Emil Gött
Glossen
Emil Gött

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    Was ich in diesen Tagen als Randglossen in den Nietzsche schrieb, was ist es anders als ein Notbehelf der Mitteilungslust? Der Einsame hat schließlich noch sich – und die Stimmen verwandter Geister. Ach der Stunden, in denen er sich auch noch verläßt!

    Der Vorgang hat ferner große Verwandtschaft mit dem Stehenlassen von ein paar Saug-Ästen über den Veredlungsstellen, bis die Augen und Reiser angewachsen und in eignem Trieb sind; der Saftfluß muß unterhalten und geleitet werden.

(Tagebuch)    

Der Fall Wagner

Nietzsche: »Hat man bemerkt, daß die Musik den Geist frei macht? dem Gedanken Flügel gibt? daß man um so mehr Philosoph wird, je mehr man Musiker wird? – Der graue Himmel der Abstraktion wie von Blitzen durchzuckt; das Licht stark genug für alles Filigran der Dinge; die großen Probleme nahe zum Greifen; die Welt wie von einem Berge aus überblickt.«

Gött: Dieser Strahl quillt tief herauf und unter mächtigem Druck. Denn wer es nicht erlebt hat, kann nicht davon sagen. – Bizets Musik und schließlich alle, auch die beste Musik, ist unschuldig an solchen Ausbrüchen. Sie löst nur die vorhandenen Spannkräfte oder kann sie lösen. Die Augen müssen da sein, für das Licht gebaute, um die Dinge überhaupt als Filigran zu sehen; Hände, sanfte Hände, Kinderhände, die nach den großen Problemen greifen; ein schwindelfreier Kopf und ein mutiges Herz, um die Welt von einem Berg aus zu überblicken.

 


 

»Das Problem der Erlösung ist selbst ein ehrwürdiges Problem. Wagner hat über nichts so tief wie über die Erlösung nachgedacht: seine Oper ist die Oper der Erlösung.«

Ehrwürdige Probleme verspottet man aber nicht. Tut man's doch, so ist's im Grunde ein Spott über sich und die Art, wie einem das Problem selber mitgespielt hat. Dies ist hier der Fall.

 


 

»Der Mann ist feige vor allem Ewig-Weiblichen: das wissen die Weiblein.«

Betonen wir das Wort Mann und Ewig-Weiblich und setzen wir die Urbedeutung von feig = sterblich, so hebt sich vielleicht der Sinn noch schärfer in seiner schrecklichen Bedeutsamkeit hervor.

 


 

»Heiligkeit – das letzte vielleicht, was Volk und Weib von höheren Werten noch zu Gesicht bekommt, der Horizont des Ideals für alles, was von Natur myops ist. Unter Philosophen aber, wie jeder Horizont, ein bloßes Nichtverständnis, eine Art Torschluß vor dem, wo ihre Welt erst beginnt, – ihre Gefahr, ihr Ideal, ihre Wünschbarkeit . . . Höflicher gesagt: la philosophie ne suffit pas au grand nombre. Il lui faut la sainteté.«

Nicht mit Unrecht, wenn man sainteté nicht ganz landläufig auffaßt, sondern darunter ein wirkliches Leben der vorgetragenen Ideen versteht. Aus dem Nebel des Aberglaubens und dem schwülen Dunst der Schwärmerei, wozu als drittes die Unsauberkeit der Hysterie zu rechnen ist, in die lichte, kühle, planvolle, reinliche Welt des gehobenen Denkens versetzt, wird sainteté etwas wie sanité, etwas, was wirklich ›lui faut‹.

 


 

»Der Christ will von sich loskommen. Le moi est roujours haïssable«

Es ist etwas Wahres in diesem schrecklichen Satze, das nicht hinwegzudefinieren, hinwegzuspotten, hinwegzudonnern ist. Mit Sengen und Brennen muß man daran. Dafür sind auch die Stunden, wo man sich liebenswürdig fühlt, Stunden der Seligkeit. Ich finde es auch gar nicht sonderbar, daß der Weg zur Seligkeit durch Höllen führt.

 


 

Götzen-Dämmerung

»Kritik der Décadence-Moral. – Eine ›altruistische‹ Moral, eine Moral, bei der die Selbstsucht verkümmert . . . Instinktiv das Sich-schädliche wählen, Gelockt-werden durch ›uninteressierte‹ Motive gibt beinahe die Formel ab für décadence

Eine Sache von sehr labilem Gleichgewicht! Es ist der Fehler dieses Mannes, häufig seine Themen gewaltsam in ›Attitüden‹ zu zwingen, die ihnen nicht ganz natürlich sind.

 


 

»Die Kluft zwischen Mensch und Mensch, Stand und Stand . . . Das, was ich Pathos der Distanz nenne, ist jeder starken Zeit eigen . . . Alle unsere politischen Theorien und Staatsverfassungen, das ›Deutsche Reich‹ durchaus nicht ausgenommen, sind Folgerungen, Folgenotwendigkeiten des Niedergangs . . .«

Es ist merkwürdig, wie sehr Nietzsche, wenn man uneingeschränkt diesen Sätzen hier trauen müßte, auf die äußere Erscheinung des Aristokratischen hält. Er scheint kein Pathos innerer Distanz anzuerkennen. – Das Deutsche Reich ist durchaus keine Folge des Niedergangs, sondern nur ein elend gelungener Versuch des Aufgangs, wert, noch einmal oder auch einigemal zerschlagen zu werden. (Einigemal? – Vielleicht hundertmal – vielleicht für immer – nur das heilige Feuer für die schön und groß gedachte Sache möge es wahren! ›Laß ihm den Durst, o Gott, und still ihn nicht zu sehr!‹)

 


 

»Die Arbeiter-Frage. – Will man einen Zweck, muß man auch die Mittel wollen: will man Sklaven, so ist man ein Narr, wenn man sie zu Herrn erzieht.«

Was man will, ist Nebensache! was man aber tut? – man erzieht sich seine höheren Widersacher, also die Stufen zum Höhertreten.

 


 

»Hier ist die Aussicht frei. – . . . vor dem Unwürdigsten sich nicht zu fürchten [kann] Größe der Seele sein. Ein Weib, das liebt, opfert seine Ehre« usw.

Es ist eben manchmal nicht möglich, nicht lieblos zu sein, wenn die Seele sich zu ihrer vollen Größe aufrichtet; manchmal muß sie manches überragen, an die Wand drücken, schmerzen – am schwersten das Nahe.

 


 

»Die Schönheit kein Zufall. – Die Griechen bleiben deshalb das erste Kulturereignis der Geschichte – sie wußten, sie taten, was not tat; das Christentum, das den Leib verachtete, war bisher das größte Unglück der Menschheit.«

Wenn sie aber von diesem großen Unglück genest, war es dann umsonst? Achtung, wenn auch feindselige, vor den großen Tatsachen! Duldete sie Gott, dulde sie du! Nur bekämpfe sie! Das ist dein Recht, dein heiliges, ihnen gegenüber.

 


 

»Ich habe der Menschheit das tiefste Buch gegeben, das sie besitzt, meinen Zarathustra.«

Ich werde ihr etwas anderes Tiefes geben, aber kein Buch – ein Leben.

 


 

Der Antichrist

»Man muß der Menschheit überlegen sein durch Kraft, durch Höhe der Seele, – durch Verachtung . . .«

und durch ein Jenseits von Verachtung, wo der Regenbogen der Versöhnung seinen leichten Fuß auf den festen Boden setzt.

 


 

»Wir sind Hyperboräer . . . Diese Toleranz und largeur des Herzens, die alles ›verzeiht‹, weil sie alles ›begreift‹, ist Scirocco für uns. Lieber im Eise leben, als unter modernen Tugenden und andren Südwinden! . . .«

Man begreift, man verzeiht auch am besten, wenn man selbst – weit davon ist. Von woher kommen dem Hyperboräer diese Südwinde? Oder ist er auch über diese hinaus, in völliger Windstille, Stille böser Winde?

 


 

». . . der Mensch ist ein Ende . . .«

Das ist sein Glaube, aber wer weiß es?

 


 

»Fortentwicklung ist schlechterdings nicht mit irgend welcher Notwendigkeit Erhöhung, Steigerung, Verstärkung.«

Aber die Möglichkeit ist doch gegeben.

 


 

Gedichte

Nietzsche:  So sprach ein Weib voll Schüchternheit
Zu mir im Morgenschein:
»Bist schon du selig vor Nüchternheit,
Wie selig wirst du – trunken sein?«
Gött:  Da sprach ich in Versunkenheit
Zu ihr im Morgenschein:
Weib! dies ist meine Trunkenheit!
Noch trunkner, seliger? – Nein!

 


 

Nietzsche:  So sterben,
Wie ich ihn einst sterben sah –,
Den Freund, der Blitze und Blicke
Göttlich in meine dunkle Jugend warf:
—   —   —   —   —   —   —   —   —
Erzitternd darob, daß er siegte,
Jauchzend darüber, daß er sterbend siegte –:
 
Befehlend, indem er starb,
– Und er befahl, daß man vernichte . . .
 
So sterben,
Wie ich ihn einst sterben sah:
Siegend, vernichtend . . .
Gött:  Und warum so,
Mein Freund, der Blitze und Blicke
Göttlich in meine dunkle Jugend wirft,
Warum so sterben, vernichtend?
Warum sei dieser Hauch der letzte seines Mundes?
Ist er nicht trunken vom eignen Tod,
Dem Tod des Siegers?
Wenn ich ihn sterben darf, diesen Tod,
Jauchzend darüber, daß ich sterbend siege,
So will ich befehlen, daß man – errichte!
So will ich – vernichten!

 

*

 


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