Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Neuntes Capitel.

Die Signalements.

Nun, Das geht ja hoch her! begann Mullrich. Um solchen Heidenspektakel muß Eins aus seiner Nachtruhe heraus! Bekanntes Gesindel wo man hinsieht, und Alles in Sammt und Seide! Gott ist recht langmüthig geworden...

Kümmerlein, Mullrich's College, trug den garstigen und allgemein kenntlichen Dreimaster der Polizeiagenten etwas über's Ohr, denn der kleinere, spitznasige, scharfäugige Agent liebte Fröhlichkeit und Weiber und Musik und verließ diese Festlichkeiten nie, ohne sich vom Wirth und den sogenannten Observaten, den unter Aufsicht stehenden ehemaligen Verbrechern, regaliren zu lassen.

Mullrich, sagte er, Sie werden je älter, je gottesfürchtiger. Das macht Ihr Reichthum...

Reichthum, Kümmerlein? Von meiner früheren Schlosserei, meinen Sie? Wie so?

Wer wie Sie, zwei, drei Geschäfte betreibt, der braucht sich den Kopf nicht zu illuminiren; der ist still lustig für sich.

Kümmerlein, Sie sind noch jung –

Ach, Mullrich... Sie drückt auch nichts als blos Ihr Geldsack!

Meine Frau hat mir erst eine lange Predigt gehalten, eh' sie mir den Dreidecker aufsetzte – ich glaube, wenn ich hier oft in die Fortuna müßte, sie wäre im Stande, meinen Abschied zu fodern...

Thun Sie Das, Mullrich! Machen Sie ärmeren Leuten Platz!

Was? Einen Knochen fallen lassen, den man im Munde hat, weil Einem der im Wasser größer däucht? Nein, Kümmerlein! Die Vizewirthschaft wird doch wol am längsten gedauert haben.

Wie so?

Wissen Sie denn nicht, daß die alten Häuser nun all an die Regierung kommen und diese Posten, die ein paar Groschen einbringen, verauktionirt werden, verpachtet oder sonst etwas?

Da bieten Sie denn selbst für Ihren Keller! Dreihundert Thaler zum Ersten – was?

Dreihundert Thaler? Freund, auf die geht eine halbe Million Pfennige – Wo denken Sie hin!

Nun ich parire, Mullrich, daß Sie monatlich... lassen Sie 'mal rechnen...

Diese Ergüsse einer, wie Hegel sagt, rein »auf sich selbst bezogenen Reflexion« unterbrach ein Herr in eleganter feiner Kleidung mit einem großen Schnurrbarte.

Wir kennen ihn bereits, würden ihn aber jetzt für einen reichen Rittergutsbesitzer haben halten müssen, der die Sitten der Hauptstadt studiren wollte, wenn nicht die dicken waschledernen Handschuhe ihm doch etwas mehr Derbes und Militärisches gegeben hätten.

Es war Dies der Oberkommissär Herr Pax.

Bleiben Sie nicht zu lange auf einem Punkt! sagte der imposante Herr. Sehen Sie sich um! Es sind zwar viele von dem Schutzamt hier, wie Sie beobachten werden, aber auch die Zahl der Vigilanden ist groß. Wo man hinsieht, alte Bekannte. Nehmen Sie Ihre Stellung in der reservirten Loge Nr. 18 und beobachten Sie von da aus den Ballsaal...

Nr. 18! Schön, Herr Oberkommissär!

Haben Sie Ihre Signalements bereits verglichen? Nr. 1 ist nur einfach zu beobachten; Nr. 2 aber sogleich festzunehmen. Es ist Polizei genug da, um auf den Pfiff unterstützt zu werden. Sehen Sie sich auch die Frauenzimmer recht an!... Die Maler-Guste nirgend entdeckt?

Nein, Herr Oberkommissär! lautete die unisone Antwort. Auch Kümmerlein wußte gleich, wer die Maler-Guste war.

Der Oberkommissär ging, wie ein stiller Beobachter, die Arme auf den Rücken verschränkt, weiter. Er war trotz des lauen Abends bis zum Halse zugeknöpft und drückte den Hut bis tief über die Stirn.

Das ist das Beste, begann der kleine Kümmerlein, daß wir auf die Frauenzimmer sehen sollen! Es ist hübsches Volk darunter, die schiefe Male hat doch Augen, die Einem gleich unter die Weste brennen. Guten Abend, Male!

Die schiefe Male lachte, schoß aber in Privatangelegenheiten rasch vorüber...

Kommen Sie, Kümmerlein, und lassen Sie uns lieber hier an der Laterne einmal die Signalements vergleichen! sagte der dienstbeflissenere Mullrich. Wie viel haben Sie denn?

Ein ganzes Zuchthaus voll! Meine Brieftasche ist dick wattirt damit...

Ich habe aber nur zwei.

Die von heute Mittag?

Lesen Sie mir 'mal vor! Weiß der Henker, ich kann immer aus Paxens seiner Schreiberei nicht recht klug werden... meinte Mullrich.

Halten Sie 'mal meinen Stock! antwortete gravitätisch der mit Schulkenntnissen begabtere Kümmerlein.

Die beiden Polizeidiener hatten einen stillen Ort gefunden, wo sie ziemlich unbemerkt die beiden Signalements lesen konnten, die ihnen der Oberkommissär als sehr dringend bezeichnet hatte...

Ein Franzose... begann Kümmerlein; fünf Fuß, acht... Zoll, schwarzes... Haar, blasse... Gesichtsfarbe, Mund... mittel, Augen... braun, Nase... gewöhnlich, trägt... einen... Schnurrbart, 28... Jahre. Spricht gutes... Deutsch mit... französischem...

Kümmerlein buchstabirte das folgende Wort:

A-c-c-e-n-t.

Französischem Azent – Richtig. Deutsch mit französischem Azent – das heißt, man hört's ihm nicht an, daß er kein Franzose ist – Oder vielmehr...

Grade! Man hört's ihm an...

Aha! Also man muß französisch...

Ein Bischen muß man – Können Sie französisch? Kümmerlein?

Kümmerlein behauptete, als ehemaliger Klempnergesell in Frankreich gewandert zu sein; er wiederholte aber, daß ja der Franzose deutsch spräche...

Richtig, sagte Mullrich; aber... Azent!

Kümmerlein war etwas verlegen über die Auskunft, die er geben sollte und las deshalb kleinlauter im Papiere weiter:

Hier steht's wie er heißt... Louis... Armand... besondere... Bemerkung: Man hat ihn im... Umgange mit... Handwerkern, besonders... Willing'schen Maschinenarbeitern... aha!... zu beobachten –

Ah so!

Das ist politisch!

Französische Aufwiegelei! Deutsch mit 'nem Azent! Da wollen wir doch aufpassen; denn das Politische –

Pst! Stille! bedeutete Mullrich und sah sich rasch um...

Eine maskirte Gestalt huschte an den beiden Lesern vorüber und warf aus einer grünen gemalten Brille über der gewaltigen Nase einen scharfen Blick auf die beiden in ihren Charakterstudien vertieften Polizeiagenten, indem sie eine Secunde etwas hustend stehen blieb...

Wünschen Sie etwas? fragte Kümmerlein.

Pardon! war die Antwort und die Maske mit der grünen Brille huschte rasch wieder in's Dunkel und verschwand mit ihrem etwas röchelnden Husten hinter den Büschen.

Pardon? riefen die beiden Collegen...

Pardon? Das war ja –

Französisch –

Mit'm Azent –

Kommen Sie doch! sagte Kümmerlein, ich glaube, der echappirte auf den Saal zu und überhaupt sollen wir auf Loge Nr. 18 vigiliren. Eine grüne Brille? Merken wir uns Das, Mullrich! Es war ein Franzose!

Mullrich konnte diese Bezeichnung Nr. 18 nicht hören, ohne gleich an die Thüren seines Familienhauses zu denken und bei Nr. 18 fiel ihm Nr. 17 ein.

Indem er sich die Möglichkeit dachte, daß diese abgefeimte Nr. 17, die Maler-Guste, doch wol nicht nach Hamburg gegangen und mit ihrer Schuld an seine Ehegattin leicht auf dem Fortunaball auftauchen konnte, folgte er Kümmerlein, der durch das Gedränge dem Saale zu sich Bahn machte und von dem Anblick der Lichter, die aus den Saalfenstern schimmerten und manche Mädchen, die ihn lachend grüßten, so verblendet war, daß er die Spur der grünen Brille bald aus dem Auge verlor und Mullrichen erinnerte, daß sie ja noch das zweite Signalement zu lesen hätten.

Um auf Nr. 18 zu kommen, durfte man jedoch nicht durch den Tanzsaal, auch nicht durch die eleganten Restaurationszimmer gehen, sondern diese kleine Loge war eigends in dem Bauplane des Unternehmers, des Kaufmanns Hitzreuter, von der Polizeibehörde vorgeschrieben worden. Diese kleine versteckte Loge hatte einen eignen Aufgang vom Tunnel aus und machte eine dauernde Beziehung zwischen der Beobachtung des Tanzsaales und der Beobachtung des Tunnels möglich. »Verbotener Eingang« lautete die Aufschrift der Treppe im Tunnel, die zu dieser Loge führte. Es wurde diese kleine Loge Nr. 18 in der kecken Sprache dieser zweideutigen Sphäre die Sternwarte genannt. Hier »vigilirte« man. Von diesem Punkte aus sollten sich heute Mullrich und Kümmerlein eine Übersicht über den Saal erhalten. Da sie in Amtstracht waren, so hatte der kluge Pax wol nur im Sinn, bei den zweideutigen Besuchern des Fortunaballes die Idee zu erwecken, die Beobachtung wäre ganz allein auf die »Sternwarte« beschränkt, während die wahren beobachtenden Füchse gerade da schlichen und witterten, wo man sie am wenigsten vermuthete.

Das zweite Signalement zu lesen, war es die höchste Zeit.

Im Tunnel wurde man zuvörderst von einem undurchdringlichen Rauche empfangen. Hier standen drei grünbezogene Billards und einige kindische Glücksspiele, die aber gerade um so besuchter waren, je weniger sie Nachdenken kosteten; denn mit den großen Geistern haben es die kleinen gemein, daß sie, wenn sie spielen, nicht denken wollen.

Hier im Tunnel wurden die feineren Observanzen der oberen Räume nicht beobachtet. Hier sah man den eigentlichen Stamm der Besucher solcher Festlichkeiten, leichtsinnige, meist junge Geschäftsmenschen, die das Vergnügen lieben. Während oben die im Tanze rasten, die vielleicht erst auf dem Wege zum Verbrechen waren, hielten sich hier unten Manche auf, die, dem Arme der Gerechtigkeit schon einmal verfallen, sich zu bessern suchten und einmal gewöhnt an Nachtschwärmerei, hier unten einen Schein bürgerlicher Solidität fanden, in dessen Ausstrahlungen sie den Vigilanten bessergeworden erschienen.

Nun so rasch? rief eine Stimme vom Büffet, wo man Getränke verabreichte, den auf die Thür: Verbotener Eingang zuschreitenden scharfsichtigen, spähenden Dreimastern zu.

Sie wandten sich um und traten näher.

Man wich ihnen aus, so besetzt auch das Büffet war. Auf dem Fortunaball fand sich jene Demokratie nicht ein, die im ewigen Hader mit den Dienern der Gerechtigkeit lebte. Mancher scheue, trotzige Blick begrüßte sie freilich auch hier; aber Zusammenrottungen, Verhöhnungen äußerer Amtszeichen fanden nicht statt, umsoweniger, als sich der Ex-Kaufmann Hitzreuter als einer jener outrirten Royalisten gebehrdete, die bei jeder Gelegenheit sich mit ihrer Gesinnung vordrängten und aus Dankbarkeit, daß man ihm sogar von Seiten des Hofes eine Summe für seinen Bau geliehen hatte, in den Reubund getreten war und mit diesen Fortunafestlichkeiten zuweilen auch patriotische Zwecke verband, überall royalistische Embleme anbrachte, die Landesfarben und die Landeszeichen, und in seinen Räumen auf loyale Ordnung sah.

Ei, Frau Peters, sagte Mullrich, wie kommen Sie denn daher?

Es war Kathrine Bollweiler aus Angerode, die Vielgewandte, die Anschlägige.

Ja, sagte die kleine hinter dem Tische Getränke einschenkende und Geld einnehmende Frau, die sich mit unglaublicher Behendigkeit und Naivetät in ihre neue Position zu finden wußte; so sieht man sich wieder, wenn man einmal den Pelikan seit Jahr und Tag nicht besucht hat!

Eben nicht sehr zarte Anmerkungen, die sich Kümmerlein über die geheimen Pelikanzustände hier erlaubte und vielerlei sich daran knüpfende Scherze mögen wir um so mehr unterdrücken, als in diesem Augenblicke Peters herantrat und wieder einen »Schatten Margo« verlangte –

Oben, oben, Männchen, oben! rief die Frau etwas ungeduldig.

Es ist ja für die Thüringer – die zweite Fuhre!

Sieh! Sieh! sagte Kathrine. Meine Thüringer Jungen haben Durst. Kommen sie denn nicht einmal hier herunter?

Statt die Antwort abzuwarten, ging Kathrine in die innern Gemächer des Büffets, wo sie diese ausnahmsweise hier unten effectuirte Bestellung besorgte, weil Peters die Garantie haben wollte, für die beiden jungen Thüringer auch das Beste und Unverfälschteste zu bekommen...

Kathrine stieg durch eine kleine Nebentreppe selbst in das obere Büffet hinauf. Sie hatte, so zweideutig uns auch die Stellung dieser runden kleinen Frau erscheinen mag, doch ihre Anhänglichkeit an die abenteuergesegneten beiden Pfarrerssöhne von Thaldüren nicht aufgegeben. Sie gehörte zu den leichten, aber hätschelnden Frauennaturen, die eigentlich etwas unendlich Wohlthuendes im weiblichen Charakter repräsentiren, wie gering auch sonst ihr innerer moralischer Werth erscheinen mag.

Sie sind hier noch nicht lange Kellner? begann Kümmerlein, indem er den in seiner Jacke jämmerlich dastehenden und auf die zweite Fuhre »Schatten-Margo« harrenden Peters betrachtete.

Wie so? fragte Peters nicht ohne Empfindlichkeit.

Weil Sie die Weine am unrechten Fasse zapfen. Hier ist ja der Keller oben, sagte Kümmerlein.

Die verkehrte Welt! brummte Peters.

Der ist kurz angebunden! wandte sich Kümmerlein zu Mullrich, der eins der immer schon eingeschenkt dastehenden Gläser Bier ergriffen hatte und es mit raschem Zuge leerte, indem er langsam den Beutel zog und noch langsamer aufknöpfte.

Kurze Stränge, fährt sich besser! sagte Peters.

Der ist grob wie ein Fuhrmann, antwortete Mullrich.

Und Euer Geldbeutel weit wie ein Bettelsack.

Ein Gelächter der dicht Umstehenden begleitete diesen kurzen epigrammatischen Dialog. Kümmerlein, eben im Begriff sich in seiner Würde zu zeigen und von Mullrich unterstützt, der einen gewissen strategischen Bogen, den er sehr in der Gewalt hatte, um den rebellischen Kellner zu ziehen anfing, wurde in dem Beginn thatsächlicher Feindseligkeiten von Frau Kathrine unterbrochen, die mit dem Schatten-Margo noch zur rechten Zeit herunter kam, um eine schwierigere Verwickelung durch ihre Holdseligkeit und politische Mäßigung abzubrechen.

Eben war wenigstens der durch Kathrinen's Zuhalten seiner Börse beschwichtigte Mullrich im Begriff, beiläufig nach den beiden »Thüringern« zu fragen, die vorhin so theilnehmend erwähnt und hier offenbar vor allen Gästen bevorzugt wurden, als Kümmerlein seinen Kameraden anstieß und diesen verhinderte, etwas Näheres über jene beiden jungen Männer zu hören (bei zwei »Thüringern« sollten sie ja zwischen vier und fünf eine Recherche vornehmen)...

Pst! Sehen Sie da! Der Franzose!

In der That stand die grüne Brille vor der kleinen Thür, die auf die Sternwarte führte und schien die Inschrift zu lesen.

Die beiden Häscher schlichen näher.

Die grüne Brille schien sich erkältet zu haben. Sie hatte einen rheumatischen Husten. Eben wollte sie die Thür aufklinkend die kleine Treppe besteigen, als die Häscher herantraten und Kümmerlein von der eben genommenen Herzstärkung noch resoluter geworden die Maske, weil es in Französisch mit deutschem »Azent« nicht recht gehen wollte, einstweilen in Deutsch mit französischem »Azent« so anredete:

Erlauben Sie, Musje, da steht geschrieben: hier nix Passage!

Ah Merci! sagte die grüne Brille und war mit der Gewandtheit eines Aales den beiden verblüfften Agenten plötzlich entschlüpft. Nur in der Ferne noch hörte man sie hüsteln.

Verblüfft war nämlich Mullrich besonders auch darüber, daß Kümmerlein französisch konnte und Kümmerlein wiederum seinerseits erstaunte, daß sein gewagter Versuch, diese fremde Sprache wenigstens in Anklängen zu reden, ihm wirklich so schön gelungen war. Staunend über diese neuen Entdeckungen, die sie darauf sich gegenseitig machten, verloren sie zwar die Spur des plötzlich wie verschwundenen flüchtigen Fremden, aber sie sagten doch:

Nun, den kriegen wir heute Abend schon! Auch sollen wir ihn ja nur beobachten –

Vigiliren! meinte Mullrich und freute sich des auch ihm geläufigen Fremdwortes.

Mit dem Worte Vigiliren stiegen sie auf die Sternwarte hinauf, indem Mullrich seinen Collegen wiederholt erinnerte, sie hätten nun dringend Nr. 2 zu lesen oder wie Kümmerlein sagte, zu collationiren, was ein ihm geläufiger Ausdruck vom Polizei-Büreau war.

Da es auf der engen Treppe sehr dunkel war, so vertröstete Kümmerlein für dies wissenschaftliche Geschäft auf die brillante Beleuchtung von Nr. 18, in die der ganze Lichtstrom aller Gasflammen des Saales fiel.


 << zurück weiter >>