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Wer sich seine Lebensschicksale selbst zu bestimmen weiß, ist in der Regel doch nur ein Egoist.
Das Gefallen an der Lüge schleicht sich beim Menschen unter den mannichfaltigsten Beschönigungen und Entschuldigungen ein. Bald heißt es, die Unwahrheit der andern Menschen zwänge uns, diese ebenso zu bedienen; bald ist sie wol gar nur eine bloße Geistesübung, um die langweilige Anwendung der Wahrheit angenehm zu unterbrechen. Besonders gibt es junge Mädchen und Frauen, die zur Gewöhnung an die Wahrheit erst durch eine herbe Lektion des Schicksals gelangen können. Die Lüge wirbelt sie Tag ein Tag aus, vom Erwachen bis zum Schlafengehen, im immer gleichen Kreise um.
»Wie? Ich sollte mich nicht so geben, wie ich bin?« Gewiß! Prüfe dich aber erst, ob du auch so, wie du bist, sein darfst!
Wir werfen uns zuweilen Fehler vor und gestehen es sogar Andern ein, daß wir deren eine große Anzahl haben. Näher aber betrachtet, haben wir dabei die geheime Absicht, aus diesen sogenannten Fehlern gerade einige unsrer schönsten Tugenden hergeleitet zu sehen. Ach, ich bin so außerordentlich zerstreut, so unordentlich, so vergeßlich! Es soll heißen: Nicht wahr, ich bin eine poetische Natur?
Was du dir Charakter nennst, nenne dir doch viel lieber Trotz!
Die Tugend soll dich glücklich, aber nicht hochmüthig auf dich selbst, am wenigsten neidisch auf Andere machen, neidisch wol gar auf solche, die der Tugendhafte nur zu meiden, zu bemitleiden hat. Oft ist es, als wenn nur darum die Tugendhaften so verdammungssüchtig sind, weil sie sich ärgern über die Annehmlichkeiten, die sie sich um ihrer Tugend willen im Vergleich mit Andern müssen entgehen lassen. Den kirchlichen Zeloten sieht man geradezu den Zorn um die Entbehrungen an, die ihre Scheinheiligkeit ihnen auferlegt.
Wer in seiner Jugend ein starkes Gedächtniß hatte und in seinen spätern Jahren es verliert, der merke wol auf, wie es mit seinem Herzen steht. Denn vielleicht hat nicht der Geist da nachgelassen, sondern nur eine Saite des Herzens. Je stolzer und von sich eingenommener man wird, desto mehr verliert sich jene Innigkeit der Seele, die aufmerkt und behält. Schwaches Gedächtniß kann auch armes Gemüth sein.
Die Kunst des Lebens fängt da an, wo dessen Natürlichkeit aufhört. Doch nur denjenigen Lebenskünstler kann man rühmen, der die spröden Stoffe der Charaktere und Situationen deshalb beherrscht und deshalb vermittelt und an einander sich aufreiben, spielend von sich abgleiten läßt, um zuletzt doch wieder der Natur die Ehre zu geben.
Euripides bezeichnete das unausgesprochene Einverständnis der gesitteten Welt über dasjenige, was der Anstand mit sich bringt, mit dem schönen Ausdruck: »die ungeschmiedeten Ketten der Sitte.«
Wer sich nicht früh gewöhnen wollte, ein noch so kleines, zuviel empfangenes Geldstück zurückzugeben, ein gegebenes Versprechen, obschon uns daran Niemand mehr erinnert, dennoch zu lösen und sich in ähnlicher Strenge gegen sich selbst zu üben, der würde bald auch in größern Dingen verlernen, sich und Andern gerecht zu werden.
Urtheile nicht zu rasch über sogenannte Gemüthlosigkeit! Kannst du es denn wissen, ob jener so kalt und streng erscheinende Mann nicht auch gegen sich selbst mit derselben rauhen Wahrhaftigkeit verfährt, die er gegen Andere übt?
Wir werden immer gut thun, Vorwürfe, die uns wie nur im Scherz gemacht wurden, getrost als im Ernst gemeint hinzunehmen.
Nur wenn wir die Offensive ergreifen, stehen wir in dem Kriege, den wir gegen unsere Leidenschaften führen, als Sieger da. Die Carrikatur dieser Wahrheit waren jene alten Mönche und Heilige, die, um der Sünde widerstehen zu können, diese unmittelbar aufsuchten und sie gleichsam zum Zweikampf herausforderten.
E. M. Arndt wollte den Dämon des Sokrates kurzweg als einen Engel im Geist der Bibel gefaßt sehen. Der Dämon des Sokrates war sein gegenständliches, von allen Rücksichten entblößtes »besseres Selbst,« sein Gewissen.
Wir erschrecken und erstaunen, wir ärgern oder wir freuen uns über viele Dinge nur deshalb, weil es hergebracht ist, über sie erschrecken, erstaunen, sich ärgern oder sich freuen zu sollen.
Der beste Freund, den ein großer Mann finden kann, ist der, der es übernimmt, seine Menschlichkeiten vor der Welt zu decken.
Ja, wie wir unsere Untugenden auszuschmücken verstehen! Wir machen aus ihnen sogar Charaktergröße. »Nein, ich kann nicht leiden, daß man sich Schmeicheleien ins Gesicht sagen soll!« Lieber Freund, für die sibirische Kälte und Lieblosigkeit deines Urtheils hast du dir einen glänzenden Namen gefunden.
»Ich bin natürlich – !« Bitte, du hast nur die Unart, alles auszusprechen, was dir über die Zunge läuft.
»Ich bin kein Egoist – !« Nein, aber du hast dir den Egoismus angewöhnt.
Wer immer wieder seine Wunden hartnäckig von selbst aufreißt, verräth, daß er sich vor ihrem allzu schnellen Vernarben nicht sicher glaubt.
Werde dir doch oft das Glück zutheil, daß du dich in einem edeln Motive oder einem nicht gewöhnlichen Charakterzuge, wovon du glaubtest, er wäre dein eigenes tiefstes und nur Gott bekanntes Geheimniß, von irgend einem Herzenskündiger errathen siehst!
Für eine einzige Schuld legt sich ein edler Mensch eine zwanzigfache Strafe auf.
Es ist erstaunlich, wie viele Menschen es verstehen, sich mit wahrem Bienen- oder Bibertalent ihre kleinen, zerstreuten, unendlich weit auseinanderliegenden Verdienstchen zur Berechtigung eines Tempelchens auszubauen, in welchem sie sich einen Cultus der Verehrung zu errichten wissen, als existirte außer ihren eignen Leistungen nichts Anderes in der Welt. Sogar die Gemeinde, die jede Verehrung braucht, wissen sie sich mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit zu pressen.
Manche Wucherer glauben, sie wären keine, wenn sie sich innerhalb der sogleich anfangs von ihnen mit entschiedenster Niedertracht entworfenen Stipulationen außerordentlich streng und gewissenhaft bewegen.
Wir schwachen Menschen finden das nur des Erlangens werth, wornach wir Viele streben sehen – !
Hat man lange in der großen Welt gelebt, so wird man erstaunen, sich eingestehen zu müssen, welche Fortschritte wir ganz wider Willen in der Virtuosität der Unwahrheit gemacht haben. Man huldigt jeder Schwäche, nennt eitle Frauen schön, schmeichelt dem Ehrgeiz der Männer, duldet den Stümper, verschweigt seine Meinung dem Mächtigen. Anfangs war's vielleicht nur ein gewisser Humor, der uns so das Gesellschaftsleben nehmen ließ, das nun einmal, wie wir sagen, nicht zu ändern wäre, dann wurde es Gewohnheit, zuletzt Schwäche. Der Augenblick, wo wir uns, beschämt über eine solche Richtung unsres Innern, die Wahrhaftigkeit zu retten suchen, kann nur dann Erfolg haben, wenn wir zugleich die Kraft und den Muth besitzen, mit einer Gesellschaft, die solche Umgangsformen voraussetzt, für immer zu brechen.
Es ist unglaublich, welche Anstrengungen die Menschen machen, um ihren Mangel an Unternehmung und Muth zu verbergen. So mancher Knabe, der ganz einfach – wir geben dies zur Beherzigung für Erzieher – seine Schüchternheit nicht eingestehen will, gibt, seiner Verlegenheit den Schein des Trotzes, des Eigensinns, ja nicht selten der Roheit. Die Unbeholfenheit erfindet tausend Schleichwege, um hinter dem Zugeständnis; ihres wahren Schadens herumzukommen. Bald prahlt, bald spottet sie, bald wird sie zügellos, bald blasirt, ja sogar scheinbare Tugenden und Pseudo-Charakterbildungen entstehen aus dem einfachen, stillverborgenen Bewußtsein, sich im Leben und Umgang mit den Menschen nicht recht helfen zu können. Von einer großen Bevölkerung, der Berlinischen und sogar der ganzen specifischpreußischen, ist es längst bekannt, daß im Grunde ihr so viel gerügtes, vorwitziges, auftrumpfendes Wesen nur ihren Ursprung hat an der Quelle eines tiefen Gefühls von Unzulänglichkeit und verlegener, sich natürlich für die beanspruchte Stammesgröße nicht schickender Unerfahrenheit.
Die geheime Mischung von – Liebe und Interesse kann kein Scheidekünstler der Welt in ihre Urbestandtheile auflösen.
Es gibt eine Menge Naturen, deren erste und ursprüngliche Regung beim Urtheilen oder Handeln immer eine schlechte ist und die erst durch ein Zweites, durch die Reflexion, den Schein der Güte gewinnen. Wer wäre diesen heuchlerischen Phrasenmenschen nicht schon oft begegnet! Umgekehrte Fälle giebt es aber auch. Rousseau hat von seinem Feinde Voltaire gesagt, daß bei ihm die erste Empfindung immer eine gute gewesen wäre und ihm erst durch Reflexion hintennach die schlechte kam.
Da wo man Recht hat, fängt die Selbstbeherrschung des Edeln an.
Nichts erkräftigt und hebt mehr den Geist, als eine unterlassene Rache.
Kaum glaublich und doch bewiesen, daß Neid und Prahlerei zusammengehen. Es ist, als wenn der künstliche Ueberschuß des Erlogenen beim Prahlen die Negative im Gefühl des Neides decken muß und umgekehrt die Lücke im Selbstgefühl, die zum Neide drängt, sich erst wieder füllt durch Prahlerei. Daher die seltsame Erscheinung, daß ruhmgekrönte Menschen, die den Neid gar nicht nöthig hätten, dennoch neidisch sind. Sie sind eben nebenbei Prahler.
Ein Prahler fühlt sich arm. Er kommt immer auf sich und seine eigenen Leistungen zurück.
Die meisten unserer Fehler erkennen und legen wir erst dann ab, wenn wir sie an Andern entdeckt haben und gesehen, wie sie denen stehen.
Menschen, die berechtigt sind, eine höhere Werthschätzung beanspruchen zu dürfen, als wir uns, manchmal sogar aus bloßer Trägheit nur, die Mühe geben wollen, ihnen einzuräumen, wirken auf uns wie Gewissensbisse. Um endlich des nagenden innern Vorwurfs, den sie uns verursachen, ledig zu werden, helfen wir uns gewöhnlich einfach damit, ihren Werth ohne weiters ganz in Abrede zu stellen.
Man webt keine kunstvolleren Spitzen, als sich deren an den Schleiern finden, mit denen wir unsere geheimen Wünsche und Interessen zu verhüllen wissen.
Bedeutende, aber eitle Menschen, denen anerkannt zu werden ein nie genug zu befriedigendes Bedürfniß ist, machen unter anderm auch ein übertriebenes Aufsehen von durchaus gewöhnlichen Individuen, mit denen sie der Zufall in nähere, selbstverständlich ihnen huldigende Beziehung brachte. Sie scheinen zu fühlen, daß nicht jede Anerkennung ihrer würdig ist.
Wem es nicht ein Bedürfnis geworden ist, glücklich zu sein, der wird es niemals werden.
Berührt uns in nächster Nähe etwas unangenehm, so mögen wir uns nur fragen, ob unsere Stellung im Großen und Ganzen dadurch alterirt wird. Dürfen wir dies verneinen, so sollten wir uns doch erleichtert fühlen.
Der höhere Werth des Menschen entscheidet sich darnach, ob er noch für diese Erde Hoffnungen hat, die über sein Grab hinausgehen.
Wir sollten uns nicht nach dem beurtheilen, was wir uns selbst zu sein scheinen, sondern nach dem, was wir im Ring des Allgemeinen und im Großen, im Ganzen sind. Die Kunst, abgezogen von unserm Ich, unser Dasein so zu betrachten, wie es sich dem Allgemeinen ergibt, gleicht dem feinen Ohr eines Vortragenden, der im Stande ist, sofort die Wirkung seiner Stimme mit den Räumlichkeiten, wo er spricht, und mit den Nerven derer, die zuhören, in einen wohlthuenden Einklang zu bringen.
Wahrhaft ist doch nur das ein Glück, das sich mit Andern theilen läßt.
Oft weißt du es vollkommen, daß du diesen oder jenen Fehler, diese oder jene Ungerechtigkeit begangen hast. Statt aber jenen zu bereuen oder diese wieder gut zu machen, verhärtest du dich vielmehr vollends gegen dein besseres Gefühl und trotzest nun erst recht darauf, so fortzufahren, wie begonnen. Du nennst dir das Kraft und Charakter!
Wirst du angeschuldigt, so rechtfertige dich, wenn du voraussetzen darfst, daß deine Richter edel sind! Aber einen Feind wirst du niemals überzeugen. Gegen einen Feind nützt es sogar, ihm so hassenswürdig wie möglich zu erscheinen. Von all den eingebildeten Gründen seines Grimms wird er der Welt einen allmählig nur lächerlichen Eindruck machen und am Uebermaß seines Zorns zuletzt bersten wie der Bel zu Babel.
Von ihren Grundsätzen zu reden, ist am meisten denen eigen, die gerade unter der Herrschaft nur ihres Naturells stehen.
Niemand soll Richter in eigener Sache sein, so beklagenswerth es ist, daß man den einfachen, so natürlichen Gerechtigkeits- und Straftrieb, der uns gebietet, ungebührliche Handlungen mit sittlichem Zorn zu verfolgen, in dem Fall Rache nennt, wo die Ungebühr gegen uns selbst gerichtet war.
Die gefährlichsten Feinde der weiblichen Grazie sind die sogenannten selbständigen Ansichten und das beliebte: »Ich bin nun einmal so!«
Von gewohnten Lasten der Pflicht fühlen wir kaum, wie schwer sie sind. Ein Kind stöhnt um eine Kiste von fünf Pfund, die es auf die Post tragen soll, und nimmt sie bald auf diesen, bald auf jenen Arm. Sein täglicher Schulranzen aber, mit dem es hüpft und springt und singt, wiegt zehn Pfund.
Maßloses bringt Reue, und Reue – wiederum das Maßlose.
Sprich doch nicht von deiner Wahrheitsliebe, wenn du nur rücksichtslos warst.
Wir armen, ewig irrenden Menschen verwechseln so oft, wenn wir schaffen, die Freude über die dabei glücklich überwundene Anstrengung mit der Berechtigung zur Freude über das gelungene Resultat selbst.
Himmel, ich danke dir, daß du mich nicht in die Lage versetzest, das Entsetzliche, das ich über manchen Menschen zu sagen wüßte, aussprechen zu müssen – !
Weibliche Putzsucht ist nicht immer auf die Eroberung der Männer gerichtet. Die meisten Frauen sind nur eitel im Hinblick auf den Neid, zuweilen auch auf den Geschmack ihrer Mitschwestern.
Nenne nicht deinen Mangel an Fleiß und stetiger Aufmerksamkeit Phantasie und nicht die Schwäche deiner Nerven Gefühl.
Du hältst mich für stolz. Warum? Etwa, weil es dich nur verdrießt, zu wissen, daß ich es sein dürfte?