Nikolai Gogol
Tote Seelen
Nikolai Gogol

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Erstes Kapitel

Durch den Torweg des einzigen Gasthofes in der Provinzialhauptstadt N. ratterte eine nette kleine Halbchaise, ein Wagen, wie ihn wohlgesetzte Hagestolze bei ihren Fahrten über Land verwenden: Obersten und Stabshauptleute außer Diensten, mittlere Gutsbesitzer, – kurz, was man so zu den »besseren Herren« zählt. In dieser Chaise saß ein Herr, der kein Adonis war, wiewohl sich ihm ein angenehmes Äußere nicht absprechen ließ. Er war durchaus nicht dick, jedoch von Dürre weit entfernt; man hätte lügen müssen, um ihn alt zu nennen, besonders jugendlich sah er nun freilich auch nicht aus. Sein Eintreffen verursachte nicht den geringsten Lärm in der Stadt N. und hatte nichts Erwähnenswertes im Gefolge; höchstens ist anzumerken, daß zwei russische Bäuerlein, die unserm Gasthof gegenüber vor dem Eingang einer Schenke standen, ein paar Worte von sich gaben, die übrigens auch mehr der Chaise galten als dem Herrn, der darin saß.

»Guck mal: das Rad da . . .!« sagte der eine. »Ob das noch heil bis Moskau kommt?«

»No, Moskau . . .?« antwortete der andere achselzuckend.

»Bis Kasan aber kommt es ganz gewiß nicht mehr. Glaubst du nicht auch?«

»Bis Kasan, – nee!« antwortete der andere.

Und das war alles, was sie äußerten.

Ja, höchstens eins noch wäre zu berichten: als die erwähnte Chaise bei dem Gasthof vorfuhr, kam vom andern Straßenende her ein junger Mann gegangen. Der trug sehr enge und sehr kurze weiße englischlederne Pantalons und einen Frack, der kecke Ansprüche auf modischen Geschmack erhob. Darunter schaute ein Chemisettchen vor, das war mit einer Plaidnadel befestigt, der eine kleine tombackene Pistole als Verzierung diente. Der junge Mann drehte den Kopf, betrachtete den Wagen, erwischte noch gerade seine Mütze, die ihm ein Windstoß heimtückisch entführen wollte, und ging dann seines Weges weiter.

Als die Halbchaise dann im Hofe hielt, wurde der fremde Herr vom Kellner in Empfang genommen, einem Menschen von solcher Flinkheit und Beweglichkeit, daß man auf keine Weise unterscheiden konnte, wie er von Angesicht beschaffen wäre. Dieser sehr lange Kerl in seinem fast genau so langen halbtuchenen Rocke, dessen Taille ihm beinah oben am Genick saß, schoß, die Serviette in der Hand, hurtig zur Tür heraus, er warf mit einem Ruck des Kopfes seine Haare aus der Stirn und führte, wiederum höchst hurtig, den fremden Herrn die Treppe hinauf und über eine endlos lange Holzgalerie, um ihn mit dem Gelaß bekannt zu machen, das ihm der Himmel zu bescheren willig war. Dies Zimmer unterschied sich von seinesgleichen so wenig, wie sich der Gasthof von anderen Gasthöfen in Provinzialhauptstädten unterschied, wo Reisende für zwei Rubel am Tag ihr ungestörtes Schlafgemach bekommen, mit ganzen dunkeln Trauben von Küchenschaben in den Ecken, und mit der obligaten Tür ins Nebenzimmer, vor der unfehlbar die Kommode steht. Und hinter dieser Tür, da haust der Nachbar, ein bescheidener Mann von sanftem Sinn und wenig Worten, doch mit einer fabelhaften Neugier ausgestattet und heißhungrig nach Aufklärung über die kleinsten Lebensumstände des neuen Gastes.

Das äußere Ansehen der Herberge entsprach dem Innern völlig; das Haus war einstöckig und endlos lang. Das unverputzte Erdgeschoß wies dem Beschauer dunkelrote Ziegel, die schon von jeher schmutzig angehaucht gewesen und dann durch Wind und Wetter immer schwärzlicher geworden waren; der erste Stock trug eine gelbe Tünche, wie überall; und unten gab es kleine Läden, wo Pferdegeschirr und Seilerwaren, sowie Wasserkringel feilgehalten wurden. Im Eckladen oder vielmehr in seinem Fenster hauste ein Würztrunkhändler mit einer Teemaschine aus rotem Kupfer und einem gleichfalls rot wie Kupfer glänzenden Gesicht; von weitem hätte einer meinen können, es stünden gleich zwei Teemaschinen auf dem Fensterbrett, wenn nicht das eine rote Ding von einem Bart, so schwarz wie Pech, umrahmt gewesen wäre.

Während der fremde Herr das Zimmer ansah, wurde sein Gepäck heraufgebracht: zuerst ein Felleisen aus weißem Leder, das ziemlich abgewetzt aussah und sicher nicht die erste Reise tat. Die mit dem Felleisen hereingepoltert kamen, waren der Kutscher des Herrn, mit Namen Selifan, ein untersetzter Mensch in kurzer Pelzjacke, und Petruschka, der Diener, ein mürrischer Gesell von dreißig Jahren mit dicken Lippen und sehr dicker Nase, in einem ihm zu großen schäbigen Rock, der sicher früher einmal seinem Herrn gehört hatte. Dem Felleisen folgten eine kleine Mahagonikassette mit Birkenholzintarsien, ein Paar Stiefelhölzer und ein in blaues Packpapier geschlagenes kaltes Brathuhn. Als dies geschehen war, begab sich Selifan zu seinen Pferden in den Stall, während der Diener Petruschka im engen Vorraum seine Zelte aufschlug. In diese dunkle Kammer hatte er gleich anfangs seinen Mantel und einen ganz besondern, nur ihm eigenen Geruch gebracht, der auch dem Sack mit seiner Domestikengarderobe anhaftete, den er nunmehr hereintrug. Alsbald schob er ein schmales, dreibeiniges Feldbett an die Wand und legte eine Art Matratze drauf, die flachgedrückt und dünn war wie ein Pfannkuchen, auch fast so fettig wie der Pfannkuchen, den die Bedientenseele jetzt schon glücklich von dem Herbergswirt ergattert hatte.

Während sich sein Gesinde so einrichtete und eifrig tätig war, begab der fremde Herr sich in den Speisesaal. Die Stimmung solcher Speisesäle kennt jeder Reisende genau: ewig die gleichen ölgestrichenen Wände, oben vom Pfeifenrauch geschwärzt und unten blankgescheuert von den Rücken der Reisenden, mehr aber wohl noch von den Schulterblättern der eingebornen Kaufleute, die hier an Markttagen selbsechst und -siebent beieinandersitzen und sich die altgewohnten drei, vier Tassen Tee schön langsam zu Gemüte führen; ewig der gleiche verräucherte Plafond, der gleiche verräucherte Kronleuchter mit den hundert baumelnden Glasprismen, die lustig klingelnd tanzen, wenn der Kellner über den abgetretenen Wachstuchteppich läuft und mit den beiden Händen sorgenvoll das Teebrett balanciert, auf dem gedrängt die Tassen stehen, so zahllos wie am Meeresstrand die Möven; ewig die gleichen Ölgemälde über die ganze Wand. – Auch hier war alles genau wie überall, bloß mit dem Unterschied, daß auf dem einen Bilde eine Nymphe abgemalt war, die sich so unwahrscheinlich üppiger Brüste rühmen durfte, wie sie der wohlgeneigte Leser in seinem Leben sicher nie erblickt hat. Derartigen Naturspielen begegnet man ja nicht so selten auf jenen merkwürdigen Historienbildern, von denen kein Gelehrter weiß, zu welcher Zeit, aus welchen Himmelsstrichen und durch wessen freundliche Bemühung sie eigentlich in unser Heimatland gekommen sind. Manche davon mögen ursprünglich wohl unsere Herren Kunstfreunde aus adligem Geschlecht auf Anraten ihrer gewiegten Reisemarschälle da drunten in Italien erstanden und zur Verschönerung ihrer guten Stuben heimgesendet haben.

Der fremde Herr nahm seine Mütze ab und schälte dann den Hals aus einem regenbogenbunten Wollschal. Glücklichen Ehemännern pflegen ihre Gattinnen derartige Schals mit eigener Hand zu stricken, wobei sie es an passenden Belehrungen nicht fehlen lassen, wie man die Dinger richtig um den Hals drapiert. Auf welche Weise Hagestolze wohl zu solchen Herrlichkeiten kommen, das ist mir nicht bekannt, Gott mag es wissen, – ich für mein Teil habe nie so einen Schal getragen. Als der Herr sich ausgewickelt hatte, bestellte er ein Mittagessen. Und es wurden ihm nun in schneller Folge die Gerichte serviert, die man in solchen Gasthöfen bekommt: Kohlsuppe mit ein paar von jenen in Butterschmalz gebackenen Pastetchen, die gleich für ein paar Wochen auf Vorrat angefertigt werden, paniertes Hirn mit grünen Erbsen, Würstchen mit Sauerkohl, ein Brathuhn mit Salzgurken und schließlich der ewige, jedoch nicht ewig frische Allerwelts-Blätterteigkuchen. Während ihm dies alles aufgewärmt oder auch schlechtweg kalt serviert wurde, richtete der Fremde hundert überflüssige Fragen an den Kellner: wem der Gasthof früher gehört hätte, wie der jetzige Besitzer heiße, wie die Geschäfte gingen, und ob der Wirt ein »recht geriebener Gauner« sei. Auf letztere Frage hin versicherte der dienstbare Geist nach guter Kellnersitte:

»Ein ganz geriebener Gauner, Herr!«

Genau so wie im aufgeklärten Westeuropa, gibt es heute im aufgeklärten Rußland viele ehrenwerte Leute, die im Gasthause keinen Bissen zu sich nehmen können, ohne sich mit dem Personal zu unterhalten oder gar ein bißchen neckisch Schindluder mit ihm zu treiben. Was unsern Reisenden betrifft, so stellte er durchaus nicht müßige Fragen: nein, er erkundigte sich äußerst gründlich nach den Namen des Regierungspräsidenten, des Gerichtsdirektors, des ersten Staatsanwalts, – kurz, er ließ keinen von den höheren Beamten aus; noch gründlicher, man kann wohl sagen, mit der wärmsten Anteilnahme, erkundigte er sich nach jedem ansehnlicheren Gutsbesitzer: wieviel leibeigene Bauern er besäße, wie lange man von hier bis auf sein Gut zu fahren habe, was für ein Mensch er selber wäre, und ob er häufig in der Stadt zu treffen sei. Interessiert forschte er auch nach dem Gesundheitszustande des Kreises, nach Seuchen, wie zum Beispiel Nervenfieber, schwarze Pocken und dergleichen, und verlangte in dieser Hinsicht so genaue Auskunft, daß dahinter mehr als einfache Neugier stecken mußte. Die Manieren des fremden Herrn atmeten eine große Respektabilität; auch schneuzte er sich ganz bemerkenswert geräuschvoll. Wie er es anstellte, vermag ich nicht zu sagen, aber seine Nase gellte dabei wie die Posaunen von Jericho. Diese an sich vollkommen harmlose Eigenheit diente dazu, dem Kellner eine besondere Hochachtung einzuflößen; sobald er diesen Laut vernahm, warf er mit einem kurzen Ruck des Kopfes seine Haare aus der Stirn, stellte sich stramm, neigte den Kopf und fragte schnell:

»Befehlen, Herr . . .

Als er gegessen hatte, trank der Fremde eine Tasse Kaffee und setzte sich dann auf den Diwan, wobei er sich eins jener Kissen hinters Kreuz schob, wie man sie nur in russischen Gasthöfen findet, – Kissen, die statt mit elastischer Wolle scheinbar mit so etwas wie Ziegelsteinen und Bachkieseln gestopft sind. Doch fing er bald zu gähnen an und ließ sich auf sein Zimmer führen, wo er sich niederlegte und zwei Stunden lang fest schlief. Nachdem er sich so ausgeruht, ersuchte ihn der Kellner, zwecks vorschriftsmäßiger Meldung bei der Polizei seinen Stand und Namen auf einem Zettel zu verzeichnen, was denn auch geschah. Während er dann langsam die Treppe hinunterstieg, buchstabierte der Kellner sich das Nationale des Gastes von dem Stück Papier: »Kollegienrat Pawel Iwanowitsch Tschitschikow, Gutsbesitzer, in eigenen Angelegenheiten.«

Aber er war mit Buchstabieren noch nicht fertig, als Herr Tschitschikow bereits das Haus verlassen hatte. Er machte einen Orientierungsrundgang durch die Stadt und fand an ihr nichts auszusetzen. Er mußte rückhaltlos bekennen, daß sie hinter andern Provinzialhauptstädten keineswegs zurückzustehen brauchte. Mit leuchtend gelber Tünche prangten die steinernen Gebäude, bescheiden graue Kleider trugen die von Holz. Die Häuser waren einstöckig, zweistöckig oder anderthalbstöckig, mit dem beliebten Mezzaningeschoß, das unsere Provinzbaumeister offenbar für ganz besonders reizvoll halten. Es gab hier Viertel, wo die Häuser einsam und verloren an endlos breiten Straßen zwischen unendlich langen Bretterzäunen standen, es gab auch Viertel, wo sie sich statt dessen eng zusammendrängten; und hier zeigte sich dann auch mehr Leben und Verkehr. Von regenverwaschnen Ladenschildern grüßten gemalte Riesenkringel, Wasserstiefel, an einer Stelle ferner eine blaue Hose mit der Unterschrift »Arschauer Schneider«; über einem Fenster voll Kappen und Mützen gab sich ein Mann namens Wassili Fjodorow für einen »englischen Hutmacher« aus; irgendwo war auch ein Billard abgemalt benebst zwei Spielern in sehr schönen Fräcken von der Art, wie sie auf unseren Theatern die Statisten tragen, die meist im letzten Akt als »Gäste« auf der Szene herumzustehen pflegen. Die Spieler zielten mit den Queuen, ihre Arme waren nach rückwärts ausgerenkt, und ihre krummen Beine wirkten, als hätten sie gerade einen Entrechat gemacht. Und unter diesem Bilde stand: »Hier werden geistige Getränke verabfolgt.« An manchen Stellen waren Tische mit Nüssen, Seife oder Pfefferkuchen, bei denen man gleichfalls an Seife denken mußte, ganz einfach aufs Trottoir gestellt; eine Garküche hatte einen dicken Fisch, dem eine Gabel eingerammt war, auf dem Schild. Am häufigsten jedoch erblickte man die altersschwarzen, zweiköpfigen Reichsadler, die heutzutage die fortgeschrittene Zeit schon größtenteils durch die lakonische Inschrift »Branntweinausschank« abgelöst hat. Das Pflaster war überall von ziemlich mäßiger Beschaffenheit. Herr Tschitschikow besichtigte auch den Stadtpark, in welchem dünne Bäumchen standen, die traurig hinkümmerten, ein jedes von drei Pfählen gestützt, die hübsch mit grüner Ölfarbe gestrichen waren. Obgleich nun diese Bäumchen nicht viel höher waren als gut gewachsenes Schilfrohr, hatte es bei der Beschreibung einer italienischen Nacht in der Zeitung geheißen: »Unsere Stadt dankt den Bemühungen des städtischen Oberhauptes ihre Verschönerung durch einen Park, dessen breitästige und schattige Bäume uns an heißen Tagen labende Kühlung spenden«, und weiter: »Es war ein ergreifendes Bild, wie sich die Herzen der Bürger in überströmender Dankbarkeit zusammenkrampften und die Erkenntlichkeit für den Herrn Bürgermeister kein Auge trocken ließ.«

Bei einem Schutzmann erkundigte sich Herr Tschitschikow auf alle Fälle genau danach, wie man von hier am schnellsten zum Dom, zu den wichtigsten Ämtern, sowie zur Wohnung des Regierungspräsidenten käme, und ging dann an den Fluß, der mitten durch die Stadt fließt, um sich auch den ein Weilchen anzuschauen. Auf dem Weg dorthin riß er von einem Zaunpfahl einen Theaterzettel ab, weil er ihn dann daheim in aller Ruhe durchstudieren wollte. Nachher fixierte er sehr stark gefesselt eine Dame von angenehmem Äußeren, die ihm auf dem bretterbelegten Trottoir entgegenkam, gefolgt von einem kleinen Diener in militärischer Livree, der ihr ein Päckchen nachtrug. Endlich schaute er noch einmal scharf nach allen Seiten, als wolle er sich die Örtlichkeit genauestens einprägen, und ging wieder heim, geraden Weges auf sein Zimmer, vom Kellner dienstfertig die Treppe zu der Galerie emporgeleitet. Als er dann seinen Tee getrunken hatte, setzte er sich an den Tisch, ließ eine Kerze bringen, zog den Theaterzettel aus der Tasche und begann zu lesen, wobei er das rechte Auge etwas zukniff. Atemraubend interessante Dinge standen nicht gerade auf dem Zettel. Es wurde ein Stück von Kotzebue gegeben, in dem ein Herr Papljowin den Rolla und Demoiselle Sjäblow die Cora spielte. Die anderen Personen konnten einem womöglich noch gleichgültiger sein. Trotzdem las Tschitschikow das ganze Verzeichnis Zeile für Zeile durch, unterrichtete sich außerdem über den Preis eines Sitzplatzes im Parterre und nahm zur Kenntnis, daß der Zettel in der Typographischen Anstalt der Provinzialverwaltung gedruckt war. Endlich wendete er das Blatt, um sich zu überzeugen, ob nicht auch auf der Rückseite noch etwas stünde; als sich jedoch erwies, daß dies nicht der Fall war, rieb er sich die Augen, faltete das Papier sorgfältig zusammen und tat es in seine Kassette, wohin er alles zu stecken pflegte, was ihm auf solche Art der Zufall in die Hände spielte. Den Beschluß des Tages bildeten, wenn ich recht berichtet bin, eine Portion kalten Kalbsbratens, eine Flasche Weißbier und ein richtiger »Nachtwächterschlaf«, wie man in manchen Gegenden des weiten Reußenlands zu sagen pflegt.

Der ganze nächste Tag gehörte den Visiten. Der fremde Herr machte bei sämtlichen Honoratioren der Stadt Besuch. Zunächst wartete er dem Regierungspräsidenten auf und fand in diesem einen Herrn von seiner eigenen Statur, nicht dick, und auch nicht dürr. Er war mit der Klasse des Annenordens dekoriert, die um den Hals getragen wird, und man munkelte sogar, er wäre für den Stern des gleichen Ordens vorgeschlagen. Im übrigen war er eine Seele von einem Menschen und befaßte sich sogar mit eigenhändigen Broderien auf Tüll. Des weiteren besuchte Tschitschikow den Vizepräsidenten, den ersten Staatsanwalt, den Gerichtsdirektor, den Polizeimeister, den Branntweinpächter, sowie auch den Inspektor der staatlichen Fabriken . . . Es ist leider nicht leicht, alle Gewaltigen dieser Erde im Kopfe zu behalten . . . Na, kurz und gut: unser Reisender entwickelte bei dem Visitenmachen einen höchst bemerkenswerten Eifer. Er beehrte sogar den Kreisphysikus und den Stadtbaumeister. Und nachher saß er noch eine ganze Weile in seiner Halbchaise und zerbrach sich den Kopf darüber, wen etwa er nun noch besuchen könnte; aber er hatte alle Beamten der ganzen Stadt schon hinter sich gebracht. In der Unterhaltung mit diesen Machthabern verstand er es ganz meisterlich, jedem der Herren etwas Schmeichelhaftes zu versetzen. Beim Präsidenten ließ er so ganz nebenbei einfließen, daß man sich auf der Reise durch seinen Bezirk fast wie im Paradiese vorkäme, die Straßen wären glatt wie Samt; uneingeschränktes Lob gebühre der Reichsregierung, weil sie Männer von solcher Tüchtigkeit auf ihre höheren Beamtenposten setze. Dem Polizeimeister sagte er viele angenehme Dinge über die städtischen Schutzleute; und im Gespräch mit dem Vizepräsidenten und dem Gerichtsdirektor, die beide erst Staatsräte waren, irrte er sich in der Zerstreutheit zweimal und redete sie mit »Exzellenz« an, was ihnen süß wie Zucker schmeckte. Die Wirkung davon war, daß der Regierungspräsident den Fremden bat, am gleichen Tag noch einer kleinen Abendgesellschaft in seinem Hause beizuwohnen, und daß es auch die anderen Beamten sich nicht nehmen ließen, ihn zu sich zu bitten, der eine zum Mittagessen, der andere zu einem Partiechen Boston und der dritte zu einer Tasse Tee.

Über sich selber schien der Reisende nicht gern viel Worte zu verlieren. Sprach er trotzdem einmal von sich, so tat er es in ziemlich unbestimmten Ausdrücken, mit augenfälliger Bescheidenheit; dabei bediente er sich ziemlich papierner Wendungen. Wenn man ihn hörte, war er auf dieser Erde ja nur ein unbedeutender, geringer Wurm, nicht wert, daß man ihm viel Beachtung schenke. Er hätte manches Schwere durchgemacht und auch im Staatsdienst seiner Überzeugung wegen Verfolgungen erdulden müssen. Leider besäße er viel Feinde, die ihm sogar im wahren Sinn des Wortes nach dem Leben trachteten. Jetzt aber habe er den ewigen Hader satt und sehne sich nach einem Fleckchen Erde, wo er in Frieden Hütten bauen könne. Da er nun einmal in die Stadt gekommen sei, hätte er es für seine klare Pflicht gehalten, ihren obersten Würdenträgern seine vollkommene Ehrerbietung auszudrücken.

Das war alles, was man in der Stadt N. von diesem neuen Mann erfuhr, der sich's im übrigen nicht nehmen ließ, bei der erwähnten kleinen Abendgesellschaft im Haus des Präsidenten zu erscheinen. Die Vorbereitungen zu diesem Feste nahmen ihm reichlich zwei Stunden weg, und hierbei verwendete der Fremde eine Sorgfalt auf seine Toilette, wie man sie in gar vielen Städten dieser Erde gewiß noch nie gesehen hat. Nach einem kurzen Mittagschlaf bestellte er sich Waschwasser und rieb sich seine beiden Backen lange Zeit mit Seife, wobei er noch von innen mit der Zunge gegendrückte; dann prustete er dem Kellner, der wartend vor ihm stand, scherzhaft zweimal gerade ins Gesicht, nahm ihm das Handtuch von der Schulter und wischte sich, hinter den Ohren anfangend, wie sich's gehört, sein rundliches Gesicht sorgfältig ab. Dann stellte er sich vor den Spiegel, knöpfte das Chemisettchen an, riß sich zwei Härchen aus, die ihm vorwitzig aus der Nase lugten, und stand, hast du mir nicht gesehn, in einem preißelbeerroten Frack mit helleren Pünktchen da. Als er sich so in Gala geworfen hatte, fuhr er in seiner eigenen Equipage durch die endlos breiten Straßen, die spärlich durch den Lampenschein erhellt wurden, der hier und da aus einem Fenster fiel. Nun, dafür war das Haus des Präsidenten auch so wunderbar beleuchtet, als würde dort ein Ball gegeben: Kaleschen mit Laternen vor dem Haus, ein paar Gendarmen an der Freitreppe, Rufe von Vorreitern schon aus der Ferne her vernehmbar, – kurz, alles nobel und wie sich's gehört. Beim Eintritt in den Saal mußte Herr Tschitschikow für einen Augenblick die Augen schließen, denn wahrhaft angsterregend war der Glanz der Kerzen, der Lampen und der Damenkleider. Und schwarze Fräcke wimmelten auf diesem lichten Grund, hier einzeln, dort in dichten Schwärmen. So wimmeln muntere Fliegen zur heißen Sommerzeit, im Juli, über den blitzenden Hutzucker, wenn ihn die alte Köchin hackt und ihn am offnen Fenster in schneeigweiße Brocken teilt. Die Kinder sammeln sich im Kreis und machen die Augen rund und folgen gierig jeder Bewegung ihrer schwieligen Hand, die fest im Takt den Hammer schwingt. Doch aus der Höhe stürzen, vom leichten Wind herbeigetragen, die Luftgeschwader hurtiger Fliegen nieder, so frech und keck, als wäre dies ihr Reich. Sie wissen, daß die Alte ohnehin fast nichts mehr sieht, und daß ihr noch der Sonnenschein die Augen blendet, – so wimmeln sie denn unbekümmert über die leckeren Stücke, hier einzeln, dort in dichten Schwärmen. Im Grund sind sie ja satt, – deckt ihnen doch der reiche Sommer auf Schritt und Tritt üppig bestellte Tafeln. Es ist auch gar nicht Lust am Naschen, was sie hertreibt, – nein, sie wollen sich nur zeigen. Sie promenieren auf dem Zuckerberge auf und nieder, sie reiben ihre Vorderbeine oder auch die Hinterbeine aneinander, sie streichen sich die Unterseiten ihrer Flügel glatt, sie tun mit ihren Vorderfüßen so, als wollten sie sich selbst den Kopf abreißen; dann machen sie auf einmal eine jähe Wendung, fliegen davon und kehren bald darauf mit neuen klebrigen Geschwadern auf den weißen Berg zurück.

Tschitschikow hatte sich noch gar nicht richtig umsehen können, da faßte ihn auch schon der Präsident am Arm und stellte ihn der Präsidentin vor. Und wieder wahrte der Fremde den feinsten Takt: das Kompliment, das er der Dame sagte, war ganz genau so, wie es sich für einen Junggesellen mittleren Alters ziemt, der, ohne grade auf den Höhen der Gesellschaft zu wandeln, doch immerhin auch keine bloße Null ist. Als sich die Paare dann zum Tanze ordneten und die gesetzteren Leute rings an die Wände drängten, stand Tschitschikow, die Hände auf dem Rücken, ein paar Minuten da und musterte die Tänzer mit tiefsinniger Aufmerksamkeit. Viele der Damen prangten in hübschen, modischen Toiletten, die andern trugen eben, was nach Gottes gnädigem Ratschluß in so einer Provinzialhauptstadt zu haben ist. Von Männern gab es hier, wie überall, zwei ganz verschiedene Sorten. Da waren erst einmal die Dünnen, die lebhaft um die Damen herumscharwenzelten. Manche von diesen Herren konnte man wirklich kaum von richtigen Petersburgern unterscheiden, – so kleidsam abgezirkelt und so wundervoll gekräuselt waren ihre Favoris, wenn sie es nicht vorzogen, ihre hübschen, schmalen Gesichter völlig glatt rasiert zur Schau zu stellen. Sie ließen sich nonchalant neben den Damen auf das Sofa sinken, sie sprachen ein geläufiges Französisch, sie machten die errötenden jungen Mädchen kichern, wie es ein Löwe des Salons in Petersburg nicht besser könnte. Ein völlig anderer Schlag waren die Dicken und die von Tschitschikows Statur, die also nicht gerade dick, aber doch auch nichts weniger als mager waren. Die Sorte Herren führte sich ganz anders auf als jene Dünnen: sie sahen die Damen mit scheelen Augen an und gingen ängstlich im Bogen um sie herum; dafür warfen sie sehr fleißig Blicke in die Nebenräume, ob nicht irgendwo ein Diener des Herrn Präsidenten den grünen Tisch für ein Partiechen Whist aufschlüge. Sie hatten volle, wohlgerundete Gesichter, die bei manchem von ihnen Warzen, und bei diesem oder jenem Pockennarben zeigten; sie kämmten sich nicht Tollen, drehten sich nicht Löckchen, sie trugen ihre Haare nicht »auf Teufel komm heraus«, wie die Franzosen sagen; nein, ihre Haare waren kurz geschoren oder mit Wasser glatt gebürstet, die Linien ihrer Gesichter hatten etwas Derbes und zugleich Verschwommenes. Dies waren die Führenden der Stadt. Ach ja, die Dicken verstehen sich in dieser Welt viel besser auf das, was ihnen frommt, als all die Helden von der schlanken Taille. Die Dünnen sind meist bloß »Beamte zu besonderen Aufträgen«, oder gar nur »zu späterer Verwendung vorgemerkt«, sie werden in keiner Stellung richtig warm, und ihre Existenz ist ganz merkwürdig unsolid und zweifelhaft. Die Dicken findet man im Gegensatz dazu niemals auf aussichtslosen Nebenposten, sondern stets auf dem breiten, graden Weg, der in die höheren Regionen führt; und sitzen sie einmal auf einem Platz, so knarrt und biegt sich eher der Sessel unter ihrem Schwergewicht, als daß sie sich davon verdrängen lassen. Aus äußerem Glanze machen sie sich nichts; ihre Fräcke sind nicht so hinreißend geschnitten, wie es bei den Dünnen Brauch ist, doch dafür ruht der Segen Gottes blank in ihren Geldkassetten. Ein Dünner hat schon nach drei Jahren keinen Leibeigenen mehr, der nicht der Lombardbank verpfändet wäre; der Dicke aber, – sieh ihm zu: ganz ohne viel Geschrei erscheint auf einmal an dem einen Ende der Stadt ein Haus, das auf den Namen seiner Frau geschrieben ist, nicht lange danach am andern Ende der Stadt schon wieder solch ein Haus, dann folgt ein schöner Hof draußen vorm Tor und schließlich ein wohlarrondiertes Gut mit lebendem und totem Inventar. Zuletzt quittiert der Dicke sein Amt, nachdem er Gott und seinem Kaiser treu gedient und sich die allgemeine Hochachtung erworben hat; er zieht aufs Land und wird ein prächtiger russischer Krautjunker vom alten Schlag, der gern ein Haus macht. Ja, das heiße ich ein Leben, und kein schlechtes! Und stirbt er, nun, so erben seine Kinder; und ihnen, die wieder von der dünnen Sorte sind, fährt, nach echt russischem Brauch, das Vatergut alsbald per Extrapost in alle Winde.

Es läßt sich nicht verhehlen, daß Erwägungen von dieser Art durch Tschitschikows unsterbliche Seele gingen, während er aufmerksam die glänzende Gesellschaft musterte. Und auf Grund solcher Erwägungen machte er sich schließlich an die Gruppe der Dicken heran, wo er auch beinah lauter bekannte Gesichter traf. Da war der Staatsanwalt, ein ernsthafter und schweigsamer Mann mit dicken, schwarzen Brauen, der aber fortgesetzt mit seinem linken Auge zwinkerte, was fast so aussah, als ob er zu jedem sagen wolle: »Heda, alter Freund, komm doch mal mit ins Nebenzimmer, – ich muß dir was erzählen!« Dann waren da der Forstmeister, ein Männchen, klein von Wuchs, doch groß als Witzbold und als Philosoph, sowie der Herr Gerichtsdirektor, ein auffallend gescheiter und liebenswürdiger Mensch. Und jedermann begrüßte Tschitschikow wie einen alten Freund, und dieser dienerte ein bißchen ungeschickt, aber trotzdem mit großer Nettigkeit und sehr manierlich. Auch zwei Gutsbesitzer lernte er in diesem Kreise kennen: einen äußerst zutunlichen und herzlichen Herrn, namens Manilow, und einen scheinbar etwas ungehobelten Herrn Sabakewitsch, der ihm als erstes auf den Fuß trat und dazu sagte: »Bitte, entschuldigen . . .!« Dann wurde Tschitschikow gebeten, sich an einem Whistpartiechen zu beteiligen, was er mit einem artigen Kratzfuß dankend annahm. Man setzte sich um den grünen Tisch und blieb bis zum Souper dort sitzen. Jede Unterhaltung hatte mit einem Schlag ein Ende, wie es ja immer ist, wenn man sich an eine vernünftige Männerarbeit macht. Selbst der Postmeister, der doch ein überaus redseliger Herr war, hatte kaum die Karten in der Hand, als sich schon sein Gesicht in tiefe Denkerfalten legte; ernst schob er seine Unterlippe über die obere hinauf und ließ sie dort, bis man zu Tisch gebeten wurde und die Partie auf diese Art ihr Ende fand. Wenn er ein Honneur ausspielte, schlug er mit seiner Hand fest auf den Tisch und sagte, wenn es eine Dame war: »Vor mit der abgetakelten Pastorenwitwe!« oder wenn es ein König war: »Vor mit dem groben Bauern aus Tambow!« Und wenn der Präsident dann stach, so brummte er dazu: »Den pack' ich bei der Skalplocke! Den pack' ich bei der Skalplocke!« Ein anderer rief zum Beispiel: »Wo nichts ist, da ist nichts! Arme Leute kochen mit Wasser und spielen Carreau!« Dazwischen fielen Worte wie: »Coeur! Coeurchen! Herzcouleurchen! Piekerikiek!« oder auch: »Pickelhering! Pic de Teneriffa! Was piekt mich da?« oder kurzweg und humoristisch: »Piersch!« Das waren so die witzigen Wendungen, mit denen sie in ihrem Kreis die Namen der Farben travestierten. Nach jeder Runde wurde, wie das so üblich ist, aus vollem Hals gestritten. Auch daran nahm Tschitschikow mit Eifer teil, wußte es aber auf das raffinierteste so einzurichten, daß jeder zugestehen mußte, er stritt wohl mit, tat das jedoch auf eine ganz entzückend liebenswürdige Art. Er sagte nicht etwa schroff und kurz: »Sie spielten Treff«, sondern: »Sie hatten die Güte, Treff zu spielen; ich hatte den Vorzug, Ihre Zwei zu stechen«, und so fort. Um sich die Gegner noch gewogener zu machen, präsentierte er ihnen außerdem sehr häufig seine emaillierte silberne Tabaksdose, auf deren Grund des Wohlgeruches halber ein paar getrocknete Veilchen lagen.

Einer besonderen Aufmerksamkeit von seiten Tschitschikows durften sich die Gutsbesitzer Sabakewitsch und Manilow rühmen, von denen weiter oben schon die Rede war. Er zog, kaum daß er ihren Stand erfahren hatte, sogleich zwei andere von den Herren, den Gerichtsdirektor und den Postmeister, beiseite und richtete einige Fragen an sie, die nicht nur seiner Wißbegier, sondern auch seiner Gründlichkeit ein ehrenvolles Zeugnis ausstellten. Vor allem andern nämlich erkundigte er sich, wieviel »Seelen«, das heißt: Leibeigene, jeder der beiden Herren im Vermögen hätte, und ob sie tüchtige Ökonomen wären; erst dann erkundigte er sich noch einmal des genaueren nach ihren Namen. Im Handumdrehen hatte er die beiden Landwirte geradezu bezaubert. Der Gutsbesitzer Manilow, ein ziemlich junger Mann mit zuckersüßen Augen, die er beim Lachen zu ganz schmalen Strichen zusammenkniff, kannte sich selbst nicht mehr vor lauter Begeisterung für Tschitschikow. Er schüttelte ihm seine Hand wohl fünf Minuten lang und bat ihn dringlichst, er möchte ihm die Ehre schenken, ihn bald auf seinem Gute zu besuchen; es wären ja, so sagte er, nur fünfzehn Werst vom städtischen Schlagbaum aus. Tschitschikow erwiderte mit einer liebenswürdigen Verneigung und einem biederen Händedruck, es würde ihm nicht nur ein großes Vergnügen sein, seiner Einladung bald zu folgen, sondern er hielte das sogar für seine heilige Pflicht. Auch Sabakewitsch brummte ziemlich einsilbig so etwas wie: »Gleichfalls die Ehre . . .!« und scharrte dazu mit dem Fuß. Der aber steckte in einem Stiefel von so gigantischem Format, daß man schwer einen anderen Fuß, der dazu paßte, fände, und gar bei diesen kümmerlichen Zeiten, wo selbst im heiligen Reußenland die Hünen langsam auf den Aussterbe-Etat geraten sind.

Am nächsten Tag war Tschitschikow zum Mittag- und zum Abendessen beim Polizeimeister geladen. Hier fing das Whistspiel nachmittags um drei Uhr an und dauerte bis zwei Uhr nachts. Dabei lernte er unter anderen einen Gutsbesitzer Nasdrjow kennen, einen zappeligen Herrn von etwa dreißig Jahren, der ihn gleich nach den ersten Worten zu duzen anfing. Auch mit dem Polizeimeister und dem Staatsanwalt stand sich Nasdrjow auf du und du und war mit ihnen dick befreundet; doch als man dann ein bißchen hoch zu spielen anfing, gaben der Polizeimeister und der Staatsanwalt wie die Schießhunde auf seine Stiche acht und verschlangen jede Karte, die er ausspielte, höchst mißtrauisch mit ihren Augen. Den Abend darauf war Tschitschikow bei dem Gerichtsdirektor eingeladen, der seine Gäste, und darunter auch zwei Damen, in einem recht fettfleckigen Schlafrock empfing. Des weiteren gab es ein Abendessen bei dem Vizepräsidenten, ein großes Diner beim Branntweinpächter, hierauf beim Staatsanwalt ein kleineres Diner, das übrigens ein großes völlig aufwog, und schließlich noch ein Gabelfrühstück beim Bürgermeister, das ebenfalls ein Mittagessen aufwog. Kurz, Tschitschikow war keine Stunde lang daheim und kam in seinen Gasthof nur, um dort zu schlafen. Der Fremde fand sich überall sehr leicht zurecht und zeigte sich als kluger, weltbefahrner Mann. Man mochte reden, was man irgend wollte, – er wußte stets das Passendste dazu zu sagen. Sprach man von Pferdezucht, so äußerte er sich lichtvoll zur Pferdezucht; kam man auf Rassehunde, so erwies er sich auch darin sehr genau beschlagen; erörterte man irgendeinen Strafprozeß, so zeigte er, daß ihm juristische Spitzfindigkeiten auch nichts Fremdes waren; unterhielt man sich über das Billardspiel, so blamierte er sich mit seinen Anmerkungen zu diesem Thema nicht; gelangte etwa einmal die Tugend aufs Tapet, so wußte er auch über Tugend ein herzhaftes Wörtlein ins Gespräch zu werfen, wobei ihm ungelogen die hellen Tränen edel menschlicher Ergriffenheit die Lider feuchteten; erwog man die Aussichten der Branntweinbrennerei, so wußte er auch da erstaunlich gut Bescheid; und ging die Rede von Zollaufsehern oder Zollbeamten, so entwickelte er eine Sachkenntnis, als sei er selber jahrelang als Zollbeamter oder Zollaufseher angestellt gewesen. Doch wahrte er dabei mit unfehlbarem Takt stets vornehmste Zurückhaltung und zeigte sich als Mann von blendenden Manieren. Er sprach niemals zu laut und nie zu leise, sondern immer in dem einzig angemessenen Ton. Kurz, man konnte ihn drehn und wenden, wie man wollte, – er war und blieb ein vorbildlicher Kavalier. Alle maßgebenden Beamten begrüßten ihn als höchst erfreuliche Bereicherung ihres Kreises. Der Präsident schätzte ihn als wohlgesinnten Mann; der Staatsanwalt nannte ihn einen tüchtigen, der Polizeioberst einen hochgebildeten, der Gerichtsdirektor einen kenntnisreichen und uranständigen, der Polizeimeister einen uranständigen und sehr liebenswürdigen, die Polizeimeisterin einen ungewöhnlich liebenswürdigen und fabelhaft geistvollen Mann. Selbst Sabakewitsch, der doch beinahe niemals gut von jemand sprach, konnte das diesmal nicht vermeiden. Er kehrte mitten in der Nacht nach Hause zurück und begab sich gleich zur Ruhe. Und als er neben seiner klapperdürren Frau im Bette lag, da sagte er:

»Du, Mutti, es gab da ein Abendessen beim Regierungspräsidenten und ein Diner beim Polizeimeister; da hab' ich einen Kollegienrat Tschitschikow kennen gelernt, – wirklich ein netter Mensch!«

»Hm,« antwortete die Frau Gemahlin und gab ihm einen Schubs mit ihrem Knie.

So lautete das Urteil über unsern Fremden einstimmig äußerst schmeichelhaft. Und dabei wäre es sicher auch geblieben, hätte man sich nicht plötzlich über Herrn Tschitschikow Dinge ins Ohr zu tuscheln angefangen, die mehr als sonderbar erscheinen mußten. Es handelte sich dabei um ein geheimnisvolles Unternehmen, dessen nähere Umstände wir dem geneigten Leser nicht vorenthalten werden, – um eine richtige »Passage«, wie man in der Provinz zu sagen pflegt. Und dies veranlaßte denn allerdings ein höchst bedenkliches Kopfschütteln in dem Kreis der neuen Freunde und Bekannten unseres Helden.

 


 << zurück weiter >>