Balduin Groller
Die Tochter des Regiments und andere Novellen
Balduin Groller

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Bürgerlich.

Nun wußte es auch Georg Hütter, was alle Welt schon längst wußte, daß ihn seine Frau betrog, schmählich, infam betrog. Von selber wäre er überhaupt nie darauf gekommen, denn er war arglos und scharfe Beobachtung und Menschenkenntnis war nicht seine Stärke. Da hatten erst gute Freunde nachhelfen müssen, und zwar durch das vorgeblich immer unbeachtet bleibende und doch niemals ganz wirkungslose Mittel der anonymen Briefe. Ein verachtetes und mit Recht verachtetes Mittel, aber die Freunde hatten da doch einige gute Gründe, die Sache vor ihrem eigenen Gewissen zu beschönigen. Ihm die Augen zu öffnen war doch Freundespflicht, na – und ins Gesicht sagt man so etwas einem Menschen doch nicht; zudem spricht eine alte Erfahrung dafür, daß es nicht gut sei, sich 170 vermittelnd oder trennend zwischen zwei Eheleute zu drängen. Man spielt immer eine schlechte Figur dabei. Wissen mußte er es aber doch, also –!

Über ein Motiv freilich mögen sich die guten Freunde in ihren besorgten Gemütern keine Rechenschaft gegeben haben, obschon es wohl mitgewirkt haben mag. Wir Menschen sind einmal so, daß wir in jedem Unglück unserer Freunde etwas zu finden wissen, was uns eine stille Genugthuung, wenn nicht gar eine sinnige Freude bereitet.

Es war nicht schwer, durch jenes freundschaftliche Mittel bei Georg Hütter eine Wirkung zu erzielen, und schließlich wird es ja auch nicht leicht einen Mann geben, bei dem ein solches Mittel gar nicht verfängt. Als er den ersten der Briefe erhielt, schlief er die Nacht nicht, und es gingen ihm, während er so schlaflos dalag, tausend Gedanken durch den Kopf. Alle französischen Romane, die er in seinem Leben gelesen, wirbelten ihm im Gehirn durcheinander. Er sah sich als Marquis, der in seinem Prunkgemache auf dem Schlosse seiner Väter die feige, namenlose Denunziation krampfhaft mit den Fingern zerknittert und dann mit edler Geberde in 171 den Kamin wirft, und der dann, als die letzte Aschenflocke verglimmt war, sich schmerzlich mit der wohlgepflegten Hand über die Augen fährt. Das Vorbild schien ihm gut und würdig, und schon dachte er daran, aufzustehen und das Beispiel zu befolgen, als ihm einfiel, daß er ja gar keinen Kamin habe, und erst ein Zündhölzchen anzureiben, um das Vernichtungswerk zu vollbringen, das entsprach doch nicht ganz dem Ernst und der Größe des Moments. Oder er fühlte sich als der Vicomte, der der Vicomtesse – verführerisches weißes Spitzen-Negligé – beim Frühstück den Brief überreicht, damit sie ihn lese. Er küßt sie dann auf die reine weiße Stirn, und damit ist die häßliche Episode abgethan.

Georg Hütter war eine ehrliche Natur, und all diese erlogenen Sachen konnten ihm wirklich nur im Halbschlaf und im Traumwachen einfallen. In Wahrheit war ihm einfach elend und durchaus nicht kavaliermäßig zu Mute. Fünf Jahre war er nun verheiratet und niemals war ihm auch nur der Gedanke gekommen, daß das überhaupt möglich sei, was da mit brutaler Deutlichkeit als bestimmt erwiesen bezeichnet war.

172 Seine Frau war schön; ihrer Schönheit wegen hatte er sie geheiratet, und er erfreute sich dieser Schönheit immer von neuem, und immer erfüllte es ihn mit einem Glücksgefühl, daß die Gewohnheit seine Empfänglichkeit für diesen Eindruck nicht abgeschwächt und abgestumpft habe. Auch nicht eine Minute der Unruhe und des Zweifels hatte er gehabt. Die Kluft, die das ehrliche Weib von dem schlechten scheidet, ist ja eine so ungeheure, daß der geringste Zweifel schon blutiger Schimpf ist. Darum hatte er auch bis dahin nie das Gefühl der Eifersucht kennen gelernt. Eifersucht ist ja schon Zweifel, mehr noch, er ist der Glaube an die Untreue oder an die Möglichkeit der Untreue. Und wird durch einen solchen eine ehrliche Frau nicht beschimpft? Und weiter. Zweifel und Eifersucht sind Leiden und Qualen. Wenn nun eine Frau so tief sinken kann, daß Zweifel und Eifersucht berechtigt wären, verdient es die noch, daß man sich um sie gräme? Nichts wäre dümmer als das.

Wie Georg Hütter im praktischen Leben ein Pedant war, so hatte er auch seine Gefühlswelt in schönster Ordnung. Es gab da keine Unklarheit; er war mit 173 sich fertig und eingerichtet und ausgerüstet für alle Fälle. Wenn aber ein Pedant irrt, dann irrt er groß, und was seine schön geordnete Gefühlswelt betrifft, so war sie durch den jähen, unvermuteten Stoß gänzlich durcheinander geraten. Die Theorie, daß eine schlechte Frau nicht verdient, daß man sich um sie gräme, war ja eine vollkommen klare und vernünftige, sie hatte nur den Fehler, daß die Wirklichkeit sich nicht nach ihr richten wollte. Hütter grämte sich doch.

Er trug die Sache mehrere Tage mit sich herum, unschlüssig darüber, was nun zu thun sei. Die anonymen Briefe einfach unbeachtet zu lassen, das ging ihm wider die Natur. Er war seiner für die Zukunft durchaus nicht sicher. Die vergifteten Pfeile hatten einmal ihr Ziel getroffen, sie saßen. Es stand, das wußte er, gar nicht mehr in seiner Macht, zu verhindern, daß das Gift sich weiter fresse. Eher war noch von dem Schritte etwas zu erhoffen, wenn er seiner Frau die schmählichen Anklagen zur Kenntnis brachte. Die beleidigte Ehrenhaftigkeit weiß überzeugende Töne zu finden, und sein ganzes Lebensglück wäre wieder ins Gleichgewicht gebracht worden, wenn es ihr gelang, ihn zu überzeugen.

174 Wenn es gelang?! Sein Vertrauen war erschüttert, und ein erschüttertes Vertrauen ist ein verlorenes Vertrauen. Nie im Leben hatte er auch nur einen Augenblick an seiner Frau gezweifelt, und nun, da die Anschuldigung vorlag, und er sie kühl und ruhig überdachte, mußte er sich sagen, es sei die Möglichkeit, daß sie begründet ist, nicht ausgeschlossen.

Man wollte ihm die Augen öffnen, hieß es in einem der Briefe. »Die Augen öffnen« nennt man diese menschenfreundliche Prozedur, und diese Wendung war in dem gegebenen Falle eine sehr treffende. Früher hatte er die Augen nicht offen, und er sah nichts, konnte nichts sehen. Die Einzelheiten der Anklagen hatten vieles für sich. Seine Ehe war ja eine friedliche und ungetrübte gewesen, aber er konnte sich sagen, daß das vorwiegend sein Verdienst gewesen. Das Temperament seiner Cora hatte ihn erfreut, oft beglückt, aber, wenn er es jetzt genau erwog, es schloß die Möglichkeit dessen nicht aus, was in jenen Briefen als feststehend und erwiesen angegeben war. Das blitzende schwarze Auge, dessen Strahl er sonst so gerne auf sich ruhen fühlte, es flößte ihm, wenn er sichs jetzt vorstellte, kein 175 Vertrauen mehr ein. Ihr Geist war beweglicher, leichter, vielseitiger, genialer als der seinige, aber das Gemüt – und die rechte Ehrenhaftigkeit wurzelt in diesem – das hatte ihn bei ihr doch manchmal frostig berührt. Auch das wäre ihm vielleicht niemals zum Bewußtsein gekommen, aber nun, nach der Erschütterung der augenöffnenden Operation drang auch das auf ihn ein.

Vielleicht, wenn sie Kinder gehabt hätten, wäre es nicht so weit gekommen, aber dieser Segen war ihnen versagt geblieben. Die kleine Wirtschaft zu Zweit konnte sie nicht ausfüllen und Sorgen hatte sie mit ihm nicht zu teilen; sie hatte zu wenig zum Tragen im Leben. Als Beamter einer großen Bank hatte Hütter ein bestimmtes Einkommen, und mit der eisernen Konsequenz des Pedanten hatte er darauf gehalten, daß die Ausgaben sich immer innerhalb der durch die regelmäßigen Einnahmen gegebenen Grenzen bewegten. Es gab da keine Extravaganzen, aber auch keine Unordnung, und infolgedessen keine Sorgen. Wenn Gelegenheit Diebe macht, so hatte sie hier ziemlichen Spielraum. Hütter verbrachte den Tag im Amte; er kam und ging mit planetarischer Pünktlichkeit, – und Cora, die sich 176 den Tag nicht auszufüllen wußte, hatte es mit dem gefährlichsten Feinde aufzunehmen, mit der Langweile.

Nein, er hatte kein Vertrauen zu ihr, nicht mehr, und er wollte ihr vorher nichts sagen. So war eine Lösung nicht zu erwarten. Wenn er betrogen war, sollte er sich auch noch belügen lassen? Vielleicht gelingt es ihr, sich auszureden, ihn zu überreden, ihn für den Augenblick zu überzeugen – und er ging hin und überzeugte sich.

Er hatte nicht lange zu warten. Die anonymen Briefschreiber waren gut unterrichtet. Ort und Zeit und alle Umstände waren genau angegeben. Cora scheint von seiner Pünktlichkeit angenommen zu haben. Von den Thurmuhren schlug es eben durcheinander fünf Uhr, als ein Fiaker rasselnd vor einem Hause der Nibelungengasse parierte. Cora stieg aus und verschwand rasch in der Thoreinfahrt. Man fährt also im Fiaker. Er hatte sich eine gedeckte Position gewählt und war ziemlich sicher, von ihr nicht gesehen zu werden; aber wenn auch – jetzt war nichts mehr zu leugnen und nichts zu beschönigen. In dem Hause im Hochparterre wohnte der junge Mühlhaus, mit vollem Namen Victor Ritter 177 von Mühlhaus, der Sohn des Generaldirektors der Bank, bei der Hütter angestellt war.

Hütter stand und wartete, und während er so dastand, überkam ihn zunächst ein Gefühl der Scham. Er hätte sich das Gesicht verhüllen mögen, weil er sich vor den ahnungslosen Menschen schämte, die auf der Straße an ihm vorüberhasteten. Seine Frau dort d'rin, er, der Mann, hier an der Straßenecke; er schämte sich für sich und sein gesunkenes, verlorenes Weib. Wie ihm in jener schrecklichen Nacht die französischen Romane eingefallen waren, so mußte er jetzt an alle französischen Einbruchskomödien denken, die er in den verschiedenen Theatern gesehen, aber keiner der großartigen und effektvollen Posen fühlte er sich gewachsen.

Töte sie! Töte ihn! Töte dich selbst!

Keiner von diesen Imperativen konnte ihm einleuchten. Dergleichen gehört auf die Bühne, im Leben wickelt sich die Sache nicht mit der wünschenswerten dramaturgischen Präzision glatt ab. Am ehesten hätte er sich noch zu dem letzten Ausweg entschlossen, sich selbst zu töten, denn das fühlte er, daß in sein Leben ein gewaltiger Riß gekommen sei. Es war ein 178 Aktschluß da, und vielleicht war es doch am besten, die weiteren Akte nicht mehr mitzuspielen. Aber mit dem Ekel an dem Leben wandelte ihn auch gleichzeitig ein Ekel an vor ihr – sie war es nicht wert, daß ein ehrlicher Mann ihrethalben aus dem Leben gehe.

Er überlegte, ob er nicht in die Wohnung dringen solle. Es mußte gelingen, sei es unter einem listigen Vorwand oder mit Gewalt. Und dann, sie ohrfeigen, beide, es hätte doch vieles für sich. Die Vorstellung erfrischte ihn, wie den in Sonnenglut Schmachtenden ein kühler Windhauch. Die Vorstellung war eine wollüstige und wirkte auf ihn mit der Kraft einer Versuchung. Er widerstand. Er kannte sich und wußte, daß er es nicht über sich bringen werde, ein Weib zu schlagen, und sich nur mit ihrem Liebhaber zu balgen, das schien ihm hier doch nicht angemessen. Dabei blitzte ihm ein anderer Gedanke auf: er wird den Menschen zu einem Zweikampf auf Leben und Tod herausfordern. Auch dieser Gedanke wirkte nur einen Moment verführerisch, und dann gab er ihn auf.

Er glich einem Dürstenden, der vor allen Dingen und um jeden Preis seinen Durst stillen wollte, und er 179 erkannte, so war sein Durst nicht zu stillen. Es war auch keine Gerechtigkeit dabei. Hatte jener junge Mensch den Tod verdient, dann konnte er ihn ja gleich niederschießen, ohne es erst auf das blinde Zufallsspiel des Duells ankommen zu lassen. War sein Verbrechen ein solches, auf welches Todesstrafe gesetzt werden mußte? Wie bald hätte sich ein anderer gefunden, um, ohne sonderlich von Gewissensqualen bedrückt zu werden, dasselbe Verbrechen zu begehen. Der junge, reiche Tagedieb hatte ihm nicht vor Gott und der Welt Treue gelobt – sein Verschulden war das geringere. Allerdings, wenn ein Mensch sich in ein Haus schleicht und dort ein Kleinod stiehlt, so hat er auch nicht vorher gelobt, dort nicht stehlen zu wollen, aber gestohlen hat er doch, und ein Dieb ist er doch. Trotz alledem stand hier die Sache etwas anders. Ein Thor ist immer willig, wenn eine Thörin will. Das Verbrechen hat sie begangen, denn sie hat geschworen.

Der Einbruch ist schmählich, noch schmählicher als die ungeheure Lüge ist der ungeheure Fall von der Höhe der ehrlichen Frau in die Tiefe, zu welcher sie nun gelangt ist. Und dann der Zweikampf. Er wurde 180 die häßliche Vorstellung nicht los von zwei Hirschen in der Brunst, die um ein Weibchen kämpfen. Er wollte weder der getötete, noch der überlebende Hirsch sein. Sein Durst würde nicht gestillt werden durch das Blut dieses jungen Menschen, und wenn er, der schwerbeleidigte und gekränkte Gatte, von dem Fant auch noch getötet werden sollte, es wäre zu dumm und zu lächerlich.

Hütter stand und wartete und sann, dann raffte er sich, wie vom Ekel geschüttelt auf und ging davon. Worauf hatte er da noch zu warten? Planlos irrte er in den Straßen herum, und dann zog es ihn doch wieder zurück zu seinem Beobachterposten. Er kam gerade zurecht, um sie aus dem Hausthor gehen zu sehen. Der Fiaker war weggeschickt worden, sie ging zu Fuß. Er ging ihr nach, von ihr unbemerkt. Jedes Stück, das sie anhatte, kannte er. Sie hatte mit besonderer Sorgfalt ihre besten Sachen gewählt. Wie zierlich und sicher sie mit ihren Goldlackstiefelchen dahinschritt, und die Spitzenvolants, die unter dem Kleidsaum hervorlugten – ah, sie versteht ihr Handwerk. Er biß die Zähne zusammen. »Kanaille!«

181 Es war spät, als Hütter nach Hause kam. Er hatte seine Frau nicht mehr wach finden wollen und hatte sich daher zu einer Flasche Wein ins Wirtshaus gesetzt, ein einsamer Zecher. Cora schlief, als er heimkam. Ein Moment der Schwäche überkam ihm als er sie ruhig schlummern sah, ein Moment nur, es war der erste seit der grausamen Erkenntnis und zugleich der letzte. Er hatte einen Moment Mitleid mit sich selbst und ihm war das Weinen nahe über sein zerstörtes Leben. Das ging rasch vorüber. Er löschte die Lampe und ging zur Ruhe.

Am nächsten Morgen setzte er sich an den Frühstückstisch und nahm seine Zeitung zur Hand, als sei nichts geschehen, nur daß er sie scheinbar aufmerksamer las als sonst. Dazwischendurch dachte er freilich an die ihm gewordene schmerzliche Offenbarung. Er überblickte sein Heim, das ihm so lieb geworden war; die kleine Wirtschaft war so schön in Ordnung – alles vorbei!

Er las die Zeitung vom Anfang bis zu Ende, viel länger als sonst. Cora mahnte ihn endlich. Es sei Zeit zum Aufbruch, er werde zu spät ins Amt kommen.

182 »Ich gehe nicht ins Amt,« antwortete er.

»Bist Du unwohl?«

»Nein; ich werde überhaupt nicht mehr ins Amt gehen.«

Als Cora ihn darauf bat, sich doch verständlicher auszudrücken, faßte er sie scharf ins Auge und sagte: »Allerdings, ich verliere mein Gehalt und meinen Pensionsanspruch, aber ich kann mich doch nicht von dem Vater des Liebhabers meiner Frau bezahlen lassen.«

Cora erbebte bei diesen Worten bis ins Innerste, aber noch hielt sie seinen Blick aus.

»Ich glaube, Du bist wahnsinnig geworden,« sagte sie mit gepreßter, heiserer Stimme.

Hütter reichte ihr die Briefe, die die brutalen, schonungslosen Anklagen enthielten. Sie las und es wurde ihr dabei schwarz vor den Augen. Sie fuhr sich mit der Hand über die Stirne, wie um den bösen Spuk zu vertreiben, der ihr die Besinnung zu rauben drohte. Totenblässe überzog ihr Gesicht und ihre Lippen nahmen eine bläuliche Färbung an. Nein, schön war sie in diesem Moment nicht, und Hütter wünschte im Stillen, daß ihr Galan sie doch auch so sehen möchte; 183 da wäre ihm wohl die Lust vergangen. Jetzt hielt sie auch nicht mehr Stand unter dem Blicke des verratenen Mannes, und ihr Haupt blieb gesenkt, als sie mühsam die Worte hervorbrachte: »Alles erlogen – ein nichtswürdiges Komplott!«

»Die Briefe enthalten Wahrheit, Cora. Du brauchst Dich nicht anzustrengen, neue Lügen zu ersinnen oder halbwegs glaubhafte Ausflüchte zu finden.« Er stockte. Es wurde ihm doch nicht leicht, zu sagen, was er noch sagen wollte, und er würgte an dem Worte, als er es endlich aussprach: »Ich habe Dich gestern gesehen, als Du seine Wohnung betratst, und ich – habe Dich gesehen, als Du sie verließest.«

Cora brach in sich zusammen, sie schluchzte laut auf, erhob, wie um Rettung flehend, die Arme, und es schien, als wolle sie ihm zu Füßen stürzen. Hütter wehrte mit einer Handbewegung ab.

»Lassen wir das. Ich werde Dir keine Scene machen und verlange von Dir keine. Das wenige, was wir noch zu besprechen haben, können wir in Ruhe besprechen.«

»Georg, ich schwöre Dir, ich habe Dich immer geliebt!«

184 »Schön; das interessiert uns aber jetzt nicht. Ich frage nicht, was Du nun zu thun gedenkst. Thue, was Du willst. Ich wünsche nicht, daß Du etwas versprichst; wenn Du nichts versprichst, lügst Du nicht. Ich muß Dir aber sagen, was ich beschlossen habe. Es ist selbstverständlich, daß wir auseinandergehen, in dieser Stunde noch.«

Cora schrie verzweifelt auf.

»Georg, das wirst Du mir nicht anthun! Georg, nur das nicht!« Ein konvulsivisches Schluchzen erschütterte ihren Leib.

»Es kann sich jetzt höchstens darum handeln, wer von uns beiden in dieser Wohnung bleibt. Ich könnte Dich jetzt einfach hinauswerfen; ich thu's nicht. Ich war niemals brutal mit Dir und will es auch jetzt nicht sein.«

»Georg, verlaß mich nicht!«

»Du wirst also bleiben und alles, was da ist, behalten. Meine Kleider, meine Wäsche und die paar Bücher, die ich habe, bringen wir in einem Korb unter, den ich heute noch abholen lassen werde. Ein Monatzimmer werde ich ja bald gefunden haben. Und damit wären wir fertig miteinander für dieses Leben.«

185 Cora ließ den Kopf auf die Tischplatte sinken; unaufhaltsam stürzten ihr die Thränen aus den Augen und sie wand sich in ihrer wilden Verzweiflung.

»Ich überlebe das nicht, Georg; ich gehe in die Donau!«

»Das kannst Du halten, wie Du willst. Vorläufig will ich in allem Ordnung machen, so gut ich kann. Ich weiß nicht, ob er Dich bezahlt, und wie?«

»Georg!«

»Ich weiß es nicht und wünsche es auch nicht zu wissen. Ich weiß auch nicht, wie er Dich stellen wird, wenn er sich eine andere nehmen wird; das ist ja so: man hält eine aus, morgen eine andere. Euer etwaiges finanzielles Rechtsverhältnis berührt mich nicht; für mich besteht es nicht, und ich halte es für meine Pflicht, auch weiterhin für Deinen Lebensunterhalt zu sorgen, ebenfalls so gut ich kann.«

»Wenn Du mich verlassen willst, dann brauchst Du für mich nicht zu sorgen. Dann brauche ich im Leben überhaupt nichts mehr.«

»Was ich an Gehalt bezogen habe, weißt Du. Die Hälfte dieses Betrages wird Dir monatlich zugestellt 186 werden. Jetzt freilich werde ich ohne Gehalt sein, aber meine Ersparnisse halten für zwei Jahre vor. Inzwischen hoffe ich, wieder eine angemessene Stellung zu finden. Ich traue mir zu, Dich immer wenigstens vor Not schützen zu können. Das übrige kümmert mich nichts mehr.«

»Georg, höre mich an, noch ein einzigesmal in diesem Leben! Ja, ich bin schuldig, ich habe Dich betrogen, aber es muß für alles eine Sühne geben, und ein zerstörtes Leben sollte Dir als Buße genügen. Ja, ich habe Deine Ehre vernichtet –«

Hütter blickte erstaunt auf, so plötzlich und so entschieden, daß sie in der Rede stockte.

»Meine Ehre?« fragte er ernst. »Was hat meine Ehre damit zu thun? Habe ich mir eine Ehrlosigkeit zuschulden kommen lassen? Meine Ehre – da reicht ihr nicht hinan, weder Du – noch er!« –

Sprach's und verließ sein Haus für immer.

 

 


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