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Buchschmuck

Julius Grosse.

Der Dichter Julius Grosse, der in dem heutigen Literaturleben schon ganz in den Hintergrund gedrängt worden war, wäre wohl vollständig dem Vergessen anheimgefallen, wenn seine Tochter Antonie Grosse sich nicht mit einigen literarischen Freunden ihres Vaters zu einer Ausgabe einer Auswahl aus den ungefähr 85 Bänden seiner Werke zusammengetan hätte, Ich meine die »Ausgewählten Werke von Julius Grosse. Mit einer Biographie von A. Bartels, unter Mitwirkung von A. Bartels, J. Ettlinger, H. von Gumppenberg und F. Muncker, herausgegeben von Antonie Grosse. Berlin, Alexander Duncker Verlag.« Wer sich für Grosse interessiert, versäume nicht, zu dieser mustergültigen Ausgabe zu greifen. die ihn wieder frisch und lebendig vor uns hingestellt hat, so daß wir erkennen, was er uns noch zu geben und zu schenken hat. Es ist in der Tat nicht wenig, denn sieht man, wie sich der Dichter im Laufe seines langen Lebens auf allen Gebieten der Literatur nicht nur versucht, sondern auch kräftig, eigenwillig und selbständig gezeigt hat, so sagt man sich unwillkürlich, daß Grosse mehr sein müsse als nur ein »Phantasiemensch«, ein »romantischer Formenkünstler«, mit welchen Schlagworten er immer gerne abgetan wird, wozu man dann noch mit Vorliebe hinzufügt: er gehörte der »Münchener Schule« an, in der er freilich ein aktives Mitglied gewesen ist, sogar, wenn man will, einer ihrer Mitbegründer.

Julius Waldemar Grosse wurde zu Erfurt am 25. April 1828 als Sohn eines Gymnasialoberlehrers, der als Pfarrer bald darauf nach Magdeburg kam, wo Grosse bis zu seinem 18. Lebensjahre das Gymnasium besucht hat, geboren. Da er schon frühe künstlerische Anlagen zeigte, sein Vater aber nicht zugeben wollte, daß sein Sohn Maler würde, schlug Grosse die Architektenlaufbahn ein, von der er jedoch bald abschwenkte, um noch seine Reifeprüfung zu machen und die Rechte in Halle zu studieren, wo er viel mit Otto Roquette, dem Verfasser von »Waldmeisters Brautfahrt«, zusammen war, und wo der dichterische Entwicklungsprozeß schon scharf einsetzte. Er gab schließlich sein Studium nach 2½ Jahren auf und entschloß sich, nach dem Tode des Vaters nun doch noch Maler zu werden. 1852 kam er nach München; nach einigen Anläufen und Bemühungen in der Malerei blieb diese aber schließlich auch liegen; Grosse widmete sich ganz der Dichtkunst, und es dauerte nicht lange, so war er in dem Münchener Dichterkreise heimisch; Trautmann, Herm. Schmid, August Becker, Heinrich v. Reder, Karl Rottmann waren seine ersten Bekanntschaften, zu denen sich bald die Emanuel Geibels, Paul Heyses, Heinrich Leutholds, Canières, Bodenstedts u. a. gesellten. Als die »Münchener Schule«, die der König Maximilian durch seine Berufungen veranlaßt hatte, darin ging, sich in der »Neuen Münchener Zeitung« ein eigenes Organ zu schaffen, forderte man den damals in bedrängter Lage befindlichen J. Grosse auf, die Feuilletonredaktion zu übernehmen, die er denn auch durch lange Jahre geleitet hat mit Ausnahme eines fünfmonatigen Urlaubs für eine Italienreise, mit der er erst seine Lehr- und Wanderjahre abschloß und die ihm reiche Fortbildung und tiefe Erfahrungen künstlerischer Art vermittelte. Im Oktober 1856 aus dem Süden heimgekehrt, ging der Dichter an ein eifriges Schaffen, das auch viel Anerkennung fand, so daß er dafür sorglos in die Zukunft blicken und es wagen konnte, sich einen eigenen Hausstand (mit Luise Junemann im Mai 1859) zu gründen. Ende des Jahres 1859 konnte sich aber die »Neue Münchener Zeitung« nicht mehr halten, Grosse verlor seine Stellung, war gezwungen, eine Zeitlang die »Leipziger Illustr. Zeitung« zu redigieren, bis er in der Redaktion des Morgenblattes zur offiziellen »Bayrischen Zeitung« auf fünf Jahre, die zu den glücklichsten seines Lebens gehören, Ruhe fand. Als er im Verfolg einer Audienz bei König Ludwig II. 1866 seinen Redaktionsposten verlor – man ließ die »Bayrische Zeitung« einfach eingehen – fand er Ersatz durch eine feste Anstellung als Theater- und Literatur-Kritiker an der »Münchener Allgemeinen Zeitung«, die er 1868 gegen einen Platz als literarischer Beirat des neuen Generalintendanten des Hoftheaters, des Freiherrn von Perfall, vertauschte, als der er die Wochenschrift »Münchener Propyläen« begründete, deren Herausgabe er bis zu seiner Berufung zum Generalsekretär der Schillerstiftung an Stelle von Ferd. Kürnberger vertreten hat. Das war im Jahre 1870. Von da an steht natürlich die Schillerstiftung im Mittelpunkt seines Interesses. Die Stiftung wechselte damals noch alle fünf Jahre ihren Vorort, so daß Grosse nacheinander in Weimar, Dresden, München und wieder in Weimar lebte, wo sie von 1890 an fest verblieb, und wohin Grosse dann auch seine Familie kommen lassen konnte. Hier in Weimar hat Grosse, der 1858 mit einer Arbeit über eine kunsthistorische Ausstellung den Doktortitel erworben hatte, als Professor und Hofrat gelebt, bis ein Herzschlag auf einer Erholungsreise zu Torbole am Gardasee am 9. Mai, dem Todestage Schillers, 1902 seinem Leben ein Ende bereitete.

Julius Grosse war ein durch und durch vornehmer und grundgütiger Mensch, der zuletzt wohl etwas Verbitterung und Pessimismus zeigte, wie viele Künstler, die nicht den verdienten Erfolg geerntet haben. Sein feines Empfinden, das mit mystischen Neigungen und einer starken Phantasie verbunden war, litt unter den Härten des Lebens und der Menschen, ohne daß er das aber jemals jemanden hat entgelten lassen. Bei aller Verträumtheit bewahrte er sich doch die Klarheit und Ruhe des Blickes, des instinktiven Urteilens und der eigenen Meinung.

Sucht man nun in den zahlreichen Werken dieses Mannes nach einem Gemeinsamen, das allen eigen ist und alle verbindet, so stützt man zweifellos zuerst auf die außerordentlich lebendige Einbildungskraft, zugleich aber auch auf ein seltenes Können, selbst die entferntesten Stoffe »gegenwärtig« und menschlich zu machen. Dadurch gelingt es ihm, das reiche Gedankliche, das besonders seinen Epen anhaftet, künstlerisch zu überwinden. Nun darf man aber nicht etwa einen rein ästhetischen Maßstab an seine Werke legen, sondern muß sich immer vor Augen halten, daß Grosse kein » l'art pour l'art«-Dichter ist, sondern daß er doch stets aus dem Leben zu schöpfen suchte, wenn er es auch oft mit Träumeraugen und nicht mit denen eines Realisten sah. Grosse war ein überzeugter Idealist, der mit aller Begeisterung, deren seine warme Natur fähig war, an das »Wahre, Gute und Schöne« glaubte und nach diesem »Dreiklang« handelte und schaffte. Freilich, bisweilen folgte er diesem »Dreiklang« so sehr, daß er nicht bemerkte, wie sich die Ideale wandelten und er sich mit ihnen, weshalb er doch immer als Eigenbrödler erscheint und nicht als Charakter, indem er sich z. B. in dem einen Gedichte am Weltbürgertum berauschen konnte, um im anderen der eifrigste Vaterlandsverteidiger zu sein.

Grosse war also eine durchaus unpolitische Natur. Seine Weltanschauung, die am klarsten aus seinen wundervollen Epen hervorleuchtet, war die der Nachfahren Goethes und Schillers, und seine ethischen und moralischen Ansichten bauten sich auf einem tiefen Gefühl echten Christentums auf, das aus allen seinen Werken spricht, besonders auch aus dem hier vorliegenden, der Novelle » Ravensbeck«, dem merkwürdigen Beispiel eines gerade noch verhüteten Justizmordes, wo die ethische Bestrebung zum Hauptleitenden der Handlung wird. Gerade an dieser Geschichte lassen sich alle Vorzüge der Grosseschen Erzählungskunst deutlich erkennen: eine saubere Exposition, ein geschickter Aufbau, eine künstlerische Spannung, ein sicherer Abschluß und gut versteckte Belehrung; aber auch die nicht abzuleugnenden Mängel treten zutage: ein etwas flüchtiger Stil, eine äußerlich gebliebene Psychologie und die Unfähigkeit, im Leser die Illusion hervorzurufen, als sei alles, was die dargestellten Gestalten täten und redeten, deren persönliches Eigentum. Das zeigt eben, daß Grosse seine Gestalten nicht bis ins letzte erlebt hat und hat ausreifen lassen, wozu ihn äußere Gründe zwangen, aber auch ein Trieb, sich auszuplaudern und mitzuteilen.

So ist denn Grosses Romanschaffen in der Tat nicht das beste, was er gegeben hat, wenn auch einige Werke noch alles Interesse verdienen. Der echte Dichter Grosse tritt uns in seiner Lyrik und in seinen Epen entgegen. Seine Gedichte werden manchem veraltet erscheinen, und doch, betrachtet man sie im Zusammenhang mit dem Leben des Dichters, so wird man bald des geheimen Reizes inne, jenes feinen zarten Duftes und Klanges, den die Phantasie mit einer bald schlichten, bald farbigen, bald pathetischen, bald von allem Irdischen losgelösten Sprache über all das auszubreiten versteht, was uns Menschen in jungen und in alten Tagen bewegt. In ganz klaren Bildern zeigt sich oft ein seltsamer Drang zu grübeln, sich zu vertiefen, das Überweltliche aufzusuchen und das Weltliche über sich hinauszuheben, ein Drang, der in des Dichters Kunst eine Romantik hineinzaubert, die seinen Dramen, die im allgemeinen ohne rechte Anerkennung geblieben sind, auch jene problematische, stahlharte und kurz abschneidende Kraft nimmt, wie sie eine dramatische Handlung und Psychologie nun einmal verlangt. Am meisten kommt diese Romantik aber in des Dichters Epen zum Ausdrucke, Werken, die sich über Grosses eigentliche Kraft emporzuheben scheinen, wie das »Volkramslied«, die aber auch das Vollendetste geben, was uns das 19. Jahrhundert an Epen geschenkt hat, in der »Gundel vom Königssee« und in dem »Mädchen von Capri«, wo wir uns unter den Strahlen reinster Kunst im Lande des feinsten Genusses befinden.

Berlin.
Hanns Martin Elster.


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