Balduin Groller
Die Tochter des Regiments und andere Novellen
Balduin Groller

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VI.

Es war eine kleine und ziemlich ärmliche, aber sehr nett und reinlich gehaltene Wohnung, die Frau Simbach in einem stillen Gäßchen nicht weit von der Hernalser Linie für sich gemietet hatte. In Wien sind die Mietzinse teuer, und wer jährlich für die Wohnung nicht mehr aufwenden kann als zweihundertvierzig Gulden und dabei doch zwei leidlich luftige freundliche Zimmer zur Verfügung haben möchte, der kann sich nicht in 96 allzu naher Nachbarschaft zum Stephansturm oder zur Ringstraße seßhaft machen.

»Wird Ihnen das aber auch genügen, Fräulein?« fragte Frau Simbach in ehrlicher Sorge, als sie beide nach der Ankunft in Wien die Wohnung betraten.

»Warum nicht, Frau Simbach?« erwiderte Piroska munter. »Es genügt vollständig, – wenn es sein muß.«

Piroska hatte den Reisemantel abgelegt, und wie sie nun dastand in dem ärmlichen Zimmer, in das ein lichter Strahl der Sonne der Osterwoche drang, da stand jung und strahlend und schön, ein Bild der Lebensfreudigkeit, da mußte sich Frau Simbach bekümmert sagen: es genügt wirklich nicht.

»Wir wollen überlegen, Fräulein, ob wir es für Sie nicht besser und schöner einrichten können.«

»Da giebt es nicht viel zu überlegen, Frau Simbach. Mir ists auch so recht und ich kann gar nichts dawider haben, wenn es eben sein muß,«

»Wenn es sein muß! Das zeigt mir, daß Sie bereit sind, zu resignieren, die Resignation ist aber die rechte Zufriedenheit nicht.«

97 »Ich weiß von der Welt noch recht wenig, Frau Simbach, aber das weiß ich doch schon, daß man es sich nicht immer so einrichten kann, wie man möchte. Ich bescheide mich, warum denn nicht? Wenn Sie mir aber sagen, daß es nicht sein muß, dann greife ich mit beiden Händen zu. Mir ist zu Mute wie einem jungen Studenten, der sich im ersten Freudenrausch seiner akademischen Freiheit befindet. Ich möchte – es ist schrecklich, Frau Simbach, – die ganze Welt austrinken!«

Frau Simbach fand das allerdings schrecklich, aber es war dabei doch etwas, was ihr auch schrecklich schön dünkte. Ein Gefühl machte sie besonders ängstlich: Piroska sollte unter ihrem Schutze stehen, und vom ersten Augenblick an hatte sie nun die Empfindung, daß sie unter dem Schutze Piroska's stehe.

Wenn es sein muß! Das Wort machte ihr Sorge.

Sie selbst hatte sich immer zufrieden gefühlt in ihrer kleinen Häuslichkeit; sie hatte nie daran gedacht, daß diese Piroska nicht genügen werde, aber nun begriff sie es vollauf, daß eine vornehm erzogene junge Dame andere Ansprüche an das Leben zu stellen berechtigt sei, 98 als eine bejahrte Beamtenswittwe, die im Genusse einer Gnadenpension stand.

Es mußte also anders werden. Und warum auch nicht? Sander hatte ihr keine bestimmte Weisung erteilt, wie viel Geld sie ausgeben dürfe, aber er sagte, daß Piroskas Wünsche nach Thunlichkeit zu berücksichtigen seien. Es war doch anzunehmen, daß seine Pflegetochter anders gehalten werden dürfe, als eine alte Pensionistin. Frau Simbach geriet in förmliche Aufregung bei diesen Gedanken und schoß in der kleinen Wohnung herum, um wenigstens jetzt und vor der Hand ihr den Aufenthalt in derselben so behaglich wie möglich zu machen. Der eine Prozeß war jedenfalls schon entschieden: Frau Simbach hatte sich ihrem Schützling untergeordnet; sie war ihr mehr Dienerin als Mutter; Piroska war Herrin.

Für das erste Mittagsmahl unter den neuen Verhältnissen hatte Piroska, nachdem sie ihr Stübchen sich nach ihrem Geschmacke eingerichtet hatte, sich festlich gekleidet.

»Wie schön Sie sind, Piroska!« rief Frau Simbach bewundernd, als sie bei Tische saßen. »Wie schön Sie sich gemacht haben, – und für wen?«

99 »Für wen? Für mich, für Sie, Frau Simbach. Für mich ist das heutige Mahl ein Fest. Der erste Tag der Freiheit verdient doch, durch ein Festmahl gefeiert zu werden. Der Vormund ist nicht hier; Sie sind eine gute, liebe, nachsichtige Frau, und da steigt mir der Größenwahn auf. Ich komme mir vor als meine eigene Herrin. Das ist ein Hochgefühl, Frau Simbach, wenn man so lange als braves Schulmädchen hat aufs Wort folgen müssen.«

Frau Simbach sah eine vollaufgeblühte junge Weltdame vor sich; sie mußte lachen über den Ausdruck Schulmädchen.

»Sie sollen auch Ihre eigene Herrin sein, Piroska,« sagte sie mit Überzeugung, »und wir wollen es uns nach Ihren Wünschen einrichten, so gut wir können. Sollen wir eine größere, elegantere Wohnung nehmen?«

»Mit Vergnügen, wenn wir können, wenn wir dürfen. Ich weiß ja gar nicht, in welchen Verhältnissen ich lebe. Habe ich überhaupt ein Vermögen und wie groß ist es?«

»Ich weiß es nicht.«

»Wie viel dürfen wir ausgeben?«

100 »Ich weiß es nicht.«

»Ja, da lebe ich ja wie eine verzauberte Prinzessin, von der kein Mensch etwas weiß!«

»Ich will Ihnen etwas sagen, Fräulein Piroska. Wir wollen es einmal darauf ankommen lassen und versuchen, wieviel wir ausgeben können.«

»Gut, das wollen wir!« rief Piroska freudig in die Hände klatschend. »Wir lassen es darauf ankommen, und wenn es schief geht, lassen wir uns einsperren, Frau Simbach!«

Noch an demselben Tage machten sich die zwei Frauen auf die Wohnungssuche und hatten auch bald etwas sehr Hübsches und Passendes in der Nähe des Rathausgartens gefunden. Vier Zimmer mit Erkern und Balkons im ersten Stockwerk, mit prächtiger Aussicht ins Grüne, die Zimmer prächtig tapeziert, in allen Räumen elektrische Beleuchtung, alle Nebendinge, wie Badezimmer, Dienerkammer, Vorzimmer, Küche, alles vollkommen entsprechend, – und das alles sollte nur achtzehnhundert Gulden jährlich kosten.

»Wir wollen's uns noch einmal überlegen,« sagten die beiden Damen, als sie sich alles angesehen hatten.

101 »Würde Ihnen das gefallen, Piroska?« fragte Frau Simbach, als sie wieder auf der Straße waren und nun das schöne Haus von außen betrachteten.

Piroska nickte heftig und meinte, daß ihr das sehr gefallen würde.

»Dann wollen wir unser Glück weiter probieren,« sagte Frau Simbach und führte Piroska in die Kanzlei der Firma Sander. Die Fabrik selbst befand sich nämlich im Semmeringgebirge, die Bureaux dagegen in Wien.

Frau Simbach führte dem Hauptkassier, Herrn Becher, Piroska als »unsere Pflegetochter« auf und trug ihm die Wohnungsangelegenheit vor. Herr Becher nahm den Fall zur Kenntnis, notierte die Adresse und erklärte, daß der Mietzins von ihm aus zu den Terminen immer pünktlich entrichtet werden solle.

»Damit wird es aber nicht abgethan sein,« fügte Herr Becher hinzu. »Man wird die Wohnung auch einrichten müssen. Wollen das die Damen selber besorgen, oder sollen wir das Nötige veranlassen?«

Frau Simbach blickte fragend auf Piroska, diese erklärte sofort und ohne Zögern, daß sie es vorziehe, das selbst im Vereine mit Frau Simbach zu erledigen.

102 »Das ist auch viel zweckmäßiger,« bestätigte Herr Becher. »Ich bitte also nur auszusuchen und die Lieferanten mit den Rechnungen an uns zu weisen. Inzwischen wird es doch auch gut sein, wenn Sie für die laufenden kleineren Ausgaben Geld in der Hand haben, damit Sie nicht wegen jeder Kleinigkeit zu mir schicken müssen. Wollen Sie die Güte haben, Frau Simbach, mir die Bestätigung zu unterschreiben?«

Er fertigte mit geschäftsmäßiger Raschheit eine Bestätigung aus. Frau Simbach unterschrieb, nahm ein Päckchen Banknoten in Empfang und dann empfahlen Sie sich wieder.

»Ich habe ordentlich Herzklopfen,« sagte Frau Simbach, als sie wieder auf der Straße waren.

»Warum denn, Frau Simbach?«

»Ich habe in meinem ganzen Leben noch nicht so viel Geld auf einmal in der Hand gehabt. Tausend Gulden hat er mir gegeben!«

»Es scheint also, daß wir's thun können. Desto besser.«

Die Wohnung wurde also aufgenommen, und nun ging es ans Einrichten derselben. Die Besorgungen machten Piroska viel Vergnügen.

103 »Das ist lustig, Frau Simbach,« sagte sie, »so viel Schönes zu sehen und sich nach Geschmack und Neigung wählen zu dürfen.«

Frau Simbach fand das weniger lustig; denn sie stand dabei Todesängste aus. Sie hatte nie in ihrem Leben mit solchen Summen, wie sie da ins Spiel kamen, gerechnet, geschweige denn manipuliert. Piroska mußte sie immer nur beruhigen.

»Machen Sie sich keine Sorge, Frau Simbach. Man würde mir's nicht geben, wenn ich's nicht hätte. Ich weiß zwar noch immer nicht, wie viel ich ausgeben darf, ohne leichtsinnig zu sein, wir versuchen ruhig, wie weit es geht. Es ist so eine Art Belastungsprobe. Ich zweifle nicht, daß man uns zu rechter Zeit das Warnungssignal geben wird; darnach werden wir uns dann richten.«

»Ich glaube selbst, daß Herr Sander seinem Hauptkassier schon die nötigen Weisungen gegeben haben wird, und Herr Becher ist, wie ich ihn kenne, nicht der Mann danach, uns ins Blaue hinein wirtschaften zu lassen. Er wird gewiß schon reden, wenn es an der Zeit ist.«

»Wenn dann der Moment gekommen ist, wo man 104 uns Halt zuruft, dann bremsen wir eben. Das Unglück wird nicht groß sein. Vorläufig aber bleibe ich dabei: wir thun das Unsrige und probieren die Geschichte aus.«

Die Wohnung ward mit auserlesenem Geschmack eingerichtet.

»Das ist ein wahres Schmuckkästchen!« rief Frau Simbach begeistert, als sie das neue Heim bezogen.

Piroska wollte das aber nicht Wort haben. Ein Schmuckkästchen sei nichts so besonders Schönes, und jedenfalls möchte sie nicht in einem solchen wohnen.

Sie hatten nun ein schönes Schlafzimmer für Piroska, zu dessen dekorativer Ausstattung Seide in zartem Blau und in Blaßrosa verwendet worden war, ein schlichteres Zimmer für Frau Simbach, einen vornehmen Salon und ein stattliches Speisezimmer. Die Fußböden waren durchgehends mit einfarbigen Teppichen bespannt, auf welche dann noch an schicklichen Stellen kleinere, persische Teppiche von hohem Farbenreiz gebreitet waren.

Herr Becher hatte zu den einlaufenden Rechnungen nie eine Bemerkung gemacht, er hatte nicht einmal mit der Wimper gezuckt. Und die Rechnungen waren nicht 105 gering. Denn Piroska hatte Geschmack, und der Geschmack kostet Geld. An den Wänden hingen gute, teuere Stiche und wertvolle Gemälde bekannter Meister. Die Zumutung, schöne, blanke Ölfarbendruckbilder aufzuhängen, die Frau Simbach ebenso gut gefallen hätten, und die den Vorzug hatten, wesentlich billiger zu sein, hatte Piroska immer standhaft von sich gewiesen.

Bei alledem ging beiden Frauen die Unklarheit ihrer Verhältnisse doch im Kopfe herum. Frau Simbach wurde einmal mit der diplomatischen Mission betraut, sich bei Herrn Becher Klarheit über die Vermögenslage Piroskas zu verschaffen. Der Versuch mißlang aber. Herr Becher gab keine Aufschlüsse, sondern erklärte, daß Frau Simbach unbesorgt sein könne, die Sorge und die Verantwortung für die Geldangelegenheit habe er allein zu tragen.

Piroska wollte sich aber damit nicht zufrieden geben und beschloß, der Sache selbst auf den Grund zu kommen. Sie begab sich persönlich zu Herrn Becher, um sich reinen Wein einschenken zu lassen.

»Herr Becher,« sagte sie ihm, »ich lebe in den Tag hinein, ohne zu rechnen.«

106 »Sie haben keine Ursache, zu rechnen.«

»Ich würde es aber vorziehen, vernünftig zu wirtschaften.«

»Nichts hindert Sie daran.«

»Man kann aber nicht vernünftig wirtschaften, wenn man nicht weiß, wie man steht. Dürfen Sie mir nicht sagen, was ich besitze?«

»Ich kann es nicht, weil ich es nicht weiß.«

»Aber Sie haben bestimmte Aufträge von Herrn Sander. Darf ich wissen, wie diese lauten?«

Becher langte in seine große eiserne Kasse und griff einen Akt heraus.

»Hier sind die eigenhändig geschriebenen Instruktionen meines Chefs für die Dauer seiner Abwesenheit. Das meiste bezieht sich auf die Fabrik und das Geschäft. Hier auf Seite 17 ist ein kurzer Absatz Ihrer Person gewidmet. Er lautet: ›Piroska Wallis. Es ist für sie zu sorgen und ihre Wünsche und Bedürfnisse sind nach Thunlichkeit zu berücksichtigen. Dabei hat als Grundsatz zu gelten bei Erledigung aller zweifelhaften Fälle, daß sie anzusehen ist wie meine wirkliche Tochter oder 107 meine Schwester.‹ Das ist alles, für mich ist es aber vollkommen ausreichend und klar.«

Damit faltete er den Akt wieder zusammen und legte ihn wieder in die große Eiserne.

»Und wenn mir heute einfiele,« nahm dann wieder Piroska das Wort, »zu sagen, daß ich eine Equipage haben möchte?«

»Dann würde sie morgen früh vor Ihrem Hausthor zu Ihrer Verfügung stehen.«

»Ich bitte darum.«

»Der Wagen wird morgen bereit stehen, und zwar je nach der Witterung ein offener oder ein geschlossenes Coupé.«

»Das wird mich freuen.«

»Haben Sie besondere Wünsche die Farbe der Pferde betreffend?«

»Ich würde zwei schönen gleichen Rappen den Vorzug geben.«

»Soll das Gefährt den Charakter einer Equipage oder den eines unnummerierten Fiakers haben. Der Unterschied ist lediglich der, daß für erstere der Kutscher livriert werden müßte. Wünschen Sie das?«

108 »Ich ziehe den Unnummerierten vor.«

Piroska ging nach Hause und erzählte ihrer mütterlichen Freundin zunächst nichts von der neuen Errungenschaft. Erst am nächsten Morgen, als sie nach eingenommenem Frühstück noch beisammen saßen, sagte Piroska leichthin über das Zeitungsblatt hinweg, das sie gerade las:

»Frau Simbach, möchten Sie wohl die Güte haben, vom Balkon aus nachsehen, ob der Wagen vor der Thüre steht?«

»Der – wer?« fragte erstaunt Frau Simbach, die nicht recht verstanden zu haben glaubte.

»Der Wagen, unser Wagen; bitte, sehen Sie doch nach.«

Frau Simbach begab sich kopfschüttelnd auf den Balkon und meldete dann aufgeregt:

»Unten steht wirklich ein Wagen, aber ob –«

»Kein Aber und kein Ob, Frau Simbach. Das Wetter ist schön, wie wär's denn, wenn wir eine Spazierfahrt in den Prater machten?«

»Ach, da muß ich aber gleich mein Seidenkleid anziehen!« rief Frau Simbach in großer Erregung und verschwand sofort in ihr Zimmer.

109 Als sie dann aus dem Hause traten, meinte Frau Simbach ängstlich und im Flüstertone, ob es nicht rätlich sei, doch erst vorher sich zu erkundigen.

»Unnötig,« erwiderte Piroska, dann rief sie den Mann auf dem Bocke an.

»Kutscher!«

Der Mann sprang vom Bocke und stand mit dem Hute in der Hand neben seinem Wagen.

»In den Prater!« befahl Piroska.

Der Mann machte Anstalten, den Damen in den Wagen zu helfen, aber Piroska kommandierte weiter:

»Halt!«

Der Kutscher stand wie eine Mauer.

»Sie treten in meinen Dienst.«

»Küß' d'Hand, Ew. Gnaden!«

»Ich verlange, daß Sie sich brav aufführen, daß Sie nicht trinken und immer höflich sind. Haben Sie mich gut verstanden?«

»Aber – Ew. Gnaden!« rief der Kutscher und legte seinen »Stößer«, d. i. den Cylinderhut mit der schmalen, ungeschweiften Krämpe, beteuernd ans Herz.

»Dann sollen Sie auch monatlich Ihr besonderes 110 Trinkgeld von mir bekommen, aber es darf nicht das Geringste vorkommen, sonst –!«

»Ich führ' Ew. Gnaden bis ans Ende der Welt, ohne daß es eine Klage geben soll!«

»Dann ist's ja gut; also jetzt in den Prater!«

Das elegante Gefährt rollte lustig hinaus in den blinkenden Frühlingssonnenschein.

Frau Simbach fühlte sich stolz und erhaben in ihrem Seidenkleide, wie eine Königin-Mutter. Andererseits freilich verschloß sie sich der Erkenntnis nicht, daß ihre Unterwerfung nachgerade eine vollständige geworden sei. Sie hatte zwar nie nach der Herrschaft gestrebt, aber daß sie selbst so beherrscht werden würde, das hatte sie sich doch nicht vorgestellt. Da war auch nichts mehr zu machen; ihre Natur gab's nicht her. Piroska war so selbständig und sicher, wie hätte sie von Frau Simbach, die unsicher und unselbständig war, beherrscht werden sollen. Die gute Frau war von Haus aus so recht ein dienstbarer Geist und sie war von Bewunderung erfüllt über die Kourage, die Piroska dem noblen Kutscher gegenüber entwickelt hatte. Sie war darüber übrigens mit ihrer Philosophie bald im Klaren. So 111 von oben herunter reden zu können, das muß angeboren sein!

Von der vornehmen Spazierfahrt war Frau Simbach in gehobener Stimmung zurückgekehrt. Es ist doch schön, dachte sie sich, wenn man es so weit gebracht hat, so ausfahren zu können, und mit Recht kann man da von Tausenden beneidet werden. Nicht in gleichem Maße war aber Piroska von der Ausfahrt befriedigt; sie zeigte sich verstimmt und war wortkarg.

»Hat Ihnen denn die Fahrt nicht gefallen, Fräulein?« fragte sie erstaunt.

»Nein, Frau Simbach, und so werden wir auch nicht wieder ausfahren.«

»Ja, warum denn nicht, um des Himmels Willen?!«

»Weil wir ausgesehen haben wie die Köchinnen.«

»Wie Köchinnen!! Erlauben Sie – mein Seidenkleid –«

»Oder wie Klosterfrauen, wenn Ihnen das besser gefällt.«

»Wie Klosterfrauen! Ich verstehe Sie nicht. Ihre blaue Toilette ist wunderschön, und was mein Seidenkleid betrifft, – wissen Sie, was der Meter –«

112 »Jetzt hören Sie mir nur mit Ihrem Seidenkleid auf! Packen Sie sich das gut ein, Frau Simbach. Denn ich erkläre Ihnen, daß Sie das in meiner Gesellschaft nicht mehr anziehen werden.«

Darauf schwieg Frau Simbach tief gekränkt und in ihrem Stolze verwundet, Piroska aber fuhr nach einer Weile des Sinnens fort:

»Geschämt habe ich mich, Frau Simbach, wirklich geschämt, und ich wundere mich, daß Sie dafür kein Auge haben, wie wir da abstachen. Es war gräßlich!«

Gräßlich! Frau Simbach hatte sich das Gräßliche bisher immer eigentlich etwas anders vorgestellt, aber daß sie da nicht den richtigen Blick gehabt habe, daran mochte doch vielleicht etwas Wahres sein.

»Man hat uns aber doch vielfach bemerkt,« wagte sie trotzdem einzuwenden.

»Und gleichzeitig auch ausgelacht oder wenigstens bespöttelt.«

»Fräulein Piroska! Man hat Sie bewundert; Sie bespöttelt man nicht,« erwiderte Frau Simbach gutmütig und aus ehrlicher Überzeugung heraus.

113 »Aber ich weiß,« gab Piroska zurück, »daß ich so nicht wieder in den Prater fahre; nicht um ein Schloß! Ich habe mir die Gesellschaft im Korso wohl angesehen, sehr genau, und nun weiß ich, daß man solche Dinge entweder mitmacht, oder nicht mitmacht.«

»Ganz meine Ansicht!«

»Wenn man sie aber mitmacht, dann muß es seine Art haben und man darf nicht auffallen.«

»Aber, um Gottes Willen, wir haben uns doch nicht auffällig gemacht!«

»Das haben wir allerdings; wir waren abscheulich unmodern, und ich habe in verschiedenen Blicken die erstaunte Frage gelesen: Wo hat man denn die Zwei ausgelassen?«

»Was die Herren betrifft, Fräulein, so schwöre ich, daß sie nicht so geblickt haben!«

»Mir genügt es, wenn die Damen so blicken und die haben so geblickt. Ich will mich auch vor ihnen nicht blamieren. Ich kannte den Stil nur noch nicht, weil ich in meinem Leben noch nichts gesehen hatte, aber jetzt weiß ich ungefähr, wie man sich anzuziehen 114 hat für eine Spazierfahrt am Vormittag. Die Damen standen da alle unter einem Gesetz, sie waren durchwegs elegant und diskret angezogen, und ich bin da mit meinem knalligen Sonntagskleid aus der Pension förmlich herausgefallen. Es war einfach abgeschmackt. Ich ziehe es auch nicht mehr an. Wenn Sie sich's zu einem Hauskleid umarbeiten lassen wollen, Frau Simbach, dann nehmen Sie sich's nur getrost!«

»Oh, das giebt noch eine Staatstoilette für mich!« rief Frau Simbach hocherfreut.

»Was Ihre Staatstoiletten betrifft, Frau Simbach, so werde ich mir erlauben, auch da ein Wort dreinzureden. Ich werde schon dafür Sorge tragen, daß auch Sie immer passend angezogen sind. Wo haben Sie eigentlich Ihr Seidenkleid her?«

»Oh, das ist ein gutes Kleid,« antwortete Frau Simbach geschmeichelt und schon wieder versöhnt. »Den Stoff habe ich auf der Mariahilferstraße gekauft, gemacht hat es mir aber eine Hausschneiderin, die achtzig Kreuzer für den Tag bekam – und die Kost. Sie war eine sehr geschickte Person, die Arme; sie ist schon seit sechsundzwanzig Jahren tot.«

115 »Seit sechsundzwanzig Jahren! Da ist ja das Kleid mindestens auch so alt!«

»Bald achtundzwanzig; oh, es ist etwas fürs Leben!«

»Ich wollte die Adressen nur wissen – zur Sicherheit. Die Schneiderin haben wir jedenfalls nicht mehr zu fürchten. Wir werden nämlich noch heute Bestellungen machen, für mich und für Sie, und zwar bei der Lysiart.«

»Mich trifft der Schlag! Dort kostet ein Kleid ein Vermögen!«

»Überlassen wir die Sorge Herrn Becher, er wird sich schon melden, wenn es ihm zu viel wird. Wenn man uns einen Wagen einräumt, so folgt schon daraus, daß man uns auch in die Lage setzen muß, ihn benützen zu können.«

 


 


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