Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Falschspieler

Andreas Grumbach hatte eigentlich immer ein recht zurückgezogenes Leben geführt. Seine Ehe mit der Schauspielerin Moorlank hatte sich, entgegen der ursprünglichen Annahme der abratenden Freunde, zu einer durchaus ungetrübten und glücklichen gestaltet. Die blonde Frau Violet führte das Hauswesen mit tadelloser Sorgfalt und Geschicklichkeit, und Grumbach fühlte sich zu Hause so wohl, daß er an besondere gesellschaftliche Zerstreuungen gar nicht dachte, obschon vielleicht Frau Violet nicht abgeneigt gewesen wäre. Sie war aber zu klug, da auf Änderungen zu dringen, wo ohnedies alles zu allseitiger Befriedigung sich abwickelte.

Tagsüber hatte Grumbach genug zu arbeiten, und da war es ihm doch am liebsten, wenn er die Abende in seinem Heim verbringen konnte, das ihm Frau Violet mit aller Umsicht, mit Takt und Geschmack ganz in seinem Sinne eingerichtet hatte. Einmal in der Woche besuchte er seinen Klub, das war er sich schuldig; und für einen Abend in der Woche hatte er eine Loge in der Oper, das war er Frau Violet schuldig. Sonst aber blieben sie fein zu Hause, wo es nach seiner Auffassung doch am schönsten war.

Gäste sahen sie selten bei sich. Dagobert Trostler, der gediente Lebemann, der im ruhigen Genusse seiner Renten jetzt nur noch seinen Liebhabereien lebte, der zählte kaum mit. Er konnte kommen und gehen, wann er wollte. Man war auf den alten Freund des Hauses immer vorbereitet, und er gehörte sozusagen zum Hause. Seine großen Passionen wurden ja vielfach belächelt, aber er war zu sehr Philosoph, um sich das sonderlich anfechten zu lassen.

Für Grumbachs war er geradezu unentbehrlich geworden, schon durch die Macht der Gewohnheit; aber auch sonst. Er war ein treuer und sorglicher Freund, auf den man sich in allen Lebenslagen unbedingt verlassen kannte. Er war aber auch der Mittler für die Außenwelt; er brachte die Neuigkeiten des Tages ins Haus, sorgte dafür, daß man in Sachen der Kunst aus dem laufenden blieb und wußte in einemfort allerlei Räuberromane und Kriminalgeschichten zu erzählen, bei denen man sich auch ganz gut unterhalten konnte.

Dieses Idyll hatte aber nun ein Ende gefunden, und Grumbachs wurden mit einem Male hineingerissen in den Wirbel des gesellschaftlichen Lebens der Reichshaupt- und Residenzstadt, sehr gegen die Neigung des Mannes, nicht so auch gegen die von Frau Violet, die da fand, daß sie nun erst die Rolle spiele, die ihr eigentlich und von Rechts wegen schon lange gebührt hätte.

Das war so gekommen: Freiherr Friedrich von Eichstedt, der Chef der altberühmten Firma Eichstedt & Rausch, war der eigentliche Begründer des Klubs der Industriellen gewesen und dessen alljährlich neugewählter Präsident durch volle zehn Jahre. Als die zehn Jahre um waren, wurde das Jubiläum unter großartigen Ovationen gefeiert. Es gab ein denkwürdiges Bankett, zu dem auch die Damen der Mitglieder eingeladen waren, – die Toilette von Frau Violet war sehenswert. Die große Überraschung für den Präsidenten war die feierliche Enthüllung seines von Leopold Horowitz für den Sitzungssaal gemalten Porträts. Er hatte dem Künstler natürlich dazu gesessen. Es wurden prachtvolle Reden gehalten, und alles war sehr schön. Nur eines schien bedauerlich. Der Präsident wollte nicht mehr. Er hatte genug; er wollte durchaus und durchaus nicht mehr. Er habe seinen Dienst zehn Jahre gemacht, nun solle ein anderer 'ran.

Es war nichts zu machen, und in der nächsten Generalversammlung wurde einstimmig zum Präsidenten – Andreas Grumbach gewählt. Nun war sie da, die Bescherung! Ablehnen ging nicht. Zu Hause redete Frau Violet zu, und sie hatte sich sogar hinter Dagobert gesteckt, daß er ihrem Mann die etwaigen Bedenken austreiben möchte. Aber auch ohne das – es ging wirklich nicht, abzulehnen. Die Wahl bedeutete eine Auszeichnung, die reichlich auch einen hohen Orden aufwog. Der erste Klub der Stadt, der Klub der Millionäre, wie er im Volksmund hieß! Der Mann, der da an die Spitze berufen wurde, der stand damit eigentlich an der Spitze der Industriellen überhaupt. Dazu mußte einer doch schon, figürlich gesprochen, von guten Eltern sein, das will besagen, daß sein persönlicher und geschäftlicher Ruf über allen Zweifel erhaben, sein Kredit ein unbeschränkter und dementsprechend auch sein Reichtum ein sehr wohlfundierter sein mußte. Für einen Geschäftsmann war also eine solche Berufung nicht mehr und nicht minder als ein Adelsbrief.

Derlei lehnt man nicht ab, zumal die Würde auch ihre Bürde hatte, welche die Übernahme in doppelter Hinsicht als Ehrenpflicht erscheinen ließ. Es war bekannt und durch die Amtsführung des ersten Präsidenten förmlich zur Tradition geworden, daß mit der Leitung des Klubs ganz erhebliche materielle Opfer verbunden waren. In Wien haben die Klubs von jeher einen sehr schweren Stand gehabt. Die unzähligen eleganten Kaffeehäuser, die London, der klassische Boden des Klubwesens, nicht hat, bieten da mit ihren Annehmlichkeiten und Bequemlichkeiten eine schier unbesiegliche Konkurrenz. Darum vegetieren denn auch alle Klubs nur notdürftig und arbeiten mit Defizit, solange es eben geht. Trotzdem wollten die Industriellen ihren Klub haben, und bei dem mußte natürlich von vornherein jeglicher Zweifel an seinem Bestande ausgeschlossen bleiben. Da nun aber auch die Industriellen nicht zaubern können, so verließ man sich ruhig darauf, daß der jeweilige Präsident schon für die Ehre des Hauses, also auch dafür sorgen werde, daß da kein Defizit zum Vorschein kam.

Die Mitgliedsbeiträge waren recht ansehnlich, zweihundert Gulden jährlich, und dazu kamen noch Einnahmen aus den Kartengeldern, die im Jahre doch an die zwanzigtausend Gulden ausmachten. Aber auch an Ausgaben fehlte es nicht. Zehntausend Gulden Miete, zehntausend Gulden das Personal, zehntausend Gulden für Heizung, Beleuchtung, Zeitungen und sonstige Anschaffungen, zehntausend Gulden Verlust bei Küche und Keller; denn es mußte alles erstklassig und dabei billig sein, um die Mitglieder heranzulocken und zusammenzuhalten. Und so ging das fort. Da läppern sich die Ausgaben doch schon zusammen.

Mit all diesen Sorgen war nun Andreas Grumbach beladen, und das war noch nicht einmal alles. Die neue Würde legte auch Repräsentationspflichten auf, vor denen er früher so schön Ruhe gehabt hatte. Früher hatte er so bequem abseits gesessen, und nun riß ihn der gesellschaftliche Strom mit. Gab der Minister des Kaiserlichen Hauses und des Äußeren einen Rout oder der Ministerpräsident eine Soiree, wurde ein Denkmal enthüllt oder ein General begraben, eine Schule eingeweiht oder eine Ausstellung eröffnet, – der Präsident des Klubs der Industriellen wurde eingeladen und mußte dabei sein, was dann natürlich auch immer zum ewigen Gedächtnis ins Protokollbuch der Vorstandssitzungen eingetragen wurde. Dann kamen auch noch die privaten Einladungen, für die man sich revanchieren mußte. Kurz, es ging recht bunt zu, und Frau Violet war's sehr zufrieden.

Die Hauptschuld an allem trug eigentlich Baron Eichstedt. Erstlich einmal, weil er überhaupt das Präsidium niedergelegt hatte, und zweitens, weil er sich in Frau Violet ganz verliebt hatte – natürlich und selbstverständlich in allen Ehren. Das war die Dame, wie er sich sie schon lange gewünscht und lange gesucht hatte. Seine eigene Frau war ihm schon vor zwölf Jahren gestorben, und seit der Zeit hatte alles gesellschaftliche Leben in seinem Hause geruht. Er hatte sich ganz seinem Klub gewidmet, der ihm das Heim ersetzte. Nun regte sich aber doch das Gewissen in ihm; das mußte anders werden. Als seine Frau gestorben war, hatte sie ihm ein einziges Kind hinterlassen, eine kleine Tochter, Gretl. Das war jetzt eine junge Dame von achtzehn Jahren, an deren Zukunft man doch denken mußte. Er mußte Leute bei sich sehen, und er mußte das Mädchen in die Welt einführen. Dazu brauchte er eine befreundete Dame, die liebenswürdig genug war, an seiner Seite in seinem Hause bei festlichen Anlässen mit die Honneurs zu machen und außer Hause seine Tochter mit der nötigen Anmut und Würde zu chaperonieren. Weit und breit hätte er da keine geeignetere Persönlichkeit finden können als Frau Violet. Das war eine Dame von Welt, die sich anzuziehen, sich zu benehmen und zu repräsentieren wußte, und dabei war sie niemals steif und langweilig, sondern immer gut aufgelegt und munter. Gretl konnte von ihr schon etwas lernen. Daß sie Schauspielerin gewesen, tat ihr gesellschaftlich keinen Abbruch. Wenn es anfänglich vielleicht hier und da Bedenken gegeben haben mochte, so hatte diese das Schwergewicht des gesellschaftlichen Ansehens ihres Mannes doch sehr bald beiseite gedrückt.

Dagobert Trostler tat bei alledem immer mit. Grumbach hätte ihn um keinen Preis aufgegeben, und auch Frau Violet war so an ihn gewöhnt, daß er ihr sehr gefehlt hätte. Er hatte also, als Grumbach Präsident wurde, nicht nur in den Klub einzutreten, er mußte es sich auch gefallen lassen, auf Vorschlag des Präsidenten in den Ausschuß kooptiert zu werden. Die Freundschaft war eine notorische, und man richtete sich danach. Man wußte, daß man dem Herrn Präsidenten gefällig sei, wenn man mit ihm auch seinen Freund einlud.

Wie jedem großen Manöver die Kritik folgt, so folgte jeder mitgemachten Unterhaltung, und wenn man noch so spät heimkehrte, im Hause Grumbach die kritische Besprechung derselben. Dagobert mußte immer noch »auf einen kleinen Schwarzen und eine Zigarre« mitfahren. Frau Violet wollte es so. Man könne doch nicht gleich schlafen gehen. Ein kleiner Plausch, ein kleiner Tratsch, ein bisserl Leutausrichten – das beruhigt die Nerven wunderbar.

So saßen die drei wieder einmal zu nächtlicher Stunde beisammen und übten Manöverkritik an der eben absolvierten Soiree bei Eichstedts.

»Es war doch sehr hübsch,« bemerkte Frau Violet, die da allerdings interessierte Partei war.

»Es war tadellos,« bekräftigte Dagobert, seinen Schwarzen schlürfend. »Sie waren einfach bewunderungswürdig, Frau Violet, wie Sie die Honneurs machten.«

»Mein Gott, es ist so schwer, wenn so viele Leute da sind!«

»Ja, ein wenig zu voll war es doch wohl.«

»Sie haben sich darüber nicht zu beklagen, Dagobert. Sie liegen ja immer auf der Lauer mit Ihren Beobachtungen. Je mehr Leute, desto besser für Sie.«

»Das ist nicht richtig, Frau Violet. Es beobachtet sich besser, wenn das Gewühl nicht so groß ist.«

»Also gar keine Ausbeute heute?«

»O doch, eine Kleinigkeit schon! Ich möchte wissen, ob sie ihn auch liebt.«

»Sie haben so eine merkwürdige Art, Dagobert, die Leute mit unvermittelten Fragen und Behauptungen zu überrumpeln. Wer soll wen lieben? Und wie soll ich das wissen?«

»Nicht so unvermittelt, wie es scheint, Gnädigste. Ich liebe es nur, gelegentlich das Bekannte als bekannt vorauszusetzen und mich damit nicht weiter aufzuhalten. Ich meine wirklich, daß, wenn jemand es wissen könnte, Sie es sein müssen.«

»Etwas deutlicher, wenn ich bitten darf!«

»Ich habe im Vorzimmer, als wir weggingen, eine hübsche kleine Szene beobachtet. Eine Schauspielerin hätte davon lernen können.«

»Sie machen mich neugierig, Dagobert.«

»Die Dienerschaft half den Herrschaften in die Überkleider. Ein junger Mann, unzweifelhaft der hübscheste in der ganzen Gesellschaft – er hat so schöne melancholisch-träumerische Augen – «

»Ich weiß schon – Baron André, der kleine Attaché.«

»Bei welcher Gesandtschaft?«

»Bei keiner vorläufig. Er ist Diplomat von Beruf und wartet nun hier darauf, daß ihn seine Regierung nach Petersburg oder Madrid dirigiere.«

»Gut. Ich bemerkte also, daß dieser junge Mann nicht ohne Geschicklichkeit so manövrierte, daß nicht einer der sechs Lakaien dazu kam, ihm beim Anziehen behilflich zu sein, sondern das einzige im Vorzimmer anwesende Stubenmädchen.«

»Die war eigentlich da, um den Damen zu helfen.«

»Verstehe vollkommen. Kein schlechter Geschmack; hätte mir auch lieber von ihr helfen lassen. Ich beobachtete weiter. Und nun kommt die kleine Szene; sie war allerliebst. Er drückt ihr etwas in die Hand, das Trinkgeld. Da hätten Sie das Gesicht des Kammerkätzchens sehen sollen; es war zu reizend. Im ersten Moment Verblüffung, eisige Kälte, ja geradezu Entrüstung. Dann ein rascher Blick und darauf sofort hellster Sonnenschein. Rasch fuhr die ordnende Hand noch einmal über seinen Überrrock, dann ein freundliches Lächeln und eine devote Verbeugung. Das Mädel hat mir gefallen!«

»Wenn sie Ihnen nur gefallen hat, Dagobert! Und was hat es weiter auf sich mit Ihren interessanten Vorzimmerstudien?«

Frau Violet sagte das in nicht gerade sehr gnädigem Tone. Freund Dagobert hätte wissen können, daß man bei einer schönen Frau, vielleicht bei einer Frau überhaupt, sehr selten Glück damit hat, wenn man über ein anderes weibliches Wesen besonders entzückt ist. Und nun erst, wenn dieses andere Wesen ein Stubenmädchen ist! Ernste Forscher sind zwar längst darüber einig, daß unter Umständen auch Stubenmädchen ihre ästhetischen Vorzüge haben können, aber über gewisse Dinge ist mit Frauen einmal nicht zu reden.

»Ich meine,« fuhr Dagobert fort, »daß dieses wechselnde und ausdrucksvolle Mienenspiel einer Künstlerin auf der Bühne einen Spezialapplaus eingetragen haben würde. Während der Fahrt zu Ihnen, meine Gnädigste, habe ich mir die Sache dann zurechtgelegt. Die Zofe hat in ihrer Hand zuerst die kleine Münze gespürt. Darob die gerechte Entrüstung. Der rasche Blick belehrte sie, daß es keine kleine Münze, sondern ein Goldstück war. Daraufhin –«

»Erlauben Sie, lieber Dagobert,« unterbrach ihn Frau Violet ein wenig ungeduldig, »Ihre Trinkgeldphilosophie mag ja recht interessant sein, aber eigentlich ist es doch nicht das, was ich von Ihnen wissen wollte.«

»Ich bin ganz bei der Sache, meine Gnädigste, aber man muß einen Menschen doch ausreden lassen. Goldstücke als Trinkgelder sind bei uns nicht recht gebräuchlich. In älteren Opern und Tragödien wirft man der Dienerschaft noch einen Beutel Zechinen hin, aber das ist nicht mehr modern. Heutigestags sind nur noch die französischen Dramatiker besonders verschwenderisch. Die lassen ihre Helden gewöhnlich einen ungeheuern Aufwand treiben – aus eine Million mehr oder weniger kommt es ihnen gar nicht an –, und namentlich lassen sie sie gern riesige Trinkgelder verteilen. In unserem bürgerlichen Gesellschaftsleben ist das nicht Stil. Wir geben einen Silbergulden, und ich meine –«

»Aber – Dagobert!!!«

»Werden Sie mir nur nicht ungeduldig, meine Gnädigste!«

»Wie soll da aber ein Mensch auch nicht ungeduldig werden! Sie wollten von einem Herzensroman sprechen, bei dem ich eine Rolle spielen sollte, und nun halten Sie mir einen Vortrag – über Trinkgelder!«

»Ich sagte, daß ich mir die Sache im Wagen zurechtgelegt habe. Die Trinkgeldgeschichte hat mich erst auf die richtige Fährte gebracht. Der junge Mann ist nicht dumm –«

»Hat auch niemand behauptet!«

»Und geht sehr methodisch vor. Baronin Gretl ist die anmutigste und liebenswürdigste junge Dame, die ich kenne. Wer hat ihn denn eigentlich in die Gesellschaft eingeführt?«

»Gretls Vettern, Fredl, der Kavallerist, und Gustl, der Ministerialsekretär, mit denen er intim befreundet ist. Sie müssen ihn übrigens auch vom Klub her kennen, wo er, seitdem er hier ist, als Gast eingeschrieben ist.«

»Er war mir noch nicht ausgefallen. Also er geht methodisch vor. Er liebt Baronin Gretl, und das ist ihm sicher zu verdenken.«

»Woher wissen Sie das, Dagobert?«

»Zuerst bemerkte ich es daran – aber Sie dürfen nicht böse werden – wie er Ihnen den Hof machte, gnädigste Frau.«

»Mir?!«

»Ihnen. Allerdings. Das war ganz richtig kalkuliert. Sie vertreten dort die Hausfrau und, wie ich gleich hinzufügen will, mit bewunderungswürdiger Grazie und unvergleichlicher Umsicht. Er hat Ihren Einfuß nicht zu hoch eingeschätzt. Seine Chancen stünden schlecht, wenn er Sie gegen sich hätte. Er hatte sich also an Sie herangemacht und, wie ich mit Vergnügen bemerkt habe, nicht ohne Erfolg.«

»Was wollen Sie damit sagen, Dagobert?«

»Was ich gesagt habe. Sie haben ihn in Ihr Herz geschlossen.«

»Weil er ein reizender Mensch ist.«

»Das sage ich auch. Es läßt sich nichts Hübscheres und Liebenswürdigeres denken als die Art, wie Sie, gnädige Frau, trotz der vielseitigen Inanspruchnahme die beiden Leutchen wohlwollend zu bemuttern wußten.«

»Habe ich damit etwas Unrechtes getan?«

»Gewiß nicht. Mir war es eine spezielle Freude, zu sehen, wie sich auch bei Ihnen der echt weibliche Trieb, Ehen zu stiften, betätigte.«

»Und was hat bei alledem – das Trinkgeld zu tun?«

»Nicht viel mehr, als daß es mich auf einige Ideen gebracht hat. Ich hätte sonst kaum über die ganze Geschichte weiter nachgedacht. Methodisch – sagte ich. Sie waren gewonnen. Irgendein Lümmel von den Lakaien hätte ihm kaum etwas nützen können, dagegen kann die Zofe unter Umstünden eine ganz verwendbare Bundesgenossin werden.«

Nun war auch Frau Violet befriedigt. Es hatte ihr doch gefallen, wie Dagobert all das herausgebracht hatte, wovon sie geglaubt hätte, daß es noch kein Mensch bemerkt habe. –

Einige Tage später befand sich Dagobert wieder im Grumbachschen Hause. Sie waren nur zu dritt bei Tisch gewesen, dann begaben sie sich ins Rauchzimmer, wo Frau Violet sich's auf ihrem Lieblingsplätzchen beim Kamin bequem machte, während die beiden Herren sich am Rauchtische einrichteten. Man saß erst eine Weile schweigend, und dann begann Dagobert mit ganz harmloser Miene, als spreche er von der natürlichsten und selbstverständlichsten Sache der Welt: »Weißt du übrigens, mein lieber Grumbach, daß in deinem Klub falsch gespielt wird?«

»Um Gottes willen!« rief Grumbach und fuhr wie von der Tarantel gestochen auf. Er war ganz blaß geworden. »Das ist ja entsetzlich! Und das sagst du mir erst jetzt?!«

»Ich weiß es selber erst seit heute vormittag, und ich wollte dir nicht vor Tisch den Appetit verderben.«

»Ich danke ab!«

»Das heißt, du willst dich um nichts kümmern. Dein Nachfolger soll dann sehen, wie er mit der Geschichte fertig wird.«

»Jedenfalls will ich mit solchen Geschichten nichts zu tun haben.«

»Von dir aus soll also dann ruhig weiter falsch gespielt werden?«

»Aber Dagobert, siehst du denn nicht, daß meine Lage furchtbar ist?«

»Angenehm ist sie allerdings nicht, Herr Präsident!«

»Da wird sich ein namenloser Skandal entwickeln!«

»Das ist wohl anzunehmen.«

»Und der Klub wird dabei zugrunde gehen! Was haben wir uns nicht alles auf unsere bürgerliche Ehrbarkeit zugute getan! Mit welcher Beruhigung haben nicht unsere alten Herren uns ihre Söhne zugeführt, – und nun das, das Allerschrecklichste. Ich geh'!«

»Ich denke, daß du gerade bleiben mußt, um den Klub zu retten.«

»Ich danke dir! Wessen Name wird mit der schmutzigen Geschichte in Zusammenhang gebracht werden? Der meinige! Das Regime Grumbach! Unter seinem Vorgänger war derlei doch nicht möglich! Den Klub retten? Der ist so wie so verloren. Es braucht nur ein Wort davon in die Öffentlichkeit zu dringen, – und wie willst du das verhindern? – und jeder, der nur etwas auf seine Reputation hält, wird sich zurückziehen. Mit Recht. Polizei, Staatsanwalt, ein Skandal, wie er noch nicht da war, – und mitten drin throne ich als Präsident!«

»Es ist eine böse Geschichte, Grumbach, aber eben deshalb müssen wir trachten, den Kopf nicht zu verlieren.«

»Da läßt sich nichts mehr machen, wenn die Sache einmal ins Rollen gekommen ist. Soll ich's vielleicht auf mich nehmen, solche Geschichten zu vertuschen?! Es ist meine Pflicht, die Anzeige zu machen, und damit reiße ich den Klub zusammen.«

»Hja – ehrlich gestanden, bin ich mir in diesem Falle selber nicht klug genug.«

»Was weißt du, Dagobert?«

»Ich weiß zunächst nur, daß falsch gespielt wird, mehr nicht.«

»Hast du Beweise?«

»Ich habe sie in der Tasche.«

Er griff in die Rocktasche und brachte ein Spiel Karten zum Vorschein, das er Grumbach überreichte. Frau Violet, die schon still vor sich hinzuweinen begonnen hatte, weil sie nicht ohne Grund ihre glücklich errungene gesellschaftliche Stellung ernstlich bedroht sah, wenn Grumbach wirklich abdankte, gesellte sich nun zu den beiden Herren und begann mit ihrem Gatten das verhängnisvolle Spiel zu prüfen. Beide waren aber außerstande, irgend etwas Verdächtiges zu entdecken.

»Die Sache ist ja nicht schlecht gemacht,« gab Dagobert zu, »aber es ist doch die einfachste Form der Maquillage. Es gibt noch bessere Methoden. Diese ist nur die bequemste und für ein Publikum, das nicht argwöhnisch ist, vollkommen ausreichend.«

»So zeigen Sie uns doch,« drängte Frau Violet, »wie und wo diese Karten gezeichnet sind!«

»Aber mit Vergnügen, meine Gnädigste. Zuerst will ich Ihnen aber beweisen, daß sie wirklich markiert sind. Wollen Sie so freundlich sein und das Spiel mischen. Nur noch mehr! So! Haben Sie gut gemischt?«

»Gewiß!«

»Gut, und nun, Grumbach, hebe du ab. Noch einmal! Man kann nicht vorsichtig genug sein. Und nun werde ich Blatt geben. Wie viele Karten soll ich Ihnen geben, Gnädigste?«

»Sagen wir vier.«

»Gut, da haben Sie vier Karten. Halten Sie sie nur recht vorsichtig, damit ich sie nur ja nicht sehe. Hier auch für dich vier Karten, Grumbach. Glauben Sie, daß ich sehen konnte, was ich Ihnen gab?«

»Unmöglich!«

»Natürlich ganz unmöglich, aber Sie, meine Gnädigste, haben Herz Dame, Carreau König, Herz acht und Pique Dame, und du, Grumbach: Pique König, Herz Buben, Treff Aß und Carreau Aß. Stimmt es?«

Es stimmte.

»Und glauben Sie nun,« fuhr Dagobert fort, »daß mir diese Wissenschaft einen recht erheblichen Vorteil über meine Mitspieler sichert?«

»Ob ich das glaube!« rief Frau Violet. »Hören Sie, Dagobert, Sie sind mir unheimlich. Sie sind ja förmlich selber ein vollendeter Falschspieler!«

»Ich könnte es wenigstens sein, meine Gnädige. Denn alles, was dazu gehört, weiß und beherrsche ich vollkommen. Mein Gott, man macht seine Studien. Es gibt nämlich auch dafür eine Literatur. Ein sehr belehrendes Buch über das Falschspiel hat der hervorragende französische Polizist Mr. Cavaillé geschrieben. Unterhaltend ist auch das Buch des Prestidigitateurs Houdin über denselben Gegenstand. Das gründlichste Buch darüber schrieb aber natürlich ein Deutscher, der unter dem Pseudonym Signor Domino sich nur notdürftig verbarg. Sogar eine eigene Zeitschrift war dieser nobeln Disziplin gewidmet. Sie erschien knapp vor Ausbruch der großen Revolution und führte den Titel Diogène à Paris. Das Falschspiel dringt auch in weitere Kreise und höher hinauf, als man gemeiniglich annimmt. Von Kardinal Mazarin wird mit aller Bestimmtheit behauptet, daß er ein Falschspieler gewesen sei. Vielleicht ist das Mythe, sicher aber und beglaubigt ist es, daß im Jahre 1885 Graf Callado, der Gesandte des Kaisers von Brasilien, in Rom beim Falschspielen abgefaßt worden ist.«

»Hören Sie, Dagobert, Sie wissen aber auch alles!«

»An mir ist, vielleicht nicht nur meiner Überzeugung nach, ein Detektiv verloren gegangen, und eine was für klägliche Rolle müßte ein solcher gegebenenfalls spielen, wenn er das alles nicht wüßte und könnte.«

»Jedenfalls mochte ich mit Ihnen nicht spielen,« sagte Frau Violet lachend.

»Ich danke für das ehrende Vertrauen, aber ich möchte es Ihnen selbst nicht anraten. Ich bin nämlich ein starker Spieler und in allen Sätteln gerecht. Ich habe das Spieltalent. Viel tue ich mir darauf nicht zugute, aber es ist einmal da. Ich wäre also auch ohne Mogelei für jeden, geschweige denn für Ihr kindliches Gemüt, meine Gnädige, ein sehr gefährlicher Gegner. Weil dem aber so ist, und weil ich alles weiß und kenne, spiele ich selbst niemals, grundsätzlich nicht. Ich bin nur ein sehr geachteter Kiebitz, der im Zuschauen keine Fehler macht, und gelte bei allen Streitfragen als oberste und inappellable Instanz.«

Grumbach war viel zu erregt und bekümmert, um jetzt den Plaudereien Dagoberts den richtigen Geschmack abgewinnen zu können. Er wollte wissen, wie Dagobert darauf gekommen sei, daß im Klub mit gezeichneten Karten gespielt werde.

»Das war sehr einfach,« entgegnete Dagobert. »Als Ausschußmitglied habe ich die Pflicht, mich um die Verwaltung zu kümmern. Was Küche und Keller betrifft, habe ich mich schon umgetan. Es ist alles in schönster Ordnung, und – tröste dich – das Defizit aus diesen Betrieben wird uns ungeschmälert erhalten bleiben. Dann wollte ich mich auch für das Kartendepartement interessieren. Von einem Amateurdetektiv wird dich das nicht wundernehmen. Auch da, was die Verrechnung betrifft, alles in Ordnung.«

»Ich danke für eine solche Ordnung!« rief Grumbach mit Bitterkeit dazwischen.

»Da kam mir die Idee,« fuhr Dagobert fort, »die einem anderen vielleicht nicht gekommen wäre. Ich wollte einmal die überspielten Karten überprüfen. Ich ließ mir also alle Kartenspiele, die während der abgelaufenen Woche zur Verwendung gelangt waren, ins Vorstandszimmer bringen, sperrte die Tür ab und nahm dann die Überprüfung vor.«

»Wie viele Spiele hat man Ihnen denn hingeschleppt?« fragte Frau Violet.

»Vierhundertundfünfzehn Spiele, meine Gnädige.«

»Herrgott, da haben Sie ja eine furchtbare Arbeit gehabt!«

»Es war nicht so arg. Sie müssen nicht glauben, daß ich jede einzelne Karte unter die Lupe genommen habe, sonst säße ich ja noch dort. Ich nahm aus jedem Spiele nur eine Karte, allerdings ein Honneur. Wenn nämlich die wichtigen Karten nicht gezeichnet waren, dann waren es die übrigen sicher auch nicht. War aber ein Spiel markiert, dann mußten es in erster Linie jene Blätter sein, auf die es in der Partie hauptsächlich ankommt. So konnte ich doch in drei Stunden fertig werden.«

»Und was hast du gefunden?« fragte Grumbach.

»Wie ich bereits bemerkt, – daß im Klub falsch gespielt wird. Ich habe sechs gezeichnete Spiele beseitigt und unter Verschluß genommen. Eines davon ist das hier.«

»Sie haben uns noch immer nicht gezeigt, wie sie markiert sind.«

»Ich glaube es doch schon gesagt zu haben, – Maquillage, einfache Maquillage!«

»Wir sind nicht vom Fach, lieber Dagobert. Mit uns müssen Sie schon etwas deutlicher reden.«

»Wohlan, hören Sie mir zu, gnädige Frau. Sie werden enttäuscht sein, wie einfach die Geschichte ist. Sehen Sie sich diese Rückseite der Karten an. Sie ist bedruckt und weist ein einfaches, mit Absicht so gewähltes Muster auf, daß es dem Auge keine besonderen Anhaltspunkte biete. Wir haben hier zahllose Punkte und kleine, nicht ganz geschlossene Kreislinien. Der Falschspieler hat nun folgende Methode gewählt: er nahm eine seine Nähnadel, tauchte ihre Spitze in reines, farbloses und durch Erhitzung flüssig gemachtes Wachs. Dann stach er leicht an bestimmter Stelle in die Rückseite, natürlich nicht so stark, daß die Spitze durch das Blatt durchgedrungen wäre. So leicht er auch stach, die Spitze hat doch eine kleine Vertiefung verursacht, und in dieser setzte sich ein Atom von Wachs fest.«

»Das kann man aber doch unmöglich mit den Fingerspitzen spüren!« bemerkte Frau Violet, indem sie gleich die Probe zu machen versuchte.

»Wenn er sich auf seinen Tastsinn hätte verlassen wollen, hätte er eine andere Methode versucht. Es gibt solche, sie sind aber gefährlicher und darum weniger empfehlenswert.«

»Aber sehen kann er diese Pünktchen doch auch nicht!« fuhr Frau Violet fort, wieder bemüht, dem Geheimnis auf den Grund zu kommen.

»Man kann sie sehr gut sehen. Lassen Sie nur das Licht auf der Rückseite spielen!«

»Ja, wahrhaftig!« rief Frau Violet erfreut. »Hier sieht man es ganz deutlich, – ein matter Punkt!«

»Das ist der ganze Witz. Das Kartenpapier glänzt, und in den Lichtreflexen macht sich ein toter Punkt leicht bemerkbar, allerdings nur für den Wissenden. Alles übrige ergibt sich von selbst. Sie sehen, da stehen acht kleine Kreislinien in einer Reihe, und es gibt zwölf Reihen. Ein Spiel könnte also aus sechsundneunzig Blatt bestehen, und der Künstler käme noch immer nicht in Verlegenheit, wo er für jedes Blatt seinen Punkt hinsetzen soll, wenn er sein System einmal festgestellt hat. Seinem Gedächtnis ist dabei gar nicht viel zugemutet. Die erste Reihe gilt für Coeur, die zweite für Carreau und so weiter. Angefangen wird mit dem König, dann kommt die Dame, – die ganze Sache, so frech sie ist, ist beinahe kindisch.«

Grumbach hatte bei weitem nicht das Interesse für die Details wie seine Frau. Ihn peinigte die kritische Lage, in die nun er und mit ihm der ganze Klub geraten war. Seine Gedanken bewegten sich nach ganz anderer Richtung.

»Ich bin nur glücklich, Dagobert,« begann er, »daß ich dich jetzt zur Hand habe. Du bist der Mann, dem Schwindel ein Ende zu machen.«

»Ich schmeichle mir allerdings, der richtige Mann zur richtigen Zeit an der richtigen Stelle zu sein. Ich verbürge mich dafür, daß ich dir den Gauner in wenigen Tagen stelle!«

»Du bist zu gütig, Dagobert, aber dafür danke ich ganz entschieden!«

»Habe ich mir so gedacht.«

»Wenn ich ihn kenne, muß ich ihn dem Gerichte ausliefern. Muß ich, geht gar nicht anders; und dann haben wir den öffentlichen Skandal mit all seinen Konsequenzen.«

»Das glaube ich auch. Was soll ich aber sonst tun?«

»Bringe mir den Schurken in aller Stille weg. Er soll sich seinen Strick anderswo suchen. Kein Mensch darf von der Geschichte auch nur ein Sterbenswörtchen erfahren, und was mich betrifft, so will ich nie mehr etwas von ihr hören.«

» Bon! Soll besorgt werden.«

Vier Tage später saßen sie wieder zu dritt im Grumbachschen Hause. Bei Tisch, wo die Dienerschaft ab und zu ging, wurde nur von gleichgültigen Dingen gesprochen, von den Soireen bei Eichstedts, von dem nächsten Damenabend, der im Klub veranstaltet werden sollte, und dergleichen mehr. Als sie aber dann im Rauchzimmer saßen, sicher vor Störungen durch die Dienerschaft, und Dagobert sich anschickte, harmlos weiterzuplaudern über die alltäglichen Ereignisse, da konnte Grumbach doch nicht länger an sich halten und brach mit der spannungsvollen Frage los: »Nun, Dagobert, wie steht's?«

»Womit?«

»So sei doch nicht so, – du kannst dir ja denken!«

»Du meinst doch nicht die – die gewisse Affäre?«

»Natürlich meine ich die! Was sollte ich sonst meinen?!«

»Ich dachte, damit dürfe man dir überhaupt nicht mehr kommen!«

»Sei nicht kindisch, Dagobert, ich muß doch wissen, was vorgeht!«

»Ich habe selbstverständlich deinen Auftrag erfüllt. Die Sache ist erledigt. Du kannst ruhig sein: es ist all right

»Gott sei Dank!« rief Grumbach aufatmend. »Ich kann also wirklich wieder ruhig schlafen?«

»Wie ein Murmeltier. Kein Mensch wird je etwas davon erfahren. Es müßte denn sein, wofür ich mich natürlich nicht verbürgen kann, daß der betreffende Herr selber plaudert, aber ich glaube, daß das nicht sehr wahrscheinlich ist.«

»Sie müssen erzählen!« drängte nun Frau Violet.

»Aber der Herr Gemahl erlaubt es ja nicht!«

»Unsinn, Dagobert, – erzähle!«

»Es gibt nicht viel zu erzählen, wenigstens nichts Dramatisches, da ich mich natürlich an deine Befehle halten mußte. Ich hatte zu erreichen, daß nicht mehr falsch gespielt werde. Das ist erreicht.«

»Ich bin furchtbar neugierig, wie Sie das gemacht haben,« warf Frau Violet ein.

»Die Sache war von Haus aus nicht schwer, und sie ist noch leichter gegangen, als ich mir es vorgestellt hatte. Zunächst also, meine Gnädige, mußte ich mir klarmachen, wie der Betrug ins Werk gesetzt wurde. Die Karten waren selbstverständlich vorher präpariert, – wie aber wurden sie auf den Spieltisch geschmuggelt? Am einfachsten ließ sich das machen, wenn einer von den Dienern, die mit den Karten zu tun haben, mit im Einverständnis war. Bei uns ist die Einrichtung so, daß zu jedem Spieltisch eine silberne Tasse mit drei Päckchen Karten auf ein niedriges Taburett gestellt wird. Die Herren lieben es, wenn sie eine Stunde mit einem Spiele gespielt haben, ein frisches Päckchen zu nehmen. Der Diener hätte also zu dem betreffenden Spieltisch und der betreffenden Gesellschaft –«

»Welche Spielgesellschaft war es?« fragte Grumbach.

»Keine Ahnung! – unter den drei Spielen nur das gezeichnete mit zu servieren gehabt. So hätte sich die Sache ganz unauffällig gemacht.«

»Und ist es so gemacht worden?« forschte Frau Violet.

»Nein, meine Gnädige. Unser Künstler arbeitet ohne Gehilfen. Das ist sicherer und billiger. En Mitwisser ist immer eine Gefahr, und zu große Spesen will man sich bei dem Geschäft doch auch nicht machen.«

»Ich begreife überhaupt nicht recht,« bemerkte Grumbach dazwischen, »wie einer bei uns auf diese Idee verfallen konnte, wo ich doch grundsätzlich und mit aller Strenge darauf halte, daß im Klub kein Hasardspiel gespielt werde. Das dulde ich absolut nicht!«

»Ein sehr schöner Grundsatz – zweifelsohne, und du hast sehr recht damit, mein lieber Grumbach, aber in der Praxis gibt es auch da einen Haken. Das Verbot muß bestehen – natürlich; der Staat erläßt es ja auch, obschon nur da die Bevormundung weniger gefällt. Wenn ein paar Tagediebe dumm genug sind, sich auch auf solche Scherze einzulassen, so weiß ich nicht, ob man das Recht oder die Pflicht hat, sie gerade da beim Zipfel zu nehmen. Läßt man sie da nicht, so wissen sie sich sicher irgendeine andere, nicht minder ausgiebige Dummheit zu finden.«

»Man muß die Leute vor sich selber schützen,« bemerkte der Herr Präsident.

»Vielleicht die wirtschaftlich Schwachen. Für die Schwachen im Geist und Charakter gibt es keinen Schutz.«

»Nur jetzt keine Philosophie, lieber Dagobert!« flehte Frau Violet. »Erzählen Sie lieber weiter; so neugierig war ich noch nie!«

»Sofort, meine Gnädige – nur noch eine Bemerkung. Der Trieb, Hasard zu spielen, besteht einmal, ist vielleicht in der menschlichen Natur begründet, und da kann er, wenn er sich betätigt, leicht gefährlicher werden, wenn das gezwungenermaßen im geheimen geschieht, als im Lichte und unter der Kontrolle der Gesellschaft. Aber das nur nebenbei. Das Verbot muß natürlich schon anstandshalber doch aufrechtbleiben. In unserem Falle bedurfte es des Hasardspiels gar nicht. Gespielt wird mit Marken. Wie hoch sich die Herren diese bewerten, das ist ganz ihre Sache, und kein anderer braucht es zu erfahren. Unser Künstler konnte sich da auch bei dem harmlosesten und erlaubtesten Spiele ganz ohne alles Aufsehen täglich seine drei- oder fünfhundert Gulden verdienen. Das ist, meine ich, auch schon etwas!«

»Hinrichten müßte man einen solchen Menschen!« meinte Frau Violet so nebenbei.

»Ich habe also die Klubdiener aufs Korn genommen. Es wird dir angenehm sein zu hören, Grumbach, daß sie mit dieser Sache absolut nichts zu tun haben. Ich habe sie, ohne daß sie's merkten, besonders scharf examinierte Sie sind vollkommen ahnungslos.«

»Das ist mir auch angenehm,« bestätigte Grumbach.

»Nun mußte ich also weiter kombinieren. Ich hatte sechs Spiele säsiert, und zwar drei Tarock- und drei französische Spiele, und alle waren nach demselben System gezeichnet. Durchgesehen hatte ich das Material von einer Woche. Nun war ich zu folgenden Schlüssen berechtigt: erstens: es gibt da nur einen Falschspieler. Zweitens: der Falschspieler hat täglich nur ein gezeichnetes Spiel in Verwendung gebracht. Das ist auch erklärlich. Denn drittens: er mußte das vorbereitete Spiel selber auf das Taburett praktizieren und dafür ein anderes Spiel in seiner Tasche verschwinden lassen. Kein ganz leichtes Problem, ich gebe es zu, aber doch immerhin lösbar. Die jungen Herren erscheinen meist im Frack. Denn gewöhnlich haben sie entweder ein Diner hinter sich oder irgendeine andere gesellschaftliche Verpflichtung noch vor sich. Mit Hilfe eines Claque und eines seidenen Taschentuches, die unauffällig auf die Kartentasse gelegt und von dort wieder ebenso unauffällig weggenommen werden können, ist das Problem schon zu lösen. Bei drei Spielern hatte der Fälscher immer zwei Chancen, neben dem Taburett zu sitzen. Bei einiger liebenswürdigen Beflissenheit hatte er überhaupt alle Chancen für sich. Auf die Wahl der Plätze wird ja nicht geachtet; es kommt auch nicht darauf an. Er konnte sogar noch einein der Partner gegenüber zuvorkommend sein und brauchte dann nur dem anderen wirklich zuvorzukommen.«

»Du warst von vornherein überzeugt,« fragte Grumbach, »daß es ein junger Mann sein müsse?« »Ja. Einer von unseren alten gediegenen Firmenträgern läßt sich auf solche Dinge nicht ein. Da wäre doch zuviel auf dem Spiele gestanden. Nein, das mußte ein leichtsinniges Früchtchen, irgendein verlorener Sohn sein.«

»So rücken Sie doch endlich mit Ihrer Enthüllung heraus, Dagobert!« mahnte die Hausfrau ungeduldig.

»Gleich, meine Gnädigste,« erwiderte Dagobert ruhig und sah auf die Uhr. »Ich habe absichtlich ein wenig gezögert, weil ich jetzt eine Störung, einen kleinen Zwischenfall erwarte. Punkt sieben Uhr! Es sollte mich doch wundern – ich muß sagen, eine Unpünktlichkeit würde ich in diesem Falle doch sehr übelnehmen.«

»Ja, was erwarten Sie denn?« forschte Frau Violet neugierig.

»Ein kleines Lebenszeichen von dem Falschspieler.«

»Sie meinen doch hoffentlich nicht, daß er so freundlich sein wird, uns mit seinem Besuch zu beehren?«

»Das habe ich nicht verlangt.«

»Was sonst?«

»Ich habe ihm befohlen, heute punkt sieben Uhr abends an den Herrn Präsidenten eine Buße von fünftausend Kronen zu senden. Ah, er scheint wirklich pünktlich gewesen zu sein. Was gibt's Neues, Peter?«

Die letzten Worte galten dem Diener, der eben eingetreten war. Es sei ein Dienstmann draußen mit einem Brief, den er Herrn Grumbach persönlich übergeben müsse. Der Mann wurde hereingelassen. Grumbach schnitt das ihm überreichte große und starke Kuvert auf. Es enthielt fünf Stück Tausendkronennoten und sonst keinerlei schriftliche Mitteilung, auch eine Adresse war auf dem Umschlag nicht.

»Wer schickt Sie?« fragte Grumbach den Mann.

»Verzeih, lieber Freund,« fiel da Dagobert ein und wandte sich dann an den Boten. »Bezahlt sind Sie doch?«

»Jawohl, Euer Gnaden.«

»Dann können Sie gehen. Richten Sie aus: ›Es ist gut.‹ Sonst nichts. Adieu!«

Als der Dienstmann wieder draußen war, fuhr er fort: »Du mußt schon entschuldigen, Grumbach, daß ich dir da dazwischengefahren bin, aber es ging nicht anders. Dabei bin nämlich auch ich beteiligt, und wenn das der Fall ist, muß ich wenigstens auf fair play halten. Ich habe dem Mann einige Verpflichtungen auferlegt. Die hat er erfüllt, zum Teile wird er sie noch erfüllen. Damit habe ich stillschweigend als Gegenleistung übernommen, ihn nicht zu verraten.«

»Mit Gaunern paktiert man nicht!«

»Das ist richtig. Dann hatte ich ihn aber kurzerhand der Polizei übergeben müssen. Das wolltest du nicht. Da mußte also ein Ausweg gefunden werden. Jedenfalls geht es nicht an, einen Menschen, und sei es auch ein Verbrecher, für eine Sache doppelt zu strafen, ihn erst privatim zu brandschatzen und ihn dann auch noch dem Gerichte auszuliefern. Das wäre nicht fair

»Wer ist denn nun aber der Unglücksmensch?« fragte Grumbach erregt.

»Ja, wie soll ich das wissen?!« antwortete Dagobert mit sehr unschuldiger Miene.

»Da hört doch alles auf – wer sonst?!« rief Grumbach.

»Ich gebe dir mein Ehrenwort, Grumbach, daß ich es nicht weiß.«

Frau Violet sah mit offenem Munde zu Dagobert auf.

»Sie wissen es nicht, Sie geben Ihr Ehrenwort – und das soll ein Mensch glauben?! Und hier liegen die fünftausend Kronen! Ja, Dagobert Trostler, sind Sie von Sinnen?«

»Ach, die fünftausend Kronen, – die sollten nur eine sinnige Überraschung für Sie sein, meine Gnädigste. Sie sehen, ich denke immer an Sie. Im übrigen bin ich wirklich kein Hexenmeister. Es geht alles sehr natürlich zu. Grumbach wollte den Übeltäter nicht kennen. Mir war es auch lieber, wenn ich seine persönliche Bekanntschaft nicht machen mußte und wenn ich eine persönliche Begegnung vermeiden konnte. Ich hätte ihn doch wenigstens ohrfeigen müssen. Das wäre das mindeste gewesen, was mir geblüht hätte. Und – Sie begreifen – man regt sich nicht gern ohne Not auf. Da habe ich es doch vorgezogen, an unserem Programm festzuhalten, den Mann nicht zu entlarven, den Skandal zu vermeiden und nur seinen weiteren Betrügereien einen Riegel vorzuschieben.«

»Und wie haben Sie das angestellt?«

»Es war kein besonderes Kunststück. Ich wußte, daß der Gauner die präparierten Spiele selber mitbringen müsse, und zwar zwei Spiele, da er gerüstet sein mußte sowohl für französische Karten wie für Tarock. Zur Verwendung bringen konnte er nur ein Spiel, und im vornhinein konnte er nicht wissen, welches. Es schien mir nicht wahrscheinlich, daß er zwei Spiele bei sich am Leibe tragen werde. In einem knappen, eleganten Salonanzug hätte das doch leicht auffallen können. Ich begab mich also, als alles beim Spiele an der Arbeit war, in die Garderobe, und indem ich tat, als suchte ich meinen Überzieher, fuhr ich mit beiden Händen an allen dort hängenden Röcken herunter. Einen Diener, der mich hilfsbereit fragte, ob ich etwas suche, schnauzte ich so furchtbar grob an, daß er sofort spurlos verduftete. Dann fand ich auch, was ich suchte.«

»Ein Kartenspiel?«

»Ich fühlte es von außen, daß es ein Kartenspiel sei. Ich griff in die Tasche. Die Karten waren unter ein seidenes Taschentuch gesteckt, damit sie nicht etwa von außen gesehen werden konnten. Ich nahm die Karten an mich. Eine kurze Prüfung im Vorstandszimmer überzeugte mich, daß ich an den richtigen Mann, beziehungsweise an den richtigen Rock geraten war. Nun war die große Frage: was tun? In Anbetracht aller Umstände entschied ich mich für folgenden Ausweg: ich schrieb hastig einen Brief, den ich nun an Stelle der Karten in jene Tasche steckte.«

»Was schrieben Sie in dem Brief, Dagobert?« fragte Frau Violet gespannt.

»Ich kann ihn wörtlich zitieren: ›Die Beweise habe ich in der Hand. – Zwei Bedingungen: 1. Sie werden den Klub nicht mehr betreten. 2. Der Präsident wird von Ihnen am nächsten Dienstag um sieben Uhr abends, pünktlich! fünftausend Kronen als wohltätige Spende für den Verein für entlassene Sträflinge zugeschickt erhalten.‹«

»Der Verein für entlassene Sträflinge!« rief Frau Violet erfreut.

»Eine Buße mußte ich ihm auferlegen, und ich entschied mich auf gut Glück für die genannte Summe, obschon ich natürlich nicht wissen kann, wieviel er seinen Opfern abgenommen hat. Drei Tage ließ ich ihm Zeit, weil ich annahm, daß es ganz gut möglich sei, daß ein Spieler momentan kein Geld hat, daß er es sich aber in drei Tagen beschaffen kann, wenn es unbedingt sein muß. Daraus kann man sich bei Spielern schon verlassen.«

»Dagobert, Sie denken aber auch an alles!«

»Ich bin noch nicht fertig, Gnädigste. Weiterungen wollten wir ja vermeiden; ich durfte also auch nicht nach den Opfern forschen, um ihnen etwa den Verlust ganz oder teilweise zu ersetzen. Dabei hätte ja die ganze Geschichte aufkommen müssen. Ich entschloß mich also, den Verein für entlassene Sträflinge zu bedenken. Aus zwei Gründen: erstens, um Ihnen eine Freude zu machen, da Sie doch eine der eifrigsten Vorstandsdamen des Vereines sind, und zweitens, weil ich es nur für recht und billig hielt. Ich dachte mir nämlich, wenn der Mann schon das Geld hergibt, soll er wenigstens die Möglichkeit haben, einmal auch etwas davon zu haben.«

»Dagobert, Sie sind ein Humorist!«

»Indem ich ihm aber die Bedingungen stellte, habe ich einen Vertrag mit ihm geschlossen und mich meinerseits stillschweigend verpflichtet, ihn nicht, wenigstens nicht gleich zu verraten. Du siehst also, Grumbach, es wäre nicht loyal gewesen, den Dienstmann über den Absender auszuholen. Übrigens – verlaß dich darauf – hätte es auch nichts genutzt. So klug war er jedenfalls, daß er nicht selber den Boten abgefertigt, sondern daß er sich einer unverfänglichen Mittelsperson bedient hat, deren Personalbeschreibung uns gar nichts nutzen würde.«

Grumbach hätte nun doch gern erfahren, wer der Betrüger sei, der den Klub geschändet hatte, aber er wußte, daß Dagobert einen harten Schädel hatte und sich nicht nach Belieben weiter treiben ließ, als er gehen wollte. Im Innern war er doch sehr zufrieden über diese Art der Lösung, weil sie dem öffentlichen Skandal vorbeugte, der sonst unvermeidlich gewesen wäre.

Dagobert ließ sich einige Tage nicht blicken und kam erst wieder, um verabredetermaßen Frau Violet zu einer Soiree bei Eichstedt abzuholen. Grumbach, geschäftlich aufgehalten, wollte erst eine Stunde später nachkommen. Während der Fahrt kam Frau Violet wieder auf den Falschspieler zurück. Der Fall interessierte sie doch sehr.

»Dagobert,« begann sie, »ich glaub's nicht, daß Sie's nicht herausgebracht haben, wer es ist. Das kann Ihnen doch keine Ruhe gelassen haben!«

»Ich habe es auch herausgebracht, meine Gnädigste, aber verraten Sie mich Ihrem Mann nicht.«

»Das ist lieb von Ihnen, Dagobert, daß Sie mir's sagen wollen.«

»Das habe ich nicht gesagt, und das werde ich auch nicht tun.«

»Ja, was soll ich denn nicht verraten?«

»Daß ich's weiß; sonst setzt er mir doch zu, und es wäre nutzlos.«

»Warum wollen Sie mir's aber nun nicht sagen?«

»Es gibt ernste Gründe dafür, daß Sie es nicht erfahren.«

»Das verstehe ich nicht, Dagobert.«

»Ist auch gar nicht nötig, meine Gnädige.«

»Aber wie Sie's herausgebracht haben, können Sie mir doch sagen.«

»O ja, schon damit Sie sich keine übertriebenen Vorstellungen von meiner Detektivkunst machen. Dazu bedurfte es keiner besonderen Schlauheit. Ich wußte, daß die Diener in der Garderobe den Mitgliedern und den ständigen Gästen immer dieselbe Nummer anweisen. Das ist ja sehr praktisch. Ich brauchte mich also nur zu erkundigen, wem die betreffende Nummer gehörte, an welcher der bewußte Überzieher hing.«

»So einfach?« sagte Frau Violet ein wenig enttäuscht. Sie hatte sich die Sache viel romantischer vorgestellt. »Sagen Sie noch eins, Dagobert. Haben Sie nicht gefürchtet, daß Sie den Mann zum Selbstmord treiben konnten, als Sie ihm jenen Brief zusteckten?«

Dagobert zuckte die Achsel.

»Ich hätte das für kein Unglück gehalten und mein Gewissen nicht beschwert gefühlt.«

»Sie sind schrecklich, Dagobert. Er hätte aber auch Ihnen etwas antun können.«

»Ich hatte, was ich sonst nicht gern tue, anonym geschrieben. Hätte ich mich genannt, dann hätte ich ja auch nicht schweigen können.«

»Noch eins, Dagobert. Mußten Sie nicht annehmen, daß er auf Ihren Brief hin fliehen werde, und zwar, bevor er die hohe Summe als Buße erlegte?«

»Ich vermutete gleich, daß er nicht fliehen würde, und jetzt weiß ich es bestimmt. Er hat noch ein großes Geschäft vor, das er nur im äußersten Notfall im Stiche lassen wird. Aber wir sind zur Stelle; erlauben Sie, daß ich zuerst aussteige.«

Sie waren als die ersten gekommen, aber bald strömten die Gäste herzu, und Frau Violet machte in ihrer entzückenden Art die Honneurs. Dagobert suchte sich Baronin Gretl auf.

»Baronin Gretl!« begann er. »Wollen Sie mir zwei Minuten schenken?«

»Mit tausend Freuden auch viel mehr, Herr Dagobert!« Sie nannte ihn auch Dagobert, wie die meisten Leute. Viele wußten nicht einmal, daß das gar nicht sein Zuname sei.

»Aber ungestört!« fuhr er fort.

»Dann stellen wir uns in jene Fensternische.«

»Das ist mir nicht ungestört genug.«

»Dann kommen Sie mit in Papas Schreibzimmer. Dort können wir die größten Geheimnisse verhandeln.«

Im Schreibzimmer setzten sie sich zurecht, und Dagobert fuhr sich sorgenvoll mit der Hand über sein Petrusschöpfchen, als er wieder begann: »Baronin Gretl, ich muß Ihnen Schmerz bereiten.«

»Von Ihnen kommt nichts Schlimmes, Herr Dagobert.«

»Wollte Gott, daß Sie es leicht nähmen! Baronin Gretl, Sie interessieren sich für einen jungen Mann.«

»Ach Gott, Herr Dagobert, – nun kommen auch Sie mir damit! Sie werden mir jetzt beweisen, daß er nichts hat. Das alles weiß ich schon, weiß es aus seinem Munde. Er denkt zu vornehin, um das zu verschweigen, und ich vielleicht, um mir etwas daraus zu machen!«

»Nein, Baronin, das wollte ich nicht. Ich bin kein Philister, und ich würde mich über Ihre Tapferkeit nur freuen. Sie haben es nicht nötig, sich von schäbigen Geldrücksichten bestimmen zu lassen.«

»Ich tät's auch nicht, wenn ich's nötig hätte, Herr Dagobert.«

»Brav gedacht, Baronin Gretl! Wenn der junge Mann auch nur brav und tüchtig und nebenbei ein hübscher Mensch ist –«

»Ist er's vielleicht nicht?« fragte Baronin Gretl lachend.

»O – er hat wunderhübsche Augen! Aber davon kann gar keine Rede sein, daß er Ihrer würdig wäre.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Daß er vielleicht alles, aber nur kein anständiger Mensch ist.«

»Herr Dagobert, derlei muß man beweisen können!«

»Natürlich muß man das.«

»Dann beweisen Sie es!«

»Nein, Baronin, das will ich nicht. Es würde für Sie eine zu häßliche Erinnerung sein für das ganze Leben. Auch Ihr Vater soll es nicht erfahren. Er würde es immer als einen Schandfleck auf seiner Ehre empfinden –«

»Herr Dagobert!«

»Als einen Schandfleck, daß ein solcher Mensch in seinem Hause ein- und ausgegangen ist.«

»Und das alles soll ich Ihnen aufs Wort glauben?!«

»Doch nicht ganz, Baronin. Wir wollen nur im allseitigen Interesse über die Qualitäten des jungen Mannes schweigen. Ich hoffe, Sie auch so überzeugen zu können.«

»Und wenn nicht?!«

»Dann rette ich Sie gegen Ihren Willen. Ich habe schon einmal einen Selbstmörder aus dem Wasser gezogen, der mich dann durchgeprügelt hat. Das kommt vor. Ich dulde einfach nicht, daß der Mann Ihnen noch einmal die Hand reicht, noch einmal das Wort an Sie richtet. Ich dulde es nicht. Ich will Ihnen sagen, was sich in der nächsten Viertelstunde begeben wird und was Ihnen als vollgültiger Beweis dienen mag. In dem Moment, wo man sich zu Tische setzen wird, wird ein Diener jenem Herrn diesen Brief überreichen. Lesen Sie ihn Baronin.«

Baronin Gretl las:

»Ich befehle Ihnen, die Gesellschaft sofort und ohne Gruß zu verlassen. Ich befehle Ihnen weiter, innerhalb der nächsten vierundzwanzig Stunden von Wien abzureisen und sich nie wieder in dieser Stadt blicken zu lassen, – sonst Polizei! Dagobert Trostler. Wien 1., Tuchlauben 2. I.«

»Das ist entsetzlich!« sagte Baronin Gretl tonlos, als sie gelesen hatte. Sie war ganz blaß geworden, und sie blickte ratlos und wie hilfesuchend zu Dagobert auf.

»Glauben Sie, Baronin,« nahm dieser das Wort, »daß ein anständiger Mensch sich das bieten läßt? Wenn er noch einen Funken Ehre im Leibe hat oder den letzten Rest eines guten Gewissens, dann muß er mich auf der Stelle ohrfeigen – Sie sehen, ich habe mich voll unterschrieben –, oder er schickt mir unverzüglich seine Zeugen, und ich muß mich mit ihm schießen auf Leben und Tod. Nichts von alledem wird der Fall sein. Er wird sich lautlos davonschleichen wie ein verprügelter Hund.«

Baronin Gretl saß bleich und stumm da, aber sie drängte tapfer die aufschießenden Tränen zurück. Plötzlich leuchtete es in ihren Augen auf wie von Entschlossenheit.

»Gut,« sagte sie. »Wenn er sich das gefallen lassen muß, dann ist er ein verlorener Mensch!«

»Er ist verloren, Baronin, und er verdient kein Mitleid. Mich schmerzt es, daß ich Ihnen wehe tun mußte. Glauben Sie, daß ich handelte, wie ich als Ihr Freund und als der Freund Ihres Hauses handeln mußte?«

»Ja, Herr Dagobert, das glaube ich.«

Die Ereignisse spielten sich genau so ab, wie Dagobert sie vorher verkündet hatte. Kalligraphierte Karten auf den Gedecken bezeichneten jedem seinen Platz an der Tafel. Dagobert hatte vorher eigenmächtig seine Karte zwischen die Plätze von Baronin Gretl und Baron André niedergelegt. Als man zu Tisch ging, überreichte ein Diener dem Baron André einen Brief, den dieser ungelesen in die Tasche steckte. Der Diener erlaubte sich, dem empfangenen Auftrage entsprechend, die untertänige Bemerkung zu machen, daß der Brief sehr dringlich sei und unverzüglicher Bescheid erwartet werde. Der Baron öffnete den Brief und durchflog ihn rasch. Dann neigte er sich vor, als wolle er das Wort an Baronin Gretl richten. Dagobert flüsterte ihm leise, aber sehr bestimmt zu: »Allons donc – sans adieu!«

Der Baron richtete sich wieder auf und verließ schweigend das Gemach. Die Gesellschaft bemerkte seine Entfernung kaum, und das Fest nahm seinen weiteren ungestörten Verlauf.


 << zurück weiter >>