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Der schreckliche Brief.

Das Mittagessen im Hause Grumbach hatte seinen Verlauf genommen wie gewöhnlich, wenn Dagobert zu Gaste war. Nach Tisch zog sich die kleine Gesellschaft ins Rauchzimmer zurück. Der Hausherr trank rasch seinen Schwarzen und mahnte dann zum Aufbruch. Es war nämlich abgemacht worden, daß er und Dagobert noch zu einer wichtigen Sitzung fahren sollten. Zu seiner Überraschung erklärte indes Dagobert, daß er keine Lust habe, an der Sitzung teilzunehmen. Er zöge es vor, der verehrungswürdigen Hausfrau noch Gesellschaft zu leisten. Die Hausfrau lohnte ihm diesen Entschluß mit einem dankbaren Augenaufschlag, und so ging denn Andreas Grumbach allein. Kaum war er draußen, als Dagobert auch schon begann: »Sie sehen, Frau Violet, ich habe Ihren Befehl erfüllt, aber –«

»Es war mein dringender Wunsch, Dagobert, daß Sie blieben, aber befohlen hatte ich doch nicht.«

»Meine liebe Gnädige, wenn ich nicht einmal Sie durchschauen könnte, dann hieß ich nicht der Tell und könnte mir ruhig das Lehrgeld zurückgeben lassen. Schon bei meinem Eintritt und dann bei Tisch die ganze Zeit sah ich es Ihnen am Gesicht an, daß Sie etwas auf dem Herzen hätten. Der Wunsch war dringend und die Verlegenheit groß. Ich zweifle nicht, daß, wenn ich jetzt mich erhoben hätte, um mich mit Ihrem Manne zu entfernen, Sie mich heimlich am Rockschoß gezupft hätten, um mich zum Bleiben zu veranlassen.«

»Dazu war ich allerdings entschlossen, Dagobert, als zum letzten Auskunftsmittel.«

»Das wollte ich eben vermeiden, und darum bin ich aus freien Stücken geblieben. Ich habe also Ihren Befehl erfüllt, aber – es gibt, wie ich schon vorhin andeutete, ein Aber dabei!«

»Was für ein Aber?«

»Man hat keine Geheimnisse vor seinem Manne, Gnädigste!«

»Wenn man aber sein Ehrenwort gegeben hat?«

»Es gibt Ehrenwörter, die man eben nicht gibt!«

»Sie haben recht. Sie werden sehen, daß die Sache sehr ernst ist. Wir bedürfen Ihrer Hilfe.«

»Lassen Sie hören!«

»Es ist ein Fall von allergrößter Wichtigkeit.«

»Er betrifft nicht Sie?«

»Nicht mich, aber meine beste Freundin. Warten Sie – jetzt ist's zehn Minuten nach dreiviertel auf sieben. In fünf Minuten wird sie selbst hier sein. Wir haben verabredet, daß sie um sieben da sein soll, um selber mit Ihnen zu sprechen. Die Sache ist nämlich die –«

»Nein, Frau Violet; jetzt bitte ich Sie, mir nichts zu erzählen. Wenn es da wirklich etwas für mich zu tun geben sollte, muß ich von Haus aus vorsichtig sein. Vor allen Dingen muß ich mich vor jeder Voreingenommenheit hüten. Ich verstehe mich einigermaßen auf die Psychologie der Zeugenaussagen. Es könnte Ihnen – ganz unabsichtlich natürlich – ein Wort oder eine Wendung entschlüpfen, die eine irrtümliche Auffassung bedingen würde, und ich wäre hinterher vielleicht nicht mehr in der Lage, festzustellen, ob ich mich dann im einzelnen auf Ihre Darstellung oder auf die Ihrer Freundin stütze, und ich könnte so auf einen Holzweg geraten. Ich ziehe es vor, mich unmittelbar durch Ihre Freundin selbst informieren zu lassen.«

»Das wird auch besser sein,« gab Frau Violet zu. »Jetzt will ich Ihnen nur rasch noch sagen, um wen es sich eigentlich handelt. Es ist die ...«

Bei Nennung des Namens machte Dagobert große Augen. »Donnerwetter – hat die eine kolossale Karriere gemacht! Ihr Mann ist einer der Großen, der Größten des Reiches! Ich habe sie ja auch gekannt – die kleine Käthe Gracht!«

»Natürlich haben Sie sie gekannt, und auch sie erinnert sich Ihrer mit Vergnügen. Wir waren Kolleginnen und an mehreren Bühnen zu gleicher Zeit engagiert. Sie ist um einige Jahre jünger als ich.«

Kaum hatte Frau Grumbach ausgeredet, als, vom Diener gemeldet, die Erwartete eintrat. Sie begrüßte Dagobert mit vieler Herzlichkeit als alten Bekannten, nachdem sie mit Frau Violet erst die üblichen Küsse getauscht hatte. Dagobert betrachtete mit dem Wohlgefallen des Kenners die zierliche, elegant herausstaffierte Frau. Sie hatte goldrotes Haar und glänzende schwarze Augen.

Man hielt sich nicht lange mit Förmlichkeiten auf, Dagobert ging gerade auf das Ziel los.

»Exzellenz haben Kummer gehabt?« fragte er.

»Hat Ihnen Violet erzählt?«

»Noch nicht. Ich wollte Ihre Geschichte von Ihnen selbst hören, Gräfin.«

»Es ist ein namenloses Unglück, Herr Dagobert,« begann sie, und ihre schönen Augen füllten sich mit Tränen. »Meine Ehre, meine ganze Existenz und damit mein Leben stehen auf dem Spiele. Violet hat versprochen, daß Sie sich meiner annehmen würden, Herr Dagobert. Ich flehe Sie an, retten Sie eine unglückliche und, ich schwöre es Ihnen – schuldlose Frau. Nur der Schein spricht gegen mich, aber der Schein kann mich zugrunde richten.«

»Erzählen Sie, Exzellenz, aber seien Sie aufrichtig, und beschönigen Sie nichts!«

»Ich habe nichts zu beschönigen. Vorgestern vormittags besuchte ich die Ausstellung im Künstlerhause. Ich hatte eine bestimmte Absicht dabei. Mein Mann war am Firnißtage unter den geladenen Gästen dort gewesen. Ich selbst war damals durch ein leichtes Unwohlsein verhindert. Als er nach Hause kam, sprach er mit Entzücken von einem Gemälde, einem Interieur der Malerin Olga Wisinger-Florian. Ich hörte das mit Vergnügen und faßte sofort den geheimen Plan, das Bild zu kaufen.«

»Ich kenne das Bild, Gräfin. Auch ich bin entzückt davon. Es ist mit großartiger Bravour gemalt und von wunderbarer Feinheit und Geschlossenheit in der Farbenwirkung. Auch ich habe mich um den Preis erkundigt. Es kostet achttausend Kronen.«

»Das stimmt alles, Herr Dagobert. Ich wollte also das Bild erst ansehen, obschon ich bereits entschlossen war, es zu kaufen. In vier Wochen ist der Geburtstag meines Mannes, und ich wollte ihn damit überraschen. Auch lag mir daran, der Künstlerin eine Freude zu machen. Ich verkehre mit ihr freundschaftlich und habe in ihrem Hause in angenehmer Gesellschaft Soireen mitgemacht. Das wäre also eine hübsche Revanche gewesen.«

»Haben Sie das Bild gekauft, Exzellenz?«

»Ich werde es kaufen – vorausgesetzt, daß nach dem, was vorgefallen ist, mir noch die Mittel bleiben werden. Das Bild hat aber mit meinen Sorgen nichts zu tun.«

»Das kann ich mir denken. Ich fragte nur, weil ich sonst vielleicht selbst mich doch noch entschließen würde.«

»Die Ausstellungssäle waren recht leer. Sie wissen, daß Ausstellungen und Galerien sehr müde machen. Ich setze mich also auf einen der herumstehenden Diwans, um ein wenig auszuruhen. Da tritt ein eleganter Herr an mich heran und grüßt. Ich erkenne ihn erst nicht, erhebe mich aber dann rasch und freudig erregt und strecke ihm beide Hände entgegen. Ein alter lieber Bekannter von mir und Violet aus der Zeit unseres Berliner Engagements, der geniale und sehr angesehene Rechtsanwalt Doktor Oskar Feld!«

»Wie sagten Sie, Gräfin?«

»Doktor Oskar Feld.«

»Ach sooo! Da geht mir allerdings ein Licht auf!«

»Ich wollte, es wäre mir beizeiten aufgegangen! Ich begrüße ihn also sehr freundschaftlich, erzähle ihm auch gleich brühwarm, weshalb ich die Ausstellung besucht habe, erzähle ihm von meinem Manne, und was ich für ein großes Glück gemacht hätte, wie man eben einem alten Freunde erzählt, den man ewig lange nicht gesehen hat.«

»Sie wußten nicht, Exzellenz, daß der Mann als Rechtsanwalt infam kassiert worden ist, und daß er seither der Reihe nach die großen Hauptstädte des Kontinents mit seiner Gegenwart beehrt, um sich recht und schlecht als Hochstapler fort zu bringen?«

»Nein, Käthe wußte es nicht,« warf hier Frau Violet ein, »hat es aber noch an demselben Tage von mir erfahren.«

»Ich wußte es nicht,« bestätigte die Gräfin, »fand aber sehr bald Anlaß, meine rasche Red- und Vertrauensseligkeit zu bedauern. Vielleicht wenn ich bei dieser zufälligen Begegnung nichts über meine gesellschaftliche Stellung und meine Verhältnisse ausgeplaudert hätte –!«

»Beruhigen Sie sich, Gräfin,« sagte Dagobert ernst. »Das war keine zufällige Begegnung. Solche Leute gehen nicht zum Vergnügen in menschenleere Kunstausstellungen. Das war ein ausgespähter und wohlvorbereiteter Überfall. Ich fange an, klar zu sehen. Bitte, erzählen Sie weiter!«

»Ja, wahrhaftig, Herr Dagobert! Es war ein vorbereiteter Überfall, sonst hätte unmöglich alles so klappen können. Wie ich so in aller Freundschaft und Herzlichkeit mit ihm rede, wird er auch zutunlich, versichert, daß auch seine Gefühle dieselben geblieben seien, und daß er mich noch immer so liebe wie früher. Das war also die erste Unverschämtheit, denn von Liebe ist zwischen uns niemals auch nur mit einem Worte die Rede gewesen. Es kam aber noch schlimmer. Als Beweis, wie sehr er mich liebe, möge nur dienen, daß er einen Brief von mir stets an seinem Herzen trage und sich nie im Leben von ihm trenne. Zweite Unverschämtheit! dachte ich mir. Später habe ich dann allerdings aufgehört, zu zählen. Ich erinnerte mich nicht, ihm jemals einen Brief geschrieben zu haben, und sagte ihm das entrüstet rund heraus. Da holte er seine Brieftasche hervor und entnahm ihr mit aller Sorgfalt einen Brief.

»Sie sehen, daß die Sache vorbereitet war!«

»Er hob ihn aus dem Umschlag »und ließ mich einen Blick in ihn tun.«

»War es eine Fälschung?«

»Nein, es war meine Handschrift. Die Schlußzeilen, die ich las, waren für mich einfach niederschmetternd. Ich schäme mich, davon nur zu reden.«

»Gleichwohl müssen Sie mir alles sagen, Gräfin.«

»Ich sehe ein, daß Sie alles wissen müssen, Dagobert. Dort stand zu lesen: »Wir erwarten dich bestimmt, mein Schatz. Mit tausend Küssen – deine Käthe Gracht.«

»Wieviel hat er für den Brief verlangt?«

»Das kommt erst später. Erst müssen Sie mir gestatten, mich zu rechtfertigen. Herr Dagobert! Halten Sie mich für fähig – glauben Sie wirklich – es ist entsetzlich! – daß ich ein unerlaubtes Verhältnis –!«

»Ich halte Sie fähig, Exzellenz – einer Unklugheit. Die haben Sie begangen.«

»Wer konnte aber an so etwas denken! Herr Dagobert, Sie wissen ganz gut, daß bei den Leuten vom Theater der Verkehrston ein leichter und ungezwungener ist. Man ist gleich dabei, sich mit Freunden und guten Bekannten zu duzen. Hier sitzt Violet als Zeugin. Haben wir uns nicht auch nicht Ihnen geduzt, Herr Dagobert? Und ist deshalb jemals auch nur ein unziemliches Wort zwischen uns gefallen?«

»Niemals, meine Gnädigste. Ich kannte Sie beide zu gut, um nicht genau zu wissen, daß ich mir auch nicht das geringste hätte erlauben dürfen.«

»Beim Burgtheater mag das ja anders sein. Das sind förmlich Hof- und Staatsbeamte, aber in der Provinz und auf der Schmiere! So haben wir also auch den großen, den berühmten Rechtsanwalt geduzt, der viel unter uns verkehrte und ein brillanter Gesellschafter war. Einmal hatten Violet und ich einen lustigen Abend veranstaltet. Es waren viele reiche und berühmte Leute dazu eingeladen, und es sollte eine Art Komiteesitzung werden. Wir hatten nämlich vor, eine Wohltätigkeitsvorstellung zusammenzubringen zugunsten einer armen, alten und kranken Kollegin. Feld, der als glänzender Redner einen Ruf hatte, sollte dabei eine schöne Rede halten und damit Stimmung für unser Unternehmen machen. Er sprach auch großartig, und wir konnten die Sache gut durchführen und unserer alten Freundin einen Reinertrag von zweitausendachthundert Mark übergeben. Um Feld nun sicher zu haben, zu gewinnen, schrieb ich ihm damals in jener scherzhaften Herzlichkeit. Ich kann aber beschwören bei allem, was mir heilig ist, daß er niemals auch nur einen einzigen Kuß wirklich bekommen hat. Die stehen nur auf dem Papier!«

»Immerhin hat er nun eine gefährliche Waffe in der Hand!«

»Dessen sollte ich zu meinem Schrecken sehr bald innewerden.«

»Was hat er verlangt?«

»Zunächst erklärte er, daß er ganz zufällig in mißliche Umstände geraten sei. Er wohne hier in einem der ersten Hotels – die erwarteten Geldsendungen seien ausgeblieben – ich müsse ihn flott machen.«

»Exzellenz ließen sich einschüchtern!«

»Ich versprach, ihn nicht stecken zu lassen. In dem Augenblick hatte ich ihm das Blaue vom Himmel herunter versprochen, aber dann, nachdem ich mir seine Adresse hatte geben lassen, kam doch noch etwas, was ich trotz alledem nicht versprechen konnte, was mich einfach starr machte. Er meinte, er werde die Geldaushilfe als kleinen Freundschaftsdienst mit Dank annehmen, aber eigentlich sei es ihm nicht darum zu tun gewesen, obschon er sie selbstverständlich unverzüglich erwarte. Was er von mir wolle, sei etwas anderes. Er strebe eine seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechende Lebensstellung an. Die könne und müsse ich ihm verschaffen. Ich solle es durchsetzen, daß er als Privatsekretär meines Mannes angestellt werde.«

»Sonst nichts?! Nun, Gräfin, glauben Sie noch immer an das zufällige Zusammentreffen?«

»Ich glaubte schon damals nicht daran. Er gab sich keine Mühe, sich nicht durchschauen zu lassen. Noch wußte ich nicht, wie es wirklich um ihn stand, alle näheren Einzelheiten erfuhr ich später erst durch Violet, aber ich wußte doch schon genug, um auf das tiefste empört zu sein über die freche Zumutung. Ich sollte mit ihm konspirieren, ihn zu meinem Manne bringen, ins Haus nehmen! Ich wandte mich, ohne eine Antwort zu geben, zum Gehen. Er hielt mich aber fest und sagte mit großer Bestimmtheit, während er mir drohend ins Auge sah: ›Sie werden es tun!‹ Ich schüttelte den Kopf, er wiederholte aber: ›Sie werden es bestimmt tun!‹ und dabei schlug er sich mit der flachen Hand auf die Brust, da wo er die Brieftasche hatte, in der sich mein Brief befand.«

»Kein Zweifel – der Mann versteht sein Geschäft!« »Ich flüchte mich halb ohnmächtig ins Sekretariat, wo ich noch wegen des Ankaufs einiges zu besprechen hatte, und bringe dort das Nötige in Ordnung. Wie ich mich dann zu meinem Wagen begebe, wird mir der Wagenschlag, statt von meinem Bedienten, von einem respektabel aussehenden älteren Herrn gehalten. Während ich einsteige, sagt er leise zu mir: ›Exzellenz haben in der Ausstellung mit einem Herrn gesprochen – ‹«

»Allerdings. Was ist's damit? Wer sind Sie?«

Er neigte sich in den Wagen und schlug dabei seinen Überrock ein wenig zurück, so daß ich den messingenen Doppeladler an seinem Rockaufschlag sehen konnte!

»Ah, ein Detektiv!« rief Dagobert. »Wahrscheinlich der alte Maurer. Ein ganz tüchtiger Mensch. Man merkt doch gleich, daß mein Freund, der Oberkommissär Doktor Weinlich, vom Urlaub wieder zurück ist! Was wollte er?«

»Er sagte: ›Ich wollte mir nur untertänigst erlauben, eine Warnung auszusprechen!‹ Damit schloß er den Wagenschlag, und ich fuhr davon, ganz betäubt von dem, was ich erlebt hatte. Gleich nach Tisch suchte ich Violet auf, um mich mit ihr zu beraten. Ich habe sonst niemanden auf der Welt, dem ich mich hätte anvertrauen können.«

»Käthe wußte,« nahm hier Frau Violet das Wort, »daß ich den Mann kannte, und zufällig konnte ich ihr auch völlig die Augen über ihn öffnen.«

»Und was haben Sie geraten, Frau Violet?« fragte Dagobert.

»Natürlich waren Sie mein erster Gedanke, Dagobert. Ich sagte sofort: wenn uns ein Mensch auf der Welt helfen kann, so sind Sie es!«

»Vielen Dank für die gute Meinung, Frau Violet, aber seither sind zwei Tage vergangen! Haben Sie gar nichts getan?«

»O doch, Dagobert, aber ich getraue mich gar nicht, es zu sagen!«

»Sie haben also ein schlechtes Gewissen, Frau Violet?«

»Ja, Sie werden uns auszanken – ich kenne Sie – aber wir konnten doch nicht anders.«

»Erzählen Sie, bitte!«

»Käthe wollte ihm Geld schicken, hatte aber augenblicklich nur zweitausend Kronen zur Verfügung. Ich fürchtete, daß das zuwenig sein werde und legte noch einen Tausendkronenschein bei. Ich weiß, daß Ihnen so etwas ganz gegen den Strich geht. Sie stehen auf dem Standpunkt, daß man sich durch einen Erpresser nicht einschüchtern lassen darf und ihn vom Fleck weg verhaften zu lassen hat.«

»So vom Fleck weg geht das nicht immer, aber sonst ist das im allgemeinen allerdings mein Standpunkt. Was aber nun unseren besonderen Fall betrifft, so werde ich die Damen nicht auszanken. Sie haben ganz richtig gehandelt. Wäre ich dabei gewesen, so hätte ich sogar vielleicht geraten, noch einen Tausendkronenschein mehr beizulegen. Frauen sind in diesem Punkte manchmal ein bißchen kleinlich. Immerhin wurde auch so der Zweck erreicht, ihm für einige Zeit den Mund zu stopfen. Darauf kam es allein an. Wie die Dinge lagen, hätte sich am Ende auch eine Verhaftung bewerkstelligen lassen, aber wir mußten befürchten, daß dann doch eine Notiz darüber in die Zeitung kommt. Man hätte weiter geforscht, und man hätte es herausgebracht – es ist eine Erpressung an der Gräfin Soundso versucht worden. Das mußte vermieden werden. Auch so eine Notiz schon kann zu einer Katastrophe werden. Sie haben ihm also das Geld geschickt. Hat er darauf ein Lebenszeichen gegeben?«

»Ja,« antwortete die Gräfin entrüstet. »Er hatte die Unverschämtheit, mir zu schreiben. Der Brief kam mit der übrigen Post, während wir beim Frühstück saßen. Mein Mann war mit seinen eigenen Briefen beschäftigt, ist im übrigen viel zu ritterlich gesinnt, um sich um meine Korrespondenz zu bekümmern. Er weiß ganz gut, daß ich sein Vertrauen niemals täuschen würde.«

»Was schreibt der Biedermann; kann ich den Brief sehen?«

»Ich habe ihn verbrannt.«

»Sie haben recht getan. Darf ich den Inhalt erfahren?«

»Ich habe mir ihn genau gemerkt. Er schrieb: Exzellenz Frau Gräfin! Mit Dank bestätige ich den richtigen Empfang der kleinen Abschlagszahlung auf Ihre Schuld und sehe gern baldigen und doch etwas ausgiebigeren Fortsetzungen entgegen. Dabei bitte ich Sie, die Hauptsache nicht zu vergessen, damit ich nicht genötigt bin, meine gerechten Ansprüche vor der Öffentlichkeit geltend zu machen!«

»Das ist der Gipfel der Unverschämtheit!« rief Dagobert wütend aus. »Der Mann fühlt sich vollkommen sicher und – gestehen wir es uns nur – er ist es auch, solange er im Besitz jenes Briefes ist. Wir können ihn verhaften, einsperren, ausweisen lassen, aber er hat den Brief, und das ist eine Waffe, mit der er Unheil anrichten kann, auch vom Auslande her. Er braucht sich nur mit einem skandalsüchtigen Winkelblatt in Verbindung zu setzen.«

Gräfin Käthe war außerordentlich aufgeregt. Die Tränen schossen ihr aus den Augen, und sie versicherte schluchzend, daß sie einen solchen Skandal ganz bestimmt nicht überleben würde. Ihr Mann sei die Güte und Großmut selber, und nun solle sie Schmach aus sein Haupt häufen. Sie könne nicht wie ein gehetztes Wild weiterleben, und sie werde den Tod der Schande vorziehen.

Frau Violet weinte mit und versuchte doch zu trösten. Jener schreckliche Brief sei ja eigentlich gar nicht so schlimm, wenn er nur genügend aufgeklärt werde.

»Die Öffentlichkeit interessiert sich nur für den Skandal, nicht für die Aufklärung!« rief die Gräfin verzweifelt.

»Wir haben aber doch Herrn Dagobert!« tröstete Frau Violet weiter. »Wenn er sich unser annimmt, kann noch alles gut werden. Dagobert, Sie müssen uns helfen!«

Bei dieser persönlichen Apostrophe fuhr Dagobert auf. Er war so in Gedanken vertieft gewesen, daß er das letzte Zwiegespräch der beiden Damen ganz überhört hatte.

»Ich glaube, Exzellenz,« sagte er ruhig, »daß Sie keinen Grund zur Sorge haben. Einen großen Vorteil haben wir in dem Kampfe mit jenem Schurken jetzt schon voraus. Wir kennen seine Waffe. Es existiert doch nur dieser eine Brief?«

»Nur dieser eine, Herr Dagobert, und ganz bestimmt kein anderer!«

»Also – wir kennen den Inhalt des Briefes. Wir wissen, daß er im Grunde harmlos ist, und daß es trotzdem die verderblichsten Folgen haben müßte, wenn darüber gesprochen werden sollte. Zunächst müssen wir also den Mann noch hinhalten. Möglich, daß das vorläufig noch Geld kosten wird. Das spielt keine Rolle. Sollten Ihnen, Exzellenz, gegenwärtig die etwa erforderlichen Mittel unauffällig nicht erreichbar sein, so stehe ich Ihnen natürlich mit jedem gewünschten Betrage zur Verfügung. Darüber ist kein Wort zu verlieren.«

»Worin aber steckt der Vorteil, den Sie erwähnten, Herr Dagobert?«

»Darin, daß wir den Brief kennen, und daß wir wissen, wo er sich befindet.«

»Er wird sich den Brief nicht entreißen lassen!«

»Man wird ihn vielleicht nicht fragen!«

»Sie können es nicht auf einen Eklat ankommen lassen!«

»Natürlich nicht. Wir müssen vorläufig auf seine Wünsche eingehen. Auch das mit der ›Hauptsache‹ muß in Erwägung gezogen werden. Ich habe es wohl überlegt. Wir dürfen ihn auf keine Weise reizen und so zu irgendwelchen verzweifelten Versuchen treiben.«

»Aber, Herr Dagobert, das ist doch unmöglich. Ich kann ihn nicht ins Hans nehmen, und es wäre schmachvoll, wenn ich meinem Manne zureden wollte, ihm in seiner Umgebung eine Vertrauensstellung zu verleihen!«

»Eine Vertrauensstellung können Sie einer solchen Persönlichkeit natürlich nicht verschaffen,« sagte Dagobert. »Jetzt komme ich aber dazu, doch meine Strafpredigt an Frau Violet anzubringen. Sie sehen, meine Gnädigste, wie es durchaus nicht gut ist, vor dem Gatten Geheimnisse zu haben. Die Gräfin nehme ich aus. Sie ist da in einer außergewöhnlichen Lage und so gewissermaßen im Stande der Notwehr. Grumbachs Mithilfe wäre uns jetzt sehr vonnöten. Ich bin also dafür, daß er eingeweiht werde. Erstlich einmal, weil es durchaus nicht angeht, daß zwischen Mann und Frau ein Geheimnis bestehe, und zweitens – weil wir ihn brauchen.«

»Was kann mein Mann da tun?« fragte Frau Violet.

»Das will ich Ihnen erklären, meine Gnädige. Die Gräfin wird ihren ›Schützling‹ wissen lassen, daß sie sehr gern bereit sei, ihm die gewünschte Stellung zu verschaffen, daß es aber derzeit unmöglich sei. Die Stelle sei besetzt, und es müsse dem gegenwärtigen Sekretär erst gekündigt werden. Er werde einsehen, daß sich solche Dinge nicht von heute aus morgen richten lassen. Um ihn aber für die Zwischenzeit zu versorgen, werde sie trachten, ihm durch warme Empfehlungen eine ähnliche Stelle in einem anderen großen Hause zu verschaffen. Jenes andere große Haus soll – das Haus Grumbach sein!«

»Sie glauben doch nicht im Ernste, Dagobert,« fuhr da Frau Violet dazwischen, »daß ich meinem Manne damit kommen würde?«

»Ich glaube, daß sich das sehr empfehlen würde. Herr Feld wird es schon wissen oder es doch sehr leicht erfahren können, daß Grumbach zu den ersten und angesehensten Persönlichkeiten der Stadt gehört, und er wird gern zugreifen. Um die Arbeit ist es ihm natürlich nicht zu tun, aber so ein erstklassiges Haus, das des Präsidenten des Klubs der Industriellen, ist ein prachtvolles Sprungbrett für weitere Hochstapeleien.«

»Und dazu soll ich mithelfen, Dagobert?!«

»Sie sollen zunächst Ihren Gemahl ins Vertrauen ziehen, Frau Violet. Ist er einmal unterrichtet, dann besteht auch keine Gefahr mehr.«

»Ich danke schön für diese Beruhigung, Dagobert, aber weder möchte ich mit jenem Herrn in Berührung kommen, noch zulassen, geschweige denn mithelfen, daß mein Mann sich mit ihm einläßt.«

»Ausreden lassen, meine Gnädige! Nicht so hatte ich es gemeint. Grumbach wird jenen schätzenswerten und so glänzend empfohlenen Herrn empfangen, sehr liebenswürdig empfangen und ganz untröstlich sein, den Wunsch der verehrten Exzellenzfrau nicht sofort erfüllen zu können. In seinem Hause ginge es dermalen absolut nicht, aber er wolle gern alles tun, was in seinen Kräften stehe, schon um der so beachtenswerten Empfehlung willen. Vielleicht daß der Herr Vizepräsident –? Er glaube zu wissen oder gehört zu haben, daß er einen fähigen Privatsekretär suche.«

»Aber der Herr Vizepräsident sind ja Sie, Dagobert!«

»Allerdings habe ich die Ehre, das zu sein, also auch ein leidlich großer Herr. Fassen Sie nun alles ins Auge. Ich würde ihm sehr günstige Bedingungen stellen, dann solche Protektionen und solche Zukunftsaussichten! Ich glaube, unser Ehrenmann dürfte darauf eingehen.«

»Und Sie würden ihn wirklich zu sich nehmen?«

»Ich wünsche nichts sehnlicher. Ich leide nämlich bitteren Mangel an Privatsekretären. Das wäre das einfachste und sicherste Mittel. Sollte er nicht darauf eingehen, dann allerdings müßten wir ein anderes Mittel suchen. Darüber uns den Kopf zu zerbrechen, können wir uns für später aufsparen.«

*

Es kam, wie Dagobert es vorausgesehen hatte: Doktor Oskar Feld war bei Dagobert als Privatsekretär eingetreten.

Dagobert kam nach wie vor zweimal wöchentlich zum Speisen zu Grumbachs, und die einzige Abwechslung im Programm war nur die, daß an jenen Tagen nun auch Gräfin Käthe zum kleinen Schwarzen erschien. Natürlich bildete da immer der neue Privatsekretär den Mittelpunkt der Unterhaltung. Man wurde nicht müde, Dagobert auszufragen, und konnte nicht genug hören, aber Dagobert war namentlich in den ersten Tagen recht zurückhaltend mit seinen Äußerungen.

»Ich muß den Mann erst studieren,« pflegte er zu sagen, wenn er gedrängelt wurde. Erst nach und nach wurde er mitteilsamer und fügte so Zug um Zug zu einem Charakterbilde, das sein volles Interesse in Anspruch nahm.

»Ich muß sagen,« versicherte er einmal bei einer solchen Zusammenkunft, »dieser Doktor Feld ist die interessanteste Gaunerfigur, die mir seit langem vorgekommen ist. Ein Problem, mit dem sich zu beschäftigen, es wohl der Mühe wert ist. In ihm sind Fähigkeiten, Intelligenz und Kenntnisse vereinigt, wie man sie selten findet. Ich sage Ihnen, man könnte ihn jeden Augenblick zum Minister machen, und er würde seinen Mann stellen. Ich selbst könnte mit einem solchen Sekretär zur Seite wie im Himmel leben. Er weiß, er versteht, er kann alles, und ich könnte ruhig die Hände in den Schoß legen und alle meine Geschäfte ihm überlassen. Er hat förmlich meine Sympathien gewonnen, und er tut mir ordentlich leid; denn er ist doch verloren. Er muß zugrunde gehen an der völligen Haltlosigkeit und Niedrigkeit seines Charakters. All seine glänzenden Eigenschaften vermögen keine Hemmungen zu schaffen gegen die Versuchungen, die seiner Charakteranlage entspringen. Es ist eine komplizierte Natur, und ich weiß nicht, ob da nicht ein Verteidiger mit Erfolg auf eine krankhafte Veranlagung, direkt auf moral insanity plädieren könnte.«

»Sie vergessen, Herr Dagobert,« gab Gräfin Käthe zu bedenken, »daß es mir hier nicht um das ›Problem‹ zu tun ist, sondern um meinen Brief!«

»Ich habe das nicht vergessen, Exzellenz! Sie können sich denken, daß ich auch schon in seiner Abwesenheit alle seine Sachen sehr genau durchsucht habe.«

»Den Brief haben Sie nicht gefunden?«

»Ich hatte nicht erwartet, ihn zu finden. Ich wollte mich nur vergewissern, daß er ihn wirklich immer bei sich trägt. Daraufhin konnte ich dann schon etwas wagen. Es wird Sie vielleicht interessieren, Gräfin, zu erfahren, daß ich mich persönlich davon überzeugt habe, daß der Brief sich wirklich noch dort befindet, wo er vor Ihren Augen wieder verwahrt worden ist – in seiner Brieftasche.«

»Wie konnten Sie das, Herr Dagobert?«

»Er war sehr spät in der Nacht heimgekommen. Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß ich ihn scharf beobachten lasse. Ein jeder seiner Schritte ist bewacht, und ich weiß auch auf den Kreuzer genau, was er ausgibt. Es ist nicht wenig. Der Mann lebt gut und hat noble Passionen, die häufig recht niedrige Passionen sind. Er ist Stammgast in den feineren Kabaretts, trinkt fleißig Sekt, spielt und verliert beträchtlich und unterhält Liebschaften, die man billige nennen darf, wenn sie auch kostspielig sein mögen. Und das alles, Gräfin, vorläufig auf Ihre Kosten! Er muß eine eiserne Natur haben. Denn bei all diesem wüsten Leben ist er am Tage vollkommen frisch und seine Arbeitsleistung im Dienste eine tadellose. Das soll ihm ein anderer nachmachen! Ich habe doch auch meinen wilden Hafer gesät, aber –«

»Sie wollten von dem Briefe erzählen, Herr Dagobert!«

»Ich bin dabei. Er war also sehr spät heimgekommen. Am Morgen betrat ich sein Zimmer. Er schlief sehr fest. Ich näherte mich seinem Bette. Auf seinem Nachtkästchen lag neben seiner Uhr die Brieftasche. Ich riskierte es, sie in die Hand zu nehmen, während ich ihn im Auge behielt. Er schlief fest und ruhig. Ich öffnete die Brieftasche und – ich hatte Ihren Brief in der Hand, Exzellenz!«

»Sie haben ihn dann doch an sich genommen, Herr Dagobert?«

»Ich habe ihn wieder in die Brieftasche gesteckt, diese wieder auf das Nachtkästchen gelegt und mich dann unbemerkt davongemacht. Ich wußte, was ich wissen wollte und was ich wissen mußte.«

»Ja, aber um alles in der Welt, Herr Dagobert, warum haben Sie ihm da den Brief nicht gleich weggenommen?«

»Ich meine auch, Freund Dagobert,« mischte sich da der Hausherr ins Gespräch, »das wäre doch die einfachste und radikalste Lösung gewesen.«

»Eine Unklugheit wäre es gewesen,« entgegnete Dagobert ruhig, »und wir hätten ihm nur eine Waffe mehr in die Hand gedrückt. Wer hat denn den Skandal zu fürchten – er oder wir? Er hätte die Diebstahlsanzeige gemacht. Ein Brief Ihrer Exzellenz ist ihm gestohlen worden! Das Aufsehen! Warum hat man den Brief gestohlen? Die ganze Welt hätte sich den Kopf darüber zerbrochen, was in dem Brief wohl gestanden haben mag, und das Übel wäre nur ärger geworden, als es jetzt schon ist. Man hätte Schlimmeres gemutmaßt, als wozu der immerhin unkluge, aber doch aufzuklärende Brief selbst berechtigt hätte. Dann hätte die Erpressung nur noch mit doppelter Dampfkraft fortgesetzt werden können, nein, mein lieber Grumbach, so werden solche Sachen nicht gemacht. Von allem anderen aber abgesehen, meine Herrschaften – ich stehle nicht! Ich arbeite im Dienste der Gerechtigkeit, muß manchmal, um zum Ziele zu gelangen, Schleichwege wandeln, aber ich werde niemals, und sei die Versuchung noch so groß, selber eine Ungesetzlichkeit, ein Unrecht begehen, um dem Recht zum Siege zu verhelfen.«

»Dagobert hat wieder einmal recht,« bekannte Grumbach. »So ging es wirklich nicht; wie soll es aber nun angestellt werden?«

»Darüber hoffe ich bald berichten zu können.«

Die Geduld der Beteiligten wurde auf eine ziemlich harte Probe gestellt. Bei den nächsten zwei, drei Zusammenkünften hatte Dagobert nichts von Belang zu erzählen oder wollte nicht. Er war wortkarg und begnügte sich damit, bereits Bekanntes vorzubringen, Rühmliches über die Fähigkeiten und die Arbeitskraft Doktor Felds und Unrühmliches über seinen Charakter. Erst etwa zehn Tage nach jener Unterredung zeigte er sich wieder aufgeräumter, so daß die Gräfin, die schon ganz verzagt gewesen war, wieder Hoffnung schöpfte. Als sie ihn so heiter sah, blickte sie fragend und bittend zu ihm auf.

»Es geht gut, Exzellenz,« erwiderte er auf ihre stumme Frage, sich die Hände reibend. »Er bestiehlt mich schon!«

»Und das freut Sie so sehr, Herr Dagobert?«

»Ja, Gnädigste, ich freue mich wie ein Kind, dem man etwas geschenkt hat.«

»Und was weiter?«

»Sonst nichts. Sonst absolut nichts Neues.«

»Und das ist das ganze Resultat Ihrer bisherigen Bemühungen?«

»Das ganze. Ich bin sehr befriedigt davon.«

»Ach, Herr Dagobert, ich fürchte, wir sind noch weit vom Ziele. Sie können ihn nun verhaften und einsperren lassen, aber damit ist mir noch sehr wenig gedient. Ich muß meinen Brief haben!«

»Mir ist es um nichts anderes zu tun, als um den Brief. Mir liegt gar nichts daran, daß er eingesperrt werde.«

»Sie glauben, daß, wenn Sie ihn des Diebstahls überweisen, er Ihnen als Entschädigung den Brief ausfolgen wird?«

»Ich denke nicht daran! So ein Esel ist er nicht. Er hat nur bisher siebenhundertundzweiundachtzig Kronen gestohlen; der Brief ist seine Hunderttausend wert. Solche Geschäfte macht er nicht. Er darf gar nicht ahnen, daß ich von dem Briefe Kenntnis habe und in dessen Besitz gelangen möchte.«

»Was wollen Sie also nun tun, Dagobert?«

»Ich bitte nur noch um vierundzwanzig Stunden Geduld. Der Hauptschlag ist vorbereitet, und er soll, wenn alles klappt, im Laufe des morgigen Tages geführt werden. Machen Sie sich darauf gefaßt, Exzellenz, morgen wird es einen blamierten Europäer mehr geben: das wird der Doktor Feld sein – oder ich!«

»Im letzteren Falle würde dieser Europäer – eine Europäerin sein. Ich beschwöre Sie, Herr Dagobert, nehmen Sie die Sache nicht scherzhaft und nicht leicht. Mir hängt das Leben daran!«

»Seien Sie versichert, Gräfin, daß ich den Ernst der Sachlage vollkommen würdige. Auf morgen denn!«

Gräfin Käthe war ganz blaß vor innerer Erregung, als sie am nächsten Tage zur verabredeten Zusammenkunft bei Grumbachs erschien, und erkundigte sich sofort angelegentlich, ob endlich etwas geschehen sei.

»Ich habe allerdings heute einige Mitteilungen zu machen,« erwiderte Dagobert ruhig und mit einem beinahe schläfrigen Gesichtsausdruck.

»Ach, Herr Dagobert, nicht auf Mitteilungen warte ich, auf den Brief, den Brief!«

»Die Mitteilungen betreffen den Brief, Gräfin,« versicherte er langsam und mit einem fast unerträglichen Phlegma. »Ich vermute, Sie werden nicht mehr lange zu leiden haben. Also hören Sie: Ich habe bereits meiner Befriedigung Ausdruck gegeben, daß Herr Doktor Feld mich bestiehlt.«

»Ja, das haben wir schon gehört,« warf hier Frau Violet ein, die nun schon selber ungeduldig wurde.

»Ich möchte nur bemerken,« fuhr Dagobert fort, »daß das Bestohlenwerden an sich sonst nicht zu meinen besonderen Vergnügungen zählt. Hier war es mir angenehm, daß diese Tatsache mir die Richtigkeit meiner Kombination bestätigte. Was ein richtiger Hochstapler ist, und Doktor Feld hat Anspruch darauf, zu den besseren Hochstaplern gezählt zu werden, verschmäht auch einen kleineren oder größeren Diebstahl nicht, wenn sich die passende Gelegenheit dazu ergibt. Für solche Gelegenheiten hatte ich nun reichlich gesorgt, und Feld benutzte sie fleißig. Ich bin sonst ein Pedant in Geldsachen; hier markierte ich geniale Sorglosigkeit und Zerstreutheit. Ich bezeichnete ihm meine obere Schreibtischlade links als meine Geldlade. Jede Post brachte mir Geldsendungen – das hatte ich schon so arrangiert – und ich legte die Beträge vor seinen Augen in jene Lade oder hieß ihn sie hineinlegen. Aus der Lade heraus ließ ich ihn wirtschaften, wenn es Geld abzusenden galt, und er war berechtigt, aus ihr Rechnungen zu bezahlen, wenn diese in meiner Abwesenheit anlangten. Es herrschte eine greuliche Unordnung in der Lade – scheinbar. In Wirklichkeit wußte ich natürlich auf den Heller genau, wie es mit der Kasse stand.

Unser Ehrenmann braucht sehr viel Geld. Sein Nachtleben ist kostspielig. In den letzten Nächten hat er besonders hoch und mit besonderem Unglück gespielt. Es ist für einen Hochstapler ein ganz unverzeihlicher Fehler, wenn er sich nicht auf das Falschspielen versteht. Ich wußte, daß es nun mit seinen Finanzen sehr schlecht bestellt sei, und es sollte mich nicht wundern, Exzellenz, wenn bereits in allernächster Zeit wieder ein dringender Mahnbrief bei Ihnen anlangen sollte.»

»Ist bereits angelangt, Herr Dagobert,« erwiderte die Gräfin tränenden Auges, »heute morgen angelangt, und ich wollte Sie fragen, wie ich mich jetzt verhalten soll.«

»Ich denke, wir werden ihn nicht beantworten. Er war also vollständig fertig und sehr in der Klemme. Bei der letzten Partie war er so hängen geblieben, daß er blank wurde und außerdem noch auf achthundert Kronen Bons ausstellte, die heute vormittag eingelöst werden mußten. Darauf baute ich meinen Plan. Wegen lumpiger achthundert Kronen geht ein Mann, der solche Ressourcen hat, nicht durch. Für meine Lade war der Betrag doch zu groß, daß er auf einen einmaligen Angriff unbemerkt hätte verschwinden können. Dem Manne mußte also auf andere Weise geholfen werden.«

»Wie Dagobert für seinen Schützling besorgt ist!« meinte lächelnd Frau Violet.

»Ja, ich habe ihn ins Herz geschlossen; ich mußte besorgt sein um ihn. So wie er also heute morgen aufgestanden war, läute ich ihn zu mir herein und bitte ihn, in meinem Namen an die Nummer 92001 zu telephonieren. Das ist die Nummer des Wagen- und Pferdeverleihers Heimel. Er möchte sofort einen Phaethon mit zwei Rappen schicken, da meine Pferde unpäßlich seien. Eine Viertelstunde später war mein Freund, der Oberkommissär Doktor Weinlich, bei mir, ein feiner, von mir hochgeschätzter Kriminalist! Ihnen kann ich's ja gestehen, daß jene Telephonnummer nur eine Deckadresse ist. Wenn Dagobert Trostler telephoniert, wird die Botschaft sofort telephonisch weitergegeben an die richtige Adresse. Meinen Sekretär hatte ich inzwischen mit einigen schriftlichen Arbeiten auf sein Zimmer geschickt. Ich konnte also ungestört mit Weinlich verhandeln.

›Sehen Sie sich diese Tausendkronennote an,‹ sagte ich ihm, als er Platz genommen hatte. ›Ich vermute, daß sie mir sehr bald gestohlen werden wird. Unsere Aufgabe wird es dann sein, sie wieder zustande zu bringen. Um aber sicher zu gehen und unliebsamen Verwechslungen vorzubeugen, wollen wir sie doch mit einem unauffälligen Merkmal versehen. Sehen Sie, ich mache hier mit einer feinen Nadel auf der deutschen Textseite in der linken Ecke oben im Dreieck drei Punkte. Die Spur glätte ich jetzt mit dem Falzbein, um sie nicht zu deutlich erscheinen zu lassen. Jetzt kann man die Spur mit bloßem Auge überhaupt nicht mehr sehen, wohl aber, wie Sie sich überzeugen können, mit dem Mikroskop. Trauen Sie sich zu, die Note mit Sicherheit wiederzuerkennen?‹

›Um so mehr, geehrter Freund, als ich mir inzwischen schon ihre Nummer angemerkt habe.‹

›Da sieht man doch gleich den Fachmann, mit dem zusammenzuarbeiten ein Vergnügen ist! Haben Sie die gewünschten ›Rappen‹ (zwei Geheimagenten der Polizei) mitgebracht?‹

›Die Rappen stehen in der Nähe des Hauses bereit. Zu Ihrer Information: der eine verteilt Reklamezettel für ein phänomenales Haarwuchsmittel – es ist sein Nebengeschäft; der andere ist Couleurstudent, der bei der letzten Mensur schlecht weggekommen ist. Seine edlen Züge sind durch einen Gazeverband verhüllt.‹

›Ausgezeichnet!‹ Ich klärte ihn nun, soweit als es nötig war, auf, worauf es mir zunächst ankam, und wie er die Rappen zu unterrichten habe. Ich versprach ihm noch, daß ich mich spätestens in einer Stunde in seinem Bureau einfinden werde, und dann ging er. Als er fort war, läutete ich stürmisch meinem Sekretär. Er erschien, und ich fluchte mörderlich über die tausend unnützen Sachen, mit denen ich da täglich behelligt würde. Dann raffte ich die vielen Briefe und sonstigen Schriftstücke auf meinem Schreibtisch summarisch zusammen und bepackte ihn damit. Er möge das selber nach Gutdünken erledigen und mir dann Bericht erstatten. Eilig werde wohl all das dumme Zeug nicht sein. Auf dem Tisch hatte auch der Tausender gelegen. Feld hatte ihn gesehen. In meiner Hast und Ungeduld hatte ich auch die Note in die Schriften gemengt. Ich ließ mir dann von meinem Diener in den Überrock helfen, mir Hut und Stock reichen und empfahl mich. Feld begab sich mit seiner Last in sein Zimmer, ich aber legte den Überrock wieder ab und zog mich ins Badezimmer zurück. Ich bade also ganz gemütlich und höre dabei, wie ich es erwartet hatte, nach einer Weile Schritte im Vorzimmer und gleich darauf die Türe gehen. Feld hatte sich entfernt.

Nun kleidete ich mich rasch an und fuhr zu Doktor Weinlich aufs Amt. Ich fand ihn noch allein, aber bald bekamen wir Gesellschaft. Zunächst erschien der Reklamezettelverteiler und brachte Doktor Feld mit, der sich sofort auf das hohe Roß setzte und einen Protest gegen seine ganz unbegreifliche und ungerechtfertigte Verhaftung zu Protokoll diktieren wollte.

»Darüber werden wir später sprechen,« erwiderte ihm Doktor Weinlich trocken. Dann wandte er sich an den Agenten: »Führen Sie diesen Herrn auf die Abteilung III und veranlassen Sie erstens die Leibesdurchsuchung, zweitens die anthropometrischen Messungen und drittens die photographische Aufnahme. Dann bringen Sie ihn wieder her.«

Feld wurde abgeführt, und gleich darauf erschien der Couleurstudent mit einem fremden Herrn auf dem Plane. Meine Berechnung, Exzellenz, hatte sich also als richtig erwiesen. Doktor Weinlich hatte in meinem Auftrage die ›Rappen‹ zu einer Arbeitsteilung anzuleiten. Der eine sollte sich der Geldnote, der andere der Person Felds versichern. Ich nahm an, daß Feld die Note sofort in Umlauf bringen würde. Ich wußte, daß er noch am selben Vormittage seinen glücklichen Partner aufsuchen werde, um seine Spielschuld zu bezahlen. Man vertreibt sich ja eine aussichtsreiche Kundschaft nicht leicht. Noch war allerdings möglich, daß er die Note vorher wechseln würde. Für alle Fälle hatte der Agent die Aufgabe, die Persönlichkeit, die die Note in Empfang nehmen sollte, ferner diese selbst festzustellen. Der zweite Agent sollte Feld, nachdem er die Note verausgabt hatte, seinem Chef vorführen. Es ging alles wie am Schnürchen: Feld trat bei einem Juwelier ein, kaufte eine Busennadel und wechselte die Note. Als er den Laden verließ, nahm ihn der Reklamezettelverteiler in Empfang, während inzwischen im Laden selbst der Student das Nötige besorgte.

Als man uns Feld wieder vorführte, war er einigermaßen betreten, unter den Anwesenden auch mich zu bemerken. Vorher hatte ich mich nämlich seinen Blicken zu entziehen gewußt. Doktor Weinlich machte seine Sache kurz und bündig. Er legte die Sachen vor sich hin, die dem Eingelieferten bei der Leibesvisitation abgenommen worden waren, dann fragte er ihm die Generalien ab und schritt zum Verhör. ›Sie haben heute eine Tausendkronennote verausgabt?‹

›Allerdings, aber hoffentlich wird hier ein anständiger Mensch noch nicht verdächtig oder gar straffällig, wenn er eine größere Note einwechselt!‹

›Unter Umständen vielleicht doch – das heißt – ein anständiger Mensch gewiß nicht. Können Sie sich ausweisen, wie Sie in den Besitz jener Note gelangt sind?‹

›Gewiß! Ich kann nachweisen, daß Ihre Exzellenz–‹

›Um Gottes willen, Herr Dagobert!‹ fiel hier Gräfin Käthe ein. ›Hat er meinen Namen genannt?‹

›Seien Sie ganz ruhig, Gräfin, er kam nicht dazu. Doktor Weinlich schnitt ihm sofort das Wort ab. Wir werden ja sehen,‹ sagte er und wandte sich dann an den fremden Herrn: Herr Hofjuwelier Bruns, haben Sie die Note bei sich, die Ihnen dieser Herr gegeben hat?‹

›Jawohl, ich habe sie bei mir.‹

›Können Sie beeiden, daß es dieselbe ist, die er Ihnen gegeben hat?‹

›Jawohl, das kann ich beeiden!‹

›Ist aber auch jeder Irrtum ausgeschlossen?‹

›Jeder Irrtum ist unmöglich. Sofort, nachdem ich sie eingenommen hatte, wurde sie von diesem Herrn, den ich als »Vertrauten« kannte, reklamiert. Es war mein erstes Geschäft am Tage, und ich hatte keine andre Tausendkrone in meiner Handkasse.‹

›Schön,‹ fuhr Doktor Weinlich fort, ›wir werden also sehr bald fertig sein. Wir suchen nämlich eine ganz bestimmte Note. Sehen Sie doch nach, Herr Hofjuwelier. Die Note muß die Nummer 7102 haben und in der linken Ecke oben auf der deutschen Textseite drei feine Nadelstiche im Dreieck aufweisen. Fehlen diese Merkmale, dann ist es nicht unsere Note, und ich verfüge sofort die Freilassung Herrn Doktor Felds. Stimmen sie aber, dann muß ich ihn dem Kriminal einliefern.‹

Der Hofjuwelier untersuchte die Note genau und reichte sie dann herum. Die Merkmale stimmten. Feld erbleichte; er sah sich überführt. Nun mischte ich mich in die Sache, um mich mit aller Wärme für meinen Sekretär einzusetzen. Der Diebstahl sei allerdings erwiesen, aber ich erachte mich nicht für geschädigt und sei auch nicht gesonnen, die Strafanzeige zu machen. Damit sei gewissermaßen die vom Gesetz vorgesehene Schadensgutmachung vor erfolgter Anzeige erfolgt, und somit könnte wohl Herr Doktor Feld ohne weiteres freigegeben werden.

›So einfach geht das doch nicht,‹ entgegnete Doktor Weinlich. ›Ich kann davon absehen, diesen Herrn dem Kriminal einzuliefern, aber ich kann nicht davon abstehen, die sofortige Ausweisung über ihn zu verhängen. Sie können dagegen Berufung einlegen, Herr Doktor Feld, aber ich bemerke, daß ich Sie bis zur Erledigung der Berufung in Haft behalten müßte, und daß ich dann nicht dafür einstehen könnte, daß daraufhin nicht doch das gerichtliche Verfahren eingeleitet werden wird.‹

›Ich lege keine Berufung ein,‹ erklärte Feld.

›Dann wären wir soweit in Ordnung. Agent Flachsmann, Sie bringen den Herrn zur Nordwestbahn und fahren mit ihm mit dem nächsten Zuge bis zur Grenze –.‹

›Ich habe Ähnliches vermutet,‹ mischte ich mich nun wieder hinein, ›und habe deshalb das gesamte Gepäck meines Herrn Sekretärs hierherschaffen lassen. Der Wagen wartet unten vor dem Haustor.‹

Feld sah mich mit einem Blicke an, den ich gern photographiert hätte. Liebe drückte jener Blick gewiß nicht aus, aber Respekt lag doch darin. Und dabei wußte er nicht einmal und wird es auch nie erfahren, aus welchem Grunde eigentlich dieser ganze Apparat von mir aufgeboten worden war.

›Nun kann ich Ihnen auch Ihre Sachen wiedergeben,‹ fuhr Doktor Weinlich fort, ›die Ihnen bei der Visitation abgenommen wurden. Sie werden mir nur erlauben, sie rasch durchzusehen und zurückzubehalten, was besser bei uns als bei Ihnen aufgehoben sein könnte.‹

Er stöberte alles durch, behielt einige Papiere und folgte ihm dann die übrigen Sachen aus. Er gab ihm noch die Lehre mit auf den Weg, er möge sich ja nicht wieder über die Grenze herüberwagen. Es würde dann unnachsichtlich zu seiner Verhaftung und zur Wiederaufnahme des Verfahrens geschritten werden.

Damit war die Verhandlung zu Ende – und hier, Exzellenz, haben Sie – Ihren schrecklichen Brief!«

»Herr Dagobert!« rief Gräfin Käthe begeistert. »Das war eine Meisterleistung von Ihnen!«


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