tone hinzu, nachdem er mit der Rechten über Haar, Stirne und Gesicht langsam herabgefahren war: »bist du morgen irgendwo zu Tisch geladen?«

»Nein.«

»Gut, so lade ich dich auf morgen Mittag punkt zwölf Uhr zu einem Frühstück ein, in den ersten Stock des Hauses Nr. 24 auf dem spanischen Platz.«

»Ah, du scherzest?«

»Sehe ich aus, wie jemand, der scherzt? Es ist die bittere Wahrheit und ich habe fest versprochen, dich mitzubringen?«

»So sahst du die beiden Damen?«

»Nur die ehemalige Herzogin von Gerolstein.«

»Und sie?«

»Prinzessin Tochter, oder vielmehr die Nichte der Frau von Meierfeld, waren ausgefahren.«

»Und gehen wir hin?« fragte der Andere in einem beinahe schüchternen Tone.

»Per Bacco, ob wir hingehen! Habe ich doch das eigens für dich arrangiert! Mir scheint, daß es keine üble Einleitung ist, sogleich zum Frühstück eingeladen zu werden, sowie darauf zur Besichtigung der Katakomben von San Calisto, die du allerdings schon besucht hast, aber nicht in so angenehmer und zahlreicher Gesellschaft, wo man in den engen und halbdunkeln Gängen leicht zurückbleiben kann, wo Eins zuweilen froh ist sich am Andern halten zu können, wo ein Angstruf an abschüssiger Stelle uns schon kühner macht, wo der geheimnisvolle Schauer der ernsten Umgebung die Seele öffnet und empfänglich macht für ein herzliches Wort.«

»Ja, ja,« sagte der junge Bildhauer träumerisch, »welches Glück, dort an ihrer Seite wandeln zu dürfen, – wie danke ich dir, guter Wetters!«

Dann begab sich der Freund eilends fort, um etwas von der verlorenen Zeit einzubringen, und Stendal nahm seine Arbeit mit erneuerter Lust und Liebe wieder auf. Das Lob Wetters hatte ihn erfreut, trieb ihn aber auch an, die Züge des geliebten Mädchens nochmals mit aller Schärfe seines Auges durchzugehen, wo er denn noch ein paar Mängel zu erblicken glaubte, die er eben im Begriffe war, zu verbessern, als ein eigentümliches Geräusch im Hofe seine Aufmerksamkeit erregte und ihn hinauszog. Zuerst blickte er nach der Thür, die Wetters offen gelassen hatte und da er eine Störung von der Straße her befürchtete, drückte er sie zu und schob den Holzriegel vor, um aber alsdann das Geräusch stärker und wie seitwärts über seinem Haupte zu vernehmen. – Was war das? – – Da schwebte an der hohen fensterlosen Mauer, die eine Seite des Hofes bildete, ein ausgewachsener Mensch herab, und zwar an einer Schnur, die so dünn war, daß man hätte glauben können, sie vermöge kein Kind zu tragen, weshalb sich denn auch die seltsame Erscheinung Mühe gab, hie und da in den Mauerlücken einen Anhaltspunkt zu finden, wodurch das erwähnte Geräusch des Rutschens und Kratzens hervorgebracht wurde.

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Obgleich es nur ein einzelner Mensch war, so war die Geschichte doch auffallend genug, um Stendal zu veranlassen, rasch einen schweren Hammer vom Boden aufzuheben und eine abwartende Haltung anzunehmen. Doch schien der andere durchaus nicht in der Stimmung, angreifend oder drohend zu verfahren, denn nachdem er aus einer Höhe von vielleicht zwanzig Fuß auf den Boden niedergesprungen war, kauerte er sich demüthig, ängstlich zusammen, erhob dann das bleiche verstörte Gesicht gegen den jungen Bildhauer, wobei seine zuckenden Lippen und seine wildbewegte Brust kaum die Worte hervorbrachten: »Um der Barmherzigkeit Gottes willen, rettet mich, Signor Scultore!«

»Und wovor soll ich Euch retten?«

»Vor den Sbirren, die mich verfolgen!« Dann flehte er mit zusammengefalteten Händen: »Laßt mich in Eure Werkstatt treten und ich will Euch alles der Wahrheit gemäß erzählen.« Damit sprang er, ohne die Erlaubnis abzuwarten, in das Atelier, wohin ihm Stendal kopfschüttelnd folgte.

Der sonderbare Besuch ließ sich auf eine Bank niedersinken, senkte den Kopf in seine beiden Hände, wobei sich seine Finger in das dichte schwarze Haar krallten, und blieb so eine halbe Minute schwer athmend sitzen, ehe er auffahrend sagte: »Ich bin kein Mörder, noch viel weniger ein Dieb – zwar werden sie sagen, ich hätte mit dem Messer zugestoßen, um ihm – sein Gold zu rauben – das allerdings vor ihm auf dem Tische lag, aber – die heilige Jungfrau möge mich verlassen, wenn ich nicht die Wahrheit sage: Ich that es nur, um die Ehre eines jungen Mädchens zu retten, dem er mit allen Ränken und mit allen Mitteln des Teufels nachstellte – – und deshalb müßt Ihr mich retten, wenn auch Ihr einmal Hilfe in der Not finden wollt!«

Der Bittende mochte ein junger Mensch von wenig über zwanzig Jahren sein, schlank gebaut, von energischen aber gutmütigen Gesichtszügen, schwarzen glänzenden Augen, die trotz der Erregung einen offenen ehrlichen Ausdruck behalten hatten, und was seine Kleidung anbelangte, so war es die der wohlhabendsten Bursche aus Trastevere oder der nächsten Umgebung von Rom.

»Vor allem aber sagt mir, was soll ich thun, um Euch zu retten?«

»Ah, sie werden mir schon auf der Spur sein,« rief der junge Mensch aufspringend, »denn er stieß ein gewaltiges Geschrei aus und im ganzen Haus zeterte es nach Hilfe, so daß ich vom Dache des Nachbarhauses, wo ich mich, hinter einem Schornstein versteckt, vorsichtig umschaute, schon die Sbirren zum Fenster hinauslugend und auf der Straße herumschwärmen sah. Wie die Wespen.«

»Ein schlimmer Handel, Amico, und wie weit nahmt Ihr den Weg über die Dächer?«

»So weit, als es die Häuserreihe erlaubte, denn über die Ripetta konnte ich begreiflicher Weise nicht hinüber.«

»Gewiß nicht – also geschah das Unglück ziemlich in der Nähe?«

»Ziemlich, ziemlich, Herr,« sagte der andere, mit vermehrter Unruhe um sich blickend, »o, es ist bis jetzt alles so gut gegangen, auch daß ich im Nachbarhause einen Freund fand, der bereit war, mich hier herab zu lassen.«

»Das ist allerdings gut gegangen, denn dem Bindfaden hätte ich keine zwanzig Pfund anvertraut; aber sprecht, was soll ich thun, wollt Ihr durch den Hof auf die Straße?«

»Daß ich ihnen grad' in die Hände liefe? – Habt Ihr nichts hier, um mich zu verbergen, kein Kellergewölbe, keine Zisterne?«

»Nichts derart, was groß genug wäre.«

»O, mein Gott, o mein Gott! – habt Ihr nicht vielleicht die Kleider eines Eurer Arbeiter da?«

»Das ist ein guter Gedanke!« rief erfreut der Bildhauer, der nun ebenso begierig war, dem Unglücklichen zu helfen, als ihn anfangs dessen Erscheinen erschreckt hatte; »werft Eure Kleider ab und nehmt dort aus der Kiste, was Ihr braucht; es ist der Anzug eines meiner Arbeiter, den ich beim Beginn des Sommers einer verdrießlichen Geschichte wegen so rasch entlassen mußte, daß er nicht einmal Zeit fand, seine Kleider mitzunehmen, sowie – und das ist die Hauptsache – seinen Erlaubnisschein, um hier in Rom zu bleiben.«

»Ah, dafür sei der Madonna gedankt und Euch, Herr, viel tausendmal! Wie hieß er und wie heiß' ich jetzt?«

»Martino Kastelli aus Piperno; habt Ihr für den Notfall eine Idee von dem dortigen Dialekt?«

»O, von allen Dialekten bis Neapel hinunter!« rief der junge Mensch mit einem kecken Aufleuchten seiner dunklen Augen und machte sich eifrig über die Kiste.

»Und was Euren Anzug anbelangt,« sagte der Bildhauer, »so hebt dort in der Ecke die Platte auf und Ihr werdet einen schmalen Schacht finden, in den zwei Fuß unter der Oberfläche links ein Kanal führt, der unter der Ripetta durch in die Tiber mündet; dort schiebt Eure Sachen hinein und Niemand wird sie finden. Ich würde gern helfen, doch ist es besser, wenn ich unbefangen auf die Straße gehe, um mich dort ein bischen umzuschauen.« Damit setzte er die papierne Mütze auf, welche die Bildhauer im Atelier zu tragen pflegen, zündete sich eine Virginia an und trat auf die Gasse, wobei er die Thür so weit als möglich offen ließ, um Jedermann den Einblick zu gestatten.

Daß in der sonst so stillen und ruhigen Via Tomacelli etwas ganz Besonderes vor sich ging, bemerkte man augenblicklich an vielen, meistens weiblichen Köpfen, die neugierig aus Fenstern und Thürspalten blickten, während Männer zu zwei und zu dreien plaudernd zusammenstanden und aufwärts blickten, wenn einer mit dem Zeigefinger in die Höhe deutend etwas zu erklären schien.

Von einer dieser Gruppen löste sich beim Erscheinen Stendals ein großer und breitschulteriger Mann, gleichfalls im Arbeitskostüm der Bildhauer, ab und trat mit den Worten zu ihm: »Habt Ihr schon gehört, Nachbar, da drüben am Eckhaus der Ripetta hat's Händel gegeben zwischen einem alten verliebten Narren und einem jungen, etwas heißblütigen Menschen, natürlich eines Mädchens wegen, und dabei ist ein Messerstich gefallen, wie der Sbirre sagt, so tief,« – damit bezeichnete er an seinem langen Zeigefinger der rechten Hand ein Stück von ungefähr drei Zoll, um dann schmunzelnd fortzufahren: »Das würde genügen, he? Doch weiß man ja, wie das Volk übertreibt, auch lebt der Alte noch und kann davonkommen, wie der Medikus meint.« –

»Ah, il poverino!« erwiderte Stendals Nachbar mit jener Miene aufrichtigen Mitleids, das der Römer stets für einen verfolgten Verbrecher empfindet und bezeugt, besonders wenn es sich bei einem Verbrechen um einen Dolchstoß aus Eifersucht handelt – »er ist allerdings aus dem Hause glücklich entkommen und hält sich wahrscheinlich auf irgend einem Dache versteckt, bis er Gelegenheit findet, sich in einem der zahlreichen Höfe niederzulassen.«

»Wo man ihn hoffentlich nicht verraten wird?«

»Wo denkt Ihr hin, Nachbar! Wer wird denn den Sbirren helfen, um solche einen armen Teufel zu verhaften, der vielleicht nicht anders gekonnt, als ein Verbrechen begehen! Überdieß,« setzte er flüsternd hinter der vorgehaltenen Hand hinzu, »ist der Betreffende der Sohn eines der großen Tenuten vor der Porta Salara, hat dort einen starken Anhang und das sind Leute, mit denen man nicht gern Händel anfängt!«

»Und wenn er sich in Eurem Hof niederließe, Meister Gaëtano?« fragte Stendal mit einem eigentümlichen Lächeln.

»Per Bacco, so sollten diese Sbirren sehen, wo sie ihn kriegten!«

Meister Gaëtano, von dem Stendal sein kleines Atelier zur Miete hatte, der eine große Werkstätte für geringere Marmorarbeiten hielt, worin er aber ein Dutzend Leute beschäftigte, hob bei den letzten Worten, die er sprach, seine breite muskulöse Gestalt, streckte aber dann achselzuchend seine Hände von sich ab, indem er in einem Tone des Bedauerns sagte: »Leider kann er sich nicht in meinen Hof flüchten, ohne von einem Dutzend neugieriger Augen aus den benachbarten Fenstern gesehen zu werden.«

»Richtig, Meister Gaëtano – aber – Ihr könntet mir einen Gefallen thun.« Das »mir« betonte der junge Bildhauer auf so scharfe Art und mit einem so eigentümlichen Blick, daß der Andere plötzlich den Mund wie zum Pfeifen spitzte und darauf während er mit einer kaum merklichen Wendung der Augen rasch um sich schaute, händereibend flüsterte: »Ah – a – a – a – Diavolo!«

»Seid denn so gut und schickt mir sogleich den kleinen Ignazio herüber, er soll meinem Arbeiter den gewissen Marmorblock zu Euch hinübertragen helfen.«

»Ah, Ihr habt wieder einen Arbeiter?«

»Castelli ist zurückgekehrt.«

»Braver Forestiere!« murmelte Gaëtano, indem er die Hand Stendals so kräftig schüttelte, daß Jener hätte schreien mögen. Dann setzte er hinzu: »Wenn ich nicht irre, hat Euer Castelli schöne Legitimationspapiere?«

»Die er stets in der Tasche bei sich trägt, da er, wie Ihr wißt, bei der Polizei ein bischen anrüchig ist – schickt ihn mir aber sogleich wieder.«

»Gewiß, gewiß.« Damit verschwand Meister Gaëtano und gleich darauf erschien der kleine Ignazio, um mit Stendals Arbeiter, der in seinen geflickten Leinwandhosen, seiner beschmutzten hellgrauen Bluse und der zerknitterten Papiermütze auf dem Kopf, etwas Marmorstaub auf dem Gesicht, so unverdächtig aussah, daß der verschmitzte Ignazio ihn nicht einmal eines besonderen Blickes würdigte.

Es war die höchste Zeit gewesen, denn kaum war der Arbeiter, allerdings nicht Jener, den er soeben zu Meister Gaëtano geschickt, zurückgekehrt, als der Polizeibeamte des Viertels mit Sbirren und Soldaten eintrat und Stendal, der doch etwas ängstlich an der Mauer lauschte, hörte, wie der Nachbar, laut lachend, mit seiner derben Stimme sagte: »Sucht nur alles genau durch, Ihr Herren, und dann will ich meine Leute, wenn Ihr wollt, in Reihe und Glied aufmarschieren lassen.«

Hierauf war es einen Augenblick still geworden, dann hatte man ein lautes Lachen gehört, dem die Worte des alten Bildhauers drüben gefolgt waren: »Angenehm ist es allerdings nicht, wenn man selbst der Polizei seit zwanzig Jahren als ein gentil uomo bekannt ist, auch seine schweren Steuern pünktlich bezahlt hat, dann noch als Jemand angesehen zu werden, der Verbrecher wissentlich verbirgt; aber geniert Euch nicht und schaut diese braven Burschen hier, die Ihr ja doch alle von Angesicht zu Angesicht kennt, meinetwegen bis ins Herz hinein – –«

»So!« – – hörte man ihn in einer kleinen Pause sagen, »nun werdet Ihr wohl erlauben, daß sie wieder an die Arbeit gehen? Hat eine starke Viertelstunde gedauert, thut bei zwölf Mann, mich nicht einmal eingerechnet, drei Stunden, zu vier Soldi mehr wie einen Scudo, den man besser hätte vertrinken können – adio, adio!«

Dann hörte Stendal, wie die Gesellen nebenan wieder zu hantieren und zu klopfen begannen, und er that einen tiefen Atemzug der Erleichterung, als nach einem festen Anklopfen die Thüre auch seines Hofes geöffnet wurde, und die Polizei eintrat, wobei der Beamte, der sie führte, so auffallend zu dem Giebelfenster des anstoßenden Hauses aufschaute, daß den jungen Bildhauer, welcher unwillkürlich diesem Blick folgte, plötzlich der Gedanke überflog, es sei dort oben ein Stück des dünnen Bindfadens hängen geblieben. Obgleich dies glücklicherweise nicht der Fall war, so schien doch ein stärkerer Verdacht die Polizei zu veranlassen, sowohl Hof als Atelier aufs genaueste zu durchsuchen, und vor allem den Arbeiter Meister Gaëtano's, der sich auf etwas kompromittierende Art bemühte, tief gebückt in der dunkelsten Ecke Marmorstaub zusammenzukehren, wobei er sein Gesicht auf fast ängstliche Art zu verdecken suchte.

»He da, guter Freund?« rief ihn einer der Polizeidiener an, indem er ihm zu gleicher Zeit vertraulich aus den Rücken klopfte, »willst du nicht so gut sein und ein wenig ans Tageslicht kommen?«

Murrend und fast widerstrebend wurde diesem Befehle Folge geleistet, doch nur so lange, bis sich beide an der Atelier-Thür befanden, woraus sich dann der vermeintliche Verbrecher und Flüchtling lachend aufrichtete, und dem Andern voll ins Gesicht schauend ausrief: »Es ist doch noch nicht so lange her, Gevatter, daß wir zusammen beim Wein waren, und du willst mich schon nicht mehr recht kennen, wie du vornehm geworden bist!«

»S – o – o – o – – du bist's, Beppo – hol dich der Teufel! – ich dachte, du wärest nebenan bei Meister Gaëtano!«

»Und ich dachte, du wärst noch immer guarda-porta im ehrlichen Dienst bei deinem principe, und nun bist du unter die Polizei gegangen – sia benedetto!«

»Wozu der vielen Worte, wenn Ihr den Arbeiter kennt?« rief der Beamte im barschen Tone, »kommt wir haben wahrhaftig nicht unnötige Zeit zu verlieren!«

»Wer weiß, ob es Zeit verlieren hieße,« brummte der Betreffende in den Bart, »wenn wir hier nochmals gründlich untersuchten, oder diesen Spitzbuben mitnähmen!« Doch erwiderte dieser den Blick seines Freundes in so eigentümlicher Art, daß der Andere ohne weiteres, nur leise vor sich hinmurrend, seinem Vorgesetzten folgte.

»Dem Himmel sei es gedankt!« rief Stendal freudig aufatmend, als sich die Hofthüre hinter den Sbirren geschlossen, worauf er, diesem Gefühle der Dankbarkeit lebhaften Ausdruck gebend, zwei Scudi-Stücke in die Hand des verschmitzt lachenden Beppo gleiten ließ, der alsdann in einem sehr gemütlichen Tone sagte: »Welchem ehrlichen Kerl macht das überhaupt nicht das größte Vergnügen, die Polizei zu überlisten, und obendrein in einem solchen Falle! Hätten sie den Ärmsten gekriegt, so würden sie ihn wenigstens ein paar Monate lang in ihren dumpfen Löchern herumgezerrt und ihn um ein Tausend Scudi leichter gemacht haben, denn sie wissen, daß er das zahlen kann – ein reicher Pächtersohn aus der Campagna, dem ein kleines Unglück passiert ist! Ihr thut ein gutes Werk, Herr, wenn Ihr ihm weiter helft!«

»So schickt ihn mir herüber. Er kann dasselbe Marmorstück dem Ignazio wieder tragen helfen.« – Stendal begab sich abermals an die Arbeit und war bald wieder so im entzückten Anschauen seines Werkes versunken, daß er es nicht einmal bemerkt, wie der Flüchtling mit Ignazio das Marmorstück wieder gebracht, und daß sich ersterer mit abgezogener Papiermütze dem Atelier genähert. Ja es bedurfte eines lauten, in bewunderndem Tone ausgesprochenen: »Ah che bella!« den Zügen der Büste oder der Arbeit geltend, um den jungen Bildhauer umschauen zu machen. Dann aber näherte sich der andere mit dem ungestümen Ausdruck der Freude und Dankbarkeit, ergriff die Rechte des jungen Mannes mit seinen beiden Händen und sagte in einem ungekünstelt wahren und warmen Tone: »Befehlt über Alles, was ich habe, ja laßt mich das Schwerste für Euch besorgen und es wird mir das größte Glück sein. Euch selbst mit Gut und Blut dienen zu können!«

Er sagte das in so gewinnendem Tone, daß es den jungen Bildhauer durchaus keine Überwindung kostete, ihm für ein paar Tage den Aufenthalt in seiner Wohnung anzubieten, was Rafaelo – so hieß der junge Bursche – mit dem Ausdruck größter Erkenntlichkeit annahm. Trotz der ärmlichen und geflickten Kleidung Castelli's, des davongelaufenen Marmor-Arbeiters, zeigte er in seinen Bewegungen, sowie in der Art zu reden, doch jenen Anstand, den man häufig bei jungen Römern, selbst der mittleren oder niederen Klasse findet, sowie einen angeborenen Kunstsinn, der sich in einigen treffenden Worten über die Büste Stendals zeigte, indem er mit schelmischem Lächeln die Frage that: »E la padrone del suo cuore?«

Doch zuckte der junge Bildhauer leicht mit den Achseln, indem er mit einem kaum vernehmbaren Seufzer sagte: »Es ist das allerdings eine Dame, die ich liebe und anbete, aber –«

»Aha, ich verstehe, Signor scultore, hoffe aber für Euch das Beste, denn wenn man einmal einen solchen Schatz des Himmels in sein Herz geschlossen hat, so muß man ihn besitzen oder für immer unglücklich werden!« – –


Am andern Mittag wenig vor 12 Uhr betraten die beiden Freunde das Haus Nr. 24 auf dem spanischen Platze, und wenn sie schon mit dem Empfang des vornehm aussehenden Bedienten zufrieden sein konnten, so noch viel mehr mit dem der Herrschaft selber. Frau von Meierfeld war ihnen selbst bis in's äußerste Vorzimmer entgegengekommen und hatte dort dem jungen Bildhauer ihre beiden Hände gereicht, so daß für den alten Kupferstecher nur ein lächelnder vertraulicher Gruß übrig blieb; dann zog sie den Arm Fra Diavolo's, wie sie ihn scherzend nannte, durch den ihrigen, um dicht an seiner Seite die ganze Zimmerreihe zu durchwandeln, bis zu einem kleinen hübschen Ecksalon, wo ihnen Eveline in sichtbarer Befangenheit entgegentrat. Das Gesicht des jungen Mädchens erschien bleich, um sich dann wieder plötzlich zu röten, als ihr die Tante den Bildhauer Herrn Robert von Stendal vorstellte – »dessen du dich vielleicht noch erinnern wirst.«

Ob sich Eveline noch erinnerte! – – Ihr Herz schlug stürmisch bei dem Anblick des jungen Mannes, dessen Bild nie aufgehört hatte, sie lebhaft zu beschäftigen, seit jenem Abend als sie ihn zum ersten Mal in Terracina gesehen! – – War doch die Tante grausam oder gleichgültig genug gewesen, ihr nicht einmal den Namen der Gäste zu nennen, die sie heute zum Frühstück erwartete! – Aber sie hatte ja auch keine Ahnung von dem, was im Herzen ihrer Nichte vor sich ging, und so war es wie gewöhnlich nur der grasseste Egoismus, daß sie die beiden Fremden, wenigstens den einen, ausschließlich als nur für sie allein gegenwärtig betrachtete. Sie ließ sich von Fra Diavolo ins Eßzimmer führen, setzte Fra Diavolo an ihre rechte Seite, und als sie beim moussierenden Moselwein mit ihm anstieß, flüsterte sie ihm zu: »In Erinnerung an den schönen, jedem weiblichen Herzen gefährlichen Räuber!«

Glücklicherweise befand sich der alte Kupferstecher in einer brillanten Laune, ließ nicht nur bei dem trefflichen Frühstück seinem Beinamen des »verhungerten Ugolino« volles Recht widerfahren, sondern glänzte auch durch eine lebhafte Unterhaltung zum großen Vergnügen beider Damen.

Stendal hatte allerdings öfters und mit Wärme versucht, seine Worte direkt an das junge Mädchen zu richten, doch hatte Frau von Meierfeld in solchen Augenblicken stets seine Aufmerksamkeit zu fesseln gewußt, oder Eveline war gerade mit Wetters in so lebhafter Unterhaltung begriffen, daß sie für den jungen Bildhauer statt aller Antwort nur einen flüchtigen Blick hatte, der obendrein so frostig war, daß es ihn bis ins Herz hinein durchschauerte.

So ging das Frühstück unter sehr geteilten Empfindungen und zwar ziemlich rasch vorüber, und Frau von Meierfeld, die schon ein paarmal ihre Uhr zu Rate gezogen, erinnerte daran, daß die Stunde zum Aufbruch nach den Katakomben von San Calisto gekommen sei. Man brach also auf.

Vor dem Hause befand sich einer der stattlichsten Landauer, den Rom aufzuweisen hatte. Der Kutscher in eigener Livree mit aufgestützter Peitsche saß auf dem Bock, ein Bedienter mit abgezogenem Hut öffnete den Schlag.

Da man sich bei dem Rasseln der Räder auf dem Pflaster nicht gut verständlich machen konnte, so fuhr die Gesellschaft ziemlich schweigsam durch die Via Condotti, dann über den Corso dem Campo Vaccino zu; erst das sanftere Rollen der Räder auf feinem Kieswege zwischen der Ruinenwelt des Forums und das Betrachten der letzteren löste auf sehr natürliche Art die Zungen unserer Gesellschaft, und beide Künstler überboten sich in dem Bestreben, die Damen in poetischer und sachkundiger Weise auf all' das Schöne und Interessante aufmerksam zu machen, an dem sie vorüberfuhren.

So waren sie endlich bei den Katakomben angekommen. Auf der Straße standen Wägen der verschiedensten Art, von dem ein- und zweispännigen Fiaker an bis zur eleganten Gasthofequipage, in welchen Fahrzeugen die Fremden hierhergekommen waren, die sehr zahlreich droben auf der erhöhten Mauer standen um mit Ferngläsern nach einem bescheidenen Wägelchen auszuschauen, das von einem einzigen Pferde gezogen, jetzt diesseits des Thores von San Sebastiano erschien und den würdigen Geistlichen brachte, der so freundlich sein wollte, die Gesellschaft zu führen. Diese war ziemlich gemischt und neben dem einfachsten Damenmäntelchen oder verblichenen Shawl sah man hervorragende glänzende Toiletten, derjenigen der Frau von Meierfeld würdig. Die letztere fand unter der Gesellschaft verschiedene Bekannte, welchen sie ihre Begleiter alsbald vorgestellt hätte, wenn nicht Stendal, sowie sie die kleine Treppe, die von der Straße aufführte, erstiegen hatten, seinen Freund rasch um den Arm gefaßt und mit ihm ein paar Schritte bis zu einer kleinen Bodenerhöhung gegangen wäre, wo er so that, als versenke er sich in den prachtvollen Anblick der Campagna, die allerdings nie wundervoller als an einem klaren, sonnigen Oktobertage, wie der heutige war, leuchtet und strahlt. Doch benutzte er dies kurze Alleinsein mit seinem Freunde, um ihm rasch zu sagen: »Heute oder nie will ich es erfahren, ob ich glücklich oder unglücklich sein werde; wenn du mein Freund bist, beschäftige die Tante, weiche nicht von ihrer Seite, erzähle ihr die interessantesten Märtyrergeschichten, lies ihr die rührendsten Grabschriften, mache ihr meinetwegen den Hof, nur fessele ihre Aufmerksamkeit durch irgend etwas, damit es mir gelingt, ein paar Augenblicke mit Evelinen allein zu sein.«

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»Nichts leichter als das, suche mit der junge Dame voran zu kommen oder in einem halbdunklen Gange zurück zu bleiben, nur wage dich in deiner Leidenschaft in keinen Seitengang, denn du weißt selbst, daß gegen die gefährlichen, verschlungenen Irrwege da unten selbst das Labyrinth des seligen Minotaurus ein harmloser Spaziergang war.«

»Und du beschäftigst die Alte?«

»Ich schwöre es, selbst auf die Gefahr hin, mit oder an ihr zum Märtyrer zu werden!«

Bei diesem letzten Worte machte der alte Kupferstecher, der ein sehr seines Gehör hatte, eine rasche Schwenkung nach rechts und fuhr in ganz anderem Tone fort: »Nicht wahr, gnädige Frau, welche prächtiger Anblick!«

»Prächtig, prächtig!« sagte Frau von Meierfeld. Sie war mit ihrer Nichte und ein paar Bekannten näher getreten, da sich die ganze Gesellschaft, den eben angekommenen Geistlichen an der Spitze, in Bewegung gesetzt hatte, um auf den ziemlich zerbröckelten Stufen in die Katakomben von San Calisto, wohl mit die größten und ausgedehntesten und deshalb auch die gefährlichsten, hinabzusteigen. Der würdige Geistliche erklärte der Gesellschaft, daß, obgleich die Grenzen dieser Katakomben noch unerforscht seien, doch jetzt schon die Gesamtlänge aller bekannten Korridore auf sechshundert italienische Miglien mit einer Million von Gräbern berechnet sei.

»Entsetzlich, sich darin zu verirren!« hörte der junge Bildhauer Tante Corinna dicht an seiner Seite sagen und dann flüsternd hinzufügen: »Werden Sie mir's übel deuten, Herr von Stendal, wenn ich mich speziell unter Ihren Schutz begebe?«

»Gefahr ist übrigens bei sorgsamer Führung durchaus nicht vorhanden,« sagte der würdige Geistliche, sein Licht hoch emporhebend, wie um seine Herde zu überschauend, die unten in dem engen, dunklen Raume dicht gedrängt im Kreise um ihn stand, manches weibliche Antlitz mit den Spuren einer erwartungsvollen Bangigkeit. Die dünnen, brennenden Wachskerzchen waren zahlreich verteilt worden und ihr rötliches Licht reflektierte eigentümlich an den grauen Tuffwänden, die hier einem riesigen Brunnenschächte ähnlich sahen, während die schwarzen Katakombengänge unheimlich von allen Seiten herübergähnten.

»Nur möchte ich bitten,« sagte der Geistliche, indem er sich in Bewegung setzte, daß sich die Gesellschaft nicht zu weit auseinanderzieht und daß, wenn Jemand abgeschnitten würde, er nicht versucht, uns durch Links- oder Rechts-Einbiegen wieder aufzufinden, sondern in Gottes Namen ruhig stehen bleibt, bis wir ihn auf dem gleichen Rückwege aufsuchen und mitnehmen.«

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Dann ging's in einen der schwarzen Schlünde hinein. Es herrschte hier eine warme, etwas dumpfige Luft, und man mußte sich zuweilen durch die etwas sehr schmalen Gänge mit tiefgebeugtem Haupt, des niedrigen Gewölbes wegen, förmlich durchwinden und vorsichtig auftreten, da es bald ab- bald aufwärts ging, was alles zusammen mit dem vielfach verschlungenen, vielfach sich durchkreuzenden Gewirr von Haupt- und Nebengängen bei dem unbestimmt flackernden Scheine der Lichtchen einen verwirrenden, beängstigenden Eindruck machte. Dann kamen hie und da kleine viereckige Räume, fast immer rundgewölbt, Gräber von Heiligen und Märtyrern der frühesten Kirche, von Bischöfen und namhaften Priestern enthaltend, die der würdige Geistliche meist dazu benützte, seine kleine Herde um sich zu versammeln, teils um sie zu überzählen, dann aber auch, um ihnen die, wenngleich sehr ursprünglichen, aber immerhin interessanten Wandmalereien zu erklären.

Frau von Meierfeld hatte bisher treulichst gehalten, was sie vorhin versprochen, und war dem jungen Bildhauer dicht gefolgt, Niemanden, ja nicht einmal einigen sehr rücksichtslosen Damen fremder Zunge den zuweilen gewaltsam versuchten Vortritt lassend, wofür sich aber diese zähen Engländerinnen bei einem der oben erwähnten Räume angekommen, dadurch rächten, daß sie jetzt mit hoch erhobener Nase unter Ellenbogenpraxis den Durchbruch erzwangen, um in die Nähe des würdigen Geistlichen zu kommen, wodurch sich der ganze zurückgebliebene Strom zwischen Stendal und Tante Corinna drängte, dabei aber Eveline dicht in seine Nähe flutend.

Von hinten wieder rasch vorzukommen, dazu war keine Möglichkeit für Frau von Meierfeld vorhanden, was ihr auch Wetters, der der Absprache gemäß jetzt dicht an ihre Seite getreten war, unter etwas auffallenden Pantomimen zu erklären schien. Doch wiederholte auch die Dame ihrerseits mehrere Male eine etwas auffallende Handbewegung, die Stendal direkt zu gelten schien, von diesem aber nicht verstanden wurde, da er ja so unaussprechlich glücklich war, jetzt in unmittelbarer Nähe des geliebten Mädchens zu sein. Ach, er hätte ihre Hand berühren können, wenn er das gewagt hätte, – er hätte ihren süßen Atem empfinden müssen, wenn sie mit ihm gesprochen hätte, was sie aber nicht that, obgleich sie sich sehr freundlich gegen ihn wandte, ihn mit ihrem lieben Blicke anschaute und leicht die feinen Lippen öffnete – doch nur, um einen entzückend tiefen Atemzug zu thun!

Was hätte sie auch sagen, was hätte er ihr antworten sollen, in Gegenwart so vieler, mitunter sehr neugieriger Augen! Auch erklärte der würdige Geistliche gerade jetzt eine auf die Mauer gemalte Schafherde und da von den braven Tieren sich einige an ihren Hirten drängten, andere ganz oder halb abgewendet standen, so verglich er sie mit Glauben und Unglauben, mit dem Drange, dem Hirten zu folgen, zu zweifeln oder gar abtrünnig zu werden. Dann schloß er seine Erklärung mit den lächelnd ausgesprochenen Worten: »Wie es im Leben häufig geht, meine lieben Freunde, so auch hier: die Ersten werden die Letzten und die Vorderen die Hintersten, weil ich sie bitten muß, unsern Weg eine kurze Strecke zurückzumachen, und mir deshalb zu erlauben, mich durch Ihre Reihen zu drängen und dann vorne die Führung wieder zu übernehmen.«

Auch jetzt begriff Stendal nicht, was Frau von Meierfeld mit der Pantomime sagen wollte, die sie wiederholte, ehe sie mit dem Geistlichen um die Ecke verschwand, einfach weil er diese Pantomime nicht gesehen. Zu tief war er im Anschauen der herrlichen Gestalt des jungen Mädchens, das vor ihm herwandelte, versunken, so daß er es nicht einmal bemerkte, wie die so kläglich betrogenen englischen Damen fast unartig an ihm vorüberdrängten, um abermals den Versuch zu machen, den würdigen Geistlichen zu erreichen. Bei dieser Gelegenheit war es auch geschehen, daß ihm Eine mit ihrem rotkarrierten Shawl sein Lichtchen auslöschte, was er gleichfalls nicht beachtete, denn alles Licht, aller Glanz der Welt wandelte ja sichtbar vor ihm und er vermeinte förmlich das reiche hellblonde Haar Evelinens, das tief über ihren Nacken hinabfloß, überirdisch leuchten zu sehen.

Jetzt oder nie! Der Augenblick war gekommen, wo er sich erklären mußte, wo er die aufregende Wanderung durch die unheimliche Totenstadt zum Vorwande nehmen, ihr seine glühende Liebe gestehen und zu ihren Füßen fragen konnte, ob er glücklich oder unglücklich wieder zum Tageslicht emporsteigen dürfe? – Der Weg, den sie von hier aus einschlugen, war diesem Vorhaben so günstig als möglich; bald ging es rechts, bald links, bald abwärts, bald aufwärts, woher es auch kam, daß sich die Gesellschaft länger als vorhin auseinanderzog, so daß sich Stendal mit dem jungen Mädchen schon ein paar Mal gänzlich im Dunkeln befand und nur noch im Stande war, dem Klange der Stimmen zu folgen, die aber dumpfer wurden und sich in der Ferne ganz zu verlieren schienen. Das junge Mädchen, dadurch ängstlich geworden, eilte jetzt so rasch vorwärts, daß er ihr kaum zu folgen vermochte, ja sie ein paar Mal zu verlieren schien, wie eben jetzt wieder, wo er, um eine Ecke biegend, plötzlich erschrocken stehen blieb, da ihre Gestalt spurlos verschwunden war und er beim angestrengtesten Horchen auch nicht das leiseste Geräusch mehr hörte, weder vom Klange ihrer Schritte noch vom Rauschen ihres Gewandes. Sollte sie hier in dem etwas erweiterten Raume, ihn erwartend, stehen geblieben sein? Bei dem Gedanken fühlte er sein Blut in fieberhaften Schlägen rasen, so daß er nicht im Stande gewesen wäre, auch nur ein einziges geordnetes Wort hervorzubringen. Plötzlich stieß er einen unartikulierten Laut des Entzückens aus, denn jetzt streifte er um sich tastend an die weichen, warmen Formen ihres rasch zurückzuckenden Körpers; er erfaßte ihre Hand, die er an seinen Mund ziehend mit heißen Küssen bedeckte, wobei er fast aufschluchzend stammelte: »O, ich liebe dich unaussprechlich – über alles!«

Obgleich ihre Antwort nur in einem warmen Drucke der Hand bestand, so verlangte er doch umsoweniger eine andere, als sie sich nach einigem sanften Sträuben in seine Arme ziehen, ihn ihre Lippen finden ließ, auf die er die seinigen mit glühender Innigkeit preßte.

Ach, wenn dieser entzückende Traum nur nicht so kurz gewesen wäre – denn kaum hatte sie ein einziges Mal seinen Kuß und nur schwach erwidert, als sie sich losriß, ja ihn fast zurückstieß, so daß er schon das Rauschen ihres Gewandes entfernt im Gange hörte, ehe er sich zu fassen vermochte, um ihr nachzueilen. Und dabei fiel ihm mit einem Male der entsetzliche Gedanke schwer auf die Seele, daß sie den Weg verfehlen müsse, um, eine lebendig Begrabene, nie mehr das Tageslicht zu erblicken, um für ihn, den Verzweifelnden, auf ewig verloren zu sein!

Wer begreift es nicht, daß er in diesem schrecklichen Augenblicke trotz seiner Jugendkraft fast zusammenbrach, daß seine Kniee bebten, seine Finger zitternd an der finstern Wand umhertasteten, daß ihm der Schweiß in hellen Tropfen auf die Stirn trat! – Nicht für sich selber, der sich ja im gleichen Falle befand, bangte ihm, oh, ihm wäre es ja eine Seligkeit gewesen, hier, vom Arm der Geliebten umschlungen, zu Grunde zu gehen, aber sie – sie – das schöne, unglückliche Mädchen – Eveline – seine heißgeliebte Eveline!

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Da war es ihm, als vernehme er sehr entfernt den Ton einer menschlichen Stimme – – – – dann mehrere deutliche – – – – dann verworrenes Sprechen – – und als er abermals eine Ecke des engen Ganges erreicht und sich dann herumwandte, beleuchtete allerdings fern von ihm ein rötlicher Schein die gewundene Katakombe – – – – er war gerettet – aber sie?! – aber die unglückliche Eveline?! –

Kaum trugen ihn seine Füße dem sich rasch verstärkenden Lichtscheine näher – dann aber in der nächsten Minute hätte er innig dankend auf die Kniee sinken mögen, denn er sah nicht nur undeutliche Gestalten der Gesellschaft dicht vor sich in einem größeren Raume versammelt, sondern vom Lichtstrahl hell beleuchtet Eveline an der Seite ihrer Tante stehen! – Sich jetzt rasch zu nähern, vermochte er nicht, er wartete, bis Alles wieder in Bewegung war, um sich dann den Letzten anschließend, Wetters zu finden, dem er im Übermaße des Entzückens die Hand drückte und ihm zuflüsterte: »Freund, ich bin unaussprechlich glücklich!«

Wie gerne hätte er sich hierauf Evelinen genähert, sei es auch nur, um ihr durch einen Blick oder durch ein an sich harmloses Wort dieses unaussprechliche Glück auszudrücken! Doch hielt ihn eine begreifliche Scheu zurück, auch wohl die ruhige Freundlichkeit des jungen Mädchens, mit der sie ihn einmal betrachtete und welche zu sagen wollen schien: »Laß uns für heute zufrieden sein mit der seligen Minute, die wir genossen!« Und diese Erinnerung reichte auch hin, ihn so vollständig der Gegenwart zu entrücken, daß er nur wie träumend der Gesellschaft folgte, mit stehen blieb, wo diese stand und so nach Verlauf einer halben Stunde, ohne weiter etwas gesehen zu haben, mit an das Tageslicht wieder emporstieg, tief aufatmend, alle Schatten hinter sich lassend, einem wunderbaren, ungetrübten Glücke entgegen.

Aber um alles in der Welt hätte er es jetzt nicht vermocht, bei ruhiger Unterhaltung der Geliebten gegenüber in dem engen Wagen zu sitzen. Mußte er doch schon hier an sich halten, um nicht jubelnd emporzuspringen und in die einsame Campagna hinauszueilen, um mit seinem Glücke allein zu sein!

Deshalb auch faßte er den Arm seines Freundes, als sie droben angekommen waren und raunte ihm zu: »Es ist mir bei dem beglückenden Sturme in meinem Innern unmöglich, jetzt in ruhiger Unterhaltung mit den Damen zurückzufahren, du wirst eine gute Ausrede erfinden, damit wir zurückbleiben und zu Fuße folgen können. Auch drängt es mich, dir Alles ausführlich zu erzählen.«

Dann folgten sie in angemessener Entfernung den beiden Damen, Wetters kopfschüttelnd etwas voraus, um Frau von Meierfeld unter Bezeigung seines besten Dankes zu sagen, daß er und Stendal ein kleines Geschäft mit dem Antiquar bei den Thermen des Caracalla zu besorgen hätten und deshalb um Erlaubnis bäten, zurückbleiben zu dürfen.

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Tante Corinna blickte mit einem milden, sinnigen Lächeln an dem alten Kupferstecher vorbei auf seinen sich langsamer nähernden Freund und sagte dann in einem sanften Tone: »Ich verstehe, oh, ich verstehe und werde mich glücklich schätzen, Sie morgen wieder bei mir zu sehen. Auf Wiedersehen also!«

Und Eveline? – sie sagte Nichts – sie hielt ihre schönen Augen auf die im Abendsonnenscheine leuchtenden, tiefvioletten, goldgesäumten Albanerberge geheftet und ihr Blick, als sie dann Abschied von dem jungen Manne nahm verriet auch nicht durch die kleinste Nüance, was vielleicht in ihrer Seele vorging, ja nach dem Geschehenen darin vorgehen mußte! Im Gegenteil – dieser Blick erschien ihm kalt und strenge, fast traurig, und als sie ihm am Wagen ihre Hand reichte, fühlte er auch nicht die leiseste Bewegung ihrer zierlichen Finger, woraus er doch so sehnsüchtig gehofft hatte.

»Ja, so sind einmal die Weiber,« sagte der alte Kupferstecher, nachdem ihm Stendal auf ihrem Gange durch die Via Appia alles, was vorgefallen war, von der Begegnung in den Katakomben an bis zu dem so frostigen Abschiede mit der größten Aufrichtigkeit erzählt hatte – »so sind sie nun einmal; mit der einen Hand geben, mit der anderen nehmen, vielleicht aber auch fürchtete das kluge Mädchen beim wärmerem Abschiednehmen deine Unvorsichtigkeit in Blick oder Wort.«

»Glaubst du!«

»Gewiß.«

»So fürchtest du also, Frau von Meierfeld würde meine Bewerbungen um ihre Nichte ungünstig betrachten?«

»Ich fürchte so.«

»Und warum?«

»Hm,« machte der alte Kupferstecher, flüchtig das Gesicht seines jungen Freundes betrachtend, ehe er fortfuhr: »Es ist das so meine Ansicht, ohne, daß ich dir dafür bestimmte Gründe angeben könnte – vielleicht irre ich mich auch und die alte Dame kommt dir auf halbem Wege entgegen.«

»Gott geb's – aber Gewißheit muß ich haben, so bald als nur irgend möglich und auch dazu mußt du mir verhelfen.«

»Ich soll am Ende gar noch den Freiwerber für dich machen?«

»Würdest du mir das nicht zu Liebe thun?«

Wetters blieb laut auflachend stehen, worauf er kopfschüttelnd sagte: »Höre du, ich kenne dich nicht mehr. Du der Kecksten, Lebhaftesten, ja Unbesonnensten einer, du, dem ich in viel tolleren Dingen schon häufig moralische Fesseln anlegen mußte, du, den wir mit dem Namen Fra Diavolo ausgezeichnet, du wolltest dich hinter eines anderen Überredungskunst verkriechen, wenn da überhaupt von Kunst die Rede sein könnte, was ich, der ich mich selbst am besten kenne, aufs Bestimmteste verneine? – Geh doch und laß mich das gar nicht gehört haben – ein Kerl, wie du, dem ich gerade in dieser Geschichte schon so vortrefflich vorgearbeitet, indem ich von seinen würdigen Eltern erzählt, auch seine glänzenden Verhältnisse geschildert und von seiner Persönlichkeit viel besser gesprochen, als er es verdient!«

»So glaubst du also, ich selbst sollte –«

»Frei und offen, und das gleich morgen, dich zur Frau von Meierfeld begeben, ihr sagen: da bin ich – und in der Absicht gekommen, Sie um die Hand Ihrer Nichte zu bitten.«

»Das heißt – ich soll doch nicht gleich so mit der Thüre ins Haus fallen?«

»Doch – wenn du meinem Rate folgen willst, im vorliegendem Falle je kürzer, je besser, das ist so meine Ansicht.«

Was am heutigen Tage weiter geschah, können wir im Interesse unserer Geschichte füglich mit Stillschweigen übergehen und wollen nur noch mitteilen, daß, als Stendal seine Wohnung betrat, er dort seinen Schützling Rafaelo fand, aber nicht mehr in der verblichenen Bluse, des davongelaufenen Castelli, sondern in einem eigenen schmucken Anzuge. Mit leuchtenden Augen erzählte der junge Bursche, daß alle Gefahr für ihn so gut wie vorüber sei, da er hier einen Paten bei der Geistlichkeit habe, der sich seiner angenommen, und da auch das Unglück selbst ohne schwerere Folgen vorübergegangen. – »Der Alte ist außer aller Gefahr und wenn mich auch meine Freunde darüber auslachen werden«, setzte er mit einem eigentümlichen Lächeln hinzu, – »so ist's doch für dieses Mal besser so! Auch möchte ich Euch nicht länger zur Last fallen, nur noch bis morgen Mittag,« setzte er hinzu, »da die Unterhandlungen hoffentlich bis dahin zu einem glücklichen Ende geführt sind.«

»Bleibt so lange ihr wollt, Rafaelo; Ihr wißt, daß Ihr mich nicht im geringsten belästigt, und gerade jetzt, wo ich selbst unbeschreiblich glücklich bin, möchte ich im stande sein, auch Anderen etwas Angenehmes zu erzeigen.«

»Ja, Ihr seid glücklich, Signor Scultore,« gab Rafaelo in herzlichem Tone zur Antwort, »ich habe sie gesehen – schön, wie Madonna und anmutig wie ein Engel – ah, Ihr müßt wahrlich unbeschreiblich glücklich sein! – Ich sah Euch mit ihr ausfahren,« fuhr er fort, da ihn Stendal fragend anschaute, »in dem schönen Wagen mit der alten Dame und erkannte sie augenblicklich von Eurer Büste her. Ah, Signore, Ihr verdient es glücklich zu werden,« setzte er bewegt hinzu, »habt es schon allein an mir verdient und dadurch eine Seele gewonnen, die Euch dankbar ergeben und anhänglich sein wird, so lange sich ein Atem in dieser Brust bewegt – befehlt über mich, wenn und wie Ihr wollt!«

Wie es oft geht, daß man sich in dem Gedanken gefällt, vielleicht für eine gute That schon diesseits Belohnung zu finden, so verursachten auch diese Beteuerungen Rafaelo's unserem Freunde eine angenehme Empfindung, die wohl im stande war, einigermaßen das beklemmende Gefühl zu mildern, mit dem er sich am anderen Tage zur schicklichen Stunde nach der Wohnung der Frau von Meierfeld begab.

Dort schien er indessen schon erwartet zu sein, denn der vornehm aussehende Bediente öffnete ohne weiteres die Thür und der Kammerdiener in weißer Cravatte führte ihn schweigend bis an den Salon der gnädigen Frau, wo sie selbst, sich rasch von dem Divan erhebend, ihm lächelnd entgegentrat.

Ach, mit einem so gewinnenden graziösen Lächeln, das deutlich sagen zu wollen schien: »Sieh, wie du erwartet worden bist!« wobei sie ihm die Hand entgegenstreckte, deren leiser Druck seinen gesunkenen Mut bedeutend hob.

Wir sind überzeugt, daß auch der geneigte Leser eine gewisse Verlegenheit in seiner Lage begreiflich finden wird, denn da der Frau von Meierfeld der Ruf eines kolossalen Vermögens voranging, so konnte man seiner Bewerbung um die Nichte derselben nach so kurzer Bekanntschaft eigennützige Motive unterschieben, wenngleich er selbst in seinem Namen und Vermögen Genügendes zu bieten hatte.

Doch schien sich alles auf's Günstigste zu gestalten. Tante Corinna, heute in ein einfaches, schneeweißes Gewand gekleidet, schmucklos, wie eine junge Lilie, hatte seine Rechte nicht losgelassen, als sie ihn jetzt zum Divan führte und dort sanft an ihre Seite niederzog. Dann nickte sie ein paar male schweigend und mild lächelnd mit dem abgewandten Kopfe und ihre dazu leise geflüsterte Worte: »Ich sollte eigentlich zürnen über Ihren jugendlichen Übermut,« ließen ihn freier und freudiger aufatmen. Gewiß hatte Eveline der gütigen Tante alles gestanden, und so hätte er denn nichts mehr nötig gehabt, als seine Bewerbung in kurzen, trockenen Worten anzubringen.

Doch, wer vermöchte das ruhig zu thun mit solch' vollem liebendem Herzen?

Er wenigstens war nicht dazu im stande und als er jetzt noch immer zagend, an der Seite Corinna's saß, während sie seine Rechte sanft in ihren beiden Händen hielt, fing er an rückwärts schweifend, bei jenem Abend in Terracina an, wo er vor der Muschel-Grotte stehend, völlig geblendet, das schönste Bild gesehen, das ihm bis jetzt erschienen. Dann erzählte er von dem Tage in Astura, wo er gezagt und gezweifelt, jeden Blick, jedes Wort mit einer ängstlichen Genauigkeit abgewogen und namenlos glücklich gewesen sei, als er zu bemerken geglaubt, daß der Eindruck, den er gemacht, kein ganz ungünstiger gewesen sei.

Tante Corinna lächelte schweigend mit niedergeschlagenen Augen vor sich hin, wobei ihm aber ein leises Kopfnicken deutlich sagte, daß er sich, was jenen günstigen Eindruck anbelange, nicht getäuscht.

Hierdurch noch mehr ermutigt, fing er an, über materielle Dinge zu reden, indem er die Unterredung seines Freundes Wetters mit der gnädigen Frau berührte, worin derselbe seine Familien- und Vermögensverhältnisse dargelegt und knüpfte daran eine gewisse Berechtigung, sich vielleicht deutlicher erklären zu dürfen, was er sogar als die Pflicht eines Ehrenmannes erachten müsse, nach dem was gestern –

Ein krampfhafter Druck ihrer Hand schloß ihm für eine Sekunde lang den Mund und er wagte es erst wieder fortzufahren, als Tante Corinna hinter dem vorgehaltenen Schnupftuche mit erregtem Tone: »Weiter, weiter!« flüsterte und dann kaum hörbar hinzusetzte: »Bitte, keine Erinnerungen, die mich heute verletzen könnten!«

Beengt rief er aus: »O, seien Sie nicht so grausam, gnädige Frau, gestatten Sie mir, das Gefühl meines unsagbaren Glückes zu schildern, als ich mich so mit einem Male auf der Höhe der Seligkeit befand, als ich das Entzücken fühlte, geliebt zu werden!«

»Ja, ja!« hauchte sie, sich abwendend.

»Nun denn, da Sie mich nach jenem beglückenden Gestern heute so freundlich und gütig anhören, so darf ich jede Scheu beiseite werfen und nochmals wiederholen, daß ich unaussprechlich liebe und da ich hoffen darf, wieder geliebt zu werden – – um die Hand Ihrer Nichte Eveline bitte!«

Hätte der junge Bildhauer in diesem Augenblicke das Haupt der Medusa zu modellieren gehabt, so würden ihm die plötzlich verzerrten Züge Tante Corinna's das trefflichste Modell geboten haben; ja es ging eine so entsetzliche Veränderung in ihrem eben noch so sanft erscheinenden Gesichte vor sich, sie stieß einen so wilden Schrei aus, riß ihre Hand mit solcher Gewalt an sich, daß er schaudernd zurückwich. Und dieser Schrei hatte entweder ein Echo im Zimmer wachgerufen oder er war von einem anderen, allerdings schwächeren Rufe im Nebenzimmer beantwortet worden, aus welchem man gleich daraus das Geräusch einer zufallenden Thüre hörte.

Corinna schien nichts davon vernommen zu haben, sie sprang von dem Divan auf, faßte ihr Schnupftuch mit beiden Händen und eilte dann, gewaltsam daran zerrend, mit tiefen, aufschluchzenden Atemzügen im Zimmer hin und her, wobei sich nur einzelne Worte von ihren bebenden Lippen lösten: »– Verraten – verraten – betrogen!«

Der junge Bildhauer stand erstarrt, kaum seinen Sinnen trauend, da, und es dauerte wohl eine volle Minute, ehe er anfing, sich des ganzen Unheils bewußt zu werden, das er gestern in den Katakomben angerichtet – statt der Nichte die Tante! – o entsetzliche Verblendung! – ein nie wieder gutzumachendes Unglück! – eine ganze Tragödie, und keine Hoffnung – keine! – von lichter Höhe hinabgestürzt zur finstersten Tiefe! – Von der Tante gehaßt, von Eveline nicht geliebt, schien ihm der Boden unter den Füßen zu brennen, so daß er es als ein Glück ansah, als Frau von Meierfeld, der er sich unter einer tiefen Verbeugung nähern wollte, mit rasch erhobener rechter Hand eine nicht mißzuverstehende Pantomime gegen die Ausgangsthüre machte.

Er kam sich vor wie im Nebel wandelnd, als er nun wieder durch die Zimmerreihe schritt, und erinnerte sich erst später, gesehen zu haben, daß der Kammerdiener leise in die vorgehaltene Hand gehustet, als er an ihm vorüberging, und daß der vornehm aussehende Bediente beim Öffnen der Thüre eigentümlich gelächelt. Auch wußte er nicht, wie er eigentlich in seine Wohnung nach der Via Sistina gekommen, denn es war seine Absicht gewesen, in's Atelier zu gehen und dort die Büste des geliebten, jungen Mädchens mit drei- und vierfachen Schleiern zu umwickeln. Ja, erst als er mechanisch seine Zimmerthüre öffnete und dort Wetters, ihn erwartend, sah, kam er zum klaren Bewußtsein des Vorgefallenen, preßte seine beiden Hände vor das Gesicht und ließ seiner Verzweiflung freien Lauf.

»Beim Himmel,« rief der alte Kupferstecher aufspringend, »in welcher Verfassung kommst du daher! Was für ein Unglück ist geschehen? Es muß wahrlich nichts Geringes sein, was dich so aus Rand und Band gebracht – laß dich nieder, erhole dich – und dann erzähle! Den Teufel auch, die beiden Weiber müssen Sonderbares mit dir angestellt haben!«

– – – – »Wahrlich, Sonderbares ist mir begegnet,« brachte endlich Stendal nach langem Hinbrüten mühsam hervor, »ganz Entsetzliches! Ich habe mich lächerlich und damit für immer unmöglich gemacht!« Und dann erzählte er alles dem Freunde, der bald kopfnickend vor sich niederschaute, bald ein eigentümliches Lachen hören ließ, um dann, als ihn Stendal um seine Ansicht fragte, achselzuckend in etwas rauhem Tone zu sagen: »Du weißt, ich bin immer ehrlich und wahr mit dir gewesen, wie ich es auch deiner Mutter versprochen und wie ich es auch jetzt wieder sein will.«

»Du meinst, ich hätte keine Hoffnung mehr?!«

»Auch nicht die geringste, nach dem, was vorgefallen ist und was mir ganz natürlich erscheint.«

»Wie so, natürlich?«

»Kurzsichtiger! – Blind, wie alle Verliebten sind, hast du es freilich nicht bemerkt, welche Gnade du vor den Augen der alten Dame gefunden! Schon in Terracina, als ihr der interessante, glänzende Fra Diavolo entgegentrat, fühlte sie, voll den Thaten des unternehmenden Räubers aus der Oper, sogleich wie jene Lady Cockburn das Bedürfnis, mit dir zärtliche Barcarolen zu singen – hol sie der Teufel!«

»Entsetzlich, wenn du richtig beobachtet hättest!«

»Zweifelst du noch daran?«

»O mein Gott!« – war alles, was Stendal nach einer kleinen Pause mit gepreßter Stimme zur Antwort gab. »So ist alles aus, mein Glück für immer dahin!«

»Bah! Glücklich ist, wer vergißt, was nicht mehr zu ändern ist.«

»Du hast nie geliebt!«

»Dem Himmel sei gedankt, daß ich von dieser Kinderkrankheit verschont geblieben – doch sei ein Mann, Robert – fasse dich, wir sind nicht mehr allein!«

Es war Rafaelo, der unter der Thüre erschienen war, um, wie er sagte, Abschied zu nehmen und zugleich nochmals seinen herzlichsten Dank, sowie seine treueste Ergebenheit auszudrücken. Stumm, mit abgewandtem Gesichte streckte ihm Stendal seine Rechte entgegen, was auch bei einem weniger intelligenten, und wir dürfen wohl sagen, auch minder anhänglichen Menschen als dem Italiener nicht nur einen erstaunt fragenden Blick, sondern eine Frage hervorgerufen haben würde.

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»Per Bacco, Signor Scultore, was fehlt Euch, welche schreckliche Veränderung ist mit Euch vorgegangen? – gestern so glücklich, heute so gar traurig anzusehen!?«

»Das ist nun einmal der Lauf der Welt,« antwortete Wetters, »er glaubte sich gestern einem schönen Ziele nah, um heute einzusehen, daß er dasselbe niemals erreichen wird, und das ist allerdings recht traurig.«

»Aber die schöne Signorina liebt Euch doch?« fragte verwundert der Italiener, »o, ich bin überzeugt, daß sie Euch liebt.«

»Und wenn auch,« meinte Wetters, »so ist es doch mit der Liebe allein noch nicht genug, die schöne Signorina ist eben ein Schatz, der von einem Drachen gehütet wird.

»Ah, ich verstehe, jene alte Dame; aber was kann sie machen, wenn ihr beide einmal beschlossen habt, euch anzugehören?«

»Nun, sie kann, wie sie auch thun wird, den Schatz verschließen, verriegeln, versiegeln und sich obendrein davor hinsetzen,« sagte Wetters achselzuckend.

»Pah!« lachte der junge Italiener, »Riegel und Schlösser lassen sich erbrechen.«

»Allerdings, junger Freund, wenn es einem dabei auf ein bischen Gewalt oder einen kleinen Dolchstich nicht ankommt; verzeiht meine Freimütigkeit, aber das geht doch in diesem Falle nicht gut an.«

»Poverino!« murmelte Rafaelo kopfschüttelnd vor sich hin, indem er mit seinen beiden Händen die Rechte des jungen Bildhauers innig drückte, um gleich daraus mit einem raschen Aufblitzen seiner dunklen Augen laut hinzufügen: »Aber sie liebt Euch, wie Ihr sie liebt und Ihr hattet die Absicht, sie zu Eurem Weibe zu machen?«

»Gewiß – o wie glücklich wäre ich gewesen, doch es hat nicht sein sollen!«

Stendal wandte sich ab, und während er sein Gesicht mit der einen Hand verdeckte und mit der anderen dem Schützlinge nochmals zum Abschiede winkte, sagte er ihm noch mit bewegter Stimme: »Denkt an mich, Rafaelo, wenn Ihr selbst einmal glücklicher seid!«

»Ob ich an Euch denken werde! – die Madonna und alle Heiligen wissen es, und auch Ihr sollt's erfahren! – –«

Es ist für uns eine unangenehme Pflicht, zum Schluß dieser ausnahmsweise etwas traurigen Geschichte zur Wohnung der Frau von Meierfeld zurückzukehren, nicht gerade an dem eben von uns geschilderten Tage, auch nicht am nächsten oder daraus folgenden, denn wir würden die Wohnung wie ausgestorben finden, die Gardinen zugezogen, die Vorhänge herabgelassen, den vornehm aussehenden Bedienten im Vestibule schlummernd, den Kammerdiener auf den Zehen einherschleichend, nach jedem Geräusche erzürnt herumfahrend, da die gnädige Frau, seit drei Tagen an der furchtbarsten Migräne leidend, die unbedingteste Ruhe nötig hat, und das gnädige Fräulein während all dieser Zeit gleichfalls unsichtbar ist und vollauf zu thun hat, die notwendigsten Geschäfte abzuwickeln, sowie eine Unmasse von Briefen zu schreiben, weil die Herrschaft beschlossen hat, in den nächsten Tagen Rom zu verlassen, dessen Luft der Frau von Meierfeld nicht zuträglich gewesen war. Ob andere Gründe zu diesem Entschlusse mitgewirkt, wußte vielleicht Signor Carlo, der schöne Kurier, allein, da nur er, neben der Kammerfrau, in diesen drei traurigen Tagen so glücklich gewesen war, das Antlitz der Herrin zuweilen zu sehen. Daß er indessen etwas wußte, ging aus seinem zuversichtlichen Lächeln hervor, sowie aus gelegentlichen Äußerungen über Rom als nicht ganz passenden Winteraufenthalt für nervenschwache Damen, sowie aus seiner bestimmt ausgesprochenen Überzeugung, daß Nizza mit seiner ruhigen Behaglichkeit bei weitem vorzuziehen sei. Der Himmel schien teilgenommen zu haben an Tante Corinna's Schmerz, denn er hatte sich während dieser drei Tage nicht nur in ein häßliches Grau gekleidet, sondern auch zuweilen einige Thränen geweint, ja er schien so sehr mit der Leidenden zu sympathisieren, daß, als diese am Mittag des vierten Tages ihren Vorhang am Salonfenster auseinanderzog, auch der Himmel im gleichen Augenblicke so liebenswürdig war, seine Wolkenschleier zu zerreißen und ein freundliches, sonniges Blau blicken zu lassen.

Einem schon längst gefaßten Vorsatze entsprechend, ließ sich Tante Corinna auf ihren Divan nieder, befahl der herbeigerufenen Kammerfrau, ihre Nichte auf einen Augenblick hierher zu bitten, und nahm dann, ehe das junge Mädchen eintrat, wieder Lage und Geberde einer tief Leidenden an. Trotz alledem aber streckte sie Eveline ihre Hand entgegen, ja zog sie an sich, während sie mit matter Stimme sagte: »Ich verzeihe dir, mein Kind, und verspreche dir so zu thun, als sei durchaus nichts vorgefallen, wenn auch du die Absicht hast, alles Geschehene und vor allen Dingen jenen Übermütigen zu vergessen, der ein so zweifach schändliches Spiel getrieben.«

Wenn auch Eveline, die in den letzten Tagen gleichfalls etwas bleich geworden war, jetzt schweigend ihren Kopf senkte, so sah man doch an der heftigen Bewegung ihres Busens, daß derselbe von Gefühlen bewegt war, die vielleicht nicht ganz im Einklange mit den Worten ihrer Tante standen, was um so wahrscheinlicher erschien, als auch ihre Augen einen schmerzlichen Ausdruck hatten, und sich ein bittrer Zug um ihren sonst so frohen heiteren, glücklich lächelnden Mund zeigte.

»Um dir ein Vergessen zu erleichtern, wenn das nötig sein sollte, bringe ich dir das Opfer, Rom zu verlassen,« hauchte Frau von Meierfeld.

»Mir, Tante?«

»Dir, Eveline, und wenn du das heute auch noch nicht einsiehst oder einsehen willst, so wird es doch nur kurzer Zeit bedürfen, um dich davon, sowie von der aufopfernden Liebe deiner Tante zu überzeugen – – ich hatte mich so sehr auf Rom gefreut,« setzte sie in kokettem Tone hinzu.

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Eveline unterdrückte gewaltsam eine Antwort, die von einem tiefen Athemzuge emporgeschnellt, schon im Begriffe gewesen war, ihren Lippen zu entschlüpfen, ja sie hatte Kraft und Stolz genug, um auch nicht die mindeste Regung auf ihren Zügen zu zeigen, als Frau von Meierfeld fortfuhr: »Wir reisen morgen, wie ich es angeordnet, und da es mir nicht gleichgültig ist, was die Welt über mich sagt – Signor Carlo war so freundlich mich von einem Gerüchte in Kenntnis zu setzen, als seien Uneinigkeiten zwischen uns beiden ausgebrochen! – so habe ich um zwölf Uhr meinen Wagen befohlen, um ein paar der notwendigsten Besuche mit dir zu machen, sowie eine Spazierfahrt, vor Porta Salaro hinaus, wo wir die Crême der Gesellschaft vom heutigen Rennen zurückkehrend, begegnen werden. – Also um zwölf Uhr, mein Kind, und ich bitte dich, wähle ein heiteres Gesicht zu einer hübschen Toilette!«

»Um zwölf Uhr, Tante, werde ich bereit sein,« erwiderte das junge Mädchen, ihren Kopf langsam, wie zum Gruße senkend, worauf sie das Zimmer verließ.

Zur bezeichneten Stunde fuhr denn auch der uns bekannte, elegante Landauer mit dem vornehm aussehenden Bedienten neben dem Kutscher über den spanischen Platz, hielt dort, aber nur sehr kurze Zeit, vor ein paar Häusern, dann ebenso vor dem englischen Hofe, sowie vor dem Hotel de Rome am Corso, um alsdann nach längerer Fahrt die Porta Salaro zu erreichen, wo den beiden Damen denn auch, wie Frau von Meierfeld vorausgesagt, eine ganze Reihe glänzender Equipagen begegnete, aus denen sie von Bekannten neugierig angeschaut und mit auffallender Freundlichkeit begrüßt wurden.

Weit vor dem Thore draußen, wo die hohen Gartenmauern längs der Straße bereits aufgehört hatten und die wunderbar gefärbte Campagna mit dem entzückenden Hintergründe des Albanergebirges frei vor ihren Blicken lag, wandte sich der vornehm aussehende Bediente mit der Frage, ob der Kutscher auf dem gleichen Wege heimkehren solle, welche Frage das junge Mädchen veranlaßte, einen bittenden Blick auf Tante Corinna zu werfen. Und da sich auch diese von der herrlichen Rundschau heute, am letzten Tage ihres römischen Aufenthaltes, eigentümlich bewegt fühlte, so schüttelte sie verneinend mit dem Kopfe und befahl einen schon öfter zurückgelegten Weg zu fahren und durch die Porta del Populo zurückzukehren.

– – – – »Auch in Nizza ist es schön, wie du sehen wirst – – – – und das prächtige Felsengestade mit dem tiefblauen Meer ist schon im Stande, die Campagna zu ersetzen.«

»Glauben Sie, Tante?«

»O, ich bin davon überzeugt, und du wirst mir zugeben, daß diese wogende und doch so ernste Fläche mit ihren Trümmerhaufen und Ruinen bei aller Schönheit doch etwas Drückendes, ja Melancholisches hat.«

»Gewiß – – – – aber ich schwelge in dieser Trauer.« Die letzteren Worte sprach das junge Mädchen indeß nur zu sich selber, dann aber setzte sie laut hinzu: »Gerade diese Trauer in der Landschaft wird mir unvergeßlich sein.«

Gleiches schien auch Tante Corinna zu denken, denn ihr Gesicht, das bis jetzt eine fast auffallende Heiterkeit zur Schau getragen, nahm, während sie weiter fuhren, einen nicht nur ernsten, sondern wehmütigen Ausdruck an, und als der Wagen jetzt einer Bodenvertiefung zurollte, deren Rand im nächsten Augenblicke den Anblick der wundervollen Berge verdecken mußte, rief sie zurückschauend: »Einen Augenblick halten!«

Am Horizont hoben sich noch die im Strahle der Abendsonne leuchtenden Berge von dem helleren Himmel ab und rahmten aufs Prächtigste das großartige Campagnabild ein mit seinen sanften Höhenzügen, mit seinen falkenumkreisten Türmen, seinen rätselhaften Trümmern und Gräbern, seiner Öde und seinem wundersam ergreifenden Schweigen, das vielleicht nur hie und da unterbrochen wurde von fernherklingenden Glockentönen, sowie durch eine kleine Schaar malerisch gekleideter Campagnareiter, die auf ihren flüchtigen Pferden drüben einen Augenblick zum Vorschein kamen, um aber sogleich wieder in einer tiefen Bachrinne zu verschwinden.

»Würden Sie mir nicht gestatten, liebe Tante, ein paar Schritte bis zu jener Einsenkung zu machen, um mir dort bei dem zertrümmerten Bogen des Aquädukts ein paar Epheublätter zur Erinnerung abzubrechen?«

»Gewiß, Eveline, du kannst auch für mich ein paar mitbringen,« gab Frau von Meierfeld, weich gestimmt wie sie war, im sanften Tone zur Antwort; ja diese weiche Stimmung veranlaßte sie, unter einem leichten Seufzer der schlanken Gestalt des jungen Mädchens nachzuschauen, wie dasselbe rasch den Hügel hinabeilte und in der Bodensenkung verschwand. Sie fühlte jetzt eine seltsame Regung in ihrem Herzen, indem sie dachte: »Würde es mich nicht auch glücklich gemacht haben, wenn alles anders gekommen wäre, wenn ich beim ersten Erblicken jenes jungen Mannes vernünftiger Weise mehr an Eveline als an mich selbst gedacht hätte?«

Nachdem sie diesen Gedanken erfaßt, warf sie sich unmutig in die Kissen des Wagens zurück, bedeckte die Augen mit der Hand und versank in langes, tiefes Sinnen. Als sie nach längerer Zeit endlich aus demselben ausfuhr, konnte sie die Bemerkung nicht unterdrücken, daß das junge Mädchen eigentlich längst zurück sein könnte. Der vornehm aussehende Bediente erlaubte sich zu dieser Bemerkung nur leise mit den Achseln zu zucken, während der Kutscher sich umwendend sagte: »Hoffentlich kommt das gnädige Fräulein recht bald, denn die Sonne ist am Untergehen und dann ist es hier nicht mehr ganz geheuer?[??]«

»Wie so, nicht mehr ganz geheuer?« rief Frau von Meierfeld erschrocken.

»Nun, Euer Gnaden, ich meine nur, daß man Beispiele hat, wie gerade in dieser Gegend jemand von den Briganten weggeschleppt und nur gegen schweres Lösegeld wieder losgelassen wurde.«

»Gerechter Himmel! – doch ist so etwas ja ganz undenkbar, sie kann sich ja nur ein paar Schritte von uns entfernt haben, eilen Sie rasch dort hinab, Jakob, laufen Sie, laufen Sie und sagen dem Fräulein, sie soll augenblicklich zurückkommen!«

So rasch es ihm sein vornehmes Aussehen erlaubte, stolperte Jakob den Hügel hinab, um nach einer von Frau von Meierfeld qualvoll durchlebten Viertelstunde zurückzukehren, wobei er schon von weitem durch Pantomimen andeutete, daß er drunten nichts gesehen, noch gehört habe. – – Dann rief er keuchend vom raschen Laufen und vor Aufregung: »Da drunten bei dem Gestein ist nichts, gar nichts zu sehen!«

»Was ist es für ein Gestein?«

»O, eins von den gewölbten Dingern, das letzte von der Reihe, die sich dort herüberzieht.«

»So will ich selber hin!«

»Aber fahren, gnädige Frau, fahren, die Straße führt ganz nahe an dem Gesteine vorüber.« Damit schwang er sich auf den Bock neben den Kutscher, der seine unruhig gewordenen Pferde scharf laufen ließ, um allerdings auf einem ziemlichen Umwege die Thalsenkung und den halb zertrümmerten Bogen der Wasserleitung zu erreichen.

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Hier stürzte Frau von Meierfeld aus dem Wagen, rasch vorwärts eilend erreichte sie das Gemäuer – keine Spur von dem jungen Mädchen – weder hier, noch bei dem nächstfolgenden Bogen, den sie angstvoll umkreiste. Mit einem lauten Schrei, das Mauerwerk zu ihrer Unterstützung fassend, blieb sie plötzlich stehen – dort vor ihr auf dem Boden lag der blaue Schleier Evelinens!

»Geraubt! – Allmächtiger Gott – geraubt!«

Der vornehm aussehende Bediente faltete seine Hände und schaute mit einem jammervollen Blick gen Himmel, als wolle er sich dort oben erkundigen, ob denn eine solche Frevelthat überhaupt möglich sei, während der resolutere Kutscher ein Römer, seine Pferde etwas zurücknehmend, sagte: »Signora, wenn Sie meinem Rate folgen wollen, so fahren wir augenblicklich nach der Stadt zurück, um bei Ihrem Konsul die notwendigen Schritte zu thun. Lassen Sie aber Jakob für alle Fälle bis zum Erscheinen einer reitenden Patrouille da, die ihn dann wieder mit zurücknehmen kann.«

Vollständig gebrochen ließ sich Tante Corinna von Jakob, dem man indessen einige Unbehaglichkeit wohl anmerkte, nach dem Wagen zurückführen, dort sank sie mit gefalteten Händen in die Kissen zurück und schien es, obgleich sie sonst beim Fahren ziemlich ängstlich war, durchaus nicht zu bemerken, daß die Pferde in rasendem Laufe zurückjagten, um schaumbedeckt vor der Wohnung des Konsuls zu halten. Hier hatte sie sich indessen wieder so weit gefaßt, um diesem würdigen Beamten, Herrn von Nastini, der sich stets aufs Freundlichste und Bereitwilligste seiner deutschen Landsleute anzunehmen pflegte, die ganze traurige Begebenheit in allen Einzelheiten zu erzählen, worauf ihr aber der Konsul sehr wenig Trost zu geben wußte, ihr vielmehr in sehr bekümmertem, ernsthaftem Tone sagte: »Das ist eine recht böse Angelegenheit, verehrte Frau, und ist es kaum anders möglich, als hier einen vorbedachten und allerdings mit vieler Frechheit ausgeführten Raub anzunehmen, und zwar einen Raub, um ein großes Lösegeld herauszupressen.«

»O, wenn es sonst nichts wäre, wenn nur dem unglücklichen Mädchen kein Leid geschieht!«

»Letzteres glaube ich kaum, wenn man prompt bewilligt, was die Räuber verlangen, aber,« setzte Herr von Nastini kopfnickend hinzu, »es wird keine kleine Summe sein.«

»Gott es handelt sich ja nicht um hunderttausend Franken mehr oder weniger,« rief Frau von Meierfeld in ungeduldiger Erregung, »sondern nur darum, das unglückliche Kind so rasch als möglich zu befreien!«

»Was bei Ihrer Bereitwilligkeit wohl keine Schwierigkeit haben wird. Ich fahre sogleich auf die Polizeidirektion, um, wenn Sie mir Erlaubnis geben, auch dort bei den betreffenden, unteren Beamten ein wenig nachzuhelfen« – hier machte er eine nicht mißzuverstehende Bewegung mit dem Daumen und Zeigefinger der rechten Hand – »so wird alles für diese so unangenehme Angelegenheit rasch in Fluß gebracht sein.«

»So möge der Himmel ihre Schritte segnen und ich recht bald Günstiges von Ihnen erfahren!«

»Hoffentlich verehrte Frau, und werde ich jedenfalls nicht ermangeln, Ihnen noch heute Abend mitzuteilen, was ich in Erfahrung gebracht.«

Als Frau von Meierfeld eben im Begriffe war, ihren Wagen wieder zu besteigen und nach Hause zurückzukehren, durchfuhr ein plötzlicher Gedanke rasch wie ein Blitz ihren Kopf. Ein Hoffnungsschimmer erhellte ihre bleichen, gramentstellten Züge und nach kurzem Besinnen erteilte sie dem Kutscher den Befehl, nach dem Atelier des Herrn von Stendal, der Via Tomacelli zu fahren – später nach der Via Sistina, wenn sie Herrn von Stendal nicht in seinem Atelier träfe, was allerdings bei dieser Abendstunde recht unwahrscheinlich war. – Ja, sie wollte und mußte alles vergessen, was zwischen ihnen vorgefallen, und sich in ihm einen getreuen Freund erhalten, der edel genug sein würde, sie in ihrem Unglück teilnehmend zu empfangen, der ja auch vor allen im stände war, die ganze Tiefe ihres Unglücks mitzufühlen und der vielleicht Rat und Hilfe erteilen konnte!

Da stand sie vor der Thüre des Ateliers, erkannte auch die angegebene Nummer und zog hastig an der Klingel. Ein paar Sekunden blieb alles ruhig, dann aber vernahm sie zu ihrer großen Freude einen raschen Schritt, der sich der Thüre näherte, durch welche dann die in Rom übliche Frage erscholl: »Wer ist draußen?« was sie rasch mit dem gebräuchlichen »amici« beantwortete. Dann öffnete sie die Thüre und sie sah den jungen Bildhauer, eine Lampe in der Hand, aus der Schwelle stehen, überrascht, ja fast erschreckt beim Anblick der Dame, die er hier und zu dieser Stunde am allerwenigsten vermutet, die gegen ihre sonstige Gewohnheit bleich, erregt erschien und deren reiche Toilette sich in einer Unordnung befand, die auf etwas ganz Außergewöhnliches schließen ließ.

Besonnen, wie Stendal, wo es galt, sein konnte, reichte er Frau von Meierfeld die Hand, um sie, auf die Thürstufe aufmerksam machend, in den Hof des Ateliers zu führen. Dann schloß er die Pforte, um hierauf mit erhobener Lampe den Weg ins Innere des Ateliers zu beleuchten.

Wohin dort der erste, erstaunte Blick der Dame fiel, bemerkte er wohl, vermochte aber nichts anderes zu thun, als diesen Blick achselzuckend mit einem schmerzlichen Lächeln zu beantworten.

Es war die Büste Evelinens, heute bereits in blendendem Gipse ausgeführt, von einer, im gegenwärtigen Augenblicke für Beide rührenden Ähnlichkeit; hinter ihr erhoben sich die breiten Blätter grüner Pflanzen und ein paar Atelierlampen waren seitwärts so ausgestellt, daß die dadurch entstandenen, leichten Schatten den schönen Zügen des lebenswahren Kopfes beinahe etwas Bewegliches gaben. –

»Sie haben mich bei meinem Ave Maria überrascht,« sagte der Künstler mit tonloser Stimme.

Frau von Meierfeld faltete unwillkürlich ihre Hände, und da sie nicht mehr im stande war, auch nicht mehr Willens, die furchtbare Spannung ihrer Seele länger zu verbergen, so löste sie ihr Leid in Wehmut auf, es rollten Thränen aus den Augen über ihr schmerzerfülltes Antlitz und als sich Stendal bestürzt mit der Frage an sie wandte: »Um Gotteswillen, gnädige Frau, was ist geschehen?« so mußte er diese Frage dreimal und immer dringender wiederholen, ehe sie laut aufschluchzend zur Antwort gab: »Eveline ist von Banditen geraubt worden – heute Abend – vor Porta Salaro – als sie meinen Wagen verließ, um sich bei den Ruinen des Aquädukts – ein Erinnerungsblatt zu pflücken!«

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– – »Eveline geraubt – – entsetzlich! – – vor Porta Salaro bei den zertrümmerten Bogen der Wasserleitung? – wo der Weg nach dem naheliegenden Gebirge vorüberführt? – Ich kenne den Ort, aber sagen Sie mir,« rief er, die zusammengefalteten Hände in wilder Erregung hoch über seinem Kopfe erhebend – »wie konnte das geschehen, wie war das am hellen Tage möglich – denn Sie befanden sich doch gewiß nicht bei der Dunkelheit draußen?«

Wie, um ihn zu beruhigen, zog sie sanft seine Arme nieder, und erzählte alsdann rasch und in den einfachsten Worten, wie alles sich zugetragen.

»So ist also Ihr Diener noch draußen?« fragte er hastig.

»O gewiß.«

»Nach meiner Berechnung können darüber bis jetzt zwei Stunden vergangen sein – Zeit genug für die Banditen – – sie können schon eine Eröffnung gemacht haben und Niemand ist da, der mit ihnen zu unterhandeln versteht – ich muß augenblicklich hinaus!«

»Wohin, Herr von Stendal?«

»Nun, in die Campagna, wo sich das Entsetzliche begeben.«

»So nehmen Sie wenigstens meinen Wagen!«

»Wo denken Sie hin, gnädige Frau, in so finsterer Nacht – befürchten Sie nichts für mich, ich pflege ein so sicheres Pferd zu reiten, das die Pfade so genau kennt, wie ich selber – nur fort, fort – ohne allen Verzug!«

»Gott möge Ihre Schritte leiten! Es ist mir jetzt schon eine Beruhigung, Sie um das Schicksal des jungen Mädchens so innig besorgt zu sehen.«

»O gnädige Frau!« rief er im Tone des Vorwurfs, sie in den Wagen hebend. Dann schloß er den Schlag – »nach Hause!« – und der Landauer rollte dahin.

Stendal hatte nicht weit bis zu dem Orte, wo sein Pferd untergebracht war, war auch so glücklich, dort den Knecht und deshalb eine geöffnete Thür zu finden. Rasch hatte er gesattelt, einen Plaid hinten aufgeschnallt, den Revolver untersucht, welchen er bei weiteren Campagna-Exkursionen mitzunehmen pflegte, und als er sich gleich darauf in den Sattel geschwungen, brauchte er den munteren Rappen nicht anzutreiben, denn das edle Pferd, welches mehrere Tage fast ohne Bewegung gewesen war, schoß mit einer gewaltigen Lancade in die Gasse hinaus und war kaum zu bändigen.

Bald ließ er die Porta Salaro hinter sich, dann ging es im schärfsten Trabe zwischen den Gartenmauern hindurch, um draußen in der Campagna bei einer alten Brücke links abwendend, die breite Straße zu verlassen und auf einem näheren Wege die verfallene Wasserleitung zu erreichen.

Jetzt sah er sie vor sich – kaum erkennbar deutlicher, wenn er sich auf den Hals seines Pferdes niederbückte, wo sich alsdann der Mauerbogen etwas über den Horizont erhob und da bemerkte er eine Gestalt, die sich in der Lichtung hin- und herbewegte, was ihn veranlaßte, langsam näher reitend, seinen Revolver schußfertig zu machen. Es konnte allerdings der Diener der Frau von Meierfeld sein, doch konnte etwas Vorsicht nicht schaden. Jetzt stand die Gestalt und blickte herüber. »Gut Freund!« rief der Reiter, worauf jener sich alsbald und sehr eilfertig näherte; es war in der That der Diener, doch nicht mehr so vornehm wie gewöhnlich aussehend, vielmehr hatte er etwas schlotterig Bewegliches an sich, er strich sich, herankommend, ein paar Mal mit der Hand über die Stirne und sagte mit erschwertem Atemholen: »Gott sei Dank, Herr von Stendal, daß endlich etwas Menschliches kommt!

»Haben Sie etwas gesehen, Jakob?«

»Räuber, Herr von Stendal, lebendige Räuber!«

»Wann war das ungefähr?«

»Vor einer Stunde.«

»Und wie viel waren ihrer?«

»O, es können ihrer sehr viele hinter jenem Mauerwerk verborgen gewesen sein, Herr von Stendal – ich sprach allerdings nur mit einem einzigen.«

»Wie sah er aus?«

»O fürchterlich – er war zu Pferde, hatte ein Wams an und einen Hut auf, wie bei uns zu Hause der entsetzliche Räuber Fra Diavolo.«

»Und was sagte er?«

»O ich habe es genau behalten! – Er sprach zu mir: Du bist gewiß hier aufgestellt, um Botschaft zu überbringen? – Gewiß, gnädiger Herr, gab ich zur Antwort. – Gut, so sage daß die Signorina sehr gut aufgehoben ist, und daß man sie ungekränkt ihren Freunden zurückgeben wird.«

»Und wie viel Lösegeld wurde verlangt?«

»Das erlaubte ich mir auch zu fragen, doch rief er mir mit barscher Stimme zu: Stupido, cio non vi riguarda, und verschwand in der Dunkelheit.«

»Nach welcher Richtung?« rief Stendal, sein Pferd zusammennehmend, doch gab der Diener in kläglichem Tone zur Antwort: »O, gnädiger Herr, wie vermag ich das zu sagen! Wollte ich links hindeuten, so könnte es dort gewesen sein, wollte ich nach rechts sagen, so wäre das auch möglich, kurz, ich weiß nur so viel, daß er plötzlich verschwunden war, und daß ich alsdann das Getrappel vieler Pferde hörte und was wollte ich, ein einzelner, dagegen machen?!«

»In dunkler Nacht – allerdings!« rief der Bildhauer zähneknirschend, »wie sagte er? – sie würde ungekränkt ihren Freunden zurückgegeben?«

»Ungekränkt! – Und wenn ich nicht irre, so hob er dabei eine Hand, wie zum Schwure in die Höhe.«

Ein tiefer, schmerzlicher Seufzer war die ganze Antwort Stendals. Dann wandte er sein Pferd, hieß den Diener sich am Steigbügelriemen festhalten und kehrte, diesmal auf der breiten Fahrstraße nach Rom zurück.

Mitternacht war längst vorüber, als Beide durch die stillen Straßen dahinritten bis zum spanischen Platze, wo Stendal den Diener entließ, nicht ohne ihm einzuschärfen, er solle seine Herrin sogleich wecken lassen, um ihr die Worte des Räubers mitzuteilen. »Ich besorge mein Pferd und begebe mich alsdann nach meiner Wohnung, wo ich übrigens jede Stunde der Nacht eines Befehls der Frau von Meierfeld gewärtig und zu jedem Dienste bereit sein werde.

Darauf ritt er langsam hinweg, gab sein Pferd ab und schritt dann, die spanische Treppe hinauf, seiner Wohnung in der Via Sistina zu. Mehrmals stand er aus diesem Wege stille, im Begriffe wieder umzukehren, sein Pferd abermals satteln zu lassen und wieder in die Campagna hinauszureiten – er biß sich die Lippen blutig, wühlte in seinem dichten Haare und blickte anklagend zu den Sternen auf. Er befand sich in einer furchtbaren Seelenstimmung und das Entsetzlichste war ihm, daß er unthätig bleiben mußte und nichts für die Errettung der Geliebten thun konnte! Dabei quälten allerlei Erwägungen sein aufgeregtes Gehirn: Warum hatte wohl der Räuber nicht die Summe des Lösegeldes ausgesprochen? – Wie wenn es ihm um die Person des schönen Mädchens allein zu thun war? – Grausamer – grausamer Gedanke, der ihm immer und immer wiederkehrte, während er durch die stillen Straßen schritt, während er die Stufen der breiten spanischen Treppe beinahe taumelnd emporstieg! – Und die Sterne, die ja überall hinblicken, schienen ihm seine entsetzlichen Ahnungen bestätigen zu wollen, und es war sogar, als erzählte auch das Murmeln der Springbrunnen davon, deren Wasser ja weither aus der Campagna kam und vielleicht dort allerhand gesehen hatte!« – –

Daß die Thüre des Hauses, in welchem er wohnte, heute gegen alle Gewohnheit unverschlossen war, schien er eben so wenig zu bemerken, als daß ein Lichtstrahl durch die Spalte seiner Zimmerthüre fiel, in deren Schloß der Schlüssel von außen steckte. Vielleicht war Wetters noch gekommen, um ihn zu erwarten – doch nein, denn die Thüre war von außen verschlossen – gleichviel – er öffnete mechanisch, er blickte kaum vom Boden auf, als er eintrat – ja auch dann noch, als er seine plötzlich weit geöffneten Augen erhob, war es ihm, als sei er gar nicht zu Hause – als hätten sich seine Gedanken verwirrt – als träume er – – – träume er – – – – den seligsten, beglückendsten Traum!! – – – –

Denn rasch vom Sofa aufgesprungen stand Eveline vor ihm – sie selbst – lebend und unverletzt – aber jetzt einen Schritt bestürzt zurückweichend, als sie ihn, der ihr hastig entgegenstürzte, erkannte!

»Welch' schreckliche Lösung – welch' unglückselige Lösung!« rief sie schmerzlich bewegt aus, »o eine Lösung, wie ich sie wahrlich nicht vermutet, wie sie uns beide noch unglücklicher machen muß!«

Sie ließ ihm widerstrebend ihre Rechte, die er hastig ergriffen hatte, die er gegen seine Brust drückte, um sie das wilde Pochen seines Herzens fühlen zu lassen. »Möge der Schlag meines Herzens augenblicklich stille stehen, wenn es eine Unwahrheit ist, Eveline, was ich Ihnen sage: diese Lösung kommt mir eben so unverhofft, eben so überraschend, wie Ihnen – – und doch dabei für mich so glücklich!« fuhr er leidenschaftlich fort – »für mich so glückselig!« Er sank zu ihren Füßen nieder. – »O, wende dein Gesicht nicht von mir ab, laß mich dir, mit der ich mich zum erstenmale allein befinde in tiefer verschwiegener Nacht, laß mich dir sagen, wie unaussprechlich ich dich liebe, was ich um dich gelitten seit jener furchtbaren Unterredung, was ich gelitten während der letztvergangenen Stunden, wo ich dich draußen gesucht!«

Sie gestattete es, daß Stendal, während er so sprach, ihre Hände abwechselnd an seine Lippen führte und mit heißen Küssen bedeckte, ja, sie beugte ihr Haupt zu ihm hinab, und dann in einem milden, aber traurigen Tone zu sagen: »Und wenn ich alles das glaube, wenn ich mit Ihnen fühle, ja, wenn ich, mich selbstvergessend, aussprechen will, daß auch in mir ein herzliches Gefühl für Sie spricht, so fühle ich doch, daß diese Stunde uns für ewig auseinanderreißt!«

Er blickte erschrocken aus, als sie fortfuhr: »Wird jemand Ihren – unseren Worten glauben, daß Sie nicht selbst jenen Räuber gedungen hätten – jenen Räuber, der Ihnen bekannt ist?«

»Mir bekannt, Eveline? – Entsetzlich, wenn es so wäre!«

»Ihnen bekannt und zu Dank verpflichtet, wie er mir nicht nur sagte, als er mich entführt, wie ich auch aus der achtungsvollen Rücksicht entnahm, mit der er mich behandelte.«

»Rafaelo!«

»So nannte er sich, als er mich hier verließ, und fügte bei, daß ich hier sicher sein würde, wenn ich mich jeden Rufes, jeden Geräusches enthielte – wo bin ich denn?« fragte sie sich umschauend.

»In meiner Wohnung, Eveline, in der Wohnung eines Mannes, der dich über alles liebt, der dir seine ganze Zukunft zu Füßen legt, den es in seliger Vorahnung künftigen Glückes schauernd überläuft, daß er dich gerade hier fragen darf: Liebst du mich, mein süßes Mädchen, und willst du mein Weib werden?«

»O, wenn nicht schon alles, alles verloren wäre!«

»Es ist nichts verloren, Eveline, und um rasch und zu unserem Besten zu handeln, erwarte ich nur noch ein einziges beglückendes Wort.«

»Ja, auch ich liebe dich!« rief sie bebend an seine Brust sinkend, »ich liebte dich beim ersten Erblicken in Terracina, als du vor der Muschel-Grotte erschienst.«

»O dann ist nichts verloren, alles gewonnen!« jubelte er, sie fester in seinen Arm ziehend, wobei er hastig, leise und innig in sie hineinredete, sein Gesicht dem ihrigen nähernd: »Es ist kaum eine Stunde her, daß ich von deiner Tante weg in die Campagna ritt, um dich aufzusuchen, daß ich dort euren Diener traf, den man zurückgelassen hatte und mit dem ich vor kurzem nach der Stadt zurückkehrte, entschlossen, nochmals in die Campagna hinauszureiten. Nehmen wir an, es sei so geschehen und ich sei so glücklich gewesen, dich aufzufinden – die Nacht ist lang und bis zum Tagesgrauen – –«

»Ja, die Nacht ist lang,« sagte das junge Mädchen, sich ängstlich seinem Arme entwindend, »und würde Tante Corinna Ihre Erzählung glauben?«

»Mag sie es glauben oder nicht: in dem Glücke, dich wieder zu haben, wird sie den Finder königlich belohnen.«

»So laß uns denn gehen,« sagte sie nach einem tiefen Atemzuge.

»Jetzt schon, mein Herz? Sagtest du nicht vorhin selbst, die Nacht sei noch lang und ich bin doch erst eine kurze Viertelstunde bei dir? Ich hätte ja noch nicht einmal Zeit gehabt, das Thor zu erreichen – und doch muß ich ja weit, weit hinausreiten,« fuhr er, sie schmeichelnd an sich ziehend, fort – »weit hinaus – ehe ich den Räuber finde – dann muß ich mit dem Räuber unterhandeln und ich fürchte, er wird nicht sogleich nachgiebig sein – er wird sich sträuben – ich brauche Überredung!«

»Nein, nein!« rief sie erregt, sich seinen Armen entwindend, »komm, ich bitte dich, laß uns gehen – nein, ich bitte nicht!« rief sie mit dem Füßchen stampfend – »kommen Sie, Herr von Stendal – oder ich gehe allein.«

Wie freute ihn diese Festigkeit und Energie des schönen Mädchens! Ihr Auge flammte und der feine Mund bäumte sich trotzig auf. Ach, er hätte ihr wiederholt zu Füßen sinken mögen, trunken vor Freude und Glück den Saum ihres Kleides küssen! Doch war ihren Worten von soeben sogleich die That gefolgt, denn sie stand bereits auf der Schwelle, von dort rasch zurückschauend, ob er ihr folge. Dann lächelte sie zufrieden, sie ließ ihm ihre Hand, ja sie duldete es, daß er ihren schlanken Leib umfaßte, um sie vorsichtig die dunklen Treppen hinabzuführen. Auch drunten aus der nächtlich stillen Straße machte er von diesem Rechte, das ihm die Vorsicht gebot, in umfassendster Weise Gebrauch, hielt das teure Mädchen eng umschlungen, machte sie auf jede Unebenheit des Bodens und dann aus jede Stufe der breiten Treppe, die sie abwärts steigen mußten aufmerksam.

Es war leider nur ein sehr kurzer, aber ein seliger Gang, und je mehr sie sich dem spanischen Platze näherten, um so langsamer wurden ihre Schritte, um so mehr fühlte er und sie das Bedürfnis, sich allerlei Wichtiges zuzuflüstern, wobei es denn sehr begreiflich ist, daß sie in aller nächster Nähe mit einander sprachen, um die Ruhe der Nacht nicht zu stören, wobei es wohl auch zuweilen geschah, daß dies Geflüster in leisen Seufzern auszitterte, um dann unter einem langen, innigen Kuß ganz zu verstummen.

»Ist denn das Rom?« fragte er leise, »ist denn das dieselbe spanische Treppe, die ich so oft hinabgestiegen bin? – höre ich das Murmeln der Fontänen? – sind das die Sterne, die über mir blinken? – Unmöglich! – es kommt mir alles so seltsam fremd, aber dabei so wunderbar herrlich vor – wir beide allein von einem Zauberschlosse niedersteigend und hier vor uns liegt die Trireme, spiegelnd im Wasser, umrauscht von leuchtenden Wellen, bereit, uns an Bord zu nehmen und an ein seliges Gestade zu führen!«

»Wie schön! aber nun denke ich auch an die ernstere Wirklichkeit,« sagte sie, sich fester an ihn schmiegend. »Dort blinkt sie herüber in dem kaum sichtbaren Lichterschein aus den verhüllten Fenstern Tante Corinna's – o wäre die nächste Stunde schon vorüber!«

»Mut, mein geliebtes Mädchen, Mut! Bleib ich doch zu deinem Schutze bei dir und mag kommen, was will, mag sich deine Tante erweichen lassen oder hartherzig bleiben, unsere Wohnung kennst du ja bereits!«

»Abscheulicher! – nein, nein!« erwiderte sie ihn an der Thüre sanft zurückdrängend, »ich will nicht, daß du mich begleitest, ich werde meine Sache freier führen, wenn du nicht da bist, vertraue auf meine Liebe und auf die Sterne dort oben!«


Und Tante Corinna ließ sich erweichen. Die Aufregung der vergangenen Stunden und das kaum Glaubliche, das mit Evelinen vorgegangen war, hatte ihren Sinn so vollkommen geändert, daß sie es nicht erwarten konnte, bis Stendal, der drunten stehen geblieben war, in ihrem Kabinette vor ihr stand, um ihn durch ihre rasche, fast hastige Einwilligung zum seligsten Menschen zu machen.

Ja, diese Hast steigerte sich in den nächsten Tagen bei Tante Corinna ordentlich fieberhaft während der Vorbereitungen zu einer möglichst raschen Vereinigung der beiden Liebenden. Daß Stendal ein gefährliches Abenteuer bestanden, um das junge Mädchen zu befreien, darüber gab Frau von Meierfeld im Kreise ihrer Bekannten nur die allerdiskretesten Andeutungen, die jedoch genügten, um es begreiflich zu finden, daß sie ihm nicht nur in dankbarster Weise die Hand ihrer Nichte bewilligt, sondern daß sie auch die Verhältnisse Evelinens so glänzend gestaltete, als wäre sie wirklich ihre Tochter gewesen.

Da selbst in Rom für Geld fast alles möglich zu machen ist, da Wetters, der getreue Freund unseres jungen Bildhauers, ein unglaubliches Geld für Telegramme ausgab, um schon in den nächsten Tagen eine Depesche von Stendals Eltern vorzeigen zu können, die ihn bevollmächtigten, der Vermählung in deren Namen anzuwohnen, so war bald jede Schwierigkeit aus dem Wege geräumt und am Abend eines sehr bewegten Tages, der in der Erinnerung der beiden Glücklichen auch nach Jahren unzertrennlich blieb von den bunten Bildern zahlreich vorfahrender glänzender Equipagen, von Gratulationen geputzter Herren und Damen, von einer halbdunklen, weihrauchduftenden Kirche, wo rötlich brennende Lichter am Altäre flackerten, von einem laut gesprochenen und einem leise geflüsterten Ja, beide von erschütternder Wirkung, von einem langweiligen Frühstück unter Toasten und Thränen und dann von einem seligen Augenblicke, als der Wagenschlag hinter ihnen zufiel und sie sich endlich allein und beseligt angehören durften – fuhren Herr und Frau von Stendal nach Terracina, wo in der Albergo Romana, dem Gasthofe mit der Muschel-Grotte, ihr erstes Nachtquartier bestellt war.

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