Johann Wolfgang von Goethe
Mahomet. Trauerspiel in fünf Aufzügen, nach Voltaire
Johann Wolfgang von Goethe

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Dritter Aufzug

Erster Auftritt

Palmire. Seide.

Palmire
Verweile! sprich! Welch Opfer kann es sein?
Welch Blut? das insgeheim die göttliche
Gerechtigkeit verlangt. Verlaß mich nicht
In diesen ahnungsvollen Augenblicken!

Seide
Gott würdigt, Gott beruft mich! Diesen Arm
Hat er erwählt, ich soll ihm näher treten.
Ein heil'ger Eid, ein hoher, schreckensvoller,
Soll mich dem Unerforschlichen verbinden.
Mich führet Omar zu dem Heil'gen ein;
Ich schwöre Gott, für sein Gesetz zu sterben;
Mein zweiter Schwur, Palmire, bleibt für dich.

Palmire
Du gehst allein, warum? Was ruft man dich
Von mir hinweg? O, könnt' ich mit dir gehen!
An deiner Seite fühlt' ich keine Furcht.
Ich bin beängstet. Eben Omar wollte
Mich trösten, stärken; doch er schreckte mich.
Er sprach geheimnisvoll, sprach von Verrat,
Von Blut, das fließen werde, von der Wut
Der Ältesten des Volks, von Meuterei
Sopirens. Wenn der Stillstand nun erlischt,
Was wird es werden? Flammen brennen schon,
Die Dolche sind bereit, sie sind gezuckt,
Sie werden treffen. Der Prophet hat es
Gesagt, er trüget nicht. Was wird aus uns?
Ich fürchte von Sopiren alles, alles für
Seiden.

Seide
Wär' es möglich, daß Sopir
Ein so verrätrisch Herz im Busen trüge!
Als Geisel trat ich heute vor ihm auf;
Mit Adel und mit Menschlichkeit empfing
Er mich so schön; im Innern fühlt' ich mich,
Wie von geheimer Macht, zu ihm gezogen,
Und unsern Feind konnt' ich in ihm nicht sehn.
Sein Name, seine hohe Gegenwart
Erfüllten mich mit Ehrfurcht, sie verdeckten
Dem unerfahrnen Jüngling seine Tücke
Und schlossen mir das Herz gewaltig auf.
Doch nein, dein Anblick war's, da ich dir wieder
Zum Erstenmal begegnete, mein Glück
Von ganzer Seele fühlte, jeden Schmerz vergaß,
Und Furcht und Sorgen alle von mir wies,
Nichts kannte, sah, nichts hörte mehr als dich;
Da fühlt' ich mich auch glücklich bei Sopiren.
Nun hass' ich den Verführer desto mehr,
Und will der Stimme, die für ihn sich regt,
In meinem Herzen kein Gehör verleihn.

Palmire
Wie hat der Himmel unser Schicksal doch
In allem inniglich verbunden! uns
Zu Einem Willen väterlich vereint!
Auch ich, Geliebter, wär' ich nicht die Deine
Und zöge mich unwiderstehlich nicht
Die Liebe zu dir hin, begeisterte
Mich Mahomets erhabne Lehre nicht,
Wie dich, wie gern würd' ich Sopiren trauen!

Seide
Das ist Versuchung, die uns zu dem Manne
Zu reißen strebet. Laß uns widerstehn,
Des Gottes Stimme hören, dem wir dienen.
Ich gehe jenen großen Eid zu leisten.
Gott, der mich hört, wird uns begünstigen,
Und Mahomet, als Priester und als König,
Wird unsre reine Liebe segnend krönen;
Dich zu besitzen wag' ich jeden Schritt.

 

Zweiter Auftritt

Palmire
Er geht beherzt; doch kann ich meinen Geist
Von einer schwarzen Ahnung nicht befreien.
Die Sicherheit geliebt zu sein, das reine
Gefühl zu lieben, heitert mich nicht auf.
Der lang ersehnte Tag erscheinet mir
Ein Tag des Schreckens. Welchen Schwur verlangt
Man von Seiden? Es verwirrt mich! Alles
Erreget mir Verdacht. Sopiren fürcht' ich
Und wenn ich mein Gebet zu Mahomet
Erhebe, flößt sein heil'ger Name mir
Ein Grauen ein, so sehr ich ihn verehre.
Befrei, o Gott! aus dieser Lage mich!
Mit Zittern dien' ich dir, gehorche blind.
Mach dieser Angst ein Ende, diesen Tränen!

 

Dritter Auftritt

Mahomet. Palmire.

Palmire
O Herr! dich sendet mir ein Gott zu Hülfe.
Seide –

Mahomet (seinen Zorn verbergend)
Welch Entsetzen faßte dich?
Bin ich nicht hier? Was fürchtet man für ihn?

Palmire
O Gott! Soll ich noch mehr geängstet werden!
Welch unerhörtes Wunder! Du bist selbst
Erschüttert? Mahomet ist auch bewegt?

Mahomet
Ich sollt' es sein, und wär' ich es um dich.
Wo ist die Scham? daß deine Jugend mir
Gewaltsam Flammen zeigen darf die ich
Vielleicht mißbillige. Und könntest du
Gefühle nähren die ich nicht gebot?
Dich warnte keine Stimme, kein geheimes,
Wohltät'ges Schrecken? Dich, die ich gebildet,
Muß ich so ganz verändert wieder finden?
Hast du dem Vater alle Dankbarkeit,
Dem heiligen Gesetze Treu und Ehrfurcht
Und deinem Herrn Gehorsam abgeschworen?

Palmire (fällt nieder)
Was sagst du? Überrascht und zitternd liegt
Palmire dir zu Füßen. Schaudernd senk' ich
Den Blick zum Boden. Ja, ich fühlte mich
Vernichten, hielte mich die Kraft
Unschuld'ger, reiner Liebe nicht empor.
Wie? hast du nicht mit günst'gen Blicken selbst,
An diesem Ort, auf uns herab gesehn?
Die Hoffnungen genähret und gebilligt?
Ach! dieses schöne Band, das Gott um uns
Geschlungen, fesselt uns noch mehr an dich.

Mahomet
Der Unbesonnene verscherzt sein Glück.
Verbrechen lauern auch der Unschuld auf.
Das Herz kann sich betrügen. Diese Liebe,
Du kannst mit Tränen sie, mit Blut bezahlen.

Palmire
Mein Blut? Mit Freuden flöss' es für Seiden.

Mahomet
Du liebst ihn so?

Palmire
Seit jenem Tag, als Hammon
Uns deinen heil'gen Händen übergab,
Wuchs diese Neigung, still allmächtig, auf.
Wir liebten, wie wir lebten, von Natur.
So gingen Jahre hin, wir lernten endlich
Den süßen Namen unsers Glückes kennen,
Und nannten Liebe nun was wir empfanden.
Wir dankten Gott; denn es ist doch sein Werk.
Du sagst es ja, die guten Triebe kommen
Von ihm allein, und was in unsrer Brust
Er Gutes schafft, ist ewig, wie er selbst.
Sein Wille wechselt nie. Nein! er verwirft
Die Liebe nicht, die aus ihm selbst entsprang.
Was Unschuld war, wird immer Unschuld sein,
Kann nicht Verbrechen werden.

Mahomet
Ja, es kann's!
Drum zittre! Bald erfährst du ein Geheimnis!
Erwart' es, und erwarte, was ich dir
Zu wünschen und zu meiden anbefehle.
Mir glaubst du, mir allein.

Palmire
Und wem als dir?
An deinen Lehren und Befehlen hält
Der Ehrfurcht heilige Gewohnheit mich.

Mahomet
Bei Ehrfurcht ist nicht immer Dankbarkeit.

Palmire
Ich fühle beide. Könnten sie verlöschen;
So strafe mich Seidens Hand vor dir.

Mahomet (mit verhaltnem Zorn)
Seidens!

Palmire
Blicke mich nicht zornig an!
Mein Herz ist schwer gebeugt, du wirst es brechen.

Mahomet (gefaßt und gelind)
Ermanne dich und nähere dich mir!
Ich habe nun dein Herz genug geprüft,
Du kannst auf meinen Beistand dich verlassen.
Vertrauen ford're ich, und du gibst es gern,
Und dein Gehorsam gründet dein Geschick.
Sorgt' ich für dich, gehörst du mir; so lerne
Das, was ich dir bestimmte, zu verdienen.
Und was ein göttlicher Befehl Seiden auch
Gebieten kann, darin bestärk' ihn, laß
Zur Stimme seiner Pflicht die deine sich gesellen.
Er halte seinen Schwur! dies ist der Weg,
Dich zu verdienen.

Palmire Zweifle nicht, mein Vater!
Was er versprach erfüllt er. Wie für mich
Steh' ich für ihn. Seide betet dich
Mit vollem Herzen an, wie er mich liebt.
Du bist ihm König, Vater, einz'ger Schutz.
Ich weiß, ich fühl' es! und ich schwör' es, hier
Zu deinen Füßen, bei der Liebe die
Ich für ihn hege, und ich eile nun
Zu deinem Dienst ihn treulich anzufeuern.

 

Vierter Auftritt

Mahomet
Sie macht mich zum Vertrauten ihrer Liebe!
Mit Offenheit beschämt sie meine Wut,
Mit Kindersinn schwenkt sie den Dolch auf mich!
Verruchte Brut! Verhaßt Geschlecht! Du bist
Zu meiner Qual geboren; Vater, Kinder,
Eins wie das andre! doch ihr sollt, zusammen,
Des Hasses, wie der Liebe Wut und Macht
An diesem Schreckenstage grimmig fühlen.

 

Fünfter Auftritt

Mahomet. Omar.

Omar
Die Zeit ist da! Bemächt'ge dich Palmirens,
Besetze Mekka und Sopiren strafe!
Sein Tod allein bezwingt dir unsre Bürger,
Doch alles ist verloren, kommst du nicht
Der feindlichen Gesinnung dieses Manns zuvor.
Erwartest du des Stillstands Ende hier;
So bist du gleich gefangen, bist ermordet.
Entfernst du dich aus Mekka, wird die Frucht
Von diesem ersten großen Schritt verschwinden.
Drum rasch! Seide harrt, er denkt, vertieft
Und trüb, dem Schwure nach und was du ihm
Für einen Auftrag geben werdest, den
Er zu vollbringen schon entschlossen ist.
Er kann Sopiren sehn, ihm nahen. Hier
In diesen Hallen ist der schwache Mann
Gewohnt, zu Nacht, den Göttern seines Wahns,
Mit nicht'gen Weihrauchswolken, seiner Wünsche
Starrsinn'ge Torheit zu empfehlen. Da
Mag ihn Seide suchen, und, berauscht,
Vom Eifer deiner Lehre hingerissen,
Dem Gott ihn opfern der durch dich befiehlt.

Mahomet
Er opfr' ihn, wenn es sein muß. Zu Verbrechen
Ist er geboren! Er verübe sie,
Und unter ihren Lasten sink' er nieder!
Gerochen muß ich, sicher muß ich sein.
Die Glut der Leidenschaft und mein Gesetz,
Die strengen Schlüsse der Notwendigkeit
Befehlen's. Aber hoffst du, daß sein Herz
So vielen Glaubensmut und Eifer hege?

Omar
Er ist geschaffen, diesen Dienst zu tun,
Und zu der Tat wird ihn Palmire treiben.
In Lieb' und Schwärmerei schwebt seine Jugend
Und seine Schwäche kehret sich in Wut.

Mahomet
Hast du mit Schwüren seinen Geist gebunden?

Omar
Der heiligen Gebräuche finstre Schrecken,
Verschlossne Pforten, ungewisses Licht,
Ein dumpfer Schwur, der ew'ge Strafen droht,
Umfingen seinen Sinn. Zum Vatermord
Druckt' ich den schärfsten Stahl in seine Hand,
Und unter heil'gem Namen facht' ich, wild,
Die Flamme des Parteigeists in ihm auf.
Er kommt.

 

Sechster Auftritt

Mahomet. Seide. Omar.

Mahomet
O Sohn des Höchsten, der dich ruft!
Vernimm in meinen Worten seinen Willen.
Du bist bestimmt des heil'gen, einz'gen Dienstes
Verachtung, bist bestimmt Gott selbst zu rächen.

Seide
Als König, Hohenpriester, als Propheten,
Als Herrn der Nationen, den der Himmel
Ausdrücklich anerkennt, verehr' ich dich.
Mein ganzes Wesen, Herr! beherrschest du;
Erleuchte nur mit einem Wort den dunklen
Gelehr'gen Sinn! Gott rächen soll ein Mensch?

Mahomet
Durch deine schwachen Hände will der Herr
Die Schar unheiliger Verächter schrecken.

Seide
So wird der Gott, des Ebenbild du bist,
Zu rühmlich großen Taten mich berufen?

Mahomet
Gehorche, wenn er spricht! Das sei dein Ruhm.
Befolge blind die göttlichen Befehle!
Bet an und triff! Der Herr der Heere waffnet,
Der Todesengel leitet deinen Arm.

Seide
So sprich! und welche Feinde sollen nieder?
Welch ein Tyrann soll fallen, welches Blut soll fließen?

Mahomet
Des Mörders Blut, den Mahomet verflucht,
Der uns verfolgte, der uns noch verfolgt,
Der meinen Gott bestritt, der meine Jünger
Ermordete. Das Blut Sopirs.

Seide
Sopirs!
Den sollte diese Hand?

Mahomet
Verweg'ner, halt!
Wer überlegt der lästert. Fern von mir
Vermess'ner Sterblichen beschränkter Zweifel,
Die eignen Augen, eignem Urteil traun!
Zum Glauben ist der schwache Mensch berufen,
Ein schweigender Gehorsam ist sein Ruhm.
Verkennst du wer ich bin? Verkennst du, wo
Des Himmels Stimme dir verkündigt wird?
Wir sind in Mekka. Wenn sein Volk bisher
Abgöttern sich im Wahn dahingegeben,
So bleibt doch dieser Boden, diese Stadt
Das Vaterland der Völker Orients.
Warum soll dieser Tempel alle Welt
Versammelt sehn? Warum soll ich von hier
Ein neu Gesetz verkündigen? Warum
Bin ich als König, Hoherpriester,
Hierhergesandt? warum ist Mekka heilig?
Erfahr es! Abraham ist hier geboren!
In diesem Raume ruhet sein Gebein.
War es nicht Abraham, der seinen Sohn,
Den Einz'gen, am Altar, das ew'ge Wort
Anbetend, fesselte; für seinen Gott,
Die Stimme der Natur erstickend, selbst
Das Messer nach dem vielgeliebten Busen zuckte?
Wenn dieser Gott dich nun zur Rache ruft,
Wenn ich die Strafe seines Feinds verlange,
Wenn er dich wählt, so darfst du zweifelnd schwanken?
Hinweg du Götzendiener! Nimmer warst du wert,
Ein Muselmann zu sein! Such einen andern Herrn!
Schon war der Preis bereit, Palmire dein;
Dem Himmel trotzest du, verachtest sie.
Du wirst ihm, Schwacher, Feiger, nicht entfliehen!
Die Streiche fallen auf dich selbst zurück.
Verbirg dich, krieche, diene meinen Feinden.

Seide
Ich höre Gottes Stimme, du befiehlst,
Und ich gehorche.

Mahomet
Ja, gehorche! Triff!
Mit eines Ungerechten Blut bespritzt
Gehst du ins ew'ge Leben herrlich ein.
    Zu Omar.
Folg ihm von fern und halte stets auf ihn
Und seinen Gang dein Auge wachend offen.

 

Siebenter Auftritt

Seide
Den Greis zu morden, dessen Geisel ich,
Ja, dessen Gast ich bin, der, schwach und wehrlos,
Von seiner Jahre Last gebändigt, schwankt!
Genug! So fällt ein armes Opferlamm
Auch am Altar. Sein Blut gefällt dem Himmel.
Hat Gott mich nicht zum Priester dieser Tat
Erlesen? Schwur ich nicht? Sie soll geschehn.
Kommt mir zu Hülfe, Männer, deren Arm
Mit hoher Kraft Tyrannen niederschlug!
Mein Eifer schließt an eure Wut sich an;
Beschleunigt meiner Hände heil'gen Mord!
Komm, Engel Mahomets! Vertilger, komm!
Mit wilder Grausamkeit durchdringe mich! –
Was muß ich sehn? Hier tritt er selbst heran.

 

Achter Auftritt

Sopir. Seide.

Sopir
Verwirrt, Seide, dich mein Auge? Sieh
Mich mit Vertrauen an; denn ich verdien's.
Blick in mein Herz, es ist für dich besorgt.
Du bist, als Geisel, in bedenklicher,
Gefahrenvoller Zeit mir übergeben;
Du rührst mich, und nur wider Willen zähl' ich
Dich unter meine Feinde. Wenn der Stillstand
Den Drang der raschen Kriegeswut gehemmt,
So kann der Schein des Friedens bald verschwinden.
Mehr sag' ich nicht. Doch wider Willen bebt
Mein Herz bei der Gefahr, die dich umgibt.
Geliebter Fremdling! Eines bitt' ich nur:
In diesen Stürmen, die uns drohn, verlaß
Mein Haus nicht! Hier allein ist Sicherheit.
Hier steh' ich für dein Leben, mir ist's wert.
Versprich mir's!

Seide
Harte Pflicht! O! Gott im Himmel!
Sopir, und hast du keinen andern Zweck
Als mich zu schützen? Über meine Tage
Zu wachen? Mußt' ich so ihn kennen lernen,
Jetzt da sein Blut von mir gefordert wird!
O! Mahomet! verzeihe diese Regung!

Sopir
Erstaunst du daß ich einen Feind bedaure?
Doch ich bin Mensch, und das ist mir genug
Unglückliche zu lieben, zu beschützen,
An deren Unschuld meine Neigung glaubt.
Vertilget, große Götter, von der Erde
Den Mann der Menschenblut mit Lust vergießt!

Seide
Wie greift dies Wort an mein zerrüttet Herz!
Die Tugend kennt auch meines Gottes Feind?

Sopir
Du kennst sie wenig weil du staunst. Mein Sohn
In welchem tiefen Irrtum wandelst du?
Betäubte so die Lehre des Tyrannen
Den guten, den natürlich reinen Sinn,
Daß nur die Muselmannen tugendhaft
Und alle Menschen dir Verbrecher scheinen?
So mißgebildet hat zur Grausamkeit
Der Wahn dich schon, daß, ohne mich zu kennen
Du mir, als einem Sohn des Greuels, fluchtest?
Verzeihen kann ich solchen Irrtum dir,
Er ist nicht dein, er ist dir aufgezwungen;
Doch hebe selbst den freien Blick empor
Und sprich: ist das ein Gott, der Haß gebietet?

Seide
Wie fühl' ich mich mit Einemmal verändert!
Von diesem Schreckensgott hinweggezogen,
Zu dir, zu dir, den ich nicht hassen kann.

Sopir
Je mehr ich mit ihm rede, desto mehr
Wird er mir lieb und wert. Sein zartes Alter,
Die Offenheit, sein Schmerz und seine Zweifel –
Sie stimmen mich zum herzlichsten Gefühl.
Wie! ist es möglich, daß mich ein Soldat,
Des Ungeheuers Sklave, der sich selbst
Mit Abscheu von mir wendet, mich gewinnen,
Mein Herz gewaltig zu sich reißen kann?
Wer bist du? Welches Blut hat dich gezeugt?

Seide
Von meinen Eltern weiß ich nichts zu sagen.
Nur meinen Herren kenn' ich, dem bisher
Ich treu gedient, und den ich zu verraten
Beginne, seit ich dir mein Ohr geliehn.

Sopir
Du kanntest deinen Vater nicht?

Seide
Das Lager
War meine Wiege, und mein Vaterland
Das Heiligtum das Mahomet erleuchtet.
Man bringt ihm jährlich Kinder zum Tribut,
Und er war mir vor allen andern gnädig,
Und so verpflichtete mein Herz sich ihm.

Sopir
Ich lobe dich und deine Dankbarkeit,
Sie ist ein schön Gesetz für edle Herzen;
Doch Mahomet verdiente nicht das Glück
Dir und Palmiren wohl zu tun. Du schauderst,
Du bebst und wendest deinen Blick von mir?
Ist es ein Vorwurf der dein Herz zerreißt?

Seide
Wer ist an diesem Tage frei von Schuld?

Sopir
Erkennst du sie, so hast du sie gebüßt.
Ich rette dich, es fließt nur schuld'ges Blut.

Seide
Und sollte sein's von diesen Händen tropfen?
O Schwur! Palmire! Gott! Es ist zu viel!

Sopir
Komm ohne Zaudern. Nur in meinen Armen
Ist Sicherheit. Komm, daß ich dich verberge;
Denn alles hängt an diesem Augenblick.

 

Neunter Auftritt

Die Vorigen. Omar.

Omar
Wohin? Dich fordert Mahomet zu sich.

Seide
Wo bin ich? Himmel! was soll ich beginnen?
Das Wetter schlägt auf beiden Seiten ein.
Wohin mich flüchten, diese Qual zu enden?
Wohin?

Omar
Zu dem erwählten Manne Gottes.

Seide
Ja, meinen blut'gen Vorsatz abzuschwören!

 

Zehnter Auftritt

Sopir
Er eilt; ich lass' ihn gehn? Befiehlt als Herr
Schon Mahomet in unsern Mauern?
Ist dieser Jüngling nicht als Geisel mein?
Ich lass' ihn gehn? Doch nein, er flieht vor mir,
Er geht verzweifelt, schaudervoll getroffen;
Ihm folgt mein Herz mit sorgenvollem Zug.
Welch eine Schuld kann diese Jugend martern?
Welch ein Gefühl für ihn durchzittert mich?
In diesen rätselhaften Augenblicken
Bin ich für sein Geschick mehr als für mich,
Als für der Vaterstadt Gefahr besorgt.
Wo find' ich ihn? Wo soll ich Ruhe finden?

 

Eilfter Auftritt

Sopir. Phanor.

Sopir
Was bringst du, Phanor?

Phanor
Diese Tafel gab
Ein Araber mir insgeheim.

Sopir
Was ist's? –
Wie? Hammon! Götter! Trügt das Auge mich?
Ist's möglich, wollt ihr meinen Jammer enden?
Er will mich sprechen, Hammon, dessen Arm
Im harten Kampf die Kinder mir entriß?
Sie leben, sagt er; unter Mahomets
Gesetzen leben sie. So ist es wahr,
Was ich für List des frechen Feindes hielt,
Die mich zu schnödem Abfall locken sollte?
Der Hoffnung darf ich mich ergeben! Welch
Ein Lichtstrahl blicket durch die Nacht mich an!
Weiß doch Palmire nicht woher sie stammt!
Seide weiß es nicht, und mein Gefühl
Riß mich zu beiden allgewaltig hin.
Sie meine Kinder! Hoffnung, trüge nicht!
In meinem Elend schmeichl' ich mir zu viel.
Soll ich der tiefen süßen Rührung glauben?
Und künden diese Tränen mir sie an?
Wo eil' ich hin? wo kann ich sie umfangen?
Was hält mein Fuß mich an dem Boden fest?
Vom Alter und vom Unglück glaubt' ich mich
Gekühlt, daß nichts mich überraschen könne;
Nun überrascht mich ein unendlich Glück.
Nur heimlich kann mich Hammon sehen. Bring
Ihn diese Nacht, durch diese Hallen her.
Am Fuße des Altars, wo meine Tränen,
Wo ungestümer Jammer vor den Göttern
Sich ausgoß, bis sie endlich sich erweichten,
Da geb' er meine Kinder mir zurück.
Ja, gebt mir, Götter! meine Kinder wieder!
Und dieses junge Paar, das mich bisher
Bedeutungsvoll gerührt, ist es nicht mein,
So wächs't mein Reichtum an. Auch diese gebt
Der Tugend, der Natur, der Wahrheit wieder,
Und so sind denn die beiden Paare mein.

 


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