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Aus dem Tagebuch des Jahres 1872

2. Januar 1872. – Diner der Spartiaten.

Man spricht von der finanziellen Situation, vom Misskredit der französischen Rente, von dem geheimen Zirkular des Finanzministers, der eine Provision von zehn Prozent den Steuereinnehmern, die Vorschüsse geben, verspricht; man sieht die Unmöglichkeit, den Deutschen ihre Milliarden zu bezahlen, voraus und prognostiziert den Bankrott.

Neben mir sitzt der General Schmitz, ein Militär, der sich auch mit Literatur, Diplomatie, Nationalökonomie beschäftigt hat, ein Mann von Intelligenz, in dessen Reden immer etwas steckt.

Man plaudert jetzt von Elsass und Lothringen; da unterbricht er uns mit den hingeworfenen Worten: »Meine Herren, ich war im Jahre 1866 gerade in Italien, da sagte mir ein Oesterreicher, der Graf Donski:

»›Ihr seid ungeschickt, wir auch, weiss Gott, aber ihr seid ungeschickt, weil ihr einen Krieg mit Deutschland vorbereitet, einen Krieg, der euch Elsass und Lothringen nehmen wird.‹ Und als ich über die Kühnheit dieser Behauptung aufschrie, sagte er: ›Und Elsass-Lothringen wird euch für immer verloren gehen, weil die kleinen Staaten verschwinden, und die Gunst der Zeit nun den grossen gehört, weil ihr euch gar nicht vorstellt, was Deutschland nach seiner Festigung und eurer Verkleinerung als Seemacht bedeuten wird, und wie eure früheren Volksgenossen in dieser Zeit materieller Interessen das grosse, reiche Land vorziehen werden, das viel weniger Steuern verlangen wird als ihr früheres Vaterland.‹

»Und noch eine Kleinigkeit, meine Herren, möchte ich erzählen dürfen. Ich hatte einen dummen, stotternden Bedienten, den ich nur behalte, weil er eine solche Liebe für blitzendes Kupfer hat. Dem Glänzenden an den Dingen, dem gehört seine fanatische Liebe. Nun, eines schönen Tages, nach der Unterzeichnung der Friedensbedingungen fragte mich beim Frühstück meine Ordonnanz über die Nationalität eines seiner Kameraden, der in einem Kanton in der Nähe von Belfort geboren war, und als ich ihm sagte: ›Meiner Treu, es kann wohl sein, dass er jetzt Preusse wird, aber ich bin nicht sicher, ich werde dir's morgen sagen,‹ da rief mein Stotterer: ›Oh,da würde es ihm fü-fürchterlich gu-gut gehen, er würde nicht so viel zahlen, wie in der Tou-Touraine!‹«

Das sind zwei Geschichten, die das Urteil von oben und von unten zeigen, und so scheint mir die Frage zu entscheiden ...

Befragt über die Männer vom 4. September, schildert sie der General ungefähr so: »Pelletan ist ein Mann der Allgemeinheiten. Jules Favre mag ein schlechter Diplomat sein, aber er ist weniger schuldig als man glaubt. Ich habe etwas für ihn übrig, weil ich ihn mit einer Entschiedenheit, die ich ihm nicht zugetraut hätte, einmal zu Arago sagen hörte: ›Ich will, ich will absolut verständigt sein, wenn es nur noch für zehn Tage Lebensmittel gibt, denn, verstehen Sie mich wohl, mein Herr, ich erkenne mir nicht das Recht zu, zwei Millionen Menschen Hungers sterben zu lassen.‹ Ferry, eine energische Natur, ein Mann der Entschlüsse. Ich habe ihn auf dem Fort d'Issy gesehen, an einem Tag, wo es furchtbar regnete, und seine sanguinische Natur berauschte sich an dem Schauspiel: er konnte sich nicht davon trennen.«

Der General merkt, dass man ihm zuhört, er spricht, spricht viel, von vielen Dingen und Menschen.

»Ich habe nicht mehr als zwei«, erzählt er, »passionierte, aber wirklich leidenschaftlich den Ruhm begehrende Menschen gesehen, das waren auch die einzigen in der Armee: Espinasse und de Lourmel.

»Ich war in den Tuilerien mit Espinasse, in dem Augenblick, wo der Krieg mit Italien erklärt wurde. Die Minister wollten, dass der Kaiser Frankreich nicht verlasse, und suchten bei der Kaiserin Unterstützung. Indessen brummt Espinasse was in seinen Schnurrbart hinein, die Kaiserin fragt ihn:

»Espinasse, sagen Sie mir, was Sie haben, dass Sie so wie ein Löwe in seinem Käfig dort in Ihrem Winkel toben?«

»›Ich sage, Majestät, dass, wenn der Kaiser, der den Krieg will, nicht mit uns nach Italien kommt, er sich beträgt wie der letzte der Nichtstuer-Könige.‹

»›Dieser Teufel von Espinasse hat vielleicht recht,‹ sagte lächelnd der Kaiser, der eben ins Zimmer zurückkommt.

»Lourmel, ein reizender Junge, mit einer Art von Eleganz und Chik, die ihm allein eigen war. Am Tage von Inkermann treffe ich ihn am frühen Morgen in Lackschuhen, weisser Hose, frischen Handschuhen, alles funkelnagelneu, und als ich ihn frage: ›Wie hübsch du heute bist, warum denn?‹ antwortet er mir: ›Du willst also, mein Lieber, dass man mich wie einen armen Teufel in die Erde legt?‹

»Ich habe diesen lieben Freund wiedergetroffen, als man ihn zum Tode verwundet heimbrachte. Im Vorbeikommen sagte er zu mir: ›Ich bin gut mit Hypotheken belastet!‹ Und als ich versuchte, ihn zu ermutigen, und an die Kraft seiner Konstitution erinnerte, auf den Tod meines Bruders anspielend, der einige Tage zuvor getötet worden war, warf er mir zu: ›Hodie tibi, cras mihi!‹«

Dienstag, 9. Januar. – Diner bei Brébant. Ernest Picard, mit dem ich zum ersten Mal esse, hat das mächtige Aussehen eines jener wohlbeleibten Herren, kleiner Geldwechsler vom Dorf, zugleich Steuereinnehmer und Verwalter eines in Paris lebenden Grossgrundbesitzers, dazu ein schlaues Auge, die Redekunst eines Advokaten: geistreich-boshaft. Anlässlich der letzten Wahlen in die Akademie erklärte er, dass er keine Art von Wahlkorruption kenne, die der im Institut ähnlich sähe.

Man bringt ihn auf die letzten Ereignisse. Er sagt, dass er von allem Anfang an das grösste Misstrauen gegen Trochu gehabt hätte, weil er seine Unterschrift gesehen habe, eine Unterschrift mit einem zittrigen Schnörkel, so dass er gleich an Gehirnerweichung hätte denken müssen. Und er erklärt den Verteidiger von Paris aus dieser Gehirnerweichung, sagt aber doch, dass er eine sehr komplizierte Natur sei, und dass er den Schlüssel für diese Mischung von Verschmitztheit und Mystizismus nicht geben könne. Dann behauptet er, dass alle unsere unglücklichen Schicksale in Wahrheit aus dem Monat Oktober 1869 stammen, sie seien einem Dutzend Männern zu verdanken, die sich von ihren Leidenschaften hätten hinreissen lassen. Ohne die Zersplitterung, die durch diese Erfinder der oppositionellen Macht verursacht worden sei, wäre nach der Meinung von Ernest Picard die Opposition in der Lage gewesen, die ungewisse Gruppe, die es in der Versammlung gab, an sich zu ziehen und eine Majorität zu werben, die den Krieg und all unser Unglück verhindert hätte.

10. Januar. – Heute hat bei den Franzosen die Zeitung den Katechismus ersetzt. Ein erster Artikel von Machin oder von Chose wird zum Glaubensartikel, den der Abonnent mit demselben Mangel an eigenem, freiem Urteil annimmt, wie der Katholik von ehemals das Geheimnis der Dreifaltigkeit.

 

14. Februar. – Beim Essen dringt die Stimme des Generals Schmitz über den Tisch: »Ja, ja, es wird wohl nicht anders kommen können, als dass eines Tages die Wahrheit bekannt wird. Nun schön! Am 18. August war die Rückkehr nach Paris beschlossen. Der Kaiser hatte diesen Entschluss gefasst. Mac Mahon seinerseits hatte den Beschwörungen Rouhers und Saint-Pauls, die ihn nach vorne drängen wollten, widerstanden. Und, meine Herren, ich erzähle Ihnen nichts, als was mir Mac Mahon selbst bestätigt hat: Er bereitete sich vor, seine Truppen nach rückwärts gehen zu lassen, da bekommt er einen Brief von Bazaine, der ihm ankündigt, dass er am 26. August aus Metz einen Ausfall machen werde. Das erschüttert ihn, bestimmt ihn aber nicht. Er berichtet darüber an Palikao, der ihm nun den Befehl gibt, nach vorne zu marschieren.

Er entschliesst sich dazu, wenn auch gegen die eigene Ansicht, aber von nun an war seine Verantwortung ja gedeckt.

Der Fehler? da haben Sie ihn: diese Depesche Palikaos, die Depesche hat alles ruiniert. Ohne diese Depesche hätte sich die ganze Armee hinter das linke Ufer der Seine zurückgezogen, dort hätte man alle noch lebenden Kräfte des Landes versammelt, und wir hätten die Schlacht von Châtillon, diesmal aber mit wirklichen Soldaten, geschlagen. Das, was Sie wirklich in Paris hatten, das war das 35. und das 42. Korps, sonst nichts. Trochu und ich, wir müssen es doch wissen, wir haben die Verantwortung für die Belagerung nur übernommen unter der Bedingung einer Hilfsarmee unter den Mauern von Paris. Ohne diese Armee konnte es gar nicht anders enden, als es geendet hat. Ich komme wieder auf den Kaiser zurück. Er war also entschlossen, wieder in die Tuilerien zurückzukehren. Ich bin in der Nacht vom 18. August bei der Kaiserin. Ich kündige ihr die Rückkehr des Kaisers an. Sie schreit: »Er darf nicht zurück kehren, er muss sich an der Spitze seiner Armee töten lassen!« Es hilft nichts, dass ich ihr entgegenhalte, ein allgemeines Gefühl widersetze sich dem, dass er den Oberbefehl behalte; es hilft nichts, dass ich ihr sage, wenn er nicht mehr den Befehl habe, müsse er notwendigerweise seine Rolle als »irrender Ritter« aufgeben, es sei notwendig, dass er auf seinem Thron sei, dass er in die Tuilerien zurückkehre. Die Kaiserin bleibt fest bei ihrer Idee. Sie hört mich nicht an, als ich ihr sage, dass einer meiner Leute den König in einem Coupé von der Bahn abholen werde. Ja, es ist die Kaiserin, die zusammen mit Palikao die Rückkehr des Kaisers verhindert hat.

»Noch ein Detail. Trochu, der mit mir war, bat, der Kaiserin die Proklamation, die ihn zum Gouverneur von Paris ernannte, vorlegen zu dürfen. Er fängt an zu lesen: ›Der Kaiser hat mich zum Gouverneur von Paris ernannt –‹ Die Kaiserin unterbricht ihn: ›Nein, nein, schreiben Sie das nicht, lassen Sie die Person des Kaisers fort!‹ Nun war das Sonderbare, dass wir diese Proklamation mit Bleistift abgefasst hatten, bei Kerzenlicht, und dass Trochu die Ungeschicklichkeit hatte, zuerst zu schreiben: ›Ich bin zum Gouverneur von Paris ernannt worden‹, und dass ich es gewesen war, der diesen Satz durch den andern, den er der Kaiserin vorgelesen hatte, ersetzte. Die Kaiserin schien verletzt, dass wir den Namen des Kaisers auf einem Regierungsdokument wieder aufleben liessen: Palikao hatte seit mindestens einem Monat nicht mehr gewagt, seine Person zu erwähnen.«

3. April. – Dieser Charles Blanc ist der schlechtest erzogene und dabei in seinem Zorn komischeste Mensch, den ich kenne. Heute fing er gelegentlich irgendeiner Bemerkung Renans an, in langen Reden zu versichern, dass alle Geschichten der Revolution Lügen seien, dass alle Geschichtsschreiber Schwindler seien, dass es nur eine einzige Geschichte gebe, nämlich die seines Bruders, nur einen einzigen Geschichtsschreiber, nämlich seinen Herrn Bruder.

Das alles mit erstickter Stimme und zitternden Händen, während er in die Suppe der Nachbarn spuckt – alles Zeichen einer gefährlichen Epilepsie, die alle Welt beleidigt. Wahrhaftig, die Regierung müsste ihrem Minister der schönen Künste einen Maulkorb kaufen, damit er in Gesellschaft gehen kann.

23. April. – Arsène Houssaye erzählte heute abend, im Jahre 1848 hätte sich Hetzel mit Lamartine in das Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten begeben, um dort die Hand auf das Portefeuille zu legen in dem Wahne, dass darin das Geheimnis der Geheimnisse der europäischen Politik beschlossen sei. Er fand dort Adressen von Dirnen und Briefe von kleinen Mädchen.

21. Mai. – Beim Diner der Spartiaten spricht der General Schmitz von der Kapitulation von Sédan wie von einer schändlichen Sache, die nicht durch die neue Tragweite der Kanonen entschuldigt werde. Er lässt durchblicken, dass, weiss Gott, die Rettung der Bagage, die den Offizieren zugesichert war, einige dazu gebracht hat, ihre Unterschrift zu dieser schmählichen Angelegenheit zu geben. Ein gutes Wort des General von Bellemare wird erzählt, der sich weigerte zu unterzeichnen, und zu dem einer der Unterzeichner sagte:

»Das sind doch Romane, die Sie da machen!«

»Wer weiss!« antwortete der General, »ob es nicht in einiger Zeit Geschichte sein wird.«

25. Mai. – Alle Aristokratien sind bestimmt zu verschwinden. Die Aristokratie des Talents ist bestimmt, getötet zu werden von der kleinen Zeitung, die über den Ruhm verfügt und nur den ihrigen verschleisst. Sie organisiert in der Republik der Literatur eine Art von Demokratie, in der die ersten Rollen ausschliesslich vorbehalten sind für Reporter oder für die Köche der Zeitungen: das sind die einzigen Literaten, von denen Frankreich in fünfzig Jahren was wissen wird.

4. Juni. – Heute abend ist Robert Mitchell beim Diner der Spartiaten, er ist in Sédan gefangen genommen worden und dann in eine Zitadelle gesperrt, weil er einem preussischen Offizier den Gruss verweigert hat; er erzählt, dass seine grösste Zerstreuung war, dem Drill der Rekruten zuzusehen und Zeuge der Ohrfeigen zu sein, die die Offiziere ihren Soldaten gaben. Und er macht die Bemerkung, dass von all dem Fleisch, das da geschlagen wurde, nur die Stelle errötete, wo die fünf Finger hinfielen. Er erzählt dann noch, dass, als er von den Offizieren der kaiserlichen Garde beauftragt war, dem Kaiser ihr Leben und das ihrer Leute anzubieten, wenn er einen Ausfall versuchen wolle, wenn er sich einen Weg zu bahnen versuchen wolle – also, dass in dem Augenblick, wo er den Kaiser auf dem Weg nach Maizières ansprach, ein Geschoss gerade zwischen ihm und dem Pferde des Kaisers platzte, Leute zur Rechten und zur Linken tötete und ihm selbst ein Stück seines Schuhs wegriss. »Der Kaiser«, sagte er, »blieb unbeweglich, er war viel weniger aufgeregt als ich.«

Dienstag, 23. Juli. – Jemand aus dem Ministerium Thiers' charakterisiert so die Politik seines Chefs: »Er ist ein Mann, der von seinen Gütern lebt, aber grössere Reparaturen nicht machen lässt.«

Die Konversation kommt auf Jules Simon, es ist Ernest Picard, der spricht, und man fühlt zwischen den Worten, in den Andeutungen, in den diplomatischen Zurückhaltungen des Gesandten seine ganze Verachtung und Antipathie gegen den Minister des öffentlichen Unterrichts. Picard zeigt ihn uns während der Zeit der Défense Nationale, auf einem Stuhl hinter dem Beratungstisch sitzend, in einem Winkel, versteckt und in den Schatten zurückgezogen, zu keinem Entschluss kommend, sich über nichts aussprechend, was immer es auch war, sich nie durch eine scharf ausgesprochene Meinung kompromittierend, alle Parteien schonend – kurz, sich für alle Abenteuer des Zufalls bewahrend. »Jules Simon«, sagt er zum Schluss, »ist eine Pfaffennatur, es fehlt ihm nur die Tonsur.«

Sonntag, 4. August. – Die deutsche Grenze, beginnend mit Avricourt, mit Zollwächtern, die Siegermienen aufsetzen, um die Koffer zu öffnen: grausam!

Montag, 5. August. – Ich irrte in den Strassen Münchens mit Béhaine herum. Er bemerkt seinen Arzt, der den Arm einem Herrn gibt, den er von der Ferne nicht erkennt. Es ist von der Thann, der Bazeilles verbrannt hat. Man muss grüssen, ein paar Worte sagen. Es ist unmöglich, das Brummen und zugleich die géne des bayrischen Generals zu beschreiben. Wenn man so die Deutschen sieht, möchte man beinahe glauben, dass wir es sind, die sie geschlagen haben, so sehr scheinen die Sieger so etwas wie die »Rancune der Niederlage« behalten zu haben.

13. August. – Ich frühstücke in München mit von Ring, dem ersten Sekretär der Gesandtschaft in Wien. Er ist es, der der diplomatische Elefantenführer Jules Favres in Ferrières war. Er unterhält uns von der Naivität des Advokaten, von der Ueberzeugung, die er hatte, Bismarck mit der Rede, die er auf dem Weg vorbereitete, unterjochen zu können. Der ›Unschuldige des Palais‹ rühmte sich, aus dem Preussen einen Jünger der Brüderlichkeit der Völker zu machen, indem er ihm zum Dank für seine Mässigung als leuchtende Zukunft die Popularität zeigte, die er sich hei den zukünftigen Generationen erwerben würde, da dann alle Völker einander brüderlich umarmen würden.

Die Ironie des deutschen Kanzlers wehte bald genug diese kindische Illusion hinweg.

15. August. – Heute unterhält mich Edouard (de Bebaine) über seine Konversationen mit Bismarck, er schildert den Causeur, einen Causeur der langsamen Worte, der sich nur schwer ausdrückt, lange nach dem ganz richtigen Ausdruck sucht, niemals das Wort annimmt, das man seinem verlegen werdenden Germanismus anbietet, der aber doch immer dann zum Schluss den ganz richtigen Ausdruck findet, den pikanten Ausdruck, den Ausdruck von einer ausgezeichneten Ironie, den Ausdruck, der gerade für diese Situation charakteristisch ist.

19. August. – Auf mein Wort, alle Hirne sind ausser Rand und Band, und niemand in Frankreich ist mehr logisch. Ich höre, wie der Abbé, der Lehrer der Kinder Behaines, der ein sehr ehrenhafter Katholik ist und auf das strengste seine religiösen Pflichten erfüllt, erklärt: alles wäre gerettet, wenn man einen revolutionären Papst hätte.

31. August. – Heute kommt Billing zu uns nach Schliersee frühstücken. Er versichert, von der Thann habe vor Vigoni, dem Sekretär der italienischen Gesandtschaft, erklärt, Deutschland würde niemals Belfort an Frankreich zurückgeben.

Gelegentlich der gegenwärtigen Strömungen Deutschlands zitiert er ein merkwürdiges Symptom: die Aufführung von drei Theaterstücken unmittelbar hintereinander, die den Fortschritt der philosophischen Bewegung zeigen; in dem ersten sei nur Antikatholisches gewesen, die Weltanschauung des dritten aber wäre schon vollständig antireligiös gewesen: ein katholischer Pfarrer sei auf die Szene gebracht und lächerlich gemacht worden, ebenso ein protestantischer Pfarrer und ein Rabbiner.

Voriges Jahr soll ihm der Professor Döllinger folgendes gesagt haben: »Die Religion kann schliesslich euch lateinischen Völkern nützlich sein, für uns hat sie keinen Zweck mehr, sie kann der Vernunft der Deutschen nichts mehr geben.«

2. September. – Diner in München beim Grafen Pfeffel. Ein Münchener Diner in katholischem und antipreussischem Milieu.

Der Graf Pfeffel, ein kleiner Greis, runzlige ausgetrocknet, nervös, gallig, ironisch, der im Physischen etwas von einem kränklichen Teufel hat; der päpstliche Nuntius Tagliani, ein untersetzter, hagerer, kohlschwarzer Mann, der in seinem Aeusseren etwas von einem Teufel hat, dem es zu gut geht; de Vaublanc, früher Kämmerer und ein alter Freund des Königs Ludwig, alter französischer Emigrant, der sich niemals so weit herabgewürdigt hat, deutsch zu sprechen, sehr liebenswürdig, sehr schwerhörig, sehr achtzehntes Jahrhundert, ein junger Offizier aus der bayrischen Armee, Sohn des Grafen Pocci.

Eine galante, intelligente, geistreiche Konversation, etwas überlebt, etwas veraltete Ideen, Redewendungen, so dass man manchmal denkt, man lebt in einem Traum und speist mit Leuten, die vor dem Jahre 1789 verstorben sind.

Bei der Zigarre spricht mir der bayrische Offizier, der den Feldzug in Frankreich mitgemacht hat, von unserem Frühling, wie von einem ausserordentlichen Wunder, einer Zeit der Seligkeit, die er eigentlich für eine Erfindung unserer Dichter gehalten habe.

Er sagt, dass es bei ihnen, wie in Russland, keinen Uebergang zwischen Sommer und Winter gibt, und fügt hinzu, dass dieses Fehlen des Frühlings einen grossen Einfluss auf den sittlichen Zustand Deutschlands habe, dass das Fehlen dieser unbeschreiblichen Wonne im deutschen Leben viel zu der an vielen Orten herrschenden Melancholie beitrage.

Im Salon treffe ich dann ein paar alte englische Damen aus dem diplomatischen Korps, überreife und fade Kreaturen, die zwischen dem Klappern der Teetasse und dem Verzehren eines Sandwichs einsilbige, unintelligente Ausrufe von sich geben. Ich beklage den Gesandten Frankreichs, verurteilt zu sein, in diesem Nichts, das jetzt die Partei Frankreichs darstellt, zu leben.

 


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