Johann Wolfgang von Goethe
Mahomet. Trauerspiel in fünf Aufzügen, nach Voltaire
Johann Wolfgang von Goethe

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Fünfter Aufzug

Erster Auftritt

Mahomet. Omar.

Omar
Gelungen ist der Plan, Sopir verscheidet,
Der ungewisse Bürger starrt und schwankt.
Die Deinigen, erstaunt, verehren selbst
Das Wunder das zu unsrer Hülfe kommt,
Und zeigen Gottes Finger der erregten,
Geteilten Stadt und dämpfen ihre Wut.
Wir selbst beklagen laut Sopirens Tod,
Versprechen Rache, preisen deine Größe,
Gerecht und gütig rufen wir dich aus.
Man hört uns an, man beugt sich deinem Namen,
Und wenn der Aufruhr sich noch regen möchte,
So sind es Wellen die das Ufer schlagen,
Wenn heitrer Himmel schon von oben glänzt.

Mahomet
Ein ew'ges Schweigen sei der Flut geboten! –
Und meine Völker nahen sie der Stadt?

Omar
Die ganze Nacht bewegt sich schon das Heer,
Durch einen Umweg, diesen Mauern zu.

Mahomet
Zur Überredung füge sich die Macht.
Seide weiß nicht wen er mordete?

Omar
Wer könnt' es ihm verraten? Schon begräbt
Mit Hammon dies Geheimnis ew'ge Nacht.
Seide folgt ihm, schon begann sein Tod,
Und vor der Missetat ging Strafe her.
Indem er zum Altar das Opfer schleppte,
Indem er seines Vaters Blut vergoß,
Durchirrte schon ein schleichend Gift die Glieder;
Nicht lange wird er im Gefängnis atmen.
Palmiren aber lass' ich hier bewachen.
Der Irrtum führt sie bald in deinen Arm.
Seiden zu befreien ist ihr Wunsch.
Ich hab' ihr diese Hoffnung nicht geraubt.
Noch geht sie schweigend und verhüllt in sich,
Doch ihr gelehrig Herz, dich anzubeten
Gewohnt, es wird in deiner Gegenwart,
An deiner Brust, zur Freude sich beleben.
Du bist zum Gipfel deines Glücks gelangt.
Gesetze gibst du deinem Vaterlande,
Bist ihm Prophet und König, und regierst
Vom väterlichen Boden aus die Welt.
Das Innre deines Hauses, deines Herzens
Soll die Geliebte schmücken und erfreun.
Hier kommt sie, leblos, zitternd; sprich ihr zu!

Mahomet
Versammle meine Treuen um mich her!

 

Zweiter Auftritt

Mahomet. Palmire.

Palmire
Wo bin ich? großer Gott!

Mahomet
Erhole dich!
Des Volkes, dein Geschick, hab' ich gewogen.
Sieh die Begebenheit, die dich erschreckt,
Als ein Geheimnis zwischen mir und Gott an.
Befreit auf ewig von Gefangenschaft
Und Sklaverei, erhebe dein Gemüt.
Du siehst dich hier gerochen, frei und glücklich.
Beweine nicht Seiden! Überlaß
Des menschlichen Geschickes Sorge mir!
Denk an dein eignes Glück; du bist mir wert,
Und Mahomet nahm dich zur Tochter auf;
Zu einer höhern Stufe kann er dich
Erheben. Solchen Rang verdiene dir.
Blick auf zum Gipfel alles Erdenglücks,
Das Übrige laß der Vergessenheit.
Beim Anblick jener Größe, die dich lockt,
Geziemen sich die niedern Wünsche nicht.
Zu mir gewendet, ruh auf mir dein Herz!
Wie mir die Welt vertraut, vertraue mir!

Palmire
Was hör' ich! Von Gesetzen, Wohltat, Liebe,
Wagst du zu reden, blutiger Betrüger!
Auf ewig sei mein Herz dir abgeschworen,
Dir Henker meines Hauses. Dieses Letzte
Ging meinem Jammer, deiner Wut noch ab.
Das ist er also, Gott! der heilige
Prophet, der König, dem ich mich ergab?
Der Gott, den ich verehrte? Ungeheuer!
Durch Wut und grimm'ge Ränke weihtest du
Zwei reine Herzen einem Vatermord!
Verführen willst du meine Jugend, willst
Um mich, mit meinem Blut besudelt, werben?
Doch traue nicht auf deine Sicherheit,
Der Schleier ist zerrissen, Rache naht.
Vernimmst du das Geschrei, den Sturm der Menge,
Die meines Vaters Geist gewaltig treibt!
Man waffnet sich, man eilet mir zu Hülfe,
Und mich, und jeden Preis entreißt man dir.
Dich selbst, die Deinen seh' ich hingestreckt,
Und über euren Leichen atm' ich wieder.
O! laßt ihn nicht entkommen, güt'ge Götter!
Auf! Mekka! Auf! Medina! Asien,
Bewaffne dich, die Wut, die Heuchelei
Zu strafen. Alle Welt, beschämt, zerbreche
Die Fesseln die sie allzuschändlich trug,
Und deine Lehre die der Wahn gegründet,
Müss' Abscheu allen künft'gen Zeiten sein.
Die Hölle, die du jedem grimmig drohtest,
Der zweifelnd mit sich selbst zu Rate ging,
Die Hölle, dieser Ort der Wut, des Jammers,
Für dich bereitet, schlinge dich hinab.
Solch einer Wohltat dankt ein solch Gefühl,
So sind mein Dienst, mein Schwur und meine Wünsche.

Mahomet Was auch entdeckt sei, was du träumst und was
Du glauben magst zu sein; ich bin dein Herr!
Und wenn sich meine Güte –

 

Dritter Aufzug

Die Vorigen. Omar. Ali. Gefolge.

Omar.
Alles weiß man.
Verrat an dir war Hammons letzter Hauch.
Das Volk erfährt es, bricht den Kerker auf.
Man waffnet, man erregt sich. Rasend stürzt
In ungeheurem Strom es brüllend her.
Sie tragen ihres Führers blut'gen Leib,
Seide geht voran. Mit heißen Tränen
Ruft er zur Rache sie des Vatermords.
Ein jeder will den blut'gen Leichnam sehen,
Und aus der Neugier strömet neue Wut.
Seide klagt sich an: Mein ist die Tat!
Und schmerzlich angefacht, entbrannt von Rache,
Scheint er nur noch zu leben wider dich.
Schon flucht man deinem Gott, man flucht den Deinen,
Und dein Gesetz verwünscht man. Jene selbst,
Die, schon gewonnen, deinem Volk die Tore
Eröffnen sollten, wieder abgerissen,
Sind gegen dich gewendet und entbrannt.
Nur Tod und Rache tönt von allen Seiten.

Palmire
Gerechter Himmel, laß die Unschuld siegen!
Triff den Verbrecher!

Mahomet (zu den Seinigen)
Was befürchtet ihr?

Omar
Die Wenigen, die mit dir in der Stadt
Sich finden, sammeln sich sogleich um dich.
Wir werden an dir halten, mit dir fallen.

Mahomet
Ich bin genug euch zu verteidigen;
Erkennet welchem König ihr gehört!

 

Vierter Auftritt

Mahomet, Omar, Gefolge an der einen, Seide und das Volk an der andern Seite, Palmire in der Mitte.

Seide (einen Dolch in der Hand, schon durch den Gift geschwächt)
Bewohner Mekkas, rächet meinen Vater!
Den mörderischen Heuchler strecket nieder!

Mahomet
Bewohner Mekkas, euch zu retten kam ich;
Erkennet euern König, euern Herrn!

Seide
Hört nicht das Ungeheuer! Folget mir!
Ihr Götter! welche Wolke deckt mich zu.
Auf ihn! – Wie wird mir? Gott! –

Mahomet
Ich überwinde.

Palmire
Mein Bruder!

Seide
Nicht gesäumt! – Ich schwanke! Weh
Vermag nicht – Welcher Gott hat mich gelähmt!

Mahomet
Vor mir ergreif' es jeden Frevler so.
Ungläub'ge, die ein falscher Eifer treibt,
Mich zu verfluchen und Sopir zu rächen!
Der Arm der Könige bezwingen konnte
Hat eure Zweifel zu bestrafen Kraft;
Doch überlass' ich's Gott, der mir sein Wort
Und seinen Donner anvertraut, er schone
Die Irrenden, doch den Verbrecher straf' er.
Er richte zwischen mir und diesem Mörder.
Den Schuld'gen von uns beiden streck' er nieder!

Palmire
Mein Bruder! Wie? er hat so viel Gewalt,
Der Lügner, auf sie alle? Wie sie stehn!
Erstaunt, erstarrt, vor seiner Stimme bebend,
Als käm' ein Gott, Gesetze zu verkünden
Und auch Seide, du?

Seide
Ich bin gestraft!
Die Tugend war umsonst in meinem Herzen,
Ein groß Verbrechen ward mir aufgenötigt.
Doch wenn ein Gott den Irrtum so bestraft;
So zittre du, Verbrecher! Siehst du mich
Vom Stahl getroffen, mich das Werkzeug nur,
Sollt' er nach dir, Verführer, nicht ihn schleudern!
Ich fühl' es, mich umschwebt der Tod. Palmire!
Hinweg! daß er nicht dich mit mir ergreife.

Palmire
Nein, Bürger! Nicht ein Gott hat ihn getötet,
Gift wirkt in seinen Adern. –

Mahomet
Lernt, Ungläubige,
Den Lohn des Aufruhrs gegen Gottgesandte,
Die Rache kennen, die der Himmel schickt.
Natur und Tod vernehmen meine Stimme.
Der Tod, der mir gehorcht, beschützte mich
Und grub die Züge rächender Vernichtung
Auf diese bleiche Stirne plötzlich ein.
Er steht noch zwischen euch und mir der Tod,
Er zielt und wartet, was ich ihm gebiete.
So straf ich jedes Irrtums Eigensinn,
Der Herzen Meuterei, ja, der Gedanken
Unwill'gen Frevel; nur den Gläubigen
Verschont mein Bann, verschont des Todes Schrecken.
Wenn euch der Tag bescheint, wenn ihr noch lebt,
So dankt's dem Hohenpriester, der für euch,
Verführte, seinen Gott um Schonung fleht.
Zum Tempel fort, den Ew'gen zu versöhnen!

    Das Volk entfernt sich.

Palmire
O bleibt! nein, der Barbar vergiftete
Den holden Jüngling, meinen Bruder. Wie?
Und spräche dein Verbrechen selbst dich los?
Du scheinst ein Gott, nur weil du Laster häufest.
Verruchter Mörder meines ganzen Hauses,
Auch mir, der letzten, raube dieses Licht!
Du zauderst, blickest mich mit falscher Milde,
Die mir verhaßt ist, an! Des Toten Züge,
Die vielgeliebten, reißen mich dahin.
    Gegen den Leichnam.
Ein grauenvoll Geheimnis lauerte
Der Unschuld uns'rer ersten Neigung auf.
Ich hatte mit Entsetzen dich geflohen ;
Jetzt darf ich wieder jenem Zuge folgen.
Veredelt und verbunden sehen wir
Uns wieder.
    Sie ersticht sich.

Mahomet
Wehret ihr!

Palmire
Ich sterbe. Fort!
Dich nicht zu sehen ist das größte Glück.
Die Welt ist für Tyrannen; lebe du!

 


 


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