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V.

Ein Brief und die Hochzeit.

Auf dem Schlosse sollte man sich nicht so bald wieder zusammenfinden.

Im ersten Sommer, da man sich vom Gartenstöckl aufmachen sollte, kränkelte die Mama; sie hatte keinen rechten Wandermut und wollte die gewohnte Häuslichkeit nicht missen. Da war es Ferdinand, der kam, allerdings nur auf etliche Stunden.

Im darauffolgenden Sommer sah man einander gar nicht. Ferdinand hatte zu den übrigen Geschäften ein neues bekommen, er mußte bauen. Eine Hube mit dem daranstoßenden Stadel war abgebrannt, und sie sollte geräumiger und widerstandsfähiger neu erstehen.

Die Frauen aber hatten ihre eigenen Gedanken, welche sie vom Schloßbesuche abhielten. Wie, fragten sie sich, sollen wir daselbst gleichsam mit Gefolge einziehen? Das sähe unbescheiden und eigenmächtig aus, zumal Mutter Grethi, die Schaffnerin, immer alles aufgeboten hat, die Gäste zufriedenzustellen. Und sollen wir die Resi mitnehmen, gleichsam um zu zeigen, was wir aus ihr gemacht haben? Das geht wieder nicht. Sie ist schön geworden, zu schön, als daß ihre Anwesenheit im Schlosse nicht Verlegenheiten bereiten und uns dem Verdachte aussetzen würde, daß wir mit ihr besondere Absichten vorhätten.

So die Frauen und das sprach sich andeutungsweise auch in den häufigen Briefen an Sohn und Bruder aus. Deren letzten von der Mutter hatte Ferdinand schon wiederholt gelesen, und gern vertiefte er sich neuerdings in die festen, klaren und doch so zierlichen Schriftzüge, die Liebe, Güte und Weisheit atmeten. Und ja, je mehr er zu Jahren kam, desto mehr verehrte er auch sein Mütterchen, desto inniger hing er an ihr. Er sieht durch ihr Leben und Wohlbefinden sich gleichsam noch ein Stück Jugend gesichert, und es fällt ihm das Dichterwort ein:

Und hast du noch dein Mütterlein,
So bist du jung noch, alter Knab';
Doch freilich holt an ihrem Grab
Uns doppelt rasch das Alter ein!

Der Brief aber lautet:

»Mein lieber Sohn! ... Wir werden sie freisprechen müssen, die liebe Resi, so ungern wir's auch tun. Sie wächst uns übern Kopf und damit will ich uns selbst nicht beschämen, sondern sie nur loben, wie sie's verdient. Daß sie sich in unserer kleinen Wirtschaft auskennt, ist noch das wenigste; was wir ihr an Handgriffen beigebracht haben, hat sie sich durch eigene Geschicklichkeit noch verbessert und vereinfacht. Und daß es im Gärtchen, in unseren Zimmern jetzt noch gemütlicher und lieblicher aussieht, ist auch kein Wunder; denn meine Augen werden alt und hängen am Gewohnten, sie hat aber einen angeborenen Ordnungssinn und Geschmack. Denk Dir, selbst mir hat sie schon das eine und andere Band aufgenötigt, und der Anna sitzt alles besser, seitdem die Resi schneidert. Deine Schwester ist denn auch völlig vernarrt in das Mädchen; sagt sie nicht neulich: Weißt Du, Mutter, wonach ich mich mein Lebetag gesehnt habe? Jetzt habe ich sie: eine schöne Schwester! Die Arme! warum sie so zu kurz gekommen, hat mir immer zu denken gegeben. Aber sie ist gut und neidlos, und das ist ihr eigenes Verdienst.

Doch mit der Resi bin ich noch lange nicht fertig. Ich glaube nun auch ihr Gemüt zu verstehen: es ist tief kindlich, unschuldig und aufrichtig; aber freilich hat sie ein Innenleben, in das man schwer Einblick gewinnt, weil sie selber nicht weiß, wie's darum steht. Es äußert sich mitunter in einem phantastischen Wesen, in einer Spiellust, die mit ihren sonstigen geistigen Fortschritten nicht in Einklang zu bringen ist. Ich will Dir nur einen Fall mitteilen. Vor kurzem kommt die Eierbäuerin und ich muß rasch zu ihr in die Küche, von der Toilette weg. Hat das große Kind sich nicht, während ich draußen bin, meiner Ohrgehänge bemächtigt? Ich fahre sie in meinem Unwillen an: »Du gehst aber auch auf alles, was glänzt, wie ein Rab'!« Sie darauf: »Aber Frau Mutter, ich habe sie ja nur anprobieren wollen, und sehen Sie, wie dumm und kindisch mein Gesicht dazu steht!« Ich hätte lachen mögen, fahre aber doch wie gereizt fort: »Mit fremden Sachen spielt man nicht!« Das klingt gewiß nicht sehr gescheit. Mir hat hinterher meine Barschheit leid getan, denn das Kind sah erstaunt und unglücklich darein. Aber so ist sie. Und spaßig ist auch ihre Gewitterfurcht; sie will den Blitz sehen, aber den Donner nicht hören, und möchte sich am liebsten wie eine Henne verkriechen. Wenn sie auch sonst furchtsam wäre, wollt' ich nichts sagen, aber sie ist als Kind schon mit ihrem Vater und allein, nachts, übern Friedhof, durch den »Felbergrund« und alle anderen gespenstigen Gegenden gegangen, und ganz allein ja hat sie bei ihrem Vater die Totenwache gehalten.

Dankbar, treu, anhänglich und anspruchslos ist sie über die Maßen. Sie hat sich noch nichts Teures gekauft; daß sie gleichwohl im einfachsten Kleid wie eine verkannte Prinzessin aussieht, daran ist ihre feine, fremdartige Schönheit schuld, und solcher begegnet man häufiger in Bildern als im wirklichen Leben. Ihr Erspartes freut sie erst, seit ich's in Silber und Gold umgewechselt habe – ich krieg' zuweilen schönes Geld, wenn ich die Pension erhebe. Und sie hängt doch nicht am Geld; denn sie gibt gern, aber mit Maß und Ziel. Ihre aufmerksame, zarte Pflege ist mir im vorigen Sommer zustatten gekommen.

Ihr gutes Herz führt sie jedoch auch zu den kranken Kindern im Dorf, denen sie wie ein tröstender Engel erscheint. Sie hat uns bei den Leuten drunten schon förmlich ausgestochen, ohn' es zu wissen und zu wollen, und ich kann's ihr nicht verargen.

Wir lesen viel, und zwar jeden anderen Tag französisch. Meist ist Resi die Vorleserin, und das hat seinen guten Grund, wie Du einsiehst. Sie liest gern und mit Ausdruck! Gerade die feineren Stellen, über die der gewöhnliche Leser gern hinweggleitet, fallen ihr zumeist auf; und oft erstaunt man über ihre tiefe Auffassung. Ich hör' nicht gern von genialen Frauen und glaub' nicht daran; aber in diesem Wesen ist gewiß etwas Geniales.

Als Bonne könnt' ich die Resi mit gutem Gewissen schon empfehlen, auch als Gesellschafterin, nur zu keiner frivolen Weltdame; denn ihr Herz ist unschuldig, in meinen Augen ein Schmuck mehr, und wohl der schönste.

Ich hab' auch schon unter der Hand bei der guten Baronin A. und bei meiner Schulkameradin Eigner, mit der ich noch immer in Korrespondenz stehe, anfragen lassen; sie ist, wie Du weißt, eine reiche Fabrikantensgattin.

Hoffentlich bist Du mit meiner Auffassung einverstanden und hast Dich wohl selbst schon um ein taugliches Plätzchen für die Resi umgesehen. Auf das Schloß mit ihr können wir nicht gut, und so wird sie uns zu einer süßen Verlegenheit.

Wenn Dir die Schwester überschwenglicher schreibt, so zieh davon ab, was auf den Enthusiasmus einer alten Jungfrau entfällt, die noch ihre Ideale hat.

Heuer hab' ich Dich schwer entbehrt, und bedenk nur, daß meine Tage gezählt sind. Vielleicht kommst Du doch noch ab – auf ein Sprüngchen zu Deiner alten Mutter.«

So der Brief, von welchem der Verwalter jedes Wort schon auswendig wußte und so wie so erwogen hatte. Es war Allerseelen bereits vorüber. Kurz, trüb und frostig waren die Tage. Und doch saß eines Morgens der Verwalter im Sattel und trabte flinker dem fernen Gartenstöckl zu, als da er von demselben aus seinen Einzug ins Schloß gehalten.

Er trat unvermutet ein und traf die Seinen bereits beim Lampenlicht im gemütlichen Stübchen.

Sein Grüßgott weckte einen freudigen Doppelschrei.

Mutter und Schwester flogen ihm an den Hals, und erstere benetzte mit stillen, glücklichen Tränen seine Brust. »Also doch noch!« hieß es, und »Oh, es hat mir geahnt!«

Resi war aufgestanden und hielt sich bescheiden zurück, nur mit einem langen tiefen Blick, über die Köpfe der Frauen hinweg, auf den Ankömmling schauend.

Nun kann auch sie an die Reihe kommen. Sie naht dem Verwalter mit dem Ausrufe: »Mein Wohltäter!« und will ihm die Hand küssen.

»Nicht doch!« wehrte dieser. »Es freut mich, Fräulein Therese, Sie so wohl, so ... kräftig zu sehen; bald hätt' ich auch schon gesagt, doch das werden Sie noch oft genug zu hören bekommen. Unter guten Bekannten gibt's keine Schmeicheleien.«

Resi darauf: »Das möcht' ich gern glauben, wenn auch Sie mich, Herr Wagner, so halten, mit mir so reden wollten, wie Ihre gütigen Frauen.«

»Wie versteh' ich das?«

»Du sollst sie duzen,« erklärt Anna lebhaft, »tu's!«

»Mein'twegen!« ruft der stattliche Mann lachend aus; »es macht keinen Onkel unglücklich, wenn er zu einer hübschen Nichte kommt, und Resi, von dir sind Mutter und Schwester des Lobes voll!«

»Ich weiß nur, daß ich's Ihnen, Ihnen dreien zu danken habe, wenn aus mir was Rechtes wird.«

»Laßt die Förmlichkeiten! Setzt euch,« mahnte die Mutter. »Resi, gieß für uns alle Tee auf.«

Und nun ging's ans trauliche Plaudern und Erzählen. Auch Resi nahm teil daran, sobald sie mit zu Tische saß.

Fräulein Anna war die lebhafteste, aber auch unruhigste. Wiederholt warf sie Zündstoff ins Gespräch. Es war, als wollte sie 'was vorwärts bringen und als geläng' ihr das nicht recht. Wieder und wieder sah sie bald den Bruder, bald die Freundin an, doch nie vermochte sie deren Blicke auf heimlichen Pfaden zu betreten. Sie war unzufrieden, als man sich trennte; so schien es wenigstens.

Am anderen Morgen war der Verwalter früh auf, noch früher aber Resi, denn sie hatte schon Feuer gezündet und schaffte am Herde. Das konnte Ferdinand vermuten, und lieber, als einen Gang ins reizlose Freie zu unternehmen, trat er bei ihr ein.

»Guten Morgen, Resi!« Und er setzte sich, das Gesicht dem Mädchen und der Flamme zuwendend.

Die Angesprochene erschrak nicht, senkte den Blick nicht, ward nicht rot und zitterte nicht: lauter Anzeichen einer meist schon begehrlichen Jungfräulichkeit. Unbefangen erwiderte sie: »So zeitlich auf den Beinen, Herr Wagner? Das Flämmchen hier muß uns die Sonne ersetzen. Sie haben doch gut geschlafen?«

»Nicht zum besten!«

»Der scharfe Ritt! Sie waren übermüdet.«

»Das nicht. Das letzte Mal kam ich, wie du weißt, im heißen Sommer hierher und mußte eiligst wieder zurück; gleichwohl schlief ich die wenigen Stunden dazwischen königlich.«

»Sie dachten diesmal wohl zu viel ans Schloß zurück?«

»Auch das trifft nicht zu. Und ja, wozu wär' ich dein Bruder oder Onkel, wie's gestern ausgemacht worden ist, wenn ich nicht ehrlich und offen mit dir reden wollte? Mädchen, deine Zukunft ist's, was mich beunruhigt hat!«

»Sie meinen es gut mit mir, und ich weiß, was Sie sagen wollen. Meine glücklichste Zeit ist um, ich muß fort! Aber ich bin nicht verzagt, wenn ich auch harten Pflichten und schweren Zeiten entgegensehe.« »Du weißt nicht, Kind, was es heißt: schön sein und arm.«

»Mein Vater ist arm geworden und hat sich doch ehrlich durchgedacht.«

»Aber deine Schönheit ist ungewöhnlicher, ist verhängnisvoller Art ...«

»Zigeunerschönheit, Herr Ferdinand! Sie gefällt nur wenigen und ist von keiner Dauer. Das erste weiße Haar, die erste Falte im Gesicht, sie sollen mir willkommen sein.«

»Unselige Verkennung! Im Gegenteil, du wirst auf Schritt und Tritt dir selbst und anderen mißtrauen müssen.«

»Das wird allerdings schwer halten,« antwortete Resi mit einem feinen Lächeln. »Ich möchte von den Menschen gern gut denken, da mir ja so viel Gutes erwiesen worden.«

»Und wirst dabei ins Verderben stürzen, wie die Motte ins trügerische Licht, zur stillen Verzweiflung deiner redlichen Freunde.«

»Gibt's denn auch Licht, das trügt?«

»Das törichte Kind, das in die Sonne schaut, wird blind, heißt's. Doch du wirst noch einen anderen Feind kennen lernen. Du wirst allein stehen, dich vereinsamt fühlen und möchtest doch so gern einem andern 'was sein, um deines eigenen Wertes inne zu werden. Ich kenne das, Resi, und habe doch noch Mutter und Schwester.«

Bei diesen Worten stürzten dem Mädchen helle Tränen aus den Augen, und schluchzend sagte sie: »Da haben Sie recht, Herr Wagner! Das schmerzt! Das ist das einzige, was ich fürchte. Seit mein Vater tot ist, möcht' ich wieder jemand angehören, so recht angehören. Ich wollte die alte Urschl pflegen, wenn sie's nur fühlen könnte, daß ich ihr gut bin!«

»Armes Kind! So schlimm steht's aber denn doch nicht. Du sollst steigen, nicht wieder herabsinken. Wenn du schon so wenig hochaus willst, hättest du denn nicht Vertrauen zu mir?«

»O, wie ganz! Raten Sie mir, ich will Ihnen gehorchen; über Tritt und Schritt, über jeden Gedanken will ich Ihnen Rechenschaft geben.«

»Und wenn dieser dem Freund dir nicht bloß gelegentlicher Berater und Schützer, sondern dein Mann, dein Gatte sein wollte?«

»Wär' denn auch das möglich für die arme Nachtwächter-Resi?«

»Nimm mich hin! Es ist uns beiden geholfen damit, und ich will dich hoch halten.«

Ungestüm hatte er sich erhoben.

»Nicht doch! Du sollst mein Herr sein, Ferdinand!«

In diesem Augenblick zischt es aus dem Herd bedenklich auf; da war eine Hand nötig, die nicht zitterte; denn das Obers drohte überzulaufen.

Als man sich zusammengefunden, sagte Ferdinand schlicht: »Schwester, gratulier uns! Mutter, gib uns deinen Segen! Ich und die Resi sind eins.«

»Also doch!« jubelte Anna. »Und jetzt hab' ich meine schöne Schwester für immer!«

»Ja, Schwester! Aber nicht wie Blitz auf Blitz ist es gekommen, sondern Nachtwachen und Tränen hat's gekostet.«

Resi, diesmal wirklich errötend, sagte: »Verzeiht, daß ich nimmer von euch lassen kann, daß ich mich nun völlig eindränge.«

Die Mutter: »An mein Herz, Kinder! Meinem Mutterherzen wird es leicht, euren Bund zu segnen. Werdet glücklich eins durchs andere: du, mein braver Ferdinand, und Resi, du, die du nun vielen Gefahren enthoben bist und deren treues Gemüt ich kenne ...«

»Spart die Rührung und laben wir uns,« mahnte Ferdinand. »Tischüber müssen wir einig werden, und rasch zu handeln gilt's. Ich breche allsogleich auf und besorge das einmal für dreimal für hier und dort, sowie die zwei Zeugen. Am Vorabend von St. Leopold treff ich wieder ein und steige beim Hirschenwirt ab. Morgens danach findet die stille Trauung statt, und am Abend desselben Tages noch zieht Resi als Kastellanin ein. Alles übrige ist eure Sache.«

Und so geschah's auch.

Als Markt und Schloß der Neuvermählten ansichtig wurden, hieß es: »Das haben wir uns ja schon gedacht, als er die Resi seinen Leuten zur Ausbildung mitgab.«


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