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Erstes Capitel.

 

Lauter rothe Füchse sehet,
Schwarze Raben sehet ihr,
Böse Zeichen, wo ihr gehet;
Freunde, wohin gehet ihr?
Laßt uns bleiben, laßt uns bleiben,
Weil zurück die Zeichen treiben!

Schi-King.

 

Wer einem Reisenden, dessen Wegen wir noch weiter zu folgen gedenken, auf der Landstraße begegnete, und das geübte Auge eines Menschenkenners besessen hätte: welche Auslegung würde dieser wohl dem gemessenen Ritte, dem ängstlichen Blicke, der scheuen Rede desselben gegeben haben? Leute, deren Beobachtungsgabe nicht weiter reicht, als wo sie eine Abweichung von ihrer hergebrachten Sitte bemerken, einen Löffel falsch gehandhabt, einen Gruß sonderbar erwidert sehen, waren in der That schon oft von dem eigenthümlichen Benehmen unsers Reisenden überrascht worden. Wo er einen Ort verließ, sahen ihm die Bewohner mit langen Gesichtern nach, steckten die Köpfe zusammen, und verwunderten sich über die auffallenden Anomalien von dem landesüblichen Herkommen, welche sie an dem Fremden bemerkt hatten. Der Eine behauptete, jener Merkwürdige habe Messer und Gabel ganz natürlich am Leibe gewachsen gehabt, und alle die ihn gesehen, gaben ihm darin Beifall; denn er hatte durchaus nach einem Besteck nicht gefragt, und sich ohne weiteres der langen Fingernägel zum Zerschneiden und Halten der Speisen bedient. Der Andere schwur bei allen Heiligen, dem Fremden hätten die Beine gefehlt, und alle Welt konnte diesem Urtheile nur beistimmen; denn der abenteuerliche Mann hatte da, wo jeder in Tibet seine Beinkleider trägt, einen großen, faltigen, seidenen Rock, der seine Mängel gleichsam verbergen sollte, und war so schwach auf den Füßen, daß ihn sein Diener immer aufs Pferd mehr tragen, als führen mußte. Wie kann er aber Füße besitzen, wenn es ihm an Beinen fehlt? O traue man doch den Tibetanern nicht so scharfsinnige Schlußfolgen zu! Jedermann war damit einverstanden, daß jene in der That vorhandenen Füße entweder nur falsche seyn, oder wegen ihrer übergroßen Kleinheit als wirkliche, eigenbeinige Füße gar nicht gerechnet werden konnten.

Bei solchen Beobachtungen ließ es sich auch nicht anders vermuthen, als daß der Reisende, wenn der Schwanz seines Pferdes über das Heck der Dörfer hinaus war, eine förmliche Mythologie in seinem Rücken zurückließ. Mit dem zufallenden Heck schloß sich für die Landbewohner eine himmlische Erscheinung, die sie ihres Besuchs gewürdigt hatte, und an die wenigen Kupfermünzen, welche der Fremde in seiner Herberge für Nachtquartier, Nüsse, Käse, Streu und Futter für seinen Gaul hinterließ, knüpften sich Erzählungen, welche bald ins Sagenhafte und Ungeheure übergingen, und ihre werthlosen Urheber zu Midasschätzen ausprägten. Wär' es ein gewöhnlicher Reisender gewesen, so würd' ihm bei dem gänzlichen Mangel an Fremdenbüchern in Tibet zwar die Erinnerung und die Tradition ein unverloschenes Andenken gesichert haben, aber seine Canonisation vielleicht erst um einige Monden später eingetroffen seyn. Wir sagten jedoch schon, daß es kein gewöhnlicher Pilger war, und werden es daher erklärlich finden, wenn ihn beim letzten Wiehern seines Rosses, das man im Thale noch hören konnte, die Tradition schon zum Gotte gestempelt hatte, und ihm von der ewig jungen Sage schon in den Fabeln und Mythen ein Platz zugewiesen war, als hätt' er ihn vor tausend Jahren schon in Besitz genommen.

Die tibetanischen Dörfler sind aber auch consequent in ihren Phantasien. So rasch sie im Vergessen sind, so schwer kömmt ihnen das Erinnern an. Wen sie, ehe noch die Tassen ausgewaschen sind, aus denen er seinen Morgenthee getrunken, schon zum Gott gemacht, und um tausend Jahre zurück in die Vergangenheit geschoben haben, können sie den noch als jenen irdischen, übernachteten, zahlungsquitten Menschen ansehen, wenn die Tassen schon so weit gekommen sind, daß sie an der Luft abtrockneten? Wir müssen es ganz in der Ordnung finden, daß sie den Diener, welcher in das Dorf zurückgesprengt kam, um ein von seinem schon kanonisirten Herrn vergessenes Necessaire zu holen, mit verwunderten Augen ansahen, und seinen Verstand eben so in Zweifel zogen, wie er mit lärmenden Worten ihre Ehrlichkeit. Sie hatten über den Herrn des treuen Dieners schon den Moderduft einer tausendjährigen Vergangenheit verbreitet, wie konnte ihnen ein vermißtes Necessaire anders klingen, als für unser Ohr die Scheere der Atropos oder Thors Hammer? Kurz, sie wollten eben so wenig etwas von einem eben aus dem Dorfe gerittenen Reisenden als von einem verlornen Gegenstande wissen, den sie ohne Zweifel wieder hätten herausgeben sollen.

Der Diener tobte und fluchte. Er durchsuchte die ganze Herberge, und beschrieb den Umstehenden, die ihn ruhig suchen ließen, was sie sich unter dem Necessaire seines Herrn zu denken hätten. Es handelte sich um einige Zahnstocher, Ohrlöffel, Bartbürsten, welche in ein Ganzes gebunden, der kaum fünfhundert Schritte vom Dorfe harrende Besitzer noch gestern am Ohr getragen, über Nacht jedoch abgelegt hatte, um sich beim Schlafen keine Runzeln, deren er vielleicht schon genug besaß, in die Wangen zu drücken. Bei der Abreise mußte er nach der Aussage des Suchenden vergessen haben, diese Hülfsmittel zur feinen Lebensart wieder einzuhenken. Er schwur darauf, daß sie auf diesem Tische liegen geblieben seyen, und der Wirth, der zugleich der Priester des Dorfs war, wie in Polen die Krüger oft auch die Rabbiner sind, setzte eben so hohe Betheuerungen für seine Behauptung dagegen, daß seit Jahren kein irdisches Wesen bei ihm eingekehrt sey, daß aber die Signalements, welche der Diener von seinem Herrn gebe, sehr lebhaft die Erinnerung an eine alte, uralte Sage und an einen Helden, der in ihr die Hauptrolle spiele, wecke. Die Umstehenden bestätigten die Geschichte von einem Gotte, der in den Localsagen dieses Ortes lebe und durch ein angebornes Besteck eben so merkwürdig wäre, als durch den gänzlichen Mangel von Beinen, der jedoch, wie der Wirth und Priester hinzufügten, den Besitz kleiner, unbedeutender Füße nicht ausschlösse.

Der arme Diener war um so mehr zu beklagen, als er sich am Ziele seiner Mission befand, das Necessaire in den Händen des Wirths erblickte, aber sein Verlangen darnach als einen Tempelraub abgewiesen sah. Der Gegenstand seiner Reclamation, hieß es, befinde sich an hiesigem Orte schon seit undenklichen Zeiten, werde als heilige, urweltliche Reliquie verehrt, und habe schon so viel Segen seit Jahrhunderten in der Umgegend verbreitet, daß man ihr denselben ohne einen allgemeinen Aufruhr nicht entziehen könne. Diese weißen Stäbchen, welche der unberufene Fremdling mit dem Namen eines Zahnstochers zu belegen wage, seyen die Lanzen, mit welchen der in Frage stehende Gott von den Pygmäen verfolgt worden siebentausend Meilen weit; jene an dem obern Ende ausgehöhlten Plättchen hätten niemals mit einem menschlichen Ohre in Berührung gestanden, sondern es seyen Ruder, welche ein Pilger aus dieser Gegend am Ganges gefunden und seit langen Jahren im Geruche standen, daß mit diesen die Pygmäen über den heiligen Fluß geschifft seyen, als sie vor dem mehrfach besprochenen Gotte die Flucht ergriffen. Als der verschmitzte Wirth endlich auf das Werkzeug kam, welches der Diener seinen Bartwichser genannt hatte, drängten sich alle neugierig heran, um dieses in Tibet neue Instrument zu sehen. »Ein Bartwichser?« rief man durcheinander: »welcher fremden Sitte soll dieses Wesen Vorschub leisten? Seit wann wachsen in Tibet die Haare am Kinn so reichlich, daß man daraus einen Luxusgegenstand machen kann? Dieser Mensch muß aus fremden Ländern seyn. Verwegner, wie darfst du dich in unsre Thäler einschleichen?« Für den Diener nahm diese boshafte Scene eine Wendung, die mit seinem Verderben hätte enden können. Er ergriff seine Reitgerte, eilte zum Hause hinaus, und schwang sich ohne Verzug auf sein Pferd. Die Tibetaner verfolgten den Diener eines Mannes, den sie eben unter die Götter versetzt hatten, um ihn desto besser berauben zu können, mit Schimpfreden und fernhintreffenden Steinwürfen.

Der im Thal harrende Reisende würde sich unzweifelhaft nach seinem endlich herbeieilenden Diener umgesehen haben, wenn sein Pferd nicht mit dem Entblättern eines Ahornbaumes zu emsig beschäftigt gewesen wäre. »Der Instinct der Thiere,« sprach der gelehrte Reiter vor sich hin, »kann zur Leidenschaft werden, wenn man ihm seine Richtungen abschneidet. Ich bedarf zu meiner weiten Wanderung eines frommen Trägers; ein hartnäckiger wäre mir durchaus zuwider.« Ja, als der Diener seinem Herrn die schlechten Erfolge seiner Nachfrage gemeldet hatte, hütete sich dieser wohl, auf das unwillige Zucken, das diese Nachricht über sein Antlitz sandte, eine in äußerliche Gebärden übergehende Entrüstung folgen zu lassen, sondern seine Philosophie und sein grasender Klepper waren für ihn Grund genug, über diesen Gegenstand nicht mehr Worte zu verlieren, als die folgenden: »Unter allen Lehren, welche für Reisen zu empfehlen sind, ist keine passender, als der Spruch Lao-Tse's: Wenn dein gesatteltes Pferd im Stalle wiehert, und doch erst über viele Meilen sein Futter findet, so besuche noch einmal deine Nachbarn, welche ein Handwerk treiben, und laß dich über das Nötigste ihrer Kunst unterrichten! Hab' ich also an dem Necessaire etwas verloren? Nein, mein guter Ho-Po, die nächste Eiche muß uns das Material liefern, es durch unsere Geschicklichkeit zu ersetzen.«

Der Sprecher war um so mehr beruhigt, da endlich sein hungriges Roß von dem Baume abließ, und zu einem sanften Trabe sich gestärkt hatte. Dieser Trab kam dem Reiter wie gerufen; denn die Aeußerung Ho-Po's, daß er an dem Bartwichser fast für einen Fremden erkannt sey, versetzte ihn doch in mehrfache Besorgniß. Er nahm seine Brille vom Ohr, wandte sich mit vielem Bedacht auf dem Rücken seines Pferdes um, und forschte, ob er gar einer Verfolgung ausgesetzt sey. Die hinter ihm waltende, kaum von einem Vogel oder dem Rauschen eines Blattes gestörte Ruhe der Gegend mußte ihm die genügende Beruhigung geben.

Ho-Po trug etwas auf dem Herzen. Er drehte und wandte sich auf seinem Thiere, griff den Zügel bald kürzer, bald länger, öffnete zuweilen die halben Lippen, und ließ dann wieder von der hemmenden Zunge die vorwitzige Oeffnung verlegen. Endlich faßte er sich aber doch ein Herz und brachte die schwebenden, von keinem dreisten Luftzuschuß der Kehle unterstützten Worte hervor: »Ja, aber – wenn sonst mein Herr durch Tibet reiste, so gingen seinem Zuge Herolde voran, die silbergestickte Mäntel trugen und ein Schwert auf jeder Hüfte, die täglich einen Tacis Zulage bekamen und alle acht Tage einen Sei Reis, und wenn sie Frauen hatten, noch einen halben mehr: und jeder Träger ihres Palankins wurde in einen neuen Seidenrock mit eingenähten Drachen gekleidet, der ihnen zwar nicht geschenkt wurde, aber mit einigen Tacis doch vergütet.« –

Nachdem sich der vornehme Herr durch einige spähende Blicke von der Abwesenheit jedes unberufenen Zuhörers überzeugt hatte, lächelte er sehr herablassend und beglückte Ho-Po durch eine zwiefache Gnade. Denn einmal war er so zuvorkommend, das Ende jener Bemerkungen vorwegzunehmen, als der Diener schon beim Anfang stecken blieb, und sodann so milde, ihm seine Verwunderung gar nicht zu verdenken. Er sagte also in seiner dialektischen Manier: »Deine abgebrochenen Reden dienen mir zu Stufen, welche mich an das nördliche Ende der Blume des Weltalls führen. Hier wohnt eine Secte, welche den Eigennutz als das größte aller Laster verdammt. Glänzende Thorheit! Sieht der Diener nicht seinen Schmuck im Glanze seines Herrn? Schon auf dem ganzen Wege, Ho-Po, seh' ich dir's an, wie sich deine Seele betrübt, daß sie von dem geschmackvollen Faltenwurf seidener Gewänder nicht wie sonst umwallt wird. Darin liegt eine Aufopferung; denn würdest du deinen Drachenrock umhaben, wenn nicht auch um meine Hüften die Schildkrötplatten lägen, in meinem Rücken der Storch und auf meiner Mütze die weiße Perle säße? Ja, Ho-Po, deine Seele athmet nur Hingebung für deinen Herrn.«

Ho-Po wußte weder, warum ihn sein furchtsamer Herr mit solchen Zärtlichkeiten liebkoste, noch welches in dieser Erklärung die Antwort auf seine bescheidene Frage seyn sollte; doch fühlte er, wie verbindlich der Inhalt derselben für ihn sey, und küßte sich mit der Schwärmerei eines Verliebten die Fingerspitzen.

Auf einige Zeit durfte er nicht erwarten, daß sein Herr wieder zu reden beginnen werde; denn dieser hatte so eben aus einer blechernen Capsel eine Art Betel in den Mund gesteckt, woran er vielleicht eine Stunde kauen wollte. Die Reise war langwierig genug, als daß sich der Eine gegen den Andern zu sehr zu beeilen brauchte.

Endlich machte der ausgesogene Betel weitern Erklärungen wieder Platz. »Ich will dich hinter den Schleier dieser Reise,« hieß es in dem duftenden Munde des Herrn, »so weit blicken lassen, als es sich mit meinen heiligsten Verpflichtungen verträgt. Die Erklärungen, welche ich darüber dem Sohne des Himmels schuldig bin, sind nicht die, welche ich zur Beruhigung eines Dieners gebe. Ich glaube zu meinen Freunden zu gehen, und doch könnten die schmählichsten Mißhandlungen unser Willkommen seyn. Wird man uns übel begegnen? Nein, Ho-Po, wir dürfen uns wohl mit den besten Erwartungen tragen; denn längst heißt es in dem alten Spruche: dein Feind drückt dir die Hand, wenn du ihm versprichst, seinen verlornen Ring zu suchen.«

Die Chinesen (denn sieht nicht Jeder, daß wir zwei Söhne dieser Nation vor uns haben?) sind die langweiligsten Leute. Abgemessen in ihren Bewegungen, weitläuftig und doch nichtssagend in ihren Reden, können sie einen Tag verbrauchen, um sich über die Schleife eines Zopfbandes zu verständigen. Sie fangen mit den Maulbeerbäumen an, kommen endlich auf die Seidenwürmer, umgehen keine Metamorphose derselben, und wenn die Sonne am Horizonte längst verschwunden ist, sprechen sie vielleicht noch immer erst von dem Webestuhl, der dem fraglichen Seidenbande das Daseyn gab. Diese Kunst der Weitläufigkeit macht einen Theil ihrer Jugendstudien aus, und tritt im männlichen Alter in den Dienst einer immer zum Trug bereiten Verschlagenheit. Man wird es daher so natürlich finden, wie Ho-Po selbst, daß er erst dann über Zweck und Plan dieser geheimnißvollen Reise einige stark schattirte Erläuterungen erhielt, als die Nacht einbrach, oder um chinesisch zu reden, als die dreibeinige Kröte Hampha das himmlische Gestirn verschlungen hatte.

Das Ziel der heutigen Reise war das Ufer des Erechumbo, eines unter dem Namen des Buremputer uns bekannteren Flusses. Man konnte nach Teschulumbo keinen bessern Führer wählen, als den Lauf dieses Stromes, dessen Nebenfluß, Painom-Tschieu, den Fuß der Residenz des Teschu-Lama bespülte.

Es war keine geringe Verlegenheit für die Reisenden, daß sie die hereinbrechende Nacht mit dem nächst erwarteten Rastorte in falsche Berechnung gebracht hatten. Die Unsicherheit des Weges gesellte sich zu seiner steigenden Unbequemlichkeit. Kein Dorf, keine Hütte, keine Einsiedlerwohnung in der Nähe, um die eben so ermüdeten, als ängstlichen Reiter aufzunehmen. Dazu machte es die rauhe Witterung, der steinichte Boden, der auf unabsehbare Strecken von zerschieferten Felsstücken gebildet schien, gänzlich unmöglich, unter dem Schutze des freien Himmels sein Nachtlager zu suchen. Ho-Po hatte noch weniger Ausdauer, als sein Herr. Der weichliche Chinese jammerte über seine vor Frost erstarrten zarten Hände, die er nicht einmal durch den Hauch des Mundes erwärmen konnte, weil sie mit dem Lenken des ermatteten Pferdes hinlänglich beschäftigt waren. Ueberdieß sah er sich zuweilen ängstlich um, und machte endlich seinen Herrn auf ein anhaltendes Geräusch, das bald vor, bald hinter ihnen wäre, aufmerksam. »Ich hab' es längst bemerkt,« antwortete dieser; »es sind Schichten zerbröckelter Steine, die wir durch unsere Bewegungen zum Herunterstürzen bringen.«

Ho-Po hatte ganz Recht, wenn er deßhalb anmerkte, daß man um so behutsamer auftreten müsse. Doch fügte er hinzu, daß er das Geräusch mehr vor, als hinter sich höre. »Man sollte fast glauben, daß du die Wahrheit sprächest,« sagte der Herr; »ich täusche mich vielleicht nicht, wenn ich annehme, daß wir dicht in der Nähe des ersehnten Flusses sind.«

Ho-Po rief erschrocken aus: »Und wenn wir gar in den Fluß, ohne es zu wissen, hineinritten!«

»Fürchte nichts, mein Sohn,« hieß es zur Beruhigung; »der Unerschrockene denkt in dem Augenblick der Gefahr immer an den, wo er sie überstanden hat. Das ist das ganze Geheimniß des Muthes.«

In der That hatten die Reisenden längst die Oeffnung des Gebirges hinter sich, und wateten durch ein Meer von Kieselsteinen, welches der oft sehr hoch austretende Buremputer zurückzulassen pflegt. Bald blitzten auch wie von einem hin- und herbewegten Spiegel einzelne Strahlen des Flusses durch das Dunkel der Nacht; das Getöse einer durch tausend Hindernisse sich hindurchdrängenden Wogenmasse schlug immer vernehmbarer an das Ohr, und erreichte endlich eine Kraft, daß man von der Riesengewalt des Stromes einen Begriff hatte, noch ehe man ihn in unzähligen Krümmungen durch sein zerrissenes Bett stürzen sah.

Der Anblick dieser in ihrer ungebändigten Wildheit so großartigen Natur mußte die Hülflosigkeit der Verirrten vermehren. Das Geräusch des Stromes machte es ihnen unmöglich, sich über ihre Lage zu verständigen, und es blieben ihnen daher nur die kläglichen Mienen der Verlegenheit übrig, mit denen sich beide wechselseitig betrachteten. Weniger ihr Muth, als die Noth zwang sie dennoch zu den letzten Anstrengungen. Sie führten ihre Rosse am Zügel, und verfolgten das Ufer, das sich in einer endlosen, wüsten Einförmigkeit ausdehnte. Das Bett lag mit dem Strome in einem hartnäckigen Kampfe; denn es vergönnte diesem nur ungern den Durchgang. Kleine, aus dem Flusse hervorragende Inseln waren die Siegestrophäen, welche der Boden aufsteckte, und deren Grundvesten die ungestümen Wogen vergebens niederzureißen suchten. Wie diese stillen, unbeweglichen, mit üppiger Vegetation prangenden Inseln des Flusses spotteten, so auch unserer Wanderer, die unter ihnen Bäume, Hütten und Obdach genug vermutheten, und bei dem Mangel jedes Uebergangs und jeder Verbindung von diesem Schutze keine andere Empfindung hatten, als daß sie ihn schmerzlich vermißten.

Es ist historisch erwiesen, daß unser chinesisches Reisepaar am Buremputer in jener Nacht weder erfroren ist, noch gezwungen wurde, den Morgen unter freiem Himmel abzuwarten. Wie mißliche Folgen sich auch für Beide an den endlichen Schutz, welchen sie antrafen, anknüpften, so ist es doch gewiß, daß er ihnen auf einige Stunden von einer einzeln am Ufer stehenden Hütte gewährt wurde.

Die rechte Freude über diesen Fund konnte nur Ho-Po's Herr empfinden, welcher sich durch tröstenden Zuspruch und Citate aus allen Capiteln des Schi-King noch wach genug dazu erhalten hatte. Ho-Po wußte nicht mehr recht, was er that, als er über die ermüdeten Thiere wollene Decken ausbreitete, und sich selbst auf diese Unterlage gebettet hätte, wenn ihn sein Herr nicht aufgefangen, und seinem Fall die Richtung in einen Winkel der Hütte gegeben hätte. Dieser selbst wagte erst dann sein Auge zu schließen, als jedes Theilchen seines Körpers vor den Einflüssen der Nachtluft durch Umhüllungen geschützt war. Draußen sangen die Wogen des Buremputer Wiegenlieder, welche einem Riesen die Augenlieder geschlossen hätten.

Es währte jedoch nicht lange, so wurden die Schlafenden von einem heftigen Lärm geweckt. Die vom Tageslichte schon matt erhellte Zufluchtsstätte war mit Bewaffneten angefüllt. Die Pferde, welche den Eingang verlegten, waren aufgerissen, und standen vor der Thür, von einigen andern Männern gehalten. Fremde, den Beiden unverständliche Laute drangen auf sie ein, und schienen sie ebenso um ihr Hierseyn zu befragen, als sich über die Unverständlichkeit ihrer Rede zu verwundern. Die Mienen, von denen sie begleitet wurden, ließen keineswegs auf friedliche und freundliche Absichten schließen.

Ho-Po erwartete Alles von der Würde und dem Stande seines Herrn, dieser dagegen war zweifelhaft, ob er nicht vielleicht Alles verlöre, wenn Beide bekannt würden. Schon auf der ganzen Reise hatte ihn die Verbindung des Urtheils und der Gefahr, welche den Buremputer zum besten Wegweiser und zugleich zum unsichersten machte, gepeinigt. Dieser Fluß war weit berüchtigt durch seine räuberischen Bewohner, welche ein Gewerbe daraus machten, in niedrigen, langen, schmalen, oft mit dreißig bis sechzig Rudern versehenen Booten den vorüberfahrenden Schiffen aufzulauern, und welche auf ihren Streifzügen auch die in den Flußebenen entdeckten Reisenden mit Ueberfällen nicht verschonten! Waren sie diesen bewaffneten Menschen als Opfer ihrer Tollkühnheit in die Hände gefallen? Wenigstens schien man draußen die Pferde schon als eine willkommene Beute zu betrachten.

Die Überfallenen waren nicht nur der Plünderung ausgesetzt, sondern sie wurden auch ihrer Freiheit beraubt und gefangen genommen. Ihre Besorgnisse mußten um so mehr zunehmen, als sie von den Bewaffneten eben so wenig in ihren Bitten und Versprechungen verstanden wurden, als die Drohungen und Verwünschungen dieser von ihnen. Sie mußten ihren Drängern in ein Boot folgen, das am Ufer des Buremputer angelegt war; die Thiere wurden von einigen Andern das Ufer entlang geführt, und sie selbst flogen pfeilschnell auf dem unsichern Spiegel des Flusses hin.

Unter diesen Umständen mußt' es den Gefangenen schon zur Beruhigung gereichen, daß die Schifffahrt ihre Richtung nach jener Gegend hin nahm, welche sie selbst suchten. Auch ließ die Bewaffnung ihrer Führer eher darauf schließen, daß sie sich unter Kriegern, als unter Räubern befänden. Dazu kam die zunehmende Belebung der Ufer des Flusses, welche zahlreiche Gruppen ausmachten, die aber immer nur dieselbe Scene vorstellten. Hier hatten sich mehrere Menschen um ein Feuer gesammelt, an welchem sie ihre Nahrungsmittel zubereiteten; dort standen Feldhütten, welche in der Eile aufgebaut seyn mußten. An seichten Uferstellen wurden Pferde in den Fluß geführt, deren Reiter neugierig dem vorbeieilenden Schiffe nachsahen. In andern Gruppen beschäftigte man sich mit Bogenschießen und Steineschleudern, in weitern Entfernungen mit dem Abbrennen schwerfälliger Lunten-Musketen. Und wenn man erwog, daß alle diese wiederkehrenden Scenen immer dichter und enger zusammen traten, daß die Zahl der Bewaffneten immer zunahm, so blieb kein Zweifel mehr, daß sich unsere Reisenden unter einem Kriegerstamme befanden, der von dieser Seite in Tibet eingebrochen seyn mußte, oder sonst mit militärischen Bewegungen in Verbindung stand. Ho-Po, der am entgegengesetzten Ende des Bootes saß, warf seinem Herrn verstohlene Blicke zu, welche sich dieser auslegte, je nachdem er selbst mehr Angst oder Hoffnung empfand.

Der Spiegel des Bettes wurde jetzt von zahllosen Kähnen durchschnitten, welche auf eine weite Strecke hin den Buremputer bedeckten. Sie sammelten sich alsbald um die neuen Ankömmlinge, und begleiteten sie unter verworrenem Fragen und Forschen nach dem gemachten Fange in eine Bucht, welche einen leidlichen Hafen zum Landen bildete.

Unsere Reisenden, deren Schwerfälligkeit im Gehen uns schon bekannt ist, wurden aus dem Fahrzeuge gehoben, und von dem Anführer der Rotte, welche sie zu Gefangenen gemacht hatte, zum Nachfolgen ermahnt. Alles was sich in der Nähe befand, strömte zusammen, und erschreckte durch seinen abenteuerlichen Aufzug, die tumultuarische Bewaffnung, und den wilden, gebräunten Anblick der trotzigen Stirnen die zitternden Chinesen, welche den Fremden eben so sonderbar schienen, als sie diesen. Ho-Po war in Verzweiflung, seinen Herrn so wenig geachtet zu sehen; denn die Huldigungen, welche dieser zu empfangen gewohnt und vielleicht auch berechtigt war, pflegten doch sonst auch auf ihn selbst übertragen zu werden.

Endlich langte der immer mehr anschwellende Zug vor einem Zelte an, welches unzweifelhaft von dem Befehlshaber dieser Kriegerschaaren bewohnt wurde. Ho-Po's Herr hatte sich noch kurz zuvor alle Fälle überlegt, welche durch die Vermuthungen über seine Person eintreten könnten. Er fand im Grunde unter ihnen nur den einen gefährlichen, daß er im Falle von Kriegsläuften für einen Kundschafter angesehen würde, ein Verdacht, der in dem zweiten Falle bedenklich wurde, daß er sich durch das Nichtverständniß seiner Sprache davon nicht reinigen konnte. Wie beruhigend war es daher für ihn, bei dem Befehlshaber, vor den er jetzt getreten war, einen Dolmetscher anzutreffen, der, wenn auch nicht das Chinesische, doch das Tibetanische leidlich verstand!

Die Gefangenen standen vor einem kleinen Manne von wildem, kriegerischem Aussehen, der sich nachlässig auf seinem erhöhten Polster streckte, und bald mit einem großen Hunde, der ihm zur Linken saß, bald zur Rechten mit seinen glänzend polirten Waffen spielte. Dieß struppige Haar, diese kleinen zusammengedrückten Augen, diese scharfgezeichneten Brauen, endlich die strengen Furchen, welche sich durch das dunkle Antlitz zogen, waren nicht gemacht, den Chinesen Vertrauen einzuflößen. Doch besaß Ho-Po's Herr eine gewisse Entschlossenheit und so viel Gewandtheit des Geistes, daß er augenblicklich die Freiheit seiner Person erhalten hätte, wenn ihm die Geläufigkeit der Rede zu Hülfe gekommen wäre. So aber blieb ihm nichts übrig, als durch das Gewicht seiner Erklärungen jeden weitern Widerstand niederzudrücken, und er gab sich daher ohne Weiteres als den in Lassa residirenden Correspondenten des Mittelpunktes der Erde zu erkennen.

Wir glauben in dem Frühern diesen Mann so kenntlich gemacht zu haben, daß in dieser Angabe für uns nichts Auffallendes mehr liegen wird.

Der Befehlshaber richtete sich betreten auf, und war zweifelhaft, ob er die rothsaffianene Mütze vom Scheitel ziehen, oder den Gefangenen für eine so vermessene Lüge peitschen lassen sollte. Diese Ueberlegung gab dem Correspondenten Zeit, die Folgen, welche sein Geständniß haben konnte, in Erwägung zu ziehen. Befand er sich unter Leuten, die gegen die Tibetaner freundliche Gesinnungen hegten, und deßhalb den Haß der Chinesen mit diesen theilten? Oder konnte ihnen seine Gefangennehmung erwünscht erscheinen, auch wenn sie mit offener Gewalt die Gränzen ihrer Nachbarn belagert hielten? Konnte er in diesem Falle hoffen, von dem Statthalter in Teschulumbo, dem sein versteckter Besuch galt, ausgelös't zu werden, oder überhaupt mit ihm in Verbindung zu treten? Ho-Po wollt' es durchaus nicht in den Kopf, daß man den Namen und den Stand seines Herrn erfuhr, und nicht sogleich die Stirn im Staube vor ihm badete.

Schon war der Befehlshaber nahe daran, sich dafür zu entscheiden, daß er eine Lüge gehört habe, und das Zeichen zum Wegführen des Gefangenen zu geben, als vor dem Zelte ein plötzlicher Tumult entstand und die Aufmerksamkeit des Richters in Anspruch nahm. Boten stürzten herein und überbrachten die Nachricht, daß sich bei den Vorposten eine Gesandtschaft eingefunden habe, welche den General zu sprechen verlange. Diese Sache war von größerer Wichtigkeit, als die Bestrafung eines Lügners. Der Correspondent wurde mit seinem Diener in einen Winkel des Zeltes verwiesen, wo er sich heimlich flüsternd durch den Dolmetscher über die Lage, in welcher er sich befand, unterrichten konnte.

Die aus mehrern Personen bestehende Gesandtschaft trat in das Zelt. Es handelte sich um die Vermittlung eines Friedens zwischen dem Lama von Teschulumbo und den nipalesischen Gränzvölkern, welche das Gebiet des ersten mit unausgesetzten Einfällen beunruhigten, und in Folge ihrer Tapferkeit oft glänzende Siege errangen. Wenn der Statthalter seinem frühern Vorsatze, den Thron des Dalai Lama zu stürzen, noch treu war, so konnte ihm nichts unbequemer seyn, als an der Ausführung desselben durch einen zweiten Kampf verhindert zu werden. Hingegen ließ sich aus dem Gange, welchen die Verhandlungen mit diesem ersten Haupte der Nipalesen nahmen, vermuthen, daß der Statthalter aus dem Frieden nicht nur den Vortheil der Ruhe und fernern Nichtverhinderung ziehen würde, sondern auch den der Unterstützung und gewonnenen Theilnahme.

Wie wichtig waren alle diese Dinge für den Correspondenten! Er, der über diese Verhältnisse zuerst berechtigt war, seine Stimme abzugeben, und wenigstens verlangen konnte, über sie unterrichtet zu werden, mußte sie in einer Lage erfahren, die ihm jetzt erst unerträglich wurde, nachdem er einsah, daß sie ihn unter diesen Umständen nicht länger mehr peinigen konnte. Er trat unerschrocken aus seinem Rückhalte hervor, und hatte, ehe er drei Schritte machte, einen Schlag im Rücken. Er kam von Freundeshand, wenigstens von der Hand eines Bekannten. Dhii-Kummuz, der geistliche Hofnarr und Diplomat von Teschulumbo, stand verwundert vor dem Correspondenten, den er eher in Pe-Tschi-Li, der nördlichsten Provinz von China, als am Einflusse des Poinom-Tschieu in den Buremputer vermuthet hätte. »Geh' ich recht?« rief er erstaunt aus; »hab' ich einen verflogenen Falken oder den verirrten Jäger vor mir? Ein Chinese müßt Ihr seyn, und ich schwöre, Ihr seyd der Vornehmste, den es in Tibet gibt. Solltet Ihr nicht der Mann seyn, bei dem ich eingemachte, grüne Bambusstängel mit gebackenen Hirschschwänzen einst gegessen habe?«

Der Correspondent nickte nur freundlich, denn er wünschte, daß Dhii-Kummuz, auch ohne deßhalb von ihm ersucht zu werden, in seinen Wiedererkennungen fortfuhr, und den Glauben an die Identität seiner eigenen Aussage mit der Wahrheit in dem Befehlshaber, der sich durch seinen Dolmetscher von allen Worten den Sinn wiedergeben ließ, bestärkte. Als aber dieser hinter dem Erstaunen mit dem Verdachte herkam, und die einfache Frage: »Wie kann man den Freund im Lager seines Feindes antreffen?« mannichfach variirt hatte, da trat er schnell mit seiner Erklärung hervor, daß er gefangen hieher aufgetrieben sey, und gab damit eine Thatsache an, die ihm von zehntausend Menschen bestätigt werden konnte.

»Wie konnt' ich an Euch zweifeln!« sagte Dhii-Kummuz. »Schon die Länge Eures Bartes mußte mich von Euren redlichen Gesinnungen überzeugen. Wo Ihr willkommen seyd, wird es Euch auch nie an Bequemlichkeiten fehlen. Euer struppiger Bart beweis't mir aber, daß Ihr die Scheerbeutel der nipalesischen Barbiere nicht zu commandiren hattet.«

»Ich habe die Beschwerlichkeiten einer langen Reise nicht gescheut,« entgegnete der Correspondent, »um deinen Herrn von Angesicht zu sehen.«

»Du bist kurzsichtig,« fiel der Diener des Statthalters ein; »und wolltest daher die Schrift im Auge des Lama in der Nähe lesen. Ich hoffe, daß du unter dem glänzenden Style dieser Schrift auch aufrichtige Gedanken erkennen wirst.«

»Nicht Mißtrauen trieb mich über Eure todten Berge,« berichtigte der Correspondent; »was kümmern mich die Augen deines Herrn! Ich wollte seinen Entschluß beflügeln, ihm die Länge seiner Termine abschneiden, und seinen Soldaten das Blei aus den Schuhsohlen nehmen. Doch wende jetzt deinen Einfluß an, mich von diesem Orte zu befreien!«

Es war hohe Zeit, daß sich diese beiden endlich verständigten; denn dem Befehlshaber wurde die Episode zu weitläuftig, und er verlangte, daß man in den Friedenspräliminarien endlich fortfahre. Dhii-Kummuz nahm es auf sich, ihm und dem Correspondenten zu gleicher Zeit zu dienen. »Der streitige Punkt der wechselseitigen Auslieferungen,« begann er mit schneller Rede, »kann jetzt vortrefflich ausgeglichen werden. Ihr sprecht einen Ersatz von acht Ochsen und neunzehn Schafen an, welche Euch von den Unsrigen gestohlen seyn sollen. Wie sehr wir bereit sind, die Zahl der Schafe anzuerkennen, so ist es doch unmöglich, daß wir uns auf die der Ochsen verstehen. Sieben sollen euch nach dem Spruche des Statthalters vergütet werden; ich erlaube mir, in seinem Namen Euch auch den achten noch zu versprechen, wenn von Eurer Seite dieser achtungswürdige Mann dafür ausgeliefert wird. Ich denke, der Handel wird Euch nicht gereuen.«

Dieser Vorschlag fand auf nipalesischer Seite ungetheilten Beifall, aber ein Officier, der sich von Ho-Po eine Viertelstunde lang Schreibunterricht hatte geben lassen, brachte den Diener zur Sprache, und nun verlangten die Nipalesen wenigstens noch ein Schaf zum Ersatz für diesen Gefangenen. Dhii-Kummuz wies diese Zumuthung ernstlich zurück: »Ein Diener gehört zu seinem Herrn,« sagte er: »wie der Aermel zum Rock, der Henkel zum Topf, das Rad zum Wagen, die Thür zum Haus, kurz wie der Schweif zur Kuh. Wir sind unsers Handels einig. Der Friede ist hergestellt, wir können des Nachts unsre Lichter löschen, die Bombardiere von den Kanonen, und die Kanonen von den Wällen nehmen. Wir erlauben Euch, auf dem Spiegel des Buremputer zu sengen und zu brennen, die Luft zu plündern, und die Heerden zu stehlen, mit welchen wir Euch verköstigen wollen. Eure Bogen bleiben gespannt, Eure Musketen geladen, und die Steine in Euren Schleudern. Die Ziele, welche es zu treffen gibt, werden Euch bekannt werden, noch ehe die Sonne dreimal über uns ihr feierliches Rad geschlagen hat. Bis dahin mögt Ihr an Eure Weiber denken, oder für Eure Schwestern Liebesbriefe schreiben. Wir gehen.« Der Correspondent erhielt seinen Diener und seine Pferde zurück, und unter der Gesandtschaft einen Platz, der seinem Ansehen gebührte. Sein Incognito war einmal aufgedeckt, und es blieb unmöglich, es von Neuem anzunehmen. Er glaubte sicher zu seyn, daß seine Ankunft in Teschulumbo nicht früher in Lassa bekannt würde, als bis er selbst die Nachricht davon überbrachte. Dhii-Kummuz machte sich ein besonderes Geschäft daraus, aller Welt den überraschenden Fund mitzutheilen. Wie ein wohlriechendes Wasser sprengte er tausend Schmeicheleien auf der Landstraße, welche sie zogen, aus; es duftete rings von solchen Parfüms, daß sich Ho-Po und sein Herr wie in einem Meere von Rosenblättern wälzten.

Schon den ersten tibetanischen Vorposten rief der Schalk zu: »Die Patrouillen haben Eure Wachsamkeit immer loben müssen; denn wenn sie Euch anriefen, so schliefet Ihr doch immer nur auf Einem Ohr. Jetzt bringen wir den Frieden, und Ihr möget in Ruhe Euch auf beide legen. Habt Ihr aber noch etwas Frische in Euren Augen, so reißt sie auf, so weit wie Suppenteller; denn wir haben eine Merkwürdigkeit bei uns, die unbezahlbar ist und uns im Grunde doch nicht mehr als einen fetten Ochsen kostet.«

Die Vorposten und Tirailleurs verließen ihre Standörter, weil Frieden war, und folgten immer anwachsend dem Gesandtschaftszuge, weil sie auf die gepriesene Merkwürdigkeit neugierig waren.

Jetzt begann Dhii-Kummuz eine Schilderung, wie sie die Ausrufer vor den Menagerien von ihren Elephanten, Löwen und Eisbären entwerfen. »Versteht Ihr, was ein Chinese ist?« rief er: »Ein Chinese bleibt nur sieben Monate im Mutterleibe, weil in China die Weiber viel zu klug würden, wenn die Weisheit ihrer Kinder ihnen noch früher als die Milch in den Kopf stiege. Ein Chinese macht sich schon hörbar, noch ehe er auf die Welt kömmt. Er macht seiner Mutter Vorwürfe, wenn sie vor ihrer Entbindung zu viel tanzt, und schreit und lärmt, wenn sie zu häufig noch die Besuche seines Vaters annimmt. Ein noch ungebornes chinesisches Kind hat in seinem kleinen Finger mehr Verstand, als zehn ausgewachsene Bürger von Teschulumbo in ihren Köpfen zusammen genommen. Wenn sich die Muhmen und Vettern darüber streiten, welchen Stempel des Geschlechts der erwartete Ankömmling tragen könne, so ruft der Kleine oft sehr vernehmlich, daß er unter die Männer gehen werde, oder auch, daß er es selbst noch nicht wisse, und sie in acht Tagen deßhalb wieder anfragen sollen. Ist es ein Mädchen, so sträubt sie sich nicht selten so gewaltsam gegen die Verlobungen, welche die Eltern schon mit ihr anstellen, daß der Mutter Angst und Weh wird. Ja die Knaben erklären zuweilen sehr dreist, daß sie aus der Schule laufen würden, wenn man sie zu Gelehrten machen wolle. Jetzt wißt Ihr, was in China die Vernunft schon dann ist, ehe sie noch geboren wird. Und wie große Dummköpfe Ihr auch seyn möget, so drängt nicht so gewaltig auf mein Pferd und laßt mich etwas Athem holen.«

Die Unterofficiere rangen mit den Gefreiten, in die Nähe des Sprechers zu kommen. Sie vermutheten, Dhii-Kummuz trage vielleicht unter seinem Mantel einen neugebornen Chinesen in einem Glase versteckt. Dhii-Kummuz fuhr auch mit der Hand an diesen Ort hin, brachte aber nur eine lange Peitsche zum Vorschein, mit welcher er die ungestüme Neugier glücklich auf einige Schritte zurückscheuchte. Als der nächste Raum um ihn leer blieb, fuhr er fort, die wogende Menge mit seinen Uebertreibungen aufs Neue zu bedienen.

 

»Chinesen muß man gesehen haben,« sagte er; »um von ihnen reden zu können. Als ich den ersten Bewohner der Blume des Weltalls kennen lernen sollte, bereitete ich mich mit einer Erwartung auf ihn vor, die ich eher Schrecken als Andacht nennen möchte. Wer aber war dieß auch? Ein Mensch, der von der Erde nur seinen Namen hat. Ich sollt' ihn wohl nach Würde beschreiben, aber mein Mund ist zu einer wahrhaften Schilderung zu schwach. Ich suchte diesen Mann aus einer großen Menge von Menschenköpfen, die nicht klüger und nicht dümmer waren, als die Eurigen, heraus; glaubt Ihr, daß ich Jemanden nach ihm zu fragen brauchte? Ich warf meinen Blick über die Häupter hin, und war gewiß, den Gesuchten dort zu finden, wo sich die meiste Lichtmasse gesammelt hatte. Ein aufgeklärter Kopf sprüht zuweilen Funken aus, die Alles um ihn her erhellen.«

 

Wer vermag die Wollust wiederzugeben, in der sich der Correspondent badete; denn er schloß darauf, daß der Erzähler nur ihn zu schildern beabsichtigte. Dhii-Kummuz fuhr fort, ihn noch kenntlicher zu machen. Er sagte: »Ich suche vergeblich nach einer Würde, die Euch bekannt ist, und Euch nur einige Aehnlichkeit mit dem Range eines Mandarinen darbieten könnte. Wenn Einer vom Volk an einem Mandarinen vorübergeht, so muß er sich so tief neigen, daß er ihm nur bis an das Knie reicht. Ihr müßt einsehen, daß dieß nicht unbillig ist; denn es ist von einem seltenen Geiste die Rede. Was wäre das Weltall ohne die Mandarinen! Es gäbe keine scharfsinnigen Antworten auf witzige Fragen mehr, keine Räthsel mehr, die bis ins Kleinste geheimnißvoll sind, und von feinen Köpfen doch errathen werden; die nützlichsten Dinge, z. B. die Entscheidungen über den guten Ton und die Complimente, würden mit den Mandarinen verloren gehen. Man kann wohl sagen, daß der Welt daraus ein großes Unglück entstehen würde.«

Der Correspondent hätt' es bei weitem lieber gehabt, Dhii-Kummuz wäre bei seiner Persönlichkeit stehen geblieben. Dieser Wunsch ließ sich errathen, und der Sprecher genügte ihm auch sogleich mit Folgendem: »Auch unter den besten Dingen muß man einen gewissen Vorrang anerkennen, welche eines vor dem andern hat. Ich gestehe, daß ich wohl mit einem der vorzüglichsten Mandarinen zusammenzutreffen das Glück hatte. Der Kaiser spricht von diesem Manne immer nur mit einer leisen Verneigung des Hauptes auf die linke Seite der Brust; eine Ehre, die er weniger seinem Range, als seinem unermeßlichen Verstande zollt. Das ist aber auch etwas Einziges an diesem Manne. Erzählt ihm eine Historie, und nach fünf Minuten wird er sie rückwärts wiedergeben und in derselben Zeit mit dem Vortrage fertig werden, wie Ihr von vorne! Gebt ihm von einem Gedichte die Reime, und er weiß den Text so vortrefflich auszufüllen, daß es sich vom Original nur durch seine größere Vollkommenheit unterscheidet. Dieser Mann hat alle Länder der Erde gesehen. Er weiß von den Riesenvögeln fremder Welttheile zu erzählen, wie von den Schwalben vor seiner Hausthür. Die auswärtigen Könige erklärten sich oft den Krieg, wenn ein Fürst den Mandarin vermochte, in sein Gebiet früher zu kommen, als in das eines andern. Sie hätten es alle gern gehabt, er wäre im Lande und zur Rechten des Königs geblieben. Ach, was hätten die fremden Völker nicht für einen solchen Minister gegeben? Er würde alle auswärtigen Feinde durch einen schöngeistigen Zweikampf besiegt und somit viel Blut und Geld erspart haben. Er hätte die Könige zeichnen und dichten, und die Königin so vortrefflich tanzen gelehrt, daß sie damit das Glück aller ihrer Unterthanen begründet hätte. Ich muß Euch aber sagen, daß Ihr auch in meinen Augen schlechter Koth seyd, seitdem mich jener Mann zweimal umarmt und zu öfterm seinen Freund genannt hat. Ihr werdet einsehen, daß dieser Stolz gerecht ist, und ich Euch nicht ohne Grund verachte.«

Inzwischen war aber schon das Gerücht verbreitet, daß sich der mehrfach geschilderte Wundermann in eigner Person unter diesem Zuge befände. Das Wogen und Drängen nahm zu, und Dhii-Kummuz versprach, der Neugier zu gewähren. »Seht her!« rief er, indem er sein Pferd anhielt und den Correspondenten an sich vorbeireiten ließ: »Wer auf dem ganzen Erdboden kann mit so viel Einbildungskraft im Sattel sitzen? Wem ist es möglich, mit diesem Scharfsinne den Steigbügel von den Rippen des Pferdes entfernt zu halten? Ich schwöre, der Klepper selbst empfindet, daß ihm das Licht der Vernunft auf dem Rücken brennt. Und zum zweiten Male schwör' ich, daß Euer Stumpfsinn ohne Gränzen ist. Denn es bedarf nur etwas kurzer Ohren, um einzusehen, daß ich das Glück habe, neben dem Correspondenten des Mittelpunktes der Erde, neben dem in Lassa residirenden Gesandten von China zu reiten.«

Jetzt brachen unzählige Stimmen in unzählige Huldigungen aus. Wie im Triumphe zog der Correspondent in Teschulumbo ein, nachdem die vielen vergoldeten Traghimmel und Thürmchen dieser Stadt schon aus der Ferne, vom Sonnenlichte beschienen, den Kommenden entgegengeglänzt hatten. Der Gefeierte rückte zuweilen stolz an seinem Hute, und blickte Dhii-Kummuz mit einem Ausdrucke an, der eben so sehr seine Zufriedenheit bezeichnete, als er an Dankbarkeit für eine Gefälligkeit, zu der den Schalk nichts verpflichtet hatte, zu gränzen schien. Dhii-Kummuz erwiderte diese zufriedenen Mienen mit bescheidenem Lächeln.

Im Innern seines Palastes hatte der Teschu-Lama seine vertrautesten Freunde und die von seinen Planen unterrichteten Beamten versammelt. Es war ein Mann, in dessen Mienen nichts an den Priester erinnerte, als ein leichter Ausdruck von strenger Vorsicht, der sich zuweilen bis zu einem schlauen Blicke steigerte. Seine ganze Erscheinung erinnerte eher an einen Krieger, als an den Mann des Friedens. Es schien, als hätte die Priestermütze, welche sein Haupt bedeckte, nur den kriegerischen Helm auf einen Augenblick verdrängt, und als müßte aus dem seidnen Atlasmantel, der seinen Leib umfloß, die Spitze eines Schwertes oder Dolches hervorblinken. In seinen Bewegungen war nichts von der feierlichen Würde, die einem Priester und Untergotte ziemte, sondern es beherrschte ihn eine Lebhaftigkeit, die mit seinen Empfindungen und Gedanken in Wechselwirkung stand.

Die Nachricht von dem gemachten Friedensschluß war hier noch nicht angekommen. Die Ungewißheit darüber störte daher jede Berechnung der Zukunft, welche von den Einen unter den Versammelten gemacht, und von den Andern geprüft wurde. Wir würden durch die Mittheilung des Protokolls dieser Verhandlungen einen groben Verstoß gegen die Kunst der Anlage einer Erzählung begehen; denn da wir längst von dem glücklichen Ausgange jener Friedensanträge unterrichtet sind, so kann in den Chancen der Zukunft, wie sie auch ohne dieselben eintreten sollten, für uns durchaus kein Interesse liegen. Es genügt, anzumerken, daß aus allen vorangegangenen Entschließungen ein unbedingtes Vertrauen auf die eigne Kraft und die Gunst des Glücks sprach.

Geraume Zeit vor der Rückkunft der Gesandtschaft trat ein Mann unter die Versammelten, dessen Theilnahme an den Planen des Statthalters uns vor einiger Zeit noch überraschte, an die wir uns aber gewöhnt haben, seitdem wir sie zu rechtfertigen suchten. Der Schaman beugte vor dem Teschu-Lama sein Knie, und überreichte ihm zum Zeichen seiner Huldigung eine weiße Schärpe, die der Statthalter seinerseits mit einer andern an den Schamanen auswechselte. Die Ceremonie wurde um Vieles verkürzt, weil Alles auf die Nachrichten des Schamanen begierig war, und es diesen eben so sehr drängte, sie mitzutheilen. Er kam auf geradem Wege aus Lassa, einem Orte, dessen kleinste Verhältnisse in Teschulumbo interessirten und in weitläuftige Anschläge gebracht wurden. Seine Miene verrieth, daß er etwas von Bedeutung mitzutheilen hatte.

»Beklagt nicht die Beschwerlichkeiten, welche ich auf dieser Reise zu überwinden hatte;« begann er dankend gegen die zuvorkommenden Herren. »Ich hatte Euch eine Nachricht zu hinterbringen, die meine Schritte beflügelt. Ihr wißt, wie aufrichtig ich an Euren Entschließungen Theil nehme, und daß ich noch nie unterließ, alles hierin Erwägungswerthe zu Eurer Wissenschaft zu bringen. Es handelt sich jetzt um nichts Geringes. Unsre chinesischen Bundesgenossen standen während der ganzen Zeit, seit sie sich für uns erklärten, unter meiner Aufsicht, ich fürchte, daß sie mit Verrath umgehen.«

»Diese Besorgnisse haben einen Schein der Wahrheit,« hieß es allgemein; aber der Statthalter sagte, daß man sie rechtfertigen müsse.

»Habt Ihr des Nachts über Eure Thüren wohl verschlossen?« fuhr der Schaman fort. »Laßt Ihr Eure Worte an Orten erschallen, wo das Echo nicht zum Verräther werden kann? Die Chinesen liegen unter Eurem Bette, wenn Ihr schlafen geht; sie stehen hinter Eurem Rücken, wenn Ihr zu Tische sitzt. Wißt, daß seit einigen Wochen der Correspondent aus Lassa verschwunden ist.«

Man sah den Sprecher fragend an; denn was bestimmte ihn, daraus zu vermuthen, daß der mächtige Bundesgenoß die unermeßlichen Berge überstiegen, und daß er sich in diesen Gegenden aufhalte?

»Die Reisen des Correspondenten selbst,« fuhr der wohlunterrichtete Bruder Maha Guru's fort, »haben nichts Auffallendes, wohl aber ihre Richtung. Es ist seine Gewohnheit, alle Jahre einige Reisen im Umkreise von Lassa zu machen, und sich über die Verhältnisse zu unterrichten, welche er tibetanische Zustände nennt. Er schreibt dann jeden Namen auf, wo er glaubt, nicht mit gebührender Achtung empfangen zu seyn, und schickt endlose, mit Namen bedeckte Papierrollen nach Peking, wo sie in die Liste der Verdächtigen eingetragen werden. Er kostet die Suppe in den Bauernhäusern, und beurheilt, je nachdem sie mager oder oder fett sind, den Wohlstand Tibets, den er zuletzt immer als eine Wohlthat des chinesischen Schutzes zu schildern weiß. Aber diese Züge geschehen mit dem größten Aufwande, mit allem erdenklichen Gepränge, und werden wochenlang vorbereitet. Dießmal ist der Correspondent in Begleitung eines einzigen Dieners verschwunden. Obschon er nach einer entgegengesetzten Seite die Stadt verließ, so gelang es doch meinen Nachforschungen, seinen Wegen bald auf die Spur zu kommen. Er ist in der strengsten Verläugnung seiner Würde und seiner Geburt hieher gereis't, und erst vor einigen Tagen verschwanden seine Fußstapfen, die ich von Dorf zu Dorf zählen konnte. Steckt das Licht Eurer Vernunft auf, und die Absichten dieses Mannes werden hell werden. Er befindet sich längst in Eurer Umgebung, um Euch zu belauschen. Sein Mißtrauen ist eben so gefährlich als seine böse Absicht, und ich glaube, großer Lama, daß ihn die letzte bewog, sich in deine Nähe zu schleichen.« Der entrüstete Statthalter erhob sich von seinem Sitze, und zerriß zum Zeichen eines feierlichen Schwures sein Kleid. »Kein Winkel dieses Landes,« rief er, »soll undurchsucht bleiben. Wir wollen die Dienste eines Bundesgenossen nicht mit der Gefahr erkaufen, von ihm betrogen zu werden. Es ist leichter, sich eines Wolfes zu erwehren, als eines Betrügers, der unter der Maske der Freundschaft sich in unsre Seele einschleicht. Ich sende nach allen Gegenden meine Boten aus; wenn die Schlange in unsrer Gewalt ist, so wollen wir ihr die giftigen Zähne ausbrechen. Kann sie uns dann nichts mehr gegen Andre nützen, so sind wir doch sicher, daß sie uns auch nichts schadet.«

Die Polizeibeamten, welche durch diese Erklärung ihres hohen Gebieters hinlänglich beauftragt waren, verließen augenblicklich den Saal, um ihre tausendarmigen Kräfte in Bewegung zu setzen. Es galt, einem unterirdischen Mineur durch Gegenminen zu begegnen. Aber die Botschaft, welche in der Luft auf dem ersten frischen Windhauche anlangte, machte alle weitern Anordnungen unnütz. Unzählige Kehlen riefen sich die Nachricht von der Ankunft des mächtigen wunderbaren Chinesen zu, und brachten sie auch bald in das Innere des Saales, wo der Statthalter von seinen Vertrauten noch umgeben war, und sich von dem Schamanen Aufklärungen über seinen Bruder geben ließ. Kurz darauf drängte sich die Gesandtschaft in den Saal, und der Correspondent stand vor dem Teschu-Lama, noch ehe dieser sich in dieß plötzliche Erscheinen des Gefürchteten zu finden vermochte.

Der Correspondent, durch den triumphirenden Empfang der Bevölkerung von Teschulumbo daran gewöhnt, seinen Rang und seinen Stolz zu behaupten, erwartete von dem Lama eine Bewillkommnung, welche sowohl seiner in Lassa befindlichen Vollmachtscapsel entsprach, als auch dadurch bestimmt wurde, daß der Statthalter seiner bedurfte. Dieser selbst dagegen sah in dem Correspondenten nur einen auf Verrath ertappten falschen Freund, und würde ihn auch sonst im Bereiche seiner Statthalterschaft niemals mit den Ehren überhäuft haben, welche die Eitelkeit als nothwendige Huldigung anspricht. Dhii-Kummuz endlich war mit dem Wiedersehen seines Freundes, des Schamanen, so beschäftigt, daß sein küssender und geküßter Mund keine Zeit fand, die steigenden Mißverständnisse durch Angabe der ihm bekannten Thatsachen wenn nicht zu heben, doch zu mildern.

»Ich habe dich eines Morgens,« begann der Chinese zum Statthalter gewendet mit verdrießlicher Stimme, »bei deiner ersten Tasse Thee überraschen wollen; der Zufall hat gewollt, daß ich in meinen Eigenschaften früher erkannt worden bin, und ich erstaune, daß du mir zum Empfange nicht einmal einen Finger deiner Hand reichst.«

»Ich preise das Geschick,« entgegnete der Abgeordnete: »daß es mir günstiger ist, als deinen hinterlistigen Anschlägen. Ich habe lange gelebt, und schon in tausend Augen geblickt, um die Herzen zu prüfen, aber noch hab' ich keines gefunden, dessen Wimpern so viel Falschheit beschatteten, als die deinigen.«

Jetzt fiel dem Correspondenten das ganze Gewicht seines Wagnisses aufs Herz. Er hatte seinen Rücken freigegeben, und jede Zunge war ungefesselt, ihn mit Schmähungen zu bedecken. Er versuchte es, seinen Zorn zurückzuhalten, weil er wußte, wie unmächtig er war; er berief sich auf seine Redlichkeit, seine Aufopferung, die ihn hieher getrieben, und die Umstände, welche ihm das versteckte Auftreten zur Pflicht machten. Aber der Statthalter wollte an den Umständen nur die Eigenschaft bemerken, daß sie ihn zur Ehrlichkeit gezwungen hätten.

»Ein Dieb,« sagte er, »der einen Mantel gestohlen hat, wirft ihn gern der zitternden Armuth um, wenn ihm die Häscher schon auf den Fersen sind. Ihr verhindert mich, daß ich Euch als einen Freund behandle.«

»Haben die Dohlen jemals gegen das Stehlen geeifert?« fiel der Correspondent mit Gebärden ein, die von Wuth überschäumten. »Seit wann stellen sich die Mörder auf die Dächer, und predigen Menschenliebe? Haben sich die Feldhühner untereinander je Vorwürfe gemacht, daß sie nicht besser singen? Wo sind jene Tugenden, auf welche du fußest, wenn du mir ein Verbrechen vorwirfst? Steht dein Land nicht in Aufruhr? Dem Priester ziemt es, den Samen der Eintracht zu streuen. Du gürtest dich aber mit dem Schwerte, und willst die Spuren deines Weges mit Blut bezeichnen. Deinem göttlichen Meister setzest du ein Messer an die Kehle und willst die Getreuen morden, die sich für ihren König und Herrn aufopfern! Bei meinem Haupte, was vermagst du, Elender, gegen mich, den du betrogen hast?«

Der Gott des Entsetzens flog durch den Saal und hielt Jedem die Kehle zu, daß er regungslos, stumm und erstaunend auf die beiden Männer sah, welche sich drohend gegenüber standen. Der Correspondent war zu weit gegangen, als daß Dhii-Kummuz Dazwischenkunft zur nähern Verständigung noch hätte einlenken können. Der Teschu-Lama hatte sich hoch von seinem Sessel aufgerichtet, und den Blicken, die seine Augen schleuderten, folgten diese niederschmetternden Worte: »Ich hörte von einem Gecken, welcher sein graues, verschimmeltes Haar in Salben badete. Ich hörte von einem alten Narren, der sich für ein violettes Band, einen milchweißen Knopf, für eine Feder aus dem Schweif eines Pfauen um seine Nächte betrügt. Ich hörte von einem Verleumder, der des Nachts unter den Fenstern seiner Nachbarn lauscht, und in den Morgenvisiten aller Welt verfängliche Neuigkeiten bringt. Aber was waren diese Dinge gegen diejenigen, welche ich später erfuhr? Da sah ich einen Dieb, der seine Freunde umarmt, und ihnen die Taschen ausräumt; einen Lügner, der sich in das Schlafzimmer seiner Bekannten schleicht, ihnen die Hausschlüssel unterm Kopfkissen wegnimmt, und sie den Räubern zum Fenster hinauswirft; einen Schurken, der sich vor die Thür eines Gartens, in welchem man seine Vettern und Schwäger ermordet, Wache stellt und den Vorübergehenden sagt, er stehe hier, um ihre schönen Kleider zu bewundern, und den Armen recht viel Almosen zu geben. Dieser heimtückische Gesell mischt sich in eine heilige Angelegenheit, an welche er nicht denken kann, ohne sie zu verunglimpfen. Wir wollen einen Thron stürzen, nicht weil uns sein Glanz blendet, sondern weil ihn die Schwäche gebaut hat. Wir wollen der Gottheit nicht Hohn sprechen, sondern ihr eigner Wille hat uns berufen, ein Trugbild ihrer Herrlichkeit zu vernichten. Unsre Schwerter sind Zornesflammen, welche der Himmel in unsre Hand gegeben. Wessen Sohn bist du, daß der Stachel deiner giftigen Zunge in mein heiliges Antlitz leckt? Kann man dem eine Blöße vorwerfen, der auf dem Wege ist, die Kleider des Dalai Lama anzuziehen? Wenn auch in den nächsten Monden erst die Blitze des Himmels in meine Hand gegeben sind, so ist sie doch jetzt schon stark genug, dich zu zerschmettern. Diese Thäler bleiben dein Gefängniß. Nenne dich blind; denn du wirst die Heimath niemals wiedersehen!«

Der Teschu-Lama verließ den Saal, und alle Anwesenden folgten ihm bis auf den Correspondenten und Dhii-Kummuz. Dieser trat auf den verzweifelnden Chinesen zu, und schlug ihn vertraulich auf die Schultern. »Verfluche meinen Herrn tausendmal,« sagte er, »und du wirst ihm doch danken müssen, daß er mich zum General-Polizeimeister gemacht hat. Die Vögel werden durch Lockvögel gefangen und die ganzen Spitzbuben durch halbe. Die Gefängnisse verdanken mir Vieles, eben so die Gefangenen, wie du selbst sehen wirst. Du hast mir in Lassa Herberge gegeben, und ich will die Gastfreundschaft an dir erwidern. Mein Haus ist geräumig, meine Gärten hab' ich noch nicht messen lassen, weil es mich zu viel kosten würde, meine Felder tragen so viel Korn, daß ich mit dem daraus gebackenen Brode alle bösen Mäuler in Teschulumbo stopfen kann. Du wirst die fröhlichsten Tage bei mir genießen, und nichts zu thun haben, als rauchen, Betel kauen, die Nägel zierlich beschneiden, und nichts zu lassen, als das Entlaufen.«

Noch glühte der Correspondent vor Zorn; als er aber die Thränen seines Dieners Ho-Po rinnen sah, da lösten sich die krampfhaft gespannten Nerven, das heiße Blut hörte auf, ungestüm zu wallen, und er sank wie vernichtet über seine auf der Reise vergebens abgerissenen Schuhsohlen zusammen. Dhii-Kummuz ergriff seinen Arm und geleitete ihn in seine Wohnung, die dem Chinesen, wie es schien, für den Rest seines Lebens angewiesen war. Wenn der Statthalter auch seine Aufwallung bereute, wie wollte er sie wieder gut machen? Konnte er hoffen, den Thron von Lassa sicher zu behaupten, wenn er sich gegen den Repräsentanten der chinesischen Macht so übereilt vergangen hatte? Weil der Teschu-Lama jetzt Alles zu fürchten hatte, blieb für den Correspondenten wenig mehr zu hoffen übrig.

 


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