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Einleitung von Peter Rosegger

An einem nebligen Spätherbstmorgen des Jahres 1849 rollte aus dem steirischen Alpenorte Obdach ein leichtes Steirerwäglein die Straße entlang – in die weite Welt. Darauf saßen zwei Knaben in grauen Zeuggewändlein, wie es Bauernstudenten haben, wenn sie in die »Studie« gehen.

Der eine blickte mit seinen braunen Augen, auf denen noch die Schatten des Abschiedes von daheim lagen, gegen den Himmel und sagte nach einer Weile betrübt: »Rudolf, es wird regnen!«

»Hans, es wird nicht regnen!« gab der andere zurück, »morgen ist Vollmond, da regnet es nicht.«

Und richtig war's. Als sie durch die Engschlucht unter der Ruine Eppenstein ins breite Murtal hinauskamen, löste sich der Nebel; als sie durch das alte Städtchen Judenburg fuhren, zeigte der Himmel die ersten blauen Scharten; als sie an der Felsenburg des streit- und sangeslustigen Ulrich von Lichtenstein vorüberrollten, blaute das ganze Firmament in herbstlicher Reine. So ging's zwischen den schönen Bergen dahin, und als es abendlich wurde, sind die jungen Reisenden eingezogen in das ehrwürdige Benediktinerstift zu St. Lambrecht. Daselbst waren sie aufgenommen, um als Schüler den Wissenschaften der Welt obzuliegen und als hellstimmige Chorknaben das Lob Gottes zu singen.

Der eine dieser Knaben hieß Rudolf Falb und ist später der berühmte Erdbeben- und Wettermann geworden, der andere Hans Grasberger, welcher sich im Laufe des Lebens den schönen Künsten hingab und dem wir nun als einem der besten Dichter Deutschösterreichs dieses dankbare Gedenken bringen.

Jener kleine Hans konnte leicht Johannes, Abt von Sankt Lambrecht, geworden sein, wenn er dem Stifte hätte verbleiben mögen. Aber das geheimnisvolle Geschick führte ihn auf anderen Straßen zu demselben Ziele des Schönen und Guten. Den zweiten Teil der Gymnasialstudien vollendete Hans in Klagenfurt, dann ging er auf die Universität nach Wien, wo er Rechtsstudien trieb und sich bald auf eigene Füße stellte. Durch die Vermittlung eines Freundes wurde es dem jungen Manne möglich, eine Reise nach dem Orient mitzumachen, bei welcher er die Kasse der Gesellschaft zu verwalten hatte. Damals führte noch keine Eisenbahn von Jaffa nach Jerusalem hinein. Gerne erinnerte sich der ältere Grasberger daran, wie damals der dreiundzwanzigjährige Hans arglos auf dem Maultiere sinnend und träumend unterwegs in den Steingebirgen von Judäa die Reisekasse verlor. Da mußte er wohl den Poeten verabschieden und klugen Blickes auf dem Rückritt im weglosen Sande die Richtung erforschen, bis die Tasche glücklich wiedergefunden war. Über die Erlebnisse, Gedanken und Stimmungen jener Reise hat der junge Poet getreulich Buch geführt und seine » Sonette aus dem Orient« sind ein glänzendes Denkmal der großen Morgenlandsfahrt, in welcher der fröhliche, sinnige, fromme Dichter kühnlich untertaucht in die Welt und jauchzend emporfliegt zu Gott. Ich habe nie etwas Schöneres über Reisen ins Heilige Land gelesen als dieses Sonettenbuch, wovon vor Jahren eine erweiterte und mit wertvollen Noten versehene Ausgabe in Leipzig erschienen ist.

Als dieser monatelange Morgenlandssonntag vorüber und der Dichter wieder heimgekehrt war in die Wienerstadt, ging freilich der prosaische Werktag an. Hans mußte sich einspannen lassen ins Zeitungsjoch, das für die Entfaltung dichterischer Talente sich oft so hinderlich erweist. Doch wußte er diesem Amte bald die für ihn ansprechendste Seite abzugewinnen; er wurde Feuilletonist und Kunstreferent. Als solcher ward Glasberger wiederholt nach Italien entsendet, in dessen sonnigem Leben und Weben seine dem Klassischen zugeneigte Seele schön und ebenmäßig ausreifte. Da brachte er stets seine Sachen mit heim, so Nachdichtungen von Michelangelo ( Le Rime de Michel Angelo Buonarotti), eigene Poesien, die in den Sammlungen » Singen und Sagen«, »Aus dem Karneval der Liebe«, »Licht und Liebe«, »Ein Triptychon« enthalten sind. Die Gedichte aus verschiedenen Lebensepochen sind natürlich nicht von gleichem Werte, mehr gedanklich als anschaulich, mehr tiefgründig als volkstümlich, aber stets von hoher Weltanschauung durchleuchtet.

Doch hat der Dichter in der südlichen Sonne nicht der schattenernsteren Heimat vergessen. Daß er in seinem Empfinden ein kerniger Älpler geblieben, das bewies er bewundernswert durch seine Gedichte in steirischer Mundart. Die Sammlungen »Zan Mitnehm«, »Nix für ungut«, »Plodersam«, »Geistlingschichten« sind an wahrer Volkstümlichkeit in Gehalt und Form nicht übertroffen, vielleicht nicht erreicht. Grasbergers »Vierzeilige« sind nicht mehr Nachahmung des Schnaderhüpfels, sie sind das Schnaderhüpfel selbst; sie sind voll natürlicher Lebenslust und volkstümlicher Weisheit.

Wie schlicht weiß der Dichter die Innigkeit »heimlicher Lieb'« zum Ausdruck zu bringen:

»I han a schön's Dirndl,
I nenn's aber nöt,
I siach's wohl bein Leut'n stehn,
Kenn's aber nöt.«

Dann will ich fragen, was man zu, den trutzigen Herzklängen unglücklicher Liebe sagt:

Mit Nagerl und Rosmarin
Stöck i ma 's Miada voll,
Daß Koani nöt mirk'n soll,
Wia-r-i valass'n bin.

Hiaz tua-r-i erst recht und röd
Wia-r-in da liabstn Zeit –
A hamlini Schadenfreud'
Gun i enk nöt!

In schwerem Weh nicht ein bißchen sentimental! So ist der Naturmensch draußen in den Waldbergen. Hierher gehört auch das folgende:

Wann er hoamkem wöllet,
Han i eahm frag'n lass'n –
Er hätt' draußt'n z'schaff'n,
Hat er sag'n Iass'n.

Ob i eahm nachkem därfet,
Han i eahm schreib'n lass'n,
Er hat hintagschrieb'n,
Das sollt i bleib'n lass'n.

Er söllt net gar so sein,
Han i eahm bitt'n lass'n,
Und er: was broch'n war,
Das söllt i kitt'n lass'n.

Und wia-r aft 's Kind is kömen,
Han i eahm 's sech'n lass'n.
Aft is er fort von Ort
Und hat uns grech'n lass'n. Uns einfach selbst überlassen.

Tatsächlich ist Grasberger als Mundartdichter weiter bekannt denn als hochdeutscher Sänger und Erzähler. In letzterer Richtung hat er sich langsam entwickelt. Er gehörte zu jenen allmählich wachsenden Naturen, die erst in späteren Jahren jung werden. Bei unserem Hans kam zuerst der Philosoph, dann der Dichter, und endlich auch – der Bräutigam. Mit sechzig Jahren erfreute er sich eines jungen, glücklichen Familienlebens, – Als Geschichtenerzähler hatte er etwas lange auf sich warten lassen, aber seine Popularität ist eine aufsteigende. Die ersten Erzählungen unseres Dichters waren in einem schwerfälligen Schritt dahergekommen, die Sprache war zu gesättigt an Gedanken, zu behäbig, gerne an Nebenbildern verweilend. Man kam beim Lesen nicht weiter, jeder Satz verlangte ein Nachgrübeln für sich und darauf ist die Leserwelt schon einmal gar nicht eingerichtet.

Doch war die Philosophenfeder bald künstlerisch geworden und mit mancher Erzählung kann – was die förmliche Vollendung angeht – unser Poet getrost mit den modernen Meistern des Stiles in die Schranken treten. Die Dorfgeschichte, die bürgerliche Erzählung, die Künstlernovelle weiß er mit gleichem Geschick zu meistern. Sollte in Grasbergers Geschichtenbüchern » Aus der ewigen Stadt«, » Auf heimatlichem Boden«, » Neues Novellenbuch« nicht auch der strenge Rezensent manchmal ein wohlgefälliges »Ah!« von sich geben und sagen: ein hochgebildeter Geist! aber nicht das allein! – Die reizendste aller Grasberger-Geschichten betitelt sich » Maler und Modell«. Es ist eine Barockgeschichte aus Steiermark, so zierlich, so leuchtend und so herzig, wie die Literatur seines Heimatlandes eine ähnliche nicht aufzuweisen hat.

Darf man bei dieser Gelegenheit auch einige Worte über des Dichters Persönlichkeit sagen? Der kleine untersetzte Mann mit dem schönen Haupte, mit dem Auge, aus dem der Geist und die Güte leuchtete, aber auch Kampflust, wenn es galt, mit beredtem Munde Rechtes zu verteidigen. Den Mann als Festredner zu hören! Das war mehr als rhetorischer Erguß, es war das volle, warme Ausleuchten einer Persönlichkeit. Eines Tages hörte ich ihn sprechen gegen die Korruption in der Kunst. Ich habe einmal bei nächtlicher Stunde den Ausbruch des Vesuv gesehen – diese Rede des sonst so sanften Hans hat mich daran erinnert. Oft, wenn es sich um gemeinnütziges Wohltun handelte, riß die Glut des Feuergeistes alle mit sich und der Idealist ward zum praktischen Rater und Tater. Wo es sich jedoch um eigenen Vorteil, um Anerkennung handelte, da war unser Poet unentschlossen, säumig, zurückstehend und gelassen verzichtend.

Es war keine geringe Arbeit gewesen, ihn zu bewegen, daß er für meinen »Heimgarten« seinen Lebensabriß schreibe. »Mit einem so armen Leben prahle man nicht,« sagte er. Mir lag aber daran, gerade von ihm selbst eine Lebensskizze zu erhalten, damit spätere Biographen einen sicheren Leitfaden vorfänden. Und gerade diese gedrängte schlichte Lebensbeschreibung wird allen, die nun zur neuen Ausgabe seiner hervorragendsten Werke greifen, hochwillkommen sein. Sie sei hier wörtlich mitgeteilt:


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