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Tu-schi-niang wirft entrüstet das Juwelenkästchen in die Fluten

Hinwegfegend die plündernden Fremdlinge, stellte Er das Kaiserliche Reich wieder her;
Der Fittig des Drachen, die Klugheit des Phönixes trugen den Sieg davon in den Felsenhügeln;
Zur Rechten ist es umgeben von der östlichen See und vom Himmel gleich einem Gürtel,
Zur Linken strecken die zahllosen Grenzwände der Tä-hinghügel ihre Arme aus;
Auf allen Seiten starren Schwerter und Speere, zum Angriff und zum Schutz;
Während die wohlgekleideten Bürger eines jeden Königreiches sich in den Staub werfen, vor Ehrfurcht.
Allgemeiner Friede herrschte, zur Wonne des Volkes – es war ein glorreiches Zeitalter:
Aus der goldenen Schaale strömte immerwährende Nahrung dem Glanz der Sonne zu.

Dieses Gedicht verherrlicht unsre Residenzstadt Yen-king, die blühende Periode ihrer Gründung und die Schönheit und Macht des Staates Yen. Im Norden grenzte er an Hiung-kuan; im Süden an Gao-Hi; und es war in der That eine goldene Stadt und ein himmlisches Land. sein Thron unverletzlich für Jahrtausende!

In der Vorzeit fegte Vater Hung-wu, von der Ming-Dynastie, den Staub der Barbaren hinweg und errichtete seinen dreifüßigen Thron. Kin-ling war damals die südliche Hauptstadt, bis zur Periode unseres Vaters Yung-li von der Ming-Linie, der, mit seiner Macht von Pi-ping aufbrechend, alle Schwierigkeiten beseitigte und nach Yen-king eilte, welches alsdann zur nördlichen Hauptstadt gemacht wurde. Und so wurde ein schwarz und kalt aussehendes Land in sein Gegentheil verwandelt und ein Zeitalter des Geschmacks und des Glanzes begann. Neun Generationen hindurch, von der Regierung Yung-lo's an bis zur Periode Wan-li's von der Ming-Dynastie, befand sich hier unsre Residenz. Die Kaiser, welche die ersten elf der Reihe bilden, waren Männer von hohem Verstände, göttlichem Muth und vom vollkommensten Glück begleitet, jeder ungefähr fünfunddreißig Jahre am Ruder des Staates, zusammen 245 Jahre regierend. Sie warfen drei Aufstände nieder, welche den Frieden des Reiches störten und Alles in Verwirrung zu fetzen drohten. Diese drei Aufstände wurden erregt durch Go-sching-gan im westlichen Hi; Hu-siu-ki, den Kuan-pi von Japan; und Yang-ying-lung in Fan-tschou. Hu-siu-ki machte einen Einfall in Korea. Go-sching-gan und Yang-ling-lung waren einheimische Beamte, welche eine Verschwörung anzettelten – aber der erste wie der letzte, alle wurden sie zu paaren getrieben. Den entfernt wohnenden Fremdlingen blieb nichts anderes übrig als sich zitternd zu unterwerfen und sie wetteiferten, zur Residenz zu kommen und Tribut anzubieten. Da bewahrheitete sich in der That das Wort:

Man besaß Glückseligkeit, das Volk war beruhigt;
Im Bereich der vier Seen war das Königreich wider
Erwarten in tiefem Frieden.

Es war – um die Erzählung abzukürzen – im zwanzigsten Jahre der Regierung Wan-li's, als der Kuan-pi von Japan den Weltfrieden störte und in Korea einfiel. Der König von Korea sendete ein dringendes Hülfegesuch an den himmlischen Hof, um Soldaten auszuheben, Kaperschiffe auszurüsten und ihm beizustehen. Während das Ministerium des Zollhauses seine Vorbereitungen traf, die Lieferungen aber noch nicht vollständig eingegangen waren, wurde auf Zeit das Gesetz in Kraft gesetzt, daß wer Lieferungen für die Armee beschaffe sofort zum höchsten Staatsexamen zugelassen werden solle. Dies war eine besondere Vergünstigung für die Studirenden, welche ihren Grad zu erlangen wünschten. Es machten von diesem Gesetze Gebrauch Diejenigen welche Vorlesungen gehört, aber den Kursus noch nicht vollendet; Diejenigen welche nur einen niederen Grad erlangt hatten, aber ohne das Vorrecht sich weiter zu melden; endlich die Söhne von Beamten, Söhne und Brüder reicher Familien, welche nicht wünschten um Tä-hio-söng zu werden erst alle die niederen Grade durchzumachen.

Durch das Inkrafttreten dieses Gesetzes wuchsen die Tä-hio-söng der beiden Hauptstädte bis zur Zahl von 2000 und mehr an. Unter ihnen befand sich auch ein vornehmer junger Mann, mit Namen Li-kih-thsiän-hsiän, aus der Stadt Tschao-hsing in Tschi-kiang. Von den drei Söhnen, welche sein Vater Li-pu-tsching gehabt, hatte nur Li-kih die Jahre des Mannesalters erreicht. Er hatte von Jugend auf in einem Kollegium studirt, aber keinen Grad erlangt. Indem er nun von dieser Verordnung Gebrauch machte, betheiligte er sich an dem nördlichen Konkurse und legte daher sein Examen in der Hauptstadt ab und zwar besuchte er mit einem Landsmann aus der selben Stadt, Liu-yu-tschun, einem Baccalaureus der freien Künste, den nämlichen Examinator.

In dem grünen und rochen Stadttheil machte er die Bekanntschaft einer berühmten Kurtisane, mit Namen Tu-we-i, welche aber, da sie den Nummer 10 bewohnte, unter dem Namen Tu-schi-niang bekannt war. Ihre Gestalt war fein, von Kopf bis zu den Zehen, ihr Wesen und Benehmen liebenswürdig und süßduftend; ihre beiden geschwungenen Augenbrauen glichen den Linien der fernen Gebirge, ein paar Augen überwölbend, den fernsten Auszug der herbstlichen Meereswellen; ihre Taille war einem Lilienstengel vergleichbar, ihre Lippen den Pfirsichen, welche die Reinheit eines hochgelegenen weißen Hauses umschirmen. Sie war eine Schönheit wie Tscho-wan-kiun. Aber ihre Liebenswürdigkeit hatte etwas Bedauernswerthes, wie ein fleckenloser Edelstein, der uns um seine Schönheit betrügt indem er, gleichwie die Weiden und Blumen, vom Wind und Staube sich beschmutzen läßt. Seit ihrem vierzehnten Jahre war sie eine gebrochene Melone gewesen und stand nun in ihrem neunzehnten Jahre. In der Zwischenzeit hatte sie mit einer unbekannten Anzahl von jungen Herren und Edelleuten gelebt, welche einer nach dem andern von ihr bezaubert gewesen waren. Und wenn sie sich für sie zu Grunde gerichtet hatten und ihr Geld verbraucht war, so empfand sie keinerlei Bedauern.

Nun war der junge Li ein lustiger und eleganter junger Mann, und da er zuvor noch niemals mit irgend einer Schönen im Verhältniß gestanden, so war er über seine Bekanntschaft mit Tu-schi-niang über die Maaßen entzückt und gab sich ihr voll Leidenschaft gänzlich hin. Er war von vornehmem und edlen Aeußern, hatte ein warmherziges und gleichmäßiges Temperament, eine offene und freigebige Hand und da er überdieß die Aufmerksamkeit selbst war, so war er sehr wohl gelitten bei der jungen Dame. Sie wußte, daß die alte Frau, bei der sie lebte, nur auf Gewinn begierig und ohne Rechtlichkeit war, und deshalb beschäftigte sich Fräulein Tu seit einiger Zeit mit dem Gedanken sich zu verheirathen, und da sie die Tiefe der Beständigkeit und die Aufrichtigkeit der Absichten ihres Li wahrnahm, hatte sie ihr Herz gar sehr auf ihn gerichtet. Der junge Li wagte, aus Furcht vor seinem Vater, nicht, ihr seine Hand anzubieten, allein dessenungeachtet wurden die beiden mehr und mehr einander zugethan, sie gaben sich dem Vergnügen ihrer gegenseitigen Gesellschaft vom Morgen bis zum Abend hin, und indem sie zusammen wie Mann und Weib den ganzen Tag lebten, schwuren sie ganz natürlicherweise bei den Bergen und Seen, daß ihr Herz auf nichts anderes gerichtet sei:

Eine Zuneigung gleich de« See, eine unergründliche Zuneigung;
Eine Vereinigung fest wie die Berge und noch höher als diese.

Seit die alte Mutter Tu und ihre Tochter den Studenten Li-kih in ihr Haus ausgenommen hatten, hatten sie mehrere reiche und vornehme Personen abgewiesen, welche bei ihnen angeklopft, und ihre Bitte um eine Zusammenkunft war ihnen abgeschlagen worden. In der ersten Zeit, als der junge Herr verschwenderisch mit seinem Gelde umging, war Alles vortrefflich; die alte Frau zuckte mit den Achseln, lachte dabei und liebkoste ihn. Aber Tage und Monate flogen unmerklich dahin, und als ungefähr ein Jahr vergangen war, war Li-kih's Börse allmählich völlig erschöpft und seine Hand stand nicht mehr im Einklang mit seinem Herzen. Die Alte behandelte ihn nun schlecht, und der Vater Li, welchem es in der Heimath zu Ohren gekommen, daß sein Sohn öfters in diesem Hause verkehre, sandte ihm Briefe mit dem Befehl, heimzukehren – aber von den Reizen Tu-schi-niangs bezaubert konnte er es nicht über sich gewinnen, dem Befehl zu folgen; um so weniger als er erfahren, daß der alte Herr sehr aufgebracht sei. Ein altes Sprichwort sagt: wenn in einem des Gewinns halber eingegangenem Verhältniß der Nutzen aufhört, kühlt sich die Freundschaft ab – allein Tu-schi-niang fuhr fort, Li-kih mit aufrichtiger Freundlichkeit und zärtlicher Zuneigung zu begegnen, obwohl sie bemerkte, daß seine Mittel erschöpft waren. Die Alte befahl ihr wiederholt, ihn aus dem Hause zu weisen und als sie gewahrte, daß ihrem Befehl nicht gehorcht wurde, fertigte sie Li-kih in der Unterhaltung fortwährend kurz ab in der Absicht, seinen Zorn zu erregen und ihn auf diese Weise los zu werden. Er aber, von Natur sanften Gemüthes, steckte ihre Bemerkungen ein und war nur um so höflicher. Die Alte hatte nun kein andres Mittel mehr als über Tu-schi-niang herzufallen und sie auszuschelten:

– Wir sind für den Fortschritt, sagte sie, indem wir unsre Kunden aufessen und uns mit den Kleidern unserer Gäste kleiden, dem alten Freunde sagen wir an der Vorderchur Lebewohl und bewillkommnen den neuen an der Hinterthür, wir sind so geschäftig in unsrer Halle wie ein Feuer und unser Geld und Seide häuft sich an gleich einem Berge. Seit dem Tage, daß dieser Bursche Li-kih angefangen hat hier herumzuschwärmen, ist keinem einzigen neuen Besucher ein Wort gegönnt worden, und alle unsre alten Verbindungen haben wir dazu verloren. Es wäre ohne Zweifel Deine Pflicht, einen alten Tschung-kue-i zu empfangen und gleichzeitig diesen jungen Teufel wegzuschicken, daß er nicht wieder hier eintrete und uns alle zum Narren habe. Athem hat er, aber keinen Dampf und welchen Nutzen haben wir von ihm?

Auf diese Scheltrede konnte Tu-schiniang nicht mehr an sich halten, sondern erwiderte:

– Der junge Li ist keiner von Denen, die mit leeren Händen kommen, sondern er hat hier eine beträchtliche Geldsumme verausgabt.

– Dann und wann ein bischen, sagte die alte Frau, aber Du wirst ihn gefälligst morgen ersuchen, Dir eine gewisse Geldsumme zu zahlen, welche Du mir einhändigst, damit ich etwas Essen und Holz zum Unterhalt für Euch beide kaufe. Denn Dein Wunsch, alle andern Besucher abzuweisen, hat meine Geldquelle erschöpft und ich will mich nicht mein Lebenlang plündern und betrügen lassen, um solch einen weißen Tiger zu ernähren, der seine eigenen Mittel durchgebracht hat. Sind nicht alle die sieben Dinge, welche die Thore dieser Welt öffnen, durch meine Sorge für Dich herbeigeschafft? Willst Du mich vielleicht belehren von wannen Deine Kleider und Nahrung kommen? Sage jenem armen Schlucker, daß, wenn Deine Schuldigkeit ins Reine gebracht sei. Du ihm folgen kannst und frei werden; ich bin dann im Stande mich nach einem andern, vernünftigeren Geschöpfe umzusehen. Ist das nicht eine gegenseitig vortheilhafte Bedingung?

Tu-schi-niang sagte:

– Mutter, dies ist theilweise wahr und theilweise falsch.

Die alte Dame welche wußte, daß Li-kihs Börse nicht einen Heller enthielt und daß seine Kleider verpfändet oder abgetragen waren, war der Meinung, daß er nicht die Mittel habe, um die Bedingungen zu erfüllen, und so antwortete sie:

– Ich lüge nicht, ich sage die Wahrheit.

– Wie viel Täls, fragte Tu-schi-niang, verlangt Ihr von ihm?

– Wäre es ein Anderer, sagte die alte Hexe, so würde ich 1000 Täls verlangen, aber aus Mitleid mit dem Geldmangel dieses erbärmlichen Chinesen fordere ich nur 300 Täls, um dafür ein anderes gemaltes Gesicht an deiner Stelle anzuschaffen. Ich mache aber die Bedingung, daß die Summe binnen drei Tagen gezahlt werden muß, meine linke Hand wird das Baargeld einkassiren und meine Rechte wird die Waare überliefern. Falls das Geld nicht binnen drei Tagen zur Stelle ist, so werde ich den Mädchenräuber, Edelmann oder nicht Edelmann, züchtigen und dieses unfruchtbare Reis aus dem Hause werfen, ehe ich dreimal sieben ist einundzwanzig gezählt; Du brauchst Dich dann nicht über mich zu wundern.

– Obwohl der junge Edelmann, erwiderte Tu-schi-niang, durch seinen Umgang mit mir seine Mittel erschöpft hat, so glaube ich doch, daß er noch 300 Täls aufzubringen vermag, nur ist die Frist von drei Tagen zu kurz, und es würde besser sein ihm zehn Tage zu gewähren.

Wenn ich diesem leerhändigen erbärmlichen Burschen, dachte die alte Hexe, auch hundert Tage gewährte, wo sollte er das Geld herkriegen? Wenn er aber kein Geld anschaffen kann, so wird er andere Saiten aufziehen und ganz gewiß keinen Muth mehr haben hier einzukehren; ich werde dann wieder Ordnung in meinem Hause machen und das Mädchen wird sich auch zufrieden geben. Sie sagte darauf laut:

– Dir zu Gefallen will ich bis zu zehn Tagen Frist geben; wenn er in zehn Tagen kein Geld hat, so wasche ich meine Hände in Unschuld.

– Wenn er bis zu jenem Zeitpunkte das Geld nicht herbeischaffte, entgegnete Tu-schi-niang, so vermuthe ich, daß er in der That keinen Anspruch mehr darauf machen wird, sich hier sehen zu lassen. Meine einzige Besorgniß ist, daß, wenn er das Geld gezahlt haben wird, Ihr die Sache bereut und zurückzieht.

– Ich zähle einundfünfzig Jahre, erwiderte die alte Dame, und da ich zehn Vollkommenheiten erlangt habe, wie könnte ich mit Lügen umgehen? Wenn Du mir keinen Glauben schenkst so schlage die innere Fläche Deiner Hände zusammen und bekräftige so den Handel; wenn ich ihn rückgängig mache, so sollst Du mich für einen Hund oder ein Schwein halten.

Von Alters her ist es unmöglich gewesen mit einem Senkblei das Meer auszumessen;
Die unwürdige Absicht der Alten war lächerlich:
Da sie gewiß war, daß die Börse dieses verlassenen Studenten erschöpft war,
So bediente sie sich der Geldforderung nur, um die Schöne in Verwirrung zu bringen.

Nachdem sich Tu-schi-niang und der junge Mann zur Ruhe begeben hatten, theilte sie ihm die Sache mit und setzte ihn von ihren Zukunftsplänen in Kenntniß.

– Ich habe keinen andern Wunsch, sagte der junge Mann, nur sind die Ausgaben, um in die Examenslisten aufgenommen zu werden, sehr bedeutend gewesen, und wenn es auch selbst weniger als 1000 Täls wäre, so könnte ich es nicht aufbringen, meine Börse ist so leer als wenn sie ausgewaschen wäre – was ist zu thun?

– Ich habe bereits den Handel mit der alten Frau abgeschlossen, versetzte Tu-schi-niang, sie verlangt nur 300 Täls, aber sie müssen binnen zehn Tagen gezahlt werden; wenn auch alle Deine Mittel ausgegeben sind, hast Du keine Freunde oder Verwandte in der Residenz, bei denen Du auf kurze Zeit eine Anleihe machen könntest? Wenn Du die Summe zusammenbringst, so werde ich Dein Eigenthum sein und aus der unwürdigen Behandlung des schlechten alten Weibes gerettet.

– Wenn meine Freunde und Verwandten merken, antwortete er, daß ich das Geld will um hier zu bleiben, so werden sie mir nicht helfen. Ich will morgen meine Kleider zusammenpacken und ein Bündel daraus machen um abzureisen, und indem ich jedem in seiner Wohnung Lebewohl sage werde ich bei dieser Gelegenheit um ein Darlehn für die Reisekosten bitten, wenn ich in dieser Weise jeden einzelnen angehe, kann ich vielleicht die Summe zusammenbringen. –

Als er des Morgens mit Anziehen fertig war, sagte er ihr Adieu um fortzugehen.

– Sei vorsichtig, sagte Tu-schi-niang, und sieh, daß Du schnell Deinen Zweck erreichst, und bringe mir gute Nachrichten.

–Es ist unnöthig, mir das einzuschärfen, erwiderte er und verließ das Haus.

Er begab sich gradenwegs zu einigen seiner Freunde und Verwandten, indem er vorgab, er sei im Begriff abzureisen und wolle ihnen Lebewohl sagen, wenn sie eben im Zuge waren ihre Freude über seinen Entschluß auszudrücken, brachte er das Gespräch auf die Kosten der Reise, und bat, ihm eine kleine Summe vorzustrecken, indem er beständig wiederholte: »wenn ich Geld borge, so geschieht es nicht ohne einen vernünftigen Grund.« Seine Freunde aber, obwohl sie es ihm nicht ins Gesicht sagen wollten, sahen die Sache doch in dem Lichte an, daß Li ein leichtsinniger junger Mensch sei, der in liederliche Gesellschaft gerathen; daß er ein Jahr lang nicht in die Heimath habe zurückkehren wollen; daß seine Sitten inzwischen gänzlich verdorben seien; daß, wenn er auch nun nach Hause zurückzukehren beabsichtige, man doch nicht wissen könne, ob es wahr oder falsch sei, ob er es nicht nur vorgeschützt, um zu täuschen und das Reisegeld in die Hand zu bekommen, und nachher doch hier zu bleiben und es in Ausschweifungen zu vergeuden; endlich daß sein Vater der Ansicht sei, der ursprünglich gute Charakter seines Sohnes habe sich in sein Gegentheil verwandelt. Ueberall zeigte man sich daher über nichts mehr erstaunt, als daß er Lebewohl sage und fort wolle. Auf sein Reisegeldgesuch gaben sie ihm trocken zur Antwort: »es trifft sich grade augenblicklich, daß wir selbst sehr wenig Geld in der Kasse haben, sodaß wir Euch nicht zu unterstützen vermögen.« Einer nach dem andern gab diesen Bescheid und da war nicht Ein edelmüthiger Gönner, der Mitleid mit ihm gehabt und ihm freigebig zehn oder zwanzig Täls vorgeschossen hätte. Drei Tage lang lief Li umher und erhielt keinen Pfifferling. Er wagte nicht zu Tu-schi-niang zurückzukehren und es ihr mitzutheilen, er war in einem Zustande vollkommener Verwirrung, und da es ihm am vierten Tage ebenso erging und er nicht wußte was er anfangen solle, so schämte er sich noch mehr zu dem Hof Nr. 10 zurückzukehren. Da ihm Tu-schi-niangs Haus täglich zu Gebote gestanden hatte, so hatte er gar keine feste Wohnung genommen, und würde daher nun ohne jegliches Unterkommen für die Nacht gewesen sein, wenn ihm nicht der Baccalaureus Liu-yu-tschun, sein Landsmann, Logis gewährt hätte. Als dieser gewahrte, daß Li's Gesicht vor Kummer so zusammengeschrumpft war, daß man es mit zwei Händen hätte bedecken können, erkundigte er sich, was denn vorgefallen sei. Li setzte ihm seine Absicht, Tu-schi-niang zu heirathen, auseinander. Liu-yu-tschun schüttelte den Kopf und erwiderte:

– Das geht nicht! Das geht nicht! Da diese Dame die im Liede am höchsten gefeierte Kurtisane ist, so würden, wenn sie sich zu verheirathen wünscht, zehn Maaß Perlen oder 1000 Unzen Silber kaum hinreichen als Lösegeld, wie kommt es also, daß die alte Frau nur 300 Täls verlangt? Meiner Ansicht nach denkt die Alte, daß Du kein Geld hast, und hat diesen Kunstgriff nur angewandt, um das Mädchen sicher zu behalten, Dich aber tückisch vor die Thür zu setzen. Die junge Dame, welche mit Dir einige Zeit gelebt hat, möchte Dir nun nicht gradeheraus absagen, nachdem sie Dir die Haut über die Ohren gezogen; aber sie weiß sehr gut, daß Deine Hände leer sind und hat deshalb die Idee mit den 300 Täls zur Anschaffung eines Ersatzes aufgegriffen und gewährt Dir zehn Tage Frist. Wenn Du das Geld binnen zehn Tagen nicht hast, so wirst Du nicht dorthin zurückkehren mögen, solltest Du aber später doch wieder hingehen, so werden sie Dich verspotten und lächerlich machen, und solltest Du Dich zur Rache hinreißen lassen, so werden sie Dir zweifelsohne zum Gefängniß verhelfen. Das ist die Art dieser verworfenen Frauen, welche von einer Hand in die andre gehen. Ueberlege es Dir reiflich und laß Dich nicht von ihnen hinters Licht führen; nach meiner Ueberzeugung würde es das beste fein, ein für allemal diese Verbindung abzubrechen.

Nachdem Li gehört was ihm Liu sagte, öffnete er den Mund als wenn er sprechen wollte, aber er konnte keine Silbe hervorbringen. Er war in seinem Zutrauen erschüttert und unruhig im Herzen.

Liu-yu-tschun fuhr fort:

– Ich bitte Dich, meinen Rath nicht wegzuwerfen. Wenn Du wirklich nach Hause zurückkehren wolltest, brauchtest Du nicht eben viel Geld zur Reise und würdest leicht jemand finden, der Dir hülfe; wenn Du aber 300 Täls haben willst, sprich nicht von zehn Tagen, wenn es auch zehn Monate wären, würdest Du sie doch nicht aufbringen. Wer erwägt bei den Gesinnungen des gegenwärtigen Zeitalters die Verschiedenheit der beiden Worte geschwind und langsam? Diese Kurtisane, überzeugt daß Du das Geld nicht anschaffen könntest, hat die Forderung an Dich nur gestellt, um Dich in Verwirrung zu bringen.

– Alles was Du sagst ist sehr wahr, erwiderte Li. Er sagte dies aber nur mit dem Munde, im Herzen blieb ihm ein Stachel, und er war unruhig. Er trieb sich den Tag über umher, bald diese bald jene Richtung einschlagend, und als es dunkel geworden, wagte er doch nicht sich dem Hause seiner Geliebten zu nahen, sondern suchte sein Quartier bei Liu-yu-tschun wieder auf, drei Tage hinter einander.

Es waren im Ganzen sechs Tage verstrichen, und Tu-schi-niang, welche von Tage zu Tage die Rückkunft ihres Li erwartet hatte, wurde nun im höchsten Grade besorgt und befahl dem Diener Sze-örr in den Straßen auf und abzugehen und nach ihrem Herrn zu suchen. Sze-örr suchte nach ihm in den Sechs Straßen und als er ihn gefunden, sagte er:

– Meine Herrin, Frau Li, wartet zu Hause auf Euch.

Li-kih fühlte nicht den Muth in sich, zurückzukehren und antwortete:

– Ich bin heute beschäftigt, allein ich werde morgen kommen.

Der Diener hatte von Tu-schi-niang den Befehl bekommen, wenn er ihn angetroffen, ihn in diesem Leben nicht wieder los zu lassen. Er sagte daher:

– Die gnädige Frau hat mir den allerstrengsten Befehl gegeben. Euch aufzusuchen und Euch unter allen Umständen zu ihr zu führen.

Li-kih hatte einen Mantel über die Gefühle seines Herzens geworfen, jetzt aber blieb ihm nichts anderes mehr übrig, als nach Hause zurückzukehren und Tu-schi-niang unter die Augen zu treten. Schweigend trat er ihr entgegen, unfähig, ein Wort hervorzubringen.

– Wie steht die Sache, die wir vorhabend sagte sie.

Der junge Mann vergoß einige Thränen.

– Es ist nur die Schuld der Kälte der Menschenherzen, daß Du nicht im Stande gewesen bist, die Summe der 300 Täls zusammen zu bringen.

Da trocknete er seine Thränen und antwortete mit zwei Versen:

– Glaube nicht, daß es leicht ist den Hügel zu erklimmen und Hand an den Tiger zu legen:
Wenn Du wirklich den Mund öffnest, um an die Menschen eine Sitte zu richten – so ist es unmöglich.

Ich bin überall umhergerannt diese sechs Tage und habe nicht ein Körnchen, geschweige eine Unze Silber erhalten. Meine Hände sind leer und ich schäme mich in Deine Gegenwart zurückzukehren. Aus dieser Ursache habe ich nicht gewagt, diese letzten Tage bei Dir einzutreten; da ich aber heute von Deinen Befehlen unterrichtet wurde, so habe ich die Scham überwunden und bin gekommen. Ich habe es nicht daran fehlen lassen, das Aeußerste zu versuchen, nicht ich bin schuld, sondern die Gefühle der Welt sind einmal so.

– Laß die Alte nichts davon merken, versetzte Tu-schi-niang, ich habe einen andern Plan.

Sie bereitete dann selbst den Wein und sie tranken vergnügt zusammen. Bis Mitternacht schliefen sie, dann sprach Tu-schi-niang folgendermaßen zu dem jungen Manne:

– Wenn Du in der That nicht im Stande bist das Geld herbeizuschaffen, was steht mir für das Ende meiner Tage bevor?

Er vermochte nur eine Silbe hervorzuschluchzen, antworten konnte er nicht.

Die fünfte Nachtwache kam allmählich näher und der Tag brach an.

– Ich habe, sagte sie, 150 Unzen kleingebrochenes Silber in der dicken seidenen Decke, auf welcher ich schlafe, verborgen; das ist mein Privatvermögen, ich werde Dir damit die Hälfte der 300 Täls beisteuern, und Du wirst alsdann auf Mittel sinnen, die andre Hälfte herbeizuschaffen; sei erfinderisch und thue Dein Aeußerstes, es bleiben nur noch vier Tage Frist, Du darfst unter keinen Umständen saumselig sein und die Sache vereitlen.

Sie stand auf, zog die Decke hervor und gab sie ihm. Er war erstaunt und entzückt über die Maßen, rief einen Diener zum Tragen herbei und begab sich zu Liu-yu-tschun's Wohnung, dem er erzählte, was sich in der Nacht zugetragen. Jener öffnete die Decke und heraus kamen kleingebrochene Tälstücke, welche gewogen sich genau aus 150 Unzen beliefen.

Liu-yu-tschun war außerordentlich verwundert.

– Diese Dame, sagte er, hat in der That Gefühls und da ihre Neigung aufrichtig ist, so kann ich mich von der Sache nicht abwenden, sondern muß etwas für Euch ins Werk zu setzen suchen.

– Sollte es gelingen, die Schleifung dieses Edelsteins zu vollenden, erwiderte Li, so werde ich sicherlich nicht undankbar sein.

Damit ließ Liu-yu-tschun Li-kih in seiner Wohnung und ging selbst überall umher, um Geld zu borgen und in zwei Tagen hatte er die fehlenden 150 Unzen zusammengebracht und übergab sie dem jungen Mann mit den Worten:

– Ich habe dies Geld für Dich zusammengeborgt; aber nicht um Deinetwillen, sondern weil mir die Gefühle Tu-schi-niangs eine aufrichtige Sympathie einflößen.

Li-kih nahm die 300 Täls und war so glücklich, als wenn sie für ihn vom Himmel herabgefallen wären; das Lächeln stellte sich wieder bei ihm ein und sein Antlitz strahlte. Voll Freude ging er Tu-schi-niang aufzusuchen; es war kaum der neunte Tag und so war nicht der geringste Grund mehr sich wegen des zehnten Sorge zu machen.

Tu-schi-niang fragte ihn:

– Vorher war es unmöglich auch nur einen Deut anzuschaffen; wie kommt es, daß Du jetzt 150 Unzen erhalten hast?

Li-kih setzte ihr alles auseinander was sich mit Liu-yu-tschun zugetragen hatte.

Sie legte die Hand sinnend an die Stirne und sagte:

–Der Energie Liu-yu-tschun's verdanken wir also die Erfüllung unsrer wünsche.

So war das Paar einem seligen Himmel und einer glücklichen Erde zu vergleichen, und sie verbrachten die Nacht in der Wohnung Tu-schi-niang's.

Am nächsten Morgen erhob sie sich zeitig und sagte zu Li-kih:

– Alsbald nach der Auszahlung dieses Geldes werde ich Dir folgen; die Reisekosten werden beschafft werden; ich habe gestern von den Schwestern das Geld geborgt um die Tragsessel und Boote zu zahlen, und habe 20 Unzen erhalten; Du kannst daher nunmehr die Sachen, die wir mit auf die Reise nehmen wollen, zusammenpacken.

Als sie den Satz anfing mit der Erwähnung, daß die Reisekosten zu beschaffen seien, machte er ein betrübtes Gesicht, als sie aber sagte, daß sie das Geld erhalten, war er in hohem Grade erfreut und verlor kein Wort mehr darüber.

Grade in diesem Augenblick kam die alte Frau, klopfte an die Thür und rief:

– Tu-schi-niang, heute ist der zehnte Tag!

Als Li-kih ihr Klopfen an der Thür hörte, rief er sie hinein und sagte:

– Ich bin Ihnen sehr verbunden, Mutter, für Ihre Güte und hatte eben jetzt den Wunsch Sie zu sehen.

Damit zog er die 300 Täls hervor und zählte sie auf den Tisch. Die Alte, welche gedacht hatte, er habe kein Geld, wechselte unwillkürlich die Farbe, als ob sie den Handel bereute.

– In den vergangenen Jahren, sprach Tu-schi-niang, habe ich für Euch nicht weniger erworben als einige tausend Täls baar, und ein Vermögen in Seide. Daß ich heute die ausgezeichnete Gelegenheit benutze, einem Gemahl zu folgen – das habt Ihr mit Euerm eigenen Munde zugesichert. Die 300 Täls haben nicht den kleinsten Fehler in irgend welcher Einsicht, ebensowenig ist etwa die Frist verstrichen, wenn Ihr Euer Wort nicht haltet und von dem jungen Edelmann das Geld nicht annehmt und mich freilaßt, so werde ich mich im nächsten Augenblick selbst umbringen, und ich fürchte auf diese Weise werdet Ihr beides verlieren, das Geld und das Mädchen, und Eure Reue würde alsdann zu spät kommen.

Die Alte konnte hiergegen nichts Gegründetes einwenden, sie überlegte den Fall, für und wider, eine Weile in ihrem Innern und endlich nahm sie die Waage und wog das Silber ab, indem sie sagte:

– Da die Sache so weit gediehen ist, werde ich Euch vermuthlich nicht zurückzuhalten vermögen und da die Zeit gekommen ist, daß Ihr wünscht frei zu werden, so sollt Ihr sofort die Freiheit haben; was aber Kleider, Hüte, Schmucksachen und so weiter betrifft, so erwartet nicht auch nur einen Deut davon mitzunehmen.

Nachdem sie diese Rede beendigt, ergriff sie das paar und schob sie zur Thür hinaus. Sodann rief sie nach einer Kette und verschloß die Thür mit der Kette.

Es war die Jahreszeit des neunten Mondes und Tu-schi-niang, welche eben erst aufgestanden war, harte ihr Haar noch nicht gekämmt, noch sich gewaschen, auch hatte sie nur ihre alten Kleider an. Sie knixte zweimal vor der alten Frau und Li-kih machte eine Verbeugung, Gatte und Gattin bezeugten ihre Hochachtung und dann kehrten sie der Hausthür der alten Dame den Rücken.

Der Karpfe hat sich von dem Angelhaken losgemacht und entschlüpft;
Mit dem Schwanz zappelnd und das Haupt schüttelnd, wird er sich nicht wieder fangen lassen.

Der junge Mann wandte sich zu Tu-schi-niang mit den Worten:

– Warte einen Augenblick, indeß ich gehe und einen Tragsessel besorge und Dich sogleich zu Liu-yu-tschun's Wohnung bringen lasse; er wird wie bisher das Zweckmäßigste für uns anordnen.

– In unsrem Stadttheil, antwortete Tu-schi-niang, sind alle meine Schwestern; da ich früher sehr vertraut mit ihnen gewesen bin, so gehört es sich, daß ich mich bei ihnen verabschiede, um so mehr als ich erst vor wenigen Tagen das Darlehn für unsre Reisekosten von ihnen erlangt habe; wir können in der That nicht anders als ihnen Lebewohl zu sagen.

Sie machte daher, zusammen mit ihm, bei jeder der Schwestern in deren Wohnung einen Abschiedsbesuch.

Unter ihnen befanden sich Siä-yü-kiang und Siu-su-su, mit denen sie am besten stand, da deren Häuser dem ihrigen am nächsten gelegen waren. Tu-schi-niang begab sich daher an erster Stelle zur Wohnung Siä-yü-kiang's, welche sobald sie sie erblickte voll Erstaunen fragte: aus welchem Grunde sie ihr Haar nicht gemacht und ihre alten Kleider anhabe? Jene erklärte es ihr umständlich und führte dann Li-kih ein, um sie kennen zu lernen. Tu-schi-niang stellte ihm Siä-yü-kiang vor, indem sie sagte: dies ist die Dame, welche vor einigen Tagen die Reisekosten vorschoß und Du mußt ihr dafür Deinen Dank abstatten. Er machte ihr mehrere Verbeugungen. Siä-yü-kiang ließ darauf Tu-schi-niang sich waschen und ihr Haar machen, während sie selbst ging und Siu-su-su einlud, zu ihr zu kommen und Tu-schi-niang zu sehen. Als die letztere ihre Waschungen beendigt und ihr Haar geordnet hatte, brachten die andern beiden ihren ganzen Vorrath von künstlichen Blumen, goldnen Armbändern, Türkis-Haarnadeln, seidnen Aermeln, geblümten Unterröcken, bunten Gürteln und gestickten Schuhen herbei, sie schenkten es ihr, damit sie sich funkelnagelneu kleiden und schmücken könne. Siä-yü-kiang ließ Wein bringen, richtete ein lustiges Mahl an und bot dem Paare ein Zimmer an, wo sie alsdann diese Nacht schliefen. Am nächsten Morgen veranstalteten sie eine große Festlichkeit und luden der Reihe nach alle Schwestern des Viertels ein, welche mit Tu-schi-niang befreundet gewesen waren. Keine einzige verfehlte sich einzufinden, und alle tranken auf die Gesundheit des Paares, wünschten ihm Glück, spielten auf musikalischen Instrumenten, tanzten und sangen, eine jede suchte, je nach ihrem Talent, das Beste in ihrer Kunst zu leisten und Alles zu thun, um die Freude der Liebenden vollkommen zu machen. Man trank bis gegen Mitternacht. Dann sagte Tu-schi-niang allen der Reihe nach Lebewohl.

Sie sagten:

– Da sie ein eleganter und auslassener ›Aermel und Kragen‹ gewesen und nun davon geht um ihrem Gatten zu folgen, und es ungewiß ist, wann wir sie wiedersehen werden: so sollten wir ihr ein Geschenk zum Abschied machen.

– Wartet bis die Zeit der Abreise feststeht, sagte Siä-yü-kiang, ich werde mich alsdann einfinden und Euch Kenntniß davon geben. Indessen, da sie mit ihrem Gatten in eine entfernte Grenzprovinz reist und der Weg weit, ihre Börse aber schmal und ihre Hülfsmittel sehr beschränkt sind, so dürfen wir es jedenfalls nicht bei bloßen Worten bewenden lassen, sondern was wir zu thun haben, ist: alle miteinander eine Sammlung zu eröffnen und ihr jede Besorgniß zu benehmen, daß sie auf der Reise Mangel leiden könne.

Sie stimmten sämmtlich dem Vorschlag bei und gingen aus einander.

Der junge Mann und Tu-schi-niang blieben diese Nacht, wie die vorige, in Siä-yü-kiang's Hause. Um die Zeit des fünften Trommelschlages sagte Tu-schi-niang zu Li-kih:

– Wo wirst Du Dich niederlassen, wenn wir von hier abgereist sein werden – hast Du darüber bereits einen Entschluß gefaßt oder nichts

– Mein alter Vater, antwortete er, ist im höchsten Grade böse auf mich, und wenn er vernimmt, daß ich nach Hause kehre nachdem ich eine Geliebte geheirathet, so wird sein Zorn unfehlbar zunehmen, er würde es sich nicht gefallen lassen und unsre Lage würde nur noch verworrener werden: so viel ich die Sache auch in meinen Gedanken umhergewälzt habe, ich bin bis jetzt doch noch zu keinem Entschluß gekommen.

–- Ein Vater, versetzte Tu-schi-niang, ist ein himmlisches Wesen, kann man es abschneiden wie den Zweig eines Baumes? Es ist gänzlich unmöglich, sich gegen ihn aufzulehnen. Könnte ich nicht mit Dir bis Su-kang reisen, dort verließen wir das Schiff, und ich nähme dort eine Zeit hindurch still und zurückgezogen eine Miethwohnung, während du in deine Heimath zurückkehrtest und durch Verwandte und Freunde versuchen ließest, ihm zu einer Versöhnung zu rathen und sie durchzusetzen. Nachher holtest du mich dann ab und wir würden mit einander an deinen Geburtsort zurückkehren, und uns daselbst niederlassen.

– Das wird allerdings das Beste sein, sagte der junge Mann.

Am folgenden Tage machten die beiden sich auf und sagten Siä-yü-kiang Lebewohl und begaben sich dann für kurze Zeit in die Wohnung Liu-yu-tschun's, um ihre Reiseeffekten in Stand zu setzen. Sobald Tu-schi-niang Liu-yu-tschun erblickte, verbeugte sie sich tief aus Anerkennung für das ihnen durch die That erwiesene ausgezeichnete Wohlwollen.

– Bei einer künftigen Gelegenheit, sagte sie, werden ich und mein Gemahl nicht ermangeln, unsre tiefste Dankbarkeit zu beweisen.

Liu-yu-tschun erwiederte unverzüglich ihre Verbeugungen und antwortete:

– Die reinen Gefühle Eures Herzens, daß Ihr ihn in seiner verarmten Lage nicht verstoßen habt – das entzückte mich, welch ein Edelmuth des Gefühls bei einer Frau! was das anbetrifft was ich gethan, so ist es nicht der Rede werth, es ist wie wenn man sich dabei aufhalten wollte, daß der Wind bläst und das Feuer brennt.

Alle drei tranken den ganzen Tag über wein, und den nächsten Morgen als einen glücklichen Tag für die Abreise auswählend, mietheten sie Pferde, und während sie auf deren Ankunft warteten, schickten sie einen Diener zu Siä-yü-kiang, um ihr nochmals Lebewohl wünschen zu lassen. Als sie eben im Begriff standen, die Pferde zu besteigen, sahen sie einige Sänftenträger mit Sänften auf sie zukommen – es waren Siä-yü-kiang und Siu-fu-su an der Spitze der Schwestern, welche gekommen waren Lebewohl zu sagen.

– Da Du Deinem Manne in weitentfernte Gegenden zu folgen hast, sagte Siä-yü-kiang, und grade nicht bei Kasse bist, so konnten wir dies nicht gefühllos mit ansehen, sondern wir haben eine Subskription veranstaltet, um Dir einige kleine Andenken mitzugeben, welche Du annehmen mögest. Im Falle Du auf der Reise in Noth gerathen solltest, können sie Dir vielleicht von einigem Nutzen sein.

Mit diesen Worten befahl sie den Dienern ein mit goldnem Beschlag geziertes Kästchen herbeizubringen, welches vorn sorgfältig verschlossen war, damit man nicht wisse was der Inhalt sei. Tu-schi-niang öffnete es nicht, sie wies es aber auch nicht zurück. Sie sprach nur wieder und wieder ihren Dank aus. Im nächsten Augenblick stellten sich die wagen und Pferde in Reihe und Glied, und die Kutscher trieben sie an, sich in Bewegung zu setzen. Liu-yu-tschun schüttete einen dreimaligen Abschiedstrunk zur Erde, und stieß mit ihnen an, und alle Schönen begleiteten sie bis außerhalb der Tsung-wenpforten. Alle weinten und wünschten Lebewohl.

Schwierig war es vorauszusagen, wann sie sich wiedersehen würden.
Die scheidenden Hände waren jetzt sehr betrübt.

Im weiteren Verlauf der Geschichte heißt es, daß, als Tu-schi-niang und Li-kih in Su-hu ankamen, ihre Landreise zu Ende war und sie sich nun anschickten, zu Wasser weiter zu gehen. Sieh! da traf es sich glücklich, daß ein Eilbot von Kua-tschuen im Begriff war, die Rückfahrt anzutreten, und nachdem sie über den Fahrpreis übereingekommen und eine Kabine genommen hatten, machte Li-kih, gerade im Augenblick als sie an Bord gingen, die Entdeckung, daß er keinen Heller mehr in der Tasche hatte. (Der Leser wird vielleicht bemerken, daß Tu-schi-niang ihm ja 20 Täls gegeben habe und wie er nun bereits in Verlegenheit sein könne; Allein der junge Mann hatte während er im Hause seiner Geliebten gelebt seine Kleider völlig abgetragen, sobald er daher wieder Geld in Händen hatte, konnte er nicht umhin zu den Kleiderhändlern zu gehen und sich mit neuen Anzügen zu versehen. Außerdem hatte er einige tragbare Betten angeschafft, so daß ihm eben genug übrig geblieben war, um die Wagen und Pferde zu bezahlen.) Melancholisch blickte er daher Tu-schi-niang an, sie aber sagte:

– Laß Dich das nicht weiter bekümmern, es wird sich in dem, was uns die Schwestern zum Geschenk gemacht, schon etwas finden, um uns aus der Noth zu helfen.

Damit nahm sie den Schlüssel und öffnete das Kästchen. Li-kih stand neben ihr, verlegen und beschämt, und wagte nicht die Augen aufzuschlagen, um zu sehen was das Kästchen enthalten möge. Er bemerkte nur wie sie eine rothseidene Börse herausnahm und auf den Tisch legte.

– Oeffne sie und sieh zu was darin ist! sagte sie.

Er wog die Börse darauf mit der Hand und fand, daß sie sehr schwer sei, öffnete sie dann und warf einen Blick hinein. Die Zählung ergab etwa fünfzig Unzen guten reinen Silbers. Sie verschloß darauf das Kästchen wie zuvor, und, ohne ein Wort darüber zu verlieren, ob noch mehr darin gewesen, sagte sie nur zu ihrem Geliebten:

– Durch die grundlose Güte der Schwestern werden wir offenbar auf unserer Reise keinen Mangel leiden, wir können die Kosten zu Land und zu Wasser bestreiten, ja sogar auch künftig werden wir genug haben, um eine Wohnung zu miethen.

Li-kih erwiderte, abwechselnd erstaunt und entzückt:

– Wärest Du es nicht gewesen, die ich gefunden, sondern irgend eine Andere, so hätte es begegnen können, daß ich an einem Orte gestorben wäre, wo mir die Ehren der Beerdigung nicht zu theil geworden wären. Welch ein Gefühl! Welche Tugend! Bis mein Haar weiß wird, kann ich dies nicht vergessen!

Sie sprachen darauf über ihre Reise. Er war so gerührt, daß er in eine Flut von Thränen ausbrach; und sie that,was sie nur vermochte, um ihn zu trösten. Während der Fahrt saßen sie schweigend neben einander; und nach einigen Tagen erreichten sie Kua-tschuen und das Schiff legte an der Po-gan-Mündung an. Die übrigen Passagiere wurden ausgeschifft und die Ladung ward gelöscht. Am folgenden Tage bei Morgengrauen fuhren sie in den Kiangstrom ein. Es war um die Zeit des Mitt-Winters, der Mond leuchtete klar wie die Flut und das Liebespaar saß am Schnabel des Schiffes.

– Seit ich den Hof verlassen, sagte der junge Mann, sind wir so verdrießlich in unsere Kabine gebannt gewesen und das mitreisende Volk verfolgte uns von allen Seiten mit seiner Neugier, daß wir nicht im Stande waren, uns ein Wort zu sagen: heute haben wir das Schiff für uns allein und keinerlei Beobachtung mehr zu besorgen. Da wir bereits an Ki-pi vorbei sind und bald Kiang-gan erreichen, so schlage ich vor, mit einer Festlichkeit unsere bevorstehende Ankunft zu feiern und unsere trübe Stimmung zu verscheuchen.

– Da ich seit einer langen Zeit mich Deines Lachens und Deines Gesprächs nicht erfreut habe, sagte Tu-schi-niang, so hatte ich im Stillen die selbe Absicht, die Du jetzt äußerst. Es ist hinreichend, daß Du den Gedanken gehabt hast, um ihn sogleich auszuführen.

Er holte darauf Wein und brachte ihn nach dem Vordertheil des Schiffes. Tu-schi-niang breitete den Teppich aus und stehend und sitzend brachte einer des andern Gesundheit aus und sie tranken so viel bis sie halb berauscht waren. Der junge Mann kniete vor ihr nieder und sagte:

– Du weißt so reizend zu singen; immer wenn ich meinen Kopf aus dem Fenster der Sechs Höfe steckte, hörte ich Deine Lieder; ach, damals war ich nicht im Stande, ruhigen Herzens zuzuhören, da so mancherlei Umstände sich unserer Vereinigung entgegenstellten; wie lange ist es nun, daß ich jenes melancholische Lied nicht vernommen habe, welches dem Lockruf und der Antwort eines Phönixpärchens gleicht. Jetzt ist der Strom klar und ruhig und der Mond leuchtend und niemand ist zugegen in der Tiefe der Mitternacht.

Sie erhob sich sofort und öffnete ihren Mund, und, nachdem sie sich geräuspert, sang sie einige Takte zur Probe. Dann aber, mit einem Fächer die Töne begleitend, trug sie die Ode aus dem Schauspiel ›Der Pä-yu-Pavillon‹ vor, jenes Lied, gedichtet von dem dramatischen Dichter der Yuen-Dynastie, welches von Schi-kiun-i, dem gekrönten Meister der Gelehrten handelt, wie er einen Becher Wein trinkt mit der Schönen, genannt ›das Erröthen der jungen Pfirsich‹. Auf ihren Gesang konnte man in der That die Verse anwenden:

Wie die Töne erklangen hielten die kalten Wolken der Nacht ihren Lauf an,
Und die Fische schwammen den Echolauten nach, welche aus der Tiefe der Flut wiederhallten.

Nun traf es sich, daß in einem benachbarten Schiffe sich ein junger Mann befand Namens Sön-fu, mit Beinamen Schen-lä, aus einer kürzlich nach Huy-tschau eingewanderten Familie; sie waren sehr reich und ihre Vorfahren waren mehrere Generationen hindurch Salzkaufleute in Yang-tschau gewesen. Er war gegenwärtig etwa zwanzig Jahre alt und hatte an den Prüfungen in den Südprovinzen theilgenommen; sein Aeußeres war das eines eleganten Lebemannes, er war gewohnt, ›lächelnde Mienen in grünen Zimmern zu kaufen‹ und sein Vergnügen unter den geschmückten Schönen zu suchen, er liebte es, wie der Dichter sagt, ›mit dem Winde zu spielen und mit dem Monde zu schäkern‹; und so war er ein leichtsinniger und gehaltloser Mensch geworden. Zufällig kehrte er in dieser Nacht zu Schiffe ebenfalls nach der Kuatschau-Einfahrt zurück, er trank für sich allein und wie er jenen Gesang hörte, gleich den Lauten eines Phönixpaares, konnte er nicht genug die Schönheit desselben bewundern und stellte sich vorn an das Schiff, um zu lauschen.

Nach kurzer Zeit entdeckte er, daß der Gesang von einem andern Schiffe herkäme und war begierig an Ort und Stelle weiter nachzuforschen. Er sendete daher, nachdem die Klänge und das Echo verstummt waren, einen Diener, um den Spuren nachzugehen; derselbe fand auch durch Fragen bei den Bootsleuten heraus, daß das Schiff von einem jungen Mann, Namens Li, gemiethet war, aber, wer gesungen habe, konnte er nicht herausbringen. Dieser Sänger, dachte Sön-fu, muß ein feiner Geselle sein, wie kann ich seiner wohl ansichtig werden? Und er überlegte es sich hin und her. Er schlief die Nacht nicht und lag nachdenkend bis zur fünften Nachtwache, als er plötzlich den Wind sehr heftig an das Ufer brausen hörte und bemerkte, daß dicke, dunkle Wolken ringsum heraufzogen. Ein starkes Schneegestöber wirbelte in wirren Flocken um ihn; wie es aussah, das beschreibt die Strophe eines Gedichtes:

Auf allen Hügeln sind die Bäume in Wolken gehüllt;
Auf allen Wegen lassen die Fußtapfen der Menschen keine Spur zurück;
Der Fischer spannt das Schirmdach in seinem kleinen Boote auf:
Er fängt nur Schnee in dem kalten Flusse.

Da der Wind und Schnee die Wasserstraße belagerten, so konnten die Schiffe nicht vorwärts, und Sön-fu befahl den Bootsleuten sein Schiff an die Seite von Li's Schiff zu legen; dann setzte er eine Hermelinmütze auf und zog einen Pelzrock von Fuchs an, öffnete das Fenster und that so, als wenn er den Schnee betrachtete. Es war gerade der Augenblick als Tu-schi-niang mit Kämmen und Waschen fertig war und sie ließ gerade mit ihren zarten Händen sanft die kurzen Jalousien an der Seite des Schiffes in die Höhe, und während sie das gebrauchte Wasser ausgoß, enthüllte sie ihr gemaltes Antlitz und wurde von Sön-fu erblickt.

Sie war in der That eine vaterländische Schönheit und ein Duft vom Himmel. Mit aufgeregtem Gefühle und starren Augen schaute er zu ihr hinüber, und nachdem er eine Weile sie angesehn, wurde er noch unruhiger und vollkommen gebrochen vor Liebe, er lehnte sich aus dem Fenster und sang laut diese beiden Verse aus dem Gedicht ›die Blüthe des Pflaumenbaums‹ von Kao, dem Hio-tze:

Auf dem mit Schnee gedeckten Hügeln schläft Kao-tze;
Und unter dem mondbeglänzten Baumgang naht die Schönheit.

Als Li-kih dies Lied aus einem anstoßenden Schiffe vernahm, steckte er seinen Kopf aus der Kabine, um sich nach dem Sänger umzusehn und durch diesen Ausblick fiel er wie ein Gimpel in die von Sön-fu gestellte Falle. Denn Sön-fu hatte das Gedicht nur gesungen, um Li-kih herauszulocken und mit ihm eine Unterhaltung anzufangen. Er erhob daher sofort seine Hände und fragte nach Namen und Herkunft. Li-kih gab ihm Antwort und konnte nicht umhin, sich nach Sön-fu's Namen und Herkunft zu erkundigen. Nachdem Sön-fu ihm Auskunft gegeben, spann er eine kleine Unterhaltung über Studium und Gelehrsamkeit an, und als sie nach und nach etwas vertrauter geworden waren, sagte er:

– Der Schnee, welcher das Schiff festlegt, ist vom Himmel gesendet, damit ich diese Bekanntschaft machen könnte. Es ist in der That ein ganz besonderes Glück. Da wir inzwischen in dem Schiffe nichts zu thun haben, so würde ich vorschlagen, zusammen ans Land zu gehen und in einem Weinhaus ein Glas Wein zu trinken, um unsere Bekanntschaft noch fester zu knüpfen; ich hoffe zuversichtlich, daß Ihr keine Einwendung dagegen habt.

– Obwohl, antwortete der andere, die Wasserpflanze und das Wasser sich treffen, so ist es doch nicht ausgeschlossen, daß sie sich gegenseitig stören.

– Warum sagt Ihr das? entgegnete Sön-fu, im Reiche der Vier Seen sind alle Brüder.

Er befahl Darauf dem Bootsmann ein Brett hinüber zu legen, hieß einen Diener den Schirm aufspannen und ging Li-kih entgegen, um ihn in sein Schiff überzuführen.

Im Vordertheil des Schiffes machte er ihm eine Verbeugung räumte ihm den Vortritt ein und ging hinter ihm her.

Nachdem beide an das Ufer gesprungen und ein paar Schritte gemacht hatten, kamen sie an ein Weinhaus, sie traten ein, suchten sich einen ruhigen hübschen Platz aus und setzten sich hin zur Seite des Fensters. Der Wirth stellte Gläser hin, Sön-fu erhob das Glas, trank seinem Freunde Bescheid und beide erfreuten sich des Schnees und tranken Wein. Zuerst sprach er zum Schein über literarische Gegenstände, nach und nach aber begann er das Gespräch auf leichtfertige Abenteuer zu bringen. Beide hatten solche gehabt und erzählten davon einander und nachdem sie einmal in diesem Fahrwasser waren, stellte sich bald die innigste Seelengemeinschaft zwischen ihnen her. Sön-fu öffnete rechts und links und fragte forschend:

– Wer war das, der gestern Nacht in Euerem Schiffe sang?

Li-kih wollte zuerst lügen, dann aber sagte er gerade heraus:

– Es war Tu-schi-niang, die berühmte Schönheit von Peking.

– Wie kam sie dazu, sagte jener, sich mit Euch zu verbinden, da sie eine so berühmte Schwester gewesen ìst?

Li-kih erzählte ihm darauf bis ins kleinste ihre ganze Geschichte, wie er sie zuerst getroffen, wie er sich in sie verliebt, wie er sie dann habe heirathen wollen, wie er sich Geld geliehen um sie zu kaufen – kurz er theilte ihm alles mit von der Wurzel bis zum Gipfel.

– Diese Schönheit bei der Hand nehmend nach Hause zurückkehren, das ist sicher ein entzückender Zufall, sagte Sön-fu, nur weiß ich nicht, ob Eure Stadt sie mit offenen Armen aufnehmen wird oder nichts

– Ich bekümmere mich nicht um meine Stadt, erwiderte Li-kih, das einzige was mir Sorge macht ist die Strenge meines Vaters; überdies sind meine Ausgaben sehr bedeutend.

Sön-fu, indem er einen Plan entwarf, um durch denselben einen anderen auszuführen, sagte:

– Sollte Euer Vater nicht mit der Sache zufrieden sein, wo würdet Ihr die Dame, die Ihr mit Euch habt, unterbringen? Habt Ihr bereits für sie einen Entschluß gefaßt oder nicht?

Li-kih runzelte die Brauen, und erwiderte:

– Diese Angelegenheit ist bereits mit ihr besprochen worden.

Sön-fu ergötzte sich im Stillen und sagte:

– Euere Dame wird irgend einen vorzüglichen Plan ausgesonnen haben.

– Sie wünscht, entgegnete der andere, zwischen den Hügeln und Strömen bei Su-kang Aufenthalt zu nehmen und mich zuerst nach Hause zu senden, um meine Freunde und Verwandten zu bitten, meinem Vater Vorstellungen zu machen, und sodann zu warten, bis sich sein Aerger verwandelt und er milder geworden sei. Alsdann kann ich sie heimführen; was denkt Euer erhabener Verstand darüber?

Sön-fu schien ein Weilchen in Gedanken versenkt und gab seinem Gesicht mit Absicht einen ernsten Ausdruck.

– Da unsere Bekanntschaft, sagte er, erst eben geschlossen ist, so nehme ich Anstand aus Grund einer so oberflächlichen Verbindung Worte von tiefer Bedeutung zu Euch zu spreche», ich befürchte Ihr werdet das übel nehmen.

– Ich verlasse mich im Gegentheil ganz auf Euere Erfahrung, sagte der andere, und werde es gerne anhören was es auch immer sein möge.

– Eures Vaters Rang, versetzte jener, und sein Ansehn in der Stadt werden ihn zuversichtlich mit ernstem Unwillen über eine Konkubine erfüllen. Schon die ganze Zeit her ist er erstaunt gewesen, daß Ihr in unpassender Gesellschaft verkehrtet, wie wird er es ruhig mit ansehen, wenn Ihr ein Frauenzimmer von schlechtem Rufe heirathen wolltet? Auf der anderen Seite, wer unter Eueren Verwandten und Freunden wird nicht die Ansichten Eueres Vaters theilen? Wolltet Ihr sie ersuchen zu Eueren Gunsten einzutreten, so würden sie Euch abweisende Antwort geben, würde sich trotzdem jemand finden, der die Sache nicht bei Zeiten durchschaute und für Euch bei Euerem Vater spräche, so würde er seine Lippen sofort schließen, sobald Euer Vater seine entgegengesetzten Gefühle offenbarte. – wenn Ihr zu ihm ginget, würdet Ihr unmöglich mit ihm in Eintracht leben können, und wenn Ihr von ihm ginget, würdet Ihr auch wenig Neigung haben mit der Dame weiter zu leben. Der Plan, das Landleben zu genießen, würde nicht lange vorhalten. Zehntausend gegen eins gewettet, würdet Ihr, nachdem Ihr Euere Hacke in die Hand genommen, bald an Erschöpfung zu Grunde gehen. Sind nicht Vorschreiten und Zurückziehen gleich schwierig?

Jener nickte, wie im Traume, mit dem Kopfe und stimmte bei.

– Ich habe Euch etwas vertraulich mitzutheilen, sagte Sön-fu, wollt Ihr mich anhören?

– Da Ihr so außerordentlich gütig seid, so ersuche ich Euch ohne jeden Rückhalt zu sprechen.

– Dieser schwierige Fall kann zwar seine Lösung finden, aber es ist schwer auszusprechen, entgegnete Sön-fu.

– Was hindert Euch, es mir zu offenbarend sprach Li-kih.

– Von Alters ist gesagt worden, daß die Weiber wie Wasser sind, unbeständig und die Natur des Nebels und der Blumen haben, sie bestehen aus ein wenig Wahrheit vermischt mit viel Falschheit. Da sie eine berühmte Kurtisane gewesen ist, so wird sie in den Sechs Höfen so viel Bekanntschaften gemacht haben, daß das ganze Reich davon voll ist. Einige derselben sind vielleicht nach dem Süden gegangen, und sie bedient sich Eurer nur um die Reise zu machen und an einen Ort zu kommen, wo sie ihre alten Bekannten wiederfinden kann.

– Dies ist eine unnöthige Vermuthung, sagte Li-kih.

– Wenn es nicht so ist, fuhr Sön-fu fort, so sind die jungen Leute in Kiang-gan auch ohne das sehr auf leichtsinnige Streiche erpicht, und wenn Ihr Eure Schöne allein in der Wohnung zurück laßt, so ist es schwierig sie davor zu schützen, daß nicht Einer über die Mauer springt oder durch den Keller einsteigt. Wenn Ihr sie aber mit Euch nach Hause nehmt, so wird das die Entrüstung Euers Vaters vermehren, denn Eure beiderseitigen Absichten lassen sich nicht in Einklang bringen. Vater aber und Sohn sind eine himmlische Verwandtschaft, welche nicht abgeschnitten werden darf. Solltet Ihr wegen einer Konkubine mit Euerm Vater in Feindschaft treten, und wegen eines leichtfertigen Frauenzimmers Eure Familie aufgeben, so würde es im Reich der Vier Seen heißen, daß Ihr eine fließende Welle wäret, ein Mann ohne feste Grundsätze. Von da an würde Euch kein Weib als Gattin achten, kein jüngerer Bruder Euch als seinen älteren Bruder betrachten, kein Spielgefährte Euch als seinen Freund ansehen. Wie wollt Ihr aufrecht stehen in der Mitte von Himmel und Erde? Ihr werdet jetzt nicht umhin können, dies alles einzusehen.

Als er dies hörte, wurde er ganz verwirrt, und seinen Binsenfußteppich hin und her schiebend suchte er nach einem Ausweg und sagte:

– Ich vertraue auf Eure Einsichten, von denen Ihr mich in Kenntnis setzen werdet.

– Ich wüßte einen Vorschlag, der ganz für Euch paßt, sagte Sön-fu, aber da Ihr in Liebe zu dieser leichten Person versunken seid, so befürchte ich, Ihr werdet ihn nicht ausführen können; ich will daher meine Worte nicht vergebens an'Euch verschwenden.

– Wenn Ihr, sagte jener, irgend eine Möglichkeit wüßtet, mich der Freude theilhaftig zu machen, meine Heimath wieder zu sehen, so würdet Ihr mein Wohltäter sein. Warum fürchtet Ihr, es mir zu sagen?

Sön-fu sagte:

– In Folge Eueres verschwenderischen Lebens in den letzten paar Jahren nährt Euer strenger Vater eine Entrüstung, welche ins Maßlose gewachsen ist, insbesondere weil Ihr ihm selbst die Beweise davon durch Euer Fernbleiben geliefert habt; weil Ihr Euer Herz an ein schönes Weib verschenkt, in lockerer und schlechter Gesellschaft gelebt und Gold weggeworfen habt als wenn es Dreck wäre; das muß Euch in Zukunft zu einem Menschen machen, der die Familie mit Füßen treten und das Vermögen zu Grunde richten wird. Er kann es daher nicht ertragen Euch als seinen Erben zu wissen. Wenn Ihr nun mit leeren Händen zurückkehrtet, so würdet Ihr seiner Wuth gerade in die Arme laufen; wenn Ihr aber die Liebe zu diesem Weibe mit der Wurzel abschneiden und einen Plan befolgen würdet, welcher meinen Wünschen entspricht – ich wünsche nemlich Euch tausend Täls zu geben –: so hättet Ihr alsdann die Möglichkeit, Eurem Vater zu sagen, Ihr hättet ein Amt in der Hauptstadt angenommen und von Euerem frühern Kapital nicht das geringste durchgebracht. Er würde Euch alsdann glauben müssen. Auf diese Weise wird die Familie versöhnt sein, und nicht nur das, sondern es wird sogar aus dem Leid ein Glück hervorgegangen sein. Ueberlegt es reiflich, ich bin nicht lüstern nach der Schönheit Eurer Dame, sondern thue es wirklich und allein um Euretwillen.

Nun war Li-kih von Natur ein schwacher Charakter und im Grunde seines Herzens fürchtete er seinen Vater; und indem er über die Tischrede Sön-fu's nachdachte, schoß ihm ein Verdacht in den Kopf, er stand auf, machte eine Verbeugung und sagte:

– Das Anhören Eurer großen Weisheit bricht und öffnet das Binsenfundament. Sie hat mich jedoch eine lange Strecke begleitet, es ist unmöglich ohne Ungerechtigkeit mich ihrer sofort zu entledigen. Erlaubt mir zu ihr zu gehen und mich mit ihr zu berathen; erlange ich ihre freiwillige Zustimmung, so werde ich Euch eine Antwort überbringen.

– In dem was Ihr soeben sagt, versetzte Sön-fu, liegt ein Verdacht, daß ich irgend etwas im Schilde führe. Ihr müßt ihn aufgeben, denn ich verdiene ihn entschieden nicht, ich habe es aufrichtig nur für Euch gethan. Denn da Ihr und Euer Vater von einander getrennt gewesen seid, so ist der Umstand Eurer Rückkehr nach Hause offenbar ›die Schleifung des Edelsteins‹.

Die beiden tranken noch etwas – die Winde hörten auf die Wolken standen still und das Tageslicht begann zu dämmern. Sön-fu befahl seinem Diener die Rechnung zu bezahlen, nahm Li-kih bei der Hand und sie kehrten zu den Schiffen zurück, hierher paßt der Dichterspruch:

Wenn Du mit jemand zusammentriffst, so sollst Du nur theilweise sagen war Du denkst;
Du sollst ihm nicht völlig Dein ganzes Herz in die Hand geben.

Unterdessen hatte Tu-schi-niang Wein und Imbiß vorbereitet, da sie wünschte einige Gläser Wein mit ihm zu trinken. Als er am Abend nicht zurückkehrte, zündete sie ein paar Lampen an, um ihn zu erwarten, und als er endlich in das Schiff trat, stand sie auf und kam ihm entgegen. Da sie bemerkte, daß seine Miene aufgeregt war, als wenn er etwas unangenehmes erlebt hätte, so füllte sie ein Glas mit Wein und wärmte es um ihn wieder guten Muthes zu machen. Er schüttelte den Kopf und wollte weder trinken noch ein Wort sprechen und endlich legte er sich zu Bett und schlief ein. Tu-schi-niang war betrübt im Kerzen und nachdem sie den Tisch abgeräumt, den sie für ihn hergerichtet hatte, legte sie ihre Kleider ab und sich dem Kissen nähernd sagte sie:

– Was hast Du heute gesehen oder gehört, daß Du Deinen melancholischen Gefühlen so gänzlich nachhängst?

Er seufzte und öffnete die Lippen nicht.

Nachdem sie drei oder vier mal gefragt, war er fest eingeschlafen, und tiefbekümmert legte sie sich nicht nieder, sondern setzte sich zu Häupten des Bettes und konnte nicht schlafen.

In der Mitte der Nacht erwachte Li-kih und stieß einen Seufzer aus.

– Was hast Du? fragte Tu-schi-niang, warum kannst Du es nicht äußern, sondern seufzest beständig?

Er griff nach seinen Kleidern und stand auf; er versuchte zu sprechen, aber konnte eine Zeit lang nur unverständliche Laute hervorbringen, er schlug sich auf die Brust und vergoß einige Thränen. Tu-schi-niang umarmte ihn und richtete ihn auf, zärtlich forschte sie ihn aus und mit holden Worten suchte sie ihn zu besänftigen.

– Du und ich sind in unserer zweijährigen Bekanntschaft durch unzählige Sorgen und Kümmernisse hindurchgegangen; nachdem wir alle diese Schwierigkeiten überwunden haben und so weit gereist sind, ohne daß uns bis jetzt etwas widerwärtiges zugestoßen wäre – warum fühlst Du Dich jetzt gerade unglücklich, da wir im Begriff sind den Kiangstrom zu passiren und lange Freuden zu ernten? Du mußt sicherlich einen Grund dafür haben; und da wir als Mann und Frau leben, so bist Du verpflichtet mit mir Rath zu pflegen, wenn Dich etwas bekümmert, und darfst es mir auf keine Weise verheimlichen.

Der junge Mann konnte auf das wiederholte Drängen nur seine Thränen abwischen und sagen:

– Als ich erschöpft und ermattet war bis zum Rande des Himmels, da war es Deine Güte, die mich nicht im Stich ließ, und daß Du mich durch alle diese Umstände treu begleitet hast, das beweist Deine außerordentlich große Tugend. Allein wenn ich auf der andern Seite den Charakter und sittlichen Ruf meines Vaters erwäge, der ganz eingesenkt ist in die Gewohnheiten einer strengen und tadellosen Lebensführung, so fürchte ich die Anhäufung seines Zornes und daß er mich unfehlbar verstoßen wird. Du und ich, unstät hin und hertreibend, in welchem Ankergrunde könnten wir Ruhe finden? Es wird unmöglich sein, die Freude von Mann und Weib zu bewahren; die Verwandtschaft zwischen Vater und Sohn wird abgeschnitten werden. – Heute, als ich mit meinem Freunde Sön-fu aus Tsin-gan Wein trank, hat er mir alles dieses auseinandergesetzt. Ach, ich bin wirklich bis ins Herz verwundet.

– Was denkst Du zu thun? fragte Tu-schi-niang.

– Ein Mann in meiner Lage, erwiderte er, muß seine Gefühle zum Opfer bringen. Mein Freund Sön-fu hat mir einen höchst ausgezeichneten Plan vorgelegt, ich fürchte nur Du wirst ihm nicht zustimmen.

– Wer ist dieser Freund Sön-fu? fragte sie, wenn sein Plan wirklich so vorzüglich ist, warum sollte ich ihm nicht zustimmen?

– Mein Freund Sön-fu, versetzte er, ist ein Salzkaufmann von Tsin-gan, ein junger und eleganter Gelehrter. Während der Nacht hörte er Deinen Gesang und ließ sich darnach erkundigen. Ich erzählte ihm unsere Geschichte und plaudernd über die Gründe der Schwierigkeit unserer Rückkehr wünschte er sehr freigebig für eintausend Unzen Silber Dich zu übernehmen, damit ich auf diese Weise einen guten Vorwand erhielte, meinen Vater zu besuchen, und damit Du eine Versorgung hättest. Ich gräme mich und weine, denn ich fühle mich nicht im Stande, Dich aufzugeben.

Als er geendigt, flossen seine Thränen wie Regen.

Die junge Dame öffnete ihre beiden Hände und sagte mit einem kalten Lächeln:

– Jener Herr ist ein großer Held Dir solch einen Plan vorzuschlagen. Nachdem Du das Geld empfangen hast, wirst Du großartig nach Hause kehren, und ich, in eine andere Familie hinein heirathend, werde Deinen Anstalten zur Reise kein Hinderniß in den Weg legen. Ich, die ich mit Dir gekommen war aus Liebe zu Dir und hatte warten wollen aus Rücksicht auf die Sitte, indem ich einen in zwiefacher Hinsicht höchst passenden Plan ausführte – – wo sind die tausend Goldstücke?

Der junge Mann hörte auf zu weinen und sagte:

– Da ich Deine Antwort noch nicht hatte, so ist das Geld bei ihm, es ist noch nicht in meine Hand gelangt.

– Ueberbringe ihm morgenfrüh rasch die Zustimmung, sonst wird er sein Wort brechen: tausend Unzen sollen gewogen werden und wenn sie richtig befunden und in Deine Hand geliefert sind, dann werde ich in sein Schiff kommen. – Aber erweise Dich nicht als ein Kaufmann, den ein Knabe ohne Mütze betrügen kann.

Tu-schi-niang erhob sich, zündete eine Lampe an, kämmte sich, wusch sich, und sagte:

– Am heutigen Tage, wo ich zu dem Neuen gehe und den Alten verlasse, muß der Anzug mehr als gewöhnlich sein.

Nachdem sie sich gesalbt, gemalt und parfümirt hatte, legte sie sorgfältig alle ihre Schmucksachen an, ihre künstlichen Blumen und die gestickten Aermel waren im höchsten Grade elegant. Der Hauch ihres Wohldufts floß um sie her, ihr Glanz blendete die Beschauer.

Als ihre Toilette beendet war, zeigte sich das Tageslicht. Sön-fu sendete einen jungen Diener in das Vordertheil des Schiffes, um sich nach dem Stande der Sache zu erkundigen. Tu-schi-niang erschien mit zufriedener Miene und sogar heiter und trieb Li-kih an, sofort eine Antwort zu senden, damit die Sache beeilt und das Geld abgewogen werde. Er ging selbst in Sön-fu's Schiff und überbrachte ihm die Antwort, daß er seinen Vorschlag annehme.

– Es ist leicht, erwiderte Sön-fu, das Geld abzuwiegen, aber ich muß die Dame in Person als Pfand haben.

Li-kih theilte dies Tu-schi-niang mit. Sie deutete auf einen goldgestreiften Schrein und sagte:

– Wird es mir erlaubt sein, dies als Pfand zu geben?

Sön-fu war sehr damit zufrieden, zog tausend Unzen Silber heraus und gab sie Li-kih ins Schiff.

Tu-schi-niang prüfte genau, ob sie richtig waren in Farbe und Gehalt, nicht ein Titelchen fehlend. Mit der einen Hand stützte sie sich auf die Schiffswand, mit der andern winkte sie Sön-fu. Als er seinen Blick auf sie richtete, floh ihm die Seele aus dem Leibe. Sie öffnete ihre Scharlachlippen und weißen Zähne und sagte:

– Darf ich vielleicht jetzt einen Augenblick den Schrein öffnen, Li-kih's Paß befindet sich darin, und ich möchte ihm denselben sorglich zurückgeben.

Sön-fu, da er wußte, daß sie bereits ein Fisch im Fischkasten war, befahl einem Diener ihr den Schrein zu geben und ihn ruhig im Vordertheil des Schiffes niederzulegen.

Tu-schi-niang nahm einen Schlüssel und öffnete das Schloß. Im Innern befanden sich verschiedene bewegliche Abtheilungen, sie bat Li-kih das erste Fach aufzuheben und hineinzusehen. Er sah kostbare Federn, Brilliantgehänge, Haarnadeln aus dem Edelstein Yao und werthvolle Ohrringe, in die Mitte verpackt, mehrere hundert Unzen werth. Tu-schi-niang nahm sie und warf sie in den Fluß.

Sie befahl von neuem dem jungen Manne, ein Fach herauszunehmen, darin war eine Flöte aus Nephrit und eine goldene Pfeife; und darauf nahm er ein anderes Fach heraus; das war bis oben voll von Schmucksachen, von alten Gemmen und purpurfarbenem Golde, mehrere tausend Unzen werth. Tu-schi-niang schleuderte es alles in den Fluß.

Die Leute in den Schiffen und an den Ufern machten Mäuler wie Wallfische und sagten alle: o beklagenswerth! beklagenswerth! und sie konnten nicht begreifen warum es geschehen.

Sie machte ein anderes Fach auf, darin war ein Kästchen; als sie es öffnete um hineinzusehen, so enthielt es Perlen, genannt der ›Glanz der Nächte‹, von noch größerem Werthe, du würdest geglaubt haben, ihre Großmütter wären Katzenaugen gewesen; alle außerordentlich werthvoll, niemand hat ihres gleichen gesehn und die Summe ihres Werthes kann nicht geschätzt werden. Die Zuschauer brachen in einem gemeinsamen wirren Schrei aus, der wie Donner klang. Tu-schi-niang wollte auch diese in den Fluß werfen. Li-kih, seiner Sinne nicht mächtig, umarmte sie und weinte bitterlich. Auch Sön-fu kam, um sie zu ermahnen davon abzustehn. Sie stieß den erstern zur Seite, den letztern verächtlich ansehend sagte sie:

– Ich habe Gefahren und Schwierigkeiten mit Li-kih ausgehalten, es war nicht leicht, bis hierher zu kommen. Durch die schurkischen Absichten eines Wüstlings wie Ihr seid und durch Euere verschlagenen Reden habt Ihr in Einem Morgen das Blatt der Ehe meines Mannes zerrissen und habt seine Zuneigung vernichtet – Ihr seid mein Feind. Ich sterbe, aber wisset, daß es eine Vorsehung giebt! Uebrigens, wenn Ihr von den Freuden eines Verkehrs mit mir geträumt habt, so ist es vergebens gewesen.

Dann wandte sie sich wieder an Li-kih und sagte:

– Was ich mir in den Jahren meines leichtfertigen Lebenswandels erspart habe, war für den übrigen Rest meines Lebens bestimmt, da ich einen Gemahl gefunden hatte, der bei den Bergen und Seen geschworen, daß wir uns nicht trennen werden bis unsere Haare weiß wären. Bevor ich aus dem Bezirk des Hofes aufbrach, veranlaßte ich die Schwestern heimlich uns diese werthvollen in dem Schrein verwahrten Sachen zu schenken, nicht weniger werth als zehntausend Unzen Silber, welche entweder Deine Rückkehr zu Deinem Vater in ein gutes Licht gestellt haben, oder mir Zuneigung dafür erworben haben würden, daß ich für Hülfe und Unterhalt besorgt gewesen – die ich mich Dir ergeben habe ohne Murren bis ans Ende meines Lebens, wer konnte ahnen, daß Deine Treue nicht tief war; daß nach einer flüchtigen Ueberlegung und nach einem Gespräch mitten in der Straße Du mein treues Herz verstoßen und verlassen würdest! Heute hielt ich es für passend vor den Augen der Menge den Schrein zu öffnen und seinen Inhalt zu offenbaren, damit Du erkennen solltest, daß tausend Silberstücke in meinem Schrein zu finden eine Sache von keiner Schwierigkeit gewesen sein würde. Da ich in diesem Kästchen Juwelen hatte und mich entwürdigt fühlte, daß ich in Deinen Augen keinen Werth besaß; da langes Leben nicht mein Schicksal war und meine Sanduhr abgelaufen ist, so habe ich die Schätze von mir geworfen. Jetzt könnt ihr alle, die ihr Ohren und Augen habt, mir als Zeugen dienen, daß ich nicht Dir den Rücken gekehrt habe, sondern Du mir.

Die Menge lief zusammen und blickte auf sie, alle weinten und verwünschten Li-kih's Verrath und unglückliches Loos. Er, bald beschämt, bald bekümmert, bereuend und weinend versuchte Tu-schi-niang's Verzeihung zu erlangen.

Sie nahm das Juwelenkästchen hoch in ihre Arme und stürzte sich durch einen Sprung in die Mitte des Flusses.

Die Menge schrie wild durcheinander, daß man sie wieder auffischen solle, aber man sah nur eine Blase in der Mitte des Flusses und wie die Wellen mit Schaum kochten, weder eine Spur noch ein Schatten von ihr ward sichtbar.

Jammervoll war es, daß eine berühmte Schöne, lieblich wie ein Edelstein oder wie eine Blume, im Laufe Eines Morgens in den Magen der Flußfische begraben werden mußte.

Ihre drei Seelen sind tief hinunter getaucht und in ihr feuchtes Reich zurückgekehrt;
Ihre sieben Geister haben für ewig die Wanderung auf dem Schattenwege angetreten.

Die Leute, welche Augenzeugen des Vorfalls gewesen waren, knirschten mit den Zähnen und suchten Li-kih und Sön-fu zu ergreifen und zu schlagen. Die beiden aber waren mit Händen und Füßen nicht müßig, sondern befahlen eilends mit den Schiffen davon zu fahren, und sie schlugen verschiedene Wege ein.

Als Li-kih in seinem Schiffe saß und das Geld erblickte, mußte er an sie denken, und bis ans Ende der Tage fühlte er Scham und Schande. Seine Reue und sein Trübsinn gingen zuletzt in Wahnsinn über und er blieb unheilbar sein Leben lang.

Sön-fu wurde von dem Stoße, den ihm jener Tag gegeben, krank und hütete das Bett mehr als einen Monat lang, und bis ans Ende der Tage erblickte er Tu-schi-niang wie sie ihn verächtlich ansah und dann aus diesem Leben schied, indem sie sich in den Fluß stürzte um Vergeltung zu üben.

* * *

Unterdessen hatte Liu-yu-tschun die Prüfung bestanden und war, mit dem Ehrenkleid angethan, im Begriff nach Hause zurückzukehren; er hielt sein Boot in Kua-pu an, und während er sein Gesicht wusch, ließ er aus Versehen ein Messingbecken in das Wasser fallen. Er ersuchte einige Fischer darnach zu tauchen, und nachdem der Taucher in die Höhe gekommen war brachte er einen kleinen Schrein mit herauf. Als Liu-yu-tschun ihn öffnete um hineinzusehen, da war er voll glänzender Perlen und außerordentlich werthvoller Juwelen; er gab den Fischern ein gutes Trinkgeld und stellte das Kästchen zu Häupten seines Bettes um sich daran zu ergötzen.

In der Nacht erblickte er im Traume eine Frau in dem Flusse, welche aus dem kalten Wasser hervorschritt. Er blickte sie an. Es war Tu-schi-niang. Indem sie an ihn herantrat, wünschte sie ihm alles Glück und theilte ihm die unglücklichen Ereignisse mit, welche Li-kih verschuldet. Dann sagte sie:

– Da ich bei einer frühern Gelegenheit Euere Freigebigkeit genossen habe durch den Vorschuß von hundert und fünfzig Unzen Silber, so war meine Absicht, nachdem ich Euch verlassen, Euch auf eine zarte Weise zurückzuzahlen. Damals hatte ich noch keine Ahnung, daß jene Angelegenheit ein unvollendetes Beginnen sein werde; in der That, da ich Gefühle ohne Maaß gehegt, so ist der Kummer noch jetzt nicht vergessen. Heute Morgen nahm ich das Kästchen und gab es dem Fischer für Euch, um Euch eine kleine Aufmerksamkeit zu erweisen –: von jetzt an werdet Ihr mich nicht wiedersehn.

Als sie zu sprechen aufgehört, erwachte er plötzlich und wußte nun, daß sie gestorben war, und er betrauerte ihr hartes Schicksal.

* * *

Die Nachwelt, indem sie diese Geschichte bedenkt, hält dafür, daß Sön-fu, welcher durch seinen Anschlag sich jener Schönen bemächtigen wollte und leichtsinnig tausend Unzen Silber wegwarf, entschieden ein unwürdiger Gelehrter war; daß Li-kih, welcher Tu-schi-niang nicht erkannte, sondern sich in einem Augenblick das Herz schwer machen ließ, ein wahnwitziger und alberner Bursche war, nicht werth, daß man von ihm spricht –: allein Tu-schi-niang, eine Schönheit, hervorragend durch alle Zeitalter der Vergangenheit, wie konnte sie verfehlen, sich einen guten Gatten auszusuchen? wie konnte sie, mit dem Phönix von Tsin-lo davongehend, sich über den Charakter Li-kih's so sehr täuschen und die glänzende Perle und den lieblichen Edelstein an einen blinden Mann wegwerfen? wie konnte sie, Zuneigung in Feindschaft verkehrend, die Gefühle der überschwenglichsten Liebe in den Entschluß verwandeln sich ins Wasser zu stürzen? Das ist tief zu beklagen; die Strophe eines Gedichtes sagt:

Wer diese lustige Welt nicht versteht, der soll nicht eitel davon reden;
Nichts so sehr als Leidenschaft verwüstet die sittliche Kraft der Menschen;
Wenn Du Zuneigung für eine Wolke hältst, dann wirst Du fähig sein, in den Besitz der vollkommenen Erkenntniß zu gelangen;
Und zur Theilnahme an dieser lustigen Welt berufen, wirst Du alsdann sicher keine Beschämung ernten.


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