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Islands Kultur und seine junge Malerei.
Literarische Einführung.

Der Kampf zwischen Vulkanen und Gletschern, zwischen Feuer und Wasser, hat auf der Erdoberfläche der halbpolaren Insel geologische Kuriositäten erzeugt, die seit Jahrhunderten Erdkundeforscher nach Island gezogen haben. Die Auffindung von Handschriften der altnordischen Helden- und Göttersagen übte eine ähnliche Anziehungskraft auf Germanisten aus. Geologen haben Islands Natur, Philologen haben Islands Geistesleben entdeckt. Die meisten Bücher über die nordische Insel sind von ihnen geschrieben. Sie haben das Bild, welches man sich in Mitteleuropa von Island macht, vermittelt.

So verdienstvoll diese Vermittlung war, so ist sie doch nur einseitig gewesen. Von Islands Nationalgenius blieb nicht viel mehr übrig als etwa vom griechischen Genie, von seinem leidenschaftlichen Schönheitswillen, in der Spiegelung humanistischer Gymnasien und des durchschnittlichen Altphilologenbetriebes.

Das Problem der künstlerisch befriedigenden Übertragung der altnordischen Dichtung ist weder in der deutschen, noch in den modernen skandinavischen Sprachen völlig gelöst. Die vorliegenden Übersetzungen geben die Genialität der Urtexte, die bildliche Kraft und die Treffsicherheit des Ausdruckes nur unvollständig wieder. Zweifellos sind in der altisländischen Literatur auch Elemente enthalten, die von mitteleuropäischen Gehirnen nicht leicht assimiliert werden können. Aber sie ist trotzdem, nicht nur wie Georg Brandes sagt, »die in ethischer Beziehung männlichste und in künstlerischer Beziehung vollendetste Literatur der nordischen Völker«, sondern sie ist die heutzutage am wenigsten von der Volksgesamtheit losgelöste, die am wenigsten tote Dichtung der Weltliteratur. Sie ist die einzige Kunst, die noch Gemeingut einer Nation ist, die bestimmenden Einfluß auf Fühlen, Denken und Ausdruck eines Volkes hat und ins Bewußtsein der überwiegenden Mehrzahl aller Volksgenossen dringt. Man merkt es den Repliken fast jedes Isländers an, daß seine Rede am Stile der Saga geschult ist.

Wenn man die Insel durchreist und sich, wo immer auch, im Südland oder im Nordland, im Westen oder im Osten bei den Bewohnern nach dem Wege erkundigen will, kann man ebensogut, anstatt eine geographische Ortsbezeichnung zu nennen, an eine in dieser Gegend stattgefundene Begebenheit erinnern, die in der Saga geschildert ist und beispielsweise fragen: »Wie ritt von hier aus jener gefürchtete Geächtete, als er vor seinen Feinden floh, sie irre führte, im Hinterhalt erwartete und dann erschlug?« Der Gefragte wird genau den Weg erklären, den der Friedlose vor tausend Jahren geritten ist und die Stabreime zitieren, die er bei der Entdeckung des Schlupfwinkels, beim Anblick seiner Feinde und nach vollbrachter Rache gesagt haben soll. Wenn man in Begleitung Einheimischer die zauberhaft schöne und wilde Insel durchreist und es gelingt, das Herz der Reisegefährten zu erschließen, erlebt man, daß jede Naturgestalt zum Symbol dramatisch-dichterischer Begebenheiten geworden ist. Nicht nur die auf historische Orte sich beziehenden Sagadichtungen werden erzählt und vielfach die eingestreuten Stabreime wörtlich zitiert und, falls man Isländisch nicht versteht, erklärt – natürlich in der fremden Sprache unbeholfen, aber doch irgendwie treffender als in den Übersetzungen –, sondern man erfährt auch die bisher noch nirgends niedergeschriebenen, nur im Volksmunde lebenden Legenden und Zaubergeschichten. Es reihen sich Erzählungen an von grauenerregenden Naturkatastrophen: hier haben Springfluten ganze Fischerdörfer ins Meer gerissen, dort sind in plötzlich entstandenen Erdrissen Bauerngehöfte versunken. Der Vatna-Jökul, dessen unglaublich dicke Gletscherschichten 8000 Quadratkilometer bedecken, ist durch seine Verwüstungen berüchtigt, die ausbrechende Lava von Zeit zu Zeit verursacht. Dann stürzen Gletschermeere geschmolzenen Eises in die bebauten Gegenden hinunter, und der nachfolgende Aschenregen vergiftet, wie bei den Vulkanausbrüchen im achtzehnten Jahrhundert, im weiten Umkreise alle Weiden des Landes, so daß die Viehherden dahinsiechen und verhungern. Solche Naturkatastrophen waren Anlaß zu Heldentaten gegenseitiger Hilfe, die im Bewußtsein des phantasiebegabten Volkes wieder ins dichterisch Legendäre, ins kunstvoll Sagenhafte übergingen. – So kommt es, daß Berge und Täler, Seen und Flüsse ihre Geschichte, ihre Dichtung besitzen; ja jedes Birkengestrüpp, fast jede einzeln dastehende Eberesche löst, von einem Blick oder Gedanken gestreift, gestaltete Erzählung aus.

Es gibt wenige so dünn bevölkerte Stellen der Erde wie Island – nur ein Einwohner kommt auf den Quadratkilometer. Es gibt wenige so kahle und vegetationsarme Erdenstriche wie die vulkanische halbpolare Insel. Aber nirgends ist die Natur so begeistet, die Erdoberfläche so dämonisch belebt, – sie zittert, sie raucht, sie ist eisig und heiß, sie speit Feuer und Wasser, ihre Felsen und Krater haben die Gestalten von Göttern und Teufeln, von Ungetümen und Fabelwesen; aber ein Sonnenstrahl oder ein Nebelfetzen genügt, um in dieser Steinwelt die finsterste Hexe zur leuchtenden Göttin, einen erhabenen Gott zum verkrüppelten Troll zu verzaubern. – Diese Zauberinsel, von innerer Glut zerrissen, unter Schneestürmen erstarrt, durch den Golfstrom erwärmt, von Grasland umgürtet und vom Nordlicht geschmückt, hat ihre Bewohner inspiriert. Die Bewohner haben die Natur besungen und mit dichterischem Leben erfüllt.


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