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Zweites Capitel.

Dankmar Wildungen.

Die Pappeln der Allee säuselten von einem leichten Winde bewegt, der sich inzwischen lind erhoben hatte.

Links und rechts standen noch die Kornfelder in voller Reife oder waren von den Regenschauern in der verflossenen Woche nur in langen Schwaden niedergedrückt. Die Obstbäume, die im Felde standen, versprachen für den Herbst eine gute Ernte. Bald kam das mit einem zierlichen Gärtchen umfriedigte Häuschen des Chausseegeldeinnehmers, dann der Durchschnitt einer Eisenbahn, die sich quer über die Straße hinwegzog, und schon fingen einzelne Landhäuser die unmittelbare Nähe der Stadt zu bezeichnen an.

Siegbert's träumerisches Gemüth hing noch eine Weile an der verlebten tempelheider Scene, bald aber verwischte sich der Eindruck, und sein Auge schweifte nur noch mit jener fast bewußtlosen Ruhe umher, die reinen Seelen eigen ist. Seine Gedanken konnten von einem Stein am Wege, von einem verdorrenden Baume innigst beschäftigt werden. Was er deutlicher ansah, entlockte ihm eine Betrachtung, und da er Künstler war, hatte er den Vortheil, dem Vielen, was ihm in dieser Weise gerade kein Urtheil abgewann, doch immer, wenn auch mit flüchtiger Anschauung, eine eigenste Form abzugewinnen. Eine von dem niedergeworfenen Korn erdrückte Blume, ein dunkler Schmetterling auf einer noch stolzen, hohen Ähre sich wiegend, eine kleine Wolke wie ein durchsichtiger oder zerrissener Schleier durch den blauen Äther fließend, Alles das waren für ihn Ruhepunkte des Gefühls und des innern Auges, die nur dann mit wirklich nachdenkenden Reflexionen abwechselten, wenn er einem Handwerksburschen begegnete, der ihm zu stolz schien, um sich das Almosen zu betteln, dessen er vielleicht doch bedurfte, oder wenn er steineklopfenden Chausseearbeitern oder der langsamen Arbeit zusah, wie einige wenige Hände ein Wohnhaus aufrichteten. Er glich darin den alten Künstlern, daß er sich nicht ganz auf seine Kunst allein beschränkte, sondern, wie Michel Angelo, Tizian, Benvenuto Cellini, Rubens thaten, sich an den allgemein menschlichen Dingen gern betheiligte. Und wenn man ihm auch sagte, Rubens würde sicher in seiner Färbung voller und üppiger gewesen sein, wenn er statt mit Staatsactionen sich mit seinem, wenn auch genialen, doch in der Ausführung oft flüchtigen Pinsel allein beschäftigt hätte, so erwiderte er, daß Rubens, ohne den Verkehr mit der großen Welt, in einer der Geschmacklosigkeit schon zusinkenden Zeit sich doch nicht die Fülle productiver Anschauungen würde erhalten haben, die wir an diesem reichen Geiste bewundern.

Siegbert war schon der Stadt ziemlich nahe, als er aus einem rasch auf der Chaussee herrollenden Wagen sehr freundlich gegrüßt wurde. Die Dame, die ihm nickte, gab dem Kutscher ein Zeichen zum Halten.

Siegbert sprang hinzu und erwartete einen Befehl; denn er wußte, Frau von Trompetta gehörte zu den immer bewegten und bewegenden Naturen.

Frau von Trompetta, eine kleine, dicke, kugelrunde Frau mit immer lebhaften Geberden, gesprächig wie ein Mühlrad, saß im ceriserothen leichten Sommershawl neben einer sehr einfach und bescheiden gekleideten gefälligen jugendlichen Blondine.

Bester Wildungen, rief Frau von Trompetta, man sieht Sie ja gar nicht mehr; man hört nichts von Ihnen! Nur Ihr schrecklicher Molay vertritt Ihre Anwesenheit in der Gesellschaft, und man weiß doch, daß Sie noch andere Flammen entzünden können, als diesen entsetzlichen Scheiterhaufen, in dem Sie sich leider auch als ein Tendenzmaler gezeigt haben.

Ich bin im Atelier des Professor Berg allerdings viel öfter zu finden als in der Gesellschaft, gnädige Frau, antwortete Siegbert.

Und wenn ich käme, wenn ich Ihre neuesten Arbeiten belauschte, würden Sie wol für uns arme Sterbliche, die nur bewundern können, ein Auge haben? Man weiß es ja. Ganz erfüllt Sie nur die Eine, die Einzige, Melanie, die Unvergleichliche, oder wie Sie sie in Ihren Briefen nun anreden mögen, seit sie verreist ist.

Melanie? Sie sprechen von Melanie Schlurck? Allerdings ist sie verreist, antwortete Siegbert, und seine Wangen überflog ein leichtes Roth; aber von einem Briefwechsel ist keine Rede. Ich weiß nicht einmal den Ort, wo sie sich befindet.

O Sie Heuchler! Warten Sie! Warten Sie! Zur Strafe müssen Sie einsteigen! Öffne den Schlag, Christian! Ich muß mit Ihnen plaudern.

Gnädige Frau –

Fräulein Friederike Wilhelmine von Flottwitz, sagte Frau von Trompetta, auf die junge Blondine zeigend, die neben ihr stumm und ernst im Wagen saß.

Und ohne diese ihre Begleiterin weiter zu fragen, nahm sie keinen Anstand, Siegbert aufzufodern, einzusteigen.

Wir fahren nach Tempelheide, fuhr sie lebhaft fort, zu Anna von Harder, der Schwiegertochter des alten Präsidenten. Sie lernen dort die edelsten Wesen von der Welt kennen.....

Siegbert war unschlüssig, ob er der Auffoderung folgen sollte. Aber das Gefühl, das ihn schon den ganzen Tag beherrschte und in Spannung gehalten hatte, brach sich ihm in den Worten Bahn:

Vergebung, gnädige Frau, ich erwarte heute meinen Bruder Dankmar, ich muß nach der Stadt zurück.....

Ihr Bruder Dankmar! spottete Frau von Trompetta lächelnd; immer Kastor und Pollux, David und Jonathan! Freilich ist bekannt, daß sich die Gebrüder Wildungen in einem Grade lieben, der eigentlich das weibliche Geschlecht eifersüchtig machen sollte, wüßte man nicht, daß es noch eine Melanie Schlurck gibt. Aber ich muß Sie doch sprechen, trotz Ihrer Eile, und so schlage ich vor, machen wir es umgekehrt; steigen wir aus und eine Viertelstunde begleiten Sie uns. Nicht wahr, Friederike Wilhelmine?

Das junge Mädchen nickte ernst, hob ihre langen herabhängenden blonden Locken, die wie Mähnen schwer sich senkten, in die Höhe, ergriff den Sonnenschirm und war im Begriff, der etwas schwerfälligen, aber doch höchst lebhaften ältern Freundin zu folgen.

Siegbert, überrascht von der ihm ganz unerwarteten Zuvorkommenheit dieser ihm nur entfernt bekannten Frauen, öffnete den Schlag und bot ihnen beim Aussteigen die Hand. Frau von Trompetta, eine Vierzigerin, hatte mit ihren runden, genährten Formen bei dieser Operation Vorsicht nöthig. Die Blondine, in weißer Kleidung und sonderbar genug mit schwarzem Gürtelbande, zeigte sich jetzt von schlanker Gestalt. Sie war nicht mehr in erster Jugendblüte, vielleicht schon in der Mitte der Zwanziger.

Sie wüßten also nicht, wo Melanie Schlurck ihre Sommervillegiatur hält? begann sogleich Frau von Trompetta im neckenden Tone. Sie scherzen! Ein so zärtliches Verhältniß! Ich wette, Sie waren in Tempelheide, weil Sie wissen, daß die auf diesem Wege zurückkehren muß.

So sind Sie unterrichteter als ich es bin, wiederholte Siegbert. Da ich drei Tage lang nicht im Atelier war, höre ich erst von Ihnen, gnädige Frau, bestätigt, daß Melanie wirklich verreist ist.

Sie ist auf dem Schlosse Hohenberg, wohin sie den Vater auf Geschäften begleitete, antwortete Frau von Trompetta. Pinsel und Palette wurden bei Seite geworfen, Mandoline und Harfe an die Wand gestellt, rasch und zauberhaft schnell entschlossen, wie in Allem, was sie thut, war auch dieser Reiseplan gefaßt. Das ist der Weg nach dem Schlosse Hohenberg. Genug, Wildungen! Thun Sie uns den Gefallen! Sie müssen noch heute mit uns zu Harders kommen. Da ist ein Park, ein chinesischer Pavillon. Da gehen Sie morgen, täglich, wieder hin, bauen sich eine Laube von Tannenzweigen, ein Weidenhüttchen, wie ich einmal aus Shakspeare bei Tieck in der Vorlesung mich entsinne, ein Weidenhüttchen – Tieck sprach das Wort so zart – und werfen, wenn Melanie auf der Rückreise vorüberfährt, ihr Rosen und Vergißmeinnicht zu. Die gute Anna Harder hilft. O Das ist etwas für Anna! Romantik! Romantik! Ach, Sie sollten diese himmlische Seele nicht schon kennen?

Ohne sich auf die Scherze wegen Melanie Schlurck, einer Schülerin des berühmten Professor Berg, Scherze, die ihn mehr zu verwunden, als zu erheitern schienen, einzulassen, bemerkte Siegbert, daß er Anna von Harder seit heute schon zu kennen glaube, und erzählte Alles, was ihm vor einer Stunde vor der Kirche zu Tempelheide begegnet war.

O Das ist ja herrlich! rief Frau von Trompetta. Das ist ja ganz Mittelalter! Anna als Burgfrau, der labende Becher, Sie der Troubadour! O so ist sie nun! Jeder Zug entspricht ihrem seelenvollen Herzen. Ich habe das Bild ganz vor mir. Sie zeichnen, Präsidents speisen. Anna's holder Sinn, gehoben von der Nähe des Friedhofs und der Kirche – nicht wahr, sie trug schwarz? – zart gedenkend des andächtigen Malers, fromm gedenkend der gastfreundlichen Sprüche aus der Bergpredigt des Heilands, und der alte Johann – gelb und blaue Livrée – etwas verschossen zwar – aber liebevoll – höchst liebevoll – ein Becher Weins! Da, nehmet hin! Erquicke dich, Wanderer! Thu' es zu meinem Gedächtniß! Allerliebst!

Um Gotteswillen, rief Siegbert lachend aus. Sie thun ja so feierlich, gnädige Frau, als wenn es sich um die Einsetzung des Abendmahls handelte.

Frau von Trompetta blickte auf diese Bemerkung plötzlich sehr ernst. Friederike Wilhelmine von Flottwitz schlug gleichfalls die Augen nieder, und es trat eine Pause ein, die Siegbert gern benutzt hätte, um von der Begleitung dieser ihm wenig zusagenden Damen loszukommen. Er besann sich jetzt erst, daß Frau von Trompetta, trotz ihres leichten Tones und ceriserothen Shawls, zu jener gesellschaftlichen Fraction gehörte, die man in frivolen Kreisen Schwanenjungfrauen oder Diakonissen außer Diensten nannte. Er besann sich, daß bei Gelegenheit der Erörterungen über »innere Mission« Niemand öfter genannt wurde als Anna von Harder auf Tempelheide, Frau von Trompetta, Gräfin Mäuseburg und viele andere Damen, die Siegbert theilweise persönlich kannte, und schon hoffte er, da er dieser Richtung nur sehr bedingungsweise zugethan war, mit seinem das heilige Abendmahl »profanirenden« Vergleiche loszukommen.

Es war aber nur eine vorübergehende Wolke, die sich auf die Stirn der beiden Damen gelagert hatte. Sie nahmen gerade jetzt erst den jungen schlankgewachsenen Maler, dem sein lockiges Haar, der blonde Kinnbart, sein weißer Hut, das schwarze Sammtröckchen, die weißen weiten Pantalons, das lose um den Hals geschlungene rothe Tuch sehr anziehend standen, in die Mitte, und Frau von Trompetta zögerte nicht, den plötzlich zerrissenen Faden des Gesprächs wieder weltklug anzuknüpfen.

Sie sind ein Spötter, sagte sie. Man weiß, daß Sie leider nicht zu den Gläubigen gehören. Professor Berg's Schüler wachsen alle etwas wild auf. Wissen Sie wol, daß ihm Das sehr schadet?

Freilich schadet ihm Das, sagte Siegbert, der sich nicht verstellen konnte, mit einiger Bitterkeit. Mein braver alter vortrefflicher Berg! fuhr er begeistert fort, und in der Erinnerung an den genialen, mannichfach zurückgesetzten Lehrer funkelten ihm die Augen. Armer Berg, daß du den feierlichen Empfang des Prinzen Ottokar nicht zu malen bekommen hast! Welch ein Verlust für dich, diese Uniformen, diese Guirlanden, diese weißgekleideten Mädchen, die die neue Jubelhymne singen werden! Alles das sollst du nicht malen! Armer Rubens, der von Don Philipp von Spanien eine Bestellung entzogen bekommt und nichts zum Troste übrig behält, als daß er Rubens ist, ein Genius und ein freier Niederländer!

Bester Freund, sagte Frau von Trompetta, plötzlich den Ton ändernd und mit großer Bestimmtheit, während es Siegbert schien, als wenn sich die Wangen des blonden Fräuleins mit Zornesglut färbten; bester Freund, Rubens würde weit weniger übermüthig, weit weniger ehrsüchtig gewesen sein, wenn er in einer Zeit gelebt hätte, wo man malen muß, nicht was man selber will, sondern was gefällt. Ihr seid in Euerm schönen Atelier recht wild, recht zügellos! Große bewundernswerthe Talente! Aber sehr ungebundene Gesinnung!

Wir suchen das Schöne, gnädige Frau.

Und spotten der Welt!

Und unser selbst.

Bei diesem Zugeständniß kehrte Frau von Trompetta, die etwas auf dem Herzen zu haben schien, wieder in ihren frühern leichten Ton zurück, hielt, da ihr das Gehen doch sauer wurde, einen Augenblick inne und sagte mit eigenthümlichem Ausdruck:

Ein hübsches kleines Genrebild auf der Ausstellung bewies mir, daß Sie allerdings Ihrer selbst spotten! Ha, ha! Allerliebst! Professor Berg, der einem schönen Mädchen Unterricht im Malen gibt – und die Schüler, die diese Collegin, ohne daß sie es weiß, gleich als Modell benutzen – Melanie Schlurck natürlich – Siegbert Wildungen..... ha, ha, ha – vortreffliches Bildchen. Nicht wahr, Friederike Wilhelmine?

Siegbert biß sich auf die Lippen. Dieses Bild existirte und galt in der That ihm am meisten. Die Gruppe, die Frau von Trompetta andeutete, war vorhanden und gefiel sehr. Es war ein kleines Ölgemälde von einem talentvollen Freunde, Namens Leidenfrost, das ihn und das ganze Atelier persiflirte. Denn während die im Nebenzimmer unter Blumen malende Melanie Schlurck von den Schülern auf ihren Bildern bald als Gärtnerin, bald als Tänzerin oder von Einem sogar als lockende Lurleynixe wiedergegeben wurde, hatte der portraitähnliche Siegbert, liebeglühend und liebeverblendet, sie als Modell zu einer Madonna benutzt und sie in Andacht wie der Himmlischen Eine verklärt und im Heiligenschein gemalt. Das Bild wurde auf der Ausstellung viel bewundert von Allen und vielbelacht von Denen, die die Personen kannten.

Übrigens glauben Sie mir, fuhr Frau von Trompetta fort, das Bild des Professor Lüders: »Die Einholung des Prinzen Ottokar nach Unterdrückung der östlichen Unruhen«, wird dennoch seine Schönheiten haben; hier Fräulein Friederike Wilhelmine von Flottwitz hat ihm erst heute dazu gesessen.

Himmel, nun besann sich Siegbert. Schon mehre mal hatte er den stolzen sichern Gang des neben ihm gleichgültig wandelnden Mädchens bemerken müssen. Sie warf ihr schönes Profil verächtlich in die Höhe und hörte dem Geplauder ihrer ältern Freundin nur mit halber Theilnahme zu.

Siegbert erinnerte sich. Diese junge, ihn wol tief verachtende Dame war ja jene patriotische Jungfrau, die sich in den letzten Parteikämpfen den Namen einer Jeanne d'Arc erworben hatte. Tochter des pensionirten Oberstlieutenants von Flottwitz, Schwester von sieben Brüdern, die in der Armee theils als Lieutenants ersten oder zweiten Grades oder noch als Cadetten vom Staate ehrenvoll versorgt wurden, hatte sie ein hübsches Talent des Reimens zu patriotischen Huldigungen an das angestammte Fürstenhaus benutzt, auch in öffentlichen Gesinnungskundgebungen war sie bereits so oft aus dem Kreise des Gewöhnlichen heldenmüthig herausgetreten, daß man ihr unstreitig einen Anflug höherer inspirirter Schwärmerei zuerkennen und den strengen Aufschlag ihrer großen blauen Augen unter solchen Verhältnissen bedeutend finden mußte. Siegbert betrachtete sie nun nicht ohne eine gewisse Ehrfurcht. Denn dies feierliche Mädchen war es ja, die neuerdings auch den sogenannten Reubund mit hatte stiften helfen. Eine Anzahl verwandter Seelen war ja aus eigenem freien Triebe vor kurzem zusammengetreten, um durch mancherlei Einwirkungen auf die öffentliche Meinung dem Fürstenhause zu erkennen zu geben, daß das Volk, für dessen wahre Vertreter sie sich erklärten, die Art und Weise, wie es bei den letzten Stürmen den Fürsten gewisse Concessionen abgetrotzt hatte, jetzt bereue. Keine Dame, die mit einem Offizier oder Beamten verheirathet war, unterließ es, sich in diesen Reubund aufnehmen zu lassen, für dessen Seele und eigentliche höhere Schwinge Friederike Wilhelmine von Flottwitz gelten konnte. Wo nur irgend ein tapferes Regiment triumphirend zu empfangen, eine Kaserne mit zweckentsprechenden Blumen zu schmücken war, ordnete sie diese vom Reubunde unterstützten Manifestationen in eigener Person an. Manchen Kuß schon hatten ihre jungfräulichen Lippen auf die Hände eines tapfern alten Generals gedrückt; zu ihrer seligsten Befriedigung auch schon einen auf die silberne Schärpe des Prinzen Ottokar, als dieser von der Unterdrückung einer anarchischen Bewegung im Osten siegreich zurückkehrte.

Während sich Siegbert über diese unerwartete und jedenfalls höchst interessante Bekanntschaft in schweigende Bewunderung verlor, fuhr Frau von Trompetta mit immer festerer Bestimmtheit und ihres hohen Einflusses bewußt fort:

Ihr Bild, bester Freund, ist wunderschön, vortrefflich der Ausdruck des Molay und der Tempelherren, die mit ihm verbrannt werden, ich sage ganz hinreißend, aber – der Kunstverein ist schwierig. Wissen Sie's schon?

Ich weiß, was Sie sagen wollen, gnädige Frau, fiel Siegbert erröthend ein, Propst Gelbsattel haßt Alles, was an den Lessing'schen Huß und die Physiognomieen der Cardinäle erinnert, die ihn verbrennen ließen. Propst Gelbsattel bestimmt die Meinung des Kunstvereins; folglich wird man meinen Molay nicht ankaufen.....

Es wäre nicht unmöglich, sagte Frau von Trompetta; allein, geben Sie mir den Arm – man hat Connexionen, Gelbsattel protegirt mich, und Fräulein Friederike Wilhelmine interessirt sicher auch den Reubund für den Ankauf Ihres Bildes. Aber dann muß ich mir bedingen, Wildungen, daß Sie mir auch in mein Gethsemane ein Blatt malen, hören Sie, daß ist die Bedingung! Wann darf ich Ihnen das Format schicken? Was wollen Sie malen? Und wann hab' ich Ihren Beitrag zu erwarten?

Siegbert war schon vollkommen unterrichtet, was das Gethsemane der Frau von Trompetta zu bedeuten hatte. Unter dem Titel jenes Gartens, in welchem der Heiland der Welt unter Thränen betete, ehe er den schweren Gang seiner Leiden antrat, beabsichtigte die rührige und in der systematischen Wohlthätigkeit unübertreffliche Frau ein Album anzulegen, in welches ihr die vorzüglichsten Künstler die einzelnen Blätter, wie sich von selbst versteht unentgeltlich, malen mußten. Durch diese Zumuthung war die gute Frau freilich eine rechte Plage der Kunstwelt geworden, der Schrecken aller Ateliers; allein die löblichen, von dem Hofe protegirten Zwecke dieser Dame machten eine Weigerung, ihren Ansinnen zu entsprechen, kaum möglich. Das Gethsemane sollte, wenn es vollendet war, entweder vom Hofe angekauft und im Landesmuseum niedergelegt oder auf dem Wege einer Lotterie für irgend einen glücklichen Treffer ausgespielt werden. Welchem barmherzigen Institut, welchem mildthätigen Zwecke der Ertrag dann zuzuwenden, behielt sich Frau von Trompetta noch vor, und man kann sich denken, wie sehr ihr deshalb von vielen Seiten ebenso sehr gehuldigt, wie von den unglücklichen gepreßten Malern heimlich und wol auch offen geflucht wurde.

Um heute nur von ihr loszukommen und der durch diese Begegnung angeregten schmerzlichen Gefühle Herr zu werden, sagte Siegbert in Gottes Namen zu und gelobte, auch seinerseits in das Gethsemane irgend ein frommes buntes Blatt zu stiften. Als er ihr feierlich die Zusage gegeben hatte, binnen vier Wochen seinen Beitrag abzuliefern, winkte Frau von Trompetta dem Wagen, der ihnen langsam gefolgt war.

Fräulein Wilhelmine, die unterwegs jeden Krieger, der ihnen begegnete, liebevoll und fast vertraulich gegrüßt hatte (denn es war eine Hauptaufgabe des Reubundes, das durch jene erwähnten Concessionen untergrabene Selbstvertrauen des Kriegerstandes wieder mehr zu heben und zu kräftigen), wandte sich rasch dem geöffneten Wagenschlage zu, als belästige sie die Überzeugung, daß Siegbert's Gesinnung der ihrigen nicht verwandt war. Frau von Trompetta aber hatte alle strengen Falten ihres Antlitzes nun verscheucht und lobte den jungen Maler überdiemaßen, daß er sie begleitet, vortrefflich unterhalten und vor allen Dingen sich für ihr Gethsemane hatte gewinnen lassen. Beim endlichen Abfahren rief sie ihm noch zu:

Zur Belohnung, Wildungen, sage ich Ihnen, daß Ihr Bruder Dankmar angekommen ist. Ich sah ihn unter dem großen Thorweg der Lasally'schen Reitschule.

Damit rollte der Wagen die Chaussee entlang, dem schon ganz nahen Tempelheide zu, dessen kleine Kirchenfenster in den goldener werdenden Strahlen der sich senkenden Sonne feurig herüberblitzten.

Mein Bruder schon da! rief es laut in Siegbert, während er sich eilends in Bewegung setzte, um die verlorene Strecke wieder einzuholen. Diese abscheuliche Frau! Sie erfuhr von mir, wie sehnsüchtig ich den Bruder erwartete, und statt mir seine Ankunft sogleich herzlich mitzutheilen, schleppt die Falsche, die Heuchlerin mich den Weg zurück nur um ihres Vortheils willen, um dieses zudringlich erbettelte Gethsemane! Welche Lüge! Welche Verstellung und wie viel erborgter Schein einer Religiosität, die eine solche Seele nimmermehr wahrhaft erfüllen kann!

Unser junger Freund war sonst zurückhaltender in seinem Urtheil über Andere. Eine Zeitlang tobte er so fort; dann tadelte er sich aber doch über den raschen Ausbruch seines Unmuthes und lachte, des Bruders gedenkend, bald freudig auf. Sein gerechter Sinn sagte ihm sogar, daß doch wol nur die große Verschiedenheit der Richtung und Gesinnung ihn bestimmte, Das als ganz lügnerisch zu verdächtigen, was er eigentlich nur bekämpfen konnte. Er fand sogar in Friederike Wilhelmine von Flottwitz einen gewissen Ausdruck der Seele, der ihn zwang, einen Augenblick langsamer zu gehen und über sie nachzudenken.

Dies Mädchen, sagte er sich mit einem leisen Anflug von Ironie, ist wirklich eine mittelalterliche Schwärmerin, ja eine Roland, eine Corday! Für Das, was sie als besser und richtiger erkannt hat, glüht sie. Sie ist voll Dankbarkeit für die Wohlthaten, die ihre arme Familie vom alten Staate erhalten hat und erhält! Ohne die gestürzten Regierungsformen, die sie und in gleicher Lage der ganze Reubund wiederhergestellt wünschen, müßte sie vielleicht darben: ihrem alten Vater würde vielleicht etwas von den Subsistenzmitteln entzogen, auf die er nach den schrecklichen Mühseligkeiten des Friedensfußes von 1815 bis jetzt rechnen zu dürfen glaubte.....

Siegbert lachte für sich. Er hätte dem Professor Lüders, der den Empfang des Prinzen Ottokar malte, etwas von der Begeisterung seines Gegenstandes gewünscht; denn er wußte von diesem Künstler, daß nur die niedrigste Servilität ihn zum Parade- und Uniformmaler gestempelt hatte. Er wußte, daß er das Portrait des inspirirten Fräuleins wol treffen würde in dem Momente, wie sie dem Prinzen Ottokar die Säbelquaste und Leibschärpe küßte, aber von der innern Seele, von ihrer Jeannen d'Arc-haftigkeit dabei, wußte er, würde der oberflächliche Mann nichts wiedergeben.

Mehr aber als alle diese politisch-artistischen Empfindungen, beschäftigten Siegbert das vielfache Erwähnen und die Erinnerung an Melanie Schlurck. Er hatte sich so oft gelobt, dieses Bild von seinem innern Auge wegzubannen. Er hatte so geheimnißvoll selbst dem eigenen theuren, über Alles geliebten Bruder dies Gefühl verborgen gehalten, das er still für sich in seinem Herzen hegte, und so oft, so oft vergebens mit Gewalt ausreißen wollte, und nun mußte er sich mit seinem Heiligsten von dieser Frau profanirt sehen. Diese Trompetta, die seit einem halben Jahre alle Ateliers der Maler beunruhigte, hatte ihm sein Interesse für eine Schülerin des Professor Berg abgelauscht. Einige indiscrete Kunstgenossen, besonders Heinrichson und Reichmeyer, hatten leichtsinnig den Commentar zu jenem Bilde des Max Leidenfrost ausgeplaudert, das ja möglicherweise ganz etwas Anderes bedeuten konnte und im Costüme weit eher für ein Atelier Tizian's als eines modernen akademischen Professors paßte. Und auch über dem Einzigen, was ihn für diese so heraufbeschworenen Empfindungen hätte trösten können, seinem schönen, von allen Kennern, wie vom großen Publikum theilnehmend umringten Bilde, dem Feuertode des standhaften und ehrwürdigen Comthurs des Tempelherrnordens Jakob von Molay mit dem edlen Ausdruck der Zeichnung und dem farbensatten Colorit der Ausführung, hingen die trüben Wolken einer Intrigue, wie er aus den Worten jener aller Verhältnisse kundigen Frau nur zu deutlich vernommen hatte.

Ach, es trieb ihn nun recht, sich bald an das Herz seines treuen starken Bruders Dankmar zu werfen! Sehnsucht beflügelte seine Schritte. Er eilte wie Einer, den die Nacht zu überfallen drohte, und doch schlich der milde, goldene Abend nur langsam über die gelben Felder, die des Sonnenlichts nicht satt zu werden schienen.

Endlich bei den Gärten und den Wirthshäusern der Vorstadt schon angelangt, entdeckte Siegbert einen Reiter von der Stadt her traben. Er erinnerte ihn sogleich an Dankmar, und er war es auch, der theure, geliebte, seit einem Monat abwesende Bruder.

Er kannte sogar das Pferd in der Ferne. Es gehörte dem Stallmeister Lasally, einem fashionablen jungen Mann, der zu den Beaux der Residenz gehörte. Siegbert, um das schnelle Vorbeischießen des Bruders zu verhindern, sprang mitten auf das Straßenpflaster, das hier schon die Chaussée ablöste. Dankmar auf seinem Thiere stutzt, hält an, steigt vom Gaule und fliegt in die Arme seines Bruders, dem er entgegengeritten war.

Mensch, wo steckst du, begann sogleich Dankmar. Ich suche dich überall, bis ich höre, du bist in Tempelheide. Ich wollte dir entgegenreiten, ich habe dir Wunderdinge zu erzählen....

Die nicht Zeit hatten bis zum Abend? fiel Siegbert lachend ein, und hielt dabei den Gaul fest, dessen Zügel Dankmar in der Freude der Begrüßung sich fast hatte entgleiten lassen. Und ohne darauf zu erwidern fiel Dankmar ein:

Was thun wir nun mit dem Gaul? Jetzt ist das Thier fast überflüssig.

Du setzst dich wieder auf, meinte Siegbert, und ich gehe ruhig neben dir her.

Ruhig? Nebenher? Jetzt, wo ich endlich mein Herz von all den Dingen, die ich in Angerode erlebte, ausschütten, erleichtern will? Ich dachte, ich überrasche dich noch in Tempelheide, stelle den Gaul dort in den Silbernen Mond, gehe mit dir ins Feld oder wir setzen uns in einen Garten, wo ich dir ungestört meine Herrlichkeiten bescheren kann –

Das können wir ja noch, fiel Siegbert sich umschauend ein. Hier sind überall Gasthäuser und Ausspannungen. Da der Blaue Engel, hier das Goldene Roß. Pappeln und Linden und Kegelbahnen die Hülle und Fülle! Wo kein Garten ist, findet sich ein Wirthszimmer....

Sieh! Da ist der Pelikan unten! Da muß ich ohnehin anfragen, ob Peters, der Fuhrmann von Angerode, angekommen ist. Wir wollen zum Pelikan.

Damit führte Dankmar den Gaul neben sich her und begann nun, seines wunderlichen Aufzuges gar nicht achtend, wie Jemand, der sich eine wichtige Mittheilung aufspart, von gleichgültigen Dingen zu reden, vom Wetter, von der Stunde der Ankunft, von ihrer gemeinschaftlichen Wohnung in der Neustraße, ihrer überraschten Wirthin Frau Schievelbein, vor allen Dingen aber von ihrer Mutter in Angerode, die ihrem ältesten Sohne Siegbert durch den jüngern Dankmar viel, viel tausend Grüße und Küsse sandte.

Dankmar zeigte sich bald als ein leichter, lebensfroher, munterer Kopf. Er war etwas kleiner als sein älterer Bruder, erschien aber bei seiner geraden Haltung fast größer als Siegbert, der sich nicht gut hielt und gern zur Erde niederbeugte. Dankmar hatte dunkleres, fast lichtbraunes Haar, scharfe braune Augen, frische Lippen, blendende, gesunde Zähne, einen um das Kinn gehenden stattlichen Bart und einen so zierlichen, ebenmäßigen Wuchs, daß ihm seine gewählte Toilette wie angegossen saß. Der leichte Reitfrack war bis zum Halse zugeknöpft mit weißen metallenen Knöpfen. An einer Stelle, wo er offen stand, sah ein rothes Taschentuch hervor. Sporen, Reitgerte, der schwarze Castorhut, Alles verrieth den sich mit Gewandtheit in der Welt bewegenden jungen Dandy, der aber in seinem Äußern nichts suchte und nicht im mindesten von seiner anziehenden Erscheinung eingenommen war. Sein Blick war geistreich, sein Lächeln schalkhaft und gleich nach den ersten Worten, die er sprach, sah man, daß der um zwei Jahre jüngere Dankmar – er war Referendar eines Gerichtshofes – den träumerischen Siegbert an rascher Combination und energischer, ihres Zieles bewußter Thatkraft beiweitem überflügelte.

Er hatte auch auf seine Umgebungen nicht die mindeste Rücksicht. Da sein Pferd am Zügel zu führen und zu plaudern, während er sich an den Sattel drückte, bot ihm nicht den mindesten Zwang.

Siegbert aber, dem alles Auffallende ängstlich war, meinte gleich, zum Pelikan sei es doch noch zu weit, er solle sich wieder aufsetzen, denn schon hatten sich Neugierige genug um sie versammelt.

Dankmar that Das nicht, und der Straßenjugend rief er zu, ob sie Maulaffen feil hätten. Noch sinnend, wozu er sich entschließen sollte, hörte er sich plötzlich angeredet. Um aller Verlegenheit ein Ende zu machen, trat Jemand, der hinter ihnen hergegangen war, hervor und fragte, ob er vielleicht den Gaul in die Stadt zurückreiten sollte?

Siegbert wandte sich um und erkannte seine Bekanntschaft von Tempelheide, den ihm als Schreiber Hackert bezeichneten unheimlichen jungen Mann.

Hackert's Anerbieten wurde von seinem staubbedeckten Äußern sehr wenig unterstützt, und Dankmar wollte schon aussprechen, daß er ganz so aussähe wie Einer, dem man einen Gaul anvertrauen könne, als der Andere sagte:

Ich kenne das Thier! Es steht bei Lasally im zweiten Stalle links. Wirklich, wenn Sie zu Fuß gehen wollen, machen Sie keine Umstände, ich nehme Ihnen die Sorge um das Thier ab und reite es in den Stall zurück.

Dankmar sah sich den verlegenen Bruder an, der ihn am Kleide zupfte, als wollte er ihn warnen, sich auf das Anerbieten einzulassen.

Es ist schon gut, erwiderte Dankmar kurz, wir danken!

Ja so, fiel Hackert mit Bitterkeit ein, Sie glauben, ich könnte Ihnen mit dem Fuchs durchgehen. Ich dachte, weil mich doch der andere Herr schon kennt....

Siegbert bejahte diese Berufung, doch mit einigem Zögern, das Dankmar in seiner Hast nicht bemerkte.

Das ist etwas Anderes! sagte er. Du kennst den Herrn? Dann steigen Sie nur auf und bringen Sie mir den Gaul gefälligst zu Lasally zurück. Sagen Sie nur dem Levi – Sie wissen doch –

Dem Bereiter Levi –

Ich würde ihm sein Sattelgeld das nächste mal zahlen –

Kann's ja auslegen –

Bemühen Sie sich nicht. Bin oft auf der Bahn. Das ist ja sehr gut! So! Steigen Sie auf! Schnallen Sie sich den Riemen länger. Alle Wetter, Sie haben verteufelt lange Beine!

Siegbert war jetzt eigentlich in Verzweiflung. Im Geiste sah er diesen verlorenen Gaul schon über alle Berge; er sah den Stallmeister Lasally mit einer Rechnung von 30 Louisdors bereits vor ihnen, bereits einen fälligen Wechsel, eine Verpfändung seines Bildes –

Um Gotteswillen, raunte er dem Bruder zu, siehst du denn nicht? Das ist ja ein Proletarier!

Betroffen wandte sich Dankmar und sagte:

Donnerwetter! Was machst du mir für Dinge! Ich denke du bist mit dem Kerl bekannt.

Dabei war aber Hackert schon im Sattel und schickte sich an, mit seinen abgelaufenen geflickten Stiefeln dem Thiere sogar noch übermüthigst die Weichen zu kitzeln.

Halt da! fiel ihm Dankmar in die Zügel. So haben wir nicht gewettet. Ich glaubte –

Was denn? richtete sich Hackert auf; doch nicht, daß man ein Spitzbube ist?

So etwas allerdings! Herunter! Steigbügel vom Fuß! Sind Sie des Teufels?

Hackert ließ sich nicht irremachen und blieb. Plötzlich griff er, glühend im Gesicht wie sein Haar, in die Rocktasche, holte ein schmuziges ledernes Portefeuille hervor, öffnete es in lichterlohem Zorn blitzschnell, langte ein Päckchen heraus und warf es mitten auf die Landstraße, Dankmar fast an den Kopf, mit den Worten:

Galgen und Rad! Da haben Sie hundert Thaler zum Pfand! Und nun hol' Sie der Teufel!

Damit schlugen seine dünnen Beine an und fort sprengte er mit dem Miethgaul, den Thoren der Stadt zu, zum Gelächter der vielen Gaffer, die sich schon um die lebendige Scene versammelt hatten.

Siegbert hatte das Päckchen aufgehoben. Er glaubte sicher und fest, ein Paquet Lumpen in der Hand zu haben, und war todtenblaß vor Schrecken und Erwägung ihrer ohnehin bedrängten Finanzen. Wie erstaunte er aber, als er den Pack entfaltete! Es waren in der That Thalerscheine, dicht aufeinandergelegt und ohne Zweifel betrugen sie soviel, als auf einem Papierstreifen, der sie zusammenhielt, bezeichnet war: Hundert Thaler.

Wenn Der uns durchgeht, sagte Dankmar lachend, so hat er immer noch ein gutes Geschäft gemacht. Funfzig Thaler werden wir noch drauflegen müssen.

Nein, nein, brach Siegbert voll Beschämung und in freudigster Erregung aus, dieser Mensch ist ehrlich. Ich schäme mich, ihn so verkannt zu haben. Himmel, warum soll denn Jeder, dem die Natur rothes Haar und eine unheimliche Gestalt gab, der Zufall abgetragene und bestäubte Kleider, auch den Charakter haben, den wir in unserer Furcht, in unserm jämmerlichen Dünkel ihm aufdrücken? Dieser Mensch gibt sein Letztes hin, um zu beweisen, daß er ehrlich ist! Es ist der Stolz der Armuth, der ihn fortriß. Ich schäme mich. Er war groß und wir sind klein.

Das muß ich sagen, fiel Dankmar ein. Eine schöne Armuth, die hundert wohlgezählte Kassenscheine mir nichts dir nichts aufs Straßenpflaster wirft....

Es ist vielleicht das einzige Besitzthum dieses Menschen, fuhr Siegbert in seiner Erregung fort, ohne sich von Dankmar's leichterer Auffassung stören zu lassen. Der Zorn, von uns für unehrlich gehalten zu sein, riß ihn hin, sein Alles zu opfern. Wer weiß, welche Sorge, welche Entbehrungen an diesem Gelde kleben! Dieser Mensch ist ein Schreiber, er heißt Hackert. Ich weiß, daß er sich vergebens um Arbeit bemüht hat. Ich erfuhr, daß er dem Präsidenten des Obertribunals seine Dienste anbot. Aber man stößt ihn von sich, weil seine Augen ein unheimliches zehrendes Feuer haben. Man weigert ihm die Aufnahme in die gebildete Gesellschaft. Hätten wir ihm das Pferd anvertraut ohne Unterpfand, wer weiß, ob wir einem verlorenen verzweifelnden Gemüth nicht den Glauben an die Menschen wiedergegeben hätten! Wie bitter war sein Lachen, als er davonsprengte und seine Ehrlichkeit bezahlen mußte! Ja bezahlen mußte! Und ich selbst, ich selbst, ich ein halber Socialist, war der Mistrauischste und Kleindenkendste! Pfui, pfui! Ich schäme mich über mich selbst.

Ja, Das wird dir übel bekommen, Bruder, fiel Dankmar spottend und mit großer Geistesüberlegenheit ein, wenn du einmal wieder mit Max Leidenfrost einen Handwerkerverein besuchst und mitten in einem schönen Sermon über Philanthropie und Socialismus das rothhaarige Fragezeichen da dich interpellirt, ob du der Bürger Siegbert Wildungen wärst, der dem Bürger – Hackert hieß ja wol der Kerl? – ein Pferd auf der Landstraße nur gegen eine Caution von hundert Thalern anvertrauen wollte? Armer Bruder, das kann dir deine ganze Popularität kosten!

Und mit Recht! sagte Siegbert, der Reden Hackert's auf dem Kirchhofe gedenkend; mit Recht! Spotte nur! Ich weiß, was ich verdiene....

Dabei steckte er behutsam die Summe, die in seiner Hand geblieben war, in die Brusttasche, vorsichtig untersuchend, ob auch nirgends eine Nath aufgegangen oder eine verdächtige Falte da wäre und das ihm auf so wunderbare Art anvertraute Pfand unversehens entgleiten könnte.

Die Brüder traten nun in den Thorweg des Pelikan, um unter dessen schützenden Fittichen ein Abendessen einzunehmen. Dankmar hatte keine Ruhe mehr, über den Bruder den langverhaltenen Strom seiner Neuigkeiten auszuschütten.


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