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Elftes Capitel.

Melanie Schlurck.

Das war ein Lärmen, ein Lachen, ein Jubeln, als die schöne Amazone vom hohen Sattel gehoben wurde und die dampfenden Pferde um sie her im Hofe des Schlosses stampften und wieherten. Reichmeyer's und Lasally's Bediente und Jockeys hielten die Renner am Zügel und führten sie nach den unten am Fuße des Berges gelegenen Ställen zurück, nicht ohne dazwischengeworfene, den Pferden gespendete Liebkosungen oder Scheltworte, jenachdem die Reiter mit ihren Thieren zufrieden gewesen waren oder nicht.

Die Thiere gingen à merveille! rief Melanie unter fortwährendem Gelächter, das dem klagenden und trostlosen Commerzienrath galt; man muß nur reiten können!

Arme Laura, sagte sie zu dem von Reichmeyer gerittenen Pferde, es streichelnd; du hattest es so gut mit deinem Reiter im Sinn! Er sollte dir deine Gedanken ablauschen und du lauschtest sie ihm ab. Du sprangst, du stutztest vor jedem Ast, du schlugst mit den Ohren hochauf, wenn ein Vögelchen geflogen kam, du schwenktest dich anmuthig nach der rechten Seite hin, wenn auf der linken ein Hund kam und bellte, und alles Das will die gefühlskalte Geldseele jetzt nicht anerkennen und schilt dich, arme Laura! Fliehe die Commerzienräthe! Diese Menschen verstehen nicht, was sensible Naturen sind.

Die ältern Damen, die unten im Tempel gewartet, hatten sich auch inzwischen oben am Schlosse eingefunden und begrüßten die ziemlich lange Ausgebliebenen in dem hintern Hofe.

Ohne Spaß, sagte der Commerzienrath zu seiner ihn ängstlich anblickenden Gemahlin, einer Dame in rauschenden Stoffen, ich habe meine Noth gehabt. Man hat mir bei Gott das wildeste Pferd gegeben. Eugen hätte auch mehr Einsicht haben sollen.

Frau von Reichmeyer warf einen vorwurfsvollen Blick auf ihren Bruder, den Stallmeister Lasally, der sich indessen nur mit Melanie beschäftigte und dieser »Querelen« nicht achtete.

Ging es mir denn besser? sagte der Justizdirector von Zeisel, eine lange, hagere Figur mit grauen Haaren und zugeknöpftem blauen Frack mit gelben Knöpfen, eine Bureaugestalt voll Höflichkeit und geschmeidig. Ging es mir denn besser? Mir platzte der Sattelgurt! Denken Sie sich, Frau Justizräthin, mein Malheur, wie ich plötzlich ins Schwanken gerathe und auf meinem Fuchs hin- und hertaumele. Ist mir nur in jüngern Jahren passirt! Die Geistesgegenwart des liebenswürdigen Herrn Eugen hat mich gerettet, sonst wär' ich, ich kenne Das, vielleicht geschleift worden.

Billigerweise hätte Frau von Zeisel, geborene von Nutzholz-Dünkercke, die sich gleichfalls unter den Begrüßenden befand, diesem möglichen und glücklich abgewandten Unglück ihres Gatten die theilnehmendste Aufmerksamkeit schenken sollen, aber die noch sehr anmuthige und von den runden wohlgenährten Körperformen noch jugendlicher, als sie war, aussehende kleine Frau nahm wenig Notiz davon und überließ es der guten Madame Schlurck, die Möglichkeiten eines solchen Unfalls theilnehmend zu durchdenken, während sie mit dem inzwischen herzugetretenen Bartusch sprach und sich über das betrübende Ereigniß der plötzlichen Abreise des immer so liebenswürdigen und jovialen Justizraths Schlurck nicht trösten konnte.

Eine sehr unbedeutende und nur mit lächelndem Nichtssagen zugaffende Rolle spielte die reiche Madame Pfannenstiel, geborene Drossel, die die frühere Wirthschaftsinspectorin nicht verleugnen konnte, trotz ihrer dicken goldenen Erbskette und der großmächtigen Brillantuhr, die sie fast bis unten auf die Hüfte ihres schmächtigen Körpers trug.

Melanie war die Seele dieses bunten Kreises, den das Geld hier zusammengewürfelt hatte. Geist, Neigung, hatte sie früher gesagt, bringen Gleichartiges zusammen. Das Geld kann nur Vermittler des Zufälligen sein. So beschloß sie denn, Geist und Neigung in diese widerstrebenden Elemente zu bringen. Es gelang ihr aber nur theilweise und durch nichts Anderes als durch ihre eigene Persönlichkeit.

Wie reizend stand sie da im Schloßhofe! Das lange, enganschließende Reitkleid war von einem silbergrauen leichten Stoffe und ließ die lieblichsten Formen der schönen Gestalt bewundern. Von der Halskrause, die über dem ganz oben geschlossenen Kleide zierlich gefältelt lag, bis zu den Hüften herab zeigte sich das schönste Ebenmaß der äußern Bildung. Die Schultern hoch und gerundet. Wenn sich der holde, liebliche Kopf, mit den braunen brennenden Augen, dem schönen Munde und den weißen Perlenreihen der Zähne lächelnd über die Schulter wandte, gab der Winkel, der sich dann aus dem Kopf und der Schulter bildete, die reinste Schönheitsform. Halb noch auf den schwarzen, hinten über Flechten zurückgekämmten Locken, saß ein kirschrothes, silbergesticktes kleines Sammtgewinde, über dem der Reithut mit blauem Schleier gebunden war. Längst hatte sie diesen Hut weggeschleudert. So hoch Melanie und fast mit dem Wuchse der Pappel aufgeschossen war, so behend ließen doch ihre Bewegungen. Ihr Fuß schien kaum den Boden zu berühren, so schwebte sie dahin, mit der linken Hand die lange Schleppe des Kleides nach vorn an sich drückend, mir der Rechten die am Griff von blauen Steinen geschmückte elegante Reitpeitsche in die hohe kräftige Hüfte stemmend. Mit innigster Herzlichkeit gab sie ihrer Mutter einen Kuß, worauf sie den Kopf in den Nacken warf und mit komischer Feierlichkeit erklärte:

Ich danke Ihnen, meine Herren, für Ihre ritterliche Begleitung! Sie haben Noth und Gefahr mit mir getheilt! Sie haben, als wir im Walde einem scheu gewordenen Einspänner, auf dem zwei Handwerksbursche sich vom Fußwandern auszuruhen schienen, begegneten, die mögliche Gefahr des eigenen Durchgehens Ihrer Rosse muthvoll überstanden! Sie haben an der Försterwohnung vor einer alten roth- und weißhaarigen Hexe, die alle Pferde stutzigmachte, hochherzigen Muth bewiesen. Sie haben sich würdig gezeigt, von mir, der dermaligen Fürstin von Hohenberg, heute Abend beim Thee zu meinen Cavalieren und Vasallen geschlagen zu werden. Ich hoffe, daß Keiner meiner Getreuen fehlen wird! Und damit seid Ihr für jetzt entlassen!

Die Herren applaudirten. Melanie entschlüpfte in eines der unten geöffneten Schloßfenster und verschwand. Die Gesellschaft trennte sich vorläufig mit dem Versprechen, um acht Uhr an den geöffneten Fenstern der Zimmer, die Schlurck für die Seinigen gewählt hatte, sich zum Genuß der milden Abendluft und zum Thee zu versammeln. Die Einen begaben sich in den Garten, die Andern ins Schloß, Andere wandten sich hinunter dem Orte zu.

Mit großem Wohlgefallen hatte diese Scene von fern der Geheimerath Henning von Harder beobachtet. Se. Excellenz standen am offenen Fenster eines der ihm zur Disposition übergebenen Zimmer der verstorbenen Fürstin und kniffen eine goldene Lorgnette so scharf in die Augenhöhle, daß ihm auch keine Miene der schönen und verlockenden Melanie Schlurck entgehen konnte. Als sie sprach mit ihrem wohllautenden, vollen, aus der Brust quellenden Organe, bedeutete er seine beiden Bedienten, Ernst und Franz – die auf dem Fußteppich saßen und hämmerten und packten –, einen Augenblick in ihrem Diensteifer innezuhalten. Er verschlang Melanie's Worte und täuschte sich dabei keineswegs in der Voraussetzung, daß sie sich von ihm beobachtet glaubte. Er gehörte zu den Männern, die sich in ihrer Jugend wol hatten sagen können: Du bist glücklich bei den Frauen, weil du eine schöne Gestalt hast und eine gewisse Kunst sie geltendzumachen. Sein Haar war einst lockig gewesen, sein Auge nicht ohne Feuer. Er konnte diese Triumphe seiner Jugend nicht vergessen. Daher kam es, daß er an Jahren zunehmend, immer wieder einen neuen Reiz an sich zu entdecken glaubte, der ihm ebenso fesselnd vorkam, wie es früher seine Jugend gewesen war. Nur schlimm, daß er diesen Reiz nicht in geistigen Dingen, sondern in äußerlichen fand! Geist verleiht dem Äußern des Mannes mit den Jahren einen veränderten Ausdruck, der wol die Frische der ersten Jugend ersetzen kann. Die Liebe des Jünglings ist eine andere als die des Mannes und wer würde so oberflächlich und sinnlich sein, die Poesie und die fesselnde Schwärmerei allein nur dem zwanzigjährigen Blute zuzuerkennen? Im Gegentheil mischt sich in die erste süße Liebe des Jünglings nur zu wild und bitter oft die Gährung der noch unfertigen Charakterbildung, während eines älteren Mannes Liebe eine Kette reinster Hingebung, uneigennütziger Aufopferung und jener höhern Poesie sein kann, die aus einem gebrochenen wehmüthigen Bewußtsein fließt. Mit diesen Erscheinungen hatte das noch immer lodernde Feuer des fast sechzigjährigen Henning von Harder zu Harderstein nichts gemein. Er gehörte zu den Thoren, die im zwanzigsten Jahre ihre Eroberungen auf ihre wirkliche Schönheit fußen können, im dreißigsten auf das Glück dieser Schönheit und den Ruf ihrer Eroberungen, im vierzigsten Jahre aber schon nur noch auf ihre gesellschaftliche Stellung und gewisse jugendliche Reminiscenzen, vom funfzigsten an aber auf die verzweifeltste Eitelkeit, die sich an diesen oder jenen kleinen Rest früherer Vorzüge klammert, an eine weiße kleine Hand, einen zierlichen kleinen Fuß und ähnliche, in den meisten Fällen auch unleugbare Vollkommenheiten, die aber einen ganzen Menschen nicht mehr ersetzen können. Der Geheimrath hörte nichts lieber, als daß er eine schöngeformte Nase und niedliche kleine Hände hätte. So manche verschmitzte Coquette, die nach seinem durch Pauline von Marschalk erworbenen Reichthum blinzelte, konnte ihn in jugendliche Flammen und wahnsinnige Träume versetzen, wenn sie seinen niedlichen kleinen Fuß lobte. Manche versicherten, daß man auch durch das Lob seiner kleinen Ohren eine Wirkung auf ihn hervorbrachte. Sie waren in der That niedlich, diese Ohren. Kein Spiegel bestritt diese Wahrheit. Warum sollte er nicht sonst noch allerlei Fesselndes besitzen, da er doch dies Eine, die Werkzeuge des Hörens, wirklich in einer so unbestrittenen Vollkommenheit besaß! Hier nun vollends auf Hohenberg, wo er, zur Entschädigung für eine lästige Reise, zu der ihn mit sonderbarer Bestimmtheit seine ihn, wie noch viel andere Menschen beherrschende geistreiche Gattin gezwungen hatte, das Zusammentreffen mit einer der gepriesensten Schönheiten der Residenz genoß, hier hielt er einen angenehmen Eindruck auf Melanie Schlurck für um so leichter, als er einerseits mit nicht ganz kurzsichtigem Auge entdeckt hatte, daß dies eigene Mädchen gewohnt war, über gewöhnliche Grenzen hinauszugehen, und andererseits seine gesellschaftliche Stellung die aller übrigen Besucher des Schlosses beiweitem überragte. Er stand ja doch, dachte er, dem Landesfürsten außerordentlich nahe, war ja durch unbedingt gehorchende knechtische Umgebung himmelwärts hier erhaben, strahlte ja durch äußere Haltung wie immer so auch hier im Vollglanze seiner mit Orden emaillirten Excellenz und faßte in der That um so rascher eine Flamme für Melanie, als dies kluge Mädchen bereits beim ersten Zusammentreffen seine weiße Hand, den zierlichen Fuß und sogar schon das Profil seiner Nase bewundert hatte. Sie entdeckt, hatte er sich im Stillen gesagt, sie entdeckt gewiß auch noch meine Ohren! Er wiederholte sich diese Hoffnung mit Wohlgefallen, als ihn einer seiner Bedienten darauf aufmerksam machte, daß das Fräulein merkwürdig oft nach Excellenz sich erkundigt hätten, als Excellenz heute früh mit der Registratur des Nachlasses der Fürstin Amanda beschäftigt gewesen wären....

Nur eine Persönlichkeit war ihm bei der schönen Hoffnung eines Erfolgs ein gefährlicher Nebenbuhler, jener Schwager des Commerzienraths von Reichmeyer, Eugen Lasally. Dieser nicht mehr ganz junge Mann war ein öffentlicher Charakter der Residenz. Völlig abweichend von Dem, was christliche Spottsucht über die Juden einmal festgestellt zu haben glaubt, war Eugen Lasally im Gegentheil eine höchst chevalereske Erscheinung. Nicht groß, von behendem Körperbau, leichten, zarten Gliedern, hatte er sich früh eine große Fertigkeit in Leibesübungen erworben. Er schoß, focht, ritt auf eine Art wie der geübteste junge Dandy der vornehmen Welt. Seine Ältern gehörten den ersten jüdischen Familien an und hätten ihm gern die übliche artistische Bildung dieser Kreise gegeben, ihn zum Maler, zum Musiker bestimmt. Doch zeigte Eugen für diese Berufswege nicht die geringste Empfänglichkeit, ebenso wenig wie zum mercantilischen Fache oder zu irgend einem wissenschaftlichen Studium. Als seine Ältern starben, ging sein ererbtes Vermögen sehr rasch auf die Lebensweise hin, die er seit seiner ersten Selbständigkeit ergriffen hatte. Cavalerieoffiziere, junge Stutzer, Adelige waren sein alleiniger Umgang. Durch eine Reihe muthig bestandener Duelle hatte er gelernt, sich in dieser Sphäre zu behaupten, und als er durch Spiel und Vergnügungssucht an den Rand des Abgrundes gebracht, von seinem Schwager Reichmeyer nur noch soviel erhielt, um aus einem der ersten Wettrenner fast in Verzweiflung erst ein »Pferdekenner«, dann ein Pferdehändler und zuletzt Errichter einer Reitschule zu werden, blieben ihm seine alten Gefährten getreu. Das Pferd ist auch darin ein so edles Thier, daß es fast Alles adelt, was mit ihm umgeht. Ein Bedienter mag sich höher dünken als ein Bereiter. Mehr Muth und männliche Entschlossenheit, mehr Charakterstärke findet sich gewiß bei Letzterm. Eugen Lasally war als Besitzer einer Reitbahn und was damit zusammenhängt sogar Pferdeverleiher, doch nur um so enger mit einer gewissen fashionablen Gesellschaftsclasse im Zusammenhang, und wäre nicht sein aristokratischer Tic gewesen, seine Sucht in Allem und Jedem es mit seinen Freunden aufzunehmen, der alte Levi, den er sich aus einem mecklenburgischen Pferdemäkler zum ersten Bereiter umgeschaffen hatte, würde ihn gewiß durch seinen Fleiß und seine Umsicht und kluge Geschäftskenntniß oben erhalten haben. Er war aber im Sinken begriffen. Die Verzweiflung, daß ihm seine Plane nicht gelangen und er von Gläubigern unablässig gehetzt wurde, machte ihn oft zornig und gab ihm einen menschenscheuen finstern Charakter, der zuweilen ins Brutale ausartete. Er war auch gefürchtet wie der schlimmste Gast.

Als auch ihn der Intendant der königlichen Schlösser und Gärten so mismuthig durch die Lorgnette betrachtete und dabei die höchst vernünftige Vermuthung äußerte, daß ihn wol hauptsächlich die Speculation auf Melanie's großes Vermögen an diese »bunte kleine Schlange« fesselte, sagte eben Eugen zu einem seiner Jockeys, der die Pferde hinübergeführt hatte und nun heraufkam, um die Küche zu besuchen:

Kannst du dich nicht entsinnen, Jack, was mit dem Einspänner im Walde war?

Der Einspänner? wiederholte Jack, ängstlich vor dem immer misgestimmten, zum Zorn gereizten Herrn....

Kannst nicht hören? sagte auch Dieser sogleich aufbrausend. Der Einspänner im Walde – es sprang Einer vom Bock herunter – ich hab's deutlich gesehen – hast du die Augen zugehabt?

Als der peitschenscheue Jack sich noch nicht recht zu besinnen vermochte, sagte Eugen Lasally:

Er ist ein blinder Hess'! Scher' Er sich!

Jack wollte gehen....

Lasally rief ihn noch einmal zurück und schwang die Reitgerte.

Jack blieb in einiger Entfernung.

Führe die Laura, sagte dieser, in die Schmiede unten! Das Thier hat Etwas. Es quihnt. Die Rackerei mit schlechten Reitern schadet einem guten Pferd. Es wird selbst ängstlich, wenn Einer auf ihm Angst hat. Der Schmied soll der Laura Rhabarber geben. Aber mit dem Alten sprich –

Mit dem Blinden?

Mit Dem! Der Blinde ist pfiffiger als der Junge, der taub ist.

Jack, zwar ärgerlich, daß er nicht in die Küche konnte, wo Melanie's Mädchen, Jeannette, die Manieren ihrer Herrin nachahmte und unter der Dienerschaft ebenso belebend und animirend wirkte, wie Melanie in ihrem Kreise, wandte sich jedoch gleich wieder um, sklavisch ergeben, stieg wieder den Schloßberg abwärts und wollte die Laura in die Schmiede bringen.

Läßst die Laura keine Minute aus dem Auge! rief ihm Lasally noch nach.

Wie Jack ging, wandte sich Lasally an Bartusch, der gerade vorüber wollte:

Wissen Sie, wen ich im Wald gesehen habe, Bartusch?

Eine alte Hexe, hör' ich ja.

Lieber den Teufel selbst, sagte Eugen – Hackert hab' ich gesehen.

Ach! meinte Bartusch mehr komisch als ernst verwundert; was denken Sie?

Ich gebe Ihnen mein Wort! Nehmen Sie's mit der Canaille nicht so leicht!

Wie käme Hackert...

Ich will beschwören, daß auf einem kleinen Einspänner Hackert saß und als er uns bemerkte, ins Dickicht sprang....

Daß dich –! Aber was wäre dabei zu fürchten?

Zu fürchten? Seit dem Abend... seit dem Vorfall hinterm Zaune... in der Königsvorstadt...

Es war auch arg genug, Herr Lasally!

Arg? Ich begreife Euch nicht! Ihr schont diesen Menschen.

Schonen, Herr Lasally?...

Es kommt mir vor, als hätte Schlurck Angst vor ihm....

Herr Lasally!

Ihr werft den Schlingel aus dem Hause und habt eine Zärtlichkeit für ihn....

Zärtlichkeit?

Er muß Euch in Händen haben....

Uns? In Händen? Weil ihm Schlurck Vertrauen schenkte?

So etwas. Alle denkt Ihr an den Burschen, und Keiner spricht von ihm. Ihr haßt ihn und gebt ihm täglich Beweise von Liebe. Dahinter steckt ein Geheimniß... ich bin nur zu stolz, auf Dienstboten zu hören.

Dienstboten, Herr Lasally –?

Sagen Sie der Jeannette, sie möchte, wenn sie Abends Punsch macht, unter den Bedienten, Kutschern und Jockeys nicht soviel in Euren Familiengeheimnissen kramen....

Die Jeannette?

Ich sag' Ihnen soviel, Bartusch, wenn mir Hackert hier in Hohenberg in den Weg kommt... ich kenne mich selbst nicht. Es ist mir, als wäre Das mein böser Feind. Ich bin im Stande und schieß' einmal den Hund nieder.

Herr Stallmeister!

Warum schonen Sie ihn? Warum dulden Sie, daß er zudringlich ist? Was ist er? Was kann er wollen? Was kann er für Ansprüche haben?

Ansprüche? Sieh! Sieh! Hat die Jeannette etwas von Ansprüchen gesagt?

Ich weiß nichts, was die Jeannette gesagt hat und habe meinen Leuten verboten, bis in die Nacht um die Punschterrine des tollen Mädchens zu sitzen und abscheuliche Indiscretionen anzuhören.

Wirklich die Jeannette?

Lasally antwortete nicht und ließ den erschrockenen grauen Actenwurm, Herrn Bartusch, mit der Dose in der Hand, die er ergriffen hatte, um sich zu fassen, stehen....

Lasally verfiel sogleich wieder in die ihm eigene blasirte Ruhe. Seine Mienen verzogen sich nie, sein blasser, etwas gelber Teint blieb bei der größten Aufregung fast unverändert. Um elegantere Toilette zu machen, ging er auf das ihm angewiesene Zimmer, das von denen Melanie's und ihrer Mutter entlegener war, als er wünschte.

Melanie's Mutter saß schon oben vor dem Theetopf und erwartete ihre Gäste.

Man konnte die Frau Justizräthin Schlurck nicht im geringsten ehrwürdig nennen, würde aber auch sehr Unrecht thun, wollte man einen gewissen Werth an ihr unterschätzen. Im Gegentheil besaß die Frau des philosophischen Epikuräers Franz Schlurck höchst merkwürdige, höchst anerkennenswerthe Eigenschaften. Ohne eigentliche Bildung hatte sich die gewandte kleine Frau einen seltenen Reichthum von Erfahrungen erworben und eine gesunde natürliche Anlage zur Lenkerin aller ihrer oft treffenden Urtheile gemacht. Ohne ein besonderes religiöses Bedürfniß war sie mitleidig, gab gern, unterstützte Hülflose. Noch mehr, sie erkundigte sich nach den Ursachen der Leiden und half ihnen gern radikal ab. Wer Geld haben wollte, Dem gab sie Lebensmittel, und wer Lebensmittel begehrte, dem gab sie zugleich Arbeit. Eine Wöchnerin in elenden Umständen erregte ihre ganze Theilnahme; doch bediente sie sich dabei keiner Phrase, sondern griff zu, handelte, wirkte, riß die Fenster auf, wo es dunstig war, schalt, strafte, wo sie eigene Vernachlässigung bemerkte. Kinder, die bettelten, schickte sie in die Schule oder zeigte sie ohne Weiteres der Polizei an. Halbes und »Quengeliges«, wie sie's nannte, konnte sie nicht leiden. Überwiegend setzte sie bei den Menschen, wie sie sagte, »leider«, das Schlechte voraus. Gute und aufopfernde Thaten mußten ihr erst bewiesen werden, bis sie daran glaubte. In ihrem Hause herrschte neben merkwürdiger Ordnung doch eine sehr große Üppigkeit, weniger weil sie selbst ihrer bedürftig war, als aus Rücksicht auf ihren Mann und Melanie, das besonders von diesem verwöhnte, aber keineswegs »verquengelte« einzige Schooßkind ihres Glückes. Denn glücklich schien Alles um sie her zu sein. Sie duldete wenigstens keinen andern Anschein. Gute Laune ging ihr über Alles. Mürrische und melancholische Menschen nannte sie im Geheimen eitel oder schlechterzogen. Sie duldete an ihrem Manne nie das träge schleichende Aufkommen einer griesgrämigen Stimmung, von der der alte Bonvivant keineswegs ganz frei war. Sie ließ allen seinen Neigungen und Leidenschaften ohne Ausnahme die Zügel schießen, beförderte sie sogar oder schloß die Augen zu denen, die seinem Alter nicht ziemten. Das waren Erscheinungen, die uns wol misfallen können, aber mit ihrer Wahrheitsliebe und ungeschminkten Natürlichkeit nicht im geringsten im Widerspruche lagen. Sie wollte eben nur das Natürliche. Sie war eine Frau, von der man sagen mochte: Sie ist eine Najade; ihr Element ist das reine, frische, klare Quellwasser. Sie badete auch täglich. Und so war ihr auch zugleich geistig jedes »Muffige«, wie sie's nannte, verhaßt. Ein langer Kampf mit Leidenschaften schien ihr völlig nutzlos. Sie nahm ihren Mann, wie er war; sie nahm Melanie, wie sie war. Nur reinlich, nur sauber, nur frische Wäsche und frischer Muth! Das Übrige war ihr, wie sie's nannte, meistentheils »dummes Zeug«. Hannchen Schlurck, aus einer einfachen, aber bemittelten Bürgerfamilie, war dabei gar nicht unbelesen, gar nicht ungebildet und vollkommen fähig, in der großen Welt zu repräsentiren. Schlurck's »Hannchen« war ein Philosoph wie ihr Gatte. Auf den Genuß hielt sie selbst für sich gar nichts. Sie schenkte Andern Champagner in Strömen ein, trank aber selbst nicht. Und Melanie hatte Ähnlichkeit mit ihr. Die Mutter, verschweigen wir es nicht, die Mutter hätte von ihrer Tochter das Schlimmste vernehmen können, sie würde nur bedauert haben, wenn Melanie dabei »dumm« gehandelt hätte. Ob sie sich dieselbe Freiheit gestattete? Ob sie sich in allen Beziehungen beherrschte? Es ist darüber schwer Etwas zu sagen.... Nur behauptete man, daß Bartusch, das Factotum ihres Mannes, einen größern Einfluß auf sie hatte als Schlurck selbst, der nach ihrem Sinne nicht immer praktisch war. Das hinderte aber nicht, daß der Justizrath mit vollem Rechte oft laut rühmen durfte: Er besäße in seinem saubern, klugen, runden, netten Hannchen die vernünftigste und respectabelste Ehefrau von der Welt!

Frau Pfannenstiel, die hier nur »geduldet« wurde »aus Rücksichten«, die elegante Frau von Reichmeyer hatten sich bereits eingefunden. Etwas später kam in sehr gewählter Toilette auch Frau von Zeisel, eine sehr bestimmt auftretende unruhige, anspruchsvolle und doch gar kleinstädtische Dame. Auch die bescheidene Frau des Pfarrers Guido Stromer stellte sich mit diesem selbst ein. Herr von Zeisel, dem zuviel daran lag, die Gunst des allgewaltigen Administrators zu behalten, schlenkerte neben seiner Gattin her; so lang und weitläufig er an Gestalt war, hatte er doch etwas Windspielartiges. Auch Herr von Reichmeyer kam mit Briefen und Zeitungen, die man ihm natürlich sehr gern für sich zu lesen gestattete, um nur seine üble Laune nach dem gewagten Ritte und dem nicht günstigen Resultat der Massa-Bilanz auf eine Zerstreuung abgeleitet zu sehen, die vielleicht auch die Andern unterhalten konnte.

Dem Pfarrer Guido Stromer hätte es eigentlich sehr befremdlich vorkommen müssen, in denselben Räumen, wo er so oft mit der frommen Fürstin Amanda und allen ihren Schutzbefohlenen gebetet und gesungen hatte, jetzt einer sehr weltlichen Gesellschaft beizuwohnen. Allein dieser eigenthümliche Mann schien sich ziemlich leicht in die veränderte Stimmung dieser Atmosphäre zu finden. Es waren dieselben hohen Zimmer, die von seinem Gebete sonst widerhallten, es waren dieselben großen geöffneten Fenster, durch die die balsamische Kühle des Sommerabends jetzt erquickend hereinströmte, wo sonst die Stickluft der vielen zusammengedrängten Bauern und Bäuerinnen die Brust beengte. Aber ihm selbst schien es ganz wohl zu sein, von der Vergangenheit sich erlöst zu sehen. Ob er freilich in seiner Unterwürfigkeit und Nachgiebigkeit gegen die veränderten Umstände des Schlosses Hohenberg nicht zu weit ging, mag sein Gewissen entscheiden. Die alte Brigitte z. B., die im Schlosse hin- und herwandelte und sich an die Wände drückte, um von all den neuen Kammerzofen, Köchinnen, Jägern, Jockeys, Bedienten nicht umgerannt zu werden, klagte den Pfarrer Guido Stromer laut genug an, daß er allerdings seinen Sinn geändert hätte. Oft stand er sonst bei ihr still und hatte gefragt nach Diesem und Jenem, von dem er wissen konnte, daß sie der Fürstin davon wiedererzählen würde; jetzt aber, in gewählterer Kleidung, mit bunten Tüchern und Westen, rannte Guido Stromer gleich allen andern Weltkindern an ihr vorüber und that, als wenn er sie nicht mehr kannte und ihm eine Minute verlorenginge, die er hoffen durfte, in der Nähe dieser neuen Halbbesitzer von Plessen und Hohenberg zu verweilen! Schon in den zwei Jahren, als der Fürst allein hier walten durfte (jedoch niemals ernstliche Anstalten dazu traf und nicht selbst erschien), hatte sich Stromers frühere Gesinnung sehr abgekühlt, wie die alte Brigitte oft genug der Frau Pfarrerin klagte. Diese, eine sehr einfache und nur in ihrem nächsten Kreise wirkende, mit vielen Kindern geprüfte und, man kann wol sagen, von ihnen völlig zerbröckelte und zermürbte Frau, ließ sich nicht gern auf Dinge ein, die ihr in Allem stark und sehr selbstbewußt auftretender Mann allein vertheidigen mochte. Stromer gehörte zu einer gewissen Classe von Gelehrten, die man »ewige Studenten« nennen möchte. Entweder war er wirklich ein Genie oder, was für die Beurtheilung seiner Stimmung wol Dasselbe sagen will, er hielt sich dafür. Pietismus ist solchen Naturen der willkommenste Ableiter eines überstarken Selbstgefühls. Der Pietismus lehrt die Welt verachten und setzt sich über das Urtheil der unausgewählten Menschen hinweg. Guido Stromer war Pietist, solange die Fürstin lebte. Jetzt aber, wo sich die äußern Anlehnungen dieser gottseligen Richtung nicht mehr in dem seiner Eitelkeit schmeichelnden Kreise vorfinden wollten, jetzt brach in dem Manne wirklich die alte Nichtbefriedigung eines sich zu nichts Gewöhnlichem berufen dünkenden Gemüths hervor. Es war ihm oft, – seine arme Frau litt sehr darunter – als müßte er beengende Fesseln brechen, als wäre diese häusliche Umgebung eines Mannes seiner Art nicht würdig, als wären ihm dieses Weib, diese fünf Kinder nur wie von einem bösen Traume angezaubert worden. Guido Stromer war gerade in dieser vollsten Krisis begriffen. Die Erinnerung alter Zeiten erwachte in dem unglücklichen, unruhigen Manne. Er sah das Leben in neuen ihm bisher fern entrückt gewesenen Erscheinungen wieder so sonderbar lächeln, so eigenthümlich nicken und winken. Die nächsten Ansprüche seines Berufs kamen ihm so qualvoll, so geringfügig vor, und obgleich er daheim immer eine gewisse Tobsucht, selbst in seiner frühern demüthigen Periode gezeigt hatte, so war er doch seit einiger Zeit, wie Alle wußten, förmlich aus Rand und Band, warf, die Mägde erzählten's, schon in der Frühe seine Kleider dahin und dorthin, perorirte laut, wenn ihm nicht Alles gleich nach Wunsch sitzen und sogar der Spiegel Beifall schenken wollte. Er war sich unbewußt ein Vierziger geworden. Er sah, daß ihm die »Harmonie der Seele« zwischen ihm und einer fürstlichen Durchlaucht die schöne, unersetzliche Zeit von seinem achtundzwanzigsten bis vierzigsten Lebensjahre gekostet hatte. Er hatte nie zurück, nie vorwärts geblickt. Er hatte sich die große Herrschaft, die er auf die Fürstin ausübte, mit all den interessanten damit verknüpften Anregungen, den Correspondenzen, den Beziehungen zu vornehmen Menschen genügen lassen. Er hatte fast mehr auf dem Schlosse als unter seinem Pfarrdache gelebt. Und nun war die Fürstin todt. Der ausgestreute Same brachte keine Früchte. Er sah, daß er seine Jugend verstreut, verzettelt hatte. Was besaß er? Das Gefühl einer unsäglichen innern Nichtbefriedigung. Oft schlug er sich verzweifelnd an die Stirn. Er rannte im Hause, im Felde, im Walde mit seinem langen gelbblonden, wirren Haar wie ein Besessener umher. Er quälte seine seit Jahren tief verschüchterte Frau, zankte ohne Grund die Kinder. Wie glücklich war anfangs die gequälte Mutter derselben, als die Fremden auf's Schloß kamen! Da wurde ihm anfangs wohl, da schien sein ganzes Wesen elektrisirt. Er bekämpfte wohl Schlurck's Neologie, tadelte wol Reichmeyer's Indifferentismus, aber es waren doch Damen da, die ihn ehrten, anerkannten, die Gräfin Bensheim machte wieder einmal einen flüchtigen Gegenbesuch auf Hohenberg, Frau von Sengebusch, die liebenswürdige Frau von Sänger,... alles Das gab wieder eine Sammlung, eine Anregung, einen Reiz und die innere schlummernde »Poesie« wachte auf; vollends, als Melanie zuweilen an seiner Seite rauschte.... In der Art, wie manchmal Guido Stromer jetzt sein hier und da etwas graues gelbblondes Haar mit Selbstironie entschuldigte, wie er noch die rüstigste Jugendlichkeit und eine gewisse alte akademische Genialität aus seinen Gesichtszügen und seinem Benehmen sich selbst hervorschmeichelte, glich er dem Geheimrath von Harder trotz des Unterschiedes der Jahre. Auch ihm war Melanie gefährlich geworden und seine Gattin fing zu zittern an, was in ihm wol schlummern, in ihm gähren mochte...

Schon war auch Eugen Lasally eingetreten und hatte sich ziemlich entfernt von der um einen runden Tisch sitzenden und Thee trinkenden Gesellschaft an die offenen Fenster postirt, wo er eine Cigarre rauchte, deren Dampf er in den Garten hinausblies, als endlich die Flügelthür aufging und Melanie eintrat. Der Moment machte den Eindruck des feenhaftesten Schwebens und Rauschens. Sie hatte eine völlig veränderte Toilette gemacht. Etwas blaß von dem Ritt, der nach einer momentanen Aufregung hintennach doch immer den Ausdruck der Abspannung und Erschöpfung zurückläßt, hatte sie, dieser Erfahrung sich wohl bewußt, ein Kleid von rosafarbenem Krepp gewählt, das in drei mächtigen mit Atlasbändern verzierten Volants wie eine Wellenwoge sie umfloß. Hals und Arme von blendender Weiße waren unbedeckt und ließen nur an den Rändern ein gesticktes spitzenreiches Unterkleid in schmalen Streifen hervorschimmern. Dann und wann zog sie in einer sehr anmuthigen, graziösen Bewegung eine Echarpe von weißem Chinakrepp über Schultern, die oft aus dem weiten Ausschnitt des Kleides verführerisch hervorglitten und den schönen gerundeten Nacken zeigten, den die Echarpe ebenso rasch wieder verbarg. Über dem vollen zierlich zusammengelegten schwarzen Haar lagen, zurückgekämmt mit goldenem Kamm, die Vorderlocken und ließen die Schläfe so frei erblicken, daß man das vollendete Bild griechischer Schönheit zu sehen glaubte. Die Centifolie, die voll und schwer noch als letzter Schmuck im Haar befestigt war, gebührte ihr mit ganzem Rechte, wie ihr jede Blume, jede Frucht gebührt hätte, wenn sie ein anderer Paris der größten Schönheit hätte zuerkennen sollen.

Eugen Lasally warf sogleich die Cigarre, Herr von Reichmeyer die Zeitungen von sich. Der Justizdirector und Guido Stromer stellten die Theetassen auf den Tisch. Sie hatten ihr Erstaunen über die rasche Metamorphose auszudrücken, deren einzelne Bestandtheile zum Zeichen des hier herrschenden vertraulichen Tones von den Frauen analysirt wurden.

Ich bitte, sagte Melanie, schweigt nun! Löst mir nicht Alles, was da jetzt fertig und angepaßt an meiner irdischen Hülle sitzt, gleich in Stoffe und in Ellenwaaren auf! Das ist nun mit mir verschmolzen und Eins. Wer mir jetzt von Volants und dergleichen spricht, thut meinem Herzen weh, zu dem sie... ja, ja – seht sie Euch an! – sie reichen fast hinauf zu ihm. Nein! Ich sage Euch keine Adressen. Kein Wort von Putzmacherinnen! Wollt Ihr still sein von Mademoiselle Florentine, von Fränzchen Heunisch und Luise Eisold! Die Rose dürft Ihr besprechen. Von der sag' ich Euch: von wo sie kommt! Auch wissen sollt Ihr, wohin sie geht... Ich trage sie als Preis für Den, dem ich heute Abend die Gunst meiner Seele schenke.

Und was muß man thun, um diese Gunst zu erobern? fragte der Pfarrer, der redegewandt nicht ansichhalten konnte und die Aufmerksamkeit davon abzulenken suchte, daß er aus seinem Garten Melanie mit Blumenzusendungen überhäufte.

Nichts thun, Herr Pfarrer, sagte Melanie... Nein! Nichts thun! Was muß man sein? Was besitzen? Danach soll gefragt werden und lassen Sie mir nur Zeit, über das Seltenste und Schönste nachzudenken, wodurch sich ein Mann auszeichnen kann. Aber wir sind noch nicht vollzählig. Noch fehlt unser alter brummender Hauskater Bartusch und demüthigen Sie sich, meine Herrschaften, noch fehlt der Glanz von Hohenberg, Se. Excellenz, der wirkliche geheime...

Mit diesen künstlich gezogenen Worten öffnete sich, wie Melanie hinter sich gehört hatte, die Thür und Herr von Harder trat ein. Alles erhob sich. Es war wirklich ein unleugbarer Effect in seinem Auftreten, ein Effect, dem diesmal Niemand widerstehen konnte. Lag die Wirkung nun in dem kleinen silbernen Sterne auf der Brust oder in der gebrannten Perrücke und der höchst gewählten Toilette; oder lag sie in dem Zuletzterscheinen... genug die Wirkung war da und Excellenz setzten sich, sehr befriedigt von dem Eindruck, den ein Mann seiner Stellung in einem solchen doch nur mittlern Kreise hervorrief... Wir werden künftig sehen, wie Herr von Harder in der großen Welt doch auch nur klein erschien, hier aber gaben ihm Tournure und selbstgespendete Sorgfalt in der That einen Schimmer von Interesse, der nur bei längerer Dauer sich dann nicht hielt, wenn er nicht künstlich immer wieder angefacht wurde. Melanie übernahm dies Amt. Ob aus neckender Spottsucht oder Coquetterie, ist schwer zu sagen. Soviel aber stand von ihr fest, daß sie sonst wirklich nicht zu den guten lieben Frauennaturen gehörte, die, wie z. B. die edle Anna von Harder that, die Schwester Paulinens, in einer Gesellschaft immer gerade den Bescheidensten hervorsuchen. Melanie hing sich an Den, der der Löwe des Cirkels war. Geist besaß sie wol genug, um Das herauszufühlen, was ihr geistig am meisten hätte genügen müssen; aber ihr Herz schlug nicht warm genug, um zu ertragen, daß man durch die Beschäftigung mit einem Bescheidenen selbst in den Hintergrund tritt. Hier war Herr von Harder der wichtigste und effectvollste und ihm widmete sie sich. Wäre ein berühmter Virtuose in diesem Augenblicke eingetreten und hätte wieder den Geheimrath verdunkelt, so würde sie sich mit Diesem vermittelt haben. Sie war ein Schmetterling, der die Sonne und die leuchtenden Blumen liebt.

Man sprach Viel über Vieles. Die Menschen sind nie so mechanisch und willenlos, wie da, wo sie sich in starker Anzahl ohne einen Zweck vereinigen. Man glaubt dann in der That unter Wesen zu sein, die ursprünglich niederer, halbthierischer Abstammung, nur durch eine eingelernte und angewöhnte Ausbildung sich höher aufschwingen. Man spricht um zu sprechen. Ein Jeder klammert sich an das Unbedeutendste, um daraus eine Art Friction, die man Geselligkeit, Gesprächigkeit nennt, hervorzubringen. Man ergreift Strohhalme und raisonnirt über sie, wie über die Achse der Erde. Ist eine solche Gesellschaft vorüber, so kriecht Jeder wieder in das Schneckenhaus seines Interesses zurück, bleibt Dem Feind, den er scheinbar heute als Freund begrüßt hat, und spinnt die wahren geheimen Fäden seines Daseins und Charakters so fort, wie er sie einmal anlegte, um sich durch das Labyrinth des Lebens führen zu lassen.

Man bedauerte die Mühe, die der Intendant mit dem Transport des fürstlichen Mobiliars hätte...

Für welches Schloß, fragte der Commerzienrath, ist diese Einrichtung bestimmt?

Mein allergnädigster König, antwortete der Befragte, haben darüber noch nichts befohlen.

Mit dieser kurzen Erwiderung war eigentlich dies Thema abgeschnitten. Allein Stromer, der sich seit einigen Tagen wieder in jener feurigen, vulkanischen Stimmung befand, brach bei dieser Veranlassung durch und sprach folgendes Bedeutungsvolle:

Wenn nur Alles zusammenbleibt! Wenn nur Keins vom Andern getrennt wird! Das ist ja ein Leben, ein ganzes Dasein, was in einem solchen durch Jahre hindurch gesammelten Hausrath liegt! Man würde ja hier einer Blume die Staubfäden entreißen und sie für echt und vollkommen nicht mehr auszugeben wagen dürfen, wenn man dieser Einrichtung irgend etwas entzöge oder sie wol gar theilte! Ja, ich gehe soweit, daß ich das Verwehen des Staubes, des Duftes beklage, den solche gewohnte Spuren eines bedeutenden Lebens – und ein solches hat mit der Fürstin ausgeathmet – zuletzt annehmen! Wie stand da nicht Eines neben dem Andern in gewohnter Symmetrie! Das Bild des Heilandes prangte in einem geöffneten Flügelschrank von ausgelegter altdeutscher Arbeit. Immer schmückten Blumen diese der Fürstin heilige Stätte. Wie oft betrachtete sie die Häupter der Blumen, die sich hier so sanft, so allmälig neigten, immer matter, immer matter, und zu den Füßen des Erlösers allmälig welkten, sowie er. Es sind Das da Kronen, sagte sie mir einmal, Diademe sind's und Ritterhelme, die so vergänglich vor dem Herrn und König der Welt versinken. Und sie duldete nicht immer täglich frische Blumen, sie wollte erst die alten sterben, vergehen sehen, todt und geknickt, wie der Erlöser. Sie war so sinnig, die liebe Frau in ihrer stillen Schwärmerei! Und wenn wir auch durch ihren Tod hier Alle, die wir sie umgaben, wie von einem schweren Traume befreit sind, der unsere Sinne gefangen nahm und uns zu sehr, zu sehr von der üblichen Ordnung des Lebens abzog, so ist ihr doch nur das Lob der edelsten Eigenschaften nachzusagen, und wenn ich wagen könnte, durch Ew. Excellenz Mund zu unserer zartfühlenden Landesmutter zu sprechen, so würd' ich bitten: Lassen Sie diese sinnige Einrichtung beieinander! Stellen Sie diese Schränke, diese Tische, Stühle mit den vielen Andenken der Liebe, den gestickten, von frommwirkenden Vereinen ihr gewidmeten Kissen, den eingerahmten Blumenstücken, den gußeisernen, bronzenen, elfenbeinernen kleinen Nippsachen, die treffend gewählte Bibliothek und besonders die werthvollen Bilder, die das Beste in Stichen wiedergeben, was Overbeck, Wach, Veit geleistet haben, der Gemälde nicht zu gedenken, von denen einige Originale sind und keinen vorübergehenden Werth ansprechen dürfen, stellen Sie alles Das in irgend einem Landsitze des erhabenen Königspaares auf! Man bewahrt auf diese Art ein Gemeinschaftliches, das mir vorkommt wie ein wandelbarer, fernwirkender, geheimnißreicher, elektrischer Leiter. Aus der Liebe geboren, weckt es Liebe. Ich bin gewiß, Niemand wird diese drei Zimmer der Fürstin, selbst wenn sie, wie weiland die heilige Krippe von Bethlehem nach Loretto, anderswohin übersiedelt würden, ohne innerlichste, tiefste Anregung betreten und von dem Odem unergriffen bleiben, der früher in ihnen wehte.

So sprach Guido Stromer, den wir bei dieser Gelegenheit schon vollständiger kennen lernen. Als er diese Worte, die fast eine Rede waren, geendet hatte, blickten natürlich Aller Augen zum Intendanten und erwarteten von ihm eine Erwiderung. Guido Stromer hatte einen Wunsch vom Herzen geschüttet, der etwas Feierliches hatte. Der Geheimrath repräsentirte in dem Augenblicke. Die Einzige jedoch, die den gewaltigen Widerspruch einer so beredt vorgetragenen geistvollen Bitte und eines so unglaublich beschränkten Kopfes, wie Henning von Harder, sogleich ganz übersah und nachfühlte, war vielleicht nur Melanie's Mutter. Melanie hatte für lange Perorationen überhaupt keinen Sinn. Hannchen Schlurck aber, die Mutter, überdachte in ihrer üblichen trockenen Weise diese Situation ganz kurz und sprach ihr Resultat leise zur Frau von Reichmeyer, die in ihrer Nähe saß, mit den Worten aus:

Was nutzt der Kuh Muskate!

Herr von Harder schwieg nämlich ganz und nickte nur, statt aller Antwort. Er nannte sonst, von seiner Gattin unbelauscht, Äußerungen, wie sie der Pfarrer hier vorgetragen hatte, »schwülstig« und verwies auch ihre Beantwortung meist an seine Frau, die ein Organ dafür hatte. Er belächelte Alles, was ihm zu schwunghaft auftrat. Wußte er doch von seiner Gattin, wie künstlich oft die Schwingen erst angebunden werden müssen, mit denen die großen Geister vorgeben, natürlich zu fliegen...

Melanie übernahm es daher, das Gespräch fortzuführen.

Ich wäre gerade im Gegentheil dafür, sagte sie, daß eine so werthvolle Einrichtung ganz getheilt und überallhin zerstreut würde. Gehet hin in alle Welt und lehrt und prediget! Das kann man auch diesen kleinen Herrlichkeiten der frommen Fürstin zurufen. Da kommt ein Briefbeschwerer Dem wieder vor Augen, dessen Briefe oft darunterlagen, eine kleine Stickerei Dem, der dazu Subscriptionen sammelte, und wenn sich dann in Allem, wie Sie versichern, Herr Pfarrer, jenes gewisse Parfüm, der schöne Duft der Liebe und Andacht wiederfindet, so wirkt Das sogar noch Wunder. Es macht Proselyten, bekehrt Heiden. Es gewinnt, ohne daß ein starres Herz es ahnt, wie ich immer, wenn ich bei der unglücklichen Anna von Harder in Tempelheide die Windharfe im Parke flüstern und klagen höre, von Gefühlen bewegt bin, die ich selbst nicht habe, mir aber aus Andern herausdenke.

Man fand auch diese Auffassung charmant. Der Geheimrath lächelte wieder und dachte bei sich, wozu diese Reden alle! Ich halte mich an den Buchstaben meiner Instruction! Was kann ich von meiner sentimentalen Schwägerin Anna und ihrer Windharfe im Dienste meines Monarchen brauchen?

Stromer aber drohte der Sprecherin mit dem Finger und mit blitzenden exaltirten Augen.

Zu weltlich! zu weltlich! sagte er. Aber Sie mögen in Ihrem Sinn Recht haben! Ich wollte nur in dem meiner verstorbenen Gönnerin mich aussprechen. Wenn man so viele Beweise der Huld empfing, wie die Fürstin mir zutheilwerden ließ, so ist man verpflichtet, das Gedächtniß der Spenderin in ihrem Geiste aufrechtzuerhalten. Ach! Ich fühle wohl, wie mit den Menschen auch die Gedanken sterben, die sie zu verwirklichen schienen. Ich bin jetzt über zwölf Jahre in diesem Orte und habe zehn Jahre lang täglich mindestens einige Stunden hier oben zugebracht. Die Fürstin war von einer bewundernswürdigen Offenheit und fand eigentlich eine Art von Genugthuung darin, sich durch Aufrichtigkeit zu demüthigen. Sie gestand jede Unwissenheit ein. Sie hatte, ich darf es so nennen, ein katholisches Princip, das ich natürlich nicht ganz billigte. War sie von irgend einem Gegenstande lebhaft erfreut, so schenkte sie ihn sogleich weg. Sie wollte ihr Herz an nichts hängen, außer an die Betrachtung des Ewigen. So gern hätte sie die allgemeine Beichte unserer Kirche in eine Ohrenbeichte verwandelt und sich über jeden Fehler umständlich und unter Thränen ausgesprochen. Denn erst dadurch, sagte sie oft, kommt mir die Erleichterung von dem Druck, daß ein Anderer ganz weiß, was ich that. Was sind Sünden, die man nicht bekennt! Sie schrieb viel, zerriß es wieder, ließ aber auch Manches stehen. Ich warnte sie oft vor der Gefahr, die mit dem Buchstaben verbunden ist, aber es erleichterte sie, sich schriftlich auszusprechen. Einige solcher Betrachtungen hab' ich ja als Manuscript für Freunde später drucken lassen. Sie gefielen natürlich nur da, wo man die rechte Stimmung mitbrachte. Jetzt freilich würd' ich mich weniger so ganz darin verlieren, da die persönliche Beziehung fehlt und nur für das Persönliche sprech' ich ja.

Melanie's Mutter, um der drückenden und allzu persönlichen Vortragsweise Stromer's einen Damm zu setzen, sagte mit angenehmem Lächeln offen und ehrlich:

Ja, ja, Herr Pfarrer, tragen Sie nur jetzt den Kopf ein bischen mehr nach oben und lassen Sie die alten Zeiten ruhen! Es sind nun Leute in dies Schloß gekommen, böse, böse Leute, die sich gern freuen, daß es in der Welt hübsch munter und lustig hergeht. Wer nach uns einzieht, kann man freilich nicht wissen. Aber wer's auch sei, Herr Pfarrer, bleiben Sie nur jetzt bei unserm Glauben. Wollen Sie Das? Immer! Wissen Sie, es hält oben, und einmal lebt man nur. Das ist zwar Alles recht dumm geredet, aber gesund ist's, darauf verlassen Sie sich, und Ihre liebe Frau blinkt mir schon zu und meint: Justizräthin, da treffen Sie, was ich seit zwölf Jahren dachte. Nicht wahr?

Alles lachte über dieses derbe, ehrliche Votum. Melanie sprang auf, die Mutter zu umarmen.

Du bist köstlich, Mama! sagte sie; ja baue du die Brücke, auf der der Herr Pfarrer wieder ins Leben zurückkehrt. Ein so junger liebenswürdiger Mann! Ich sage Das, Frau Pfarrerin, Ihnen zum Trotz! Ich sollte nur hier wohnen und eine Zeitlang die Fürstin von Hohenberg spielen dürfen! Wie wollt' ich die Fenster aufreißen und Luft hereinlassen! Wie wollt' ich in die Hütten gehen, wo früher für die Heiden gesponnen und genäht wurde, und die Leute lehren, auch noch an viel schlimmern Menschen Geld zu verdienen! Und dann käme Excellenz und zauberten uns hier einen seiner schönen Gärten wie in Buchau oder Solitude, wo die herrlichen Fontainen springen, die Wasserfälle rauschen und die Schwäne auf den Teichen schwimmen...

Eines Inspectors Mangold, der des Geheimraths rechte Hand war und nach englischen Studien alle diese Verschönerungen angegeben und lenkte, wurde dabei natürlich nicht gedacht...

Habe zwei neue Schwäne kommen lassen – sagte der Intendant – aus Island – diplomatische Vermittelung mit Dänemark – seltene Race – sehr elegante Thiere – allerliebst!

Ich kenne sie ja, sagte Melanie. Im Atelier des Professors Berg wurden sie copirt zu einem reizenden Ledabilde, das Heinrichson entwirft...

Heinrichson – ganz recht! fiel der Intendant ein. Meine Frau protegirt Heinrichson und hat mich veranlaßt, ihm die beiden isländischen Schwäne aus Island kommen zu lassen, wollt' ich sagen, zu versprechen,.... daß sie... ich meine, daß sie ihm aus dem königlichen Ankauf geliehen wurden...

Das mehrfache Versprechen war für Diejenigen komisch, die da wußten, daß Frau Geheimräthin von Harder für den schönen und eleganten Maler Heinrichson wol noch größere Opfer gebracht hätte, als nur eine Veranlassung, daß zwei schöne wilde Schwäne... vom König für ihre Privatinteressen angekauft wurden...

Lasally kannte dies Verhältniß und wollte sich einige spottende Bemerkungen darüber erlauben. Doch unterbrach ihn Melanie:

Heinrichson war von dieser Aufmerksamkeit so gerührt, daß er auch der Freundin der Geheimräthin, Frau von Trompetta, versprochen hat, ein Blatt für ihr Gethsemane zu malen.

Bitte, sagte der Geheimrath scherzend, bitte Fräulein Melanie, nicht der Frau von Trompetta, sondern mir, mir direct hat er es versprochen. Ich hab' ihm die beiden Schwäne, festgebunden natürlich, selbst gebracht, wie sie vom Schiff kamen und war dabei, als er sie zeichnete... Sie waren schrecklich wild...

Ganz Recht, fuhr Melanie lachend fort, aber Frau von Trompetta stand doch während dem Acte hinter einer spanischen Wand –

Ofenschirm, verbesserte der Geheimrath.

Gut, Ofenschirm... und gedeckt von diesem Sittlichkeitsfächer unterhandelte Frau von Trompetta mit Heinrichson über das Gethsemane und schrie entsetzlich über die bösen Schwäne und verwünschte die frivole Malerkunst und eine große hölzerne Puppe....

Melanie konnte vor Lachen nicht weiter.

Ja, sagte der Geheimrath, ganz Recht! Die große hölzerne Puppe sollte nämlich den Moment bezeichnen, wo die Lady von den Schwänen beängstigt wird. Die Puppe stellte die Lady vor –

Die Leda, corrigirte Melanie – Leda, Excellenz!

Ganz Recht! Die Puppe war die Lady und der Schwan, nicht wahr? Der Schwan war eine verkleidete Gottheit....

Jupiter! rief Melanie, während alle Die, die ein wenig Mythologie verstanden, sich auf die Lippen bissen und die Übrigen gespannt zuhorchten....

Ganz Recht, Jupiter... in einem Travestissement... es ist nur eine Maskerade... und mein Franz hielt den einen isländischen Schwan so fest an den Flügeln, daß das wilde grimmige Thier furchtbar tobte und mit den Flügeln ausschlug....

Und Frau von Trompetta hinter dem Ofenschirme schrie – erzählte Melanie unter fortwährendem Lachen – schrie, als stäke sie am Spieß und rief: Excellenz, er beißt! er beißt!

Er biß auch, sagte der Geheimrath. Bei Gott! Er hat Franzen gebissen... schickte deshalb in die Thierarzneischule... beinahe hätte ja das wilde Thier die ganze hölzerne Lady in Grund und Boden zertreten....

Leda! Leda! Excellenz; eine allerliebste Nymphe aus dem Alterthum – berichtigte Melanie.

Enfin, schloß Baron von Harder, der sehr angenehm ins Feuer gerieth, enfin, Frau von Trompetta fiel über diese antike Scenerie in Ohnmacht, und meine Frau, die ja dabeistand, wußte nicht, womit wir sie anders trösten sollten, als....

Ich zeichnete im Nebenzimmer, unterbrach Melanie, und beobachtete den ganzen Vorfall. Die geistreiche Frau Geheimräthin schalt Frau von Trompetta in einem kaum unterdrückten Zornausbruch kindisch und sagte vor allen Malern: O, schämen Sie sich, Trompetta. Sie fürchten sich vor Schwänen und reden den ganzen Tag vom Schwanenorden! Das sagte sie und fügte hinzu: Das ist nun da ein Schwan, ein echter isländischer! Und nun machen Sie den Lärm! Aber, bei aller Achtung vor der Geheimräthin von Harder, ich hielt diese Vorwürfe für ungerecht. Ich glaube, Frau von Trompetta fiel in Ohnmacht nicht über das Beißen der Thiere, sondern über das Sujet des Herrn Heinrichson, über die Puppe, über die Idee des Ganzen. Heinrichson zeichnete lachend und freute sich, je wilder und toller sich das abscheuliche Thier gebehrdete....

Die Schwäne machten Aufsehen, fuhr Herr von Harder fort. Man wollte sie sehen, alle Freundinnen meiner Frau wohnten den Wiederholungen der Action bei, und Frau von Trompetta... denken Sie sich, Frau von Trompetta gewöhnte sich an das Schauspiel und hatte später selbst darum gebeten, noch einmal dabei sein zu können, falls sie von der Estrade in dem Atelier aus zusehen dürfte. Aber wie gesagt, das erste mal, aus Furcht, gebissen zu werden, fiel sie in Ohnmacht, sodaß meine Frau nichts Anderes wußte, sie wieder ins Leben zurückzurufen, als daß Heinrichson – ein berühmter Maler, sehr ausgezeichneter Künstler und Weltmann – versprach, meiner Frau zu Gefallen und aus Dank für die königlichen Schwäne ihr nun auch ein schönes Blatt für das Gethsemane zu machen.

Ah! sagte man allgemein, von der Anekdote vortrefflich unterhalten. Alle lachten, selbst Frau Pfannenstiel. Nur Einem schien dieses Durcheinander von Lachen, Erzählen und Fragen im höchsten Grad unheimlich, dem Pfarrer Guido Stromer. Die Ausdrücke: Maler, Schwan, Schwanenorden, Leda, Solitude, Gethsemane – gingen so bunt an seinem Ohr übereinander weg, daß ihm schwindelte. Aber die heilige Entrüstung, die er sonst bei einer Erzählung würde gefühlt haben, die so ganz und gar nicht in die alten Erinnerungen dieser Räume paßte, überkam ihn zu seinem eigenen Staunen nicht mehr. Zu lachen vermochte er freilich nicht. Fehlten ihm doch die Verbindungsfäden näherer Bekanntschaft mit den Personen und die genauern Details. Aber es war da Etwas in ihm von eigenthümlichen Jugenderinnerungen, die ihn ergriffen und ihn wonnig überrieselten. Er gedachte, so im Stillen grübelnd, der Zeiten, wo er noch in akademischen Jahren den Trieb hatte, bei einem berühmten Archäologen Kunstgeschichte zu hören, wo er noch mit aufmerksamer, herzinniger Betrachtung durch die Säle einer Kunstausstellung schreiten und marmorne Gestalten mit Professor Tholuck, den er in Halle später hörte, noch nicht Götzenbilder nannte! Er strich sich nachdenkend über die Augen, er, der außer Melanie der Einzige war, der etwas Genaueres von der Mythe der Leda, die die Unwissenheit des Intendanten mit einer Lady verwechselt hatte, verstand und diese Mythe zu deuten wußte. Als nach dem Lachen eine Pause eingetreten war und Alles nun zu ihm, dem heiligen schweigenden Manne, mit einer gewissen Befangenheit hinblickte, sagte er mit sehr leiser Stimme:

Ich wollte mir nur die einfache Frage erlauben, was es mit dem vorhin mehrerwähnten Gethsemane der Frau von Trompetta für eine Bewandtniß hat?

Melanie erklärte es ihm, indem sie noch einige Entdeckungen über die Art, wie Frau von Trompetta ihr Album zu sammeln und einer gewissen geräuschvollen Wohlthätigkeit zu widmen verstand, zu erzählen wußte.

So! so! war Stromer's ganze Antwort. Er versank in ein stilles Nachdenken und spann Betrachtungen für sich aus, die ihn auch auf die große Ähnlichkeit führten, die zwischen einer von ihm einst bewunderten Leda der dresdener Galerie und der reizenden Melanie bestand. Er blickte nieder, brütend, abwesend und nur unheimlich schoß sein Auge zuweilen einen Blick empor, der forschend über die Versammlung glitt. Er überdachte einen andern Entwickelungsweg, den er hätte zurücklegen können, wenn die hohe Frau, die ihn an den Pietismus, an sein einfaches Weib, an seine fünf Kinder und diese Dorfpfarre fesselte, nicht eine Fürstin gewesen wäre....

Nachdem sich, wie immer, wenn ein Gegenstand erschöpft ist, um den Theetisch eine gewisse Stille eingestellt hatte und Henning von Harder noch in dem Gefühl, durch interessante Entdeckungen eine ganze, wenn auch seiner nicht würdige Gesellschaft angeregt zu haben, sich wiegte, versuchte nun auch der Commerzienrath von Reichmeyer sich geltendzumachen. Er stellte seine Theetasse auf den runden Tisch, auf dem inzwischen schon die große Lampe aufgetragen wurde, räusperte sich und bemerkte:

Soeben las ich in der Zeitung die Ankunft des Prinzen Egon von Paris.

Wer kennt den Prinzen Egon? fragte Melanie mit einiger Lebhaftigkeit, ohne jedoch aufzuhören, sich in einem Fauteuil lang auszustrecken und dabei sorglos und fast abgespannt mit einem Fächer von Maraboutfedern zu spielen.

Als Alles schwieg, richtete sie ihren Blick auf den Intendanten und sagte:

Sie vielleicht, Excellenz?

Ich habe nicht die Ehre, Se. Durchlaucht zu kennen, bemerkte Herr von Harder.

Commerzienrath von Reichmeyer theilte daher mit, was er wußte.

Der Prinz, sagte er, kann jetzt etwas über sechsundzwanzig Jahre alt sein. Er wurde von seinem zwölften Jahre in Genf erzogen, kam achtzehn Jahre alt nach Deutschland zurück, um jedoch sogleich die Universitäten von Bonn und Heidelberg zu besuchen. Er versuchte dann ein Jahr in der Nähe seiner Familie zu leben, war aber so wenig mit den Maximen seines Herrn Vaters in Einklang zu bringen, daß er Deutschland wieder verließ, nach der Schweiz zurückkehrte und auf Reisen theils in Frankreich, theils in England zubrachte. Eben im Begriff nach Nordamerika sich einzuschiffen, traf ihn die Kunde vom Tode des Generalfeldmarschalls. Mit der bestimmten Erklärung, sich den Antritt seines überschuldeten Vermögens noch vorzubehalten, einer Erklärung, die er an die Curatoren der Masse vorausschickte, ist er nun zurückgekehrt; indessen hoffen wir Alle, daß er sich von diesem Entschlusse abbringen läßt und durch weise Sparsamkeit von den Besitzungen, die einmal seinen Namen tragen, soviel rettet, als noch zu retten ist.

Melanie nannte Das geschäftliche Äußerlichkeiten. Sie wollte Anderes von dem Prinzen Egon hören. Wie sein Äußeres wäre, sein Wuchs, die Farbe seiner Haare, sein Wesen und Benehmen....

Nach Allem, was man hier und da von dem Prinzen erfahren hat, sagte sie mit trockenem ironischem Humor, muß man wol darauf rechnen, in ihm eine große Ähnlichkeit mit Sr. Excellenz zu finden.

Diese Bemerkung fiel natürlich allgemein auf.

Wie so? In der That? Mit Excellenz?

Da wir nicht hoffen können, fuhr der Schalk fort, daß der Prinz mit meinem guten Vater, den er zu hassen scheint, weil er sein Herz nicht kennt, verkehrt, so bleibt uns nichts übrig als uns an Diejenigen zu halten, die ihm ähnlich sehen. Man rühmte mir schon oft den eleganten Fuß und die kleine weiße Hand des Fürsten....

Über diese Spitzbüberei brummte die Mutter etwas erschrocken vor sich hin und Alle fühlten, daß Melanie die Gesellschaft auf Kosten eines Mannes, der den Spott nicht merkte, unterhalten wollte. Harder erröthete, er wurde unruhig. Er rückte mit dem Stuhl und schien plötzlich sprachunfähig.

Auch Eugen Lasally erschrak. Er schien an Melanie's Komödienstreichen keinen Gefallen zu finden und drückte Dies genugsam durch die Schärfe des Tones aus, mit dem er das Wort ergriff und sagte:

Prinz Egon gilt unter den Leuten, die ihn kennen, für einen halben Gelehrten. Manche seiner Universitätsfreunde nennen ihn überstudirt. Er soll erst die Rechte getrieben haben, jetzt aber ein Narr sein. Man sagt, er hat drei Handwerke, Tischler, Schlosser und noch eins gelernt, ich weiß nicht, Horndrechsler, Friseur, Kammmacher oder welches andre solide Metier!

Während jetzt besonders Herr und Frau von Zeisel über diese Äußerung eines kecken jungen Fremdlings erschraken, bestand Melanie sogleich darauf, diese dritte Profession müßte die Kammacherei sein....

Das Haar ist die schönste Zierde des Menschen, rief sie. Ob ein Haar sich gefällig lockt oder schlicht am Scheitel fällt, ob es die Stirn bedeckt oder ihre Fläche frei erglänzen läßt, immer ist es der lebendigste Sprecher für den Charakter, der in dem Kopf unter ihm schlummert. Kammmacher, nicht wahr, Excellenz?

Herrn von Harder war diese Bemerkung allein gewidmet. Sie galt seinem Haar. Aber, im Hause des Gehenkten ist nicht gut von Stricken reden. Der Blick auf seine pariser Bagno-Perrücke, die Franz, sein Bedienter, wie das natürlichste Haar zu kräuseln verstand, erschreckte ihn doch. Es war ihm daher nur erwünscht, daß man vom Scherz auf Ernstes zurücklenkte....

Wir lachen, sagte der innerlich etwas entrüstete Justizdirector von Zeisel mit beklommener Stimme, wir lachen über die wunderlichen Sagen, die man sich von Sr. Durchlaucht, meinem gnädigsten Prinzen Egon erzählt. Soviel steht allerdings fest, daß Prinz Egon ein... ein... ein sehr unglücklicher junger Mann ist. Denn... erlauben Sie die Bemerkung... denn denken Sie sich eine Jugend, die allerdings nicht behaglicher, angenehmer sein konnte, als noch die reichen Mittel des Vaters, ich sage, als diese noch... noch beisammen waren. Aber schon im genfer Pensionat muß er gefühlt haben, wieviel... sozusagen... wieviel Störungen in dem Hauswesen seiner Ältern eintraten. Als er, es war gerade Winter und die Fürstin in der Residenz, von Genf zurückkam... entdeckte er ohne Zweifel die gewaltige, wie soll ich's nennen? allerdings... die Zerrüttung des schon lange gestörten... oder ist Das zuviel gesagt?... nein! allerdings – des gestörten häuslichen Friedens zwischen den beiden hohen Personen. Wir sahen ihn hier gar nicht. Er bezog sogleich im nächsten Frühjahr die Universität. Nach seinen akademischen Studien lebte er mit seiner Mutter einige Wochen auf den Gütern der Familie, über die sie damals noch... hm! hm!... ja noch!... im obern Gebirge frei... ja allerdings – frei zu schalten hatte. Dann ist er, wie ganz richtig erzählt wurde, sozusagen verschollen, und was man von ihm erfuhr, war in der That ein wunderbares Durcheinander der seltsamsten Dinge, die er, wie man erzählt – hm! hm! treiben, wenn man diesen Ausdruck brauchen darf – treiben soll und unter Anderm allerdings auch die Nachricht über seinen Entschluß, sich... wie soll ich's nur nennen? ja allerdings... sozusagen, sich mechanische Fertigkeiten anzueignen.

Und niemals war er in Hohenberg? fragte man, nach dieser höchst discreten Rede eines taktvollen und feinfühlenden Beamten, allgemein erstaunt und sah dabei auf Guido Stromer, der noch immer abwesend und wie in Träumen verloren schien.

Herr Pfarrer! Herr Pfarrer! hieß es, wo waren Sie?

Ei! ich wette, sagte Melanie, Sie sind noch immer bei der Scene mit dem Maler Heinrichson. Ja! Ja! Sie überlegten, wieviel Genuß Ihrer verstorbenen Freundin, der Frau Fürstin, die Bekanntschaft mit dem Album der Frau von Trompetta verschafft haben würde.

Guido Stromer war allerdings noch bei jener Scene, aber im völlig andern Sinne. Dennoch sammelte er sich und sagte:

Ich leugne nicht, daß ich das Vertrauen der Fürstin in seltenem Grade besaß, und überlegte bei mir im Stillen, wie sie wol eine so erpreßte Wohlthätigkeit, von der Fräulein Melanie erzählte, beurtheilt haben würde. In ihrem Geiste sagte ich mir: Wenn der Künstler soll mit Gewalt gezwungen werden, in das Gethsemane einen Beitrag zu stiften, so ist ja in der That dieses Album recht ein Thränengarten, wie der Name bedeutet, und Judas der Verräther lauert ja mit dem falschen Kuß der Liebe an seinem Eingang. Frau von Trompetta gleicht da dem heiligen Crispinus, der den Reichen das Leder stahl, um den Armen daraus Schuhe zu machen. Nimmermehr würde die selige Fürstin eine solche Unternehmung, etwa durch Übernahme von Loosen, unterstützt haben. Denn es liegt doch wol kein Segen in Dem, was nicht aus reiner Quelle fließt....

Nun, Herr Pfarrer, meinte Herr von Reichmeyer, der erst seit seinem letzten Knaben Christ war, wenn das Album mit zweihundert Louisdors verkauft wird und der Betrag, ich will einmal sagen, an das Waisenhaus käme, um den Kindern daraus warme Jacken anzuschaffen; die Jacken halten ebenso warm, ob nun das Album zusammengebetet oder zusammengebettelt wurde.

Stromer horchte auf und betrachtete den witzigen Sprecher mit ernster Miene. Und gleichsam als würdigte er ihn keiner Antwort, wich er der weitern Debatte mit den leisen Worten aus:

Irr' ich nicht, so hört' ich vorhin den Namen des Prinzen Egon erwähnen?

Melanie, die eine unbehagliche Stimmung in der Gesellschaft nicht wollte aufkommen lassen, bestätigte diese Bemerkung.

Allerdings! sagte sie. Er ist ganz frisch von Paris angekommen. Kennen Sie ihn, Herr Pfarrer?

Geistig sehr wohl, sagte Stromer. Gesehen hab' ich ihn niemals.

Er war auch zu Ihrer Zeit nicht in Hohenberg? bemerkte Herr von Zeisel und fügte bei:

Seit meinem Amtswirken wenigstens ist er abwesend.

Doch! doch! lieber Herr Justizdirector, erzählte Stromer; Prinz Egon lebte bis in sein vierzehntes Jahr größtentheils hier in Hohenberg. Mein Amtsvorgänger war damals sein Erzieher. Später verbrachte er, nach vollendeten Universitätsstudien einmal acht Tage hier – acht Tage – wo Sie eine Inspectionsreise machten und ich, entsinnst du dich, Linchen, lag ja wol krank?

Linchen, seine Frau, nickte. Sie war so schüchtern, kaum ein leises Ja! zu flüstern.

Als ich wieder vom Krankenlager erstand, fuhr Stromer fort, erzählte mir die Fürstin, wie wenig sie sich mit ihrem Sohne verständigen könne. Beide Gemüther, in so vielen Dingen nahe verwandt, trennten sich gerade in den wichtigsten Lebensfragen. Sie liebte den Prinzen, ihr einziges Kind, mit einer Leidenschaft, deren Ausbrüche mich oft in Angst versetzten. Nie konnte sie seiner ohne Thränen gedenken. Wenn sie einen Brief von ihm empfing, klopfte ihr das Herz mit hörbaren Schlägen. Sie schluchzte, indem sie ihn las, und gestand mir, daß sie sich durch dies Kind oft unglücklicher fühle, als selbst ein Mutterherz tragen könne. Rudhart, mein Amtsvorgänger, hatte dem Prinzen die ersten Grundlagen seiner Bildung gegeben. Es war Dies ein strenger, unfreundlicher Mann, der in der Religion nur eine gegenseitige Übereinkunft der Menschen sah, sich nicht zu morden und zu bestehlen. Diese Übereinkunft war ihm durch den Lauf der Zeiten so oder so verbrämt, bunt und willkürlich ausgeschmückt, sodaß er Christenthum und Islam ineinanderwarf, wenn nur der äußerste Zweck einer gewissen moralischen Haltung und Erziehung durch diese Religionsformen erzielt wurde. Als dieser Seelsorger, ein sonst sehr achtbarer Mann, unserer Gemeinde entsagte und zu einer deutsch-russischen Familie in Liefland zog – er scheint jetzt verschollen –, war mit der Fürstin schon längere Zeit jene Veränderung vorsichgegangen, die sie bestimmte, nicht nur einen Geistlichen der jüngern und neuern Richtung zu wählen, sondern auch ihren Sohn vorzugsweise nach Genf zu schicken in die Anstalt des Professors Monnard, wo sie gewiß sein durfte, ihn nach ihren Principien erzogen zu sehen. Solange Prinz Egon in diesem Institut verweilte, erhielt die Mutter von ihm zwar etwas kalte, aber doch in religiöser Hinsicht beruhigende Briefe. Man konnte oft zweifeln, ob diese Briefe der reine Erguß seines Innern oder nur Schulübungen waren. O Gott, rief sie einst aus, wenn diese Briefe von den Lehrern erst deshalb gelesen würden, um auch ihren Geist so zu corrigiren wie die Sprachfehler! Wenn Egon nur aus Furcht, seinen Lehrern zu misfallen, so schriebe, wie ich wünschte, daß es ihm aus innerster Seele käme! Als ich sie dann, die treffliche Frau, damit zu beruhigen suchte, wie ja Allem, was dereinst uns innerlich und ureigen werden solle, doch wol erst etwas Äußerliches und anderswoher Entlehntes vorangehen müsse, antwortete sie: Wie aber, wenn dies ungern Aufgenommene in Egon's Seele nicht haften bliebe, sich nicht in sein eigenstes Blut verwandelte und von seinem eigenen Bedürfniß nach himmlischer Stärke ergänzt würde! Leider trafen diese Befürchtungen ein. Als Prinz Egon, neunzehn Jahre alt, in der Residenz mit der Mutter zusammentraf und die Universität beziehen wollte, schrieb sie mir, wie kalt, ich wiederhole ihre Worte, wie kalt sie sein Herz gefunden hätte. Eis, sagte sie, gab er mir für die Glut meiner Liebe. Ich suchte sie damals zu trösten; ich verfiel, ich weiß nicht wie, auf die Wendung, daß vielleicht einmal ein großes Unglück ihm heilsam werden könnte. Diesen Gedanken hielt sie, als sie nach Hohenberg zurückkam, mit auffallender Zähigkeit fest. Immer wieder kam sie darauf zurück, daß man nur durch Trübsale und Prüfungen zur Erkenntniß seines wahren Heils gelange. Und Wahrheit, Wahrheit, Wahrheit! rief sie eines Tages ganz krampfhaft aus und sank erschöpft in ihren Sessel zurück. Die zerrütteten Finanzen des Vaters gaben viel Veranlassung, dem Prinzen fühlbar zu machen, wie abhängig er doch im Grunde von äußern Umständen und Bedrängnissen war. Aber der Bruch blieb. Mit dem Vater und der Mutter zerfallen, lebte er auf der Universität, ich kann wol sagen, wild in den Tag hinein, schrieb oft in einem halben Jahre nur einmal nach Hause; dem Vater ohnehin nie. Zuletzt bezog er die Summen, deren er benöthigt war, vom Herrn Justizrath Schlurck, der ihm auch den Tod der Mutter, später den des Vaters anzeigte. In den letzten Wochen vor ihrem Tode hatte die Fürstin die Freude, auf Anlaß ihrer immer mehr zunehmenden Krankheit noch einen hingebenden, recht zärtlichen Brief von ihrem Sohne zu erhalten. Sie küßte ihn unter Thränen, sagte dann aber, ernst sich aufrichtend und auf ein Bild des Erlösers blickend: Der ist die Wahrheit und das Leben! – Sie hatte damals noch ihre letzten Kräfte zusammengerafft, um ihr Testament, ein längeres Vermächtniß, an ihren Sohn niederzuschreiben. Ob es in die Hände des Vaters gekommen; ich weiß es nicht. Sie starb, ich wiederhole Brigitten's Erzählung, mit dem sonderbaren Ausrufe: Das Bild –! Mit diesen, wahrscheinlich auf ein Crucifix sich beziehenden Worten lähmte ein Schlag die Zunge und wenige Augenblicke darauf war sie verschieden.

Auf jenen letzten Ruf der Fürstin hin, ergänzte der inzwischen leise schleichend eingetretene Bartusch die eine feierliche Stille verbreitende Erzählung; auf diesen Ruf hin hat der Fürst beim Verkauf des Nachlasses seiner Gemahlin auch angeordnet...

Bartusch stockte, mit einem Blick auf den Geheimrath, der vom Tode nicht gern erzählen hörte.

Was angeordnet? fragte man allgemein.

Ich vermuthe wenigstens, sagte Bartusch, den Geheimrath dreist fixirend; ich vermuthe, daß die letztwillige Erklärung des verstorbenen Fürsten, alle Familienbilder auf Hohenberg sollten dem Sohne übergeben und von dem Verkauf an das königliche Haus ausgeschlossen bleiben, auf diesen letzten Worten seiner Gemahlin beruht.

Der Geheimrath machte eine unruhige Bewegung.

Herr von Zeisel glaubte ihn zu verstehen und fiel rasch ein:

O, mein Herr Bartusch, es ist diese Anordnung doch wol nur die schuldige Rücksicht eines berühmten Geschlechts auf seine eigene Ehre oder sozusagen... den Glanz seines Hauses. Nicht wahr, Eugenie?

Eugenie, seine Gemahlin, bestätigte diese Worte mit einem kurzen vornehmen:

Allerdings!

Sie war eine geborene von Nutzholz-Dünkerke.

Nun! Nur soviel weiß ich, vertheidigte sich Bartusch mit vieler Trockenheit und wollte den ihm von der Justizräthin zugeworfenen Wink nicht verstehen; soviel weiß ich, die Fürstin war ohne alles Vermögen. Prinz Egon konnte ein mütterliches Eigenthum nicht beanspruchen. Die Familienbilder und eine aus der Verwaltung des Schuldenwesens für ihn sich herauswerfende Apanage von jährlichen sechstausend Thalern bilden in diesem Augenblick seinen ganzen Besitz. Es wird ihm in Deutschland nicht lange behagen, zumal wenn es wahr ist, daß er Bier trinkt, in die Vereine der Handwerker geht, Colonieen stiften will und ähnliche Phantastereien treibt, mit denen man sich bei uns höchstens eine vorübergehende Popularität erwirbt, aber die vielen Feinde, die sich das Haus Hohenberg so schon zugezogen hat, in den obern Regionen leicht vermehren würde.

Frau von Reichmeyer, die es fühlte, daß sie zu lange geschwiegen hatte, um nicht für beschränkt zu gelten, ergriff diese Gelegenheit zu der Frage:

Woher kommen nur diese Feinde?

Liebe Schwester, sagte Eugen, wer kein Geld hat, hat keine Freunde, und keine Freunde haben ist soviel, wie Feinde haben.

Der Fürst, erklärte Herr von Zeisel, setzte leider seine Würde zu oft aufs Spiel und verdarb es mit denselben Protectoren, denen er es mislich, ja schwer machte, das Wohlwollen, das sie für ihn fühlten, immer auch öffentlich zu zeigen...

Nein, nein, seien Sie aufrichtig, fiel Stromer ein. Verschweigen Sie nicht, Herr Justizdirector, wovon wir bei unsern nähern Beziehungen zur Fürstin so oft Gelegenheit hatten, uns zu überzeugen; verschweigen Sie nicht, daß es wirklich eine geheim angelegte sonderbare Mine der Intrigue gegen die Fürstin gegeben hat! Sie wissen, wie oft sie über die Bosheit und Heuchelei der Menschen bei wirklich räthselhaften Veranlassungen klagte. Sollte Ihnen entfallen sein, welche Namen sie nicht selten als die ihrer ärgsten Feinde bezeichnete? Ich erinnere Sie an eine Dame –

Stromer hielt absichtlich inne. Herr von Zeisel wurde unruhig, überroth, seine Gemahlin erblaßte, Beide blickten erschrocken bald auf den heute sehr tapfern, angeregten Pfarrer, bald auf Herrn von Harder, dem seit Erwähnung der Bilder dies Gespräch verdrießlich, ja unehrerbietig erschien.

Genug, sagte Stromer. Die Feinde des fürstlichen Hauses mögen verschuldete sein, es sind ihrer aber auch solche, die wol nur dadurch entstanden, daß die Fürstin Amanda in ihrer Jugend sehr schön, sehr liebenswürdig und von aller Welt angebetet war....

Bei diesen Worten erhob sich Herr von Harder. Er ahnte in ihnen eine Beziehung zu seiner Gemahlin. War er auch wenig in die eigenen Lebensbezüge derselben, die erst seit zehn Jahren seine Gattin war, verwachsen, so wußte er doch, nach der ihm von der energischen Frau gegebenen Anweisung, sehr vollkommen, welche Farbe er in dieser, überhaupt in jeder Gesellschaft halten mußte. Sie sagte ihm ja immer: Sei kalt oder warm gegen Diesen oder Jenen! Und ohne daß er die Gründe dafür erfuhr, war er dann eiskalt gegen Den oder in seiner Weise glühend gegen Jenen. Er wußte vollkommen, daß seine Gattin in ältern Tagen, noch während ihrer ersten Verheirathung – mit ihm führte sie die zweite Ehe – mit der Fürstin verfeindet war; er hatte noch neuerdings, wo gerade auf ihre Veranlassung der Ankauf der Hohenberg'schen Einrichtung betrieben wurde und sie sich vor Ablieferung an den Hof die genaueste Untersuchung derselben in der Residenz bedingte, bei Auseinandersetzung der Gründe, die sie scheinbar dazu bestimmt hätten, das lebendigste Auftauchen der alten Erinnerungen Paulinens beobachten können, und somit überstieg das Gespräch das Maaß Dessen, was er als Gatte und überhaupt als Excellenz glaubte hier so ungeahndet mit anhören zu dürfen....

Melanie aber rief:

Laßt die Todten ruhen! Was quälen wir uns damit, zu erforschen, was die Verstorbenen noch Alles gedacht oder gefühlt haben mögen! Zürnen Sie nicht, Herr Pfarrer, daß wir so oberflächlich und weltlich sind! Unsere Religion ist die Natur, die Kunst, die Freude! Kommen Sie, wir wollen etwas Musik machen, wenn dieser Tonkasten hier bei guter Laune ist und die Gnade hat, noch einige Klänge herzugeben.

Damit öffnete sie den Flügel, der noch in diesem Saale von den ehemals hier gehaltenen Betstunden stehengeblieben war. Es war ein altes verbrauchtes Instrument, dessen Klang schon vor Jahren nur soweit ausreichte, leidlich eine Melodie anzugeben oder durch kraftvolles Anschlagen der Dominante einen Bauernchor zu verhindern, nicht immer taumelnd in den Octaven herumzuspringen oder einen Vers um eine Terz höher zu schließen als man ihn angefangen hat....

Melanie schlug eine Polka an. Manche Saite war schon gesprungen, manche sprang jetzt erst. Sie ließ sich jedoch nicht irremachen, sondern begleitete die leicht tändelnde Melodie, die sie spielte, mit den entsprechenden Bewegungen ihres Körpers. Zuletzt gab es denn aber doch ein zu klägliches Durcheinandersummen der ungestimmten Töne. Ärgerlich brach sie ab. Sie konnte aber vollkommen befriedigt sein von dem heitern Erfolge ihrer Improvisation. Man war die feierliche Stimmung los, stand auf, nahm einige kalte Speisen zu sich, die Madame Schlurck nach dem Thee herumreichen ließ, und stellte sich in Gruppen an die Fenster, an den Flügel, an das Kanapee der freundlichen Wirthin.

Guido Stromer aber war nicht der Mann, der sich so leicht entthronen ließ. Er warf sich mit leichtem Geschick auch auf diese neue Wendung des Abends, lobte Melanie's Spiel, rühmte die Speisen, erörterte die kleinsten Dinge durch piquante Commentare und entwickelte dabei immer denselben analytischen Geist, der sich in jede Gedankenreihe mit dem Talente, sie auszuspinnen und sinnig zu verknüpfen, finden konnte. Herr von Harder mied jedoch den vulkanischen Mann. Ohnehin neckte ihn Melanie und wußte ihn, gleich einem Magnet, der in einer Wasserschüssel blecherne Enten und Fische nach allen Seiten zieht, bald in diese bald in jene Ecke zu locken, sodaß er nahe daran war, von dem Nimbus seiner ihn umstrahlenden Würde viel einzubüßen und sich wie Einer der Andern unter den Andern zu verlieren. Als er anfing, doch auch zu freundlich zu zerschmelzen, zu geziert, wie Malvolio in Shakspeare's »Was Ihr wollt«, nach geschnörkelten Phrasen wie nach Fliegen zu haschen, entwand sich ihm das listige Mädchen und ging gerade da, wo er schon zweideutig zu flüstern begann, in einen lauten Ton über, den Alle hören sollten. Man gruppirte sich um sie. Sie neckte Alle. Sie neckte den Commerzienrath mit seinen Staatspapieren, den Justizdirector mit seinen Processen, Eugen Lasally mit seinen Wettrennen, für die er Pferde und Jockeys hungern und mager werden lassen müsse.... So hatte sie es dahin gebracht, daß Alles wieder saß und sich gefallen ließ, Räthsel und Charaden zu lösen, die sie in schnellster Gewandheit, den anwesenden Personen angepaßt, zu erfinden verstand.

Die Überladung, die das eigenthümliche Kennzeichen der Häuslichkeit Schlurck's war, brachte auch für diesen Abend, wie für jeden noch eine Collation Champagner. Dieser Wein war bei Schlurck so eingebürgert, daß man wol sagen konnte: er floß bei ihm in Strömen. Es mochte dieser Luxus daher kommen, daß Viele seiner Committenten, Viele der Personen, denen er Häuser, Güter, Geschäfte verwaltete, ihn mit Naturalgeschenken dieser Art gern erfreuten. Ein gewisses prahlerisches Wohlleben war leider die tägliche Ordnung im Schlurck'schen Hause und für so besonnen und klug Melanie's Mutter auch im Praktischen gelten konnte, nach dieser Richtung hin gestattete sie die vollste Freiheit und liebte es, jeden Tag als einen Tag der Freude zu begrüßen und zu beschließen, als ein Fest, wo Abends die Becher blinkten und Morgens wieder Rosen sie frisch umkränzten.

Ja! ja! rief zuletzt der vom Champagner angeregte Stromer, der kein Auge für Linchen, seine bescheidene Frau, den ganzen Abend über gehabt hatte, jetzt aber doch einmal zu ihr, der Dulderin, hinüberschritt mit dem Champagnerglase in der Hand; ja, ja, Lina, wie ist die Welt so schön, wenn man mit der Natur auf vertrautem Fuße steht! Da blitzt der Krystall, da lacht die Rebe, da funkeln Diamanten, auch wenn man Krystall und Diamanten nicht selbst besitzt! Im Auge liegt die Welt, im fröhlichen Auge der Liebe liegt sie gewiß; Liebe verklärt, Liebe besitzt, Liebe verjüngt! O wer sie nie gesehen hätte die schaurigen Schatten der Einsamkeit, wer nie erbebt wäre vor dem Anblicke des Todes! Da würden sie fern geblieben sein die düstern Gedanken, mit denen der grübelnde Mensch sich seinen Sonnenschein verhängt, seine Lauben in Grüfte verwandelt, seine lachenden Fernsichten in Abgründe! Ein Kind, ein Kind zu sein unter Blumen und Früchten! Lina, nichts schleppen als, jenen lieblichen dicken dresdener Jungen des Rubens ähnlich, Trauben, Trauben und Pfirsiche und kleine Kaninchen; o Seligkeit, es ist vielleicht die des Himmels auf Erden. Und wenn wir einst an die Pforte des Paradieses klopfen und sie im Jenseit genießen wollen, sagt uns Petrus: Ihr Thoren, was sucht Ihr hier oben? Die Seligkeit habt Ihr Euch auf Erden ja entgehen lassen! Steigt nun hinunter in das Zwischenreich, wo nicht die Seligen, nicht die Verdammten wohnen. Ach, ich weiß, was da hauset! Es ist die Reue! Die bittere nagende Reue!

Bravo! rief Melanie überlaut und stürzte sich mit komischem Affect Stromer'n fast zu Füßen.

Bravo, Priester! sagte sie und sprach damit die allgemeine den Pfarrer bewundernde Stimmung aus. Auf diesen Glauben gib mir deinen Segen!

Stromer'n, dessen allerdings geistreicher, eigenthümlicher und für deutsche Zustände bezüglicher Natur wir immer näher kommen werden, Stromer'n zitterte das Champagnerglas in der Hand. Einige Tropfen fielen auf Melanie's entblößte Schultern.

Guido! schalt Linchen, seine Gattin.

Mag' es fließen, rief Melanie, während Alle lachten; er taufte mich auf seinen neuen Glauben! Pfarrer! Sie müssen sich zu uns bekehren. Wollen Sie?

Damit stand sie auf und schüttete ihr Glas in das seinige. Wie eine Hebe so schön, hob sie den gerundeten nackten Arm und ließ von oben herab in wohlberechneter Entfernung den Strahl niedergleiten, daß es in Stromer's Glase aufzischte und wie mit tausend Perlen schäumte. Geblendet saß der glühende Mann da und setzte taumelnd das Glas an die Lippen!... Ah! rief Alles plötzlich erschrocken. Noch nachträglich zu den vielen gesprungenen Saiten im alten Pianoforte der Fürstin sprang eben noch eine der letzten.... Diese Mahnung wie von Geisterhand brachte Guido Stromer'n zur Besinnung. Es überrieselte ihn ein Schauer, als er der Tage gedachte, wo er hier betete und von der Sündhaftigkeit der Creatur sprach.... Aber so wirkte noch die warme Berührung seiner Kniee durch die vor ihm fast niedergesunkene Melanie in seinen zitternden Nerven nach, daß er nur noch in ihrem Anschauen lebte und mit wonniger Spannung zuhörte, als sie in ihr dunkles Haar greifend rief:

Jetzt zum Abschied für heute Abend: Wem laß' ich die Rose hier zum Andenken? Ich wollte sie verschenken. Wehe! Sie ist vom Stiel gebrochen! Armes hülfloses Hundertblatt, wer soll nun deine Stütze, dein Stab und Stengel werden? Wer soll dich mitnehmen und an sein Herz oder in sein Stammbuch oder auch nur in eine einfache Cigarrentasche legen und sich dabei sagen: Melanie gedenkt Deiner, gedenke du ihrer!

Alles sah gespannt auf den Pfarrer und Dieser, bebend, schlug die Augenwimpern nieder.

Ich concurrire nicht, sagte Eugen sogleich mit einer spöttischen, ernsten Miene über Melanie's Übermaß von Coquetterie.

Sie ziehen Ihren Einsatz zurück, Stallmeister, antwortete sie, und wissen nicht, wie Sie gewinnen,... wenn Sie schweigen! Sie haben heute soviel geschwiegen, Lasally; wüßten Sie nur, welchen Respect man vor Ihnen bekommt....

Melanie sprach diese Worte so scharf, daß sie unwillkürlich belacht werden mußten, zum großen Ärger der Commerzienräthin von Reichmeyer, die ihren Bruder liebte und Melanie's Gefallsucht umsomehr verabscheute, als auch ihr Gatte von den Netzen derselben umstrickt war. Eugen aber war eine viel harmlosere Natur.

Mein Fräulein, sagte er, Sie wissen, daß ich auf Geist keinen Anspruch mache. In meinem Kreise amüsirt man sich, wenn man gut reitet, gut schießt, Glück bei den Damen hat und die besten Cigarren hält. Um mich gründlich zu bilden und bei einem großen Genie in die Lehre zu gehen, hab ich einmal angefangen, nicht nur Schiller, sondern auch Goethe zu lesen. Ich las »Wilhelm Meister's Lehrjahre«.

Nun, rief Stromer wild. Wie wurde Ihnen da? Ergriff Sie Achtung vor der Bildung?

Bester Herr Pfarrer, antwortete Lasally trocken, als ich las, daß dieser Wilhelm Meister, dieser junge Commis und Ladenschwengel –

Entsetzlich! rief Frau von Zeisel, die Etwas auf Autoritäten hielt und auf Erziehung Ansprüche machte.

Als ich sah, ließ sich Lasally nicht irremachen, daß dieser Wilhelm Meister seine Liebhaberei für Puppenspielereien einer hübschen Schauspielerin erzählt, die dabei einschläft und immer noch von Puppenspielen erzählt, während Marianne schon in seinen Armen schnarcht, habe ich das Buch weggeworfen und mir vorgenommen, bei Gelehrten nicht in die Lehre zu gehen... man wird da lächerlich, ohne es zu merken.

Melanie strafte ihn aber für diese böse, gegen Stromer gerichtete Anmerkung.

Ein Goetheverächter, sagte sie, bekommt meine Rose nicht.

Es wuchs die Spannung, wem sie ihre Gunst zuerkennen würde.

Dem Witzigsten! hieß es.

Dem Artigsten!.....

Dem besten Reiter! sagte man mit Spott auf den Commerzienrath.

Melanie ging mit der Rose im Kreise umher und wählte und wählte...

Ich suche seltene Vorzüge, sagte sie, irgend etwas Neues, Bedeutendes... Wer meine Gunst verdient, muß... Ah Bartusch!

Mich lassen Sie aus dem Spiele! rief Dieser komisch erschreckt und wehrte die Rose ab zum Gelächter der Übrigen.

Daß Sie heute nicht mit den Fingern rechneten, rief Melanie, nicht an den Nägeln kauten und Ihren alten bösen Husten einmal bei sich behielten, verdiente in der That eine Auszeichnung, und wenn ich bedenke, daß Sie heute sogar noch ein hübsches, glattes, sauber rasirtes Kinn haben –

Der graue Schleicher, verfolgt von Melanie'n, rief kichernd: Gute Nacht! ergriff schnell einen Leuchter und lief unter allgemeinem Spotte davon.

Die doch etwas verletzten Damen wollten seinem Beispiel folgen und aufbrechen.

Nein! sagte Melanie, ihr misgünstigen Schwestern, wird Frauengunst so verschmäht? So wenig Werth gelegt auf eine Rose, die ein Mädchen im Haar getragen? Zur Strafe für die studirten Herren, deren Gattinnen am meisten mit den Stühlen rücken, bekommt die Rose der, der die größte äußere Schönheit besitzt, den kleinsten Fuß und die weißeste Hand.... Herr Justizdirector, strecken Sie Ihren Fuß vor!

Dieser zog seinen furchtbaren Elefantenfuß rasch zurück. Henning von Harder aber merkte etwas.....

Die Hand des Commerzienrathes wurde gerühmt. Sie war rundlich und wohlgepflegt, aber viel größer als Harder's. Und seine Gemahlin bedeckte sie; sie wollte der Posse ein Ende machen.....

Harder war entzückt..... er zitterte.....

Ich hab's! rief Melanie. Meine Rose ist erobert. Excellenz.... Excellenz hat das Seltenste, was ich je gesehen....

Was? fragte man erstaunt.

Die kleinsten, zierlichsten Ohren von der Welt! sagte Melanie.

Der Contrast der Würde, die dieser Mann behauptete, und die allgemeine lautlose, starre Bewunderung seiner Ohren, die er mit geschmeichelter Befangenheit wirklich nun zuließ, war im höchsten Grade lächerlich. Die Ohren fand man rings um die Excellenz herumgehend, in der That so klein, daß Herr von Harder nicht ohne Schüchternheit gestand, daß er diesen Vorzug allerdings schon oft an sich hätte rühmen hören. Mit einer Bescheidenheit, als wenn er für eines der größten Geistestalente nichts könne, da es ihm die Natur einmal gegeben, nahm er dann von der in seinem Anschauen wie selig schwelgenden Melanie die Rose entgegen und richtete an die bestrickende Circe eine so verwirrte Anrede, daß man sich an der Eitelkeit eines alten eingebildeten Galanthomme gründlichst weiden konnte. Schwerlich hatte sie bei dieser Neckerei ein Interesse. Was war ihr der Geheimrath? Was war ihr die Huldigung eines vornehmen Mannes, sie, die die zudringlichen Anträge junger Grafen und Fürsten täglich abzulehnen hatte und deren ganzes Jugendleben eigentlich ein ewiges Sichbeherrschen und consequentes »Nein«-Sagen sein mußte.... Prinz Ottokar selbst, des Königs Bruder sogar, hatte sie schon auf Bällen ausgezeichnet... sie floh nur immer, wich immer nur aus. Was war ihr also die grenzenlose Verwirrung, die sie über den Geheimrath hervorbrachte, anders als eine Tändelei der »Lieb' im Müssiggang«?

Als sich die ganze Gesellschaft empfohlen und zerstreut hatte, brach Melanie, die Mutter umarmend, in die Worte aus:

Zürne mir nicht, gute Mutter! Wir tanzen solange über den Blumen des Lebens hin und blicken dabei unvorsichtig nach der Sonne empor, bis wir einmal zerschmettert an einem Abgrunde liegen, den wir in unserer Lust doch übersahen!

Welch ein Bild! Kind! Das wolle Gott verhüten! antwortete die Mutter besorgt. Was hast du?

Kopfweh für heute! sagte sie abgespannt. Und nun... gute Nacht!

Damit küßte sie die Mutter, der sie für weitere Fragen, Mahnungen, Besorgnisse mit graziöser Handbewegung rasch den Mund zuhielt, und verschwand in ihrem Zimmer, wo Jeannette, ihre hübsche Zofe, sie schon ungeduldig mit einem Licht erwartete....

... Das Mädchen kaute Kaffeebohnen, um an ihrem Athem zu verbergen, wie man unten im Erdgeschoß oben den Herrschaften nachahmte und sich würdig zeigte, in einem Hause zu dienen, wo nur der Materialismus herrschte....

Melanie, in Gedanken versunken, merkte nichts von den Kaffeebohnen, nichts von dem glühenden, punscherregten Gesicht des Mädchens. Sie ließ sich ruhig entkleiden. Sie duldete ohnehin niemals, daß man sie vor dem Schlafengehen aus ihren Träumen durch Plaudereien weckte, besonders so indiscrete und zweideutige, wie sie Jeannette meist zu verführen pflegte.


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