Johann Nikolaus Götz
Die Gedichte Anakreons und der Sappho Oden
Johann Nikolaus Götz

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Anakreons Oden.

I.
Auf die Leyer.

    Ich möchte die Atriden,
Ich möcht' auch Kadmus preisen;
Doch meiner Leyer SaitenMan weis nicht, was βάρβιτος für ein musikalisch Instrument gewesen. Anakreon, nach dem Berichte einiger alten Schriftsteller, war selbst der Erfinder desselben. Andere geben die Ehre einem gewissen Terpander. Es war mit der Leyer einerley; oder doch nicht sehr davon unterschieden, weil Anakreon βάρβιτος und λύρη, als gleichgültige Wörter gebraucht. Der Scholiast des Horaz nennt es: lyram septichordem eburneam.
Ertönen nur von Liebe.
Ich wechselte noch neulichWenn die Poeten etwas nicht gemeines besingen wollten, so pflegten sie zu sagen, daß sie ihre Leyer mit neuen Saiten bespannet hätten.
Die Saiten, nebst der Leyer,
Und sang von Herkuls Thaten.
Allein die Leyer schnarrte
Von Liebe stets entgegen.
So lebt denn wohl ihr Helden;
Denn meine Leyer tönet
Von Liebe, nur von Liebe.Diese Ode dienet statt einer Vorrede zu den folgenden. Sie lehret uns, daß Anakreon dem natürlichen Hange seines Geistes gefolget sey, als er seine anmuthige Gedichte schrieb, und daß er vielleicht unberühmt geblieben wäre, wenn er seinen Flug in die Höhen der Epopee gewagt hätte. Die Natur, die Fontainen erzehlen, Boileau Satiren schreiben, Columben und Galiläen Welten suchen, den Eugen ein Kriegsheer anführen, und Wolfen die Wahrheit ganz nakt sehen lehrte: die lehrte ihn von Wein und Liebe singen. Dies war sein Erbtheil, wie Chaulieu, wie Uz, der Dichter der Gratien zu seyn. 5

 

II.
Auf das schöne Geschlecht.

    Gott gab den Stieren Hörner;
Den Hengsten starke Hufe;
Den Haasen schnelle Läufte;
Den Löwen weite Rachen,Der Verfasser des Antimachiavells gab, vermittelst dieser Vorstellung eines ofnen Rachens, seiner Rede ungemein viel Leben, wenn er in dem 20sten Abschnitte also spricht: Frankreich gleichet auf der Seite, wo es an Deutschland grenzet, wegen seiner vielen Festungen einem aufgesperrten Löwenrach'n, der zwo Reihen drohender Zähne weiset, und bereit zu seyn scheinet, alles zu verschlingen.
Mit Zähnen stark besetzet;
Den Vögeln leichte Schwingen;
Den Männern gab er Klugheit.
Allein dem Weibe keine.Diese Uebersetzung verträgt sich sehr wohl mit dem Grundtexte, und macht den Gedanken Anakreons scherzhaft, satirisch und deutlich. So, wie es die Frau Dacier gegeben hat: Fürs Weib war nichts mehr übrig, widerspricht es dem folgenden. Denn die Natur war so arm nicht, weil sie noch die Schönheit zu verschenken hatte.
Was gab man ihm denn? Schönheit.Die fünf lezten Zeilen heilen die Wunde wieder, die Anakreon durch den satyrischen Pfeil gemacht hatte, den er in der vorigen Zeile auf das schöne Geschlecht abschoß.
Die schüzt es wider Schilde,
Und wider alle Schwerdter.
Und beydes Stahl und Feuer
Bezwingt die blosse Schönheit. 7

 

III.
Auf Amorn.

    Jüngst um Mitternacht, wenn Arktos
Vor Bootens Hand sich drehet,
Und von Arbeit überwältigt,
Alle Welt im Schlafe lieget:
Schlug Kupido mit dem Klopfer
An die Thüre meines Hauses.
Wer, so rief ich, raßelt drausen?Im Griechischen hört man das Raßeln: Τίς, ἔφη, ϑύρας ἀράσσει?
Du verjagst ja meine Träume!
Oefne mir, war Amors Antwort.
Fürchte nichts: ich bin ein Knabe,
Welcher ganz von Regen triefet,
Und im Finstern sich verirret.
Dieß bewegte mich zum Mitleid.
Gleich ergriff ich meine Leuchte,
Schloß ihm auf, und sah den Knaben,
Mit dem Bogen, und dem Köcher,
Und den Flügeln auf dem Rükken.
Als ich ihn zum Feur gesetzet,
Wärmt ich seine kalten FingerWas für eine angenehme, und ihm selber vortheilhafte Idee macht uns Anakreon allhier von seiner Gutherzigkeit, von seiner Gefälligkeit und sanften Manieren. Diese gelben Locken, aus welchen er das Regenwaßer drückt, machen Amorn in unserer Einbildung überaus schön.
Selbst in meinen hohlen Händen;
Und aus seinen gelben Locken
Drückt' ich ihm das Regenwasser.
Als ihn nun der Frost verlassen,
Sprach er, lasset uns versuchen,
Ob die naßgewordne SehneMan hat sich hier der Verbeßerung des Herrn Dacier bedienet, der diese Stelle also liest:
        Φέρε, φησὶ, πειράυωμεν
        τόδε τόξον, εἰ τί μοι νῦν
        βλάβεται βραχεῖσα νευρή

Meines Bogens nicht verdorben!
Darauf spannet er den Bogen,
Und durchbohrt, gleich einer Wespe,Die anakreontische Ode liebt keine lange ausgeführte Gleichniße, dergleichen Homer, Pindar, Horaz, haben. So klein dieses Gleichnis ist, so anmuthig und geschickt ist es, die schnelle und schmerzhafte Wirkung des Pfeiles, und die Bosheit Amors ins Licht zu setzen.
Mir das Herz, recht in der Mitte,Im Griechischen heißt es: er durchbohrt mir die Leber in der Mitte. Die Alten waren der Meynung, daß der Siz der Liebe die Leber sey.
        – – Amor et libido
        Saeviet circa jecur ulcerosum.
                            Horat.

    La Fontäne hat im ersten Teile seiner Erzehlungen diese Ode Anakreons nachgeahmet. Jedoch werden Leute von feinem Geschmacke leicht gewahr werden, daß, so treflich seine Nachahmung auch ist, sie doch keinesweges allen Glanz und alle Feinigkeit des Originals erreicht habe. Ich unterstehe mich, nur einige Stellen anzuführen, worinnen ich glaube, daß Anakreon noch weit über ihm sey.
        J'étois couché mollement,
        Et contre mon ordinaire
        Je dormois tranquillement &c.

    Wie gemein und schläfrig sind diese Ideen nicht? Wie kann der Franzose sagen, Anakreon schlafe selten ruhig, der doch alle seine Nächte ohne Sorgen zubrachte.
    Hingegen wie poetisch ist der Grieche, den Lafontäne doch nachbildete? Wie ergözt er eure Phantasie durch anmuthige Bilder? Er zeigt euch die Mitternacht; den hellen Arktos in derselben glänzen; den Bootes, der hinter ihm nachfolget; eine ganze Welt.
    Der Franzose gedenket der Nacht nicht, als nur entfernter Weise, durch das Wort: Ich schlief. Anakreon mahlt euch dieselbe auf der anmuthigsten Seite, mit wenigen, aber lebhaften Zügen; und seine ganze Erzehlung wird durch diesen ersten Eindruck in die Einbildungskraft, dem Leser mehr Ergözen bringen, und deutlicher werden.
        Quand un enfant s'en vint, fairc
        A ma Porte quelque bruit.

    La Fontäne redet hier von einem Kinde, welches anklopft, ohne es zu nennen. Auf diese Art macht er die Leser begierig zu erfahren, was unter diesem Kinde verborgen sey.
    Anakreon nennt das Kind Amor, und versichert durch dieses Wort zum voraus, daß die Leser etwas von den feinen und berufenen Streichen dieses Gottes erfahren würden, das ihrer Aufmerksamkeit und Neugier würdig seyn solle.
    Beede Dichter erregen die Begierde des Lesers, was artigs zu vernehmen, und erreichen ihren Zweck; aber von dem Kinde, das ein Gott ist, hört man lieber erzehlen, als von einem andern. Der blose Nahme eines Gottes ermuntert und verdienet schon die Aufmerksamkeit eines Sterblichen.
        Il pleuvoit fort cette nuit:
        Le vent, le froid, et l'orage
        Contre l'enfant faisoient rage.

    Wer zweifelt daran, daß die Beschreibung des üblen Wetters im Munde des Knabens, der es ausgestanden hat, nicht beweglicher lauten, und mehr Mitleid erwecken sollte, als im Munde des Dichters.
        Ouvrez, dit-il, je suis nû.
    La Fontäne läst sein Kind nur diese Zeile reden, und es ist sehr natürlich, ein Kind mit langen Reden zu verschonen.
    Anakreons Amor spricht etwas mehr: aber alles,
was er spricht, ist ungekünstelt, beweglich, seiner Noth, und seinem Charakter gemäs. Es ist schon viel gesagt, ich bin nackt; aber dem, noch halb schlafenden, und von seinem Weine noch taumelnden Anakreon muste man mehr sagen, wenn er sich entschliesen sollte, sein weiches Lager zu verlaßen, um die Hausthüre zu öfnen.
    In der Griechischen Ode ist eine sehr schöne Stelle, die La Fontäne unnachgeahmet gelaßen, ob sie gleich seiner Erzehlung viel Leben und Anmuth hätte geben können. Als Anakreon aus dem Schlafe erwachte, und das Klopfen vor seiner Thüre hörete, rufete er: wer raßelt drausen? und sezt, voll Unwillen, daß man ihn aus der Ruhe gebracht hat, hinzu:
        Du verjagst ja meine Träume.
    Wie einfältig und poetisch sind doch diese Worte? wie fein charakterisiren sie den Wohllüstler, der alles vermieden wissen wollte, was die Reihe seiner Vergnügungen unterbrach. Gewiß, dieser Gedanke ist in seinem Zusammenhange vortreflich, und es kann einem Uebersezer verargt werden, der solche Stellen nicht empfindet, und also auch nicht nachahmt.
    Dem ohnerachtet wäre zu wünschen, daß Deutschland viele Geister besässe, die mit solchem Glücke, und mit so vieler Leichtigkeit, nachzuahmen wüßten, als la Fontäne. Es ist bekannt, daß die Fabeln des Aesopus, ihrer Einfalt unbeschadet, anmuthiger, lachender und lehrreicher geworden, indem sie durch die Hand dieses Franzosen gegangen, der die gemeinsten Redensarten, durch die Geschicklichkeit, womit er sie anwendete, angenehm und edel zu machen wuste.
    Zu dieser Nachahmung des la Fontäne füge ich eine andere, die mir gefallen hat:
    Ich ergieng mich in einer einsamen und melancholischen Gegend. Ein Knabe schlummerte daselbst unter Schatten. Es war Amor. Seine Reize nahmen mich ein. Ich trat näher. Ihr Götter! ich hätte ein Mißtrauen in dieselbe setzen sollen. Er hatte die Züge einer Ungetreuen, die ich, ewig zu vergeßen, geschworen hatte; ihre frische Lippen, ihre blendend-weisse Haut. Ein Seufzer entfuhr mir, und siehe! er erwachte. Eine Kleinigkeit kann den Amor aufwecken. Er entfaltete seine kleinen Fittiche, ergriff seinen mörderischen Bogen, floh, und verwundete fliehend, mit einem seiner Pfeile, mein Herz. Gehe, sagte er, gehe! zu Themirens Füsen auf das neue zu schmachten, auf das neue zu brennen. Du sollst sie lieben, weil du so verwegen gewesen, mich aufzuwecken.

Hüpfte lächelnd in die Höhe,
Sprach, o Wirth, sey mit mir frölich!
Sieh! mein Bogen ist noch schadlos;
Doch dein Herz wird Quaal empfinden. 14

 

IV.
Auf sich selbst.

Auf den jungen MyrtenzweigenDiejenigen, die sich verwundert haben, daß Anakreon auf Myrtenzweigen und Lotosblättern sanft habe ruhen können, müssen entweder von der Beschaffenheit dieses Lagers keinen rechten Begriff haben, oder weichlicher, als die Sybariten seyn, denen ein Rosenblatt, auf welches sie ohngefähr zu liegen kamen, Beulen drückte, und Schmerzen verursachte. Wenigstens hielt Virgil ein solches Lager von Zweigen nicht für unbequem, und einer seiner Schäfer glaubte seinem Freunde was zugute zu thun, wenn er ihm auf diese Art bettete:
    Heic tamen hanc mecum poteras requiescere noctem
    Fronde super viridi.
,
Auf den zarten Lotosblättern
Hingegossen, will ich trinken.
Amor soll mit Bast den MantelWie anmuthig, und neu ist das Bild, das uns der Grieche von Kupido macht? Dieß ist das erstemal, daß wir diesen Gott gekleidet sehen. Catull ahmet hierinne dem Anakreon nach in folgenden schönen, aus jenem Gedichte genommenen Versen, worinne er seinen Freund so zärtlich beweinet:
      Lux mea se nostrum contulit in gremium,
    Quam circumcursans hinc illinc saepe Cupido,
      Fulgebat crocina candidus in tunica.

Oben auf die Schultern binden,
Mir den Wein herbey zu reichenWie gros wird der Dichter nicht in unsern Augen, wenn wir sehen, daß ihm Amor unterthan ist, dessen Oberherrschaft alle Götter erkennen. Man kan hier von dem Anakreon sagen, was Voltäre von dem Abt Chaulieu sagt:
    Il osoit caresser les Dieux
    D'un air familier, mais aimable.
.
Denn das Leben fleucht von hinnen,
Wie ein rollend Rad am Wagen;
Und wenn dieß Gebein zerfallen,
Sind wir eine Hand voll Asche.
Und was hülfts, den Grabstein salben?Bey den Griechen war es zur Gewohnheit worden, Oehle und wohlriechende Wasser auf die Grabmähler und Bildsäulen der Verstorbenen auszugiessen. Diese Art der Opfer waren nach Anakreons richtigem Urtheile unnüzlich. Denn
    Mortuo qui mittit munus, nil dat illi, adimit sibi.

Und vergebens Specereyen
Auf den schwarzen Boden schütten?
Lieber salbe mich im Leben
    Es lassen sich die todten Fürsten balsamiren,
        Um desto länger todt zu seyn;
    Mich soll man nicht im Tode balsamiren;
        Ich balsamire mich mit Wein
                                Im Leben ein,
    Um desto länger lebendig zu seyn.
;
Schmücke dieses Haupt mit Rosen,
Und bestelle meine Freundin.
Amor, eh ich noch hinunter
Zu den Todestänzen wandreDie Nachfolger Anakreons scherzen, wie ihr Vater, bey gesunden Tagen, und so lange sie das Feuer eines guten Weines spüren, mit dem Tode sehr frey:
    »Was seh ich, ihr Götter, sang einer, welch Phantom stellt sich meinen Augen dar, und nezt seine dürren Finger in meinem Burgunder. Es ist die Parce, die meine Tage spinnt. Spinne, o Parce, spinne langsam. Fliese, holder Wein, fliese ewig. So lange du fliesen wirst, so lange spinnet die Parce.«
,
Heis ich alle Sorgen fliehen. 18

 

V.
Auf die Rose.

Laßt uns des Lyäus Gaben
Amors Rosen beygesellen!
Lasset uns die schönen Rosen
Rund um unsre Schläfe flechten,
Und sanftlächelnd munter trincken!
Rose, treflichste der Blumen!
Rose, du des Lenzen Sorge!Dieser Ausdruck, sagt die Frau Dacier, ist sehr niedlich. Er behauptet gleichsam, daß alle Beschäftigungen des Frühlings nur dahin abzielen, wie diese Blume möge verschönert werden. Es ist ausser allem Zweifel, daß die Griechen mehr Werks von der Rose, als von allen andern Blumen gemacht haben; und ich erinnere mich hiebey einer Stelle der Sappho, wo diese feuerreiche Dichterin, einem gewissen Mädgen sein bäurisches Wesen, und Mangel an Verstande recht empfindlich zu erkennen zu geben, gesagt hat: »Du hast ja niemahls Sträuse von Rosen gehabt, die auf den Gebürgen Pieriens wachsen, wo die Musen wohnen.«
Du bist auch den Göttern reizend;
Und der Venus Sohn bekränzet
Auch sein schönes Haar mit Rosen,
Tanzt er mit den Huldgöttinnen.
Drum bekränz auch mich, o Bacchus.
So will ich in deinen Tempeln
Auf der holden Leyer spielen,
Und mit wohlgewachsnen MädgenIm Griechischen heißt es: ich will mit Mädgen tanzen, die eine volle hohe Brust haben.,
Stolz, in Rosenkränzen, tanzen. 20

 

VI.
Die Maskerade.

Wir, die wir mit Rosenkränzen
Unsre Schläfe dicht bekränzen:Anakreon beschreibt hier eine Ergözlichkeit, die zu seiner Zeit sehr im Schwange gieng. Man verkleidete sich nemlich nach aufgehobener Mahlzeit; nahm junge Knaben zu sich, welche sangen, tanzten, und aus Instrumenten spielten. In diesem Aufzuge schwärmte man durch die Strasen, besuchte das Frauenzimmer, und den Gott der Feste. Dieß ist hinlänglich zu beweisen, daß der Gegenstand dieser Ode nicht die Rose ist, wie man nach der alten Aufschrift glauben sollte, sondern eine Vermummung.
Wir berauschen uns sanftlachend.
Seht dies Mädgen, nach der LeyerIm Grundtexte stehet: unter der Leyer, weil der, so sie rührte, erhaben saß, und auf die Zuseher herabsehen konnte.,
Mit dem Thyrsusstab in Händen,
Der von Epheukränzen schwirret,
Seine netten Füsgen regen!
Hört zugleich den schönen Knaben,
Den so zarte Locken zieren,
Dessen Mund so lieblich duftet,
Hell in seine Saiten singen!
Amor mit den goldnen Locken,
Schmauset, nebst dem holden Bacchus,
Und der schönen Cytherea
Frölich bey dem Festgott Komus,
Diesem Liebling muntrer Alten.Nichts kann mit mehr Zärtlichkeit des Geschmacks geschrieben seyn, als diese Ode. Die Bilder, die sie uns vorlegt, sind die anmuthigsten, und müssen allen Lesern gefallen. Wie reizend sind die netten kleinen Füse des Mädgens! wie mahlerisch der goldbelockte Amor! wie poetisch seine Gespielen, der Bacchus, die Venus, der Gott der Schmäuse, mit dem der Dichter selbst so viel Aehnlichkeit hat! Gefällt das Bild des tanzenden Mädgens, mit dem Thyrsusstabe den Jünglingen, so wird der Knabe mit den weichen Haarlocken die Mädgens entzücken. 22

 

VII.
Auf den Amor.

Mit einem LilgenstengelIch habe den Gedanken Anakreons den heutigen Zeiten beliebter zu machen geglaubt, wenn ich statt einer Ruthe von Hyacinthen, oder Schwerdtelblumen dem Amor einen Lilgenstengel in die Hand gäbe.
Zwang Amor mich, zu folgen,
Wohin er hurtig rannte.
Ich strich durch strenge Bäche,
Durch Wälder und Gebürge.
Da stach mich eine Schlange.
Mein Geist flog nach den Lippen,
Und wär ich bald erblasset.
Da rührt er meine Stirne
Mit seinen zarten Flügeln,
Und sprach: Willst du nun lieben?Lernet aus dieser Ode, wie man das Frauenzimmer unterrichten muß, wenn man gefallen will. Wie sinnlich sagt Anakreon, daß er dem Tode nahe gewesen: Mein Geist flog nach den Lippen. Wie anmuthig lehrt er euch, daß Amor ohne Pfeile und ohne Bogen die Herzen bändigen könne: er hat nur einen Lilgenstengel, und herrscht damit; die ihm entfliehen wollen, drückt er mit seiner Gegenwart; die den Nacken willig unter sein Joch beugen, mit denen gehet er sanft um: er rührt ihre Stirne mit seinen Flügeln, und sie genesen. 24

 

VIII.
Sein Traum.

Ich schlief, berauscht vom BacchusMan muß den Anakreon nach seinen Zeiten beurtheilen, wo der reichliche Gebrauch des Weins auf eine gewiße Art ein Gottesdienst, oder wenigstens etwas einem wohlgesitteten Menschen nicht unanständiges gewesen. Anakreon, wenn er sich einen Rausch getrunken hatte, blieb doch noch ein Weiser; es wäre denn, daß er das Alter noch nicht gehabt hätte, dem die Gesetze einen Rausch gestatteten. Denn also schreibt Plato: »Wenn Mannspersonen das vierzigste Jahr erreicht haben, so mögen sie mit mehrerer Freyheit den Gastmahlen beywohnen, und den Bacchus sowohl, als andere Götter, bey den Opfern und Spielen anrufen, der den Sterblichen den Wein, als eine Arzney gegen die Beschwerlichkeiten des Alters, gegeben hat, damit sie wiederum verjüngt werden, und alle Traurigkeit vergessen mögen – – – Wir erinnern aber Knaben, die noch nicht achtzehen Jahre alt sind, daß es gar nicht wohlgethan seye, Feuer zu Feuer zu giesen, ehe sie Männer geworden, und anfangen, sich der Arbeit und den Geschäften zu unterziehen; denn man muß bey der Jugend auf alle Art und Weise eine gewisse Raserey zu verhüten suchen. Nach dieser Zeit sollen sie sich des Weins in gehöriger Maaße bedienen, bis sie das dreysigste Jahr erreichet haben; von der Trunkenheit und Überfüllung aber sollen sich Jünglinge ganz und gar enthalten.«
    Anakreon trank vielleicht nur der Stärke seines Temperaments gemäß, so viel als der Abt Chaulieu, und dessen Lehrer Chapelle; und lange nicht so viel, als der Schalk beym Menander, der des andern Morgens, als er aufstund, sagte: der Kopf ist mir so schwer, als ob ich vier Köpfe hätte:
    Ἀνίσταμει γοὺν τέταρας κεφαλὰς ἔχων.
,
Des Nachts auf Purpurdecken;
Da deuchte mirs im Traume,
Daß ich mit Schönen spielte;
Und daß ich auf den Zähen
In groser Eile liefe.
Da schimpfeten mich Knaben,
Die schön, wie Bacchus, waren,
Und dieser Schönen wegen,
Mir bittre Reden gaben.
Als ich sie nun zur Strafe
Ein paarmahl küssen wollte,
Entflohn sie mit dem Traume;
Und ich Einsamer wünschte
Von neuem einzuschlafen. 27

 

IX.
Auf seine Taube.

Du anmuthsvolle Taube,Diese Ode ist ein Gespräch zwischen einem Menschen, und einer Taube, weiche abgerichtet war, Briefe hin und her zu tragen. Einige Reisebeschreiber versichern, daß noch heute zu Tage der Viceconsul zu Alexandretta, so bald er verdächtige Schiffe gewahr wird, eine solche Taube loslasse, die vermittelst eines unter die Flügel oder an den Hals gebundenen Briefgens dem Consul von Aleppo innerhalb 5 Stunden davon Nachricht bringet. Einige Personen von Rang in Holland vergewissern auf diese Art ihre in der Stadt wohnende Freunde von ihrem Wohlseyn, wenn sie sich in der schönen Jahrszeit auf dem Lande aufhalten.
Woher, woher so hurtig?
Woher mit diesen Salben,
Die duftend von dir triefenDie Morgenländer, welche vor andern Völkern die Wohllüste des Geruches liebten, parfumirten ihre Vögel, wie die Abendländer ihre Schooshündchen.,
Wenn du die Luft durcheilest?
Was hast du zu verrichten?Der Abt Sevin verändert die sechste Zeile:
    τίς εστι σοὶ μέλει δὲ;
welche keinen Verstand hat, also:
    τίς ες, τί σοὶ μέλει δὲ;
wer bistu, und warum bekümmerstu dich? und man kann nicht leugnen, daß dieser Sinn, darinne die Taube antwortet, ungezwungen, und die Verbesserung ungekünstelt sey.

    Ich gehe in Geschäften
Anakreons, des Dichters,
Zum Knaben, zum BathylleHoraz berichtet uns, daß dieser Liebling Anakreons von Samos gebürtig gewesen: Non aliter Samio dicunt arsisse Bathyllo Anacreonta Teïum.,
Der itzund aller Herzen
Bezwinget und beherrschet.
Für eines seiner LiedgenAnakreon verstund sich nicht übel darauf, seinen Versen unvermerkt einen hohen Werth beyzulegen. Ein Lied, das die Mutter der Gratien lieber hat, als die schönste Taube ihres Gespanns, muß gewiß von ausnehmender Vortreflichkeit seyn.
Hat er mich von Cytheren
Unlängstens eingetauschet.
Seit dieser Stunde bin ich
Anakreons Bedientin,
Und habe diese Briefe
Von ihm izt zu bestellen.
Er hat mir auch versprochen, 28
Mich nächstens frey zu lassen.
Doch, wenn ers auch gleich thäte,
Bleib ich doch seine Sklavin.
Denn mein! was fliegt man immer
Im Feld, und auf den Bergen,
Und sezt sich auf die Bäume,
Und ißt nur wilde Körner?
Izt speis ich mich mit Brode,
Das ich dem guten Wirthe
Aus seinen Händen reisse;
Und tränke mich mit Weine,
Den er mir zugetrunken;
Und wenn ich satt getrunken,
So tanz ich, und bedecke
Den Herrn mit meinen FlügelnNichts ist scherzhafter, als der Einfall, daß die Taube die Flügel über seinen grauen Kopf ausbreite, ihn zu erwärmen oder zu beschatten.;
Und geh ermüdet endlich
Auf seine Leyer schlafen.
Nun geh! izt weist du alles.
Du machtest mich so schwazhaft,
O Freund, als eine Krähe.Alles, was die Taube in dieser Ode spricht, hat man als ein Lob anzusehen das sich Anakreon selbst gibt. Das muß ein liebenswürdiger Mann seyn, dem eine Taube, nachdem sie der Venus gedienet hat, noch mit Vergnügen zu dienen versichert.
    Daß er von dem Beherrscher aller Herzen, dem holdseligen Bathylle, geliebet werde; daß seine Liedergen von unschätzbarem Werthe; daß er ein gütiger, freundlicher Wirth sey, vertraulich mit den Seinigen, und erkenntlich gegen ihre treue Dienste; dieses alles sagt Anakreon nicht deutlich; aber dem Verstande der Leser läßt er die Freude, es aus der Rede seiner Taube zu schliessen.
    Wenn es jemand erlaubt ist, sich selber zu rühmen, so ist es allenfalls nur dem, der es so versteckt, so fein, so bescheiden, und mit so grosser Vergnügung der Leser thut, als hier Anakreon.
    Tale est hoc poëmation, sagt Tanaquil le Fevre, vt non ab homine aliquo, sed a musis ipsis, et a Gratiis collata opera compositum esse videatur.
32

 

X.
Der wächserne Amor.

Es wollt ein Jüngling Amorn,
Aus Wachs gemacht, verkaufen.
Ich stand bey ihm, und fragte:
Was geb ich für dieß Bildgen?
Er sprach zu mir auf dorisch:
So viel, als dir beliebet.
Doch dir nichts zu verheelen:
Ich bilde nicht aus Wachse.Er will sagen: er sey kein Wachsboßirer.
Allein ich will nicht länger
Bey diesem Amor wohnen,
Der, was er sieht, gelüstet.
So gieb mir um ein Drachma
Den schönen Schlafgesellen.
Du aber, merk es, Amor,
Sollst mich so gleich entzünden;
Wo nicht? - - im Feuer schmelzenDie Heiden glaubten, daß ihre Götter den Bildern, unter welchen man sie verehrte, einen Theil ihrer Göttlichkeit mittheileten, damit sie Gebethe hören, und belohnen könnten. Dem ohngeachtet giengen sie bisweilen übel mit diesen Bildern um, und droheten, sie zu zerstören, wofern sie ihr Gebeth nicht erhören würden. In der siebenden Idylle des Theokritus bricht ein Jüngling nach vollendeter Anruffung des Gottes Pans aus: »Wenn du mich unerhöret lässest, o Pan, dann will ich deinen ganzen Leib mit meinen Nägeln zerreißen, und du sollt hernach noch dazu in Neßeln übernachten.« So berichtet uns auch Herodot, daß Xerxes, nachdem seine Schifbrücke von den Wassern des Hellesponts zerrissen worden war, der See Feßel anlegen, und ihr drey hundert Ruthenstreiche habe geben lassen, in Meynung, daß er sich dadurch am Neptun räche.. 34

 

XI.
Von sich selbst.

Es sagen mir die Mädgen:
Anakreon, du alterst.
Besieh dich nur im Spiegel,
Wie sich dein Haar verlohren,
Und du so glatt geworden.
Ob noch mein Haar geblieben,
Wie, oder fortgegangen,In diesen Zeilen steckt eine grose Einfalt, die nothwendig gefallen muß; aber schwer in Uebersetzungen zu erreichen ist.
Das weiß ich nicht; dieß weiß ich:
Daß süser Scherz den Alten
Um so viel mehr gezieme,
Je mehr ihr Ende nah ist.Er suchte sich, sagt der Abt Chaulieu, die Todesstrase noch mit Blumen zu bestreuen:
    Il sema de fleurs le chemin,
    Qui le mena dans l'Elisée.
35

 

XII.
Auf eine Schwalbe.

Wie soll ich dich bestrafen,
Dich plauderhafte Schwalbe?
Soll ich die leichten Flügel
Dir haschen und beschneiden?
Wie? oder dir die Zunge
Wie jener böse TereusTereus war ein König von Thracien, welcher, nachdem er die Schwester seiner Gemahlin geschändet hatte, ihr noch dazu die Zunge aus dem Schlunde riß, um nicht von ihr verrathen zu werden; da sie denn zuletzte, nach einigen, in eine Schwalbe, nach andern, in eine Nachtigall, verwandelt ward. Anakreon ist der erstern, Virgil in folgenden schönen Versen der letztern Meynung:
    Qualis populea moerens Philomela sub vmbra
    Amissos queritur foetus, quos durus arator,
    Observans nido implumes detraxit; at illa
    Flet noctem, ramoque sedens lacrumabile carmen
    Integrat, et moestis laté loca questibus implet.
                              Georg. Lib. IIII.

Aristoteles erinnert schon in seiner Redekunst, daß Prokne auch zuweilen Philomele genennet werde.

Aus deinem Halse reissen?
Was raubt dein frühes Singen,
Was raubt es mir Bathyllen,
Aus meinen süsen Träumen! 37

 

XIII.
Auf sich selbst.

Aus Liebe zu Cybelen,
Hat der verschnittne AttisAttis, ein schöner Phrygier, war anfänglich Cybelens Liebling; nachher aber, als sie ihn bey einer Nymphe antraf, ein Opfer ihrer Eifersucht, indem sie ihn entmannen lies, und rasend machte.
Vorzeiten im Gebürge
Geheulet und geraset;
Und die an Klaros RandeKlaros war eine begeisternde Quelle, in einem dem Apoll geweihten Haine, nicht weit von der Stadt Kolophon in Jonien: Tacitus sagt davon in seinen Jahrbüchern B. II. K. 54. in specum degressus, hausta fontis arcani aqua, ignarus plerumque litterarum, et carminum edit responsa versibus compositis, super rebus, quas quis mente concepit.
Des lorbeerreichen Phöbus
Geschwäzig Wasser tranken,
Die rasten auch, und heulten.
Und ich, berauscht von Weine.
Und von dem Duft der Salben,
Und meines Mädgens Küssen
Will auch . . will gleichfalls rasen. 39

 

XIV.
Auf den Amor.

Ja, ja doch, ich will lieben!
Es rieth mirs neulich Amor.
Da war ich so vermessen,
Und lies mich nicht bereden.
Gleich griff er nach dem Bogen,
Und nach dem goldnen Köcher,
Und schrie: heraus zum Streite!
Da warf ich, gleich Achillen,
Den Harnisch um die Schultern,
Und faßte Schild und Lanze,
Und kämpfte mit dem Amor.
Er schoß; ich floh zurücke.
Und als ihm Pfeile fehlten,
So schoß er, sehr ergrimmet,
Sich selbst statt eines Pfeiles;
Drang mitten in mein Herze,
Und hauste ganz tyrannisch.
Was mach ich mit dem Schilde? 40
Von aussen bin ich sicher;
Der Streit ist nur im Herzen.Dieses Gedichte lehret, daß man sich vergebens der Liebe zu erwehren suche. Es ist mit vieler Kunst ausgearbeitet, und nichts ist anmuthiger, als der Zweykampf Amors mit dem Dichter.
    Der Gedanke, daß sich der Gott der Liebe selbst, statt eines Pfeiles, in des Dichters Herz geschleudert habe, ist seitdem mehrmalen wiederholt worden:
    Bacchus saß auf eines Bechers Rande.
    Amor, sprach er, ohne Leiter steig ich
            In des Dichters Haupt.
    Amor saß in Phillis blauem Auge.
    Ohne Bogen, sprach er: schieß ich mich
            In des Weisen Herz.
41

 

XV.
Auf sich selbst.

Nichts bekümmr ich mich um Gygen,
Um der Sardianer König;
Auch weiß mich kein Gold zu blenden;
Auch beneid ich keine Fürsten.
Nur bekümmr ich mich um Salben,
Meinen Bart zu balsamiren;
Nur bekümmr ich mich um Rosen,
Meinen Scheitel zu bekrönen;
Nur bekümmr ich mich für heute;
Denn wer weiß von morgen etwas.
Drum so lang das Glücke dauert,
Trinke, spiel und opfre Baccho;
Daß nicht eine Krankheit komme,
Und denn spreche: gnug getrunken!Virgil sagt auf eben diese sinnliche Art und Weise, vielleicht noch schöner, in seinem Gedichte Copa:
    Mors, aurem vellens, viuite, ait, venio.
Mit denenselbigen Zügen, womit sich der Tejer in dieser Ode schilderte, schilderte sich der Abt Chaulieu an hundert Orten: »Als der größeste Liebhaber aller natürlichen Einfalt, sah ich Würden und Ruhm, als eine Chimäre an, mein Geld, welches ich für nichts achtete, verschenkte ich, oder verlehnte es, ohne mir in den Sinn kommen zu lassen, es wieder zu begehren. An Reichthümern, wornach man so hungert, fand ich niemahlen was Liebenswürdiges. Ueberzeugt, daß allein der gegenwärtige Augenblick unser sey, war ich, des morgenden Tages wegen, unbekümmert, und blos darauf erpicht, in den Armen einer weisen Faulheit kein Vergnügen ungenossen entwischen zu lassen &c. &c.
    Es kommt mir ganz wahrscheinlich für, sagt Baxter, daß diese Ode damahls verfertigt worden, als Anakreon ein Geschenke des Polykrates von fünf Goldtalenten, welches heute zu Tage ein sehr beträchtliches Capital ausmachen würde, wieder zurücke gesendet hat. Man kann die Berlinischen scherzhaften Lieder, (im zweyten Theile, Blat 19 der Vorrede) hierüber nachlesen.
43

 

XVI.
Von sich selbst.

Du singest vom Thebanerkriege;
Und der vom Kriegsgeschrey der Phryger;
Und ich von meiner Niederlage.
Mich hat kein Reuter, und kein Fusknecht!;
Es hat mich auch kein Schiff besieget.
Allein ein ander neues Kriegsheer,
Das aus den Augen mich beschieset,Wer sieht nicht, daß der Dichter unter dieser Armee die Gratien; und unter ihrem Anführer die Liebe verstehe:
    Oft blitzen, von Gefahr begleitet,
        Die blauen Augen frey auf mich,
    Aus welchen Amor mich bestreitet,
        Der stets aus ihnen siegreich wich.
    Ich kann die Grazien darinnen,
        Ein schmeichelnd Lächeln bilden sehn &c.
                                        Lyrische Gedichte.
Wenn diese kleine Ode gefallen kann, so muß es der Allegorie, die darinne herrschet, zugeschrieben werden.
44

 

XVII.
Auf einen silbernen Becher.

Mach, o Vulkan, aus Silber,
Mir von getriebner Arbeit,
Nicht eine Waffenrüstung,
(Denn was soll mir das Streiten?),
Nein, einen hohlen Becher,
So tief dir immer möglich.
Bild aber auf demselben
Mir nicht den HimmelswagenAnakreon scheinet auf etliche Figuren zu zielen, die Vulkan auf dem Schilde Achills, nach Homers Berichte, angebracht hatte. Die Worte lauten in der Ilias also:
    »Vulkan bildete die Gestirne, mit welchen der Himmel geschmücket ist, das Siebengestirn, die Regensterne, den grosen Orion, und den Bär darauf ab, welcher auch der Wagen genennt wird; dem Orion gegenüber stehet, und der unter allen Sternen allein nicht in die Fluten des Weltmeers niedersinket &c.«
    Wie bekannt diese Gestirne bey den Alten gewesen seyn müssen, ist aus dem neunten Abschnitte Hiobs zu sehen, wo das Hebräische nach den siebenzig Dollmetschern, und den meisten Auslegern also übersetzet wird:
    »Er macht den Heerwagen am Himmel, und den Orion, und die Henne, und die verborgenen Südgegenden.«
    Aulus Gellius, der diese Ode ganz anführet, berichtet zugleich, daß er sie bey einem Gastmahle habe abspielen und absingen hören. Die Griechen müssen sie für schön gehalten haben; denn sie foderten den Antonius Julianus heraus, einen Römer zu nennen, der etwas, so ihr beykäme, aufgesetzet hätte:
    »Tum Graeci plusculi, qui in eo conuiuio erant, homines amoeni, et nostras quoque literas haud incuriosè docti, Iuliana rhetorem iacessere, insectarique, adorti sunt: tanquam prorsus barbarum, et agrestem, qui ortus terra Hispania foret, clamatorque tantum, et facundia rabida jurgiosaque esset, eiusque linguae exercitationes doceret, quae nullas voluptates, nullamque mulcedinem Veneris, atque Musae haberet. Saepeque eum percontabantur, quid de Anacreonte, caeterisque id genus poëtis sentiret: et ecquis nostrorum poëtarum tam fluentes carminum delicias fecisset, nisi Catullus, inquiunt, forte pauca – –
    »Tum ille pro lingua patria, tanquam pro aris et fecis, animo irritato indignabundus: cedere equidem, inquit, vobis debui, vt in tali
ἀσωτίᾳ artium nos vinceretis: et sicut in voluptatibus cultus, atque victus, ita in cantilenarum quoque multis parasangis anteiretis. Sed ne nos, id est, nomen latinum, tanquam quosdam insubidos ἀναφροδισίας condemnetis: permittite quaeso, operire pallio caput, quod in quadam parum pudica oratione Socratem fecisse ajunt; et audite ac discite, nostros quoque antiquiores ante eos, quos nominastis, poëtas amasios fuisse. Tum resupinus, capite conuelato, voce admodum quam suaui, versus cecinit Valerii Aeditui, veteris poëtae, item Portii Licinii, ct Quinti Catulli: quibus mundius, venustius, limatius, Graecum Latinumque nihil quicquam reperiri puto.«
    Die lateinischen Verse, die der sonst so feine Gellius dem Redner Antonius Julianus hierauf in den Mund legt, sind ein Beweiß, daß er durch die Liebe zu seinem Vaterlande entweder ganz verblendet gewesen sey, oder doch die guten Liebesgesänge seiner Landsleute nicht recht gekannt habe. Es schimmert lauter falscher Witz darinne: und man kann aus folgendem urtheilen, von welchem Schlage die drey übrigen sind:
    Custodes ouium, teneraeque propaginis agnûm
        Quaeritis ignem? ite huc: quaeritis? ignis homo est.
    Si digito attigero, incendam siluam simul omnem.
        Omne pecus flamma est, omnia quae video.
                                  Noct. att. L. XIX. C. IX.
,
Den traurigen Orion,
Noch sonsten ein Gestirne.
(Was sollen die Pleiaden,
Und was soll mir Bootes?)
Dafür mach einen Weinberg,
Und in demselben Trauben,
Und nebst dem schönen Bacchus
Die allerliebsten Knaben,
Bathyll und Amorn, kelternd. 48

 

XVIII.
Auch auf einen solchen.

Mache mir, geschickter Künstler,
Einen angenehmen Becher,
Und darauf zuerst die Jahrszeit,
Die uns holde Rosen schenket:
Und aus dem getriebnen Silber
Auch ein freudenvolles Gastmahl.
Aber unterlasse klüglich
Die befremdenden Geschichten
Blutiger Versöhnungsopfer
Auf demselben vorzustellen.
Lieber bilde mir Cytheren,Weil diese Stelle verdorben ist, so habe ich mich der Verbeßerung der Frau Dacier bedienet, doch mit einiger Versetzung der Gedanken. Sie lautet also:
    Μαλλον ποίει Διὸς γόνον
    Βάκχον Ἔυιον ἡμῖν
    Μύστην νάματος, ἤ κύπριν.
    Υμεναίοις κροτοῦσαν.

Mit den Hymenäen tanzend;
Und den Vater süsen Weines,
Jovis schönen Sohn, Lyäen.
Und im dichtbelaubten WingertDieß ist das gewöhnliche Wort, womit die Pfälzer einen Weingarten bezeichnen; ursprünglich heißt es auch nichts anders, als Weingarten.,
Der voll süser Trauben hänget, 49
Auch die schlauen LiebesgötterDiese Götter haben zu allen Zeiten den Mahlern wichtige Dienste geleistet, weil sie als bekannte allegorische Personen oft und bequem angebracht werden können, dem Zuschauer die Absicht des Gemähldes zu entdecken, seine Einsicht in jede Vorstellung desselben zu erleichtern, und ihn folglich desto gewißer zu rühren und einzunehmen. Man kann dieses aus einem Gemählde ersehen, das zu Lucians Zeiten, als man die olympische Spiele feyerte, öffentlich ausgesezt wurde. Es stellte die Vermählung Alexanders mit Roxanen vor, wie sie in einem prächtigen Saale vollzogen ward. Roxane lag wohlanständig auf einem Ruhebette. Ihre Schönheit, welche durch die Schamhaftigkeit erhöhet ward, womit sie die Augen bey Herannäherung Alexanders niederschlug, zog die ersten Blicke des Zusehers auf sich. Man erkannte sie ohne Mühe für die Hauptperson. Ein Schwarm dienstbarer Liebesgötter flog um sie her. Einige löseten ihre Schuhbänder auf, andere entkleideten sie. Einer hub ihren Schleyer mehr in die Höhe, damit sie der junge König beßer sehen möchte. Er lächelte ein wenig, als ob er ihm wegen ihrer Reize Glück wünschete. Andere fasseten ihn an seinem Waffenrocke, und zogen ihn näher zu ihr, in einer Stellung, als wolle er seine Königliche Stirnbinde zu ihren Füsen legen. Neben Alexandern sahe man den Hephästion, der die Heyrath gestiftet hatte. Er trug in der Rechten eine flammende Fackel, und war mit der Linken auf einen Hymen gestützt. In einer Ecke der Schilderey beschäftigte sich ein Trupp Amors mit den Waffen des Helden. Einige davon trugen seine Lanze, und schienen sich unter der Last derselben tief zu bücken. Andere trieben mit seinem Schilde ihre Kurzweil. Sie hatten einen aus ihrem Mittel, vermuthlich den, dessen Pfeil den Streich begangen hatte, oben darauf gesetzet, und trugen ihn auf ihren Schultern, als im Triumphe einher; mittlerweile sich ein andrer hinter einem Küras verkroch, seine Kameraden, wenn sie vorbeygehen würden, zu erschrecken – –
    Der damalige Oberaufseher der Spiele hat dieses Gemählde nach Verdienst zu schätzen gewußt; indem er dem erfindungsreichen Künstler seine schöne Tochter zur Ehe gegeben. Raphael hat es nach der Beschreibung Lucians gezeichnet, und in Kupfer stechen lassen.
    Uebrigens muß ich noch überhaupt anmerken, daß der Dichter, wie in dieser Ode, so auch in vielen andern, mehr auf die Anzahl, als die Quantität der Sylben gesehen habe; welches einigen Auslegern zu behaupten Anlaß gegeben, daß alle Stücke, darinne solche versus politici, wie man sie nennet, vorkommen, untergeschoben seyen; welcher Meynung aber Horaz zu widersprechen scheinet, wenn er Anakreons Verse ausdrücklich non elaboratos ad pedem nennet. B. V. Od. 14.
,
Ohne Pfeil und ohne Bogen;
Und die Huldgöttinnen lachend,
Und auch anmuthsvolle Knaben,
Wo Apoll nicht selbsten spielet. 52

 

XIX.
Man müße trinken.

Die schwarze Erde trinket;
Es trinken sie die Bäume;
Das Wasser trinkt die Lüfte;
Die Sonne trinkt das Wasser;
Zuletzt der Mond die Sonne;
Was wollt ihr denn das Trinken,
Ihr Freunde, mir verwehren?Der Englische Dichter Cowley, in der Meynung, Anakreon eile zu geschwinde zum Ende, hat dieser Ode in seiner Nachahmung einen langsamern Gang gegeben, ihr aber auch dadurch ein lustiger Ansehen verschaffet, als sie im Griechischen hat. »Die durstige Erde, sind ohngefehr seine Worte, saugt allen Thau und allen Regen ein, den die Wolken herunter treufeln. Sie trinkt, und berauscht sich immer aufs neue. Die Pflanzen, an ihrem Theile, trinken die Erde, und werden, indem sie das thun, frischer und schöner. Das Meer selbst, von dem man doch glauben sollte, daß es des Trinkens entbehren könnte, trinkt zehn tausend Flüße ein, die dann diesen weiten Pokal in der Hand der Natur so anfüllen, daß er überläuft. Die Sonne, die unaufhörlich in Bewegung ist, und, weil sie ohnehin das glühendrothe Antliz eines Säufers hat, vielleicht beßer thäte, sich nicht noch mehr zu betrinken, trinkt das Meer. Der Mond und die Sterne trinken wieder die Sonne; ja, sie bringen ganze Nächte zu, ihr eigenes Licht zu trinken. Nichts in der Natur bleibt nüchtern. Durch das ganze Rund des Weltgebäudes gehen die Gesundheiten ununterbrochen herum. Fülle dann auch meine Flasche. Fülle sie bis oben an! Laß mir nicht ein einiges Glas leer stehen! Ist es billig und recht, da alle Geschöpfe trinken, und immer trinken, Herr Philosoph, mich allein nicht trinken zu lassen? Nein! nein! ich muß auch trinken! 54

 

XX.
Auf sein Mädgen.

Zum Fels ward Tantals Tochter
Auf Phrygiens Gebürgen;
Und des Pandions Tochter
Ward ehedem zur Schwalbe.
Ich möcht ein Spiegel werden,
Daß du mich stets beschautest;
Zum Kleide möcht ich werdenEr meynet die Kleidung, die Athenäus ἐχέσαρκον χιλώνιον nennet, welche unmittelbar den Leib umgab.,
Daß du mich immer trügest;
Zum Wasser möcht ich werden,
Daß ich dich baden dürfte.
Zum Flore deiner BrüsteEin neuer Uebersetzer Anakreons, Herr Poinsinet, gibt diese Stelle also:
    Echarpe, je soutiendrois
    Votre gorge enchanteresse.

Aber darf man einem Frauenzimmer wohl sagen, daß ihre Brust einer Unterstützung benöthiget sey? und kann eine solche Brust, die durch was anders, als die Hände der Natur unterstützet wird, eine gorge enchanteresse heißen? Können dem, der so galant, der pater leporum und elegantiarum gewesen, solche Ausdrücke jemahlen entfallen seyn?
,
Zum Kleinod deines Halses,
Zum Schuhe möcht ich werdenAuch hier entfernt sich Herr Poinsinet vom Grundtexte, indem er also übersetzet:
    Cothurne, au moins je serois
    Foulé par le pied des Graces.

Aber das, was Anakreon Σάνδαλον heist, war eine gewöhnliche Frauenzimmertracht; der Cothurn hingegen eine Tracht derjenigen Mannspersonen, die den Leib auf der Jagd, oder denen öffentlichen Kampfplätzen, heftig bewegen musten; weswegen auch von Frauenspersonen, meistens nur Diana und die Amazonen &c. mit dem Cothurne angethan, vorgestellet werden. Es ist daher zu verwundern, warum Anakreons Freundin von diesem Uebersetzer damit bekleidet werde. Was das Wort Foulé anbelangt, dessen sich die Frau Dacier, um das griechische πατεῖν auszudrücken, zuerst bedienet hat: so schickt sich solches noch minder hieher. Es bedeutet, etwas mit Füsen treten, in der Absicht, es zu verderben; und muß, wenn es eine angenehme Idee erwecken soll, nur von leblosen Dingen gebraucht werden. Eine Schäferin kann auf ihrem Wege die blühenden Kräuter mit Füsen treten, und also zu Grunde richten; aber sollte eine Gratie, wie die, so Anakreon hier besungen hat, mit ihrem Verehrer also verfahren können? Ich glaube nicht. Dieses aber glaube ich: daß Herr Poinsinet durch das terasque plantâ des Henricus Stephanus, und durch die Uebersetzung der Frau Dacier, zu diesem Foulé verführet worden; an dessen Stelle er noch beßer pressé gesetzet hätte: que ne fuis-je point votre soulier! Vous me presseriez quelquefois un peu.
    Diese ganze Ode Anakreons, welche ihrer lächerlichen Wünsche wegen einigemahl getadelt worden, gründet sich auf die Hypothese, daß alle Dinge, welche so glücklich sind, die Person seiner Geliebten zu berühren, sonderlich von ihren holden Leibe unmittelbar berühret zu werden, ein Vergnügen empfinden, und eines höhern Werthes theilhaftig werden. Sie ist im Character eines Verliebten geschrieben, der sich an seltsamen Einfällen des Witzes belustiget, und durchs Prisma seiner Leidenschaft, die seine Urtheile bestimmet, Dinge als möglich ansiehet, deren Unmöglichkeit er sonst deutlich erkannt hatte. Bey den besten Dichtern, die den Fahnen Amors gefolget, sind solche Wünsche anzutreffen, obwohl sie eben nicht immer so ausschweifend sind, als Anakreons seine. Heinsius, der Vater, wünschte sich Jupiter zu seyn:
        Den Himel wollt ich dann mit neuem Volke zieren:
        Jungfrauen müsten mir vor andern sonderlich
        In diesem Himel seyn: das wär ein Volk für mich.
        Das Handwerk, so man würd in meinem Reiche treiben,
        Das sollte Küßen seyn &c.
    Das Verlangen eines andern Dichters gieng dahin, sich, wie Proteus, verwandeln zu können:
        Verrätherischer Palatin,
        Was deine List nur halb versteckte,
        Wollt ich den Augen dann entziehn,
        Wenn ich die Brust statt deiner deckte - -
        Ich wollt ein heller Spiegel seyn:
        Die Mädgen die mich itzt verschmähen,
        Die würden mir den Morgen weihn,
        Und bis zum Mittag vor mir stehen - -
    Ovid wünschte der Ring zu seyn, den er Korinnen verehret hatte:
        O vtinam fieri subito mea munera possim,
            Artibus Aeaeis, Carpathiique senis:
        Elabar digito, quamuis angustus et haerens,
            Inque sinum mira laxus ab arte cadam &c.

    La Motte eine Blume, aber auf dem Busen der Geliebten,
        Que ne suis-je la fleur nouvelle,
            Qu'au matin Climene choisit:
        Qui sur le Sein de cette Belle
            Passe le seul jour, qu'elle vit.

    Oder die Quelle worinne sie sich badet:
        Dieux! si j'etois cette Fontaine,
            Que bientot mes flots enflammez - - -

    Ja, alles, was von ihr hochgeschätzet wird:
        Pardonnez; je voudrois, Climene,
            Etre tout ce, que vous aimez.

    Folgender Wunsch eines Poeten aus den Zeiten der Kayser Friedriche, scheint mir seiner Sittsamkeit wegen alles Lob zu verdienen:
        Ich wolte, das der anger sprechen solte,
            als der Sytich in dem glas,
        Und er mir danne rehte sagen wolte,
            wie gar sanfte im hure was,
            do mine frowe blumen las
        ab im, und ir minneclichen fuesse
            ruehrten uf sin gruenes gras.

    In den Schriften der Alten, sagt la Foße, ist meines Erachtens keine Stelle, darinne eine so heftige Leidenschaft herschet, als in dieser Ode. Nach meinem Urtheile verdienet sie in der Reihe der schönsten zu stehen.
,
Daß mich dein Fus doch träte. 59

 

XXI.
Auf sich selbst.

Gebt mir, gebt mir doch, ihr Mädgen,
Bacchus Saft in vollen Bechern;
Denn ich seufz anizt, und lechze,
Von der Hitze ganz entkräftet.
Gebt mir, gebt von diesen Blumen!
Alle Kränze, die ich flechte,
Welken ja auf meiner Stirne;
Und die gröste Liebeshitze
Heg ich doch in meinem HerzenNach der Verbeßerung des le Fevre:
    γραδίῃ ἐνισκεπάζω.
Wie fein thut Anakreon dem Frauenzimmer, in deßen Gesellschaft er sich befand, eine Liebeserklärung!
. 60

 

XXII.
An Bathyllen.

Laß dich, mein Bathyll, im Schatten
Dieses schönen Baumes nieder.
Er bewegt die zarten Blätter,
Auch an seinen dünnsten Aesten.
Neben ihm fließt eine Quelle,
Die uns murmelnd an sich locket,
Und geschwätzig überredet.
Welcher Wandrer geht vorüber,
Wann er diesen Lustort schauet!Wer fühlt nicht, wenn er diese Ode lieset, ein sanftes Vergnügen, das ihm die Einbildung verschaffet? Wer glaubt nicht, beym Anakreon, im kühlen Schatten zu sitzen? und das Geräusche der Weste, und der strudelnden Quelle zu hören? wer empfindet nicht die Wahrheit des Ausspruches, daß die einfältige Natur mehr, als die Kunst, mit allen ihren Kostbarkeiten, rühre?
    Ni le marbre, ni l'or n'embellit les fontaines.
    So oft ich diese Ode Anakreons lese, wird der Eindruck bey mir erneuert, den mir Horazens Quelle Blandusiens manchmal verursachet hat.
    Ja, ja, sagt Herr ***, es ist freylich ein ausnehmendes Vergnügen, an einer solchen Quelle zu sitzen; aber nur alsdann,
        Wenn zum Gemurmel ihrer Wellen
                            Die Flasche gluchst.
62

 

XXIII.
Auf das Gold.

Wenn Sterblichen das Leben
Durch Geld verlängert würdeFolgende schöne Verse des Muretus, die Joseph Skaliger, als Überbleibsel des Römischen Komödienschreibers Trabea, von ihm annahm, haben mit dieser Ode Anakreons, dem Schwung und Innhalte nach, etwas ähnliches.
    Here, si querelis, ejulatu, fletibus,
    Medicina fieret miseriis mortalium,
    Auro parandae lacrimae contra forent.
    Nunc haec ad minuenda mala non magis valent,
    Quam naenia Praeficae ad excitandos mortuos.
    Res turbidae consilium, non fletum, expetunt.
;
So hielt ichs auch zu RatheMorhof behauptet, daß die Alten, mehrern Wohlklang in ihren Versen zu erhalten, auf Reime verfallen seyen. Dieses zu beweisen, hätte er, nebst andern Stellen, auch die vierte und fünfte Zeile dieser Ode anführen können, wo Anakreon sehr deutlich beweiset, daß er nichts, wodurch seine Verse, ohne Quetschung des Gedankens, wohlklingender werden konnten, verachtet habe.
        Ἰν' ἄν ϑανεῖν ἐπελϑῃ
        Λάβῃ τί, καὶ παρέλϑῃ.
    Die Ode im zweeten Theile der scherzhaften Lieder:
        Willstu tauschen, sprach ein Reicher,
        Und er wies mir seine Schätze,
        Und ich sollt ihm für die Schätze,
        Meine braune Doris geben &c.
ist von dieser anakreontischen eine glückliche Nachahmung.
:
Daß, wenn der Tod sich nahte,
Er etwas nähm und wiche.
Doch, da die Menschen niemahls
Das Leben kaufen können:
Was seufz ich denn vergebens?
Was gräm ich mich so frühe?
Ist mir der Tod bestimmet,
Was hülft mich aller Reichthum?
Drum will ich lieber trinken,
Von süssem Weine trinken,
Mit meinen Freunden scherzen,
Und auf dem weichen Lager
Ein schönes Kind umarmen. 64

 

XXIV.
Auf sich selbst.

Sterblich kam ich an das Licht
Auf dem Lebensweg zu wandeln:
Und ich weiß, wie manches Jahr
Ich darauf zurück geleget.
Aber mir ist unbekannt,
Was ich noch zu leben habe.
Drum so weicht, ihr Sorgen weicht!
Was hab ich mit euch zu schaffen?
Eh mich Klotho überrascht,
Will ich lachen, scherzen, tanzenEin rechter anakreontischer Entschluß, gleich diesem:
        Laissons revenir en foule
        Mensonge, erreurs, passions.
        Sur ce peu de tems, qui coule,
        Faut-il des reflexions?

    Der Dichter band sich in dieser Ode an die Länge und Kürze der Sylben wenig. Lasciuit, sagt Baxter, in metris tanquam ἐν Σατηρικῇ Μιμήσει; nam irridet metum mortis, et caeteras vitae curas.
    Barnes hat im Griechischen viele Aenderungen vorgenommen. Mit welchem Rechte, mag der Leser urtheilen.
,
Mit dem schönen Gott des Weins. 65

 

XXV.
Auf sich selbst.

Wenn ich trinke, liebste Brüder,
So entschlafen alle Sorgen.
Was hab ich mit Müh und Grame,
Und Bekümmernis zu schaffen;
Und geh irr am wahren Leben?Im Griechischen heißt es: τί δε τὸν βίον πλανῶμαι; Diese Zeile bietet den Uebersetzern Troz, und ist sehr kraftvoll. Der Abt Regnier in dreyen Uebersetzungen braucht, sie auszudrücken, allemahl drey Zeilen, z. Ex.
    Che val con vano errore
    Far à me più duro e greve
    Della vita il cammin breve?

    La Foße meynet, Anakreon rede vom Tode, dem man nicht entfliehen kann; und umschreibt es also: Pourquoi employer tristement le temps, que j'ai à vivre, à chercher des détours inutiles pour m'en éloigner, & l'eviter.

Sterben muß ich doch gezwungen.
Lieber trink ich von dem Weine
Des holdseeligen Lyäus.
Denn, o Brüder, wenn wir trinken,
So entschlafen alle Sorgen. 66

 

XXVI.
Auch auf sich selbst.

Steigt Bacchus ins Gehirne,
So schlummern alle Sorgen,
Und fang ich an zu singen,
Als hätt ich Krösus Schäze,
Und lieg auf zarten Myrten,
Bekränzt mit grünem Epheu,
Und sehe mit Verachtung
Die Welt zu meinen Füsen.Heureux, qui méprisant l'opinion commune,
Que notre vanité peut seule autoriser,
Croit, comme moi, que c'est avoir fait sa fortune,
Que d'avoir, comme moi, bien squ[?] la mépriser!

Mars suche blanke Waffen;
Ich suche volle Becher.
Reich, Knabe, reich mir einen!
Es ist ja zehnmal besser
Berauscht, als leblos liegen. 67

 

XXVII.
Wiederum auf sich selbst.

Der Sohn des Zevs, Lyaeus,
Der Sorgen Ueberwinder,
Und Geber guten Weines,
Tritt mir kaum ins Gehirne,
So lehret er mich tanzen,
Und wird mein Herz voll Freuden,
Daß ich mich so berausche.
Nebst Jauchzen und nebst Liedern
Ergözt mich auch Cythere;
Dann will ich wieder tanzen.Diese und die zwo vorhergehenden Oden sind zum Lobe des Weines geschrieben. Unermunterte Muse, warum sagtest du nicht?
        Dein Ruhm, o Wein! hör ihn summarisch an,
        Ist, daß ich ihn nicht singen kann.
                                                Kleinigk. Bl. 39.
68

 

XXVIII.
Auf sein Mädgen.

Auf! Vortreflichster der Mahler!
Auf! und schildre, Preis der Mahler,
Meister in der Kunst der Rhoder,
Schildre mein entferntes Mädgen,
Wie ich sie beschreiben werde.
Mahle mir vor allen Dingen
Zarte rabenschwarze HaareBey diesen Worten macht Le Fevre folgende Anmerkung: »hoc amabant scilicet Graeci veteres, et qui inter Italos olim ad Venerem sapiebant; neque, ut ajunt, injuriâ. Istae enim seu flavae, seu rufulae (quales nonnulli delicias habent) dilutioris esse corporis videntur, quam ut satis in palaestra firmae esse queant, et responsare ὑβριζωσιν ἐραζαῖς. Hoc certe audisse e quibusdam videor, qui ad has res non plane inepti, aut averso genio nati dicebantur.«;
Und, wenn es das Wachs gestattet,
Mahle sie auch lieblich duftend.
Mahle zwischen schwarzen Locken,
Da, wo sich die Wangen schliesen,
Eine Stirn von Helfenbeine.
Laß sich nicht die schwarzen Bogen,
Die sich um die Augen krümmen,
Gänzlich trennen, noch vermischen;
Sondern, wie bey meinem Mädgen,
In einander sanft verlieren.
Ihrer Augen Reiz zu treffen,
Mache sie von regem FeuerEin leblos Auge rührt mich nicht;
Kein blödes Kind wird mich gewinnen,
Das reizt, so lang der Mund nicht spricht,
Und eine Venus ist, doch ohne Charitinnen.
                                    Lyrische Gedichte.
, 69
Und auch blau, wie Pallas Augen,
Und auch zärtlich, wie Cytherens;
Mische Milch zu jungen Rosen,
Wenn du Nas und Wangen mahlest.
Gib ihr Lippen, wie der SuadaOhne Zweifel sind keine Lippen schöner, als solche, die gemacht sind, zu überreden. Der Verfasser der schönen Vorrede zu den Poesien des Abtes Chaulieu, und des Marquis De la Farre der ersten Ausgabe, legt den meisten Französinnen dergleichen bey: »elles ont la plûpart la bouche bienfaite, et semblable a celle, qu' Anacreon ne croioit pas, que tout l'art des peintres pût attraper. Die Herzogin von Mazarin, die durch ihre Schönheit, ihre unglückliche Heyrath, und Saint-Evremonts Schriften so berühmt geworden, die aber eine gebohrne Römerin war, muß etwas von dieser Suada, wovon der Tejer redet, gehabt haben: »tous les mouvemens de sa bouche«, sagt der Verfasser ihres Charakters, »sont pleins de charmes, et les grimaces les plus étrangés ont une grace inexprimable, quand elle contrefait ceux, qui les font. Son rire attendriroit les coeurs les plus durs, et charmeroit les plus cuisans soucis. Il lui change presque entièrement l'air du visage, qu'elle a naturellement assez froid et fier, et il y repand une certaine teinture de douceur et de bonté, qui r'assure les ames, que sa beauté a d'abord alarmées, et leur inspire cette joye inquiette, qui est la plus prochaine disposition à la tendresse.«,
Die den Mund zum Küssen laden.
Um das sanfte Kinn der SchönenVon einem solchen Kinne sagt Laktanz: »deductum elementer a genis mentum, et ita inferius conclusum, ut acumen ejus extremum signare videatur leuiter impressa diuisio.« Varro noch sinnreicher und anmuthiger:
      Sigilla in mento impressa amoris digitulo
      Vestigio demonstrant mollitudinem.

    Ohne diesen Einfall Varrons würde vielleicht eine der schönsten Erzehlungen, die die Deutschen haben, und die unter des Herrn von Hagedorns seinen die letzte ist, niemahls zum Vorscheine gekommen seyn.
,
Und um ihren Hals, wie Marmor,
Laß die Huldgöttinnen fliegen.
Kleide sie nunmehr in Purpur;
Aber laß vom zarten Busen
Etwas Wenigs unverhüllet,
Das Verhüllte zu verrathen.
Geh izt hin. Ich seh mein Mädgen.
Wirstu, Bild, nicht auch bald reden?Anakreon nimmt hier einen sehr feinen, und lebhaften Schwung, indem er sich unvermuthet vom Mahler zum Bilde wendet: wirstu, Bild, nicht auch bald reden? nicht anders, als ein gewisser Künstler zu Rom, so oft er vor dem schönen Pferde vorbeygieng, das im Hofe des Capitols steht, und worauf Marc-Aurel sitzet, in einer ähnlichen Entzückung auszurufen pflegte: komm näher, schönes Thier, weissestu denn nicht daß du lebest?
    Anakreon wär allezeit ein groser Dichter, gesetzt, daß er auch nur diese, und die folgende Ode gemacht hätte, welche beyde als Meisterstücke von Gemählden der menschlichen Schönheit angesehen werden können, die nichts von den Spizfindigkeiten, und übertriebenen Metaphern an sich haben, die Bodmer, im Abschnitte von den Gemählden des Schönen, an zween deutschen Dichtern getadelt hat. Jede derselben beweiset seinen feinen Geschmack, den Adel seiner Ideen, den Reichthum seiner Einbildnngskraft, die Lebhaftigkeit seines Witzes, seine Geschicklichkeit, sich aufs deutlichste und angemessenste, und mit den eigendsten Worten auszudrücken.
    Was ist netter, und doch vollständiger, als die Beschreibung der Augenbraunen? was ist poetischer, als die Augen von regem Feuer, die Wangen von Milch und Rosen, die Grazien, die im Kinne, und um den Marmorhals schweben? was kann sinnreicher, und mit mehr Recht von holden Lippen gesagt werden, als daß die Ueberredung darauf wohne, da sie zum Küssen auffodern, und schweigend zu sprechen scheinen? wie edel sind die Vergleichungen; Lippen, wie der Suada, Augen, so blau, als der Pallas ihre, so zärtlich, als Cytherens, Augenbraunen, schwärzer als Drachen. Solche kleine, aber wohlgewählte, und geschickt angebrachte Gleichnisse belustigen den Leser auf seinem Wege, ohne ihn aufzuhalten. Das kleine lyrische Gedicht des Cornelius Gallus ist von dergleichen ganz voll:
            Dir weicht, du blonde Schöne, du,
        Die Lilie, die Milch dazu,
        Der röthlich-weissen Rosen Schein,
        Das hellpolirte Helfenbein.
            Ach! zeige mir, bistu mir hold,
        Dein gelbes Haar, so licht, wie Gold,
        Das sich in lange Locken legt,
        Und um die weissen Schultern schlägt!
            Ach zeige mir, und scheu dich nicht,
        Der sternengleichen Augen Licht;
        Stell auch der Bogen schwarzes Haar,
        Die sich ums Auge krümmen, dar!
            Zeig auch der Wangen Rosenflur,
        Das Meisterstücke der Natur;
        Mit Lippen, an Korallen reich,
        Gib Schmäzgen, jungen Tauben gleich!
    Die Ausdrücke werden immer entflammter, und schicken sich also nicht mehr hieher.
74

 

XXIX.
Auf Bathyllen.

Mahle meinen Freund BathyllenDer Vater der Frau Dacier entschuldiget den Anakreon wegen dieser Liebe für Bathyllen auf eine elende Art, in wohlfliesenden Versen: »an id potius amet, quod patrum nostrorum memoria in copiis auxiliaribus vidit Gallia?
      Serica cum dominam ducebant vincla capellam,
      Cui nitidum cornu multo radiabat ab auro,
      Et segmentatis splendebant tempora vittis.
      Illa rosâ et myrto, sertisque recentibus ibat
      Altum vincta caput, dilectae conscia formae.
«
    Wer den Verstand dieser Verse nicht errathen kann, schlage Varillas Geschichte unter der Regierung Carls des Neunten, oder denjenigen Band des Aubigneh auf, in welchem die Kriege vom Jahre 1562 beschrieben sind.
    Nebst Bathyllen hatte Anakreon noch drey andere Freunde, den Smerdias, den Megist, und den Kleobul. Einst, als der Grieche von einem Schmause kam, und über die Strase taumelnd, diesem letzten, den die Amme, noch als ein Kind, auf dem Arme trug, einen harten Stos gab, und, damit unzufrieden, noch Scheltworte gegen ihn aussties, sagte sie im Zorne zu ihm: ich rufe die Götter an, daß sie dich nöthigen mögen, diesem Kinde einst eben so viel Lobsprüche zu ertheilen, als du Flüche gegen es ausgestossen. Als das Kind gröser ward, erwarb es sich durch die Schönheit seiner Gestalt, und durch seine Artigkeit, die Liebe des Dichters, und ward von ihm besungen.
    Smerdias und Bathyll waren, nebst Anakreons auch des Polykrates Lieblinge. Dieser lies dem Smerdias die Haare vom Haupte glatt abscheren, als er gläubte, jenen zum Nebenbuhler zu haben, und wollte das Kind lieber verstellt, als ungetreu sehen. Und obwol dieses dem Dichter wehe that, nahm er doch eine gezwungene Unempfindlichkeit an, damit er die Gnade des Tyrannen nicht verlieren möchte; und besang die ganze Begebenheit in scherzhaften Versen, wovon folgende eine Nachahmung seyn mögen:
      Quod solum formae decus est, cecidere capilli,
          Vernantesque comas, tristis ademit hiems.
      Nunc umbrâ nudata suâ jam tempora moerent,
          Areaque attritis ridet adusta pilis &c.
                                Petron. Satyric.
,
Wie ich dich belehren werde.
Glänzend mache mir die Haare;
Mache mir sie schwarz im GrundeNichts erläutert diese Zeile besser, als folgende Verse Ovids, die gewiß schön sind:
      Nec tamen ater erat, nec erat color aureus illis,
          Sed quamvis neuter, mistus uterque color:
      Qualem clivosae madidis in vallibus Idae,
          Ardua, direpto cortice, cedrus habet.
,
Und von aussen gleich dem Golde.
Laß sie, als ein Spiel der Winde,
Ungekünstelt, und in Ringen,
Wie sie selber wollen, schweben.
Seine zart und lichte Stirne
Ziere mir mit Augenbraunen,
Die noch schwärzer sind, als Drachen.
Trozig sey sein schwarzes AugeObgemeldeter Verfasser des Charakters der Herzogin von Mazarin scheinet gleichsam eine Auslegung über diese, und die fünf folgenden Zeilen geschrieben zu haben, so genau hat er alle Schönheiten derselben auseinander gesetzet: »ce, que ses yeux ont de plus merveilleux, c'est, qu'il n'y en a point au monde de si doux, et de si enjouez pour l'ordinaire, enfin de si propres à donner de l'Amour, et il n'y en a point de si serieux, de si severes, et de si sensés, quand elle est dans quelque aplication d'esprit. Ils sont si vifs, et si rians, que, quand elle s'attache à regarder quelqu' un fixément, ce qui ne lui arrive guere, on croit en être éclairé, jusqu' au fond de l'Ame, et on désespère de pouvoir lui rien cacher. Ils n'ont rien de languissant, ni de passionné; comme si elle n' étoit née, que pour être aimée, et non pas pour aimer.«,
Doch mit Heiterkeit vermischet;
Jenes borg ihm von Gradivus;
Dieses von der schönen Venus;
Daß, wenn jenes Furcht erwecket,
Dieses doch mit Hofnung schmeichelt.
Mache seine zarten Wangen, 75
Wo sich junges Milchhaar reget,
Gleich den rosenrothen Aepfeln;
Und so viel dir immer möglich,
Mische holdes Schamroth drunter.
Doch ich weiß nicht, wie, o Mahler,
Du die Lippen machen werdest.
Niedlich, und ein Siz der Suada,
Auch im Schweigen selber redend,
Müssen seine Lippen werden.
Rundgebildet sey sein Antliz;
Und der Hals von Helfenbeine
Gleiche des Adonis HalseAnakreon will alle diejenigen Schönheiten, die er an vielen Abbildungen der Götter zerstreuet bemerket hat, in einem einigen Bilde nachgeahmet wissen, um die Schönheit
Bathylls in ihrer Vollkommenheit darzustellen.
    Auf eben die Art mahlet Lycinus beym Lucian ein schönes Frauenzimmer. Er gibt ihr von der Venus des Praxiteles, Stirne, Haarlocken, und Augenbraunen, nebst dem sanften, und doch zugleich lebhaftem und frölichem Wesen der Augen; von der Lemnierin des Phidias die niedlichen Wangen und wohlgebildete Nase; von der Amazonin eben dieses Künstlers die Oefnung des Mundes, und das oberste der Schultern; von der Venus des Alkamenes, Hals und Hand, wie auch die Ründe des Armes, wo er mit der Hand grenzet, und die Finger, deren Spitzen so zärtlich enden; von der Sosondra des Kalamis das Lächeln, die holde Schamhaftigkeit, die reinliche und sittsame Kleidung; und von der Venus zu Gnid das Alter. Was die Farben anbetrift, gab er ihr von der Juno Euphranors das Haar, von der Pakate des Apelles, die weisse und lichte Haut, von der Roxane Aëtions die Lippen, von der Cassandra die Augenbraunen, den Purpur der Wangen, und die Feinigkeit des, theils zurückgeschlagenen, theils nach dem Gutdünken des Windes flatternden Schleyers.
.
Gib ihm auch die Brust Merkurens,
Und desselben beede Hände,
Und des Pollux weisse Hüften,
Und den Bauch des schönen Bacchus.
Unter seinen zarten Hüften,
Seinen feuervollen Hüften
Mach ihm eine Scham voll Unschuld,
Die sich schon nach Liebe sehnet.
Deine Kunst ist wohl recht neidisch,
Daß sie seinen schönen Rücken,
Der das Beste ist, verbirget. 76
Was beschreib ich erst die Füse?
Sprich, wie viel du Lohn verlangest,
Und zerstöre diesen Phöbus,
Den Bathyll daraus zu machen.
Aus Bathyllen kannstu wieder,
Kommstu einst in Samos Mauern,
Einen schönen Phöbus machenDie Schönheit eines schönen Gottes, die in der achtzehnten Ode durch mehrere schöne Knaben kaum ersetzet werden konnte, ersetzet hier der einzige Bathyll. Welch ein Lob für dies Kind! Er ist das Ebenbild der schönsten Gottheit.
    Diese Ode macht Bathyllen mehr Ehre, als die Bildsäule, die Polykrates ihm zu Ehren aufrichten lies. Apuleius beschreibt sie also:
    »Vel inde ante aram Bathylli statua a Polycrate Tyranno dicata: qua nihil videor effectius cognovisse. Quidam Pythagorae eam falso existimant. Adolescens est visendâ pulcritudine, crinibus fronte parili separatu per malas revulsis. Pone autem coma prolixior interlucentem cervicem scapularum finibus obumbrat. Cervix succi plena, malae uberes, genae teretes, ac modico mento facies: eique prorsus Citharoedus status. Deam conspiciens, canenti similis, tunicam picturis variegatam deorsum ad pedes dejactus ipsos, Graecanico cingulo, chlamyda velat utrumque brachium adusque articulos palmarum. Caetera decoris histrici dependent. Cithara balteo caelato apta, strictim sustinetur. Manus eius tenerae, procerula laeva distantibus digitis nervos molitur; dextera psallentis gestu suo pulsabulum citharae admovet, ceu parata percutere. Cum vox in cantico interquievit, interim canticum videtur ore tereti, semihiantibus in conatu labellis, eliquare. Verum haec quidem statua esto cuiuspiam puberum, quem Polycrati Tyranno dilectus Anacreon Teïus amicitiae gratia cantillat«
    Diese Beschreibung hat ihre prosaische Schönheiten, wie Anakreons Ode ihre poetische.
    Die Sterblichen sind durch diese, und die vorhergehende Ode in einen Streit verwickelt worden. Das männliche Geschlecht behauptet, daß die vorige Ode schöner sey, als diese. Das schöne Geschlecht erkläret sich hingegen für die Abschilderung Bathylls mit grosem Eifer. Wer merckt nicht, daß ein gewisser Naturtrieb die Urtheile beyder Partheyen bestimme?
. 82

 

XXX.
Auf Amorn.

Die Musen hatten Amorn,
Mit Blumen jüngst gebunden,
Und brachten ihn der Schönheit.
Nun aber kömmt Cythere
Mit vielem Lösegelde,
Ihn wieder frey zu machen.
Sie mach ihn frey; doch geht er
Aus diesen Ketten niemahls,
Des süsen Diensts gewohnetDen Werth dieser Ode gibt le Fevre durch seine Entzückung zu erkennen: »Audite, ô Veneres Cupidinesque, bellissimum odarium est, et in eo nihil vitii; nullus in tam formosâ facie naevus &c.« Es ist diese Ode anmuthig, sinn- und lehrreich zugleich, und Anakreon will damit so viel sagen: Die Schönheit sey alsdann erst stark genug, ein Herz lange gefesselt zu halten, wenn sie mit den dauerhaften Annehmlichkeiten des Geistes, dem Geschmacke, und dem lebhaften Witze verbunden ist. Amor, sagt der Tragödienschreiber la Fosse, entfernt sich da nicht mehr, wo Gestalt und Verstand beysammen wohnen. Uz setzet mit gutem Rechte noch die Tugend dazu:
            Und es fesselt nur Verstand,
        In dem Schoose sanfter Tugend,
            Ihn durch ein beglücktes Band.
    Man kann aus dieser Ode die Wahrheit des Urtheils ermessen, das Herr Batteux vom teischen Dichter gefället hat: »Andere Dichter, sagt er, streuen Rosen über ihre Lehren, um ihre Rauhigkeit zu verbergen. Anakreon, nach einer ausgekünstelten Feinheit im Geschmacke, warf Lehren mitten unter seine Rosen. Er wußte, daß die schönsten Bilder, wenn wir nichts aus ihnen lernen, etwas Unschmackhaftes bey sich führen, das uns bald zum Eckel wird; daß etwas Gründlichers erfodert werde, wenn der Einfall, als ein starker und spitziger Pfeil, ins Gemüth eindringen soll, und daß endlich, eben so, wie die Weisheit nöthig hat, durch ein wenig Thorheit aufgeheitert zu werden, die Thorheit ihrer Seits gleichfalls durch ein wenig Weisheit gewürzt wer den müsse. Er erfand seine Bilder nicht, damit zu unterrichten; er brachte den Unterricht darinnen an, um zu gefallen.«
    Seitdem die Musen den Anfang gemacht haben, Amorn zu binden, ist er mehrmahlen gebunden worden; doch von niemanden so schön, als der Chloë Priors: »Chloë lag halb entschlafen im Schatten einer grünenden Myrte. Amor, der sie gewahr wurde, sank auf ihren Busen herab, breitete die Flügel über ihrer Brust aus und schlief ein. Die Nymphe erwachte, und erschrack. Weil sie aber doch erkannte, daß ihre Freyheit noch in ihren Händen stehe, so sann sie auf Mittel, den Irrenden fest zu halten, und den zu fangen, der jedweden fängt.
    »Ihre Schnürbrust war halb aufgemacht. Sie entschloß sich, den Gott mit dem Nestel derselben zu binden. Sie band ihn würklich so fest, als sie konnte. Er erwachte. Er versuchte dreymahl nach einander die grausamen Banden zu zerreissen, und seine zarten Fittiche unter der Seide herauszuziehen. Aber alles war vergebens. So sehr er sich Mühe gab, ward er doch gezwungen, seine Zuflucht zu Thränen zu nehmen.
    »Erbarme dich über Amorn, sagte er, schöne Nymphe. Seine Blindheit, die dir bekannt ist, bewege dich zum Mitleid. Er kam vom rechten Wege ab, und verlohr sich auf deinem Busen. Ach! er weiß zu wohl, daß er das Glücke auf demselben lange zu wohnen, gar nicht zu hoffen habe. Gib einem armen Gefangenen, der dich zu beleidigen niemahls Willens gewesen, seine Freyheit wieder.
    »Es ist mir gleichviel, antwortete Chloë, ob Amor auf der Reise ist, ob er stille liege, oder ob er sich verirret habe; aber ich habe ihn, und nichts ist gewisser, als daß ich ihn nicht loslassen werde. Der Falsche zog aus, Leid zuzufügen, und wer steht mir dafür, daß er mir es nicht zufügen wollen.
    »Ungegründeter Argwohn, und eitle Furcht martern dein Herz, erwiederte Amor ganz demüthig. Siehe! zur Versicherung, daß du nichts ungleiches von meiner Seite zu befürchten habest, will ich diesen Bogen, und diese Pfeile in deine Hände liefern; zerbrich nur meine Bande, daß ich frey werde, und die Lüfte ungehindert durchfliegen könne.
    »Ich will, versetzte die Nymphe: reiche deine Waffen dann her! Ich will deine Fesseln zerreissen, und dann kanstu, wie zuvor deinen Flug nehmen, wohin dirs beliebt.
    »Es geschah. Er entwafnete sich selbst; und sie machte den holden Sclaven los. Seit dieser Zeit bringt er seine Stunden mit unschuldigem Spielen zu. Zuweilen umgauckelt er Chloën; zuweilen sizt er auf ihrem Herzen, und ruht.
    »Die Stelle Amors unter uns Sterblichen vertritt itzt Chloë. Sie beherrscht die Erde nach ihrem Wohlgefallen. Sie schiest ihre Pfeile, wohin sie will. Sie macht uns Vergnügen, oder macht uns Schmerzen; läßt uns das Leben, oder gibt uns den Tod.«
. 86

 

XXXI.
Auf sich selbst.

Laß um der Götter willen,
Laß mich in Ganzen trinken;
Will ich, will ich doch rasen.
Es raste, nebst Alkmäon
Orest mit weissen Füsen,
Die Mörder ihrer Mütter.
Ich bin kein Menschenmörder;
Doch voll von rothem Weine
Will ich, will ich auch rasen.
Es raste sonst Alcides,
Mit des Jphytus Bogen
Und grausem Köcher raßlend;
Es raste vormahls Ajax,
Das Schwerdt des tapfern Hektors,
Nebst seinem Schilde, schwenkend.
Versehn mit einem Becher,
Und Kränzen um die Locken, 87
Und nicht mit Schwerdt und Bogen
Will ich, will ich auch rasen.Das Rasen ist hier, was das Insanire bey dem venusinischen Schwane ist: mit Beyseitsetzung wichtiger und ernsthafter Geschäfte, sich ein wenig vergessen, und den Empfindungen der Freude, und einer durch Gesellschaft und Wein aufgebrachten Einbildungskraft auf kurze Zeit überlassen. Eine etwas gelindere Redensart ist bey eben demselben das desipere:
      Misce stultitiam consiliis brevem;
          Dulce est desipere in loco.
                  Hor.
B. IV. O. 12. B. III. O. 19.
88

 

XXXII.
Auf seine Mädgens.

Des Menagius griechisches Gedicht πρὸς Βίωνα, Bl. 177. ist von dieser Ode eine lustige Nachahmung.

Kannstu in allen Wäldern
Der Bäume Blätter zehlen;
Kannstu die Zahl der Körner
Des Sands am Meere finden;Barnes liest nach einer vatikanischen Handschrift: Κυματῶδες, welches nicht nachdrücklicher ist.
Dann bistu auch im Stande,
Und du allein, die Menge
Der Mädgens, die mich lieben,
Gehörig auszurechnen.
Zum ersten setze zwanzig,
Die aus Athen gebürtig;
Hernach noch funfzehn andre.
Dann setze ganze Schaaren
Von Liebsten aus Korinthus,
Das in Achaja lieget; 89
Denn da sind schöne MädgensDiese Landschaft nennt Homer deswegen: Καλλιγύναικα; auch Properz gedenkt ihrer in der Absicht mit Ruhm: B II. Eleg. 21.
      Sunt apud infernos tot millia formosarum:
          Pulcra sit in superis, si licet, una locis.
      Vobiscum est Iole, vobiscum candida Tyro,
          Vobiscum Europe, nec proba Pasiphäe:
      Et quot Jona tulit, vetus et quot Achaïa formas,
          Et Thebae, et Priami diruta regna senis.
.
Dann zehle mir die Mädgens
Aus Jonien und Lesbos,
Aus Karien und Rhodus,
Zum wenigsten zwey tausend.
Was! sprichstu, so viel Mädgens!Le Fevre liest: τόσους ἕρωτας; Ob nun gleich dieses die ächte Lesart nicht seyn mag, habe ich doch meine Uebersetzung darnach eingerichtet. Denn Baxters Lesart: ἀὲι κηρῷ ϑές! hemmt den Fluß der Erzehlung zu sehr, und ist noch unwahrscheinlicher. La Fosse will: ἀέι πυρωϑεὶς? oder ἀεὶ κυρωϑεὶς lesen, und wenigstens macht solches einen bequemen Verstand, obgleich noch manches dabey erinnert werden könnte.
    Was die Drollingerische Muse in den kritischen Lobgedichten vom Verfasser der scherzhaften Lieder gesungen:
        Mit ihm dringt einer durch, der die bewohnte Welt
        Für nichts, als einen Raum voll schöner Mädgen hält;
    Der jede Sache nur in dem Gesichtspunkt siehet,
    In welchem sie voraus auf Mädgen sich beziehet;
        Der alle Mädgen liebt - -
behauptet diese Ode von Anakreon. Sollte er bey so viel Mädgens ein Pastor fido gewesen seyn? Vermuthlich nicht mehr, als Chaulieu, der den Wechsel im Lieben aus allen Kräften seines Witzes vertheidigte:
      Que serviroit l'art de plaire
          Sans le plaisir de changer?
      Et que peut-on dire ou faire
          Toujours au même berger?
      La plus tendre tourterelle
          Change d'amours en un an,
      Et le coq, le plus fidelle
          De cent poules est l'amant.

    Doch was konnte er dafür, daß die Mädgens so reizend waren? sein Herz war doch gut, recht sehr gut.
      J'etois né vertueux, j'eusse été plus fidelle,
      Que ne fut jamais Céladon,
      Que j'avois choisis pour modéle;
      Mais qui ne deviendroit fripon
      Parmi ce peuple d'infidéles,
      A qui l'Amour prête ses ailes
      En lui donnant ses agrémens;
      Qui même de ses changemens
      Sçait tirer des graces nouvelles.

Die Mädgens aus Kanobus,
Aus Syrien, und Kreta,
Wo Amor in den Städten
Geheime Feste feyert,
Verschwieg ich noch mit Fleiße.
Wie wilstu meine Liebsten
Aus Indien und Baktra
Und die um Kadix zehlen? 92

 

XXXIII.
An die Schwalbe.

Du kommst zwar alle Jahre,
Geliebte Schwalbe, wieder,
Und baust dein Nest im Sommer.
Doch fliehestu vor Winter
Zum Nilstrom, und nach Memphis.
Stets aber baut Cupido
Sein Nest in meinem HerzenBlande senex sagt Heinsius, der Vater,
      Assidue mens est tibi nidus amorum,
      Ovaque sub blando pectore mille foves,
      Emerguntque Deûm pulli: semperque renascens
      Pipilat exuto cortice parvus Amor.
                            Monobibl. El. XIV.
,
Und heckt darinne Jungen.
Dann ist bald einer flicke;
Ein andrer liegt im Eye;
Der ist schon halb entkrochen.
Da schreyen dann die Jungen,
Die ausgeschlupft, beständig.
Die ältre Brut des Amors,
Sorgt für der Jüngern Futter.
Kaum ist die aufgefüttert,
So trägt sie wieder Jungen. 93
Wie ist mir nun zu rathen?
Ich bin zu schwach, so viele
Durch Schreyen wegzuscheuchen!In der ersten Ausgabe hieß es:
        Mein Herz ist nicht im Stande
        So viele zu bewirthen.
    Ἐκβοήσαι, dünkt mich, ist hier so viel als das excantare, oder cantu foras elicere, bey dem umbrischen Dichter, wenn er Kalliopen zu sich selbst sagen läßt:
      Vt per te clausas sciat excantare puellas,
          Qui volet austeros arte ferire viros.
                          Prop. L. III. El. a.

    Anakreon sagt in dieser ganzen Ode ausgedehnter, unter einem anmuthigen Bilde, was Horaz unter einem majestätischen kürzer sagt:
          In me tota ruens Venus
      Cyprum deseruit.

    Uebrigens hat Uz die Amors, von deren Menge Anakreon allein zu reden scheinet, nach ihrem besondern Character näher bekannt gemacht:
      Cypris, meiner Phillis gleich,
      Saß, von Grazien umgeben!
      Denn ich sah ihr frohes Reich;
      Mich berauschten Cyperns Reben.
      Ein geweihter Myrtenwald,
      Den geheime Schatten schwärzten,
      War der Göttin Aufenthalt,
      Wo die Liebesgötter scherzten.
          Viele giengen Paar bey Paar:
      Andre sangen, die ich kannte;
      Deren Auge schalkhaft war,
      Und voll schlauer Wohllust brannte.
      Viele flogen rüstig aus,
      Mit dem Bogen in der Rechten.
      Viele waren nicht zu Haus,
      Weil sie bey Lyäen zechten.
          Der voll blöder Unschuld schien,
      Herrscht auf stillen Schäferauen.
      Feuerreich, verschwiegen, kühn,
      War der Liebling junger Frauen.
      Doch, ermüdet hingekrümmt,
      Schlief der Liebesgott der Ehen;
      Und Cythere, ganz ergrimmt
      Hieß ihn auch zum Bacchus gehen &c.

 

XXXIV.
An seine Buhlschaft.

Fleuch nicht, du eckel Mädgen,
Vor meinen grauen Haaren,
Fleuch nicht vor meiner Liebe,
Weil noch auf deinen Wangen
Die frische Jugend blühet!
Schau her, wie ziert es Kränze,
Wo man die weißen Lilgen
Mit Rosen unterflochten.Diese Ode, wo die Jugend im Greise so anmuthsvoll scherzet, hat vielleicht dem alten Saint Evremont zu dem kühnen Urtheile Anlaß gegeben: »Que les Odes d'Anacréon sont plus naïves, plus douces, plus insinuantes, et par consequent plus parfaites, que celles d'Horace.« 96

 

XXXV.
Auf Europen.

Dieser schöne StierEr war wohl recht schön, wenn er so war, wie ihn Moschus beschrieben hat: »Sein Leib war röthlichfalbe, nur auf der Stirne glänzte ein hellweißer runder Stern. Die Augen waren bläulicht, und strahleten Liebe. Zwey gleichgeschweifte Hörner ragten aus seinem Haupte hervor, dem Zirkel des wachsenden Mondes gleich. So kam er auf die Wiese, und scheuchte die Jungfrauen nicht, die ihn kommen sahn. Jede sah ihn mit Lust, den liebenswürdigen Stier, dessen göttlicher Aushauch den süsen Duft der Wiese weit übertraf. Er blieb vor den Füsen der nie berührten Europa stehn, brüllete sanft, wie, wenn man den hellen Laut einer mygdonischen Flöte hört, kniete vor ihr nieder, und sah sie mit zurückgebogenem Halse an, und zeigte ihr seinen breiten Rücken &c.
    Ovidius erklärt eine Schilderey von Europens Entführung ausführlicher, als hier Anakreon gethan hat. »Arachne, sagte er, stellte auf ihrem Gewebe Europen vor, die Zevs unter der Gestalt eines Stieres hintergehet: wenn du es sähest, du würdest sagen, es sey ein warhafter Stier, und es seyen warhafte Meereswogen, worinnen er schwimmt. Sie scheinet ihre Augen nach dem Gestade zu richten, das sie allererst verlassen hatte, und ihre Gespielinnen um Hülfe anzurufen. Man sahe, wie sie sich fürchtete von der in die Höhe schlagenden Flut berühret zu werden, und wie sie die furchtsamen Fussohlen an sich zog &c.
    Moschus und Nonnus haben diese Fabel poetisch ausgebreitet, und ein geschickter Deutscher hat ihre Arbeiten übersetzet, und mit einander verglichen Diese Uebersetzung ist der geraubten Helena des Koluthus, als ein Anhang beygefügt worden.
, o Knabe,
Scheint mir Jupiter zu seyn,
Weil er auf dem weißen Rücken
Ein sidonisch Mädgen trägt,
Und das weite Meer durchschwimmet,
Und es mit den Klauen theilt.
Denn kein andrer Stier ist jemahls
Von der Heerde weggeflohn,
Und mit solcher edlen Kühnheit
Durch die Flut gesetzt, wie der. 98

 

XXXVI.
Auf die Vergnügungen dieses Lebens.

Und was lehrstu mich der Redner
Regeln und Sophistereyen,
Und was soll mir dieß Geschwäze»Hört einmal auf den Copernikus zu bestreiten; er mag recht oder unrecht haben, so ist doch die Tafel der Ort nicht, einen Federkrieg auszumachen. Ob sich der Erdboden mit uns um die Sonne; ob sich die Sonne ohne uns um den Erbboden drehe, mag mich nicht anfechten, wenn jener nur Melonen hervorbringt; und diese nur Reben zeitigt.«,
Das mir keinen Nutzen schaffet?
Lieber lehre mich statt dessen
Bacchus milde Gabe trinken;
Lieber lehre mich statt dessen
Mit der holden Venus schäkern.
Während dem ich mir mit RosenHier ist die Grundschrift verdorben. Die Frau Dacier glaubte sie so wieder herzustellen:
      Πολιὰν στέφοντι κάραν
      Δος ὕδωρ, βαλλ' ὀινον, ὦ παῖ.
Es kommen noch mehrere Oden vor, worinne der Text verstümmelt, und der Zusammenhang zerrissen ist. Vernünftige Leser werdens dem Uebersetzer nicht zur Last legen, wenn sie diese Lücken bemerken sollten.

Meinen grauen Scheitel kränze,
Kannstu mir, zu meinem Weine,
O mein Liebling, Wasser giesen,
Bis ich ohne Sinnen liege.
Du wirst ohnehin in kurzem
Mich, entseelt, zu Grabe tragen;
Und wer will noch was im Grabe?Anakreon verlangt die Unsterblichkeit nicht; seine heutigen Brüder eben so wenig, es geschähe denn aus anakreontischen Motiven: »O Bewohner der olympischen Schlösser, und Beherrscher der Sterblichen, deren Altäre von unserm besten Weihrauche dämpfen: ich bitte um jene Herrlichkeit nicht, die euch schimmernd umgibt; ich verlange von aller Hoheit nichts, welche die Welt an euch bewundert. Doch die Unsterblichkeit nähme ich von euch an, und, daß ihrs wißt, nur deswegen, um - - ewig trinken zu können.« 100

 

XXXVII.
Auf den Frühling.

Siehe! wie die HuldgöttinnenEs ist sehr kühn vom Anakreon, schreibt der Abt Regnier, zu uns zu sagen: sehet die Gratien. Er kann sie zu Personen machen: dies Recht gibt ihm die Dichtkunst; er darf erzehlungsweise von ihnen reden. Damit aber sollte er uns verschonen, daß er sie mit Fingern zeigt, als ob sie vor ihm stünden.
    Der Schild ist leicht zu finden, an welchem diese Pfeile zurück prellen müssen. Anakreon ist entzückt; wer kann ihm wehren, dasjenige zu zeigen, was seine feurige Phantasie vor sich sieht?

Bey des holden Frühlings Ankunft,
Sich mit Rosen dicht bekränzen.
Siehe! wie die Flut des Meeres
In gelaßner Stille ruhet.
Siehe! wie die Ente schwimmet,
Und der Krannich rückwärts kehret!
Itzo scheint die Sonne heiter,
Und zertheilt der Wolken Schatten;
Und des Landmanns Arbeit glänzetἜργα, sagt Baxter, sind Städte, Tempel, Palläste, die in der Sonne von ferne schimmern. Aber im Homer, bey der Redensart: ἔργα ἐνέμοντο, sagt doch der Scholiaste: die Griechen nennen Ἔργα, was wir heute zu Tage ς, oder Feldarbeiten heissen.
Uebrigens ist diese Ode sehr schön; man empfindet, daß sie im Frühlinge geschrieben worden. Folgende eines berühmten Freundes schildert die Natur ebenso schön, und erweckt beynahe dieselben holden, doch unschuldvollen Empfindungen:
      Nimm mich mit, geliebter Damon,
      Nimm mich mit auf deine Fluren.
      Laß mich dort den jungen Frühling,
      Und den Glanz der Morgenröthe,
      Und die Thäler voll Violen,
      Und den Thau auf müden Blumen,
      Und die frühe Venus sehen.
      Schweig! es lispelt schon ein Zephir,
      Ein vergnügter Freund des Lenzen.
      Sieh! er wälzt sich auf dem Grase,
      Und im Wälzen küßt er Blumen,
      Und die wankende Narcisse,
      Wird verliebt, und küßt ihn wieder.
      Komm! wir wollen ihn erhaschen,
      Und es soll sein sanftes Säuseln,
      Uns bis in den Busch begleiten,
      Wo wir seinen Freund, den Frühling,
      Unter Linden suchen wollen.
      Denn so bald wir ihn gefunden,
      Wollen wir in seinen Armen
      An dem weichsten Ufer schlummern;
      Bis uns ein vergnügtes Mädgen,
      Welches unser Schlummer ärgert,
      Durch ein Schäferlied erwecket.
;
Und der Oelbaum zeigt die Früchte!
Bacchus Staude steht bekränzet;
Unter Blättern, unter Zweigen
Zeigen sich die neuen Früchte. 103

 

XXXVIII.
Von sich selbst.

Ich bin zwar grau geworden;
Doch trink ich, wie die Jugend,
Und trage, wenn ich tanze,Wenn die Alten einen Reihentanz hielten, so trug jeder einen Stab in der Hand, der Chorführer aber einen Bacchusscepter. Aus dieser Gewohnheit entstand das Sprüchwort: πολλοι ναρϑηκοφόροι, πᾶυροι δὲ Βάκχοι.
Den Weinschlauch statt des Stabes.Der Scholiaste erklärt diese Zeile überaus deutlich. Man legte, sagt er, wenn ein Freudenfest war, mitten auf den Markt einen Schlauch, worauf die Trinker niedersasen, so lange bis jeder seine Flasche geleeret hatte. Derienige nun, welcher, ohne von der Stelle gegangen zu seyn, am ersten fertig war, trug den Schlauch voll Wein, als einen würdigen Preis seiner Fertigkeit zu trinken, davon.
        Ἀκούετε, λεὼ, κατὰ πάτρια τοὺς χοὰς
        Πίνειν ὑπὸ τῆς σάλπιγγος. ὅς δ' ἂν ἐκπίῃ
        Πρώτιστος, ἀσκὸν Κτησιφῶντος λήψεται.
                                Aristoph. in den Achanensern.
    Was ich mit dem Worte Stab gegeben, heißt in der folgenden Zeile Narthex. Dies war eine Pflanze, welche fünf oder sechs Schuhe hoch war, und eine harte Rinde hatte, mit einem Marke angefüllt, welches, so man Feuer dazu that, langsam verzehret wurde. Die Schiffer brauchten sie, von einer Insel zur andern, Feuer zu bringen; wie denn auch Hesiodus meldet daß sich Prometheus ihrer bedienet habe, das von dem Wagen der Sonne abgesonderte Feuer darinne den Menschen zuzutragen. Die Römer nennten sie Ferula; und die Griechen trugen Stäbe davon. Tournefort hat dieses Gewächs auf seiner Reise nach der Levante häufig angetroffen.

Ihr Helden, wollt ihr kämpfen,
So geht, so geht, und kämpfet!
Gib du mir, schöner Knabe,
Den grösten Birkenmeyer
Voll wohlgemischten Weines,
So süß, so gelb, wie Honig.
Bin ich gleich grau geworden,
So tanz ich, wie Silenus,
Doch mitten in den Reihen. 105

 

XXXIX.
Von sich selbst.

Wenn ich milden Chier trinke,
Dann wird mein Gemüth erheitert,Zweifelsohne ist dieses des Weines vorzüglichste Würkung, daß er das Gemüth erheitert. Niemals lehrte Sokrates göttlicher, als wenn er im Hause Agathons, in Kränzen, die ihm Alcibiades aufsezte, den Pokal herum gab. Die Weisheit der sieben Weisen Griechenlands selbst konnte nicht besser, als so in Gang gebracht werden.
      Pour dormer du Caquet
          A leur fine sagesse
      Il fallait un banquet
          Aux sages de la Grèce &c.

Und ich mache gleich den Anfang
Die Kamönen zu besingen.
Wenn ich milden Chier trinke,
Streu ich alle meine Grillen,
Alle sorgenvolle Anschläg
In die Winde auf dem Meere.
Wenn ich milden Chier trinke,
Dann entbindet mich Lyäus
Zu den allerfeinsten Scherzen,
Und treibt mich im Rausch der Freuden,
In die blumenreichen Thäler.Man liest besser: πολυανϑέσι μ'εν ἀυλοῖς, in die blumenreiche Thäler, durch welche nemlich die Bacchanten zu schwärmen pflegten; als ἐν ἀυρας, in die Lüfte, wozu sich das Beywort πολυανϑεῖς nicht zu schicken scheint, und die man ohne Medeens Wagen, oder Perseus geflügelte Schuhe, nicht durchfahren könnte.
Wenn ich milden Chier trinke,
Sez ich buntbeblümte Kränze
Auf den Scheitel, und besinge
Meine frohen Lebenstage, 106
Welche stille, gleich dem Meere,
Heiter, wie der Vollmond, fliesen.
Wenn ich milden Chier trinke,
Und in duftenden Essenzen
Meinen Leib gebadet habe,
Und mit schlankgewundnen Armen
Eine wohlgemachte Freundin,
Voll Gefälligkeit, umhalse:
Dann besing ich Cythereen.
Wenn ich milden Chier trinke,
Und in weiten BirkenmeyernDas Grundwort bedeutet poculum repandum et latum, ita, ut animus strenui potatoris quodammodo in eo explicari queat.
Meinen Geist herumgeführet:
Dann gesell ich mich zu Truppen
Junger aufgeweckter Mädgens.
Wann ich milden Chier trinke,
So ist dies auch aller Vortheil,
Den mein Leben mir gewähret,
Den ich mit zu Grabe nehme;
Denn ich muß doch endlich sterben,
Wie die armen Menschen alle. 108

 

XL.
Auf den Amor.

Ein Biengen schlief in Rosen,
Und Amor sahs nicht schlafen,
Und ward von ihm gestochen.
Er fühlte sich am Finger
Der kleinen Hand verwundet.
Da lief und flog er weinend
Zur schönen Cytherea.
O weh, geliebte Mutter,
O weh, o weh, ich sterbe!
Ich bin gebissen worden
Durch eine kleine Schlange,Dies ist sehr anmuthig, sagt die Frau Dacier. Anakreon läßt den Liebesgott mit gutem Bedachte also reden, weil nach der Theologie der Heiden die Götter vielen Dingen andere Nahmen geben, als die Menschen, wie man aus verschiedenen Stellen Homers zeigen kann.
    Der Herr La Fosse sezte ihr folgendes entgegen. Anakreon stellt unter der Rede Amors die Einfalt eines Kindes vor, welches bis hieher noch nicht wußte, was das ist: eine Biene. Diesen Charakter behauptet der kleine Gott durch die ganze Ode. Gibt es übrigens zehen Orte im Homer, wo die Götter anders als die Menschen reden, so gibt es dagegen tausend, darinne sie unsern Wörterbüchern aufs genaueste folgen.
    Diese Ode ist übrigens so rund, so angenehm und voll edler Einfalt, daß man ihr nicht abschlagen kann, sie lieb zu haben.
    Die Vergleichung solcher Gedichte, die einen, und eben denselben Gegenstand haben, ist jungen Leuten überaus nüzlich. Dieses bewegt mich, einen Brief aufzuschreiben, in welchem diese Ode gegen Theokrits Honignascher gehalten, und ihr Vorzug gezeiget wird. Er lautet also:
    Ich kann dem Gelehrten nicht beypflichten, der dem Anakreon einige von seinen Oden streitig macht; am allerwenigsten, da er die Ode Ἔρως ποτ' ἐν ῥόδοισι für eine übelgerathene Nachahmung des κηριοκλέπτης des Theokritus ausgibt. Die Furcht, die dem Amor in der Ode zugeschrieben wird, daß er an der Wunde sterben müßte; die Vorstellung, die er sich von der Biene, als von einer kleinen Schlange macht; sind so einfältige natürliche Kleinigkeiten, welche allein mehr werth sind, als des Theokritus ganzes Idyllium. Aber dieses ist nicht nur in seiner Ausbildung, sondern in dem Einfall, der die Hauptsache ausmacht, kaltsinnig und schwach. Das ganze Stück läuft auf die Kleinigkeit des Thiergens hinaus, welches eine so grose Wunde machet. Amor klaget nicht über die Schmerzen, sondern nur über die Gröse der Wunde, die ein so kleines Thier machete; und Venus vergleicht ihn nur in diesem Stücke mit der Biene. Sie löset ihm nur das kindische Wunder, darüber er sich aufgehalten, mit seinem eigenen Exempel auf.
    In der Ode hingegen herrschet lauter Empfindung; Amor hält sich vor tödtlich verwundet, er klaget nicht über die Gröse der Wunde, sondern über die Giftigkeit derselben. Und Venus vergleicht nicht seine kleine Person mit der kleinen Biene, sondern seine schmerzlichen Pfeile mit dem Stachel derselben. Damit will sie ihm auch nicht bloß ein eitles Wunder erklären, sondern ihm seine Unbarmherzigkeit vorwerfen, und ihm Mitleiden beybringen. Wahrhaftig wenn die Ode nicht Anakreons ist, wenn sie nur eine Nachahmung eines neuern Scribenten ist, so hat sie über das Idyllium, das sie nachgeahmet haben soll, die Vorzüge, die sonst ein Original gewöhnlich über die Nachahmung hat. Urtheilen sie selber, mein Herr. Des Theokritus Gedichtgen lautet also: »Eines Tages stach eine Biene den Amor, als er Honig aus ihrem Korbe stahl. Er empfand also einen grosen Schmerzen, er blies auf die Finger, er stampfete den Boden, und lief, so stark er mochte. Er zeiget den Finger seiner Mutter, und klaget ihr, daß ein so kleines Thiergen so grose Wunden machete. Aber die Venus lachte nur, und sagte: Gleichestu nicht den Bienen, und machest, so klein du bist, die grösesten Wunden?«

Die aber Flügel hatte.
Der Landmann nennt sie Biene.
Da sprach sie: macht der Stachel
Von Bienen solche Schmerzen:
Wie meynstu, daß es schmerze,
Wenn du mein Sohn verletzest? 112

 

XLI.
Auf ein Gastmahl.

Auf! und laßt uns frölich trinken,
Und den Gott des Weins besingen,
Der den Tanz zuerst erfunden,
Der am Singen sich vergnüget,
Der sich wohl zu Amorn paaret,
Den Cytherens Göttin liebet,
Der den Rausch zur Welt gebohrenAnakreon macht hier aus Μέϑη eine Gottheit.,
Der die Gratien gezeuget,
Der den Kummer ruhen heißet,
Und den wilden Schmerz besänftigt.
Wenn mir kaum die zarten Knaben
Den gemischten Trank gereichet,
Ist mein Gram bereits entflohen,
Wie vom Wirbel hingerissen.
Laßt uns dann den Becher fassen,
Und den Unmuth von uns jagen!
Denn was bringt es doch für Nutzen, 113
Zwischen Sorg und Kummer seufzen?
Weiß der Mensch sein künftig Schicksal?
Sind nicht seine Lebenswege
Vor ihm her voll Finsternisse?Sehet! den gemeinen Gedanken, der Mensch weis nicht, wie es ihm künftig ergehen werde, ungemein sinnlich und edel ausgedrückt.
Drum will ich, berauschet, tanzen,
Und von Salben lieblich duftend,
Mit den schönsten Mädgen spielen.
Ueberlasset dem den Kummer,
Brüder, der den Kummer liebet;
Wir, wir wollen frölich trinken,
Und den Gott des Weins besingen! 114

 

XLII.
Auf sich selbst.

Ich verlange nach dem Tanze
Des dem Spielen holden Bacchus:
Und mit jungen Leuten schmausend,
Spiel ich gern auf meiner Leyer.
Doch mir ists am angenemsten,
Kann ich Hyacinthenkränze
Um die krausen Schläfe winden,
Und mit schönen Mädgens spielen.
Meine Brust kennt keine Mißgunst;
Kennet nicht die falsche Mißgunst:
Und ich fliehe vor den Pfeilen
Aufgebrachter Lästerzungen;
Auch verfluch ich Streit und Zanken.
Bey dem Weine, bey den Schmäusen,
Mit noch jugendlichen MädgensNach der Lesart, die Herr Le Fevre zuerst behauptet hat, da er, statt νεοϑηλᾶισιν, νεοϑηλέσσ' gesetzet.
Nach der holden Leyer tanzend,
Leb ich Tage voller Ruhe. 115

 

XLIII.
Auf die Grille.

Es scheint leicht zu seyn, eine Ode auf den Schlag zu machen, wie diese ist, allein man betrügt sich. Es gehört eine grosse Zärtlichkeit des Geschmacks, und viele Erfindung und Witz dazu, die Eigenschaften eines solchen Thiergens, von dem sich nicht viel sagen läßt, auf einer solchen Seite vorzustellen, daß sie die Aufmerksamkeit der Leser anziehen, und ihre Bewunderung verdienen.

Seelig preis ich dich, o Grille,
Weil du auf der Bäume Wipfeln,
Wenn du wenig Thau getrunkenAnakreon will sagen: der Thau sey die Ursache, daß die Grille so schön singe; sie werde durch ihn, wie die Dichter durch das Wasser der Musenquelle, begeistert. Meleager in einem in der Anthologie befindlichen Sinngedichte sagt eben das:
      Ebria mananti quae garris rore cicada,
          Aviaque agresti voce reples nemora,
      Serratisque tenens pedibus suprema comarum,
          Non secus ac fidibus, corpore dulce canis.
      Eja novum cane quid, quo se Dryadum chorus omnis
          Oblectet, Panis obstreperum calamis;
      Vt media de luce, meorum oblitus amorum
          Heic sub frondosâ somnum meam platano.
,
Als ein groser Meister singestDaß das Wort βασιλεὺς bey den Alten in diesem Sinne gebraucht wird, ist erweißlich gewiß. Baxter hat also unrecht, wenn er behauptet, die Grille werde nicht so wohl in Absicht aufs Singen, als vielmehr aufs Sitzen, βασιλεὺς genennet..
Dein ist alles das zu nennen,
Was du auf den Feldern siehest,
Und was jede Jahrszeit giebet.
Dir ist auch der Landmann günstig,
Denn du thust ihm keinen Schaden.
Dich verehren alle Menschen,
Heroldin des holden SommersΘέρος ist diejenige der Stunden, die dem Sommer vorstund. Die Grille heißt also Θέρεος προφήτης deswegen, weil, wenn sie anfängt, sich hören zu lassen, solches ein Merkmahl ist, daß der Sommer nicht ferne sey.;
Ja, es lieben dich die Musen;
Und weil Phöbus selbst dich liebet,
Gab er dir die helle Stimme.
Nie beschweret dich das AlterTithon war der Liebling Aurorens. Sie bat ihm von den Parcen die Unsterblichkeit aus, und bekam sie, aber keine solche, wie die andern Götter, die in einer ewigblühenden Jugend besteht. Denn er verlohr im Alter, wie andere Menschen, Lebhaftigkeit und Schönheit, und seine Unsterblichkeit ward Auroren zur Last. Daher verwandelte sie ihn aus Mitleid in eine Grille, hieng ihn in einem Körbgen in die Luft, und erhielt ihn mit Thau.,
Weisheitvolles Kind der ErdeDie Athenienser trugen Grillen von Gold an den Haaren, anzuzeigen, daß sie sterbliche Menschen, und Kinder der Erde seyen.,
Liederfreundin, die du Schmerzen, 116
Die du Fleisch und Blut nicht kennestDie Götter, nach dem Begriffe der Heiden, hatten statt des Bluts nur eine gewisse wässerigte Feuchtigkeit. Dieß erhellt aus einigen Stellen Homers, und aus einer Rede Alexanders an seine Schmeichler, die ihn wollten glauben machen, daß er ein Gott sey. Er sagte zu Ihnen, als er einsmals durch einen Pfeil verwundet ward: da sehet ihr doch, meine Freunde, daß es ordentlich Blut, und kein Wasser ist, was von dieser Wunde triefet.
    Was Baxter vom Worte, ἀναιμόσαρκε anmerkt, halte ich, meine Uebersetzung zu ändern, nicht für erheblich genug. Es ist bekannt, daß auch Epikur der Meynung gewesen, die Götter seyen Luftmännergen, ohne Fleisch und Blut, die in gewissen abgelegenen Gegenden ihre Tage in sanftem Müßiggange verfliesen lassen, ohne zu wissen, oder sich zu bekümmern, ob noch etwas ausser ihnen in der Welt sey oder nicht, welcher Gattung von Göttern Anakreons Grille in Wahrheit sehr ähnlich ist.
,
Fast bistu den Göttern ähnlich.Den Umstand, daß die Grille auf dem Felde wohne, und seiner Früchte geniesse, hat Anakreon nicht geschickter zu ihrem Lobe anwenden können, als da er sagt: alles das gehöre ihr gleichsam zu, was sie auf den Feldern sehe, und jede Jahrszeit hervor bringe. Ihre Stimme hat er nicht feiner rühmen können, als durch die Dichtung: sie habe dieselbe vom Phöbus, als ein Pfand seiner Liebe bekommen. Den Menschen hat er dieß Thiergen nicht höher anpreisen können, als da er es eine Vorbotin der angenehmen Jahrszeit nennt, darinne man die reichen Geschenke der Ceres einerndtet, worauf sich die Sterblichen so lange voraus freuen. Höher hätte er das Lob der Grille nicht treiben können, als da er sie von dem, was die menschliche Natur Unvollkommenes an sich hat, das ist, von den Beschwerlichkeiten des Alters, und von allen Schmerzen frey spricht, und in ihr Eigenschaften entdeckt, dadurch sie, bis in die Reihe der Götter, erhoben wird.
    Ein gewißer Dichter hat seinen verstorbenen Mops besungen: man kann sein Gedicht mit dieser Ode vergleichen. »Ob dir ein guter Bissen, sagt er, gleich immer lieb war: nahmest du ihn doch nicht ungeheissen. Du warest niemahls bemüht, Schätze zu sammeln, wie viele grose Hunde zu thun pflegen. Man sah dich nie im steifen Modekleide; ein perlenfarbes Haar, und ein schwarzes, doch gefälliges Maul, blieben unverändert deine Tracht. Gegen ein Stückgen Zucker warst du bereit, mehr Pflichten zu erfüllen, als mancher Vasall gegen das reichste Gut seinem Lehnsherrn nur versprechen mag. Du warst mir statt eines Hauscalenders, und zeigtest mir mit grösserer Gewisheit als der, des Wetters bevorstehende Veränderung an.

      Ein muntres Herz war dir recht angebohren;
          Kaum kam zu mir ein unbekannter Mann,
      So horchtest du mit abgeschnittnen Ohren,
          Und zeigtest ihn mit leisem Murren an.
      Jezt seh ich nur des Polsters leere Stelle,
          Und wenn ich oft in Büchern ruhig bin,
      Betrüg ich mich, als hört ich dein Gebelle:
          Allein du schweigst, du starbst, und bist dahin!

      Wie wirds mit dir nach deinem Tode werden,
          Da dir die Zeit den edlen Körper raubt?
      Der Trost fällt hin: du kömmst zurück auf Erden,
          Da man nicht mehr der Seelen Wandrung glaubt.
      Nichts stört den Gram, der mich bis jezt betäubet,
          Nichts wirkt mir Trost, da Mops, mein Hund, erstarrt,
      Als daß sein Stof untheilbar daurhaft bleibet,
          Und man mit ihm nicht seinen Ruhm verscharrt.
121

 

XLIV.
Auf seinen Traum.

Sehet da . eines der artigsten Lieder des Alterthums, und wenn die Person, der zu Ehren es gemacht worden, eben so schön war: so kann ganz Griechenland nichts schöners gehabt haben.
    Aber wer wird dem Barnesius recht geben, welcher muthmaßet, Anakreon habe in seinem Alter eine betagte Matrone geheyrathet. Hat Baxter nicht Ursache, ihn deswegen zu schrauben, und auszurufen: Fürwahr! Barnes hat Recht:
                                  optima summi
      Nunc via processus vetulae vesica beatae.

Ich lief jüngsthin im Traume
Mit Flügeln auf dem Rücken;
Da folgte mir Kupido
Mit Bley an seinen Füssen;
Und sieh! ich ward erhaschet.
Was mag der Traum bedeuten?
Dieß, wie mich däucht: ich werde,
Da mich so manche Liebe
Schon in ihr Netz gezogen,
Und ich noch stets entronnen,
Izt einmal hängen bleiben.Properz sagte, als er sich nach langem Stolze endlich verliebte, fast auf eine ähnliche Weise von sich selbst .
      Haesisti: cecidit spiritus ille tuus.
                              L. II. El. 2.
123

 

XLV.
Auf die Pfeile der Liebe.

Cythereens Ehmann schmiedet
Einst in Lemnos Feueressen
Pfeile für die Liebesgötter,
Aus dem allerschönsten Stahle.
Und derselben Spitzen tauchet
Venus in den süssen Honig,
Den ihr Sohn mit Galle mischte.Horaz bereichert diesen Gedanken Anakreons vortreflich, wenn er sagt: Kupido schärfe seine Pfeile auf einem blutbetrieften Wezsteine:
      Ardentes acuens sagittas
          cote cruentâ;

wo ich anzumerken bitte, wie lebhaft dieses, daß er seinen Wezstein statt des Oehles mit Menschenblut anfeuchtet, als achte er dasselbe nicht, sein grausames und boshaftes Herz schildert.
    Aber so, wie dieses kleine Gemählde in der Gallerie des Lustschlosses zu Chantilly mit dem Pinsel ausgeführet worden, ist es noch viel rührender. Einige Amors drehen einen Schleifstein herum, auf welchen ein andrer, der sich die Ader geöffnet, sein Blut ganz warm in einem Bogen springen lässet, während dem Kupido Pfeile schleift, von deren Spitzen die Funken hell aufsprühen.

Da kommt Mars aus einem Treffen;
Schwenket eine schwere Lanze,
Und verlacht den Pfeil des Amors,
Als zu leichte. Da spricht Amor:
Dieser dünkt mich, ist nicht leichte!
Nimm ihn nur! du wirsts erfahren.
Mavors nimmt ihn in die Hände;
Aber Cytherea lächelt;
Und der Kriegsgott seufzt, und sagetWie fein lehrt uns der Dichter, daß man ohne unausbleibliche Reue mit der Liebe nichts zu schaffen haben könne.:
Er ist schwer! - - da! nimm ihn wieder! 124
Aber Amor sprach: du hast ihn,
Und du sollst ihn auch behalten!Diese zugesezte Zeile scheinet dem Nachdrucke des ἔχ' αυτὸ, so wohl, als der Absicht des Redenden gemäß zu seyn.
    Es ist zu bewundern, wie der Grieche in so wenigen Zeilen solche schöne und wichtige Sachen, mit allen Umständen und Wechselreden, so ausführlich, und dennoch so deutlich, leicht, angenehm, fein und ungezwungen erzehlen können: daß die Leser alle, wie Tanaquill Le-Fevre, auszurufen, werden in Versuchung gesezt werden:
    Ita me ingenioli & molles, pressi tamen & adstricti huius Odarii versus ceperunt, ut e Grammatico paene Poëta fiam, & repente attonitus exclamem, vbi eos lego:
      Felix, ah! nimium felix, cui carmine tali
          Fluxit ab Aoniis vena beata iugis.
      Quid melius dictaret Amor, Risusque Iocique,
          Et cum germanis Gratia iuncta suis.
126

 

XLVI.
Auf die Liebe.

Nicht zu lieben, und zu lieben,
Alles beydes ist was hartes;
Aber dieß das allerhärtste:
Ohne Gegengunst zu lieben.
Kein Geschlecht gilt in der Liebe;
Witz und Sitten sind verachtet,
Und man sieht allein auf Reichthum.
O daß der doch sterben müßte,
Der das Geld zuerst geliebet.
      O pereat, quicumque legit viridesque Smaragdos,
          Et niveam tyrio murice tingit ovem!
      Hic dat avaritiae stimulos: hinc Coa puellis
          Vestis, & è rubro lucida concha mari.
      Haec fecere malas: hinc clavem ianua sensit,
          Et cepit custos liminis esse canis.

Die erotische Dichter haben immer die Klage geführt, daß man bloß auf Reichthum sehe. Siehe die schöne Elegie des Properz über den Tod deß Pätus im III. B. ingleichem B. III. El. 11.
    Folgende Fabel wird die Moral, die Anakreon in seiner Ode vorträgt, der Jugend gefälliger und empfindlicher machen. »Der GOtt des Eigennutzes traf den GOtt der Liebe bey einem reichen Generalpachter an. Siehe da! sagte er, ein Kerlgen, das wohl ausstaffirt ist! Seine Pfeile sind von Gold, und sein Köcher von Helfenbein. Wahrhaftig, er verdienet es, geplündert zu werden, und fein muß er seyn, wenn er nicht Haare lassen soll. Hast du Lust zu spielen, Sohn Cytherens? ich besitze Kostbarkeiten, die mir gegen schweres Gold verpfändet worden; Armbänder von Haaren der schönsten Frauen, mit Rubinen durchsetzt; Liebesringe, unter welchen Geheimnisse stecken! wahre Schätze für Kenner und Liebhaber. - - wem sagst du dieses, erwiederte Amor? ich kenne den Werth solcher Juwelen besser, als du! ihr Tarif ist zu Cythere; und wenn du willst, so spielen wir drum. - Sie spielten. Ein Pfeil, zween Pfeile, drey Pfeile sind fort, und Amor wird immer hitziger. Sein Gegenpart, ein durchtriebener Schalk, zieht ihn aus, und so völlig, daß er auch den leeren Köcher hergeben muß. Amor geht nackter, als jemals zum nächsten Myrtenhaine, der Welt seinen Verlust, und seine Thränen zu verbergen. Seitdem bedient sich der Eigennutz der Waffen des Amors zum Nachtheile wahrhaftig Verliebter.«

Denn darum verläßt man Eltern;
Darum trennt man sich von Brüdern;
Drum entstehen Krieg und Morden;
Und wir Liebende, wir müssen
Seinetwegen gar verderben. 129

 

XLVII.
Auf Greise voller Munterkeit.

Ich liebe muntre Greise;Wie er selbst, und zu unsern Zeiten der Marquis von St. Auläre einer gewesen, der in seinem höchsten Lebensalter noch
die niedlichsten Verse machte. »Im sechs und neunzigsten Jahre seines Lebens, sagt Voltaire, aß er mit der Herogin Du Maine zu Nacht. Als sie ihn nun ihren Apoll nennte, und mit aller Gewalt, ich weiß nicht, welches Geheimnis von ihm wissen wollte, antwortete er ihr aus dem Stegreife:
      La Divinité, qui s'amuse
      A me demander mon sécret,
      Si j'étais Apollon ne serait point ma Muse;
      Elle serait Thétis, & le jour finirait.

Anakreon, fährt Voltäre hierauf fort, schrieb nicht so artig und galant, ob er gleich jünger war. Wenn die Griechen Schriftsteller hätten, wie unsere Gute, sie wären noch weit stölzer gewesen, und wir hätten noch weit mehr Recht sie zu bewundern.

Ich liebe junge Tänzer;
Ein Alter, wenn er tanzet,
Ist nach dem Haar ein Alter;
Ein Jüngling nach dem Geiste. 131

 

XLVIII.
Von sich selbst.

Gebt mir des Homerus Leyer
Ohne kriegerische Saite;Gleichsam, als ob unter diesen Saiten eine wär, die nur bey Besingung der Schlachten und Helden Dienste leisten könnte.
Bringt mir die bestimmten Becher;
Bringt die Loose, sie zu mischen.Man wählte bey den Gastmahlen einen König, welcher nach Gutdünken die Gröse der Becher bestimmte, aus welchen dießmahl getrunken werden sollte.
Daß ich tüchtig mich berausche;
Tanze; bey bescheidnem Rasen
In die holde Leyer singe;
Und ein Trinklied schallen lasse. 132

 

XLIX.
An den Mahler.

Höre, treflichster der Mahler,
Meine lyrische Kamöne.
Mahle, wie sie dich belehret,
Munter spielende Bacchanten,
Die auf zwoen Flöten blasen.Ich lese, wie Le-Fevre und Barnes
    Ἑτεροπνόοις ἐν ἀυλοῖς, nemlich Φυσᾶσι.

Und vornemlich mahle Städte,
Welche lachen, und sich freuen;Solche Städte, dergleichen eine auf Achills Schilde gebildet war, in welcher Gastmahle gehalten, und Hochzeiten gefeyert wurden. Ilias B. XVIII.
Und wenn es das Wachs verstattet,Diese Gattung der Mahlerey, welche Plinius beschrieben hat, ward für verlohren gehalten; Aber Herr Bachelier zu Paris erfand sie vor kurzem wieder, und erhielt das Vorrecht, sich eine Zeitlang derselben allein zu bedienen. Doch theilte er sein Geheimnis auch dem Herrn Odiot mit, der darinne die vortreflichsten Arbeiten verfertigt, und die Vortheile der Kunst ausnehmend in der Gewalt hat.
Auch die Regeln für die Trinker.Statt φιλούντων ließt Le-Fevre πινοντων, Baxter aber φιλούσας. Anakreon gedenkt aller Orten des Trinkens, seiner Lieblings-Arbeit. Sein Wissen erstreckte sich nicht über den Innhalt folgenden Liedgens:
    Ob ich morgen leben werde,
        Weiß ich freylich nicht;
    Aber, wenn ich morgen lebe,
    Daß ich morgen trinken werde,
        Weiß ich ganz gewiß.
134

L.
Auf den Weingott.

Der Gott ist da, der junge Leute
Im langen Schmausen unbezwinglich,
Bey Lustgelagen unerschrocken,
Im Tanzen unermüdet machet.
Er bringt den Menschen ein Getränke,
Das niedlich ist, und sie erfreuet,
Den Wein, das Kind der edlen Rebe,
Den, noch in seiner Haut verschlossen,
Lyäus an den Zweigen hütet.
Dasselbe, wenn wirs wacker schlurfen,
Erhält uns an der schönen Seele,
Erhält uns an dem holden Körper
So lang bey rüstiger Gesundheit,
Biß, nach herum gedrehtem Jahre,
Lyäus wiederum erschienen.Dieses ist Ἐπιλήνιος ὕμνος, ein Lied, das bey der Kelter gesungen wurde. Man glaubte, die Gottheit Bacchi steige bey solcher Gelegenheit herab, und segne den jungen Most, damit er zu gutem Weine gedeihe. 135

 

LI.
Auf einen Diskus,
worauf Venus gemahlt war.

O wer hat das Meer gebildet!
Welche Wunderkunst hat Wellen,
Uber dieses Meeres Rücken,
Auf den Diskus ausgegossen?Dieser Gedanke ist kühn, neu, und poetisch.
Welcher Geist, der Göttern gleichet,
Hat die weiße zarte Cypris,
Diese Mutter aller Götter,
Auf die blaue Flut gesetzet?
Nackend läßt er sie uns schauen,
Und nur das verdecken Fluten,
Was verboten ist, zu sehen.
Und sie schweift, gleich weißem Moose,
Auf dem ungestörten Meere,
Am Gestade, hin und wieder.
Mit dem Leibe stößt sie schwimmend
Vor sich her die grossen Wasser. 136
Mit dem Theile, der die Göttin
Zwischen ihren Rosenbrüsten
Und dem zarten Halse zieret,
Trennet sie die grosen Wellen.
Mitten durch die dunkeln Furchen
Glänzt sie, bey des Meeres Stille,
Gleich der Lilge zwischen Veilgen.Diese sieben Zeilen sind mahlerisch. Welche niedliche Beschreibung der Schultern, da er sie den Theil nennet, der die Göttin, zwischen dem Rosenbusen, und dem Halse ziert? Wie glücklich ist die Metapher, da er die tiefen Runzeln des Meeres dunkle Furchen nennet? welches holde Bild erwecken die Worte: Venus glänzt mitten unter den dunkeln Meeresfurchen, wie die Lilgen zwischen Veilgen?
Seht! auf tanzenden Delphinen
Wird auch Amor und Kupido,
Aller List der Menschen spottend,
Durch die Silbersee getragen.
Ein gekrümmtes Chor von FischenΚυρτὸς bedeutet meines Erachtens das schändliche nicht, was Baxter dadurch bezeichnet haben will, sondern den Kreis, den die Fische um Cytheren schlossen, als sie solche belustigten.
Uberwirft sich in den Fluten
Blinkend, und umgauckelt Cypris,
Die vergnügt im Schwimmen lächelt. 138

 

LII.
Auf den Most.

Junge Söhne, junge Töchter
Tragen hier auf ihren Schultern
Körbe voller schwarzen Trauben;
Die sie in die Kelter schütten.
Nur die erstre treten solche,
Und befreyn den Wein vom Kerker,Im Griechischen steht: sie binden den Wein los; und die Metapher ist allerdings schön. Ich habe es durch eine andere gegeben, darinne der Grund der Ubereinstimmung leichter wahrgenommen werden kann.
Und erheben Bacchus Gottheit
In vergnügten Winzerliedern,
Und sind freudenvoll, zu sehen,
Wie der allerliebste Weingott
In der holen Tonne tobet.Nach des Le-Fevre Verbesserung: νέον ἐκζέοντα Βάκχον.
Wann ihn izt ein Alter trinket,
Fängt er zitternd an zu springen,
Und die silberweißen Locken
Um den Nacken wild zu werfen.
Und ein trunkner frischer Jüngling
Faßet auf ein nettes Mädgen, 139
(Das vom Schlafe überwältigt
Seine liebenswerthen Glieder
Unter schatticht Laub gestrecket,)
Einen schalkheitvollen Anschlag;
Und beschleicht es still im Dunkeln.Nach des Herrn Dacier Lesart: Ἐρατὸς νέος ἐλύσσει.
Mit verschmizten Schmeichel-Reden
Reizt es Cypripor geschwinde,Man muß hier lesen: ἄωρα ϑέλγει nicht ϑέλγων. Ἄωρα ist hier so viel, als παρϑένον. Γάμων steht figürlich für Ἀιδοῦς, wie Barnes und Baxter anmerken.
Hochzeit vor der Zeit zu machen.
Aber seine Schmeichelreden
Mögen es nicht überreden;
Und da zwingts der lose Jüngling
Mit Gewalt zu mehr, als Küssen.
Seht! so spielt der trunkne Bacchus
Oft zu frey mit jungen Leuten!Man rufe also dem Jünglinge zu:
    Bruder, wenn die Gläser winken
        Lerne von mir deine Pflicht:
    Trinken kannst du! du kannst trinken!
        Doch betrinke dich nur nicht!
141

 

LIII.
Auf die Rose.

Nebst dem Blumenreichen Lenze
Sing ich von der Sommerrose.
Bruder auf! und hilf mir singen!

Rosen sind der Götter Rauchwerk,
Und der Sterblichen Ergötzen,
Und zur Zeit der Blumenblüte,
Wenn die Liebesgötter herrschen,
Auch der Huldgöttinnen Zierde,
Und die Wonne Cythereens,
Und der schönen Nymphen Sorge,Nach des Le-Fevre Verbesserung: τό δε και μέλημα νυμφῶν.
Und der Musen liebste Pflanze.

Mit Vergnügen pflückt man RosenHenrich Stephanus ließt: γλυκὺ και ποϑοῦντα πεῖραν; Baxter aber: ποιοῦντι πεῖραν.
Von den schwarzbedornten Hecken;
Mit Vergnügen sprengt man RosenDie Frau Dacier hat den Text auf folgende Art durch eine kleine Aenderung der dritten Zeile deutlicher gemacht:
      Γλυκὺ δ'ἆυ λαβόντα ϑάλπειν
      Μαλακᾶισι χερσὶ κούφαις
      Προσάγοντ' Ἔρωτος ἄνϑος &c.
Baxter aber liest in der ersten Zeile λαβόντι, in der zweyten, nachdem er einen Strich gemacht hat, κούφως
    Ihr Gatte aber legt in seinen Auslegungen über die 11te Idylle des Theokritus diese Stelle also aus: »Wenn die Griechen wissen wollten, ob sie in ihrer Liebe glücklich seyn würden, so nahmen sie ein Mohn- oder Rosenblatt, schloßen die linke Hand zu, so, daß oben zwischen dem Daumen und dem Zeigefinger eine Hölung angieng, welche sich durch die geschloßene Hand hinab erstreckte, und auf diese Hölung breiteten sie das Blatt aus, so, wie man einen Deckel auf einen Brunnen legt. Alsdann schlugen sie mit der rechten flachen Hand darauf, und zersprengten das zarte Blatt. Gab dieses nun einen Knall von sich, so hielten sie es für ein glückliches Zeichen für ihre Liebe; knallte es nicht, so gaben sie, wenn sie einfältig genug waren, alle Hofnung, geliebt zu werden, auf.«
    La Fosse sieht in seiner Uebersetzung ebenfalls auf diese Gewohnheit der Alten:
        Par elle nous jugeons, si nons sommes aimez,
            Quand, sur deux doits en rond fermez, .
            Nous frappons la feuille etenduë
.

In den weichen hohlen Händen,
Zu erfahren, ob man liebe. 142
Auch ergötzet uns die RoseStatt des unverständlichen Wortes Ωσσοφῶ, muß man τό ῥόδον lesen: so wird alles deutlich.
Auf den Tafeln, bey den Schmäusen,
Und des Bacchus Opferfesten.

Was geschiehet ohne Rosen?
Von Aurorens Rosenfingern,
Von der Nymphen Rosenarmen,
Von der Rosenhaut Cytherens
Liest man bey den Weisen vieles.Der Scholiaste bemerkt, daß die Poeten oftmahls Weise genennt werden. Wie dann auch bekannt ist, daß einige Dichterinnen, als Kleobuline, Sappho, und Demophile dieses Beynahmens gewürdiget worden.
Auch den Kranken hilft die Rose?
Auch vertheidigt sie die Leichen,
Auch den Zeiten trozt dieselbe;
Und ihr Alter selbst ist reizend;
Denn es weicht nicht ihrer Jugend
An anmuthigem Geruche.

Laßt uns ihren Ursprung merken!
Als das Meer, aus blauen Wellen,Diese Dichtung vom Ursprunge der Rose ist voll Anmuth. Als Pallas und Venus gebohren wurden, wollte die Erde auch zeigen, was sie gebähren könnte, und gebahr die Rose. Diese Blume ist so schön, wie eine Göttin, und nicht minder beliebt. Die Götter gaben sich recht Mühe, sie vollkommen zu machen. Sie besprüzten sie mit Nektar, vermuthlich, ihr die rothe Farbe zu ertheilen; wiewohl die Dichter noch eine andere Ursache der rothen Farbe der Rose angeben: »Adonide occiso, sagen sie, Venerem nudis pedibus silvam esse ingressam spinisque ibi compunctam emisisse cruorem; inde rosam, quae prius esset alba, aspergine contactam, cœpisse rubere.. Dieser Meynung scheint das Pervigilium Veneris [Siehe Claudii Salmasii animadversiones in Pervigilium Veneris, in Dominici Baudii Amoribus, pag. 452.], das holdeste aller römischen Gedichte, beyzupflichten, wenn es von der Rose sagt: sie sey entsprungen:
      Cypris de cruore, deque Amoris osculis.

Die von Schaum erzeugte Venus
Triefend ans Gestade schickte;Plinius berichtet uns, der Kaiser Augustus habe eine solche Venus, wie sie aus der See kam, Venerem marinam, von der Hand des Apelles, in den dem Julius Cäsar gewidmeten Tempel stellen lassen.
    Wenn dieser Lobgesang der Rose meinen Lesern besser gefällt, als dem Vater der Frau Dacier: so bitte ich sie, folgende Zeilen zu lesen, und den Inhalt derselben auf ihn anzuwenden. Fontenelle redet von den Versen, in welchen Leibniz die Eigenschaften und Würkungen des von Branden erfundenen Phosphors besingt. Er sagt also:
    »Alles, was die Fabel, alles was die geistliche und weltliche Geschichte darreichen konnte, das mit dem Phosphor einige Aehnlichkeit hat, ist hier angewendet worden. Der Raub des Prometheus, der Rock Medëens, das glänzende Antliz Mosis, das Feuer, welches Jeremias in die Erde vergrub, als die Jüden in die Gefangenschaft geführt wurden, die vestalische Jungfrauen, die Todtenlampen, die Kämpfe der egyptischen und persischen Priester &c. Und obwohl dieses viel ist, so ist es doch nicht unordentlich in einen Klumpen gemengt, sondern eine feine, und geschickte Ordnung hat einem jeden seinen Plaz angewiesen, den man ihm ohne Schaden nicht nehmen kann; und die verschiedene Idëen, so schnell sie aufeinanderfolgen, folgen sie einander doch zur rechten Zeit.«
    Was nun Leibniz in Ansehung des Phosphors gethan hat, hat Anakreon in Ansehung der Rose gethan; und dennoch hat seine Ode kein gelehrtes Aussehen, dergleichen die heutigen Lobgedichte meistens zu haben pflegen.

Und sich Pallas, ganz bewafnet,
Itzt auf Jovis Wirbel zeigte:
Da gebahr der Schoos der Erde
Gleichfalls eine neue Tochter, 143
Die bewundernswerthe Rose;
Mit so vieler Kunst gebildet.
Kaum war sie gebohren worden,
Als die Schaar der seelgen Götter
Ihren Nektar auf sie sprüzte.
So stieg Bacchus ewge Blume
Stolz, aus Dornen, in die Höhe. 148

 

LIV.
Auf sich selbst.

Wenn ich junge Leute sehe,
Dann besucht mich Hebe wieder;
Dann, ja dann beginn ich Alter
Jedem Reihen zuzufliegen.
Weich dann nie, geliebte Hebe,
Weich dann nie von meiner Seite!
Gib mir Rosen mich zu kränzen!
Aber du, o du kannst gehen,
Graues Alter, dann ich tanze
Mit den Jünglingen, ein Jüngling.
Nun dann! bringe mir doch einer
Von dem Saft der edlen Rebe!
Daß man einen Alten sehe
Voller Munterkeit und Stärke;Anakreon konnte so gut, als der Abt Chaulieu sagen:
      Que si n'ai plus ma premiére vigueur,
      Ce, qui m'en reste, et beaucoup de courage
      Me peut encor tirer avec honneur
      D'un mauvais pas, où mon penchant m'engage;
      De plus, en moi l'Amour est beau parleur;
      Maitre je suis encor en son langage,
      Et sçai très-bien d'un tendre badinage
      L'amusement, et le tour enchanteur.

Nach so holden Zeilen wird die folgende Anmerkung dem Leser kaum erträglich seyn. Sie besteht darinne: daß diese Ode in allen Ausgaben sehr verdorben erscheine. Ich habe um dieser Ursache willen nur nach gewißen Lesarten übersezt: und in der ersten Zeile statt νέοις ὁμιλουννέων ὅμιλον; in der zwoten, statt ἧκας; in der fünften, statt κυβήβακαι σὺ ἥβα; in der sechsten, statt παράδοςῥόδα δὸς; in der zehnten, statt ῥοιὰν ἀπ' ὁπώρηςῥοιὰν ὀπώρης gelesen.
    Wenn übrigens Anakreon von sich versichert, daß er wie ein ausgelernter Meister trinken könne, so scheint er der Meynung jenes Schalkes gewesen zu seyn, der sich durch folgendes Distinguo geholffen:
      Zu viel kann man wohl trinken;
      Doch nie trinkt man genug.

Welcher, wie ein Meister, singet,
Wacker, wie ein Meister, trinket,
Und mit Anmuth schwärmt und raset. 150

 

LV.
Auf die, welche lieben.

Es haben aus den Schenkeln
Die Pferde Feuermähler;
Es sind die Parthermänner
An ihren Hüten känntlich.
Ich kenne gleich Verliebte,
So bald ich sie erblicke.
Ihr schmachtend Aug entdecket
Des unverwahrten Herzens
Verborgenstes Geheimnis.Die Worte: ihr schmachtend Aug entdecket des unverwahrten Herzens verborgenstes Geheimnis, heißen in der Grundsprache so:
      Weil sie in ihrem Herzen
      Ein kleines Zeichen tragen.
Weil nun ein Zeichen im Herzen, wohin man nicht sehen kann für Menschen kein Zeichen ist: so habe ich, um dem Leser begreiflich zu werden, ein äußerliches Merkmahl, woran Verliebte erkannt werden können, angegeben.
    Uebrigens dünkt mich, daß folgende Stelle des berühmten Roußeau dem Schwunge nach mit dieser Ode was Aehnliches habe:
      Qui voudra voir Cicognes attroupées,
      Doit naviger sur 1'Hebre Thracien;
      Qui veut savoir, où font Poules jaspées,
      Visitera le bord Numidien.
      Qui se fera d' Hymméte citoyen,
      Verra foison d' Abeilles, et de Ruches;
      Et voyageant au Païs Indien,
      L'air trouvera tout peuple de Perruches.
      Car en ses loix Nature a limité
      A chaque espéce un climat affecté.
      Mais si quelqu' un de l'Espéce emplumée,
      Qu'on nomme Amours, a curiosité,
      Paris tout seul doit être visité;
      Ville ne sai de tant d'Amours semée &c.
152

 

LVI.
Auf das Gold.

Einige der folgenden Gedichte sind von Anakreon, einige aber nicht. Welche von ihm sind, ist so leichtlich nicht auszumachen. Man hat sie auch hier übersezt, nicht nur deswegen, weil andere Nationen Uebersetzungen davon haben, sondern weil sie ihrer Schönheit wegen einer sorgfältigen Uebersetzung würdig geschienen.

Wenn mich der falsche Flüchtling,
Das Gold, mit schnellen Flügeln,
Als wie die Winde, fliehet;
Und dieses thut er öfters:
Laß ich ihn immer fliehen.
Wer sucht wohl, was er haßet,
Mit Mühe einzuholen?Unsere Sprache, sagt die Frau Dacier, kann die Schönheit, die sich im Grundtexte findet, nicht ausdrücken; denn das Wort Chrysus, welches Gold bedeutet, ist zugleich ein Nahme, den griechische Sklaven trugen. Der Dichter stellt also das Gold als einen entlaufenen Sklaven vor, welches allerdings anmuthiger ist, als es im Deutschen gegeben werden kann.
Denn geb ich allen Kummer
Den Winden wegzutragen,
Und nehme meine Leyer,
Und singe Buhlerlieder.

Wenn sich nun dieser Flüchtling
So sehr verschmähet siehet,
So kömmt er schmeichelnd wieder,
Und spricht, um mir die Sinnen
Mit Sorgen zu betäuben:
Wirf deine Leyer nieder! 153

Nein, ungetreuer Flüchtling,Die Grundschrift ist hier völlig verdorben. Herr Dacier las also
      προσεῖπεν ὁ δραπέτας
      φέρων μέϑαν μοι φροντίδων
        *       *       *       *       *
      ἑλών μεν ὡς μεϑήμων
      λώρης γένωμαι δαρόν.

Du täuschest mich nun nicht mehr.
Die Leyer ist mir lieber,
Gib acht, wie sie so reizend,
Von süßen Trieben singet!

Ich will die Leyer rühren,In den meisten Ausgaben wird hier eine neue Ode angefangen; aber ohne Grund. Der Herr Dacier hat gezeigt, daß alles nur eine Ode ist.
Ist gleich kein kostbar Kleinod
Für Sänger zu erbeuten,
So ists doch ein Geschäfte
Der Männer, die die Blüthe
Der Weisheit abgepflücket.
Ich will in meine SaitenEigentlich heißt es: ich will mit meinem helfenbeinern πλήκτρω ein helles Lied ertönen laßen. Der Dichter verstehet dadurch ein Instrument, womit die Saiten gerühret wurden, wie ein Fingerhut gestaltet, doch mit dem Unterschiede, daß es mehr zugespitzt war.
Ein Lied mit heller Stimme
Im Ton der Phryger singen;Die Alten hatten drey Singarten, welche nach den Völkern, welche sie erfunden, oder am meisten im Gebrauch gehabt, benahmet wurden. Die Dorische war ernsthaft und majestätisch; man bedienete sich ihrer im Kriege, und bey grosen Ceremonien. Die Lydische war scharf, und durchdringend, und man hörete sie bey Begräbnissen und Opfern. Die Phrygische war eine Vermischung der erstern beeden; und der Dichter bediente sich ihrer hier, weil er von der Liebe eines Gottes sang. Nach Plutarchs Berichte, hat Plato die Dorische in seiner Republik geduldet, weil, wie er sagt, ihr männliches Wesen geschickt ist, das lebhafte Feuer der Jugend zu dämpfen, da hingegen Gesänge im lydischen und phrygischen Tone dasselbe unterhalten, und weichlich, und wohllüstig machen. Glarean, und Galiläus, der Vater des grosen Sternkündigers, haben diese Singarten mit den unsrigen zu vergleichen gesucht.
Wie mit den weißen Flügeln
Der Schwan am Fluß CaysterDiese Stelle ist artig. Der Dichter stellt sich den Schwan, der singend die Flügel schlägt, so vor, als ob er mit diesen Flügeln das Säuseln der Winde, seinem Gesange gemäß, modulirte; welches dadurch wahrscheinlich wird, weil man sich bey der phrygischen Singart, gemeiniglich zwoer Flöten bediente, statt deren Anakreon die Flügel des Schwans setzet; nicht anders, als ob ihre langsame Bewegung auf der einen, und ihr eilfertiges Schlagen auf der andern Seite, diese Abänderung majestätischer und scharfer Töne hervorbrächte, woraus die phrygische Singart besteht. Was mich anbelangt, so halte ich diese Anmerkung der Frau Dacier nicht für so gründlich, als witzig.
Des Westwinds sanftes Säuseln
Nach seinem Liede stimmet.
Auch du, o liebste Muse,
Hilf izt den Reihen führen!
Du weists, es sind die Leyer,
Der Lorbeerbaum und Dreyfuß 154
Dem blonden Phöbus heilig.
Von deßen groser Liebe,
Dem ungelöschten Brande,
Will ich, will ich izt singen.
Das Mädgen war ihm spröde,
Und floh vor seinen Küßen;
Allein es ward verwandelt
In einen grünen Lorbeer
Voll lieblichen Geräusches.
Zu dem, zu dem lief Phöbus
Und meynte sie zu herzen,
Und in dem Schoos zu hegen,
Als er nur Blätter küßte,
Und starre Zweige herzte.Ovid beschreibt diese Fabel mit seiner gewöhnlichen Lebhaftigkeit im ersten Buche seiner Verwandlungen. »Apollo liebt nun den neuen Baum. Er berührt ihn, und fühlt unter der Rinde das Herz seiner Gebieterin pochen. Er schlingt die Arme fest um die Zweige, und küßt das nette Holz: aber auch dieses scheint seinen Küßen entfliehen zu wollen. &c.«
Sag an, mein Geist, von wannen
Entflammt dich solch ein Feuer,
Ein solches edles Feuer?
Ergreife deine Pfeile,Er nennet seine Verse Pfeile, wie Pindar thut in der zwoten olympischen Ode, einer seiner treflichsten: »der Köcher, der von meiner Schulter herabhänget, ist mit schnellen Pfeilen angefüllet; Verständige verstehen ihren Klang, aber der Gemeine Haufe ist eines Auslegens dazu bedürftig – –« Und gleich darauf fährt er alsofort: »Auf! o mein Geist, drehe deinen Bogen zum Ziele; wen aber sollen die ruhmvollen Pfeile treffen, die wir aus gütigem Gemüthe abschiesen?«
Um nach durchbohrtem Ziele
Den Schiesplatz zu verlaßen.
Nimm nicht der Venus Pfeile,
Womit sie Götter bändigt.
Thu, wie der Dichter Tejens, 155
Der Treflichste der Dichter,
Und reiche diese Schale,
Die anmuthsvolle SchaleAuch hier scheinet der Dichter eine Stelle Pindars, die, uns zu begeistern, allein schon vermögend ist, vor Augen gehabt zu haben. Es ist der Anfang, der siebenten olympischen Ode:
»Wie wenn ein reicher Bürger seine kostbarste Haabe, die gröste Zierde der Gastmahle, einen Becher von lauter Gold, darinne der Thau des Weinstockes perlet, mit der Hand anfaßet, und als ein Hochzeitgeschenke aus seiner Wohnung in die Wohnung seines jungen Eydams träget, damit derselbe wegen der neuen Anverwandschaft geehret, und von den dabey stehenden Freunden seiner einträchtigen Ehe halber glücklich gepriesen werde: also mache auch ich die gekrönten Obsieger in den olympischen und pythischen Spielen mir zu Freunden, indem ich ihnen den eingeschenkten Nektar, die süse Frucht meines Geistes, darreiche.«

Voll Verse, jungen Knaben,
Die mit dem Nektartranke
Die laßen Glieder stärken,
Und vor den Stralen schützen,
Die dort der Hundsstern schleudert.
Ja, ungetreuer Flüchtling!
Ein Lied gefällt mir beßer,
Als du, der Neid und Falschheit
Die Sterblichen gelehret;
Der Ihnen ihre Leyer;
Der ihre Buhlschaft raubet,
Und der sie aus dem Kelche
Der faulen Lüste tränket.
Fleuch immerhin, du Flüchtling,
Ich werde meine Leyer
Von leichtem Helfenbeine
Nicht deinetwegen haßen;
Fleuch zu entfernten Barbarn,
Zu ungetreuen BarbarnDer Grieche redet eigentlich von den Mysiern, einem thracischen Volke. In einigen Ausgaben, sonderlich den ältern, steht fälschlich Μουσῶν statt Μυσῶν.
Mit deinem Reiz zu pralen. 156
Ich will durch meine Leyer
Die Musen munter machen,
Die meine Brust bewohnen;
Ich will durch alle Reiche
Den Glanz von meinem Nahmen,
Von Tag zu Tag, verbreiten.Nach folgender Aenderung des Textes .
      Ἐγὼ δ' ὁ λυροκτύπης
      Μοῦσας φρεσὶν ἀποίκους
      Ἀχανδέες ὀρίνω
      Αἴγλαν τε λαμπρύνω.
Weil diese Ode von einem neuern Dichter, als Anakreon herrührt, viele und grose Lücken hat, die nimmermehr werden ausgefüllt werden, und im Charakter Pindars geschrieben ist: so habe ich mich nicht so genau an die Worte gebunden, als in den vorhergehenden; ich würde sonst gezwungen worden seyn, mit den Deutschen griechisch zu reden, und manchen Gedanken nur halb zu übersezen, weil seine andere Hälfte im Grundtexte ewig verlohren ist.
    Uebrigens findet man in dieser Ode vieles, wodurch sich Pindar vom Anakreon unterscheidet: eine Schreibart voll Nerven ohne viele Wortverbindungen, kühne Figuren, und eine majestätische Heftigkeit der Rede &c.
162

 

LVII.
Auf den Frühling.

Diese Ode gründet sich auf die Gewohnheit der Morgenländer unter Lauben, oder in Alleen von Weinstöcken Kühlung zu suchen. Le-Fevre mag übrigens über dieses Fragment die Nase rümpfen, wie er will, so fühle ich doch, daß die Ideen des Dichters sehr anziehend und gefällig sind. Folgende Ode erweckt ähnliche Empfindungen:
      Wie lieblich sprudelt diese Quelle!
      Wie reizend schwebt das Laub im Schatten!
      Wie fruchtbar blüht die Lind am Ufer!
      Wie munter sieht das Thal voll Blumen!
      Hier, Freund, hier ist das Land des Friedens!
      Hier laß uns fern von Gold und Scepter
      Die kurze Lebenzeit verlängern!
                                      u. s. w.

Auf den blumenreichen Wiesen,
    Die in ihrer Fülle stehn,
Wo der West gelinde Lüfte,
Holde Lüfte von sich hauchet,
    Läst sichs schön spazieren gehn;
Da, da kann man Bacchus Reben,
    Die von Trauben schüttern, sehn,
Unter ihre Schatten schlüpfen,
Und ein niedlichs Mädgen herzen,
    Schön, wie Venus, ja so schön. 163

 

LVIII.
Auf sich selbst.

Man hält diese Ode wegen der Schönheit ihrer Verse für ein Werk Anakreons. Wenn dieses seine Richtigkeit hat, so bekommt die Moral in den sechs lezten Zeilen ein desto gröseres Gewicht, weil sie von den Lippen eines Wohllüstlers fließt, der sie seinem Wunsche zuwider ausgesprochen, und, nach dem Zeugnisse des Alterthums ein Herz voll Einfalt besaß, das, wie der Abt Olivet von La-Fontänen sagt, niemahls daran dachte, Götter oder Menschen zu betrügen.

Meine Schläfe altern schon;
    Meine Locken grauen.
Meiner Jugend Reiz ist hin,
    Nebst dem Glanz der Zähne;
Und des süsen Lebens Lauf
    Geht gemach zu Ende.
Drum erseufz ich oft aus Furcht
    Vor der schwarzen Hölle.Denn, will Anakreon gleichsam sagen: »ach! wie übel sind die Todten nicht daran! wie verdrießlich ist es in ihrer Gesellschaft zu seyn, welches über kurz, oder lange doch einmahl seyn muß? Wenn wenigstens noch eine kleine Weinader in den Gräbern spränge, so wär ihr Zustand doch nicht so bejammernswürdig. Aber ach! es ist erschrecklich zu sagen, und meine Lippen könnens kaum aussprechen; in den Gräbern fließt höchstens nur – – Wasser
    Sonst ist es eben nicht mehr Mode, zu gestehen, daß man die Hölle fürchte. Man will grosmüthig leben, grosmüthig sterben, und nicht weniger innere Stärke, als der Abt Chaulieu besizen, der also von sich selbst geschrieben:
      J'ai vû de près le Stix, j'ai vû les Eumenides;
      Deja venoient frapper mes oreilles timides
      Les affreux cris du chien de l'Empire des Morts:
      Et les noires vapeurs, et les brulans transports
      Alloient de ma raison offusquer la lumiére:
      C'est lorsque j'ai senti mon ame toute entiere,
      Se ramenant en foi, faire un dernier effort,
      Pour braver les horreurs, que l'on joint à la mort.
      Ma raison m'a montré, tant qu'elle a pu paraitre,
      Que rien n'est en éffêt de ce qui ne peut être;
      Que ces fantômes vains font enfans de la peur,
      Qu' une foible nourrice imprime en notre cœur &c.

Wenn sich dieser wohllüstige Dichter die Hölle ja vorstellen mußte, so geschah es auf der reizenden Seite. Blumengärten, Lorbeerlauben, elisäische Felder, Orangenhaine von silbernen Flüßen durchschlängelt, weiche zarte Rasenbänke war alles, was er sah. Hätte sich der dafür fürchten sollen, der die Weisheit nur in der Wohllust sezte?
      Qui bornoit aux plaisirs toute Philosophie.

Denn abscheulich ist ihr Schlund;
    Schwer, hinein zu springen.
Wer einmahl darinne ist,
Kann ans holde Lebenslicht
    Nicht mehr rückwärts klimmen.Anakreons Furcht vor der Hölle, glich der Furcht des Fuchsen vor der Grube des Löwen. Der beste Passeport, und die huldreichste Einladung waren unvermögend, ihn einen Schritt weit hinein zu locken. »Die Fustapfen derer die unsern kranken Herrn König besuchen, sehen der Höle zu, und nicht eine einzige, sprach er, siehet rückwärts. Dieß erweckt ein billiges Mißtrauen in mir. Seine Majestät verschonen mich also mit der Gnade, Ihnen aufzuwarten. Ich zweifle zwar an der Güte ihres Salvi conductûs nicht im geringsten, allein ich danke dem ohnerachtet, weil ich zwar wohl sehe, wie man zu Ihnen hinein, nicht aber, wie man wieder herauskommen könne.«
      Je vois fort bien, comme l'on entre,
          Et ne vois pas, comme on en fort.
167

 

LIX.
An seinen Diener.

Auf! Knabe, bring den Stutzer her,Das griechische Wort bedeutet, nach dem Scholiaste des Theokritus, einen hölzernen Becher, einen Birkenmeyer.
Ich will, ich will in Ganzen trinken.
Ich will, ich will ein Drittel Wein
Zu zweien Theilen Wasser mischen,Man wird hieraus abnehmen können, daß die alten Griechen den Wein mit gröserer Behutsamkeit getrunken haben, als die heutigen Deutschen. Hesiodus will so gar, daß man des Sommers zu einem Theile Wein dreymahl so viel Wasser gießen soll. Dieses Verhalten der Alten gab zu einem artigen Beweise Anlaß, daß ihr Geschmack nicht so fein gewesen, als der Neuern ihrer:
        Ob wir, die Neuern, vor den Alten
    Den Vorzug des Geschmacks erhalten,
    Was lest ihr darum vieles nach,
    Was der und jener Franze sprach?
    Die Franzen sind die Leute nicht,
    Aus welchen ein Orakel spricht.
        Ich will ein neues Urtheil wagen.
    Geschmack und Wiz, es frey zu sagen,
    War bey den Alten allgemein;
    Warum? sie trunken alle Wein.
    Doch ihr Geschmack war noch nicht fein;
    Warum? sie mischten Wasser drein.

Lyäens Flamme recht zu dämpfen.»Anakreon, sagt die Frau Dacier, bedient sich hier zweyer Worte, wovon das erste sehr ungewöhnlich ist. Denn ich glaube schwerlich, daß man ὑβριστιόω statt ὑβρίζω irgend an einem Orte finden werde. Was das andere anbelanget, so mag es Anakreon wohl selbst geschmiedet haben, wenigstens erinnre mich nicht, daß jemand vor ihm ἀναδευβασσαρέω gesagt habe. Indessen ist seine Zusammensetzung meiner Meynung nach glücklich. Βασσαρεὺς ist ein Nahme des Weingottes, und bedeutet einen Weinleser; ἀναδέυω aber heißt wäßern. Ἀναδευβασσαρέω heißt also eigentlich: Wasser zum Weine thun. Dieses Fragment ist mithin nicht verdorben, wie die Ausleger geglaubt haben: das übrige der Ode aber ist verlohren gegangen.« Baxter aber ist anderer Meynung, als diese gelehrte Frau gewesen; er hält diese Lesart für monströs, und ließt:
                  - - ὡς ἀνυβριστὶ
      Ἀναδέυων βασσαρήσω.
Barnes hingegen .
                      - - ὑβρις ῶσαν
      φρένα δεῦε βασσάρῃσιν &c.
170

 

LX.
An seine Freunde.

Auf! Freunde gebt mir einen Becher,
Und zechet nicht mehr, wie die ScythenDenn
    Wo Scythen und Prälaten saufen
        Da ist der Gott der Freuden nicht dabey.
    Es herrscht in ihren wilden Haufen
        Die Dummheit und die Zauberey.

Mit solchem Lärmen und Getümmel.
Trinkt aber, bitt ich euch, bescheidenὙποπίνειν antwortet dem lateinischen subbibere, ex intervallo bibere, aliquantulum bibere. Anakreon liebte den Kelch der Freude, aber nicht bis zur Trunkfälligkeit. Er trank so, daß die Weißheit, und die keuschen Musen zusehen konnten. Er dachte, wie der Horaz der Deutschen gedacht hat:
        Sie mögen durch entweihten Wein
    Die sanften Gratien verscheuchen!
    Sie, Bacchus, mögen Thieren gleichen;
        Wir wollen Menschen seyn.

Bey anmuthsvollen Tafelliedern. 171

 

LXI.
Auf Amorn.

Ich singe von dem zarten Amor;
Vom Amor, der in netten Kränzen
Von buntgefärbten Blumen pranget.Μίτραι, sagt Le-Fevre, sind hier ταινίαι, Sträuse, Kränze, überhaupt. Aber nein! sagt Baxter: Μίτραι πολυάνϑεμοι sunt coronae Cupidinis; s. Insulae, in quibus varii flores intexebantur; a μίτος, quod est filum.
Er ist der Herr der grosen Götter;
Er ist der Sterblichen Bezwinger. 172

 

LXII.
Auf Amorn.

Als ich jüngst ein Kränzgen flochte,
Fand ich Amorn in den Rosen.
Schnell erwischt ich ihn am Flügel,
Sties ihn in den Wein, und trank ihn
Mit dem Weine rasch hinunter.Folgendes aus dem Französischen überseztes Liedgen kann, als eine Nachahmung dieser griechischen Ode, angesehen werden:
»Amor trug seine Fackel bis in die Hölle; selbst in den Grotten des Oceans steckte er Herzen in Brand. Der Gröste der Götter, der den Donnerkeul führt, entgieng seinen Feßeln nicht. Vereinbaret, o Freunde, eure Loblieder, meine Triumphe beeden Enden der Erde bekannt zu machen! mächtiger und glücklicher, als alle Götter, habe ich die Welt gerächet, und den, der Sterbliche und Unsterbliche bezwungen, in diesem Tokayer ersäuft.«

Izt erwecket er mir Armen
In dem Herzen, mit den Flügeln
Einen Kitzel nach dem andern.Auf diesen Kitzel ziehlt der wohllüstige Chaulieu, wenn er sich in einem mit Andacht und Leichtsinn angefüllten Gedichte also vernehmen läßt:
    - - d' une amoureuse piquûre
    Nous sentons les emotions.

Wobey man, wie Baxter bey den Worten Anakreons,
      Καὶ νῦν ἔσω μελῶν μου
      Πτεροῖσι γαργαλίζει,
bequem anmerken kann: subesse nequitiam.
174

 

LXIII.
Auf Dianen.

Dich bitt ich, Kind des Zevs, Diane,
O schöne Jägerin der Hirsche,
Beherrscherin der wilden Thiere,
Komm an Lethäens Waßerwirbel,Es sind ehemahls fünf Flüße dieses Nahmens gewesen, einer in Kreta, einer in Thessalien, einer in Spanien, einer in Afrika bey Berenice, und einer in Jonien, von welchem hier die Rede ist. Er rauschte an den Mauern der Stadt Magnesia hin, welche 5000 Schritte von Ephesus lag, und noch heutiges Tages unter dem Nahmen Mangresia, als ein ziemlich guter Ort bekannt ist.
Und schau auf deine Stadt in Gnade,
Worinn der Männer Herzen zittern.Es ist zu glauben, dieser Hymnus sey zu einer solchen Zeit aufgesezt worden, da die Einwohner dieser Stadt (man mag mit einigen Magnesia, oder mit andern Ephesus verstehen) im Kriege geschlagen, und so herunter gebracht worden, daß sie ihre Erhaltung von nichts mehr, als dem unmittelbaren Beystande ihrer Schuzgöttin Diane, zu erwarten getraueten. Wer so was nicht annehmen wollte, müßte behaupten, daß der Dichter nur Gelegenheit gesucht hätte, eines friedfertigen und sanftmüthigen Volkes spotten zu können, oder beweisen, daß statt ϑρεοκαρδίων, mit Le-Fevre, ϑρασυκαρδίων gelesen werden müßte.
Denn du, o Göttin, weidest niemahls
Der Grausamkeit ergebne Bürger. 176

 

LXIV.
An ein Mädgen.

Und was blickstu, thracisch Füllen,
Mich mit schielen Augen an?
Und was fleuchstu mich so trozig,
Und vermeynst, ich wisse nichts.
Wisse nur, mit leichter Mühe
Legt ich dir den Zaum ins Maul,
Und ich könnte mit dem Zügel
Dich ums Ziel der Rennbahn drehn.
Itzo weidestu im Grünen,
Wo du flüchtig springst, und spielst,
Weil kein Reuter auf dir sitzet,
Der die Schule recht versteht.Le-Fevre war der Meynung, unter dem Füllen verstehe Anakreon ein thracisches Mädgen, das ein wenig spröde gewesen. Es ist dieses so unwahrscheinlich nicht, sonderlich wenn man in Betrachtung zieht, was Dü-Port Dü-Tertre in seiner Geschichte Englands von Henrich dem Achten anmerket; daß er, als man ihn mit Anna aus dem Hause Cleve vermählete, gesagt habe: nun! ihr habt mir ein schönes flandrisches Füllen zugeführt!
    Doch gesezt, daß diese Ode keine Allegorie, sondern nur schlechthin eine scherzhafte Anrede an ein Füllen aus der Stuterey des Polykrates wäre: so muß man doch gestehen, daß sie schön sey, und das um so mehr, weil sie Horaz seiner Nachahmung gewürdiget hat:
      Quae velut latis equa trima campis
      Ludit exultim, metuitque tangi.
178

 

LXV.
An einen Knaben.

Anmuthsvoller Knabe,
Welcher Mädgens gleicht,Refert Athenaeus, sagt Le-Fevre, dixisse olim Glyceram, pueros tanto formosiores esse, quanto feminis similiores sint.
Dir, dir lauf ich nach;
Und du willst nicht hören,
Und du willst nicht wissen,
Daß du, als ein Fuhrmann,
Meinen stolzen Geist
Wie am Zügel lenkst. 179

 

LXVI.

Ich mag nicht Amaltheens Horn;Dieß ist das Horn der Amaltheä, welche Jupiter, weil sie seine Säugamme gewesen, unter die Sterne versezet. Es floß Ambrosia und Nektar heraus, und man nennet es gemeiniglich das Horn des Ueberflußes. Barnes vermuthet, weil die dritte Tochter Hiobs Kerenhapuch heißt, so müsse noch ein ander Geheimniß unter dieser Fabel versteckt liegen; aber seine Muthmassung gründet sich auf was ungewisses, nemlich auf die Meynung Spanheims, daß Kerenhapuch so viel bedeute, als ein Horn, voll von allem was schön macht; da es doch, wie Hiller mit mehr Wahrscheinlichkeit behauptet, durch einen Karfunkelstral verdeutschet werden muß.
Ich mag nicht dreymahl funfzig Jahre,
Tartessens Bürger, euch beherrschen.Tartessus war eine reiche Stadt in Spanien am Flusse Betis gelegen. 180

 

LXVII.

Neptunus Monat ist erschienen;Dieser Monat der Griechen fängt nach unserm Calender mit der andern Helfte des Christmonates an, und endiget sich mit der erstern des Jenners.
Die Wolken hängen schwer von Wassern;
Und wilde Stürme rasen heulend. 181

 

LXVIII.

Säufstu dem häuslichen Jovi
Mit der schnatternden Freundin
Wieder den Opferwein aus:
Dann errege doch nicht,
Gleich des Oceanus Wellen
Ein betäubend Geräusch.Dieses Fragment ist im Griechischen sehr verdorben. Ich habe es nach der Frau Dacier Verbesserungen übersetzet. Statt πίνουστα lese ich ποιοῦστο τὴν ἐπίστιον nemlich σκηνήν. Vielleicht könnte πίνουστα beybehalten, und alsdann unter τὴν ἐπίστιον das Wort κύλικα verstanden werden; da denn ἐπίστιον fürἐφέστιον stünde, welches die Schale, in der man dem Jupiter Ephestius den Opferwein ausgoß, bezeichnet.
    Der einige Pinselstrich, daß auch der Opferwein vor diesen Weibern nicht sicher war, schildert ihre Trunkfälligkeit vollkommen. Doch dieses war nicht ihr einiger Fehler. Sie waren auch solche, qui ne deparloient jamais, oder wie der komische Gresset von seinen Nönngen sagt:
    »Das Rad ihrer Rede lief immer fort. Wenn sie sprachen, so sprachen sie alle auf einmahl. Dem, der bey ihnen stund, und ihren Lärmen anhörete, donnerte Jupiter allzeit vergebens. Sie schweigen zu machen, hätte man ihnen die Lippen zubinden müssen &c.«
183

 

LXIX.

Drey Kränze hatte jeder Mann.Die Alten bekränzten sich nicht nur das Haupt, sondern auch die Schultern. Cicero schreibt daher vom Verres: »einen Kranz hatte er auf dem Haupte, den andern um den Hals, und ein feines Garn mit kleinen Löchern, das mit Rosen angefüllt war, hielt er sich an die Nase; reticulumque ad nares sibi apponebat, tenuissimo lino, minutis maculis, plenum rosae.«
Von aufgeblühten Rosen zween;
Und einen von Egyptens Pflanze.Durch den Kranz von Naukratis versteht der Dichter allhier das Lotos, welches um diese Stadt herum häufig zu finden war. Es wird manchem nicht unangenehm seyn, wenn ich die Beschreibung dieser Pflanze aus der Geschichte des Himmels hiehersetze: »eine von denjenigen Pflanzen deren man sich in Egypten stark bediente, heißt Lotos. Sie wächst in den Wassern des Nils, da, wo er die Ufer überstiegen. Der Stengel steigt, bis er die Oberfläche des Wassers erreicht, in die Höhe. Er ist von mehrern Stengeln umgeben, welche Blätter tragen, die, bis sie sich über dem Wasser ausbreiten, in der Figur eines Horns eingewickelt sind. Die Wurzel davon ist eßbar. Die Blume dieses Lotos, welche weiß ist, öfnet sich mit dem Aufgange der Sonne, und schließt sich mit ihrem Untergange zu. Aus ihrer Mitte ragt ein Knopf hervor, gleich dem Mohn, der ein Körnlein, das dem Hirsen ziemlich ähnlich sieht, in sich verschlossen hält. Die Egypter pflückten diese Körnlein aus, trockneten sie, und machten Brod daraus.
    Sie hatten noch eine andere Art Lotos, wovon sie mehr Wesens machten. Derselbe war in folgenden Stücken von jenem unterschieden. Seine Blumen waren rosen- oder fleischfarbigt, von angenehmem Geruche; und gemeiniglich machte man Kränze daraus, die man an Festtagen aufsetzte. Seine Stengel und Blätter schoßen weit über das Wasser hinaus, so, daß man, in kleinen Gondeln, unter ihrem Schatten spazieren fahren konnte. Aus dem Schooße der Blume, stieg eine kleine Hülse in die Höhe, gleich einem umgestürzten Glöcklein, oder einer Wespenzelle. Dieses Glöcklein hies man den Becher, oder den Kelch, und es hatte dreysig dicke Körner in sich, wie kleine Bohnen gestaltet, die sowohl frisch, als getrocknet, gut zu essen waren. Die kleinen Becher, wenn ihre Frucht herausgenommen war, dienten zu Trinkschalen. Aus den Blättern machte man andere Gefäse, indem man sie trocknete, nett falsete und flochte. Uebrigens war die Wurzel dieser Pflanze zum Essen unvergleichlich – –«
    So weit der Abt Plüche. Es kann seyn, daß Anakreon auch hier, wie in der vierten Ode von demjenigen Lotos redet, das man loton sativam, oder urbanam, auch ἥμερον λοτὸν zu nennen pflegte.
186

 

LXX.

Du gleichest einem jungen Rehe,
Das noch an seiner Mutter trinket,
Und in dem Wald von ihr verlassen,
Wenn Weste rauschen, schüchtern flüchtet.Dieses Gleichnis hat unter der Hand des Horaz nicht wenig an Annehmlichkeiten gewonnen. Er hat es mit einfaltsvollen, aber sehr zarten und freundlichen Zügen also bereichert: »Du fliehest aus meinen Augen, wie ein junges Rehböcklein, das seine schüchterne Mutter im entlegenen unwegsamen Gebürge sucht, nicht ohne eitle Furcht für den sanften Winden und dem Walde. Denn es mag nur der ankommende Lenz in den leichten beweglichen Blättern ein schreckend Geräusch erregen, oder graßgrüne Eidexen einige dünne Aeste der Brombeerstaude durchschlüpfend erschüttert haben: so pocht sein Herz, und seine Knie zittern.«
    Vitas hinnuleo me similis, Chloë,
    Quaerenti pavidam montibus aviis
      Matrem, non sine vano
        Aurarum et silvae metu.
    Nam seu mobilibus veris inhorruit
    Adventus foliis; seu virides rubum
      Dimovere lacertae;
        Et corde et genibus tremit.

                                Buch II. Ode 23.
188

 

LXXI.

Dieses Gedicht ist ein Epithalamium, welches den Neuvermählten von Jungfrauen und Jünglingen Morgens am Bette zugesungen wurde. Die Erfindung, sagte mein Lehrer, war so reizend, daß es anmutiger seyn würde, wenn man statt der gewöhnlichen Hochzeitlieder dergleichen dichtete. Diejenigen zwey Epithalamia, welche noch vom Catull vorhanden sind, sind mel merum, und haben Schönheiten, die uns den Verlust unzehlbarer andrer von den grösten Poeten Griechenlands auf ewig empfindlich machen.

Venus, die die Göttinnen beherrschet,
Amor, Kraft des sterblichen Geschlechtes
Hochzeitgott, Bewahrer unsers Lebens,
Euch, euch drey besingen meine Lieder,
Amor, dich, dich Hymen, dich Cythere - -
Aber, o beglückter Jüngling, siehe!
Siehe doch nach deiner netten Freundin,
Und erwache, daß sie nicht behende
Wie ein rasches Haselhuhn entfliehe.
Stratokles, du Bräutigam Myrillens,
Siehe doch nach deiner netten Freundin.
Welch ein Schimmer, welche Pracht und Jugend!
Rosen sind der Blumen Königinnen:
Aber sie die Rose aller Mädgen.
O Myrille, freudig wirft die Sonne
Ihre Stralen auf dein blumigt Bette; 189
Möchte doch ein zart Cypreßenbäumgen
Bald, o bald in deinem Garten wachsen!Barnes vergiftete diese Worte: er meynte: Κυπάριττον dici Anacreonti hastam virilem, et κῆπον Myrillae arvum. Aber die Frau Dacier hatte die Stelle schon anständiger erklärt. Man bediente sich, waren ihre Worte, dieser Redensart nur deswegen, um den angehenden Eheleuten Erben zu wünschen, die bald kommen, und lange leben möchten; denn die Cypressenbäume stehen Jahrhunderte, ehe sie fällig werden.


Anakreons Überschriften.

 

I. Ueberschrift.

Seht! des Timokritus Grab, des tapfersten Kriegers; denn Mavors
    Reißt oft Achille dahin, wenn er Thersite verschont.Es heißt im Grundtexte: Mars verschonet nicht die wackern Leute, sondern die schlimmen. Wie Achill von der ersten, so war Thersites von der andern Art. Er richtete in der griechischen Armee mit der Zunge entsetzliche Unruhen an, und drang gewaltig auf den Abzug. Er fragte weder nach Ehre, noch Schande; sondern verläumdete die Grosen, und mißhandelte die Kleinen. Seine heßliche Figur war ein Bild seiner Seele. Er schielte, war lahm, hatte ein spitzes Haupt, worauf sparsam einige Haare saßen, und so hoch sein Rucken hinten war, so hoch war seine Brust vorne. Er haßte jedermann, vorzüglich aber tapfre und rechtschaffene Leute. Sonderlich waren Achill und Ulysses der Gegenstand seiner Lästerzunge. Er that bey der Armee das wenigste; machte aber den Heerführern die meisten Vorwürfe. Als ihn Ulyßes mit Worten hart mitgenommen, ihn den feigsten aller Griechen genennet, und ihm mit dem Scepter die Schultern wund geschlagen hatte, ward er mit eins so stille, als er vorhero groslaut und keck gewesen, zog sich in einen Winkel zurück, und wischte die Augen &c.
– Ilias B. II. v. 212. &c.
195

 

II. Ueberschrift.

Auf dem Holzstoße, hat den wackern Kriegsmann Agathon
    Sein AbderaAbdera ist hier eine Stadt in Thracien, wo sich die Teier niedergelassen, als sie der persischen Sitten und Beschimpfungen müde gewesen. Herodotus lobt sie:quod patriam potius relinquere, quam libertatem sibi suam eripi voluerint. Die Philosophen Protagoras und Demokritus hatten sie zur Vaterstadt. beweint, dem er zu frühzeitig fiel.
Mars, der blutgierige, hat im SturmDie Grundschrift sagt: im Wirbel des Streites, welches sehr sinnlich ist. des erschrecklichen Streites,
    Nie einen Jüngling, gleich dem, unter die Todten gestürzt. 196

 

III. Ueberschrift.

Auch, Kleonorides, dich hat das erwachte Verlangen
    Deine Geburtsstadt zu sehn, Lethen ans Ufer gesandt.
Sie zu besuchen, giengstu dem Südwind herzhaft entgegen,
    Der auf Flügeln von Eis Wirbel und Untergang trägt.
Aber es haschte dich schnell ein tückisches StündgenIm Griechischen heißt es: ὣρη ἀνέγγυος, eine Stunde, vor die niemand Bürge seyn kann, die selbst keinen Bürgen stellt, der man also nicht trauen darf., und senkte
    Deine Jugend und dich unter die Fluten des Meers. 197

 

IV. Ueberschrift.

Die mit dem Thyrsusstab, ist Helikonias; aber Xantippe
    Heißt, die neben ihr geht, welcher Glauka dann folgt.
Siehe! sie kommen zurück vom Gebürg, und bringen dem Bacchus
    Reben, die Epheu umschlingt, und einen jährigen Bock.Dieses Fragment erklärt eine Schilderey, worauf unterschiedene Bacchanten, die ein Bacchusfest feyerten, vorgestellt waren. 198

 

V. Ueberschrift.

Treib deine Kühe hier fort, o Hirte, sonst treibstu mit Ihnen
Dieß lebendige Erz, MyronsMyron war ein Bildgieser, von Athen gebürtig, dessen ehernes Kalb, wegen seiner Schönheit, im Alterthum berühmt gewesen. Seine Hekate zu Aegina; sein Knabe Lycius, seine Medusa, sein Perseus, sein Erichtheus zu Athen; sein Bacchus auf dem Helinkon: waren ebenfalls lauter Meisterstücke. Meisterstück, fort. 199

 

VI. Ueberschrift.

Diese Kuhe ward nie aus Erze gegossen; vor Alter
Ward sie zu Erze; und nun eignet sie Myron sich zu.Die Muse Ausons hat sich in Besingung des myronischen Kalbs glücklich beschäftigt:
    Bucula sum, caelo genitoris facta Myronis
        Aerea, nec factam me puto, sed genitam.
    Sic me taurus init: sic proxima bucula mugit,
        Sic vitulus sitiens ubera nostra petit.
    Miraris quod fallo gregem! gregis ipse magister
        Inter pascentes me numerare solet.

Das folgende ist voll Einfalt:
    Nec dum caduco sole jam sub vespere
    Ageret iuvencas quum domum pastor suas,
    Suam relinquens, me minabat, ut suam.

Man hat es so nachgeahmt:
    O Hirte, warum laufestu
        So weit zurück nach mir?
    Stichst mit dem Stachel auf mich zu,
        Und rufest: fort von hier!
    Ich bin des Künstler Myrons Kuh,
        Und gehe nicht mit dir.
Ich liebe insonderheit folgenden Gedanken:
    Aerea bos steteram. Mactata est vacca Minervae.
        Sed Dea proflatam transtulit huc animam.

Ich halte einen Theil dieser Ansonischen Ueberschriften für Uebersetzungen aus dem Griechischen. Von dieser ist es gewiß:
    Pasce greges procul hinc, ne quaeso bubulce, Myronis
        Aes, veluti spirans, cum bubus exagites.

Man wird Anakreons fünfte Ueberschrift darinne wieder finden.
    Auch Janus Secundus lies Myrons Kuhe sehr schön reden:
    Dicito pastori nostro, si videris, hospes,
        Hic moror artificis quod religata manu.

Aber der Einfall ist ebenmäsig aus dem Griechischen entlehnet worden.
202

 

VII. Ueberschrift.

Der nur den blutigen Krieg bey sprudelnden Bechern besinget
War mein Liebling noch nie. Aber mein Liebling ist der,
Der die Geschenke der Mus und Aphroditens verbindet;
Und nur, o FrölichkeitIm Grundtexte heißt es nach dem Buchstaben: der der liebenswürdigen Euphrosyne eingedenk ist. Diese Euphrosyne ist in der Fabellehre die zwote der Gratien, und ward, als die Göttin der Frölichkeit angesehen. Milton richtet in seinem Allegro folgendes poëtischs Gebeth an sie:
    »Komm herab, schöne und freymüthige Euphrosyne, holde Bewohnerin des Himmels, welche die liebreiche Venus, sammt zwo andern anmuthsvollen Schwestern [Der Aglaja und Thalia.], dem mit Epheu bekrönten Bacchus auf einmahl gebohren hat. Doch wenn es wahr ist, was ein gewisser Weiser sagt, so hattestu den Zephir und die Aurora zu Eltern, wurdest im Maymonate gezeugt, und kamest auf einem Bette von blauen Violblumen, und frisch aufgeblühten im Thaue gewaschenen Rosen ans Licht der Welt, eine allerliebste, freundliche, und überaus freudige Tochter. Wie ihm aber seyn mag, o Nymphe, so eile, und bringe den Scherz, die jugendliche Freude, das Sprechen der Augen, den Spott von artigen Satiren begleitet, und das Lächeln mit, so wie es sich auf den Wangen der Hebe befindet, und sich gern in den Grübgen aufhält, die auf schönen Gesichtern wahrgenommen werden. Bringe die Scherze nebst den Kurzweilen mit, welche die gerunzelte Sorgen verjagen. Laß auch das laute Gelächter nicht dahinten, das seine beyde Seiten hält. Sondern fliege, auf leichten Zähen hüpfend herbey, die Nymphe der Berge, die süße Freyheit an der rechten Hand haltend. Und so ich dich gebührend ehre, Frölichkeit, so vergönne mir ein Mitglied deiner Gesellschaft zu seyn, und in derselben in unbestraften Lustbarkeiten mein Leben zuzubringen. Hilf mir, dem Kummer Troz bieten: und wünsche mir an meinem Fenster durch die wilden Rosen, oder die Weinreben, oder den verflochtenen Hagbuttenbusch, einen guten Morgen, währendem der Hahn mit lebhaftem Geschrey den Nachzug der leichten Schatten zerstreuet, und vor seinen Weibern stolz und muthig einherschreitet &c.«
dich, dich, o Wohllust nur preist.

 


 


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