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Erstes Capitel.

Das Kreuz und das Kleeblatt.

An einem heißen Sommernachmittage saß ein junger Mann, von summenden Käfern umschwärmt, das Haupt auf eine über die Knie ausgebreitete Mappe beugend, vor einer einfachen ländlichen Dorfkirche, um sie zu zeichnen. Die Formen des bescheidenen und doch ehrwürdigen Gebäudes wiesen auf einen ziemlich alten Ursprung hin. Leicht und schlank sprang der spitze Thurm in die blaue Ätherhöhe. Die alten grüngerosteten Glocken hingen in Öffnungen, deren Ränder ein zierlich geschweiftes steinernes Blätterwerk schmückte, willkommener Schlupfwinkel für ein Heer von Spatzen, das den Thurm lärmend umschwirrte. Das Schiff wölbte sich mit hervorspringenden Fensternischen mehr rund als länglich um den Glockenthurm, dessen Portal ein großes, halb in das Mauerwerk eingebrochenes Kreuz zierte. Dieser einfache Bau, umgrenzt von grünen Haselnußhecken und gehütet gleichsam von zwei alten Lindenbäumen vor der Eingangspforte, schnitt sich an dem duftreinen Horizont so gefällig, so lieblich ab, daß man dem jungen, über seiner Arbeit träumenden Künstler nicht verargen konnte, sich daraus für sein Skizzenbuch allein schon eine Erinnerung zu erhalten. Aber der alterthümliche Reiz dieser Scene wurde noch durch die Trümmer eines Gebäudes erhöht, das einst dicht an der Kirche mit ihr fast verbunden mußte gestanden haben. Noch waren einzelne verwitterte Mauern hier und da übrig geblieben und nun auf löbliche Weise zum Umbau des Friedhofs verwendet. Überall, wo eins der alten Trümmer aufhörte, begann in der Umzäunung des stillen Ruheplatzes immer ein einfacher, freilich etwas zerfallener Bretterzaun, bis diesen wieder ein morsches Stück alter Mauer mit noch halb erhaltenen Fenstern ablöste, deren Trümmer sich in das innere lauschige Gezweig von weißen, würzig duftenden Fliederbäumen, die sie überschatteten, verloren. Kirche und Friedhof lagen auf einer mäßigen, grasbewachsenen, mit weißen Sternblümchen wie bestreuten Anhöhe, die eine Fernsicht auf diejenige große und berühmte deutsche Hauptstadt erlaubte, welche der Schauplatz der nachfolgenden Mittheilungen sein wird.

Der junge Maler war nach einfachem Mittagsmahle auf dies bescheidene Dörfchen – es hieß Tempelheide – von der großen lärmenden Stadt hinausgewandert, hatte sich, rings den Hügel musternd, die günstigste Stelle für seinen Plan auserlesen, und zeichnete die Kirche und den Friedhof aus einem Interesse, das nicht blos ein künstlerisches genannt werden konnte. Er wußte nämlich, daß diese Trümmer Reste eines alten Tempelhofs waren. Das große Kreuz über der Kirche, in eigenthümlicher Form, bewies, daß einst die Tempelritter, die hier gewohnt hatten, auch die Gründer und Erbauer dieser Kirche waren. In seinen Jugenderinnerungen selbst an ein altes Templerhaus, die Zierde seiner im Harz gelegenen Vaterstadt, vielfach gemüthlich verwiesen, nahm er um so lebendigeres Interesse an diesen ehrwürdigen historischen Resten, als ihm auch sein erstes Probestück beim Eintritt in die große Genossenschaft der sozusagen losgesprochenen Künstler, Jakob Molay's Feuertod, so brav gelungen war, daß er schon jetzt zu den sichersten Hoffnungen der neuern Malerkunst gerechnet werden konnte. Dankbarkeit auch gegen den glücklichen Gegenstand seines Bildes, den Märtyrertod der alten französischen Tempelherren, hatte ihn hierher nach dem Dörfchen Tempelheide geführt, wo auch einst Tempelherren gehaust, auch einst Tempelherren jene Kirche und das Profeßhaus gebaut hatten, von dem noch jene malerischen in den Friedhof verlorenen Trümmer hinterblieben waren.

Wie Siegbert Wildungen – so hieß unser junger Maler – auf einem Stein unter einer Brombeerhecke längst Platz genommen hatte und im nothdürftigen Schatten des stachlichten Gebüsches endlich einmal auch seinen breitrandigen Calabreser lüftete, um die blonden lockig fallenden Haare von der erhitzten Stirn zurückzustreichen, bemerkte er plötzlich, daß er nicht allein war. Aus dem gelben Kornfelde, das die Öffnung zwischen dem Hügel und dem Aufgang zu einem nahegelegenen herrschaftlichen Parke ausfüllte, erhob sich, gähnend und wie nach gehaltener Mittagsruhe sich reckend, eine Gestalt, die weder oben dem herrschaftlichen Wohnhause, noch unten dem Dorfe anzugehören schien. Es war, so weit man sie im Liegen beurtheilen konnte, eine lange hagere Figur im leichten Sommerrock wie Siegbert, aber die Pantalons verwaschen, an den Knieen hervorstehend, das Hemd zerknittert, die Halsbinde weggeworfen und die Weste fast zu kurz und wie verschnitten. Die seltsame Gestalt, die sich aus dem Korn, in dem sie geschlafen hatte, herauswand, war jung und wie es schien verwöhnt bequem. Der Mittagsschläfer gähnte mit mehr Behaglichkeit, als er würde empfunden haben, wenn ihn der Bauer, dem das Kornfeld gehören mochte, in der Verwüstung seines Eigenthums betroffen hätte. Wie er den Maler entdeckte, stützte er, wieder lang sich hinwerfend, den Kopf auf den Arm und schickte sich an, in größter Ruhe seinen Nachbar keck zu beobachten. Die rechte Hand steckte er dabei behaglich in die Seitentasche seiner Pantalons; die linke kratzte sich die Ähren aus dem etwas röthlich kurzgeschorenen Haar. Statt den Maler anzureden, pfiff er sich eine Melodie, die nicht zu den gewöhnlichen gehörte und Bekanntschaft mit den Modeopern verrieth. Siegbert Wildungen war der neuesten Opern sicher unkundiger, als jener bequeme und in seinen Blicken fast zudringliche dreiste Gesell.

Während Siegbert in seiner Zeichnung fortfuhr und das Zifferblatt des Thurmes bald den vollen Schlag der fünften Stunde voraus anzeigte, hörte man einen Wagen in der Nähe. Eine herrschaftliche Kutsche fuhr von der Allee, die zur Stadt führte, die Anhöhe herauf und hielt vor dem Eingangsportal des in Siegbert's Rücken liegenden herrschaftlichen Gartens. Er hatte des geschmacklosen kleinen Schlosses, das dem Besitzer von Tempelheide zu gehören schien, anfangs wenig Acht gehabt. Der Park, der es einschloß, schien ihm von vielem Nadelholze fast zu düster; nur ein sonderbares Etablissement am Rand desselben oberhalb des Kornfeldes hatte ihm ein Lächeln abgelockt. Es war ein großer hölzerner Regenschirm oder ein Riesenpilz, dessen Dach eine unter ihm gedeckte kleine Mittagstafel vor der Sonne schützte. Der Besitzer des Schlosses nennt unstreitig diesen Regenschirm oder Pilz seinen chinesischen Pavillon, hatte er sich gedacht und dabei eingestanden, daß ein Abendimbiß in dieser freien Luft, beim würzigen Hauche der düstern Tannen des Parkes, dem Dufte des weißen Flieders und der Linden von der Kirche her, bei alledem höchst erfreulich und ländlich-anmuthig sein konnte. Sein Nachbar schielte schon lange von Zeit zu Zeit nach dem Pavillon hinauf und dem weißen gedeckten Tische und den Gläsern und Tellern, dem Silberzeuge, den Messern und Gabeln, und sein Schweigen brechend, rief er, auf die dreißig Schritte, die er von der Brombeerhecke etwa entfernt war, in gutem geschultem Deutsch, die satirischen, auf die Kutsche bezüglichen Worte hinüber:

In der alten Carrête da haben sie gewiß schon Ziethen aus dem Busch begraben.

Siegbert Wildungen verstand ganz gut, daß die »Carrête« die eben angefahrene Kutsche sein sollte, blickte aber nicht hin. An ihrem Gepolter schon hörte er, daß sie baufällig und altmodisch sein mußte. Sie aber auf den alten Ziethen »aus dem Busch« zurückzuführen, das war eine Landesanschauung, die ihm, obgleich er demselben Staate angehörte, nicht gleich ganz geläufig war. Er beantwortete die Bemerkung nicht.

Nach einer Pause lachte der junge Rothhaarige wieder hell auf und sagte:

O Je! O Je! Die alten Schindmähren hat schon Methusalem gefahren.

Siegbert Wildungen fühlte sich vom Ton des Sprechers und noch mehr von seiner Absicht, ein Gespräch anzuknüpfen, nicht eben angenehm berührt und antwortete wieder nur durch ein leichtes Aufblicken. Es schien ihm so unwürdig, sich gleichsam auf Geheiß eines solchen Menschen umwenden zu sollen und seine selbstgenügsamen Witze beifällig zu bestätigen. Dennoch regte ihn unwillkürlich die Vorstellung von Pferden, die schon Methusalem gefahren hätte, an, und es half nichts, er mußte nun über seine Mappe hin wenigstens zu dem Gesellen im Kornfelde einmal hinüberlugen. Als dieser mit spähendem Auge das erwachende Interesse des Malers bemerkte, fuhr er, wie dadurch ermuthigt, fort:

Fallen Sie nicht, Excellenz! Immer langsam voran, altes schweinsledernes Porcus Juris! So! Kommen Sie zum Handkuß bei Ew. Gnaden, Phylax und Sultan? Kätzchen darf auch guten Tag sagen? Miau! Miau! Und der schwarze Spitzbub, der Rabe, hui! was der ihm wol ins Ohr geplauscht hat von Galgen und Rad! Ein Compliment von Kühnapfel und Tschech? Nicht wahr, Du alter Küster vom Rabenstein! Jetzt wird wol gefrühstückt? Laßt's Euch gut schmecken! Prosit die Mahlzeit!

Während dieser sonderbaren, mit scharfem maliziösen Ton vorgetragenen Worte schnarrte die alte Thurmuhr Fünf. Siegbert konnte jetzt nicht umhin, sich völlig umzuwenden und sich die Scene anzusehen, die ihm ebenso barock geschildert worden war.

Die mehrerwähnte Kutsche fuhr eben am Gartenstackete entlang, um in die entfernter liegende Hofthür einzulenken. Im Garten und vor dem Schlosse sah er Niemand mehr.

Schade, daß Sie zu spät kamen, sagte Siegbert's immer zutraulicher werdende Bekanntschaft.

Wer stieg denn aus? fragte Siegbert nach einer Weile mit einem ruhigen und sanften Tone.

Der, dem das Schloß da gehört, antwortete der Fremde, kennen Sie ihn nicht?

Gibt's vielleicht einen Herrn von Tempelheide? bemerkte Siegbert.

Tempelheide? Das nicht! Da wohnt der alte von Harder im Sommer.

Wer ist der alte von Harder? fragte Siegbert, ohne in seiner Arbeit aufzuhören.

Es gibt zwei Excellenzen von Harder. Eine junge und eine alte. Also die Excellenzen von Harder kennen Sie nicht? Da sind Sie fremd. Die junge Excellenz verwaltet die königlichen Gärten, wie Erzengel Michael das Paradies, aber blos mit der Gießkanne und dem Rechen in der Hand. Der Alte aber trägt's Schwert und die bekannte Wiegeschale. Der ist bei uns Gottes wirklicher Stellvertreter auf Erden, wenigstens was die zeitliche Gerechtigkeit anbetrifft.

Also wol der Justizminister?

Beinahe, aber noch mehr! Es ist der Präsident des Obertribunals! Neunzig Jahr alt! Halbblind, wie's Madame Themis verlangt, wackelig wie ihr Wiegebalken. Die Der schon alle hat köpfen lassen, die würden drüben nicht auf den Kirchhof hin können! Ein Todesurteil bestätigen, ist ihm wie 'ne Prise Schnupftaback nehmen. Die Leute haben großen Respect vor ihm; mir kommt er aber kindisch vor. Man muß ihn nur sehen, wenn er mit Hunden und Katzen, besonders aber, wenn er mit einem gewissen Raben spricht.

Wer neunzig Jahr alt geworden ist unter den Schlechtigkeiten der Menschen, bemerkte Siegbert, doch angezogen von der abgerissenen Rede des Nachbars, Dem ist nicht zu verdenken, daß er uns vernünftige Zweibeine längst satt hat und sich mit den unvernünftigen Thieren unterhält. Thut er denn Das?

Der Nachmittagsschläfer pfiff sich statt der Antwort ein Lied, reinigte seinen Hut und band die Halsbinde um, dann sagte er, als hätte er die Frage erst überlegt:

Schlechtigkeiten? Schlechtigkeiten ist manchmal so – so – bei der Handthiererei, dem Rechtsverdrehen.

Er sang dann weiter.

Nach einer kleinen Pause, die nun auf die letzten mit großer Bitterkeit gesprochenen Worte auch Siegbert machte, bemerkte dieser ruhig fortzeichnend:

Haben Sie wol einen Proceß verloren?

Einen? Mitunter ein Dutzend, antwortete der Fremde und setzte pfiffig hinzu:

Noch öfter aber welche gewonnen. Gerade wegen der gewonnenen Processe legt sich der Respect vor der Justiz. Aber's Obertribunal ist gut; es kommt nur darauf an, daß Einer soviel Lunge, d. h. Geldbeutel hat, um sich nicht außer Athem zu laufen, bis er bei der neunzigjährigen Unparteilichkeit da oben angekommen ist.

Siegbert antwortete nicht; auch der Fremde schwieg eine Weile, ordnete sein Hemd, zog an seinen Pantalons, an denen er die gelösten Sprungriemen wieder befestigte, zog eine Taschenbürste und strich sich sein röthliches Haar. Als diese Toilette, die er immer noch im Liegen machte, vorüber war, warf er, auf Siegbert's Arbeit deutend, leicht hin:

Sie zeichnen die Kirche? Ist denn die Kirche da hübsch?

Das müssen Sie doch selbst beurtheilen können, erwiderte Siegbert, ein wenig empfindlich über diese Bemerkung, die fast spöttisch klang.

Wie soll ich Das wissen! antwortete der Fremde. Hübsch? Der Münster in Strasburg soll hübsch sein. Er ist groß, und der Dom in Köln soll noch größer werden. Auch unser Dom ist schön – Hm, hm – Die Kirche da! Ei ja! Die Linden machen sich ganz artig und bei Mondenschein läßt sich's vielleicht noch schöner an! Dann präsentirt man so was einer schönen Demoiselle, die legt's in ihr Album und schreibt darunter: Liebe mich, ich liebe dich – junger Maler – blondes Haar – Calabreser – gestern kennen gelernt, heute geliebt – morgen vergessen. Kennen Sie solche Albums?

Diese wieder mit großer Bitterkeit gesprochenen fast fein satirischen Worte aus dem Munde eines sich doch so roh geberdenden Menschen überraschten Siegbert. Waren ihm schon seine frühern Äußerungen befremdlich gewesen, so widersprach doch diese letzte so sehr der Vorstellung, die man von dem Bildungsgrade eines wie ein Vagabond sich ankündigenden Menschen haben konnte, daß er voll Erstaunen fragte:

Haben Sie sich in der großen Welt bewegt?

Wie so? lachte der Fremde höhnisch und stand jetzt auf.

Indem er seine Kleider abputzte, die Weste zuknöpfte, den zerknitterten Hut bürstete, erschien er, wenn auch kleiner, doch stattlicher als vorhin und zeigte sich als ein junger blasser Mann mit hellblauen scharf durchdringenden Augen, zartem Teint und fast weiblichen Gesichtsformen. Er war nicht so groß, als er im Korn liegend erschien. Alles an ihm war schmächtig, zart, unausgebildet. Er schien im Anfang der zwanziger Jahre zu sein, während um den Mund, um die bitter sich zuweilen aufwerfenden Lippen viel ältere Erfahrungen zuckten. Das ganze Erscheinen war verstört, überwacht, wie an einem Menschen, der den Tag zur Nacht und die Nacht zum Tage macht.

Sie denken wol Wunder, was Einer sein muß, sagte er die Augen fast verletzt zusammenkneifend, um von Albums zu sprechen? Dazu braucht man nur ein Buchbinder oder ein Bedienter zu sein. Ein Lakai, der nicht ganz auf den Kopf gefallen ist, könnte bessere Geschichten erzählen, als die er seinem Fräulein aus der Bibliothek zum Lesen holen muß. Übrigens bin ich weder ein Buchbinder noch ein Lakai. Adieu!

Siegbert erschrak. Er war gutmüthig genug, dem Fremden, der wirklich ging, nachzurufen:

Wer hat Sie denn für etwas so Geringes gehalten! Bleiben Sie doch, Sie empfindlicher Mann!

Seine Worte verhallten aber. Der Fremde war schon den Hügel hinaufgestiegen, weniger, wie es schien, um sich ganz zu entfernen, als um dort oben sein zweckloses Schlendern fortzusetzen.

Siegbert machte sich nun Vorwürfe, ihn verletzt zu haben. Er gehörte zu den rücksichtsvollen Naturen, die Jeden gern in seiner Art gewähren lassen. Dazu kamen seine Begriffe über die sittliche Hebung der niedern Stände, die Ideale, die auch er, wie jetzt soviel edle und träumerische Menschen, sich über die mögliche Änderung der bisherigen Zusammensetzung unserer Gesellschaft gebildet hatte.

Betriffst du dich nicht immer, klagte er sich in Gedanken selber an, auf dem Widerspruch, daß du wol die Menschheit im Ganzen und Großen liebst und den Menschen selbst geringschätzest! Du fühlst mit dem Unterdrückten, hassest diese ungerechte Vertheilung der Erdengüter, bewunderst die wohlmeinenden Geister, die das Geld abschaffen wollen, um von dem Ersatz dafür Jedem soviel zu geben, als er für sein Dasein braucht, und jedes mal, wenn du wirklich mit dem Volke in Berührung kommst, wird es dir so schwer, über schlechte Kleider, entstellte Mienen, rohe und menschenscheue Manieren hinwegzukommen!

Siegbert war über sich selbst so misgestimmt, daß er aufstand und seine Arbeit für beendigt erklären wollte.

In diesem Augenblick sah er von der Seite des Schlosses her auf den Pavillon zuschreiten eine schwarz gekleidete nicht junge Dame, die einen uralten gebückten Greis am Arme führte. Ein gleichfalls alter Diener folgte in bescheidener Entfernung. Unstreitig war dies der Präsident des Obertribunals, der wol jetzt erst unter dem Dach des Pavillons sein Mittagsmahl nehmen wollte. Die sanftblickende Dame ging schweigend, in liebevoll herabgebeugter Haltung, neben dem Greise, der noch in würdiger schwarzer Amtstracht, an den heißen Sonnenstrahlen seine Freude zu haben schien. Langsam die Stufen zum Pavillon hinanschreitend, nahm er Platz vor einem der gedeckten Couverts, die sorgende Begleiterin an dem zweiten Couvert. Der kleine sauber gedeckte Tisch war nur für zwei Personen, höchstens noch einen Gast berechnet. Ein solcher saß auch schon am Tisch, kein Mensch, sondern ein großer Rabe, der mit seinem Schnabel die Ordnung des Tisches nachzumustern schien und mit klugem Ernst sich umschaute, ehe er von einigen Körnern pickte, die auf dem Tische für ihn ausgeschüttet lagen. Ehe der alte Herr nicht den Löffel zur inzwischen von einem zweiten Bedienten aufgetragenen Suppe ergriffen hatte, rührte der verständige und höfliche Vogel selbst nichts an, wofür ihn die Dame mit freundlichen Worten, deren sanfter Ton bis zu Siegbert herüberdrang, ausnehmend lobte. Der junge Maler, von dem Stillleben dieser Scene wohlthuend angeregt, schob den Entschluß, sich mit der Copie der Kirche begnügen zu lassen, noch eine Weile auf und richtete seinen Standpunkt nun so ein, daß er die Kirche und zugleich den Pavillon beobachten konnte. Die hochgewachsene, edle, in jüngern Jahren gewiß sehr schön gewesene Frau schien den alten Herrn auf ihn aufmerksam zu machen. Ohne sich aber dabei umzuwenden oder ein Zeichen von Antheil an den gesprochenen Worten seiner Tischgenossin zu geben, aß der Greis ruhig die Speisen, die ihm von ihr vorgelegt und sogar geschnitten wurden. Statt aus einem Glase trank der Alte den Wein aus einem großen silbernen Becher; wie Siegbert bemerkte, wol deshalb, weil er mit beiden Händen ihn zum Munde führen mußte, so zitterten sie. Bis die Mündung eines Glases zum dürstenden Munde gekommen wäre, hätte sie lange gewährt; der Becher war leichter zu treffen. Die beiden Diener verrichteten ihr Geschäft lautlos – Alles war still – nur der Rabe grammelte und krächzte zwischen den Reden der freundlichen Dame.

Sehen Sie, wie die Welt ist! sagte in diesem Augenblick wieder der Fremde, der hinter Siegbert stand.

Er mußte, während Siegbert die Blicke auf den Pavillon gerichtet hatte, von dem Hügel herabgekommen sein.

Sehen Sie, wie die Welt ist, sagte er mit schneidendem Spott. Gesetzt, der silberne Becher da, den der Alte da kaum an die Lippen bringen kann, käme plötzlich fort – Was geschähe nun? Man würde uns Beide für verdächtig halten. Sie würden nur Ihren Namen zu nennen brauchen, um gleich davon zu kommen; ich aber, weil ich ihnen ein herrenloser Bedienter zu sein scheine, würde sofort arretirt, säße sechs bis acht Wochen, bis ich nur inquirirt bin, dann würde ich in zwei Instanzen höchst wahrscheinlich mindestens zu sechs Monaten Zuchthaus verurtheilt, und erst in der letzten entdeckte der alte Methusalem da selber, daß sein Rabe es gewesen, der den Becher gestohlen hat. Und warum? Das kommt Alles daher, daß Einer von Albums spricht und selbst nicht in Goldschnitt gebunden ist.

Sie kränken mich, antwortete Siegbert, wenn Sie glauben, daß ich Jemanden seines Rockes wegen geringschätzen kann. Übrigens scheint Ihre Phantasie so mit Gerichtsscenen erfüllt, daß ich mich zu fürchten anfange und allerdings nicht zurückbleibe, falls die Herrschaften da fortgehen und den silbernen Becher ohne Obhut zurücklassen.

Damit wollte Siegbert, überdrüssig der ihm nun lästigen Gesellschaft, rasch seine Mappe zusammenlegen und sich wirklich entfernen. Der Fremde streckte aber den dünnen knöchernen Finger auf sein Skizzenbuch und sagte:

Erlauben Sie erst noch, mein Herr, daß ich Ihnen zum Dank für Ihre Unterhaltung auf Ihrer Zeichnung einen Fehler sage!

Es sind deren viele, antwortete Siegbert kurz. Ich werde sie ein andermal verbessern.

Nein, nein, sagte der Fremde – den Fehler bemerken Sie doch nicht. Sie haben da am Kreuz etwas nicht richtig gemacht.

An welchem Kreuz?

Dem da über der Kirchthür. Sie haben – sehen Sie – die Enden der vier Kreuzes-Flügel bald mit einem drei- und bald mit einem vierblätterigen Kleeblatt bezeichnet. Sehen Sie aber hin; es sind immer nur vier Blätter. Nur die Tempelherren der alten deutschen Zunge hatten immer das dreiblätterige Kleeblatt.

Voll Erstaunen über diese Auskunft sah Siegbert nach der Kirche und fand die Bemerkung ebenso richtig, wie für ihn des fremden Menschen Kenntnisse in der christlichen Ornamentik überraschend waren.

Wo haben Sie diese architektonischen Feinheiten studirt? fragte er.

Der Fremde sagte lachend:

Freimaurer sollte heut' Einer sein! Glauben Sie mir! – dann macht er sein Glück! Leider hab' ich's verpaßt, als ich's konnte, und jetzt nimmt mich keine Loge mehr auf. Oder bin ich zu jung? Doch was das Kreuz anlangt, so hab' ich Das von vielen Häusern her in der Stadt da unten! Diese Häuser gehörten früher dem Orden der Tempelherren an. Dann kamen sie an die Johanniter, von diesen an die Stadt. Die Stadt hat aber mit dem Staat seit Jahren einen großen Proceß darüber, bei dem Millionen auf dem Spiele stehen, viel alte Häuser und eine Menge anderer Liegenschaften aus alten Zeiten her, die aber an den Kreuzesenden Vierblätter hatten – warum weiß ich nicht – ist auch wenig daran gelegen – drei- oder vierblätterige Kleesaat – das Vieh frißt Alles durcheinander.

Damit ging er wieder, eine abscheulich gleichgültige Miene schneidend, auf die schon vorhin von ihm geknickten Kornähren zurück und warf sich, eine Arie trällernd, auf seine alte Lagerstatt, als wäre sie sein gewöhnlicher Aufenthalt.

Nun wieder zu sehr erregt und gebannt, um sich entfernen zu können, wollte Siegbert noch eine kurze Weile bleiben. Wie er so wieder zu zeichnen anfing und das Kreuz nach des Fremden Angabe verbessern wollte, kommt aus dem Garten der alte Diener zu ihm herüber und überreicht ihm im Auftrage seiner Herrschaft eine reiche Spende Weines in einem großen krystallenen Wasserglase. Es ist heute heiß! war Alles, was der alte Mann als Veranlassung dieser Artigkeit dabei sagte. Siegbert, ganz betroffen, blickte zu dem Pavillon hinüber. Die holde, gute Dame grüßte gar artig, winkte lächelnd und drückte Das, was eben der Diener gesagt hatte, in freundlichen, aber ihm nicht hörbaren Worten und mit holden Blicken aus. Während sie sprach, krächzte der Rabe, als fühlte er etwas von Neid. Der greise Neunzigjährige aber zeigte auch jetzt nicht die geringste Theilnahme, und erhob sich nun von seinem kurzen Mahle, ohne von Siegbert's Gegenwart oder von dessen Dank für seine Aufmerksamkeit irgend Notiz zu nehmen. Die freundliche Dame folgte. Siegbert, befremdet über all dies Plötzliche, Unerwartete, trank. Die Hitze war allerdings sehr drückend, und fast hätte er ausgetrunken, wenn er nicht für den Fremden die theilnehmende Regung empfunden hätte, ihm Halbpart anzubieten. Er ging auf ihn zu und reichte ihm ins Kornfeld die beiweitem noch größere Hälfte des Pokals. Ein sonderbares Lächeln überlief des Fremden Züge, als er erst zögerte, dann aufstand und das dargebotene Glas mit einem Zuge leerte. In dem: Ich danke! das er vor sich erröthend hinsprach, als er Siegbert den Pokal zurückgab, lag ein Ausdruck von Gefühl, der dem jungen Maler, gewohnt, scharf zu beobachten, nicht entging. Wie sich Siegbert umwandte und mit dem leeren Becher, den Diener suchend, dastand, war der Fremde plötzlich wirklich verschwunden. Nun kam aber der Bediente heran und that sehr erschrocken.

Gott sei Dank! sagte er, daß man Den da bei Zeiten entdeckte, und man läßt so sein Silberzeug unbewacht auf dem Tische liegen!

Wie so? Kennen Sie den jungen Mann? fragte Siegbert.

Ei wohl, sagte der Alte in unmodischer Livree; er hat den Präsidenten tausend mal um Arbeit ersucht und will heute gewiß wieder herein. Wir haben nichts für ihn. Es ist ein gewisser Hackert, früher Schreiber bei einem Notar. Ein verdächtiger Mensch! Sieh! Sieh! Das Silberzeug! Das Silberzeug!

Damit maß er nun auch Siegbert mit mistrauischem Blick und lehnte das Trinkgeld ab, das ihm dieser anbot. Er eilte, was er konnte, in den Garten zurück, um den mit Silberzeug bedeckten Tisch rasch abzuräumen. Siegbert schüttelte den Kopf.

Der hält mich auch für nicht geheuer! sagte er und wanderte, über die Civilisation der neuen Zeit nachdenkend, sein Portefeuille unterm Arm, den Hügel hinunter, dem Dorfe zu wo er die Allee einschlug, die ihn zur Stadt zurückführen sollte.

Noch einmal war es ihm, als säh' er durch das Kornfeld auftauchend des Fremden Hut. Doch ebenso rasch verschwand die Spur.


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