Nikolai Gogol
Tote Seelen
Nikolai Gogol

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Siebentes Kapitel

Glücklich der Mann, der nach langweiliger Fahrt, nach einer weiten Reise mit allen ihren tausend Lasten, mit ihrer Kälte, ihrer Nässe, ihrem Schmutz, mit ihren verschlafenen Stationsbeamten, ihrem ewigen Glöckchenbimmelbammel, mit ihren Achsenbrüchen, Pferdewechseln, mit ihren Kutschern, ihren Schmieden und dergleichen Schwerverbrechern, – glücklich der Reisende, der nach dem allen endlich sein heimatliches Dach und seines Hauses helle Fenster sieht. Schon malt er sich die liebvertrauten Zimmer aus, schon hört er seine Leute jubeln, der Kinder Lärm und munteres Fußgetrappel, der Gattin leise Willkommworte, schon spürt er ihrer Hände warmes Streicheln, das jede Trauer scheucht. Glücklich der Mann und Vater, der solch ein Heim sein eigen nennt; doch wehe über den armen Hagestolzen!

Glücklich der Dichter, der die uninteressanten, unsympathischen, durch ihre trübselige Realität verstimmenden Charaktere mit stolzer Handbewegung von sich schiebt und nichts als Muster hoher Menschenwürde schildert, der sich aus dem Gewühl alltäglicher Gestalten einzig die seltenen Ausnahmen hervorzufangen weiß, der das erhabene Rauschen seiner Leier nie herabstimmt, der nie vom Gipfel des Parnasses niedersteigt zu seinen armen, nichtigen Menschenbrüdern, des Sohle nie den Boden dieser Erde tritt, der nur gottähnliche Idealgebilde in feierlichem Glanz vor unsere Augen stellt. Zwiefach beneidenswert fiel ihm sein Los: er wandelt in dem Kreise seiner herrlichen Geschöpfe wie ihresgleichen und läßt den Erdkreis widerhallen von seinem Ruhm. Er senkt den Leuten trostreichen Nebel auf die Augen, er schmeichelt ihnen angenehm, er unterschlägt die Traurigkeit des Lebens, er spiegelt ihnen vor, wie schön der Mensch sei. Und die Menge drängt sich händeklatschend auf seines Siegeswagens Spur. Ein großer, weltberühmter Dichter heißt er, der alle anderen Genies der Erde überflügelt, wie der gewaltige Aar am höchsten fliegt von allen Vögeln. Erklingt sein Name, dann packt ein heiliges Beben der Jugend Feuerherzen; und Dankestränen funkeln dem seligen Mann in jedem Blick. Nein, seiner Kraft kommt keine gleich, – er ist wie Gott!

Ganz anders fällt sein Los dem Dichter, der sich erkühnt, der Welt zu zeigen, was jeden Tag vor aller Augen steht, und was die blöden Augen doch nicht sehen wollen, – den fürchterlichen, jammervollen Schlamm, durch welchen unsere Füße hier auf Erden waten müssen, die ganze Niedrigkeit der kalten, unausgeglichenen Dutzendmenschen, von denen es doch nur so wimmelt auf unserem rauhen, grauen Erdenweg, – wehe dem Dichter, der sich erkühnt, mit starker Faust und mitleidlosem Griffel diese Gestalten klar und greifbar vor dem Volke hinzustellen! Ihm tönt der Menge Beifallklatschen nicht, ihm leuchten nicht die Tränen ergriffener Anerkennung, ihn wärmt nicht die einmütige Begeisterung der von ihm hingerissenen Herzen; ihm wirft sich keine sechzehnjährige Maid in lieblicher Verwirrung und edelm Taumel an den Hals; er kann sich nicht im süßen Rausch der eigenen schönen Worte wiegen; und er entgeht dem strengen Urteil des Kritikers von heute nicht. Wie heuchlerisch und des Gefühles bar ist doch das Urteil des Kritikers von heute: er nennt, was unser Dichter mit seinem Herzen schuf, gering und nichtig, er setzt ihn auf das Tadelstühlchen zu den Dichtern, die die Menschheit beleidigt haben, er schiebt ihm in Person die Laster seiner Helden unter, er spricht ihm Herz und Seele, spricht ihm den Götterfunken des Talentes ab. Der Kritiker von heute weiß nicht, daß es genau so meisterlich geschliffene Gläser braucht, um die Gesetze der Sonnenlaufbahn zu erforschen, wie um die Bewegungen der mikroskopisch winzigen Lebewesen zu verfolgen. Der Kritiker von heute weiß nicht, daß es ein tiefes Herz braucht, um ein Bild, das mitten aus dem verachteten Dasein des Alltages herausgegriffen ist, so stark von innen zu durchleuchten, daß es an Glanz den Perlen unserer Schöpfung gleichkommt. Der Kritiker von heute weiß nicht, daß ein erhabenes, aus mächtigem Gefühl entsprungenes Lachen würdig neben dem höchsten lyrischen Schwunge steht, und daß ein weiter Abgrund aufgetan ist zwischen solch einem Lachen und den Grimassen billiger Jahrmarkts-Spaßmacher! Das alles weiß der Kritiker von heute nicht, das alles dient in seinen Augen dem Dichter, den er ablehnt, nur zu Schmach und Vorwurf. So muß der arme Dichter ohne Anerkennung und ohne Widerhall und ohne Liebe gleich einem Wanderer ohne Haus und Heim allein und hoffnungslos verschmachten auf der Straße. Rauh ist sein Weg, und bitter schmeckt der Trank, den ihm die Einsamkeit kredenzt.

Ein weiter Weg noch liegt vor mir, – so will es die dunkle Macht, die mir gebietet; ein weites Stück noch muß ich wandern Hand in Hand mit meinem wunderlichen Helden und euch den mächtig breiten Strom des Lebens schildern. Die Welt hört nur mein Lachen, – die Tränen sieht und kennt sie nicht! Noch ist er fern, der Augenblick, da mir im Busen ein neuer Born entspringt, da gottgesandtes Grauen und gottgesandter Glanz in meinem hingerissenen Haupte den Sturm der Offenbarung zeugen, da ihr mit Staunen und mit Zittern dem feierlichen Donner neuer Worte lauscht.

Vorwärts! Und auf die Fahrt! Ich streiche mir die Falten von der Stirn und banne die strenge Grämlichkeit aus meiner Miene! In keckem Hechtsprung stürz' ich mich in das Leben mit seinem klanglosen Gelärm und Schellenkichern und schau' mich um, was Tschitschikow jetzt tut.

Freund Tschitschikow erwachte, reckte die Arme und die Beine und fühlte sich erquicklich ausgeschlafen. So gegen zwei Minuten lag er dann noch ruhig auf dem Rücken, und plötzlich schnalzte er triumphierend mit den Fingern, ein Leuchten ging in seinen Augen auf: ihm kam es zu Bewußtsein, daß er jetzt an vierhundert Seelen im Vermögen hatte. Mit einem Satze war er aus dem Bett und fand nicht einmal Zeit, sich in die sonst wohl übliche Betrachtung seines Gesichtes zu versenken, dem er doch eine innige Verliebtheit widmete. Höchst reizvoll fand er namentlich sein Kinn und rühmte sich seiner hübschen Form nicht eben selten vor vertrauten Freunden, besonders wenn ihn einer von den Freunden zufällig gerade beim Rasieren antraf.

»Nein, sieh doch mal mein Kinn,« sagte er wohl und streichelte mit Hochgenuß darüber hin. »Es ist ganz rund!«

Heute hingegen interessierte er sich weder für sein Kinn, noch für sein rundliches Gesicht im ganzen, sondern er schlüpfte, wie er ging und stand, in seine Saffianmorgenschuhe. Dies waren mit bunten Lederauflagen verzierte Schuhe von der Art, wie sie die gute Stadt Tarschock in großen Mengen herstellt, weil sie dank unserer russischen Liebhaberei für häusliche Bequemlichkeit sehr flotten Absatz darin hat. Unser Held vergaß ganz, daß er ein würdiger Herr von immerhin gesetztem Alter war, und vollführte im schottischen Hochländerkostüm, das heißt: im bloßen kurzen Hemde, zwei kühne Sprünge, wobei er seine Fersen in der Luft zierlich wie ein Masurkatänzer aneinander schlug. Und ungesäumt ging er sogleich ans Werk: er trat vor die Kassette hin und rieb sich seine Hände mit der verklärten Miene, mit der ein unbestechlicher Ermittlungsrichter, der zu einer Vernehmung auf ein Landgut hinausgefahren ist, dort an die wohlbesetzte Frühstückstafel tritt. Dann nahm er die Papiere aus dem Kasten. Er wollte alles so schnell wie möglich abmachen, es sollte nichts unnötig auf die lange Bank geschoben werden. Es schien ihm das Vernünftigste, die Kaufverträge selber zu entwerfen, aufzusetzen und zu kopieren, um sich die Kosten für die amtliche Ausfertigung zu sparen. Den Aktenstil beherrschte er ohnehin bis in die letzten Feinheiten; schnell schrieb er an den Kopf des Bogens mit großen Federzügen hin: »Im Jahre achtzehnhundertsoundsoviel«; darunter setzte er dann kleiner: »Der Gutsbesitzer Soundso« und fuhr in dieser Weise fort, genau wie sich's gehörte. In knapp zwei Stunden war er mit der Arbeit fertig. Als er hierauf die Einzelblätter durchsah, die Listen seiner Bauern, die wirklich einmal Bauern gewesen waren, Arbeiter, Pflüger, Trunkenbolde, Fuhrleute, Gauner, die ihre Herrschaft vorn und hinten betrogen und beschwindelten, oder auch schlechtweg brave Bauern, – da packte ihn ein eigenes, starkes, wenn auch ihm selbst nur halb verständliches Gefühl. Jedes dieser Verzeichnisse hatte gewissermaßen seinen besonderen Charakter, und dadurch gewannen auch die darin aufgeführten Bauern ihren besonderen Charakter. Die Leute, die der Frau Karobotschka gehört hatten, besaßen fast alle Beinamen oder Spitznamen. Pluschkins Liste zeichnete sich durch knappste Kürze und Gedrängtheit aus: es waren häufig nur die Stammsilben der Vor- und Vatersnamen hingeschrieben, die Endungen hingegen durch zwei Pünktchen angedeutet. Sabakewitschs Register verblüffte geradezu durch seine Ausführlichkeit und peinliche Genauigkeit; kein der Erwähnung werter Umstand war verschwiegen. Bei einem Namen stand der Zusatz: »Firmer Tischler«, bei einem andern war gesagt: »Arbeitet mit Verstand, trinkt keinen Alkohol«. Sogar über Vater und Mutter der einzelnen Leibeigenen und ihre Führung fanden sich gewissenhafte Angaben; nur bei einem gewissen Fedotow las man: »Vater unbekannt, lediges Kind der Stallmagd Kapitolina, hat sich sonst aber immer gut geführt und nie etwas veruntreut«. Alle die Einzelheiten gaben der Liste eine ganz besondere Frische, – man hatte das Gefühl, als seien diese Bauern erst gestern noch lebendig im Himmelslicht gewandelt. Als Tschitschikow die Augen eine Weile über die vielen Namen hatte hinstreifen lassen, wurde er förmlich sentimental und sprach mit einem tiefen Seufzer:

»Ach meine lieben Freunde, was für ein Haufe von euch ist da auf dem Papier versammelt. Was habt ihr, meine Herzenskinder, wohl alles mitgemacht in euerm Leben? Wie habt ihr euch durch diese Tränenwelt geschlagen?«

Und unwillkürlich blieben seine Augen an einem Namen hängen. Es war dies der uns schon bekannte »Pjotr Saweljew Hand-vom-Trog«. Auch heute konnte Tschitschikow sich nicht enthalten, zu bemerken:

»Ist das ein langer Name: nimmt ja die ganze Zeile ein! Warst du wohl ein gelernter Handwerker, oder warst du ein Bauer und weiter nichts? Und wie und wo hat dir der Tod sein Bein gestellt? Kam er im Wirtshaus über dich? Hat dich am Ende mitten auf der Straße im Schlaf ein schweres Lastfuhrwerk kaputtgefahren? – ›Stepan Probka, Zimmermann, tadellos nüchtern‹. Da haben wir ihn ja, den wackern Probka, da ist er ja, der Riesenkerl, der in der Garde hätte dienen müssen! Sag mal: bist du durch sämtliche Provinzen des weiten Reußenlands gewalzt, das Beil im Gurt, die langen Stiefel über den Arm gehängt, hast du zu Mittag für einen Groschen Brot verzehrt und für zwei Groschen gedörrten Fisch, und hast du jedesmal in deinem Sacke einen baren Hunderter mit heimgebracht, oder hast du dir den Reichskassenschein vielleicht in deine Drillichhosen eingenäht, oder ihn dir am Ende in deinen Stiefelschaft gestopft? Und wo hat's dich zu guter Letzt gepackt? Bist du, verlockt durch hohen Lohn, auf eine Kirchenkuppel oder gar bis an das Kreuz hinaufgeklettert und von dort beim Balanzieren über eine Gerüststange zur Erde abgestürzt? Fielst du da einem Gevatter Michai gerade vor die Füße, und kratzte der sich nachdenklich den Kopf und sagte: ›Ist es nun schon Schluß mit dir, mein lieber Wanja?‹ Und band er sich nach diesen Worten ruhig den Strick um seinen Leib und stieg an deiner Stelle auf den Bau? – ›Maksim Teljätnikow, Schuhmacher‹. Schuster, natürlich, ja! ›Besoffen wie ein Schuster,‹ heißt's im Sprichwort. Dich kenn' ich ganz genau, mein lieber Freund; wenn du es wünschest, erzähle ich dir deinen ganzen Lebenslauf. Du warst bei einem Deutschen in der Lehre, der euch in Kost und Wohnung hatte, euch für die kleinste Nachlässigkeit den Buckel mit dem Knieriemen ganz mörderlich verdrosch und euch niemals zum Bummeln auf die Straße ließ. Und du warst ein Naturwunder von einem Schuster; dein Meister sang vor seiner Frau und seinen Zunftkollegen aus vollem Hals dein Lob. Doch als die Lehrzeit um war, da sagtest du zu dir: ›Jetzt mach' ich mich selbständig, aber ich fang' es nicht so dumm wie dieser Deutsche an und lege still Kopeken zu Kopeken, – ich will von heut' auf morgen reich sein!‹ Na, und da botest du denn deinem Herrn einen recht tüchtigen Erbzins und machtest eine Werkstatt auf und nahmst 'nen Haufen Aufträge an und stürztest dich mit frischem Mute in die Arbeit. Du kauftest irgendwo einen Restposten halbverfaultes Leder um knapp ein Drittel des regulären Preises, und da hast du dann schon an jedem Stiefel gleich das Doppelte verdient; bloß hielten deine Stiefel nur zwei Wochen lang, und deine Kunden schimpften lästerlich. Gar bald kam keiner mehr in deine Werkstatt, da legtest du dich auf das Saufen und wälztest dich im Rinnstein und beklagtest dich: ›Das ist 'ne miserable Welt! Ein richtiger Russe kommt auf keinen grünen Zweig, weil einen die verfluchten Deutschen absolut nicht leben lassen.‹«

»Und was ist das denn für ein Bauer: ›Jelisaweta Warabe‹? So 'ne Gemeinheit: das ist ja doch ein Frauenzimmer! Wie hat sich die da eingeschlichen? Der Lump vor einem Sabakewitsch! Versucht mich hier noch extra übers Ohr zu hauen!«

Tschitschikow täuschte sich nicht: ganz zweifellos stand da ein Weibername. Wie der in diese Liste kam, das weiß der liebe Gott; aber er war auf eine höchst verdächtig abgefeimte Weise hingeschrieben. Aus einiger Entfernung mußte man wirklich glauben, es handle sich um einen Mann: das »a« am Ende glich bei flüchtiger Betrachtung einem Schnörkel, so daß statt »Jelisaweta« ganz leicht zu lesen war »Jelisawet«. Doch hierdurch ließ sich Tschitschikow nicht hindern, das Weibsbild kurzerhand zu streichen.

»›Grigori Laß-dir-nur-Zeit!‹ Was bist du für ein Kerl gewesen? Warst du ein Fuhrmann, hast du dir ein Dreigespann von muntern Pferdchen und einen Planwagen gekauft und dich dann immerfort fern von der Heimat, fern vom Ofenwinkel durch die Welt geschlagen und Krämerware von einem Markt zum anderen gefahren? Und hat dich unterwegs der Schlag getroffen, oder haben dich deine Freunde und Kollegen kalt gemacht im Streite um ein dickes, rotbackiges Soldatenmensch, oder haben einem Räubergesellen im grünen Walde deine Fausthandschuh von festem Leder und die drei kleinen, aber zähen Gäule gar zu gut gefallen, oder bist du am Ende, wie du so auf der Fuhre lagst, zu tief ins Denken abgerutscht und dann im nächsten besten Wirtshaus eingekehrt und von da kurzerhand zum nächsten besten Eisloch hinspaziert, aus dem du erst nach Tagen als unbekannter Toter wieder zum Vorschein kamst? Ach, du mein Russenvölkchen! Nein, du stirbst nicht gern an Altersschwäche! – Und ihr, geliebte Freunde,« fuhr Tschitschikow versonnen fort und blickte auf die Liste von Pluschkins durchgegangenen Seelen hin, »ihr lebt zwar noch; ja aber, was nützt das viel? Ihr seid so gut wie tot. Und wo auf Erden wandern wohl eure schnellen Sohlen in diesem Augenblick? Ist's euch bei Pluschkin gar so schlecht gegangen, oder lebt ihr aus Lust zur Sache im Wald und raubt die Wanderer aus? Brummt ihr im Loch, oder habt ihr bei andern Herren Dienst genommen und führt den Pflug durch ihre Felder? ›Jeremé Langbein, Nikita Leichtfuß, Anton Leichtfuß, Sohn des Obigen‹, – bei euch sieht man es schon am Spitznamen, daß ihr recht gut zu Fuße seid. ›Popow, Hofknecht‹. Das ist natürlich so ein Feinerer, der lesen und schreiben kann. Der nimmt gewiß kein Messer in die Hand, sondern schlägt sich als Mann von Ehrgefühl und Bildung mit Stehlen durch die Welt. Aber was hilft's? Da hat dich paßloses Individuum der Herr Ermittlungsrichter schon am Wickel. Du stehst furchtlos und treu vor ihm und wirst vernommen. ›Na, wem gehörst du?‹ fragt dich der Ermittlungsrichter und beehrt dich, da ihm dies die Sache und die Gelegenheit zu fordern scheinen, mit einem saftigen Schimpfwort. – ›Dem und dem Gutsbesitzer,‹ antwortest du ihm ohne Zögern. – ›So, und warum treibst du dich hier herum?‹ fragt der Ermittlungsrichter, – ›Ich bin beurlaubt gegen Erbzins,‹ erwiderst du und kommst dabei nicht einen Augenblick ins Stottern. – ›Wo ist dein Paß?‹ – ›Der liegt bei meinem Hauswirt, dem Kleinbürger Pimenow,‹ – ›Zitiert mir mal Pimenow her! – Was? Bist du der Pimenow?‹ – ›Jawohl, der bin ich.‹ – ›Hat der dir seinen Paß gegeben?‹ – ›Nein, einen Paß hat er mir nicht gegeben.‹ – ›Na also, warum lügst du?‹ fragt der Ermittlungsrichter und fügt ein saftiges Schimpfwort als Dreingabe hinzu. – ›Ja, das ist richtig,‹ antwortest du schnell, ›ich hab' den Paß nicht ihm gegeben, weil ich doch bei nachtschlafender Zeit nach Hause kam; ich hab' ihn darum beim Glöckner Antip Prochorow hinterlegt, daß er ihn für mich aufhebt.‹ – ›Zitiert mir mal den Glöckner! – Hat er dir seinen Paß gegeben?‹ – ›Nein, ich hab' von ihm in meinem Leben keinen Paß bekommen.‹ – ›Also, warum lügst du schon wieder?‹ fragt der Ermittlungsrichter und schmückt von neuem seine Rede durch ein saftiges Schimpfwort. ›Wo ist dein Paß?‹ – ›Ich hab' einen gehabt,‹ sagst du, ›aber, wie es so geht, ich muß ihn auf der Wanderung irgendwo verloren haben.‹ – ›Und warum hast du den Soldatenmantel geklaut?‹ fragt der Ermittlungsrichter und haut dir wieder ein saftiges Schimpfwort als Dreingabe darauf. ›Und warum hast du bei dem Pfarrer den Kasten mit dem Kupfergeld geklaut?‹ – ›Hab' ich doch nicht!‹ sagst du und zuckst mit keiner Wimper. ›Von einem Diebstahl hat man mir in meinem ganzen Leben überhaupt noch nie was nachgewiesen.‹ – ›Wie kommt es dann, daß man den Mantel bei dir gefunden hat?‹ – ›Was weiß denn ich? Dann hat ihn wohl ein andrer da versteckt.‹ – ›Nein, so ein Viehkerl, so ein Viehkerl!‹ sagt der Ermittlungsrichter und schüttelt seinen Kopf und stemmt die Fäuste in die Seiten. ›Legt ihm Fußeisen an und führt ihn ins Gefängnis!‹ – ›Oh bitte, bitte! Mit Vergnügen!‹ sagst du. Und dann holst du die Tabaksdose aus der Tasche und präsentierst sie freundschaftlich den beiden Invaliden, die dir die Eisen an die Füße legen, und fragst sie leutselig, ob sie schon lange ausgemustert und in welchem Kriege sie mit gewesen sind. Nun, und dann lebst du ohne weitere Sorgen im Gefängnis, während die Untersuchung gegen dich im Gang ist. Und das Gericht verfügt: du sollst aus dem Gefängnis von Zarewo-Kokschaisk in das Gefängnis von Dingsda abgeschoben werden; und wiederum nach einer Weile verfügt das dortige Gericht: du sollst, na, sagen wir, nach Wessegonsk zu weiterer Behandlung abgeschoben werden; so fährst du von Gefängnis zu Gefängnis in der Welt herum und sagst, wenn, du wieder mal ein neues Freiquartier besichtigt hast: ›Nein, das Gefängnis in Wessegonsk war ganz was andres, – mehr Platz fürs Knöchelspiel und mehr Verkehr und bessere Gesellschaft.‹«

»›Abakum Tyrow‹! Lieber Freund, was ist mit dir? Wo in der Welt treibst du dich wohl herum? Hat dich der Himmel an den Wolgastrand verschlagen, und freust du dich da deines Lebens als flotter, freier Bootsgeselle? . . .«

Tschitschikow ließ das Blatt sinken und verlor sich in Träumereien. Wie kam er wohl dazu? Riß ihn das Schicksal des flüchtig gegangenen Leibeignen Tyrow so hin, oder war es die Art von Träumerei, die jeden Russen, alt oder jung, hoch oder niedrig, arm oder reich, befällt, wenn er sein Sinnen auf die Freuden eines großzügig ungebundenen Lebens richtet? – Und in der Tat, wo mag der wackre Abakum Tyrow wohl zur Stunde weilen? Er lebt wahrscheinlich im Getreidehafen froh zechend in den Tag hinein. Die Bootsgesellen haben schon den Akkord vereinbart mit den Händlern. Blumen und Bänder auf dem Hut, so lärmt und jubelt die verwegne Schar. Sie feiern Abschied von den Mädeln und den Frauen, denen ihr Herz gehört, den hochgewachsenen, strammen, im Schmuck der Perlenketten und der Schleifen. Das Ufer schallt von Reigentänzen und Gesang, von muntern Leuten wimmelt der weite Hafenplatz. Und mitten durch die Lustbarkeit, da schreiten mit Geschrei, mit Schimpfen und mir anfeuerndem Halloh die Stauer. Sie tragen gleich neun Pud Gewicht auf einmal an ihren Haken auf dem Rücken; sie lassen Erbsen oder Weizen in die Bäuche der tiefen Kähne prasseln, sie wälzen Mattensäcke voll von Hafer oder Grütze. Und dort im Hintergrunde ziehen sich reihenweis die Haufen hin, zu denen prall gefüllte Säcke gleich Kugelpyramiden aufgeschichtet sind. Unübersehbar scheint das Getreidearsenal, doch es verschwindet in den Kähnen; und wenn das Eis geht, setzt sich zugleich mit ihm im Gänsemarsch die Riesenflotte in Bewegung. Dann heißt es tüchtig schaffen, Bootsgesellen! Als gute Kameraden, wie ihr vorher gebechert und gebummelt habt, tragt ihr gemeinsam Schweiß und Mühe und zieht die Treidelleine und singt ein Lied dazu, unendlich wie das Reußenland.

»Ach was? Schon Zwölf?« rief plötzlich Tschitschikow und sah nach seiner Uhr. »Womit hab' ich denn so viel Zeit vertrödelt? Ja, wenn ich irgend was Vernünftiges getan hätte . . .! Aber so in den blauen Tag hinein erst lauter baren Unsinn zusammenschwätzen und dann ganz einfach träumen . . .! Ich bin ein Narr, wie's keinen zweiten gibt!«

Sprach's und vertauschte schleunigst sein schottisches Kostüm gegen ein anständig europäisches, zog dann die Westenschnalle über dem Bäuchlein kräftig an, besprengte sich mit Kölnisch Wasser, nahm seine Pudelmütze in die Hand, schob die Papiere unter seinen Arm und eilte nach dem Kreisgericht, Abteilung für Zivilsachen, um die Verbriefung zu vollziehen. Er war in großer Hast, nicht aber etwa, weil er gefürchtet hätte, sich am Ende zu verspäten, – er hatte keine Spur von Angst, sich zu verspäten, denn der Direktor war ja ein guter Freund von ihm und hatte es in seiner Macht, die Amtszeit nach Belieben zu verlängern oder abzukürzen, genau wie bei Homer der Göttervater Zeus, der auch den Tag ausdehnte oder die Nacht geschwinder vom Himmel niedersenkte, je nachdem, ob er die Kämpfe seiner Lieblingshelden für heute vorsichtshalber unterbrechen, oder ihnen die Möglichkeit gewähren wollte, dem Feind in aller Ruhe und Gemächlichkeit den Gnadenstoß zu geben. Aber Tschitschikow selber hegte sehr den Wunsch, das Siegel der Behörde möglichst schnell unter sein Dokument gedrückt zu sehen. Bevor es so weit wäre, würden eine leise Unruhe und ein Gefühl heimlichen Unbehagens wohl nicht von ihm weichen. Denn tief in seinem Innersten, da plagte ihn recht häufig die Erwägung, daß die von ihm erstandenen Seelen ja tatsächlich kaum völlig »existent« zu nennen wären, und daß es sich infolgedessen wohl empfehlen dürfte, sich diesen Stein baldmöglichst von der Seele abzuwälzen. In so beschaffenen Gedanken und außerdem in einem mit zimmetbraunem Tuch bezogenen Bärenpelz trat er nun auf die Straße, war aber erst zur nächsten Quergasse gelangt, da prallte er auf einen Herrn, der gleichfalls eine Pudelmütze mit Ohrenklappen trug und gleichfalls einen mit zimmetbraunem Tuch bezogenen Bärenpelz. Der Herr stieß einen Schrei aus, – und sieh da, es war Manilow. Sie schlossen sich begeistert in die Arme und blieben mitten auf der Straße wohl fünf Minuten lang in dieser Attitüde. Die Küsse, die sie tauschten, waren von einer Heftigkeit, daß jedem von den Herren den ganzen Tag lang noch die Schneidezähne davon schmerzten. Manilow hatte vor Entzücken nur noch die Nase und die Lippen im Gesicht, – die Augen waren vollständig verschwunden. Gut eine Viertelstunde lang hielt er des Freundes Rechte, der es davon beinah zu warm geworden wäre, in seinen beiden Händen. In den poliertesten und liebenswürdigsten Ausdrücken erzählte er Tschitschikow, wie es ihn »mit Allgewalt in seine Arme gezogen« hätte, und schloß mit einem Kompliment, das von dem Überschwange troff, den sonst wohl höchstens halbwüchsige junge Leute sich gegenüber ihren Tanzkränzchenfreundinnen zu leisten pflegen. Tschitschikow öffnete den Mund, ohne so recht zu wissen, wie er ihm danken solle, – da zog Manilow plötzlich unter seinem Pelz ein säuberlich gerolltes Blatt Papier hervor, das höchst geschmackvoll mit einem rosa Band umwunden war.

»Was ist denn das?«

»Die Liste meiner Bauern.«

»Ah!« Tschitschikow rollte den Bogen auf, sah ihn sich flüchtig an und staunte über die Sauberkeit und Schönheit von Manilows Schrift. »Prachtvoll geschrieben!« sagte er. »Das braucht man gar nicht abzuschreiben. Dazu noch die Umrahmung rund herum! Wer hat denn das so künstlerisch gezeichnet?«

»Ach, fragen Sie nicht erst!« sagte Manilow.

»Sie selber?«

»Meine Frau.«

»Ach lieber Gott! Es ist mir aber wirklich peinlich, daß ich ihr diese Mühe machen mußte.«

»Für unsern besten Freund erscheint uns nichts als Mühe.«

Tschitschikow verneigte sich in tiefgefühlter Dankbarkeit. Als er erklärte, er ginge zur Verbriefung auf das Kreisgericht, da war Manilow gleich bereit, ihn zu begleiten. So schritten denn die Freunde Arm in Arm dahin. Bei jeder kleinen Unebenheit des Bodens, ob es ein Erdhümpel, ob's eine Stufe war, stützte Manilow Tschitschikow und hob ihn beinah am Arme in die Luft, wobei er auf das eifrigste beteuerte, er könne es nicht dulden, daß sein verehrter Freund am Ende stolpre. Tschitschikow kam in Verlegenheit, wie er ihm dafür danken solle, – war er sich doch vollkommen klar darüber, daß er ein recht beträchtliches Gewicht besaß.

Unter gegenseitigen Liebenswürdigkeiten gelangten sie endlich auf den Platz, an dem das Amtshaus lag. Dies war ein großes, drei Stock hohes Steingebäude, in lichtem Kreideweiß getüncht, – wahrscheinlich um die Seelenreinheit der darin tagenden Behörden fein symbolisch anzudeuten. Die andern Baulichkeiten rings um den Platz entsprachen den Dimensionen des großen Steinpalastes nur recht mangelhaft. Es waren außer ihm vorhanden ein Schilderhaus, vor dem ein Posten mit geschultertem Gewehre stand, zwei, drei Standplätze für Droschken und schließlich viele endlos lange Zäune mit den sattsam bekannten Inschriften und primitiven Zeichnungen in Kohle und in Kreide, die man auf Plankenzäunen anzutreffen pflegt. Und weiter gab es nichts mehr auf dem öden oder, wie man es bei uns zulande liebenswürdiger auszudrücken pflegt, geschmackvoll angelegten Platz. Aus den Fenstern des zweiten und des dritten Stockwerks schauten hier und da die unbestechlichen Gesichter gestrenger Themispriester und verschwanden im gleichen Augenblicke wieder, – wahrscheinlich war gerade der Amtsvorstand in das Bureau getreten. Die Freunde liefen die Treppe förmlich im Galopp hinauf, denn Tschitschikow wollte sich nicht von Manilows Arm stützen lassen und beschleunigte aus diesem Grunde seinen Schritt, und Manilow wieder flog die Stufen nur so hinan, weil er nicht wollte, daß sich der teure Freund der Stütze seines Arms entzöge. Darum waren beide völlig außer Atem, als sie den dunkeln Gang im ersten Stock betraten. Weder die Gänge noch die Zimmer frappierten ihre Blicke im geringsten durch irgend so etwas wie Sauberkeit. Damals gab man noch nicht sehr viel darauf: was schmutzig war, das zeigte sich voll Seelenruhe in seinem Schmutz, ohne ein angenehmes Äußere vorzutäuschen. Themis empfing ihre Besucher schlicht, so, wie sie war, in Negligé und Schlafrock. – Der Autor sollte hier nun eigentlich die Räume, die unsere Helden zu passieren hatten, des näheren beschreiben, aber er hat zu seinem lebhaften Bedauern einen Heidenrespekt vor allen Kanzleien. Selbst wenn er je einmal den Vorzug hatte, amtliche Räume zu durchschreiten, die vornehm und hochnobel ausgestattet waren, mit blank lackierten Fußböden und blank lackierten Tischen, – selbst dann war er bemüht, so schnell wie möglich fortzukommen, die Blicke schüchtern und ergeben auf die Fußspitzen gesenkt; und darum weiß er überhaupt gar nicht, wie wunderschön in unsern Ämtern alles gedeiht und blüht. Unsere Helden sahen eine Menge Papier, beschriebenes und reines, gebeugte Köpfe, breite Nacken, Fräcke und Röcke von dem provinziellsten Zuschnitt und mitten unter ihnen eine kurze graue Joppe, die lebhaft von den andern abstach und, den auf ihrem Kragen angebrachten Kopf sehr schief gelegt und fast auf dem Papiere ruhend, in flotter Schrift ein Protokoll kopierte. Wahrscheinlich drehte sich dies Protokoll um die behördliche Konfiskation von irgendeinem Gut, das sich ein biederer Landwirt mit einem Schein des Rechten angeeignet hatte. Ein solcher dunkler Ehrenmann kann dann ja seine Jahre friedlich als Angeklagter hinbringen und wundervoll für sich und seine Kinder und Kindeskinder sorgen, – er steht im Schutze russischer Gerichte. Von Zeit zu Zeit vernahm man auch von heiseren Stimmen hingeworfene kurze Sätze, wie etwa: »Ach, bitte schön, Feodossé Feodosséjewitsch, den Akt dreihundertachtundsechzig!« oder: »Immer verräumen Sie den Stöpsel vom kaiserlichen Tintenfaß!« – Zuweilen ließ sich eine imposantere Stimme, die sicher dem Kanzleivorstand gehörte, in kräftigem Kommandoton zum Beispiel so vernehmen: »Da! Abschreiben! Sonst lass' ich Ihnen Ihre Stiebel ausziehn und Sie hier sechsmal vierundzwanzig Stunden ohne Futter sitzen!« – Der Lärm der Federn war enorm, – es klang, als führen ein paar Fuder Reisigholz durch einen Wald, in dem der Boden gut eine Viertelelle hoch mit dürrem Laub bedeckt war.

Tschitschikow und sein Freund Manilow begaben sich zum ersten Tisch, an dem zwei jüngere Beamte thronten, und fragten dort:

»Ach bitte sehr, wo werden die Verbriefungen behandelt?«

»Was wollen Sie denn?« fragten beide Beamten und wendeten sich um.

»Ich möchte ein Gesuch einreichen.«

»Was haben Sie gekauft?«

»Ich wüßte vor allem gern, wo die Verbriefungen behandelt werden: hier oder anderswo?«

»Ja, sagen Sie uns doch zuerst: was haben Sie gekauft, und wie hoch ist der Preis? Dann kriegen Sie schon Auskunft. So können wir es doch nicht wissen.«

Tschitschikow durchschaute es, daß die Beamten bloß neugierig waren, wie jüngere Beamte meistenteils, und daß sie sich daneben auch ein bißchen wichtig machen wollten.

»Gestatten Sie, verehrte Herren,« sagte er, »ich weiß genau, daß sämtliche Verbriefungen, um welche Summe es sich handeln möge, an der gleichen Stelle vorgenommen werden. Und deshalb bitte ich Sie ganz ergebenst, mir die Stelle zu bezeichnen. Wenn Sie hier über den Geschäftsgang nicht entsprechend orientiert sein sollten, dann will ich mich an jemand andres wenden.«

Hierauf erteilten die Beamten keine Antwort; der eine von den zweien stach einfach mit dem Zeigefinger gegen eine Zimmerecke, wo hinter einem Tisch ein würdiger Greis saß, der in irgendwelchen Papieren blätterte. Tschitschikow und Manilow gingen zwischen den Tischen hindurch gerade auf ihn zu. Der würdige Greis war tief in seine Tätigkeit versunken.

»Ach, bitte,« sagte Tschitschikow mit einer höflichen Verbeugung, »ist das wohl hier, wo die Verbriefungen vollzogen werden?«

Der würdige Greis sah zu ihm auf und sagte faul:

»Hier werden keine Verbriefungen vollzogen.«

»Wo sonst?«

»In der Verbriefungsexpedition.«

»Und wo ist die Verbriefungsexpedition?«

»Die hat Iwan Antonowitsch.«

»Und wo ist denn Iwan Antonowitsch?«

Der würdige Greis stach mit dem Zeigefinger nach einer anderen Zimmerecke. Tschitschikow und sein Freund Manilow verfügten sich zu Iwan Antonowitsch. Iwan Antonowitsch hatte schon einen Blick hinter sich geworfen und die zwei Herren flüchtig von der Seite angesehen, sogleich jedoch versank er wieder um so tiefer in seine Schreibarbeit.

»Ach, bitte,« sagte Tschitschikow mit einer höflichen Verbeugung, »ist das wohl hier, wo die Verbriefungen vollzogen werden?«

Iwan Antonowitsch hörte ihn scheinbar nicht, sondern versank, wenn dies möglich war, noch tiefer in die Akten und ließ keinen Ton vernehmen. Man sah sofort, dies war ein in Amt und Würden reif gewordener Mann, kein junger Springinsfeld und Schwätzer. Iwan Antonowitsch mußte die Vierzig schon recht lange überschritten haben, sein Haar war schwarz und dicht, das ganze Mittelstück seines Gesichts verjüngte sich vorspringend auf seine Nase zu; es war eins von der Art Gesichtern, die unser Volk »Milchkannenschnauzen« nennt.

»Ach, bitte, ist hier die Verbriefungsexpedition?« erkundigte sich Tschitschikow.

»Ja,« sagte Iwan Antonowitsch mit einer flüchtigen Wendung seiner Milchkannenschnauze, und schrieb wieder eifrig weiter.

»Ich hätte folgendes: Ich hab' bei einer Anzahl Gutsbesitzer des hiesigen Bezirkes Bauern gekauft zur Übersiedlung; der Kaufvertrag ist ausgefertigt, es dreht sich nur um das Verbriefen.«

»Und sind denn die Verkäufer persönlich anwesend?«

»Zum Teil; und für die andern hab' ich Vollmacht.«

»Und haben Sie auch das Gesuch?«

»Jawohl. Ich wollte nämlich . . . Weil mir die Sache eilt . . . Wäre es nicht möglich, es noch heute zu verbriefen?«

»Tja, heute . . .! Heute, – völlig ausgeschlossen,« sagte Iwan Antonowitsch. »Es ist zuerst an Hand der Revisionsregister der genaue Nachweis zu erbringen, ob diese Seelen nicht am Ende sequestriert sind.«

»Übrigens, was die Beschleunigung betrifft, so könnte vielleicht Iwan Grigorjewitsch, der Herr Gerichtsdirektor, der mein guter Freund ist . . .«

»Der Herr Direktor ist ja nicht allein da; bitte sehr, es gibt hier auch noch andre Leute,« erwiderte Iwan Antonowitsch sehr schroff.

Tschitschikow verstand den zarten Wink des Braven und erklärte:

»Die andern kommen nicht zu kurz. Ich war ja selbst Beamter und weiß, was sich schickt.«

»Dann gehn Sie also zum Direktor hinein!« sagte Iwan Antonowitsch bedeutend freundlicher. »Er soll die nötigen Anordnungen heruntergeben, – wir halten das Geschäft nicht auf.«

Tschitschikow nahm einen Geldschein aus der Tasche und schob ihn vor sich auf den Tisch. Iwan Antonowitsch bemerkte den Schein gar nicht und deckte versehentlich ein Buch darüber. Tschitschikow wollte ihn aufmerksam machen, aber Iwan Antonowitsch gab ihm durch eine Kopfbewegung zu verstehen, daß er sich dies ganz ruhig sparen dürfe.

»Der Herr führt Sie ins Direktionsbureau,« sagte Iwan Antonowitsch und wies auf einen gleichfalls an dieser Stätte zelebrierenden Priester der Themis hin, der seiner hehren Göttin mit solchem Eifer Opfer brachte, daß seine beiden Ellenbogen davon ganz durchgescheuert waren und längst das blanke Unterfutter sehen ließen, wofür ihm denn auch seinerzeit der Titel eines Kollegienregistrators zuteil geworden war. Und dieser hohe Geist lieh unsern Helden seine Dienste, wie einst Virgil dem großen Dante, und führte sie ins Direktionsbureau, allwo in einem sehr bequemen, breiten Lehnstuhl allein und einsam gleich der Sonne, der Direktor thronte. Der Tisch vor ihm trug prunkvoll den Gerichtsspiegel und ein paar dicke Bücher. Beim Anblick dieser heiligen Halle faßte den neuen Virgil ein solcher frommer Schauer, daß er sich nicht erkühnte, diese Schwelle zu betreten, sondern schleunigst kehrt machte und den Herren seinen Rücken wies, der so verschlissen aussah wie eine alte Fußmatte, und an dem zu weiterer Verschönerung noch eine Hühnerfeder klebte. Als unsere Freunde nähertraten, merkten sie, daß der Direktor in Wirklichkeit gar nicht allein war: bei ihm saß Sabakewitsch, den jedoch bisher noch der Gerichtsspiegel verborgen hatte. Der Eintritt der Besucher entriß dem Amtsgewaltigen einen Freudenschrei, der kaiserliche Lehnstuhl wurde mit lebhaftem Geräusch zurückgeschoben. Auch Sabakewitsch erhob sich von seinem Stuhl und stand in Lebensgröße da mit seinen viel zu langen Ärmeln. Der Direktor umarmte Tschitschikow, die Wände hallten laut von ihren Küssen wider. Dann fragten sie sich gegenseitig nach dem verehrlichen Befinden; und es erwies sich, daß sie beide mit Kreuzschmerzen zu schaffen hatten, was zweifellos durch ihre sitzende Lebensweise zu erklären war. Der Herr Direktor schien bereits durch Sabakewitsch von dem vollzogenen Bauernkauf gehört zu haben: er wünschte Tschitschikow von Herzen Glück dazu, und dies machte unseren Helden im ersten Augenblick etwas verlegen. Was ihn besonders störte, war die Anwesenheit der Herren Sabakewitsch und Manilow, mit denen er doch einzeln in der größten Heimlichkeit verhandelt hatte, und die sich hier auf einmal Aug' in Auge gegenüber standen. Doch nahm er sich zusammen; er sprach dem Herrn Direktor seinen Dank aus und wandte sich mit einiger Hast an Sabakewitsch:

»Und wie steht Ihr Befinden?«

»Gottlob, ich kann nicht klagen,« sagte Sabakewitsch. – Nun, und beim großen Gott, worüber hätte er auch klagen sollen? Da mochte wohl ein Eisenblock sich eher noch erkälten und den Husten kriegen als dieser fabelhaft gebaute Landwirt.

»Na ja, Ihre Gesundheit ist beinah sprichwörtlich,« versetzte der Direktor. »Ihr Vater selig war ja auch ein solcher Kraftmensch.«

»Der ging allein auf einen Bären los,« rief Sabakewitsch.

»No aber, ich denke doch,« sprach wieder der Direktor, »Sie zwingen einen Bären auch, wenn Sie nur wollen.«

»Nein, nein, ich nicht,« rief Sabakewitsch. »Der Selige war zweimal so stark wie ich.« Mit einem Seufzer fuhr er fort: »Es gibt nicht mehr die Leute wie anno dazumal. Ja, sehn Sie doch mein Leben an: was ist das für ein Leben? Bloß halber Kram!«

»Was soll denn Ihrem Leben fehlen?« fragte der Direktor.

»Es ist nun einmal nicht das Wahre, nicht das Wahre!« antwortete Sabakewitsch und schüttelte betrübt den Kopf. »Das müssen Sie doch selber einsehn, Herr Direktor: ich bin nicht weit von fünfzig und war noch niemals krank, – nicht einmal eine Halsentzündung oder ein Furunkel . . . Das hat nichts Gutes zu bedeuten! Das muß sich schließlich rächen!« Sabakewitsch verstummte und sah traurig vor sich nieder.

– Komischer Kauz! so dachten gleichzeitig unser Held und der Direktor. – Was der für Gründe hat, sich zu beschweren . . .!

»Ich habe auch ein Briefchen für Sie mitgebracht,« sagte Tschitschikow und zog das Schreiben Pluschkins aus der Tasche.

»Von wem denn?« fragte der Direktor. Und dann entfaltete er schnell das Viertelblatt und rief: »Ach was? Von Pluschkin! Was, vegetiert der immer noch auf Erden? Mit dem ist's sonderbar gegangen! War doch so ein gescheiter Mensch und so ein reicher Mann! Und heute . . .«

»Ein Schweinehund!« bemerkte Sabakewitsch. »Hat der Halunke nicht alle seine Leute verhungern lassen wie die Fliegen?«

»Bitte, sehr gern,« sprach der Direktor, der in der Zwischenzeit den Brief gelesen hatte. »Ich übernehm' die Vollmacht. Wann wollen Sie es denn verbriefen: gleich oder später?«

»Gleich,« sagte Tschitschikow. »Ich möchte Sie sogar recht herzlich bitten, es, wenn's irgend geht, noch heute festzumachen, weil ich morgen die Stadt wieder verlassen wollte. Ich hab' den Kaufvertrag und das Gesuch schon mitgebracht.«

»Alles sehr schön, nur – tun Sie, was Sie wollen –, wir lassen Sie so bald nicht wieder fort. Ja, die Verbriefung, die wird heute, wie gewünscht, vollzogen, aber Sie bleiben eine Zeit lang noch bei uns. Ich will sofort das Nötige befehlen,« sagte der Direktor und öffnete die Türe zur Kanzlei, in der die emsigen Beamten schafften gleich Bienen, die an ihren Waben bauen, – obgleich es wohl ein bißchen kühn sein dürfte, Akten ohne weiteres mit Honigwaben zu vergleichen. »Wo ist Iwan Antonowitsch?«

»Hier,« rief eine Stimme in der Kanzlei.

»Soll kommen!«

Und der dem lieben Leser schon bekannte Iwan Antonowitsch mit der Milchkannenschnauze erschien im Direktionsbureau und senkte demütig den Kopf.

»Da, nehmen Sie den Kaufvertrag und . . .«

»Nicht zu vergessen, Herr Direktor,« fiel Sabakewitsch ein, »wir brauchen Zeugen, – wenigstens zwei für jeden Kontrahenten. Schicken Sie doch jemand nach dem Staatsanwalt! Er ist ein Faultier und sitzt sicherlich zu Hause. Denn seine Arbeit macht sein Substitut, der Solotucha, der größte Straßenräuber von Europa. Und der Kreisphysikus ist auch ein Faultier und sitzt genau so gut zu Hause, wenn er nicht irgendwo zu einer Whistpartie geladen ist. Und da gibt's noch genug so Leute, die ohne Zweck die Erde drücken. Ganz in der Nähe wohnen zum Beispiel Truchatschewski und Beguschkin.«

»Ganz recht, sehr richtig!« sagte der Direktor und schickte ohne Säumen einen Kanzlisten nach Zeugen aus.

»Noch eine Bitte hätt' ich,« sagte Tschitschikow. »Könnten Sie nicht auch den Bevollmächtigten einer Gutsbesitzerin herholen lassen, mit der ich gleichfalls ein Geschäftchen abgeschlossen hab'? Er ist ein Sohn des Oberpfarrers Kirill und soll hier bei Gerichte angestellt sein.«

»Natürlich, lassen wir ihn kommen!« sagte der Direktor. »Wird gemacht! Aber um eins muß ich Sie bitten: Sie geben keinem der Beamten einen Groschen! Denn meine Freunde sollen nichts bezahlen.« Sprach's und erteilte Iwan Antonowitsch schnell ein paar Weisungen, von denen die Milchkannenschnauze allem Anschein nach nicht sehr erbaut war. Hingegen diente der Kontrakt sichtlich dazu, des Herrn Direktors Laune mächtig aufzukratzen, besonders, als er sah, daß es sich da im ganzen um eine Kaufsumme von gegen hunderttausend Rubeln handelte. Er blickte Tschitschikow ein Weilchen strahlend in die Augen und sagte dann: »So so, so so! So steht es also, Herr Tschitschikow! Da haben Sie ja tüchtig eingekauft.«

»O ja . . .« erwiderte Tschitschikow.

»Sehr gute Sache! Ja, Gott soll es wissen: eine gute Sache!«

»Tja, ich muß selber sagen: das Beste, was ich hätte machen können. Mag es nun sein, wie's will: der Mensch sieht doch erst dann ein Ziel klar vor den Augen, wenn er sich endlich festen Fußes auf den soliden Boden des Realen stellt und nicht mehr den phantastischen Schimären freisinniger Strudelköpfe nachjagt.« Und hieran knüpfte er sehr apropos ein paar abfällige Bemerkungen über den Liberalismus unserer jungen Leute. Aber dabei klang immerhin ein Quäntchen Unsicherheit in seiner Stimme mit, als spräche er gleichzeitig zu sich selber: – Na, alter Freund, du lügst ja wie gedruckt! – Er schielte dabei nicht ohne Angst nach Sabakewitsch und Manilow, ob denn nicht auch in ihren Mienen Andeutungen von dieser Art zu lesen wären. Doch seine Angst war grundlos: Sabakewitsch zuckte mit keiner Wimper, und Manilow, trunken von dem Klang der Phrasen, nickte begeistert zustimmend und zeigte die Pose eines Opernenthusiasten, der darauf lauscht, wie eine Sängerin sogar die Geige selber völlig in Schatten stellt und einen so erstaunlich hohen Ton aus ihrer Kehle schmettert, daß jede Lerche sich daneben beschämt verstecken muß.

»Ja aber, warum erzählen Sie es dem Herrn Direktor nicht, was Sie denn eigentlich gekauft haben?« begann nun Sabakewitsch. »Und Sie, Direktor, warum erkundigen Sie sich gar nicht, was er für einen guten Kauf gemacht hat? Leute, kann ich nur sagen, Leute . . .! Das reine Gold! Ja, werden Sie's mir glauben? Den Stellmacher Michejew hab' ich ihm verkauft.«

»Ach was? Den Stellmacher Michejew?« fragte der Direktor. »Ich kenn' Michejew gut: ein tüchtiger Stellmacher; er hat mir einen Wagen repariert. Aber, gestatten Sie, wie ist mir denn . . .? Sie haben mir ja doch gesagt, er wär' gestorben . . .

»Wer? Was? Michejew, und – gestorben?« sagte Sabakewitsch ohne die geringste Verlegenheit. »Das ist sein Bruder, der gestorben ist. Nein, er ist springlebendig und eher noch gesunder, als er war. Er hat mir gerade erst noch eine Halbchaise gebaut, wie sie in Moskau keiner besser fertig bringt. Ging' es mit rechten Dingen zu, so sollte er eigentlich nur noch für Seine Majestät den Kaiser arbeiten.«

»Michejew ist ein tüchtiger Handwerker,« sprach der Direktor. »Ich wundere mich, daß Sie ihn hergegeben haben.«

»Ach, wenn es bloß Michejew wär'! Nein, denken Sie: den Zimmermann Stepan Probka, den Töpfer Miluschkin, den Schuster Maksim Teljätnikow, – sie alle hab' ich hergegeben und verkauft.«

Und als nun der Direktor fragte, warum er sie denn hergegeben hätte, da er die Handwerker doch notwendig in seiner Wirtschaft brauche, sagte Sabakewitsch mit einer resignierten Handbewegung:

»Wie es so geht . . . Es war auf einmal so ein Raptus . . . Fort mit Schaden, hab' ich gesagt und hab' sie losgeschlagen wie ein Narr!« Er ließ den Kopf trübselig hangen, als täte ihm die Sache nachträglich selber furchtbar leid, und fügte dann hinzu: »Ja, Alter schützt vor Torheit nicht.«

»Aber, Verzeihung, Herr Tschitschikow,« fragte nun der Direktor. »Zu welchem Zwecke kaufen Sie denn Bauern ohne Land? Zur Übersiedlung?«

»Natürlich, ja, zur Übersiedlung.«

»Ach so, zur Übersiedlung, – dann ist es etwas andres. Und wohin?«

»Nach . . . nach . . . in die Provinz Cherson.«

»O, – wunderbarer Boden!« rief der Direktor und äußerte sich sehr anerkennend über die Ertragfähigkeit der Wiesen in jenen Gegenden. »Und haben Sie auch Land genug?«

»Vollkommen, genau so viel, wie ich für die gekauften Bauern brauche.«

»Liegt Ihr Besitz an einem Flusse, oder ist nur ein Teich dabei?«

»An einem Fluß. Ja, auch ein Teich ist da.« Bei diesen Worten schielte Tschitschikow ganz unwillkürlich zu Sabakewitsch hin. Und ob der immer noch mit keiner Wimper zuckte, so stand auf seinem steinernen Gesicht doch einiges zu lesen, was sich vielleicht am ehesten in die Worte kleiden ließ: – Du Schwindler du! Dein Fluß, dein Teich und deine ganzen Ländereien, – die liegen, möcht' ich wetten, auf dem Mond!

Indessen man so weiter plauderte, erschienen allgemach die Zeugen: als erster der dem wohlgeneigten Leser schon bekannte Staatsanwalt mit seinem Augenzwinkern, des weiteren der Physikus, die Herren Truchatschewski und Beguschkin, sowie noch einige von den Zeitgenossen, die, wie sich Sabakewitsch auszudrücken pflegte, zwecklos diese Erde drückten. Viele der Herren waren Tschitschikow ganz unbekannt. Dann wurden, um die Zahl der Zeugen voll zu machen, noch einige Gerichtsbeamte zugezogen. Nicht nur der Sohn des Oberpfarrers Kirill war hergebeten worden, sondern dazu der Oberpfarrer selbst. Die Zeugen unterschrieben sich mit allen ihren Titeln und allen ihren Würden, in Steilschrift oder Schrägschrift, manch einer auch auf eine Weise, daß seine Buchstaben fast auf dem Kopf standen und Formen zeigten, wie sie noch nie ein Menschenauge in unserem nationalen Alphabet erblickt hat. Der uns bereits bekannte Iwan Antonowitsch mit der Milchkannenschnauze erledigte dann alles schnell und sachgemäß, die Verträge wurden kollationiert, der Präsentatumvermerk darauf gesetzt, sie wurden verbucht und registriert, die halbprozentige Gebühr ward ausgerechnet und desgleichen die Kosten für die Bekanntmachung im Amtsblatt der Provinz. Am Ende hatte Tschitschikow nur einen reinen Pappenstiel zu zahlen. Denn der Direktor sorgte dafür, daß nur die Hälfte der gewöhnlichen Gebühren auf seine Rechnung kam; die andere Hälfte wurde mit abgefeimter Schläue einem harmlosen Zeitgenossen aufgebrummt, der ebenfalls gerade irgendein Kaufgeschäft verbriefen ließ.

»Na also,« sagte der Direktor, als dies glücklich erledigt war, »jetzt bleibt uns nur noch übrig, den Kauf gebührend zu begießen.«

»O, mit Vergnügen!« sagte Tschitschikow. »Bestimmen Sie mir freundlichst nur die Zeit! Es wäre eine Sünde und eine Schande meinerseits, wenn ich für so eine sympathische Gesellschaft nicht einige Champagnerpfropfen knallen ließe.«

»Nein, so war's nicht gemeint,« rief der Direktor. »Nein, den Champagner stellen wir. Das ist doch unsre verfluchte Pflicht und Schuldigkeit. Sie sind hier Gast, – wir müssen Sie bewirten. Und, meine Herrschaften, da hab' ich eine ganz vorzügliche Idee. Fackeln wir gar nicht lang und machen wir es so: wir gehen alle, wie wir da sind, zum Polizeimeister. Er ist ja unser großer Wundertäter: geht er mal durch die Budenreihen auf dem Fischmarkt oder an einem Weinkeller vorbei und winkt nur mit der Hand, dann haben wir auch schon ein Frühstück, das sich gewaschen hat! Und die Gelegenheit benutzen wir dann gleich zu einem Whistpartiechen.«

So glänzende Aspekte verlockten nun natürlich jeden. Den Herren lief schon beim Gedanken an die Herrlichkeiten des Fischmarktes das Wasser buchstäblich im Mund zusammen. Man nahm die Hüte und die Mützen, und der Direktor schloß seinen Themistempel für den Tag.

Als sie dann die Kanzlei passierten, verbeugte sich Iwan Antonowitsch mit der Milchkannenschnauze vor Tschitschikow und flüsterte ihm zu:

»Sie haben sich für hunderttausend Rubel Bauern gekauft, und unsereins bekommt für seine Mühe nur den einen weißen Lappen.«

»Ja, aber was das auch für Bauern sind!« gab Tschitschikow im gleichen Flüsterton zurück. »Ausschuß der unbrauchbarsten Art, und kaum die Hälfte ihres Preises wert.«

Iwan Antonowitsch erkannte, daß dieser fremde Herr ein Mann von ehernen Prinzipien, und daß hier weiter nichts zu holen war.

»Was haben Sie denn Pluschkin für die Seele zahlen müssen?« flüsterte ihm Sabakewitsch in das andere Ohr.

»Und warum haben Sie mir den sonderbaren Warabé mit aufgeschrieben?« erwiderte ihm Tschitschikow.

»Was für 'nen Warabé?«

»Das Weibsbild, diese Jelisaweta Warabé; und dabei ist das ›a‹ am Schluß noch so geschrieben, daß man's für einen Schnörkel halten muß.«

»Ich weiß von keinem Warabé,« erklärte Sabakewitsch und schloß sich schleunigst einem von den Zeugen an.

Die Gäste brachen also in hellen Haufen dem Polizeimeister ins Haus. Und dieser wahrte seinen Ruf als Wundertäter: sobald er erst im Bilde war, rief er sofort nach einem Kommissar, einem höchst viven eleganten Bürschchen in Reitstiefeln von blankem Lackleder; dem flüsterte er bloß zwei Worte in das Ohr und fügte laut hinzu: »Verstanden?« – Und richtig, während sich die Gäste nun mit Leidenschaft ins Whistspiel stürzten, erschienen auf dem großen Tisch im Nebenzimmer ein Hausen und ein Stör, ein Lachs, gepreßter Kaviar, frischer Kaviar, Heringe, Bücklinge, Käse von allen Sorten, Räucherzunge, gedörrtes Fischfleisch, – dies alles lieferte der Fischmarkt. Dazu gesellten sich dann noch Erzeugnisse der eigenen Küche: so eine Fischpastete, die mit den Knorpeln und den Wangen eines Störs von neun Pud lebendem Gewicht gefüllt war, des weiteren eine Pfifferlingpastete, in Butterschmalz gebackne Fleischpastetchen und anderes von Butter triefendes Gebäck. – Der Polizeimeister war sozusagen der Freund und Wohltäter der ganzen Stadt. Denn er bewegte sich im Kreis der Bürger, als wäre es die eigene Familie, und hauste auf dem Markt und in den Läden wie in seiner eigenen Speisekammer. Er war im wahren Sinn des Worts der rechte Mann am rechten Platz und hatte es in dem Beruf, dem er nur einmal angehörte, zur Vollkommenheit gebracht. Es ließ sich schwer entscheiden, ob er für seinen Posten vom lieben Gott geschaffen war, oder der Posten vom lieben Gott für ihn. Er wußte es so trefflich einzurichten, daß er doppelt so viel ergatterte als irgendeiner seiner Vorgänger und doch die Zuneigung der ganzen Stadt genoß. Die Kaufleute vor allem liebten ihn, weil er so frei von Hochmut war. Er hielt ihnen bereitwilligst die Kinder über die Taufe und wurde auf die Art Gevattersmann von aller Welt. Zog er den Leuten auch das Fell vom Leib, – er tat es strahlend vor Liebenswürdigkeit. Er klopfte jedem braven Bürger auf die Schulter und lachte ihn recht freundlich an und gab ihm Tee zu trinken, er lud sich selbst bei ihm zu einem Partiechen Dame ein und fragte leutselig nach allerhand: wie die Geschäfte gingen, und wie man sonst zufrieden sei; war eines von den Kindern krank, so wußte er die beste Medizin, – kurzum, er war ein Teufelskerl! Fuhr er in seinem Wagen durch die Stadt, um seine Untergebenen zu inspizieren, so hatte er doch immer Zeit, den oder jenen anzureden: »Wie ist's, Michéitsch? Wir müssen unsere Partie gelegentlich zu Ende spielen.« – »Sehr wohl, Herr Polizeimeister,« gab der zur Antwort, »wird mir eine Ehre sein.« – »Na, Ilja Paramonowitsch, wie ist's? Besuch mich mal und sieh dir meinen Traber an! Ich glaub', der nimmt's mit deinem wohl im Laufen auf. Spann ihn doch gleich vor deine Renndroschke, – dann können wir's probieren!« Auf solche Worte zog der Kaufmann, der ein Pferdenarr war, seinen Mund bis an die Ohren, strich sich den Vollbart und erwiderte: »Jawohl, Herr Polizeimeister, probieren wir's!« – Sogar die Ladendiener zogen ihre Mützen, wenn er vorüberfuhr, und tauschten Blicke aus, als ob sie sagen wollten: – Nein, unser Polizeimeister ist wirklich eine Seele von 'nem Menschen! Mit einem Wort: er war volkstümlich im allerhöchsten Grad, und bei den Kaufleuten gab's über ihn nur eine Stimme: er ließe sich zwar gut bezahlen, doch könnte man sich auch auf ihn verlassen, – er täte etwas für sein Geld.

Als man das Frühstück aufgetragen hatte, schlug der Polizeimeister den Gästen vor, die Whistpartie zu unterbrechen, und alles strömte nun ins Nebenzimmer, aus welchem leckere Gerüche die Nasen schon seit einiger Zeit gekitzelt hatten. Besonders Sabakewitschs Blicke hingen schon lange an der Tür und kokettierten mit dem Stör, der seitab von den andern Herrlichkeiten auf einer großen Platte lag. Die Gäste tranken jeder ein Glas Schnaps von jenem dunkeln Gelbgrün, das an die Farbe des bekannten sibirischen Halbedelsteins erinnert, den man im heiligen Reußenland zu Petschaften verarbeitet. Dann trat man mit gezückter Gabel an den Tisch und machte sich, nach Neigung und Charakter Auswahl treffend, über den Imbiß her, – der eine hielt sich an den Kaviar, der andre an den Lachs, der dritte an den Käse. Sabakewitsch vergönnte allen diesen Kleinigkeiten keinen Blick, – er richtete sich häuslich bei dem Stör ein und schaffte ihn gemächlich aus der Welt, während die andern tranken, aßen und vergnügter Wechselrede pflogen. Und als nach einer Viertelstunde dann der Hausherr sagte: »Meine Herren, wie stellen Sie sich beispielsweise zu dem Naturprodukt?« und mit den anderen nunmehr dem Stör zuleide wollte, da zeigte sich's, daß von dem angebotenen Naturprodukt nur noch der Schwanz vorhanden war. Der biedere Sabakewitsch aber tat, als wäre das nicht er gewesen, – er trat mit unschuldsvoller Miene vor einen Teller hin, der an der andern Seite des Tisches stand und spießte seine Gabel in ein Räucherfischchen von der winzigsten Statur. Völlig gesättigt durch den Stör, ließ er sich gleich darauf in einen Sessel sinken und aß und trank hinfort nichts mehr, er blinzelte nur schläfrig und konnte seine Augen kaum noch offen halten.

Der Polizeimeister war auch nicht geizig mit dem Wein, – Trinksprüche gab es ohne Zahl. Der erste Trinkspruch galt, wie unsere Leser sich wohl denken können, dem neubackenen chersoner Gutsbesitzer in Person, der zweite dem Gedeihen seiner Bauern und ihrer wohlbehaltenen Übersiedlung, der dritte der Gesundheit seiner künftigen bildhübschen Gattin. Bei diesem Toaste spielte ein zuckersüßes Lächeln um die Lippen unseres Helden. Der ganze Kreis trat auf ihn zu und bat ihn dringend, er solle doch zum mindesten noch vierzehn Tage hier in der Stadt verweilen.

»Nein, nein, Herr Tschitschikow! Wie Sie es machen wollen, – das wäre ja nur eine Stippvisite! Nein, Sie bleiben noch ein Weilchen! Wir wollen Sie verheiraten! Finden Sie nicht auch, Direktorchen, wir müssen ihn verheiraten?«

»Na, selbstverständlich wird er verheiratet!« rief der Gerichtsdirektor. »Und wenn Sie auch mit allen Vieren strampeln, – heiraten müssen Sie! Nein, lieber Freund, jetzt haben wir Sie fest und lassen nicht mehr locker! Nein, da verstehn wir keinen Spaß!«

»Wieso denn? Warum soll ich denn mit allen Vieren strampeln?« lächelte Tschitschikow. »Heiraten ist doch nichts so Schreckliches, daß ich . . . Fehlt bloß die Braut!«

»Ach, eine Braut wird sich schon finden! Was ist groß dabei? Es wird sich alles finden, was Ihr Herz begehrt!«

»Ja, wenn es so ist, dann . . .«

»Bravo, er bleibt!« schrie die Gesellschaft. »Hurra! Hoch Tschitschikow! Hurra und vivat hoch!« Alles umdrängte unsern Helden und stieß mit ihm an. Und Tschitschikow stieß gern mit jedem an. »Nein, nein, noch einmal!« sagten die ganz Begeisterten und stießen noch einmal mit ihm an und riefen: »Zum dritten Male nun!« und stießen zum dritten Male mit ihm an. Es dauerte nicht lange, und die Gesellschaft war höchst aufgeräumt. Der Herr Gerichtsdirektor, der, wenn er ein paar Gläser über den Durst getrunken hatte, zärtlich zu werden pflegte, umarmte Tschitschikow zu wiederholten Malen und rief in wahrer Liebesraserei: »Du meine Seele, du mein Herz, du mein geliebtes Schnuckelchen!« Und als die Stimmung weiter stieg, da tanzte er sogar mit lautem Fingerschnalzen um ihn herum und sang dazu das populäre Lied: »Ach du Hundesohn, kamarinscher Prolet!« – Nach dem Champagner gab es Ungarwein, der alle Geister immer lebhafter beflügelte und die Gesellschaft ganz rabiat und ausgelassen machte. Die Whistpartie war endgültig vergessen; man stritt, man schrie, man diskutierte über Politik und Heerwesen, man sprach verwegen liberale Ideen aus, für die man sonst, bei klarem Kopf, die eigenen Kinder durchgehauen hätte. Man löste die schwierigsten Probleme im Handumdrehn. Tschitschikow war nie in seinem ganzen Leben so vergnügt gewesen, – er fühlte sich als wirklicher chersoner Gutsbesitzer, sprach von Drainagen, von Dreifelderwirtschaft, vom stillen Glücke zweier Herzen, er deklamierte Sabakewitsch eine Versepistel Werthers an Lotte vor. Doch Sabakewitschs Antwort war nur ein blödes Blinzeln mit den Augen, – er lag gesättigt von dem Stör, im Lehnstuhl und war furchtbar schläfrig.

Endlich bemerkte Tschitschikow, daß er sich seine Nase doch ein bißchen stark begossen hatte; er bat um einen Wagen, und ihm wurde die Renndroschke des Staatsanwalts zur Heimfahrt angeboten. Der Kutscher des Staatsanwalts war, wie es sich unterwegs erwies, ein Mann von Umsicht und Erfahrung: er lenkte seinen Traber nur mit einer Hand und streckte die andre hinter sich und hielt den gnädigen Herrn im Gleichgewicht. So langte Tschitschikow denn ohne Unfall auf der Renndroschke in seinem Gasthof an. Dort führte er noch eine Weile recht verworrne Reden: von einer blondgelockten Braut mit frischem Teint und einem Grübchen in der rechten Backe, von einem Landgut im Bezirk Cherson, von großen Kapitalien . . . Selifan erhielt sogar Befehl, die sämtlichen gekauften Bauern herzurufen, weil sich der gnädige Herr durch Namensaufruf überzeugen wollte, ob sie auch alle mitgekommen wären. Selifan hörte das eine Weile schweigend an; dann ging er aus dem Zimmer und sagte zu Petruschka: »Mach, zieh ihn aus!« Petruschkas erstes war, den gnädigen Herrn von seinen Stiefeln zu befreien, wobei er mehrmals fast ihn selber unsanft auf den Fußboden herabgerissen hätte. Doch endlich hatte er die Stiefel glücklich von den Füßen, der gnädige Herr zog sich ganz richtig aus, warf sich noch eine Zeitlang wild in seinem Bett herum und schlief am Ende als richtiger chersoner Gutsbesitzer ein.

Petruschka trug mittlerweile Tschitschikows Pantalons und seinen preißelbeerroten Frack mit helleren Pünktchen auf den Gang hinaus, hängte sie über den dort angebrachten Kleidergalgen und ging mit Ausklopfer und Bürste darüber her, daß es dir nur so Wolken gab von Staub. Er wollte die geputzten Kleider eben wieder zusammenlegen, da zeigte ihm ein Blick ins Erdgeschoß den treuen Selifan, der aus dem Stall zurückkam. Die beiden verständigten sich schnell durch stumme Augensprache: der gnädige Herr lag fest im Bett und schlief, – da konnte man sich einen kleinen Abstecher erlauben. Petruschka trug schnell Frack und Pantalons ins Zimmer und stieg hinab zu seinem treuen Kameraden. Dann machten sie sich still selbander auf den Weg; das Ziel des Marsches ward mit keinem Wort erwähnt, – man schwätzte nur von Dingen, die damit gar nichts zu schaffen hatten. Die Reise war nicht weit, – sie führte unsere Freunde bloß auf das andere Trottoir, zu einem Haus, das ihrem Gasthof gerade gegenüber lag. Dort traten sie durch eine niedrige geschwärzte Glastür in eine Art von Keller ein, wo an Holztischen eine bunte und zahlreiche Gesellschaft saß: da gab's rasierte und auch bärtige Leute in Pelzen ohne Überzeug und Mänteln von gemeinem Fries, auch Leute nur in Hemd und Hose. Was nun Petruschka und der Kutscher hier getrieben haben, das weiß der liebe Gott; gewiß ist, daß sie eine Stunde später wieder aus dem Lokale kamen und dann Arm in Arm nach Hause wallten, sich gegenseitig sorgsam stützend und um die scharfen Ecken lotsend. Und Arm in Arm, und ohne sich auch einen Augenblick nur loszulassen, erstiegen sie die Treppe, was eine volle Viertelstunde in Anspruch nahm. Endlich war dieses Hindernis genommen,– sie öffneten die Tür. Petruschka stand eine Weile tiefsinnig vor seinem niedern Bette, als wolle er ergründen, auf welche Art er am bequemsten zu liegen kommen würde. Dann warf er sich der Quere nach darauf, so daß die Füße auf den Boden hingen. Und Selifan begab sich in das gleiche Bett, wobei er seines Freundes Bauch als Kopfkissen benutzte. Er hatte ganz vergessen, daß dies gar nicht sein ihm zukommendes Nachtlager war und er ins Leutezimmer oder zu den Gäulen in den Stall gehörte. Kaum lagen sie, da schliefen sie auch schon und stimmten ein unerhörtes Schnarchduett im tiefsten Basse an, auf das ihr gnädiger Herr im Nebenzimmer mit seinem Säuseln durch die Nase Antwort gab . . .

Nach ihnen gingen auch die andern Hausbewohner bald zur Ruhe, stärkender Schlaf sank auf den Gasthof nieder. Ein Fenster nur blieb noch erhellt. Dahinter hauste der bereits einmal erwähnte Leutnant aus Rjäsan. Der war ein großer Stiefelnarr und hatte sich in diesen Tagen schon vier Paar machen lassen: zurzeit probierte er das fünfte an. Schon mehrmals war er vor sein Bett getreten, um sich die Stiefel endlich auszuziehen und ebenfalls den Schlaf zu suchen; aber er brachte es nicht übers Herz: die Stiefel saßen doch zu tadellos. So hob er denn noch stundenlang in einem fort den Fuß und schwelgte in dem Anblick des unendlich schick mit schönem Schwung geschweiften Hackens . . .

 


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