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VI.

Schloß und Sensenhammer.

Resi war nie tiefer ins Schloß gekommen, als nur in die »Moarstuben« und in die Küche, wo Frau Grethi rührig war, die dem eigenartigen Kinde gern Haare und Wangen streichelte oder was Gutes zusteckte.

Jetzt an der Seite ihres Gatten konnte sie alle Gemächer musternd durchschreiten, sich wie eine Herrin darin umsehen. Das war für sie ein schönes Traumwandeln, ein Hochgefühl, das sie berauschte, ein neugieriger Hang, dem sie sich mit Spannung, mit wohligem Bangen hingab. Eines Morgens sagte Ferdinand zu ihr: »Komm mit in die Schloßkapelle; ich habe noch ein Viertelstündchen frei.« Danach langte er einen kleinen Bund Schlüssel hervor und schloß selber auf. Die Kapelle war geräumig, ein zierlicher hochstrebender Bau, aber alles darin war mehr oder minder beschädigt, verstaubt, verblichen, von Spinnenweben umsponnen!

»Du, da riecht man förmlich die Vernachlässigung,« sagte Frau Therese; »sie wirkt wie Stickluft.«

»Und es wird ab und zu doch noch hier Messe gelesen. Vorzeiten ist ein eigener Schloßkaplan angestellt gewesen. Du kannst hier reinigen, ausbessern und schmücken nach Herzenslust; es ist ein gefundenes Feld für dich, und es darf auch etwas kosten.«

»Das will ich auch nicht so lassen; das muß anders werden, Ferdinand!

Und was ist denn das für ein Eingang mit dem vergoldeten Gittertor?« fragte sie neugierig.

»Dahinunter geht's in die Gruft.«

»In die Gruft! Und bist du schon drunten gewesen?«

»Versteht sich; die Särge sind ja als Inventarstücke verzeichnet.«

»Und ist's recht finster drunten?«

»Es ist das unten auch eine Art Kapelle, nur niedriger. Die Särge stehn in Reih und Glied auf steinernem Boden, kleine von früh verstorbenen Komtessen und große – alle noch von der früheren Herrschaft. Es geht viel dummes Gerede um; unermeßliche Schätze sollen drunten liegen. Ein Schatzgräber hat auch einmal von außen einzudringen gesucht, aber das Gemäuer ist stark. Kurz vor meiner Ankunft hat ein Gauner von hier aus, wahrscheinlich bei einer Stiftmesse, sich eingeschlichen, die Gittertüre und das untere Pförtlein aufgesprengt. Die Särge vermochte er ohne Schlüssel doch nicht zu öffnen. Wohl aber hat er ein paar Sargfüße und den kleinen Engel von einem Sargdeckel gestohlen, wahrscheinlich in der Meinung, daß alles eitel Silber sei.«

Resi hatte mehr und mehr aufgehorcht. Sie konnte den Blick nicht vom Gitter wenden, und der war so gespannt, als wollte er das hinunterlockende Dunkel durchspähen. Sie war in einer Aufregung, daß sie zitterte. War es Grauen, war es Lüsternheit nach dem unbekannten Düster?

Die Hauskapelle aber blieb nicht länger dem Schmutze anheimgegeben, denn die schöne Kastellanin hielt Wort.

Um St. Peter und Paul schon, da dem Schloßgesinde stiftungsgemäß eine Frühmesse gelesen wurde, durfte sich das Kirchlein sehen lassen, und der Kaplan, den man zum Frühstück gezogen, sagte mit einem erkenntlichen Blick auf die Hausfrau:

»Man sieht, daß sich eine geschickte Hand unserer armen Kapelle angenommen hat, und der Schmuck seines Hauses ist Gott wohlgefällig.«

Begreiflicherweise langte Frau Therese oft in das Wandkästchen nach den Schlüsseln zur Kapelle.

Einmal, es war am Vorabend des Patronatsfestes, hatte sie am Altar alles bestens in Ordnung gebracht und auch, um zu sehen, ob alles farbig stimme, eine kleine Beleuchtungsprobe vorgenommen. Noch hatte sie die Blumen in ihrem Körbchen nicht völlig aufgebraucht.

Wie zufällig blickte sie zum glitzernden Gruftgitter hinüber, und einen absonderlichen Schlüssel in ihrer Hand betrachtend, dachte sie sich: Du mußt aufschließen.

Das Pförtlein wich auch nur zu willfährig, und ohne daß sie recht wußte, was sie wollte, ihrem dunklen Drange gehorchend, stieg Resi die dunklen Stufen hinab. Nein, sie kehrt zurück.

Aber nur, um vom Altar einen aufgezündeten Leuchter zu nehmen und wieder in die Tiefe niederzusteigen.

Auch das zweite Türlein öffnete sich, und die Traumwandlerin betritt vorleuchtend die vielberufene gräfliche Gruft.

Furcht kannte sie nicht, oder vielmehr, wo auch nur ein schwaches Lichtlein brannte, fühlte sie sich sicher.

»Da liegen sie, die drüben im Ahnensaal noch so stolz und herrisch blicken; wie eng beieinander, und jedes noch enger in sein Trühlein gesperrt! Und man öffnet ihnen nie den schweren Deckel, nie soll sie ein frischer Lufthauch, nie ein Lichtstrahl grüßen. Das ist grausam!

Richtig, wie Silber schimmern die Särge, und da fehlt in der Tat die Greifenklaue, dort die Löwenpfote. Und da wohl war als Wappenhalter der bausbackige Engel, den der Einschleicher mit gestohlen. Wie er nur hereinkommen konnte ohne Schlüssel? Gut, daß ich daran denke: ich darf nicht vergessen, gut zuzusperren.

Und hier im schmälsten und kürzesten Särglein die kleine Prinzessin! Vielleicht eine Brust voll Hochsinn und Hoffnung! Mein Gott, wie gern wär' ich jung gestorben, und daß du mir so viel edle Fürsorge, so viel Glück hast zuteil werden lassen, wie kann ich dir je genug dafür danken?

Arme Komtesse, man hat an deiner kleinen Behausung gerüttelt, sie hängt hier über. Man hat deine Ruhe stören, deine zarten Gebeine durchwühlen wollen – wart', ich bringe dir frische Blumen, und es ist wohl niemand so vornehm, daß er Blumen verachten könnte.« Und Resi stieg eilends nach dem vergessenen Körbchen in die Kapelle empor.

Als sie wieder in der Tiefe war, bekränzte sie den kleinen Sarg.

Plötzlich innehaltend aber sagte sie halblaut: »Nein, liebes Prinzeßlein, ich gebe sie dir ins Bettlein. Gewiß der kleinste Schlüssel paßt zu deinem Gefängnis?«

Der schloß auch auf, und als der Deckel gehoben war, lagen in der Truhe die halbentblößten jungfräulichen Gliedmaßen durcheinandergeworfen, ein Greuel, davor die Gruftgängerin rasch ihre Augen verdeckte.

Aber die Verwirrung dauerte nicht lange.

»Ich will deine Zofe sein, arme kleine Gräfin! Will dich neu betten und bekleiden mit diesem verblichenen, zundermürben Zeug, das einst wohl recht kostbar gewesen.«

Das tat Resi denn auch, und um den eng zusammengerückten Menschenstaub ordnet sie die duftenden Rosen zu einem Kranze.

Schon wollte sie den Deckel schließen, als ihr ein schweres Klümpchen in die Hand fiel.

Sie säuberte es etwas, und es glänzte.

»Gewiß dein Schmuck, Jungverblichene, Längstvergessene! Sei getrost, ich will ihn dir schöner wiederbringen. Also auf trauliches Wiedersehen!«

Und Resi verließ die Gruft, sperrte dieselbe sorgsam ab, stellte den Leuchter auf den Altar zurück, löschte ihn aus, verließ verschließend auch die Kapelle und sah sich außen verwundert um, als wäre sie ihrer eigenen Welt entnommen und träte in eine fremde.

Ebensowenig wie in die Herrlichkeiten des Schlosses hatte Resi als Kind ins Innere eines Sensenhammers Einblick gewonnen. Sie hatte immer nur durchs grobe Ziegelgitter gespäht, welches die Fensteröffnungen solch einer Schmiede füllte. Und doch zog sie das glühende, sprühende Eisen mächtig an. Es war ihr, als verstünde sie, was die zornig zischenden Funken wollten und als wären die schnell sich verfärbenden und ablösenden Schlacken der Schweiß des gequälten Metalls.

Ferdinand nahm sie daher gern mit hinaus zu den Sensenhämmern, und er setzte die zum Zweck der Abrechnung mit dem Verweser übliche Fahrt diesmal etwas früher an, weil man zugleich die Verwesersfrau begrüßen und bei ihr den Kaffee nehmen wollte.

Der Wagen näherte sich eben dem ersten Hammer, als fluchend ein Kohlenführer, leer zurückfahrend, daherkam.

»Schinder sind die Herrenleut', und die Herrenknecht' erst recht. Einen armen Teufel kujonieren, wie und wo sie's nur können, das ist ihre Freud'. Soll ich mein Rößl zu Tode dreschen, soll ein Fuhrmann kein Wirtshaus mehr kennen? Als ob heut' schon die Glut ausging', als ob sie morgen nichts mehr zu feuern hätten, so treiben sie's. Und Straf' zahlen heißt's, immer Straf' zahlen, weil ich grad' am weitesten her hab' – eine Hundewirtschaft ist's!«

»Was habt Ihr denn, Jörgbauer?« fragte der Verwalter, anhaltend, verwundert.

»Na, Sie werden doch wissen, was Sie selber neu eingeführt haben? Um zwei Uhr muß abgeladen sein, sonst 30 Kreuzer Straf bei der Fuhr' – eine schöne Mausfalle das!«

Ferdinand glaubte einen Betrunkenen zu hören. »Und habt Ihr schon oft zahlen müssen? Habt Ihr eine Bestätigung darüber erhalten.«

»Ja, Zetteln zum Schweinefüttern g'nug!« Und er zog aus der roten Brieftasche einen Lieferungsschein, dem die Bemerkung beigeschrieben stand, daß sich der Jörgbauer bei verspätetem Eintreffen zu einer Konventionalstrafe von 30 Kreuzern per Fuhre verstehe.

Der Verwalter traute seinen Augen kaum. Und das war die Schrift Mayers, der sich auf diese Weise, Namen und Ansehen des Amtes mißbrauchend, neue Nebensporteln sichern wollte.

Ferdinand mußte sich zusammennehmen, um ruhig zu erscheinen und dem Geprellten gleichmütig die Versicherung zu geben, daß er die Sache untersuchen und Abhilfe schaffen wolle.

Am nächsten Morgen jagte der Verwalter den schuftigen Schreiber aus dem Dienst. Kein heuchlerischer Kniefall frommte dagegen, und diese Festigkeit war am Platze; aber daß der Gestrenge den Betrüger aus Schonung für dessen Jugend, den rückfälligen Betrüger nicht auch dem Gericht überlieferte, das war nicht wohlgetan.

Derlei Verdrießlichkeiten waren vom Amte unzertrennlich.

Resi wurde ihrer wenigstens gewahr. Wo dies aber der Fall war, sah sie ihren Mann gerecht und fest vorgehen, und das steigerte ihre Verehrung für ihn nicht wenig.

Als die Jagdzeit kam, traf der Graf ein. Ferdinand und Resi begrüßten ihn am Wagenschlag, und letztere schickte sich auf das anmutigste an, ihm beim Aussteigen behilflich zu sein.

Dem wehrte die rührige Exzellenz, aber sie blickte bewundernd das schöne Frauenbild an.

»Frau Kastellanin,« sagte der Graf, »wenn ich heuer die Gemsjagd hier versitze, so sind Sie daran schuld. Sie sind für meine alten Augen ein Trost. Ein Labsal. Gott erhalte Sie, und Ihnen gratulier' ich, Wagner! Wenn ich jung wäre, Sie sollten einen harten Stand – gehabt haben.«


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