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Die seltsame Geliebte des Studenten Ming-i

Zur Zeit des Kaisers Hung-wu von der Ming-Dynastie lebte in der Stadt Kanton ein junger Mann mit Namen Tiän-tschu, mit Beinamen Ming-i. Sein Vater hieß Tiän-pe-lu. Derselbe wurde in der Folge als Unterrichtsinspektor nach der Stadt Tsching-tu versetzt und begab sich alsbald auf seinen Posten, indem er seine Familie mitnahm.

Ming-i war ein schöngewachsener junger Mann und ein lustiger Gesellschafter, er übertraf in allen Dingen die sämmtlichen übrigen jungen Leute seines Alters. Er schrieb eben so schön als er malte und spielte die Laute eben so gut wie das Damenspiel. Die Studenten liebten ihn daher wie ihren Augapfel und suchten sich täglich seines Umgangs zu erfreuen.

Nachdem er ein Jahr in Tsching-tu verweilt hatte, wollte ihn sein Vater nach Kanton zurückschicken; seine Mutter aber, die ihn zärtlich liebte, konnte sich nicht entschließen ihn fortzulassen. Da der Gehalt Pe-lu's sehr gering war und die Reisekosten sehr bedeutend, so berieth er sich mit einigen Graduirten der höheren Unterrichtsanstalt, ob es nicht besser wäre hier in Tsching-tu eine Gelegenheit zur weiteren Ausbildung für seinen Sohn zu suchen. Wenn derselbe sich den Studien zu widmen und zugleich etwas Geld zu verdienen vermochte um eines Tages die Kosten der Rückreise zu bestreiten: so würde hierdurch ein doppelter Vortheil erreicht worden sein. Da die Befragten Ming-i sehr liebten und sein Bleiben in der Stadt wünschten, so sahen sie sich überall nach einer Stelle für ihn um; sie erfuhren dabei, daß unweit der Stadt ein reicher und vornehmer Mann, mit Namen Tschang, einen Erzieher für seine Kinder suchte, und sie empfahlen ihm Ming-i. Herr Tschang übertrug ihm darauf die Stelle und ersuchte ihn unmittelbar mit dem neuen Jahre, nach dem Laternenfest, seine Lektionen anzufangen.

Nachdem der Tag herangekommen war, begab sich Ming-i nach der Wohnung des Herrn Tschang, begleitet von seinem Vater und einer großen Anzahl seiner Freunde, junge Leute von Ruf, und die bereits einen Grad erlangt hatten.

Herr Tschang hatte ehemals die Stelle eines Kommissars im Postwesen bekleidet und befand sich in Folge dessen in sehr günstigen Vermögensverhältnissen. Als er den alten Herrn Professor mit allen diesen ausgezeichneten jungen Leuten in sein Haus kommen sah, freute er sich ungemein und lud sie sämmtlich ein bei ihm zum Mittagsessen zu bleiben.

Nachdem das Diner zu Ende war, trennte man sich, und Ming-i zog sich zum Schlafen in das Zimmer zurück, welches ihm als Schulstube angewiesen war.

Als das Blumenfest herannahte, hatte Ming-i den Wunsch seine Eltern zu besuchen und erbat sich bei Herrn Tschang die Erlaubniß dazu. Dieser gestattete ihm nicht nur zu gehen, sondern machte ihm noch ein Geschenk von zwei Unzen Silber. Nachdem Ming-i die beiden Silberstücke in den Aermel seines Kleides gesteckt, begab er sich auf den weg.

Wie er so dahin schritt, kam er an einen Ort wo Pfirsichbäume in voller Blüthe ein dichtes Wäldchen bildeten. Während seiner ganzen Wanderung war die Gegend sehr ländlich und schattig gewesen und Ming-i hatte das Herz so voller Freude, daß er jetzt einen Augenblick stehen blieb, sich an der Aussicht zu ergötzen. Da gewahrte er in dem Pfirsichdickicht ein schönes Mädchen, welches sich unter den Blumen zu verstecken suchte. Da er sie für eine anständige Dame hielt, so wagte er nicht sie fest ins Auge zu fassen, sondern setzte unverzüglich seinen Weg fort; er nahm indessen unwillkürlich einen anmuthigen und koketten Gang an. Indem er dabei den Arm senkte ließ er, ohne es zu merken, das Geld aus dem Aermel fallen. Die junge Dame bemerkte es sofort und befahl ihrer Kammerjungfer das Geld aufzuheben und es seinem Eigenthümer zurückzugeben. Ming-i empfing es lachend, bedankte sich und setzte seinen weg fort.

Am andern Morgen schlug er absichtlich den selben weg ein und als er an die Stelle kam, sah er die junge Dame mit ihrer Kammerjungfer vor der Thür ihres Hauses stehn, wie er an dieser Thür vorbei ging, zeigte die Kammerjungfer mit dem Finger auf ihn und sagte zu ihrer Herrin:

– Siehe, da kommt der Herr, der gestern sein Geld verlor.

Die junge Dame trat darauf ein wenig in die Thür zurück, Ming-i aber, da er den Schluß machte, daß die Kammerjungfer von dem gestrigen Zufall gesprochen, näherte sich einige Schritte und sagte:

– Ich bin Ihnen sehr verbunden, mein Fräulein, daß Sie gestern die Güte gehabt, das Geld aufheben zu lassen, welches ich verloren; und ich komme heute ausdrücklich, um Ihnen dafür zu danken.

Nachdem die junge Dame die Worte vernommen, ließ sie ihn durch die Kammerjungfer bitten einige Augenblicke in den Salon zu treten, damit sie ihm Gutentag sagen könne.

Entzückt von dieser Einladung setzte er sich seine Mütze so elegant wie möglich auf, strich seine Kleider glatt und trat über die Schwelle, wo er von der jungen Dame empfangen und in den Salon geführt wurde.

Nach den üblichen Begrüßungen und Höflichkeiten öffnete die junge Dame den Mund und fragte ihn, ob er nicht Erzieher im Hause des Kommissars Tschang wäret

– Allerdings, antwortete Ming-i, und ich hatte gestern den Unterricht unterbrochen, um mich nach dem elterlichen Hause zu begeben, als ich hier im Vorbeigehen jene Kleinigkeit fallen ließ, die Sie die außerordentliche Güte hatten, mir durch Ihre Kammerjungfer wieder zustellen zu lassen; ich bitte Sie für diesen Dienst meinen aufrichtigen Dank annehmen zu wollen.

– Die Familie Tschang, erwiderte die junge Dame, ist auch meine Familie und ich sehe ihren Erzieher so an als wenn er der meinige wäre. Eine Kleinigkeit wie die Wiedererstattung Ihres Geldes verdient daher keine besondere Danksagung.

– Ist es mir erlaubt, versetzte Ming-i, zu fragen, welches der Name Ihrer geehrten Familie ist und welche Verwandtschaft zwischen Ihnen und meinem Gönner besteht?

– Der Name meiner armseligen Familie, sagte die junge Dame, ist Ping, eine alte Familie der Stadt Tsching-tu. Ich bin die Tochter eines gewissen Siä aus Mun-Hiao und ich war mit einem Sohn der Familie Ping, Namens Kang, verheirathet. Da mein Gemahl unglücklicherweise sehr bald nach unserer Hochzeit gestorben ist, so habe ich mich in diesem Landhause niedergelassen, um hier meine Wittwenschaft zu verleben. Durch meine Verheirathung bin ich die Verwandte Ihres ausgezeichneten Gönners geworden und Sie, mein Herr, gehören auf diese Weise auch zur Familie.

Als Ming-i vernahm, daß sie Wittwe sei, wagte er nicht länger zu bleiben; nachdem er daher seine beiden Tassen Thee getrunken hatte, erhob er sich und empfahl sich ihr.

Aber die junge Dame sagte zu ihm:

– Verweilen Sie doch noch etwas bei mir, mein Herr, und verbringen hier Ihren Abend. Denn wenn Ihr ausgezeichneter Gönner erfährt, daß Sie hier gewesen sind und daß ich Sie nicht zum Bleiben genöthigt und gut bewirthet habe, so wird er das übel nehmen.

Sie befahl darauf sofort das Abendessen anzurichten, und nach einigen Augenblicken nahmen sie beide an einer reichbesetzten Tafel Platz. Während des Essens munterte sie ihn zum Trinken auf und unversehens legte sie im Plaudern den Zwang ab und ließ einige freie Worte in die Unterhaltung einfließen. Da Ming-i dies dem nahen Verwandtschaftsverhältniß zwischen ihr und seinem Gönner zuschrieb, so hielt er sich zurück und wagte sich nicht frei gehen zu lassen, obwohl er seine prickelnden Begierden kaum im Zaume zu halten vermochte.

– Ich habe von Ihren eleganten Manieren und Ihren hervorragenden Talenten sprechen hören, sagte die junge Dame, aber heute haben Sie ein so grämliches Aussehn wie ein Schulmeister. Ich verstehe auch ein wenig zu singen, obwohl ich kein Talent dazu habe. Da ich aber heute mit einem Musikkenner zusammen getroffen bin, so wage ich nicht zu viel Bescheidenheit zu zeigen. Ich werde Ihnen einige meiner Versuche vorlegen und einige Lieder mit Ihnen singen. Ich würde mich glücklich fühlen, wenn Sie nicht zu geringschätzig darüber urtheilen würden.

Und ihre Zofe rufend um die Dichtungen zu holen, welche sie aus den berühmten Meistern der Tang-Dynastie ausgewählt und abgeschrieben, zeigte sie dieselben an Ming-i.

Nachdem dieser sie aufmerksam betrachtet, sah er, daß es sämmtlich Manuskripte aus der Zeit der Tang-Dynastie waren, und zwar Gedichte und Schriften zum größten Theil von Ruän-tschin, von Tu-mu und von Kao-piän verfaßt. Sie hatten das Aussehen, als wenn sie eben geschrieben wären. Ming-i betrachtete sie mit Entzücken, er konnte sich nicht entschließen sie aus der Hand zu legen und rief aus:

– Das ist ein seltner Schatz! Sie, gnädige Frau, beschäftigen sich mit Dingen, welche von der Hand der Dichter des Alterthums herrühren!

Die schöne Dame dankte ihm mit Bescheidenheit, und in eine geistvolle Unterhaltung vertieft kam ihnen die zehnte Stunde der Nacht heran, ohne daß sie es gemerkt hatten. Ming-i weigerte sich nun, noch weiter Wein zu trinken, aber die schöne Dame bat ihn mit in ihr Schlafzimmer zu kommen; sie legte ihre Ohrringe ab und sagte zu ihm:

– Ich wohne hier schon seit langer Zeit ganz allein, da ich aber heute Abend sehe, daß Sie so liebenswürdig und höflich sind, so kann ich nicht umhin Sie ein wenig zu lieben, und ich biete Ihnen an, mir Gesellschaft zu leisten.

– Ich würde nie gewagt haben Sie darum zu bitten, rief Ming-i, obwohl es mein glühendster Wunsch ist.

Nachdem sie sich alsdann entkleidet hatten schritten sie auf das Bett zu, glücklich wie im Wasser zappelnde Fische und die ganze Welt über ihrer Liebe vergessend.

Als sie auf ihrem Kopfkissen lag, empfahl sie ihm inständig, vorsichtig zu sein und nicht leichtsinnig zu plaudern:

– Wenn Dein ausgezeichneter Gönner es erführe, so würden meine Tugend und mein Ruf, wie der Deine, unwiederbringlich vernichtet sein.

Am Morgen machte sie ihm einen Briefbeschwerer aus Nephrit zum Geschenk, welcher einen schlafenden Löwen darstellte. Dann begleitete sie ihn bis zur Thür und sagte zu ihm:

– Wenn Sie nichts besseres zu thun haben, so kommen Sie wieder her, aber folgen Sie nicht dem Beispiel der Leute ohne Herz und Zuverlässigkeit!

– Es ist wirklich nicht nöthig mir das anzuempfehlen, erwiderte ihr Ming-i.

Zur Schule zurückgekehrt täuschte er den Vater seiner Zöglinge und sagte:

– Meine Mutter kann sich an meine Abwesenheit nicht gewöhnen und wünscht, daß ich jede Nacht zu Hause schlafe. Da ich ihr nicht ungehorsam zu sein wage, möchte ich von jetzt ab jeden Morgen zur Schule kommen und des Abends nach Hause zurückkehren.

Da sein Chef glaubte, daß er die Wahrheit sage, so bewilligte er sein Gesuch.

Während Ming-i Herrn Tschang gegenüber vorgab daheim zu nächtigen, erzählte er daheim, daß er in der Schule schliefe; und auf diese Weise brachte er jede Nacht im Hause der schönen Dame zu. –

Ein halbes Jahr war verflossen, ohne daß man es gewahr geworden. Ming-i und seine Schöne sahen die Blumen an, betrachteten den Mond, tranken und sangen, alle menschlichen Freuden bis zum Grunde erschöpfend. Sie sangen beide, indem sie sich abwechselnd begleiteten, sie machten Verse, wie zum Beispiel vierundzwanzig Strophen auf das Fallen der Blüthen, und fünfzig Strophen auf die klare Mondschein-Nacht, wetteifernd in Geschick und Eleganz und durch den Wettkampf sich vervollkommnend, dichteten sie eine erstaunliche Anzahl von Versen, durch deren Mittheilung ich die Leser zu ermüden fürchte. Ming-i hielt gleichen Schritt mit der schönen Dame, zu ihrer großen Freude; und in der That, es war ein junger Mann von Talent und eine schöne Frau, welche im guten Geschmack sich gegenseitig übertrafen.

Wir verzichten darauf, ihre Seligkeit zu schildern.

Unglücklicherweise dauern alle guten Dinge nicht ewig und der Zeitpunkt ihres Endes mußte nothwendig herankommen. –

Eines schönen Tages traf der Kommissar Tschang zufällig in der Thür des Kollegiengebäudes den alten Professor Pe-lu und sagte zu ihm:

– Ihr Sohn kehrt jede Nacht zu Ihnen zurück, es ist sehr mühselig immer so hin und her zu laufen, warum bleibt er nicht bei mir und schläft da? das würde viel bequemer sein.

– Nachdem er den Unterricht angefangen hat, erwiderte ihm Pe-lu, hat er ja immer in Ihrem Hause geschlafen. Nur da meine gute Frau letzthin krank war, habe ich ihn während dieser Zeit bei mir behalten; seitdem aber ist er nicht wiedergekommen, um bei uns zu schlafen. Ich verstehe daher gar nicht was Sie meinen.

Da der Kommissar Tschang merkte, daß hier irgend ein Geheimniß verborgen war, und Ming-i keine Ungelegenheit bereiten wollte, so schwieg er und empfahl sich.

Als aber Ming-i ihm am Abend wieder sagte, daß er zu den Seinigen zurückkehren wolle, erwiderte Herr Tschang keine Silbe, schickte ihm indeß heimlich einen Schulwärter nach, um zu sehen wohin er ginge. Der Diener that, was ihm befohlen war, aber auf halbem Wege verlor er Ming-i plötzlich aus den Augen. Er lief rasch hinter ihm her und suchte ihn, da er ihn aber nirgend fand, so kehrte er um und erzählte seinem Herrn was ihm zugestoßen.

– Er ist jung und leichtsinnig, sagte der Kommissar, er wird gewiß in ein Haus von schlechtem Ruf gegangen sein.

– Aber es giebt kein einziges Haus von schlechtem Ruf auf diesem ganzen Wege, erwiderte der Diener.

– So begieb dich nach der Wohnung seines Vaters, versetzte der Herr, und frage dort nach ihm.

– Es wird schon dunkel, antwortete der Diener, und ich fürchte, daß die Thore der Stadt bald geschlossen werden und ich nicht mehr zurückkehren kann.

– So bleibe dort und schlafe die stacht in seinem Hause, sagte Herr Tschang, und komme morgen früh zu mir zurück.

Am andern Morgen kehrte der Diener mit der Nachricht zurück, daß Ming-i nicht nach Hause gekommen wäre. Wo zum Teufel kann er denn hingekommen seine fragte sich der Kommissar.

Gerade in diesem Augenblick des Zweifels und Erstaunens kam Ming-i an.

– Wo hast Du die letzte Nacht geschlafen? fragte er ihn.

– Natürlich in meinem elterlichen Hause, erwiderte Ming-i.

– Wie ist das möglich? rief der Kommissar, ich habe Dich gestern Abend, als Du fort gingst, verfolgen lassen; da Dich mein Diener auf halbem Wege aus den Augen verlor, so ist er unverzüglich in das Collegiengebäude gegangen, um dort nachzufragen; aber Du warst nicht da. Wie kannst Du mir also solche Geschichten erzählen?

– Ich habe auf halbem Wege einen meiner Freunde getroffen, mit dem ich soviel geplaudert habe, daß ich erst spät in der Nacht bei den Meinigen ankam.

– Ihr ergebener Diener hat die ganze Nacht in dem Hause Ihres Herrn Vaters verbracht, unterbrach der Schulwärter, er ist erst heute Morgen zurückgekehrt. Ihr Herr Vater war in Folge meiner Nachfrage sehr bestürzt, und hat sich sofort angeschickt. Sie zu suchen, wie vermögen Sie daher zu behaupten, daß Sie die Nacht zu Hause geschlafen haben?

Ming-i wußte keine Ausrede mehr zu finden und wechselte die Farbe.

– Wenn sich die Sache anders verhält, sagte der Kommissar, so sage es mir doch aufrichtig.

Ming-i sah ein, daß er es nicht länger verbergen konnte, und erzählte ihm die Geschichte seines zufälligen Zusammentreffens mit Siä, aus der Familie Ping. Er fügte hinzu, daß er niemals gewagt haben würde, so pflichtvergessen zu handeln, wenn die Dame nicht eine Verwandte des Kommissars gewesen wäre.

– Aber ich besitze gar keine Angehörigen in dieser Gegend, rief der Kommissar aus, überdieß giebt es in meiner ganzen Familie niemand, welcher den Namen Ping trägt. Es ist sicher ein Teufelsspuk, und ich rathe Dir, Dich in acht zu nehmen und nicht wieder an den Ort zurückzukehren.

Ming-i versprach es, aber im Herzen schenkte er den Worten des Kommissars keinen Glauben. Den selben Abend kehrte er zu seiner Schönen zurück und erzählte ihr, daß ihr Verkehr entdeckt sei.

– Ich wußte es schon vorher, rief das schöne Mädchen, bekümmere dich nicht zu sehr, mein lieber Freund, aber das dunkle Schicksal ist erfüllt.

Sie trank alsdann einige Gläser Wein mit ihm und darauf pflegten sie der Liebe. Als aber der Tag anbrach, sagte sie ihm schluchzend:

– Nun werden wir getrennt sein für immer!

Sie zog darauf ein Etui aus Agath hervor, welches Pinsel zum Tuschen enthielt, und überreichte es ihm mit den Worten:

– Dies ist eine Arbeit aus der Zeit der Tang-Dynastie, hebe es sorgfältig auf als ein Andenken.

Nach diesen Worten trennten sie sich, heiße Thränen vergießend. –

Unterdessen hatte der Kommissar Tschang, überzeugt, daß sein Gouverneur wieder die Nacht außer dem Hause verbringen würde, ihn im Schulzimmer suchen lassen, ohne ihn natürlich zu finden. Der Kommissar sagte darauf zu sich selbst: diese Geschichte muß sich aufklären, mein Herr Gouverneur; es ist eine Sache, die mich als Hausherrn angeht. Ich kann nicht umhin, seinen Vater in Kenntniß zu setzen.

Er begab sich darauf zu dem Collegiengebäude und erzählte Pe-lu die ganze Geschichte. Dieser schickte wüthend sogleich einen Collegien-Diener fort, um sich mit dem Schulwärter des Herrn Tschang in das Schulzimmer zu verfügen und ihn zu suchen.

Ming-i hatte zu der selben Zeit gerade seiner Schönen Lebewohl gesagt und kehrte nach dem Hause des Herrn Tschang zurück, indem er bei sich murmelte: Sie hat von einer ewigen Trennung gesprochen, aber sicherlich nur weil sie ihren Ruf zu beflecken fürchtet. Ich werde mich während einiger Zeit zurückhalten und erst dann wieder zu ihr gehn, vielleicht werd' ich sie noch wiedersehn.

In diese Betrachtungen versenkt, wurde ihm der Befehl seines Vaters überbracht; er war verpflichtet zu gehorchen und sich zu ihm zu begeben.

Kaum hatte Pe-lu ihn erblickt als er ausrief:

– Du studierst Deine Bücher nicht mehr, sondern treibst Dich im Gegentheil in den Nächten umher.

Ming-i, welcher auch den Kommissar Tschang im Zimmer erblickte, wußte nichts zu antworten. Als Pe-lu sah, daß er nichts sagte, flog er nach seinem Rohrstock und schlug ihm damit über den Kopf indem er schrie:

– Willst Du die Wahrheit sagen!

In dieser schlimmen Lage beichtete Ming-i das ganze Abenteuer seiner zufälligen Begegnung und wies das Buch mit Versen vor, die sie zusammen gemacht, er zeigte auch den Briefbeschwerer und das Pinsel-Etui, welche sie ihm geschenkt hatte, und rief aus:

– Konnte man umhin von einer so schönen Dame entzückt zu sein, und kann man daraus Deinem Sohn ein Verbrechen machen?

Pe-lu nahm die Geschenke und das Gedichtbuch in die Hand und betrachtete alles aufmerksam. Der Nephrit hatte eine Färbung als wenn er mehrere Jahrhunderte hindurch in der Erde gelegen hätte; während man auf dem Etui in antiken Schriftzeichen die Worte eingegraben las:

Ein Geräth zum bloßen Vergnügen,
Eigentum Kao's, aus der Stadt Pho-hä.

Darauf das Gedichtbuch entfaltend und aufmerksam prüfend, wurde er milder gestimmt und sagte zum Kommissar Tschang:

– Diese Gegenstände sind selten und bewundernswerth, dazu sind die Verse elegant und anmuthig. Dies ist kein alltägliches Wunder! Ich muß mich selbst mit meinem entarteten Sohne an Ort und Stelle begeben, um ihre Spuren aufzusuchen.

Sie gingen darauf aus der Stadt heraus, und als sie bei dem Pfirsichhaine angelangt waren, rief Ming-i: Hier ist es! Als sie indessen in das Innere des Wäldchens eingedrungen waren, schrie er ganz außer sich: Das Haus ist nicht mehr da!

Bei diesen Worten machten Pe-lu und der Kommissar gleichzeitig lange Hälse, aber sie sahen nichts als das weiße Wasser und die grünen Berge. Die Stelle war dicht besetzt mit Pfirsichbäumen und im Unterholz verborgen befand sich ein einfaches Grabmal. Den Kopf schüttelnd sagte darauf der Kommissar Tschang:

– Das ist es! Das ist es! Man erzählt, daß an diesem Platze das Grab einer Kurtisane aus der Zeit der Tang-Dynastie sei, welche Siä-tao hieß. Eine spätere Generation erinnerte sich des Verses Tsching-ku's:

Kleine Pfirsich-Blüthen umgeben das Grab Siä-tao's

und sie pflanzte daher daselbst einige hundert Pfirsichbäume, um unter ihnen im Frühjahr spazieren zu gehen. Jene Dame, welche Ihr ausgezeichneter Sohn getroffen hat, ist ohne Zweifel Siä-tao gewesen.

– Welchen Grund haben Sie, um das zu glauben? fragte Pe-lu.

– Sie hat gesagt, antwortete der Kommissar, daß sie mit Kang, dem Sohne Pings, verheirathet gewesen sei. Es ist klar, daß damit das Gäßchen Ping-kang gemeint ist. Außerdem hat sie von Mun-hiao gesprochen. Es giebt aber nirgend in der Stadt eine Straße dieses Namens. Wenn man dagegen die Charaktere Mun-hiao zusammenschreibt, so bilden sie das Zeichen Kiao, das heißt die Straße Kiao. Das Gäßchen Ping-kang in der Straße Kiao war aber der Ort, wo die Kurtisanen zur Zeit der Tang-Dynastie wohnten. Endlich hat sie den Namen Siä genannt: wenn es nicht Siä-tao gewesen ist, wer sollte es denn sonst gewesen sein? Uebrigens befindet sich auf dem Pinsel der Name Kao, und Kao-piän hieß der Statthalter der Provinz Sze-tschuan. Während er im Lande Tschu residirte, war Siä-tao seine Mätresse und er hatte ihr ohne Zweifel diese beiden Gegenstände geschenkt. Obgleich Tao seit langer Zeit todt ist, so hat sich ihr Geist doch offenbar nicht verändert. Laßt uns daher nicht weiter in diese Geschichte eindringen!

Pe-lu sah ein, daß der Kommissar das Richtige getroffen, und da er fürchtete, daß sein Sohn noch gegenwärtig von ihr behext sei, so entschloß er sich ihn nach Kanton zurückzuschicken. –

Ming-i erlangte später den Grad eines Doktors, er erzählte oft sein Abenteuer und zeigte zum Beweise die beiden Kleinode vor; aber obwohl er oft an die Geliebte dachte, so hat er sie niemals mehr wieder gesehen.


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